„Bist du Commie oder Anarcho?“

von Jona Everdeen

…wahrscheinlich eine der am häufigsten gestellten Fragen unter jugendlichen Linken in Deutschland. Was sind also unsere Differenzen und Gemeinsamkeiten zum Anarchismus und wie kann es zusammen funktionieren?

Wie alles begann

Der Anarchismus ist eine Strömung der Arbeiter_Innen-Bewegung, die sich innerhalb der Ersten Internationale von den Sozialist_Innen trennte, da die politischen Differenzen beider Strömungen zu gravierend waren. Berühmt sind die heftigen und teils polemischen Debatten zwischen Karl Marx mit anarchistischen Vordenker_Innen wie Michail Bakunin. Dabei treibt bis heute dieser Konflikt folgende Frage um: „Was ist unsere Position zum Staat und zur Autorität? Und wie verbinden wir unsere Ideale mit unserem Kampf?“, bei der Anarchist_Innen auf der Stelle jegliche Form von Herrschaft abschaffen wollen, während Kommunist_Innen eine parteiförmige Organisierung und rätedemokratische Herrschaft als Zwischenstadium für notwendig halten.

Denn eine Sache teilen sich Kommunist_Innen und Anarchist_Innen damals wie heute: Eine gemeinsame Utopie. Das, was wir Kommunismus nennen und das, was Anarchist_Innen Anarchie nennen, ist im Grunde derselbe Zustand einer klassenlosen Gesellschaft, in der die gesellschaftlich notwendige Arbeit ohne einen äußeren Zwang vollrichtet werden kann und es somit auch keine Staaten mehr benötigt. 

Die Unterschiede beginnen im Weg, wie wir es schaffen, zu dieser Gesellschaft zu gelangen. Dabei differenzieren sich sowohl Kommunist_Innen als auch Anarchist_Innen auch untereinander wieder auseinander. Aber das grundsätzliche Verständnis von Kommies dürfte sein: Zunächst Organisierung in Parteien als Kampforgane für die Revolution, dann planwirtschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel durch das Proletariat, das rätedemokratisch herrscht. Diese sozialistische Gesellschaft entwickelt sich mit der Zeit in die wirklich freie Gesellschaft. Dieser Weg folgt aus der Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, aus dem Kapitalismus ohne weiteres in den Kommunismus überzugehen und dass es eben notwendig ist, die Produktivkräfte und das gesellschaftliche Bewusstsein für diesen Zustand der absoluten Klassenlosigkeit reifen zu lassen, was voraussichtlich Generationen brauchen wird.

Typische Anarchismen

Anarchist_Innen hingegen erkennen diese Notwendigkeit zum Sozialismus nicht an, wobei sich der genaue alternative Lösungsweg von Strömung zu Strömung unterscheidet und wir natürlich nicht auf alle eingehen können. Klassische Anarchist_Innen denken, dass es sehr wohl möglich ist, das Bewusstsein der Gesellschaft im hier und jetzt auf das Niveau zu heben, dass die Menschen für die Herrschaftslosigkeit reif sind und man einfach alle Staaten und alles Geld abschaffen kann und dann schon die klassenlose Gesellschaft kommt. Dabei bezieht man sich eher nicht auf das Proletariat als revolutionäres Subjekt, sondern der Kampf entfaltet sich zwischen Staat und Bevölkerung. Dabei kann man grundlegend zwischen jenen unterscheiden, die in offener und militanter Opposition zum Staat stehen, und jenen, die innerhalb des Kapitalismus‘ „herrschaftslose Inseln“ bilden, die sich linear und möglicherweise sogar gewaltlos ausweiten, bis die gesamte Gesellschaft frei ist. Solche Ideen sind sowohl in der Hausbesetzer_Innenszene vertreten als auch bei Graswurzel-Anarchist_Innen. In aller Regeln versuchen Anarchist_Innen, bereits innerhalb ihrer politischen Praxis ihre freiheitlichen Ideale zu leben. Auch wenn wir diese Ideale teilen, sehen wir ein, dass das innerhalb des Kapitalismus nur Schwächung und Illusion bedeutet und wir sagen: „Die Befreiung erfolgt nicht im Kampf, sondern ist dessen Ergebnis und alles muss auf dessen Erreichung ausgelegt sein! Politische Organisierung befreit uns nicht, sondern nur eine andere Gesellschaftsform kann uns befreien!“

Den Sozialist_Innen am ähnlichsten sind die Anarcho-Syndikalist_Innen, da sich diese klar auf das Proletariat beziehen und ebenfalls Arbeitskämpfe als Hauptwerkzeug verwenden. Allerdings setzen sie dabei ihren Fokus auf Organisierung revolutionärer Gewerkschaften, die das Ziel haben, Stück für Stück Betriebe in die Hand der angestellten Arbeiter_Innen zu überführen. Es gibt dabei aber weder eine klare Vermittlung zwischen Betrieben durch Planung, noch eine Vermittlung zwischen Arbeits- und politischen Kampf durch eine Partei.

Sehr anders gehen hingegen Anarchos vor, die die „Propaganda der Tat“ vertreten, also die Annahme, dass punktuelle durch einzelne Individuen oder kleine Gruppen ausgeführte militante Aktionen dafür sorgen, dass die Massen ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln und sich den vereinzelten Aktionen gegen Bourgeoise und bürgerlichen Staat massenhaft anschließen.

Doch tatsächlich passiert meist das Gegenteil: Die Aktionen haben häufig eher eine stärkere Isolation der revolutionären Kräfte zur Folge, da die Hürde für den Einstieg und gleichzeitig die Möglichkeit des bürgerlichen Staates, mittels Propaganda das Proletariat gegen die Aktionen der revolutionären Kleingruppen aufzubringen, extrem hoch sind.

Den klandestinen, individuellen und punktuellen Aktionen gegen bestimmte Elemente der kapitalistischen Herrschaft stellen wir ein Programm des kollektiven Kampfes möglichst großer Teile des Proletariats gegenüber, dass vor allem mittels von Streiks in der Lage ist, die ökonomische Grundlage der Macht der Bourgeoise aus den Angeln zu heben und Konzernen wie Rheinmetall oder Vonovia somit viel effektiver zu schaden, als es ein abgebrannter Firmenwagen oder eine zerbrochene Scheibe tun.

Freund_Innen in der Revolution

Doch wie verhalten wir uns in Folge dieser Widersprüche gegenüber Anarchist_Innen?

Hier kommt wie so oft das Prinzip der Einheitsfront zum Tragen. So streben wir eine Zusammenarbeit aller Kräfte des Proletariats an, also auch anarchistischer, in gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus.

Die Basis dafür bilden gemeinsame Ziele sowie die Propagandafreiheit sämtlicher Beteiligter.

Gleichzeitig regen wir in diesem Rahmen auch zu einer Wideraufnahme eines solidarischen Diskurses zwischen Anarchist_Innen, Kommunist_Innen und anderen Kräften der Arbeiter_Innen-Bewegung an, in der Differenzen angesprochen und diskutiert werden können, ohne dass es gleich zu Stigmatisierungen von der „Autoritären Kommisekte“ oder den „planlosen Anarchos“ kommt!

Auch sind wir solidarisch mit Anarchist_Innen, die aufgrund von militanten Aktionen gegen Repräsentant_Innen von Staat und Kapital Repressionen erfahren, auch dann, wenn wir diese Aktionen in ihrer Form kritisch sehen.

  • Freiheit für alle politischen Gefangenen!
  • Für eine Einheitsfront aller Kräfte der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend im Kampf gegen Bourgeoisie und bürgerlichen Staat!
  • Für Propagandafreiheit in gemeinsamen Aktionen! Wer als Organisationen eine politische Aktion mitträgt, muss auch das Recht haben, ihre Symbole zu zeigen und Materialien zu verteilen!
  • Für politische Streiks in Schulen, Unis und Betrieben als zentrales Mittel des Klassenkampfes!