5 Fragen, 5 Antworten: Indonesien – Zwischen Unterdrückung und Widerstand

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Leila Cheng

Indonesien: Ein Land mit 264 Millionen Einwohnern und damit das 4. bevölkerungsreichste Land der Welt, sowie auch der größte Inselstaat. Dennoch ist es stark abhängig von ausländischen Konzernen und Banken. Und jetzt beschließt die Regierung ein Gesetz, das auf Kosten der indonesischen Arbeiter_Innen ausländische Investitionen und Unternehmen anlocken soll und damit die Abhängigkeit und die Armut der Massen verschärfen würde. Dagegen erhebt sich im ganzen Land verbissener Widerstand bis hin zu militanten Streiks! Die Hintergründe und Perspektiven wollen wir in diesem Artikel klären.

1. Wie zeigt sich die aktuelle Weltwirtschaftskrise in Indonesien?

Während sich die Covid-19-Pandemie im Land wieder verstärkt und sich auch hier bereits eine zweite Welle abzeichnet, werden von der Regierung jede Menge neoliberale Reformen durchgedrückt. Privatisierungen, Entlassungen und weitere Angriffe auf Arbeiter_Innenrechte, angeblich um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Doch was ist der wirkliche Grund?

Staatsverschuldung und Wirtschaftskrise!

Im Jahr 2018 betrug die Staatsverschuldung Indonesiens rund 30,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Unter anderem eine langfristige Folge der Kredite des IWF nach der Finanzkrise 2008/2009) und stieg in der Coronakrise noch weiter. Hinzu kamen massive privatwirtschaftliche Einbußen während der Pandemie: Indonesiens Wirtschaftsleistung ist nach Angaben des Statistikamtes BPS im 2. Quartal 2020 im Vorjahresvergleich um 5,3 Prozent geschrumpft, was damit das schwächste Quartal seit der Asienkrise des Jahres 1999 ist. Auch der Rückzug ausländischer Kapitale während der Pandemie hat wirtschaftliche Einbußen gebracht. Zudem musste die Hauptinsel Bali wegen Corona alle Tourist_Innen dieses Jahres abweisen. Dies sorgt für wirtschaftlichen Einbruch bei einer Insel, die fast komplett vom Tourismussektor abhängig ist.

Hinzu kommt das internationale Machtgefüge, in dem sich Indonesien befindet. Der Staat ist abhängig von den USA. Diese nutzen die Regionalmacht auch als Stützpunkt gegen ihren Hauptkonkurrenten China im Pazifik. Aber neben den engen militärischen Beziehungen gibt es auch große Mengen US-amerikanischer Kredite in Indonesien. Zudem ist das Land für viele transnationale, meist US-amerikanische Konzerne eine profitbringende Kapitalanlage, was durch das neue Gesetz mit verstärkter Ausbeutung der Arbeiter_Innen und weniger Umweltstandards verschärft werden wird. Aber warum machst sich Indonesien so abhängig von den USA? Wenn es amerikanische Weisungen und „Bitten“ ignorieren würde, würde es schnell weh tun, z.B. durch wirtschaftliche Sanktionen oder Rückforderung der Schulden oder sogar einen militärischen Einmarsch. Abgesehen davon wird die Wirtschaftsentwicklung, also die Hauptsektoren Bergbau (Export von Rohstoffen) und der Tourismussektor, ja meist von US-amerikanischen Konzernen dominiert. So ist zum Beispiel der größte Gold- und Kupferproduzent PT Freeport Indonesia ein US-amerikanisches Unternehmen, was auch gleichzeitig der größte Steuerzahler des Landes ist. Eine weitere große Einnahmequelle ist die Landwirtschaft: So ist Indonesien weltweit der größte Palmölproduzent, was zwar gewinnbringend aber auch sehr schädlich für die Umwelt ist, denn den Monokultur-Plantagen weichen die riesigen Urwälder, die im Grunde nur noch in Nationalparks existieren. Dieser Zweig wird von einem transnationalen Unternehmen aus Singapur dominiert. Hier zeigt sich die Konkurrenz, aber auch die Abhängigkeit von anderen Regionalmächten, die sich natürlich in erster Linie wirtschaftlich äußert.

2. Welche neoliberalen Reformen hat die Regierung beschlossen?

Die Regierung hat 79 neue Gesetze (Omnibus Law beziehungsweise Gesetz zur Arbeitsplatzbeschaffung) verabschiedet. Die Regierung behauptet: Die Reformen sollen Bürokratie abbauen, um mehr ausländische Direktinvestitionen zu fördern, das Wirtschaftswachstum zu unterstützen und Beschäftigungsmöglichkeiten für Indonesier_Innen zu schaffen.

Doch das Gesetz sorgt für massive Angriffe auf Arbeiter_Innenrechte, leichtere Entlassungen, Kurzzeitverträge, Lohnsenkungen (auch des Mindestlohnes), geringere Abfindungen und die Auslagerung von Arbeitsplätzen. So können imperialistische Staaten einfacher ihre billige und umweltschädliche Produktion zur Profitmaximierung nach Indonesien auslagern. Dies sorgt im Endeffekt nur für eine verstärkte Ausbeutung des indonesischen Proletariats, das in Elend, Arbeitslosigkeit und Hunger gedrängt wird.

Es sorgt auch für eine verstärkte Ausbeutung der Natur, sowie eine stärkere Umweltverschmutzung. Denn durch das Gesetz wird zudem die Verpflichtung von Unternehmen gelockert, eine Analyse von Umweltrisiken zu erstellen. Unmittelbare Folgen von Umweltverschmutzung und Klimakrise sind Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen, die das Land knapp über dem Meeresspiegel immer wieder stark belasten, sowie auch eine verstärkte Smogbelastung der Städte, insbesondere der riesigen Slums.

Auch die Jugend und die Frauen der Arbeiter_Innenklasse sind besonders von den Reformen betroffen. Gerade Jugendliche und nicht voll arbeitenden Personen werden als erstes entlassen oder noch schlechter bezahlt. Zudem werden proletarische Jugendliche früher arbeiten müssen, wenn sich die Familie ihre Ausbildung/Studium nicht mehr leisten kann. Hinzu kommt, dass die Jugend noch am längsten leben wird: Sie wird mitbekommen, wie ihre Heimat aufgrund der Klimakrise immer mehr im Meer versinkt, sie wird hauptsächlich von den Umweltkatastrophen betroffen sein und sie wird vermutlich zu großen Teilen später vor den Überflutungen fliehen müssen. Auch Frauen werden eher entlassen oder schlechter bezahlt. Neben ihrer harten Arbeit haben sie auch noch zu großen Teilen unbezahlte Hausarbeit und Kindererziehung allein zu tragen. Nun soll durch eine Reform auch noch das Recht auf bezahlten Mutterschaftsurlaub eingeschränkt werden.

3. Wie sieht der Widerstand gegen diese Reformen aus?

ArbeiterInnen, Student_Innen und Umweltschützer_Innen demonstrieren gegen die neoliberalen Reformen während der Corona-Pandemie. Die großen Proteste haben vor allem gesellschaftlichen und Klassencharakter. Inzwischen hat sich die Union of all Indonesian workers (KSPSI), ein mittelgroßer Gewerkschaftsbund (ca. 4,6 Millionen Arbeiter_Innen), als teilweise führende Kraft der ArbeiterInnen herausgebildet. Die KSPSI hatte bereits vor dem Beschluss des Gesetzes zu Streiks aufgerufen. Der sehr viel größere und reformistischere indonesische Gewerkschaftsbund (KSPI) hatte vereinbart, ein Team zur Umformulierung des Gesetzesentwurfs des Omnibus Laws zu bilden. Wie so oft sieht man hier den Verrat der Gewerkschaftsbürokratie, die bei minimalen und reformistischen Forderungen stehen bleibt, anstatt die die Massen in den Kampf zu führen.

Als dies jedoch gescheitert ist und die Regierung dieses Gesetz verabschiedet hat, haben sich die Gewerkschaftsverbände KSPI, KSPSI und die National Welfare Movement (GEKANAS) geeinigt und zu 3-tägigen Streiks (06. bis 08. Oktober 2020) aufgerufen. Insgesamt wollten sie bis zu 5 Millionen ihrer Arbeiter_Innen zu diesem Streik mobilisieren. In Wirklichkeit waren es höchstwahrscheinlich noch viel mehr. Insgesamt 32 Gewerkschaftsverbände, sowie Bauernverbände organisierten Streiks. Es gibt aber keinen Überblick darüber, wie viele Streiks mit wie vielen Teilnehmer_Innen tatsächlich stattgefunden haben.

Hier zeigen sich zwei Dinge:

Erstens: Wie eine kämpferische Basis, wenn sie konsequent kämpferisch vorwärts geht, ihre reformistische und opportunistische Führung zwingen kann, mitzuziehen. Immerhin gab es schon vorher Demos und vereinzelte Streiks, die sich auch mit Hilfe der SPSI immer mehr zuspitzten.

Und zweitens: Welche enormen Ausmaße ein politischer Streik annehmen kann. Ein Beispiel für diese enormen Ausmaße ist ein Streik in einem Frauenbetrieb: Dort mobilisierten 70.000 Arbeiterinnen in einer von Asiens größten Schuhfabriken zum dreitägigen Streik.

Neben den großen Streiks fanden, wie schon erwähnt, auch Massendemonstrationen statt. Daran beteiligten sich auch viele Student_Innen (vor allem wegen der Auflockerung von Umweltschutzmaßnahmen). Da zeigt sich auch, wie die Jugend in den Kämpfen mit ganz vorn dabei ist. Dies ist ein Phänomen, was man weltweit betrachten kann, ob bei den sozialen Protesten in Chile oder bei der internationalen Umweltbewegung, so jetzt auch in Indonesien. In Indonesien haben sich sogar bereits Ansätze der Organisation von Studierenden in Räte-ähnliche Gremien gebildet, über die aber noch nicht viel bekannt ist.

Doch wie sehen die Forderungen der Streiks und Demonstrationen aus? Es gibt eigentlich nur eine einheitliche Forderung und die lautet: Ersatzloser Verzicht auf das Gesetz! So ist es eine soziale Forderung und der Streik ein politischer Streik, aber revolutionär sind die Proteste damit noch nicht. Und das Problem, dass die kommunistische Partei Indonesiens seit 1965 verboten und damals ein Großteil der Kommunist_Innen ermordet wurde, macht es auch nicht besser. Dennoch sind die Proteste sehr fortschrittlich und können je nach der Entwicklung zu einem revolutionären Katalysator werden. Das liegt in ihrer letzten Besonderheit, der Vereinigung der antiimperialistischen, antikapitalistischen, Umwelt-, Jugend- und Antirepressions-Kämpfe, und vor allem ihrem im Grunde proletarischen Klassencharakter.

4. Wie sieht die Repression durch Staat und Kapital aus?

Wie immer bei Protesten und Straßenkämpfen zwischen dem bürgerlichen Staat und Demonstrant_Innen herrscht ein ungleiches Kräfteverhältnis. Auf der Insel Sumatra z.B. gingen Polizisten mit Tränengas gegen junge Demonstrant_Innen vor, die Steine auf die Beamten geworfen hatten. Auch in West Java kam es an dem Streiktag zu Zusammenstößen mit der Polizei. In der Hauptstadt Jakarta versammelten sich Tausende Student_Innen und Arbeiter_Innen vor dem Präsidentenpalast des südostasiatischen Inselstaats. Als Steine geworfen wurden, setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein. Weitere Protestzüge wurden aus Yogyakarta, Medan, Palembang und Makassar gemeldet. Bereits am Tag vor den Streiks waren die Polizist_Innen zum Teil mit Gummigeschossen gegen Demonstrant_Innen vorgegangen.

Die Polizei begründete ihr hartes Vorgehen und das Verbot eines Teils der Proteste mit Corona-Schutzmaßnahmen. Die besonders prekäre Lage und Notwendigkeit der Proteste werden dadurch unmissverständlich unterstrichen, dass man die Infektionsgefahr in Kauf nimmt, um die eigene Lebensgrundlage zu sicher. Vielen Menschen dort geht es sehr schlecht, genauso wie in vielen weiteren Ländern. Auch so lässt sich eine Verbindung zu den momentanen Protesten in Chile ziehen. Nur dass die Gewalt durch die Polizei dort noch viel enormer ist, man erinnert sich nur mal an die massenhaften Vergewaltigungen von Verhafteten und die mit Säure versetzten Wasserwerfer.

Auch in Indonesien setzte die staatliche Repression sehr stark auf Massenverhaftungen. Die Polizei meldete allein für den dritten Tag 3862 Festnahmen landesweit (darunter 796 “Anarchisten_Innen“). Die Massenverhaftungen trafen vor allem schwarz-gekleidete Jugendliche, die die Polizei für “Anarchisten_Innen“ hielt. Hier zeigt sich wieder eine bürgerliche Hetze, wonach Anarchismus nur Zerstörung und Durcheinander wäre und dass alle, die für soziale Ziele demonstrieren, als solche verrufen werden.

5. Was muss getan werden, damit die Proteste und Streiks eine Perspektive haben?

→ Unsere Klasse darf sich nicht unterkriegen lassen unter einer bürokratischen Gewerkschaftsführung, die auf einen Kompromiss mit dem Staat und den Unternehmen hofft. Auch nach den 3 Tagen müssen die Streiks konsequent weitergeführt werden!

→ Die sozialen und antiimperialistische Forderungen sind gut, sollten aber auch mit dem Kampf gegen die eigene Kapitalist_Innenklasse verbunden werden und für Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien unter ArbeiterInnenkontrolle einstehen!

→ Dafür sollte die Führung ein konkretes revolutionäres Programm aufstellen, in dem die Minimalforderungen (reformistische Forderung) der Ablehnung des Gesetztes und die Ablehnung der Angriffe auf die Klasse mit revolutionären und Übergangsforderungen bis hin zur sozialistischen Revolution verbunden werden. Ein Problem dabei ist, dass es seit dem bis heute anhaltenden Verbot der kommunistischen Partei von 1965 keine Arbeiter_Innenpartei in Indonesien gibt, sondern nur eine etwas linkere stark populistische Partei, deren Führung aus Gewerkschaftsverbänden besteht. Andererseits sind diese offenbar bereit, unter dem Druck der Massen auch politische Streiks durchzuführen.

→ Die gemeinsamen Kämpfe mit der besonders unterdrückten Jugend sollten weiterhin geführt werden. Die Jugend sollte sich jedoch noch in eigenen Organisationen zusammenfinden, um auch spezifisch ihre Lage im kapitalistischen System besprechen zu können. Die studentischen Räte sind gute Ansätze dafür. Dasselbe sollte jedoch auch in Schulen und Betrieben durchgeführt werden.

→ Zur besseren Koordinierung der Demos sollten ArbeiterInnen-, Jugend- und Bäuer_Innenräte eingerichtet werden und das Mittel des politischen Streiks bis zum Generalstreik angewandt werden, da es den stärksten wirtschaftlichen Druck ausübt.

→ aber die Bewegung kann nur gelingen, wenn sie sich international koordiniert und mit anderen sozialen Bewegungen vernetzt (wie z.B. der sozialen Bewegung in Chile, den antimonarchischen Protesten in Thailand, Gewerkschaften in den USA, …)

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