Gegen die Eskalation Äthiopiens!

von Jona Everdeen, Januar 2024

Wenig zeigt den Zynismus der aktuellen Epoche des Imperialismus mehr, als dass Äthiopiens Präsident Abiy Ahmed 2019 den Friedensnobelpreis erhielt, als Auszeichnung dafür, dass er den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea scheinbar beilegte, wobei er bereits ein Jahr später einen extrem brutalen Krieg gegen die aufständische nordäthiopische Provinz Tigray führte. Besonders heraus stach dabei eine von der äthiopischen Zentralregierung verhängte Lebensmittelblockade, mit der Tigray ausgehungert werden sollte und an deren Folgen die meisten der hunderttausenden Opfer starben. Nachdem der im Westen komplett vergessener Krieg 2022 zu Ende gegangen war und ein zweiter in der Nachbarprovinz Amhara knapp verhindert werden konnte, scheint es so, als sei eine Beruhigung damit noch längst nicht in Sicht, denn nun droht Abiy Ahmed nun eben jenem Land, mit dem seine Vermittlungen im einst den Friedensnobelpreis brachten, Eritrea. Doch warum kommt Äthiopien nicht zur Ruhe, und warum droht nun der alte Konflikt mit seinem nördlichen Nachbarn wieder auszubrechen? So viel schon mal: Imperialistische Machtkonflikte spielen hier eine zentrale Rolle.

Vom Blauen Nil zum Roten Meer

Um die aktuelle Situation zu verstehen, ist es nötig, zunächst darauf zu schauen, wie die allgemeine Lage des Landes sowie seine Position im Weltsystem ist. Äthiopien ist mit ungefähr 120 Millionen Einwohner:innen das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas, hinter Nigeria und dich gefolgt von Ägypten, und verzeichnete in den Jahren vor der Corona Pandemie ein erstaunliches Wirtschaftswachstum. Das änderte zwar nichts an der Armut der Bevölkerung, jedoch an der Lage der nationalen Bourgeoisie, welche sich nun in der Lage sah, eine aktivere Rolle auf dem afrikanischen Kontinent zu spielen. Abiy Ahmed schien dafür der geeignete Ministerpräsident zu sein: So kommt er zwar aus der zahlenmäßig größten Volksgruppe, der Oromo, stand jedoch von Beginn an für eine gesamtäthiopische Politik und war bereit, diese notfalls auch mit exzessiver Gewalt durchzusetzen. Um jedoch nach dem Krieg in Tigray und dem Konflikt in Amhara weitere Ausbrüche ethnischer Feindschaften zu verhindern und das ganze Land wieder zu vereinen, muss Ahmed nun auf eine Politik der Versöhnung setzen, und das kann er nur, indem er nationalen „Fortschritt“ verspricht.

Das läuft aber nur auf Kosten anderer Länder Afrikas. Die zwei zentralen Projekte, die den wirtschaftlichen Aufstieg zementieren und Äthiopien zur zentralen Macht Ostafrikas machen sollen: Der Bau einer riesigen Talsperre im Blauen Nil zur Gewinnung von Strom und Bewässerung, sowie ein Zugang zum Meer für den Export der deutlich gestiegenen Warenmenge.

Der „Grand Ethopian Renaissance Dam“ wurde bereits seit 2011 gebaut, wird seit 2020 langsam mit Wasser befüllt und sorgt für massive Konflikte in der Region. So fürchten Ägypten und der Sudan, dass der Damm, vor allem in den Jahren der Befüllung des Stausees, die Menge an Nilwasser flussaufwärts stark reduzieren wird und damit ihre Wasserversorgung massiv gefährdet ist. Ägypten drohte gar mit einer militärischen Intervention gegen den Staudamm. Zwar wurde die Lage zuletzt durch den Krieg in Tigray sowie den sudanesischen Bürgerkrieg überschattet, jedoch könnte der ägyptische Diktator Al-Sisi genötigt sehen, auch zur Stabilisierung seiner eigenen Position, seinen Drohungen Taten folgen zu lassen.

Während der Staudamm für Ägypten und den Sudan eine Bedrohung darstellt, sieht Äthiopien ihn als große Chance, seine wachsende Wirtschaft dauerhaft mit genügend Energie durch Wasserkraft zu versorgen und gleichzeitig durch den Bau weiterer anknüpfender Infrastruktur seine Bewässerung deutlich zu verbessern und somit seine eh schon bedeutende landwirtschaftliche Produktion massiv zu steigern.

Ein weiteres, vermutlich noch zentraleres, nationales Ziel Äthiopiens ist die Erlangung eines eigenen Hafens. So ist Äthiopien seit der Unabhängigkeit Eritreas 1993 vollständig vom Meer abgeschnitten und muss seine Exporte gegen eine hohe Gebühr über den Hafen von Dschibuti verschiffen. Jedoch reichen die dortigen Kapazitäten nicht aus für die immer weiter steigende Menge an Waren. Während scheinbar noch nach einer diplomatischen Lösung gesucht wird, verschärft sich jedoch inzwischen die Rhetorik gegenüber Eritrea, mit dem Äthiopien sich seit dessen Unabhängigkeit lange Zeit um territoriale Fragen bekriegte. So ließ Ministerpräsident Ahmed verlauten, dass er nicht wisse „was in Zukunft passiert“, sollte „Äthiopiens Wunsch nach einem Meereszugang nicht friedlich erfüllt“ werden. Eine unverhohlene Drohung. Dazu kommt auch noch, dass die Zeit im Moment günstig scheint für ein militärisches Abenteuer.

Dies zeigt der Wiederausbruch alter Konflikte im Kongo und Darfur, wo sich weder die ehemalige „Weltpolizei“ USA noch sonst eine imperialistische Ordnungsmacht allzu sehr für Frieden und Völkerrecht zu interessieren scheint, schließlich hat man alle Hände voll zu tun mit dem Genozid in Gaza und dem Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine.

Äthiopien und Chinas Plan zur Neuaufteilung der Welt

Während Äthiopien momentan noch, wie so viele Halbkolonien, versucht, zwischen den internationalen Machtblöcken zu taktieren, scheint es immer klarer zu werden, auf welche Seite es langfristig gezogen wird: Auf die Chinas. So ist China nicht nur der größte Handelspartner Äthiopiens, sondern hat auch den Bau des umstrittenen Staudamms finanziert und vermutlich auch Äthiopien den Beitritt zu den BRICS-Plus ermöglicht. Dass China so etwas nicht aus Nettigkeit tut, wissen wir. Es ist viel mehr als Teil seiner Strategie zu sehen, den Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu gewinnen.

So könnte Äthiopiens Kampf um einen Zugang zum Meer auch für die Seeroute von Chinas „Neuer Seidenstraße“ relevant werden. Zwar führt diese nach derzeitigen Plänen in Ostafrika über Nairobi und Dschibuti, jedoch ist gerade letzteres zwischen allen Mächten umstritten und ein alternativer Hafen, in den Händen eines treuen Verbündeten, könnte für China durchaus verlockend sein. Gerade auch wenn man bedenkt, dass sich China ja in Vergangenheit schon als Experte für Hafenbau inszeniert hat, wovon man in Sri Lanka ein Lied singen kann.

Auch die Regionalmachtsambitionen der äthiopischen Bourgeoisie könnten sich für China als nützlich erweisen, so könnte Äthiopien in der von China angestrebten Weltordnung als Stabilitätsgarant oder gar imperialistischer Gendarm in Ostafrika dienen.

Während all diese Szenarien Stand jetzt noch sehr spekulativ sind, ist dies eines sicher nicht: Wie auch das enorme Wirtschaftswachstum des letzten Jahrzehntes der einfachen Bevölkerung, den Arbeiter:innen, Bäuer:innen und Jugendlichen, nichts gebracht hat, werden es auch Machtbestrebungen der nationalen Bourgeoisie nicht. Im Gegenteil, die Leittragenden werden sie sein, so wie es in Tigray bereits geschehen ist.

Was braucht es wirklich?

Die einfachen Arbeiter:innen und Bäuer:innen in der Region brauchen keinen Hafen über dem die äthiopische Flagge weht und auch keinen Prestigetriumph über Ägypten. Strom und Wasser jedoch brauchen sie sehr wohl und dazu auch noch Nahrung, Kleidung und Schuh! Das Wirtschaftswachstum lässt zwar Brotkrumen für die einfache Bevölkerung abfallen, sodass die vormals unsäglich hohe Unterernährung zwar rückläufig ist, aber weiterhin bei über 20% liegen. Frauen und Kinder sind hierbei besonders betroffen. Für die äthiopische Bourgeoisie und den autoritären Ministerpräsident Abiy Ahmed bleibt das ein bestenfalls drittrangiges Problem, ganz gleich was sie auch versprechen. Bewaffnete Konflikte, seien sie gegen rivalisierende Volksgruppen oder Nachbarstaaten, werden da erst recht nicht helfen.

Was es stattdessen braucht, ist eine Bewegung der Arbeiter:innen, kleinen Bäuer:innen und Jugendlichen, die die Produktionsmittel und Anbauflächen unter ihre Kontrolle bringt und in Räten planwirtschaftlich verwaltet. Dafür ist es nötig, dass alle Völker Äthiopiens sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, wobei das Recht auf nationale Selbstbestimmung jedes dieser Völker gewährt werden muss.

Doch nicht nur innerhalb Äthiopiens braucht es den solidarischen und demokratischen Zusammenschluss der Arbeiter:innen und Bäuer:innen über ethnische Grenzen hinweg, diese Bewegung muss gemeinsam kämpfen mit ähnlichen Bewegungen in ganz Ostafrika und einstehen für eine Sozialistischer Föderation der Afrikanischen Völker! Nur so kann die Macht der Imperialisten, ob sie nun aus den USA, Europa oder China kommen, gebrochen werden, die Kontrolle der Rohstoffe denen zufallen, die sie fördern und eine für alle gerechte Verteilung auch Lebensmitteln sowie dem Wasser der Flüsse und der Nutzung der Häfen gewährleistet werden.




Offener Brief an die Klimabewegung in Deutschland

Erstunterzeichnende/First signatories

Organisationen/Organisations:

REVOLUTION Germany, palestine speaks, pa_allies, MigrAntifa Braunschweig, Jüdische stimme für gerechten Frieden im nahen Osten, Ende Gelände Düsseldorf, FightforFalastin, Gruppe ArbeiterInnenmacht

Einzelpersonen/Persons:

Betül Çınar, Hasan Özbay(@migrantischewut), Georg Ismael, Ela Sommer 

Hier könnt ihr auch unterzeichnen:

https://docs.google.com/document/d/1OLa9YQBTulQA-AdZz8QPC7QaxaLKqkbVmUgTxcQzU54/

-english below-

Offener Brief an die Klimabewegung in Deutschland

Liebe deutsche Klimabewegung,

hiermit distanzieren wir uns von Fridays for Future Deutschland. Unter dem Deckmantel einer Stellungnahme gegen Antisemitismus hat FFF-Deutschland in den vergangenen Wochen mehrmalsdie Sache eines gemeinsamen, globalen Kampfes gegen die Klimakrise und für Gerechtigkeit & Freiheit verraten. Sie brechen dadurch nicht nur das Vertrauen der anderen FFF-Sektionen, die sich seit dessen Beginn gegen einen genozidalen Krieg in Gaza gestellt haben. Sie lassen auch herzlos die Menschen Palästinas im Stich und damit nicht nur von Krieg und Besatzung, sondern auch von der Klimakrise „most affected people and areas“. Wir sind der Meinung, dass Klima-Aktivismus ohne Internationalismus nicht funktionieren kann! Imperialistische Länder wie Deutschland oder USA exportieren Klimaschäden in die Länder des Globalen Südens, die in künstlicher Abhängigkeit gehalten werden. Dies geschieht z.B. indem besonders umweltschädigende Abschnitte von Produktionsketten in diese Länder verlegt werden oder indem direkt Müll und giftige Abfälle dort abgeladen werden. Es sind auch diejenigen, die am härtesten durch Dürren und Überschwemmungen, das Artensterben oder den steigenden Meeresspiegel bedroht sind, während ihnen die Mittel, sich dagegen zu schützen, verwehrt bleiben. Die Antwort darauf kann nur in einer internationalen Bewegung bestehen. Wir dürfen nicht auf die Taschenspielertricks der deutschen Regierung reinfallen, wenn sie uns ihren Green New Deal verkaufen wollen. Und genauso wenig, wenn sie über das „Selbstverteidigungsrechts Israels“ reden, es in Wirklichkeit jedoch nur um geopolitische und wirtschaftliche Interessen geht. FFF International veröffentlichte schon im Oktober ein Statement, in welchem sie sich solidarisch mit dem palästinensischen Kampf, dem Widerstand, der Befreiung und der Selbstverteidigung erklären. Sie schreiben sehr deutlich, dass sie im Angesicht von Aggression, Genozid und Faschismus nicht neutral bleiben können. Sie benennen die Besatzung als Resultat eines kolonialen Prozesses, angestoßen durch die westlichen Imperialmächte, damit diese ihre geopolitischen Interessen umzusetzen. FFF international schreibt deutlich, dass sie nicht schweigen werden, während die westlichen Mächte den Genozid in Palästina beklatschen. Wir unterstützen dieses klare Statement der internationalen Strukturen und lehnen die Position des deutschen Verbands und die unfundierte und politisch nicht begründete Abgrenzung von den internationalen Strukturen ganz klar ab. Außerdem solidarisieren wir uns mit dem Aktivisten Hasan, der für die Internationalen Statements verantwortlich gemacht wurde und dann von diesen Medien angegriffen wurde. Diese Hetzkampagne unterstützt Fridays for Future Deutschland. Wir sehen, wie FFF Deutschland Hand in Hand mit dem Deutschen Staat für Israel kämpft.

Nachdem FFF Deutschland schon seit Jahren linke oder antikapitalistische Kräfte systematisch aus der Bewegung drängt, zeigen sie mit diesen Statements erneut, dass antikapitalistische und antiimperialistische Positionen in dieser Bewegung nicht zur Diskussion stehen. Die Nutzlosigkeit von fünf Jahren Appellen an die Politik und das Nachlassen der Mobilisierungen in Folge dessen führen offenbar nicht zu einem radikalen Bruch mit dem deutschen Klimaimperialismus, sondern zu fortgesetzter Anbiederung an Grüne &Co.

Wir rufen alle linken Kräfte in der Klimabewegung, die dieser Kritik zustimmen, auf, den offenen Brief

zu unterstützen und zu teilen. Tretet mit uns in Kontakt und lasst uns gemeinsam in Diskussion treten, wie die Klimabewegung mit antikolonialen Kämpfen weltweit verbunden werden kann und wie wir vom Kuschelkurs mit dem Grünen Kapitalismus hin zu einem vereinten Kampf für Klimagerechtigkeit und Befreiung international kommen.

Dafür wollen wir uns schon am 24.02.24 um 10 Uhr in Berlin treffen, um darüber gemeinsam zu diskutieren und uns zu vernetzen! Wenn ihr kommen wollt, gebt uns Bescheid. 

Wann: 24.02.24 // 10 Uhr 

Wo: Rungestr. 20, 10179 Berlin

Brief unterschreiben?! Hier.

Open letter to the climate movement in Germany

Dear German climate movement,

We hereby distance ourselves from Fridays for Future Germany. Under the guise of a statement against antisemitism FFF Germany has repeatedly betrayed the cause of a common, global fight against the climate crisis and for justice & freedom. In doing so, they are not only breaking the trust of the other FFF sections, which have fought against a genocidal war in Gaza since its inception. They also heartlessly abandon the Palestinian people and thus not only the people most affected by war and occupation, but also the people most affected by the climate crisis.

We are of the opinion that climate activism cannot work without internationalism!

Imperialist countries like Germany or the USA export climate damage to the countries of the Global South, which are kept in artificial dependency. This happens, for example, by transferring particularly environmentally damaging sections of production to these countries or by dumping waste and toxic waste there directly. It is also these countries which are hit hardest by droughts and floods, the extinction of species or rising sea sea levels, while at the same time they are denied the means to protect themselves against these catastrophes. The answer to this can only be an international movement. We must not fall for the not fall for the sleight of hand of the German government when they try to sell us their Green New Deal. And just as little when they talk about Israel’s „right to self-defense“, while in reality it’s all about geopolitical and economic interests. FFF International published a statement back in October in which it expressed its solidarity with the Palestinian struggle, resistance, liberation and self-defense. They write very clearly that they cannot remain neutral in the face of aggression, genocide and fascism. They name the occupation as the result of a colonial process, initiated by the Western imperial powers to realize their geopolitical interests. FFF international writes clearly that they will not remain silent while the Western powers applaud the genocide in Palestine.

We support this clear statement by the international structures and reject the position and the politically unfounded distancing from the international structures by FFF Germany. We also show our solidarity with the activist Hasan, who was made responsible for the international statements by the German media and was then attacked by this same media. A smear campaign is supported by Fridays for Future Germany. We see how FFF Germany fights hand in hand with the German state for Israel.

FFF Germany has been systematically pushing left-wing or anti-capitalist forces out of the movement for years. They show once again with these statements that anti-capitalist and anti-imperialist positions are not up for discussion in this movement. The uselessness of five years of appeals to politicians and the decline in mobilizations as a result of this are obviously not leading to a radical break with German climate imperialism, but to continued pandering to the Greens etc.

We call on all left forces in the climate movement who agree with this criticism to support and share the open letter. Get in touch with us and let’s get together to discuss how the climate movement can be linked to anti-colonial struggles worldwide and how we can move from cuddling up to green capitalism to a united struggle for climate justice and liberation internationally.

For this we want to meet on February 24th at 10am in Berlin to discuss this together and to network! If you want to come, let us know. 

When: 24.02.24 // 10:00

Where: Rungestr. 20, 10179 Berlin

Wanna sign the letter? Here.




Der Genozid als Brennpunkt globaler Machtkämpfe

Von Lia Malinovski, Dezember 2023/Januar 2024, REVOLUTION Zeitung

Die globale Konkurrenz unter den großen Mächten verschärft sich zusehend. Sichtbar ist es in zunehmenden Rivalitäten zwischen zwei Polen der Weltordnung: USA und China, um die herum sich Blöcke bilden. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, verstärkt sich aber zunehmend mit den zunehmenden globalen Konfliktherden. Schon vor dem Krieg in der Ukraine und vor dem Genozid in Gaza gab es Tendenzen der Deglobalisierung. Internationale Wertschöpfungsketten wurden und werden zunehmend aufgespalten in die einzelnen Einflussbereiche der Imperialistischen Zentren. Wirtschaftlich und politisch hat sich im Zuge des Ukraine-Krieges relativ klar ein „westlicher“ Block bestehend aus EU, USA und Japan gebildet, sowie eine zunehmende Blockbildung rund um China und Russland. Dieser Prozess wird teilweise verstärkt durch die Ereignisse im Nahen Osten.

Hauptantagonismus USA – China

Rund um den 7. Oktober und die darauffolgende Bombardierung und Bodenoffensive in Gaza unterscheiden sich die Positionen von USA und China massiv. So unterstützen die USA Israel nahezu bedingungslos, während China eher eine vermittelnde Rolle einnehmen will und kritisiert dabei mitunter Israel scharf. In einem Positionspapier von Ende November fordern sie eine Waffenruhe, Schutz von Zivilist:innen und eine Stärkung der UN. Politisch dürfte dabei das Ziel Chinas sein, vor dessen internationalen Partner:innen die Doppelmoral der USA aufzuzeigen, die sich beim Krieg in der Ukraine voll und ganz auf die Seite der Ukraine, in dem Fall der Unterdrückten, in Palästina aber auf die Seite Israels, also der Unterdrücker, stellen. China gibt sich dabei gerne als der große Fürsprecher der sogenannten dritten Welt, wo der Parteinahme für Palästina relativ weit verbreitet ist, und dadurch diese ideologisch an sich zu binden. Damit verbunden ist vermutlich die Hoffnung, sich sowohl weltweit als auch in der Region politisch, wie wirtschaftlich stärker zu verankern und den Einfluss der USA zurückzudrängen.

Die USA verfolgen hingegen eher das Ziel, ihre Stellung im Nahen Osten nicht zu verlieren. Insbesondere ist für den US-Imperialismus Israels Bedeutung als dessen Außenposten dabei entscheidend, da die USA so größeren Einfluss auf die Politik im Nahen Osten nehmen kann. Gleichzeitig hat die USA aber auch kein Interesse daran, dass sich der „Konflikt“ stärker ausbreitet und zu einem regionalen Krieg entfachen könnte, sondern hoffen auf eine schnelle Lösung der aktuellen Situation. In den letzten Jahrzehnten lief nämlich ein Prozess, in dem recht geräuschlos einige benachbarten arabischen Staaten ihre Verhältnisse zu Israel und den USA normalisiert haben. Ein Krieg würde diesen Prozess zurückwerfen und damit auch die Stellung des US-Imperialismus. Dazu kommen auch militärische Überlegungen: Für den Krieg in der Ukraine wurde teilweise aus Israels Waffenlagern Artillerie für die Ukraine versprochen, die durch die Eskalation nun nicht mehr dorthin kann, sondern von Israel gebraucht wird. Sollte der Konflikt also lange weitergehen oder sogar zu einem regionalen Krieg ausarten, würde das für die Ukraine bedeuten, deutlich weniger Unterstützung seitens der USA zu bekommen. Damit würde aber das Ziel, Russland politisch und wirtschaftlich so zu schwächen, dass es für längere Zeit aus dem internationalen Geschäft und der bevorstehenden Neuaufteilung der Welt rausgehalten werden würde, zunichte gemacht oder zumindest deutlich schwerer zu erreichen.

Auch sorgt die Eskalation dafür, dass die USA ihrem außenpolitischen Fokus auf den „großen Feind“ China weniger Aufmerksamkeit schenken kann. In einer potenziellen Eskalation des Konfliktes zwischen USA und China, insbesondere rund um Taiwan, könnte die Reaktion verlangsamt sein, weil die anderen Brandherde gerade schon so viel Raum einnehmen. Dass das nicht im Interesse der USA ist, erklärt die Versuche, humanitäre Feuerpausen zu erreichen und Israel zur Zurückhaltung zu ermahnen.

Krise der EU

In der EU ist, anders als beim Ukraine-Krieg, die Positionsfindung ziemlich schwierig. Innerhalb der EU gibt es Staaten, die eine Unterstützung Israels klar ablehnen und stattdessen für einen sofortigen Waffenstillstand sind, andere Staaten, insbesondere Deutschland und Österreich, sprechen sich gegen einen Waffenstillstand und halbherzig für „humanitäre Pausen“ aus. Speziell Irland und Spanien stellen sich offen auf die Seite der palästinensischen Zivilbevölkerung und polemisieren gegen die israelische Offensive. Frankreich nimmt eine schwankende Rolle ein, wirbt zwar für einen Waffenstillstand, aber auch für eine Unterstützung Israels. Die seit Jahren vorherrschende Krise der EU wird aktuell vertieft durch die Debatte um Palästina.

Wir sehen, dass sich der Hauptantagonismus zwischen den USA und China/Russland auch in der Frage zu Palästina weiter verschärft, während sich innerhalb der EU und des „westlichen Blocks“ zunehmend Risse auftun. Ob diese Risse dazu führen werden, dass sich einzelne Staaten vom US-Imperialismus abwenden oder nicht, kann nicht abschließend beantwortet werden. Es darf jedoch bezweifelt werden, da Gaza zwar eine hohe moralische und politische Bedeutung hat, aber im Gegensatz zu den Konflikten um die Ukraine oder um Taiwan keine besonders hohe wirtschaftliche. Dennoch sollten Revolutionär:innen auch das im Auge behalten, um so Brüche innerhalb der imperialistischen Cliquen zu verschärfen und den Klassenkampf voranzutreiben.

Deutschland und seine „Staatsräson“

Im Gegensatz zur EU steht die deutsche Bourgeoisie geschlossen hinter Israel. Die „Staatsräson“ ist uns allen bekannt. „Israels Sicherheit ist nicht verhandelbar“ – so oder so ähnlich äußern sich alle relevanten deutschen Politiker:innen zu der Offensive der Hamas am 7. Oktober, sowie zu den Massakern, die Israel nun begeht. Anders als noch beim Ukraine-Krieg gibt es keine Stimmen, die das infragestellen. Von AfD bis LINKE sind sich alle einig. Und das nicht ohne Grund: Zum einen, wie wir auch schon an anderer Stelle erklären, kann sich Deutschland mit der Unterstützung des Zionismus als Staat präsentieren, der aus seiner Vergangenheit, dem Holocaust, gelernt hat. Zum anderen hat Deutschland gute wirtschaftliche Beziehungen zu Israel und profitiert, ähnlich wie die USA, von dessen geopolitischer Rolle. Nicht umsonst wurden die Waffenexporte an Israel seit Oktober 2023 verdreifacht – von etwa 100 Millionen Euro auf etwas über 300 Millionen. In Deutschland gibt es auch kaum Teile der Bourgeoisie, die ein Interesse darin hätten, dass Israel geschwächt wird, anders als im Krieg in der Ukraine, wo Teile der deutschen Bourgeoisie ein Interesse daran hatten, zumindest die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland nicht völlig zu zerstören.

Das erklärt auch die massiven Angriffe auf die demokratischen Rechte, insbesondere von migrantischen Personen und Organisationen. Man will das Bild wahren, voll und ganz, geschlossen hinter Israel zu stehen. Aber das tut die deutsche Gesellschaft nicht. Insbesondere in migrantischen Communities findet sich große Unterstützung für das palästinensische Volk und dessen Befreiung. Und der deutsche Staat reagiert entsprechend darauf mit massiven Repressionen: Verbote von Organisationen wie Samidoun, Hausdurchsuchungen bei mehreren Organisationen, die sich auf die Seite Palästinas stellen, monatelange Verbote von Demonstrationen, teilweise sogar das Verbot von Gebeten und der Ausübung der Religionsfreiheit für muslimische Menschen.

Kampf dem Rechtsruck, Kampf dem Imperialismus!

Für uns als Revolutionär:innen und Internationalist:innen bedeutet all das, dass wir, wenn wir es ernst meinen mit unserer Solidarität mit dem palästinensischen Volk, uns entschlossen gegen den deutschen Imperialismus stellen müssen. Wir können und müssen uns ein Beispiel an den Arbeiter:innen Englands, Belgiens und Italiens nehmen, die Waffenlieferungen bestreikt haben. Wir müssen offensiv die Doppelmoral Deutschlands in der Unterstützung Israels aufzeigen, dass es nicht um den notwendigen Schutz von jüdischem Leben geht, sondern um die Unterstützung eines rassistischen Projektes. Aber genauso müssen wir diesen Kampf mit einem Kampf um unsere demokratischen Rechte verbinden. Gegen die rassistischen Organisations- und Demonstrationsverbote, gegen den massiven Rechtsruck und für Selbstschutzmilizen für alle Unterdrückten, um sich gegen ihre Unterdrücker zur Wehr zu setzen. Das gilt es in die Gewerkschaften, in die sozialen Bewegungen und in die reformistischen Parteien zu tragen und darum zu kämpfen.




Mit der Kettensäge gegen den Sozialstaat? Stoppt Mileis ultraliberalen Großangriff!

von Jona Everdeen, Januar 2024

Mit der Kettensäge wolle er den Sozialstaat bearbeiten: Das hat der ultra-liberale Javier Milei in seinem rechtspopulistischen Wahlkampf um die argentinische Präsidentschaft angekündigt. Gewonnen hat er vor allem aufgrund der Perspektivlosigkeit der vorherigen peronistischen Regierung, deren Sparmaßnahmen nicht im Stande waren, die heftige Wirtschaftskrise in Argentinien, die Inflation von bis zu 160% und damit einhergehende Massenverarmung zu stoppen.

Nun als Präsident tut Milei das, was einige, vor allem die peronistische Opposition, zuvor als unwahrscheinlich abgetan hatten: Er lässt seinen Worten Taten folgen.

Mit einer „Schocktherapie“ will er die argentinische Wirtschaft vollständig privatisieren, Arbeiter:innenrechte gänzlich abschaffen. Da er für solch umfangreiche Maßnahmen keine nötige Mehrheit im Parlament hat, hat er nun den Notstand ausgerufen. Spätestens jetzt sollte sein Plan klar sein: Die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zur Durchsetzung der „libertären“ Träume der Bourgeoisie.

Mileis Agenda und Sofortprogramm

Der Ökonom und Politikneuling Javier Milei ist ein durchaus ungewöhnlicher Politiker, gerade für einen Rechtspopulisten. Zwar steht auch er für gesellschaftspolitische Rückschrittlichkeit und griff im Wahlkampf seine Gegner:innen aus der alten Regierungspartei mittels Anti-Establishment Rhetorik an, jedoch spricht er anders als Trump, Bolsonaro oder die AfD ganz unverblümt aus, wer für ihn der Hauptfeind ist: die Arbeiter:innen. Während Weidel, Le Pen und Co. den radikalen Neoliberalismus eher durch die Hintertür einführen oder einführen wollen, warb er ganz offen für eine ultra-liberale „Schocktherapie“ als einzige Lösung für die Krise.

So will er innerhalb kurzer Zeit mit 350 Gesetzesänderungen die Arbeits- und Mietrechte quasi aushebeln und Preisregulierungen abschaffen. Auch Änderungen im Wahlrecht sollen vorgenommen, Steuerlasten zugunsten der Reichen umverteilt und die Privatisierung staatlicher Unternehmen massiv vereinfacht werden. Außerdem, und hier zeigt sich der autoritäre Charakter Mileis am deutlichsten, soll das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt werden, alle Versammlungen ab 3 Menschen sollen laut seinen Vorstellungen künftig genehmigungspflichtig sein und ohne weiteres verboten werden können. Außenpolitisch hat er ein populistisches Wahlversprechen abgegeben, den argentinischen Peso durch den US-Dollar als direkte Landeswährung zu ersetzen, um sich damit fest an die USA zu binden, was aber weder IWF, USA noch Unternehmerverbände wollen und deswegen wahrscheinlich nicht kommt.

Der neue Pinochet? Warum Argentinien uns alle angeht!

Mileis Programm eines radikalen Angriffs auf das argentinische Proletariat, im Zweifel auch mit diktatorischen Mitteln, ist im Grunde gar nicht so neu, wie sie scheint. So gab es ähnliches bereits in Argentiniens Nachbarland Chile. Damals durch einen Putsch gegen die linksreformistische Regierung Salvador Allendes, gelangte der General Augusto Pinochet an die Macht und verwandelte das Land von einer Musterbeispiel für linke Sozialdemokrat:innen und Stalinist:innen, die in Allende den Beweis sahen dass Sozialismus mit Reformen erreicht werden könne, zu einer extrem brutalen Rechtsdiktatur, in der tausende ermordet und zehntausende gefoltert wurden. Auch Pinochet wollte die schwache chilenische Bourgeoisie, deren politische Macht er wieder vollends hergestellt hatte, ökonomisch mit einer „Schocktherapie“ zu neuen Profiten führen. Dafür lud er die „Chicago Boys“ ein, ultra-liberale Ökonomen aus den USA, um die Wirtschaft des Landes nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Chile wurde zum Labor des Neoliberalismus. Für die chilenische Bourgeoisie gelang dieses Experiment, denn unter massiver Ausbeutung der Arbeiter:innen und brutalster Unterdrückung jeder proletarischen Opposition wurde sie zu einer der ökonomisch erfolgreichsten Lateinamerikas. Mit den Regierungen von Reagan und Thatcher in den USA und Britannien, beide enge Verbündete des Diktators Pinochet, und dem Verrat des Sozialdemokraten Mitterand in Frankreich, breitete sich der Neoliberalismus in der gesamten westlichen Welt aus und wurde später auch zum Leitfaden der kapitalistischen Restauration in den degenerierten Arbeiter:innenstaaten. Heute dominiert der in Chile geborene Neoliberalismus noch immer die Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Welt.

Sollte es Milei nun gelingen, Argentinien zu dem Labor für einen neuen, noch radikaleren, Ultra-Liberalismus zu machen und dabei die argentinische Arbeiter:innenklasse mit diktatorischen Mitteln zum Gehorsam zu zwingen, könnte das durchaus eine Dynamik entfachen und den weltweiten Rechtsruck beschleunigen, indem Argentinien zur Blaupause eines autoritären Ultraliberalismus wird. Dass dies kein abwegiges Szenario ist, zeigen die Reaktionen von westlichen Rechten, von liberal bis rechtsradikal, die Mileis Politik des radikalen Sozialkahlschlags mit der Kettensäge feiern und unterstützen und dabei auch seine autokratischen Vorhaben mindestens akzeptieren, wenn nicht sogar offen gutheißen. Doch ein entscheidender Unterschied ist, dass Pinochet mit staatlicher Gewalt jegliche Opposition zerschlagen konnte, während Milei nicht einfach so durchgreifen kann: Dass er mit Notstandsverordnungen seine Maßnahmen durchzusetzen versucht, zeigt, dass die entscheidenden Kämpfe vor uns nicht hinter uns liegen. In Argentinien steht Milei einer noch nicht geschlagenen Gewerkschaftsbewegung und Linken wie auch bürgerlichen Opposition gegenüber, er kontrolliert wichtige Teile des Staatsapparates nicht, das Parlament ist nicht ausgeschaltet, sondern kann theoretisch auch viele seiner Maßnahmen kassieren. Ein Sieg des argentinischen Proletariats gegen Milei könnte zum Fanal des proletarischen Widerstands gegen den Rechtsruck werden und eine neue Zeit der Klassenkämpfe nicht nur in Lateinamerika, sondern womöglich gar in der ganzen Welt einläuten.

Doch wie könnte ein solcher Sieg errungen werden?

Wie kann das Proletariat Milei besiegen?

Zwar erlitt Milei jüngst einen Dämpfer in der Umsetzung seiner Pläne, denn ein Arbeitsgericht befand, dass die Durchsetzung seiner radikalen Arbeitsmarktreformen per Notstandsverordnung nicht zulässig ist. Jedoch dürfen sich die Arbeiter:innen darauf nicht verlassen. So kündigte Mileis Partei bereits an, das Urteil auf höherer Instanz anzufechten und es ist Milei auch durchaus zuzutrauen, dass er die Gewaltenteilung einfach gänzlich ignoriert und neben der Legislative auch die Justiz auszuhebeln versucht. Gleichzeitig gibt es, seit Milei seine radikalen Angriffe verkündet hat, im ganzen Land und vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires große Proteste durch die argentinische Arbeiter:innenbewegung. Am 24. Januar hat der argentinische Gewerkschaftsbund CGT gar zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen.

Wie jedoch bereits Erfahrungen in anderen lateinamerikanischen Ländern sowie auch in Griechenland oder Frankreich gezeigt haben, reichen solche eintägigen Generalstreiks in der Regel nicht aus, um Angriffe der Bourgeoisie und ihrer Handlanger:innen zurückzuschlagen. Was es stattdessen braucht, ist ein unbefristeter Generalstreik, der offen die Frage der Macht im Staat aufwirft und diese vom Parlament auf die Straße verlagert.

Um dann bestehen zu können, und um überhaupt erst in diese Situation zu kommen, braucht das Proletariat jedoch eine Führung, die dazu bereit ist, die Frage nach der Macht zu stellen und entschlossen sie dann auch revolutionär zu beantworten! Die vorhandenen linken Kräfte in Argentinien müssen die Gewerkschaften, die Arbeitslosenorganisationen und bürgerlichen Arbeiter:innenparteien zu einer Arbeiter:inneneinheitsfront herausfordern, und mit genügend Druck in diese zwingen, um die Arbeiter:innen in der Konsequenz vom Peronismus zu brechen und für die Revolution zu gewinnen. Das Ziel muss dabei sein, von der Abwehr der Angriffe durch Mileis Regierung zu einer wirklichen Lösung der Krise übergehen. Die Verursacher:innen der Krise müssen auch für diese aufkommen, also die argentinische Bourgeoisie und internationalen Konzerne. Diese müssen unter Kontrolle der Arbeiter:innen enteignet werden! Die Schulden müssen gestrichen und Forderungen der IWF ignoriert werden! Milei und andere Büttel des Imperialismus, ob nun des US-Amerikanischen oder Chinesischen, müssen verjagt und die Macht im Staat an Arbeiter:innen- und Bäuer:innen-Räte übergeben werden! 




Warum unterstützen wir nationale Befreiungskämpfe?

Von Felix Ruga, Dezember 2023

Als Kommunist:innen kämpfen wir tagtäglich für eine Welt ohne Nationen, ohne Klassen, ohne Staatlichkeit, mit offenen Grenzen für alle, für eine Welt unbeschränkter Freiheit. Hierfür widersetzen wir uns auch den rechtsnationalen Kräften von AfD und Konsorten und setzen dem ein solidarisches Weltbild entgegen, in der die Grenzen nicht zwischen „Deutsche“ und „Ausländer“ verläuft, sondern zwischen unserer Klasse und der herrschenden Klasse. Erst recht wird keine:r von meinen Genoss:innen eine Deutschlandfahne in der Twitter-Bio haben oder die eigene Identität rund um das „Deutschsein“ aufbauen. Nichts könnte uns ferner liegen als solche nationalistischen Ideen.

Auf der anderen Seite stehen wir entschlossen auf der Seite bestimmter nationalistischer Bewegungen. Wir erheben unsere rote Fahne im Meer von kurdischen oder palästinensischen Fahnen. Letztendlich Nationalfahnen, aber von Völkern ohne Land. So verteidigen wir auch das Recht der vielen Völker, die ihrer nationalen Selbstbestimmung beraubt werden, wie jüngst den Armenier:innen, den Ukrainer:innen oder den kolonialisierten Völkern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Wir wollen uns in diesem Artikel die Frage stellen, wie wir nationale Befreiung mit der Menschheitsbefreiung verbinden.

Was ist überhaupt Nationalismus?

Der Nationalismus behauptet, die Nation stelle eine Schicksalsgemeinschaft dar, die schon immer existiert habe und für immer existieren werde. Doch das ist reinste Ideologie. Vor der Entstehung des modernen Kapitalismus haben sich die Leute viel eher regional oder religiös identifiziert. Vorkapitalistische Staaten hatten oftmals keine festen Grenzen und forderten vom Volk keine Identifizierung mit der Staatsgewalt. Der Nationalismus ist Produkt der bürgerlichen Epoche, musste sich über Jahrhunderte gegen viele Widerstände durchsetzen und erfüllt einige zentrale Funktionen für die kapitalistische Ausbeutung: Zum einen das Zusammenfügen großer Länder zu einer vereinheitlichten wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Grundlage, auf der sich der bürgerliche Staat gründen konnte. Dieser führte und führt unter dem Banner der Nation stets koloniale Feldzüge, imperialistische Kriege und regionale Überfälle auf andere Nationen. Zum anderen als Ideologie einer nationalen „Gemeinschaft“ – selbstverständlich unter der Dominanz der herrschenden Klasse- , die den damals aufkommenden Klassenwiderspruch verdecken sollte. Dem Proletariat soll weiß gemacht werden, dass sie dieselben „nationalen Interessen“ wie die Bourgeoisie hätten und so an ihre kapitalistischen Ausbeuter:innen gebunden werden. Aber dass der Nationalismus letztendlich etwas Konstruiertes ist, sollte uns nicht trügen: Das gemeinsame nationalistische Selbstbewusstsein ist eine reale politische Macht und eine der mächtigsten bürgerlichen Ideologien überhaupt.

Auf Demos ereignet sich oft der Klassiker, dass schwarz-vermummte Menschen den Slogan „Hoch die internationale Solidarität“ mit „antinationaler Solidarität“ versuchen zu überschreien. Der sogenannte Antinationalismus klingt durch seine Negation der Nation zwar radikal aber übersieht, dass die enge Verbundenheit nationalistischer Ideologien mit dem Kapitalismus eine leider anzuerkennende Realität darstellt und gibt daher auch keinen Weg vor, sie zu überkommen. Wir müssen stattdessen im revolutionären Kampf das Nationendenken und die Existenz von Nationalstaaten als materielle Realität anerkennen, um sie überwinden zu können aber ohne uns dem auch nur ein Stück weit anzupassen. Das wird insgesamt unter dem Begriff „Internationalismus“ zusammengefasst, der für revolutionäre Marxist:innen zentral ist. Erkennbar ist das beispielsweise an der berühmten antimilitaristischen Parole Karl Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, bei dem man zwar in nationalen Kategorien denkt und handelt, aber im Sinne der internationalen Solidarität, sodass jede Arbeiter:innenklasse nur ein Teil der internationalen Arbeiter:innenklasse darstellt.

Doch warum die Palästina- und Kurdistanfahnen, wenn wir so entschiedene Gegner:innen des Nationalismus sind?

Kampf um nationale Befreiung

Die kapitalistische Produktionsweise hat sich im Zuge ihrer Ausdehnung auf den gesamten Erdball zu einem globalen System des Imperialismus entwickelt. Dieses kennt nur einige wenige imperialistische Staaten auf der einen und von ihnen abhängige Staaten auf der anderen Seite. Egal in welchem Land: Der Nationalismus verschleiert stets den Klassenwiderspruch, legitimiert bürgerliche Herrschaft und muss bekämpft werden. Eine sozialistische Revolution wird und kann nur erfolgreich sein, wenn sie das Banner des Nationalismus in Stücke reißt und ihre rote Fahne weht. Die entscheidende Frage ist hier jedoch das Wie?

Darüber gab es lange Streit in der Kommunistischen Internationalen und dieser Streit setzt sich auch heute noch zwischen revolutionären Kommunist:innen, Anarchist:innen, Antinationalen und Stalinist:innen fort. Lange ging man in der Kommunisten Internationalen davon aus, dass man erst die Revolution in den imperialistischen Ländern brauche und dann könnte man ihre Kolonien gleich mitbefreien. Dagegen machte Trotzki stark, dass die Befreiung in den imperialistischen Ländern und den Kolonien ein wechselseitiger Prozess ist, bei dem das eine das andere bedürfe. Nach der russischen Revolution stellte sich die Internationale die Frage, wie man mit den ehemaligen Kolonien des Zarenreichs nun umgehen solle. Dabei wollte man vermeiden, dass den unterdrückten Massen die neue Sowjetmacht nun als neue Fremdherrschaft, die die zaristische Unterdrückung ersetze, vorkomme. Also entschied man sich dafür, den ehemaligen Kolonien das Recht auf nationale Unabhängigkeit zu gewähren und hoffte darauf, dass sie sich freiwillig der Sowjetunion anschließen würden, was auch viele taten. Somit wurde der Kampf für nationale Selbstbestimmung für die Kommunistische Internationale zu einer Taktik im Kampf für die Weltrevolution, die jedoch stets den Zweck hatte, die Unterdrückten von ihrem falschen nationalistischen Bewusstsein wegzubrechen und für den internationalistischen Kampf zu gewinnen.

Die Unterdrückung in den Kolonien, ob vom Zarenreich oder anderen imperialistischen Nationen, förderte einen Nationalismus, der meist den schlichten Wunsch nach Unabhängigkeit und dem Ende von Fremdbestimmung verkörperte. Die Forderung nach kultureller Freiheit und politischer Unabhängigkeit, also das Recht, die eigene Sprache, Religion, politische Ideen oder sonstige Eigenheiten frei ausleben zu dürfen, ist zu unterstützen, solange dadurch niemand anderes Freiheit eingeschränkt wird. Aber auch das gleiche politische und juristische Recht, egal wo man lebt, der Schutz vor staatlicher Willkür und sowieso auch das Recht, zurückzukehren an den Ort, von dem man vertrieben wurde. Das sind alles legitime und unterstützenswerte nationale Forderungen. Auch wenn es heute keine Kolonien mehr in der Form gibt wie zu Zeiten der kommunistischen Internationale bestehen trotzdem auch heute noch (halb-)koloniale Abhängigkeiten, die bei den Unterdrückten die Forderung nach nationaler Selbstbestimmung aufkommen lassen.

Hierbei gilt es sich in Anbetracht eines Unrechts stets auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Dies ist sogar besonders gefragt, wenn es sich um westliche Linke handelt, denn „unsere“ Nationalstaaten sind meist direkt verantwortlich für die Misere kolonialisierter Völker oder machen gemeinsame Sache mit den Unterdrückerstaaten wie der Türkei oder Israel. Unsere Solidarität ist wichtig, denn wir fallen damit auch „unseren“ Imperialist:innen und ihren außenpolitischen Ambitionen in den Rücken. Hinzu kommt auch, dass eine heftige nationale Unterdrückung dazu führt, dass sowohl in der „unterdrückenden“ als auch in der doppelt unterdrückten Arbeiter:innenklasse jegliche politische Auseinandersetzung ethnisch gelesen wird. Dadurch rückt die Klassenzugehörigkeit in den Hintergrund und die nationale Zugehörigkeit überdeckt diese. Das stellt für den Klassenkampf natürlich ein Problem dar und dementsprechend verbessert der Kampf um nationale Befreiung die Möglichkeiten, Klassenkonflikte offenzulegen.

Gleichzeitig fordern die antikolonialen und nationalen Befreiungskämpfe das imperialistische System heraus. Viele kämpfende unterdrückte Nationalitäten sind den führenden imperialistischen Staaten ein Dorn im Auge, da ihr Widerstand Profite und Investments gefährdet und die imperialistische Vorherrschaft in der Region ernsthaft in Frage stellt. Antiimperialismus bedeutet also den ökonomischen und militärischen Machenschaften wie etwa deutscher, französischer, britischer, russischer, US-amerikanischer und chinesischer Kapitalist:innen hier wie dort den Mittelfinger zu zeigen. Die Welt ist verbunden. Kein Befreiungskampf kann als isoliert vom anderen begriffen werden. Deren Kampf ist unser Kampf.

Wir unterstützen deshalb bindungslos das Recht aller Völker auf nationale Selbstbestimmung, insofern dies den demokratisch bestimmten Wunsch der Mehrheit darstellt und die Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen im neu zu gründenden Staat gewährleistet werden kann. Wir erkennen damit die Notwendigkeit, dass der Widerstand gegen jeglichen äußeren Einfluss, Gewalt und Unterdrückung geleistet werden muss, auch wenn er das Banner des Nationalismus trägt. Das heißt jedoch nicht, dass wir jede nationale Befreiungsbewegung bedingungslos unterstützen. Nicht jeder Autonomiebestrebung geht voraus, dass eine nationale Minderheit reell unterdrückt wird, beispielsweise in der bayrischen oder schottischen Autonomiebewegung. Folgende Fragen müssen bei der Betrachtung einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung beantwortet werden: Wie setzt sich die Bewegung zusammen? Welche Kräfte spielen die tragende Rolle? Aus welchen sozialen Klassen setzen sie sich zusammen? Was sind ihre Ziele? Wie ist die soziale Ausgangssituation? Also gibt es eine ökonomische Krise, rassistische Repression oder faschistische Angriffe und welche Autonomierechte existieren bereits?

Als Revolutionär_innen schicken wir jedoch keine Fragebögen an jegliche Befreiungsbewegungen und machen unsere Unterstützung von einer schriftlichen Antwort per Post abhängig. Wer ernsthafte revolutionäre Politik betreibt, bewertet Bewegungen anhand ihrer politischen Praxis und nichts weiter!

Jede Unterstützung nationaler Befreiungsbewegung fordert jedoch stets die Unabhängigkeit der proletarischen Bewegung, politisch wie organisatorisch. So kann es in (halb-)kolonialen Ländern notwendig sein, dass revolutionäre Marxist:innen Bündnisse mit nationalistischen Kräften eingehen. Revolutionär:innen dürfen sich denen jedoch nie unterordnen, so wie es stalinistische, maoistische oder klassische „Antiimp-Kräfte“ im Zuge ihrer Etappentheorie tun. Die Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen ist für uns lediglich eine Taktik, ein Mittel zum Zweck, um die Unterdrückten vom Nationalismus wegzubrechen und sie für den proletarischen Internationalismus zu gewinnen. Wir unterstützen die Bewegungen, da wir nicht als die marxistischen Besserwisser:innen am Zaun stehen wollen, sondern davon ausgehen, dass wir die Bewegung am besten vom Nationalismus wegbrechen können, indem wir im gemeinsamen Kampf um legitime Forderungen aufzeigen, dass sich diese nur durch ein Programm der permanenten Revolution umsetzen lassen.

Permanente Revolution!

Die Theorie der permanenten Revolution sagt grundlegend erstmal aus, dass in der imperialistischen Epoche die Möglichkeit besteht, in (halb-)kolonialen Ländern die sozialistische Revolution durchzuführen, indem man diese unmittelbar auch mit den Aufgaben und Forderungen einer bürgerlichen Revolution verknüpft. Dies funktioniert jedoch nur so lange, wie sich die Revolution danach auf andere Länder ausweitet, gewissermaßen als Startschuss der Weltrevolution. Mehr noch: Anders sind die bürgerlichen Forderungen nach Demokratie, gleichen Rechten, Befreiung von feudalistischen Rückständen, Frieden, Wohlstand und auch nationaler Befreiung nicht zu erreichen, weil die halbkolonialen Kapitalist:innenklassen im internationalisierten Kapitalismus zu klein und zu abhängig sind, als dass man von ihnen irgendwas Revolutionäres erwarten könnte. Also muss es das Proletariat im Bündnis mit den verarmten Bäuer:innen erkämpfen.

Am Beispiel Palästinas und Kurdistan kann man dies klar erkennen: Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass die eigentlich genügsamen Forderungen nach nationaler Selbstbestimmung, kultureller Freiheit, Gleichberechtigung und Schutz vor staatlicher Willkür noch innerhalb kapitalistischer Verhältnisse gelöst werden können. Ein eigener palästinensischer oder kurdischer bürgerlicher Nationalstaat scheint unerreichbar, vor allem als isolierter Kampf.

Aber dennoch gibt es eine Möglichkeit, diese Forderungen zu erreichen: Das Aufgehen in einer sozialistischen Föderation. Dementsprechend tragen gerade die nationalistischen Bewegungen unterdrückter Nationen die Perspektive in sich, selbst internationalistisch zu werden, sich mit anderen progressiven Bewegungen zusammenzuschließen, die Revolution zu entfachen. Wenn in einem zweiten arabischen Frühling all die Handlanger des Imperialismus hinweggefegt werden und sich eine sozialistische und internationalistische Bewegung erhebt, wird es keine Sekunde in Frage stehen, ob man den Palästinenser:innen, den Bergkarabach-Armenier:innen, den Belutschen oder den Kurd:innen ihre Freiheit zugesteht. Ein binationales Palästina und ein vereinigtes Kurdistan als Sowjetrepubliken in der Föderation der sozialistischen Staat des Nahen Ostens ist hier die Perspektive, die Revolutionär:innen aufmachen müssen. In einer solchen Föderation gibt es keine Notwendigkeit mehr, nationale Unterdrückung zu betreiben, andere Länder auszubeuten oder Feindschaften zwischen den Völkern zu sähen. Dies kann der Funken für die Weltrevolution sein und dies müssen wir als strategische Möglichkeit erkennen. Deswegen ist unsere Solidarität mit deren Kämpfen zentral.

Solidarität muss praktisch werden!

Das heißt, dass wir bedingungslos den Kampf der national Unterdrückten um Befreiung unterstützen. Wir dürfen dabei ein fortschrittliches Bewusstsein nicht voraussetzen, sondern es ist gerade unsere Aufgabe, dieses in den legitimen Kampf hineinzutragen. Wir müssen also auch anerkennen, dass diese nationalen Befreiungsbewegungen bis zu einem gewissen Punkt ihren eigenen Weg gehen und erstmal bürgerliche Lösungen für ihre Probleme verfolgen. Auch dies sollten wir zunächst unterstützen. Aber unsere Solidarität bedeutet auch, dass wir falsche Taktiken und Ideologien sowie den Nationalismus selbst kritisieren müssen, um den Kampf auch zum Sieg führen zu können. Beispielsweise glauben wir nicht, dass sich die nationale Befreiung erreichen lässt, indem man bloß für einen eigenen bürgerlichen Nationalstaat kämpft oder sich nun von der einen statt der anderen Großmacht unterjochen lässt. In manchen Fällen könnte das sogar zu einem Rückschritt führen, weil das zu einer neuen Zersplitterung der Arbeiter:innenklasse führt und eine Internationalisierung des Klassenkampfes verhindert. Tragen wir also das Feuer der Revolution in diese Bewegungen und vereinigen sie!

Deshalb fordern wir:

  • Kampf dem imperialistischen System! Für die Niederlage des deutschen, des westlichen und jeglichen Imperialismus‘!
  • Schluss mit der Besatzung! Für ein Abzug aller imperialistischen Armeen! Für eine Landreform unter der Kontrolle der Arbeiter:innen und Bäuer:innen!
  • Für Ende der internationalen Ausbeutung halbkolonialer Länder! Sofortiger Schuldenschnitt!
  • Nieder mit jeglicher kulturellen und religiösen Unterdrückung! Für politische und juristische Gleichberechtigung!
  • Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung! Erkämpfen wir es in der permanenten Revolution!



10 Forderungen für den palästinensischen Befreiungskampf

Dezember 2023

Seit dem 7. Oktober findet ein erbarmungsloser Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung statt. Gefangen in einem Freiluftgefängnis haben die Bewohner_innen keine Möglichkeiten zur Flucht vor dem Tod durch Bomben oder die Bodentruppen der IDF. Israels Regierung stellt diesen Staatsterror kaum widersprochen als Akt der „Selbstverteidigung“ dar. Dabei sind sie nicht die einzigen, die mit Rassismus und Nationalismus die Bevölkerung hinter sich vereinen. Auch in imperialistischen Ländern wie Deutschland wird jegliche Palästina-Solidarität kriminalisiert und unter dem Vorwand des Kampfes gegen Antisemitismus findet eine zutiefst rassistische Politik statt, in welcher Migrant_innen als die Übeltäter gelten. Wir möchten hiermit 10 Forderungen aufstellen, die wir zum einen in Palästina und dann in Deutschland diesen Verhältnissen entgegensetzen.

In Palästina: 

1. Sofortiges Ende der brutalen und kriegsverbrecherischen Angriffe auf Gaza! Aufhebung der Blockade! Abzug aller Truppen der IDF aus Gaza und Westbank! Für die Freilassung aller Gefangenen! 

Nach der kurzen Waffenruhe, gehen die Angriffe in unverminderter Härte weiter und die IDF unter der Führung einer ultrarechten Regierung haben keine Probleme damit, abertausende Zivilist_innen zu ermorden und die dort lebende Bevölkerung als Tiere zu bezeichnen. Das sofortige Ende der brutalen und kriegsverbrecherischen Angriffe auf Gaza ist dabei mehr als die Forderung nach einer erneuten Waffenruhe! Eine unbefristete Waffenruhe und ein Durchlassen der Hilfslieferungen sind in der aktuellen Situation überlebensnotwendig für die Bevölkerung, jedoch beendet dies nicht Besatzung, sondern bedeutet, dass die jetzigen Konflikte eingefroren werden. Was wir zudem nicht fordern, ist die Demilitarisierung der Palästinenser_innen, denn das Recht aufSelbstverteidigung und der Kampf nach Freiheit muss auch militant durchgesetzt werden. Alle Truppen der IDF müssen Gaza sowie die Westbank verlassen, sie sind unterdrückerische Truppen, die die Herrschaft des Staate Israels mit allen Mitteln durchsetzen. Der Abzug der IDF sowie die Forderung nach einem sofortigen Ende des Mordens müssen bedingungslos durchgesetzt werden! Wir stehen ein für die Freilassung der Gefangenen. Ca. 4500 Palästinenser_innen, darunter viele Kinder und Jugendliche, waren schon vor dem 7.10. in israelischen Gefängnissen. Seitdem wurden weitere 4-5000 verhaftet, die auf israelischem Staatsgebiet gearbeitet hatten. Freigekommene berichten in den meisten Fällen über Misshandlungen und Folter.

2. Für das Recht der israelischen Soldat_innen sich zu weigern, in Gaza und Westbank zu kämpfen. Löst die bürgerliche Armee und die Polizei auf und bildet demokratische Arbeiter_innenmilizen, die sich dem palästinensischen Widerstand anschließen! 

Wie wir es in Gaza zur Zeit sehen, haben die palästinensischen Streitkräfte allein wenige Chancen, sich gegen das von USA und BRD hochgerüstete Militär Israels zu verteidigen. Daher ist es unabdingbar, auch innerhalb der israelischen Gesellschaft nach Verbündeten zu suchen. Wir wissen, dass aktuell die israelische Bevölkerung mehrheitlich vereint für den Krieg gegen die Palästinenser_innen steht. Dieser Umstand liegt allerdings nicht nur an der reaktionären und kriegstreiberischen Rhetorik der Regierung und an der engen ideologischen Bindung der israelischen Bevölkerung an den Zionismus, die historisch auch durch diemateriellen Vorteile aus der Besatzung entstanden ist. Sondern zudem an dem harten Vorgehen gegen all jene Menschen, die nur ansatzweise gegen diese vorherrschende Meinung stehen. Umso wichtiger ist es daher, die wenigen Kriegsdienstverweigernden und Antizionist_innen in Israel zu unterstützen. Der Aufbau einer antizionistischen Opposition in Israel ist notwendige Voraussetzung für eine Abschaffung von Militär und Polizei und für die Befreiung der israelischen Arbeiter_innenklasse. Wir sehen schon heute in kleinen Teilen wie antizionistische Juden und Jüdinnen weltweit die Proteste mit antreiben und unterstützen. In Israel ist es Aufgabe von Fortschrittlichen und Revolutionär_innen sich von den prozionistischen und staatstragenden Organen wie der gelben Gewerkschaft Histadrut zu lösen, diese durch eine gemeinsame Organisierung mit ihren palästinensischen Geschwistern zu ersetzen und offen aufzuzeigen, dass der Krieg nicht in dem Interesse der israelischen Arbeiter_innen sondern dem der Herrschenden liegt, wie es zum Beispiel lange wichtiger zu sein schien, die Vernichtung der Palästinenser_innen voranzutreiben, als die Befreiung der Geiseln durchzusetzen. Der Klassenkampf, wie er sich zuletzt auch in den Protesten gegen die Justizreform geäußert hatte, darf nicht zurückgestellt werden zu Gunsten der vermeintlichen „Vaterlandsverteidigung“. 

3. Nieder mit der Apartheidsmauer und allen Freiheitsbeschränkungen für Palästinenser_innen. Für die völlige rechtliche Gleichstellung aller Einwohner_innen zwischen Mittelmeer und Jordan! Verstaatlichung allen Landbesitzes und Gewährung des Rückkehrrechts aller Palästinenser_innen weltweit. 

Palästinenser_innen sind Menschen dritter Klasse in Israel, sie sind billige Arbeitskräfte, nicht gleichgestellt vor dem Gesetz und werden systematisch in sozialen wie in ökonomischen Bereichen ihres Lebens unterdrückt. Israelische Institutionen, staatliche oder nicht-staatliche, entscheiden über Häuserbau, Wohnungen und in Gaza über Strom, Wasser, Rohstoffe. Checkpoints, stundenlange Kontrollen, Hausdurchsuchungen, Razzien oder Verhaftung stehen an der Tagesordnung, wenn man Palästinenser_in ist. Darum muss die Apartheidsmauer niedergerissen werden und alle Freiheitsbeschränkungen müssenaufgehoben werden. Wir fordern die völlige Gleichstellung aller Menschen vor Ort und das Recht auf Rückkehr aller vertriebenen Palästinenser_innen. Grundlage dafür ist das vergesellschaftete Eigentum an Produktionsmitteln, Grundstücken, Fabriken, Büros und ebenso die gleichberechtigten Bereitstellung von Gesundheit, Bildung und Wohnen, koordiniert durch einen demokratischen Plan. Deshalb kämpfen wir für eine sozialistische Lösung, die auf dem gemeinsamen Besitz des Landes und aller wichtigen Produktionsmittel basiert. 

4. Für ein vereinigtes säkulares, sozialistisches Palästina, mit Gleichheit für alle seine Bürger_Innen, israelische wie palästinensische, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens.  Für einen neuen arabischen Frühling!

Die Befreiung des palästinensischen Volkes und die Freiheit der Völker des Nahen Ostens von westlicher Herrschaft und Ausbeutung erfordern den revolutionären Sturz Israels als rassistischen Staat und seine Ersetzung durch einen einzigen bi-nationalen Staat, sowohl für sein palästinensisches als auch für sein israelisch-jüdisches Volk. Das bedeutet weder die Vertreibung der israelischen Bevölkerung noch ihre Zerstörung als Nation. Die „Zweistaatenlösung“ ist in Wirklichkeit tot. Ihre Anerkennung in Worten existiert als Feigenblatt für israelische Übergriffe. Für die USA und die westeuropäischen Staaten rechtfertigt sie die anhaltende Unterstützung Israels, und für reformistische Parteien wie die britische Labour ermöglicht sie es, vermeintlich Gesicht zu bewahren vor ihrer muslimischen Wähler_innenschaft, ohne sich jedoch zum palästinensischen Widerstand zu bekennen. Es ist Aufgabe der Palästinenser:innen sowie der Arbeiter:innenklassen der umliegenden Länder den israelischen Staat zu stürzen. Letzteren kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie sind es, die ihren Diktatoren und Herrschernentgegentreten müssen, denn weder die Assads noch die Khomenies, die Sissis oder die Erdogans dieser Region haben ein Interesse an einem befreiten Palästina. Es braucht ein Auflammen eines zweiten arabischen Frühlings, in welchem sich die Arbeiter_innen in den umliegenden Ländern gegen ihre Unterdrücker_innen organisieren und siestürzen, die Grenzen nach Gaza öffnen und unter gemeinsamer Kontrolle Hilfsgüter und den Kampf vor Ort unterstützen.

5. Für die Schaffung einer unabhängigen Arbeiter_innenpartei Palästinas, die gestützt auf Gewerkschaftenund regionale Komitees der Unterordnung der palästinensischen Linken unter Hamas und Fatah ein Ende bereitet!

Um für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina zu kämpfen, sowie für die davor genannten Forderungen, ist es notwendig die fortschrittlichsten Kräfte in einer Partei zu bündeln, die sich auf Räte und Komitees stützt, diese Forderungen durchsetzt und der Bewegung ein politisches Programm gibt. Mit dem Kampf für nationale Befreiung müssen hierbei soziale und ökonomische Forderungen der Arbeiter_innenklasse wie z.B. nach einem angemessenen Mindestlohn, nach Frauenrechten oder Rechten von LGBT+! Es braucht zudem einen Bruch mit der Politik der Hamas und Fatah. Beide haben sie oft genug gezeigt, dass sie keine Strategie haben, den Befreiungskampf zu gewinnen und dass ihnen die Interessen der palästinensischen Massen letztlich egal sind. Sie beweisen dies nicht zuletzt, indem sie, unter dem Deckmantel einer falschen Einigkeit, soziale Proteste niederschlagen, womit sie sich praktisch als Instrument der Besatzungsmacht erweisen. Wir stehen für die Interessen der Arbeiter_innen, kleinen Bäuer_innen, Jugendlichen und Frauen, die nicht nur gegen die zionistische Besatzung, sondern am Ende auch gegen die palästinensischen Kapitalist_innen durchgesetzt werden müssen!

In Deutschland

1. Sofortiger Stopp aller Waffenlieferung, Stopp der militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Unterstützung Israels! Weg mit den Kriegsschiffen vor Gazas Küste! Für gewerkschaftliche Aktionen zur Blockade von Kriegsgütern! 

Die deutsche Rüstungsindustrie liefert schon seit langem mit Vorliebe Kriegsgüter an Israel. Eine Auswertung der statistischen Daten von 2011 bis 2022 ergibt, das Israel auf Platz vier aller Staaten ist, in die Deutschland Waffen exportiert. Seit dem Kriegsausbruch sind diese Zahlen noch einmal explodiert: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich schon jetzt das Volumen an Rüstungsexporten mehr als verzehnfacht! Es ist einerseits eine grauenhafte Vorstellung, wie sich deutsche Konzerne an dem Morden in Palästina bereichern. Andererseits werden diese Lieferungen auch durch Steuergelder gefördert, denn die Unterstützung von Ordnungsmächten wie Israel und die Aufrechterhaltung der Verhältnisse von halbkolonialer Abhängigkeit und Ausbeutung durch den Imperialismus ist deutsche „Staatsräson“. All das zu verhindern, ist unsere beste Chance hier in Deutschland dem Krieg in Palästina entgegenzutreten und internationale Solidarität praktisch werden zu lassen. Die Arbeiter_innen in der Logistik und in der Rüstungsindustrie haben kein Interesse an der Unterdrückung ihrer Klassengeschwister in Palästina. Sie müssen zu Streiks, Blockaden und Protestaktionen gewonnen werden!

2. Schluss mit der Kriminalisierung des Befreiungskampfes! Keine Verbote von Demos mehr und Aufhebung der Verbote von Samidoun, PFLP, Hamas und PKK! 

Während AfD, holocaustleugnende Nazis oder antisemitische Querdenker_innen unter Polizeischutz ihre Ideologie auf die Straße tragen durften, wurden Solidaritätsdemos und Gedenkveranstaltungen mit den Opfern des Krieges in Palästina reihenweise verboten. Dort wo sie stattfinden, geht dies mit Schikanen der Polizei einher: Menschen werden geschlagen, verhaftet und angezeigt. Wir haben schon länger an der Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung gesehen, wie der deutsche Staat seine außenpolitischen Interessen auch z. B. mit dem Verbot der PKK ins Innere übersetzt. Nun werden ebenso die Organisationen des palästinensischen Widerstands mehr und mehr verboten: ob links, so wie Samidoun oder PFLP oder religiös-fundamentalistisch wie die Hamas. Auch wenn wir viel Kritik an diesen Gruppen haben, ihre Ideologien nicht teilen und ihre Taktiken ablehnen, stellen wir uns gegen ihr Verbot durch den deutschen Staat. Eine Überwindung der reaktionären Führung des Widerstandskampfes in Gaza wird nur als Teil dieses Kampfes möglich sein, nicht durch staatliche Repression von Israel oder Deutschland.

3. Weg mit dem Kuffiyah-Verbot in den berliner Schulen! Mitbestimmung von Schüler_innen und Lehrer_innen über die Behandlung des Kriegs statt Senatsvorgaben!

Während auf der Staat auf der einen Seite das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, d.h. den Angriff auf Gaza als zentrale Botschaft des Schulunterrichts vorgibt, wird auf der anderen Seite im Namen einer vermeintlichen „politischen Neutralität“ den Schüler_innen eine eigenständige Stellungnahme verwehrt. Dies drückt sich auf symbolischer Ebene z.B. in dem Verbot aus, eine Kuffiyah zu tragen. Eine Kleidervorschrift, die, ausgedehnt auf weitere arabische Tücher, gleichzeitig einen rassistischen Charakter trägt, weil sie auch politisch unbeteiligte Schüler_innen trifft, die das Tuch einfach aus kulturellen Gründen tragen. 

4. Abschiebestopp jetzt! Gegen den heuchlerischen Vorwand des Antisemitismus‘ für eine rassistische Asylpolitik! Bildet antirassistische Selbstverteidigungskomitees gegen Angriffe von Bullen und Faschos!

5. Offene Grenzen und Staatsbürger_innenrechte für alle, die vor Krieg, Armut und Klimaschäden flüchten!

Wir können gerade bezeugen, wie in Europa das Recht auf Asyl systematisch ausgehebelt und abgeschafft wird. Fluchtwege werden blockiert, Grenzkontrollen werden verstärkt und auch innerhalb des Schengen-Raums eingeführt, Geflüchtete werden in überfüllte Lager gepfercht und in Krieg und Krisen abgeschoben. Vorschläge ein Bekenntnis zum Staat Israel zur Bedingung für eine Einbürgerung zu machen oder die Ankündigung, dass vermeintlich antisemitische Geflüchtete „endlich im großen Stil“ abgeschoben werden müssten sind ein zynischer Versuch, diese Absage an grundlegende Menschenrechte in eine moralisch positives Licht zu rücken. Wir stellen dem die Forderung nach Bewegungsfreiheit für alle entgegen! Im Kampf dafür ist es notwendig, dass sich die Gewerkschaften endlich öffnen und die gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten voranbringen!




Stoppt das Morden, stoppt den Krieg – Im Kongo wie in Palästina

Von Jona Everdeen, Dezember 2023

Während die Welt über den brutalen genozidalen Krieg Israels gegen die Palästinenser_Innen in Gaza spricht und der Krieg in der Ukraine gleichzeitig immer mehr aus dem Rampenlicht verschwindet, redet niemand darüber, dass ein anderer Konflikt, der in der Vergangenheit Schauplatz von zigtausend, wenn nicht gar millionenfachem Morden war, wieder ausgebrochen ist. Die Rede ist vom Kongo und vor allem dessen östlicher Provinz Nord-Kivu. Der Konflikt hat seine Wurzeln im Kolonialismus und für sein erneutes Aufflammen ist sehr maßgeblich der Imperialismus mitverantwortlich. Der Kongo gehört zu den ärmsten der armen Halbkolonien in Afrika und während der Imperialismus ganz aktiv dafür verantwortlich ist, dass die politische Lage dort sehr instabil ist und Konflikte darum kaum befriedet werden können, interessiert das Schicksal der dort lebenden Menschen in den imperialistischen Zentren niemanden.

Von der Kolonie zur Halbkolonie

Der Kongo ist wohl eins der brutalsten Beispiele dafür, wie Kolonialismus und Imperialismus ein Land zerstören können. Der immense Reichtum des Landes an verschiedensten Bodenschätzen spielte dabei eine maßgebliche Rolle, und war bislang stets mehr Fluch als Segen.

So war das Land bereits Opfer einer der brutalsten Kolonialherrschaften unter dem belgischen König Leopold, welcher durch seine private Kolonialmiliz massenhaft Menschen massakrieren und verstümmeln ließ, wenn sie nicht die von ihm geforderten absurd hohen Mengen an Kautschuk lieferten. Doch auch nach der Unabhängigkeit wurde es nicht besser, so sorgten vor allem Belgien und die USA dafür, dass die „Unabhängigkeit“ nach ihren Vorstellungen ablief, ließen den fortschrittlichen Führer der kongolesischen Befreiungsbewegung, Patrice Lumumba, ermorden und unterstützten Joseph Mobutu dabei, eine brutale und extrem korrupte Diktatur aufzubauen. Unter Mobutu ging der komplette Reichtum des Landes an europäische Mächte und eine kleine nationale herrschende Klasse, während das Land verarmte und die Infrastruktur verfiel. Grund für die Unterstützung Mobutus war neben der Garantie, dass europäische Konzerne die Rohstoffminen weiter nutzen konnten, auch, dass Mobutu die Rolle des imperialistischen Gendarms in Zentralafrika einnahm und versuchte, den Einfluss der Sowjetunion in der Region klein zu halten. Aus einer Kolonie, erst des Königs dann des belgischen Staates, war eine Halbkolonie des westlichen Blocks geworden.

Der Kongokrieg – Die Rückkehr eines vergessenen Grauens?

Der jüngst wieder ausgebrochene Konflikt ist Folge der Kongokriege, welche am Ende der Mobutu Diktatur das Land in neuen Schrecken versetzten. Der 2.Kongokrieg, auch „Afrikanischer Weltkrieg“ genannt, zwischen 1998 und 2003 gilt als einer der brutalsten Kriege seit dem 2.Weltkrieg und es wird geschätzt, dass insgesamt rund 6 Millionen Menschen dem Konflikt zum Opfer fielen.

Ein Auslöser für den Krieg war der entsetzliche Genozid im benachbarten Ruanda, wo sich die Tutsi und die Hutu, zwei Volksgruppen, die von den belgischen Kolonialbehörden gegeneinander ausgespielt wurden und seitdem verfeindet waren, extrem brutale Kämpfe lieferten. Diese fanden ihren schrecklichen Höhepunkt im ruandischen Genozid 1994, wo innerhalb von hundert Tagen bis zu eine Millionen Tutsi ermordet wurden. Nach dem Rückzug der Hutu-Milizen ins östliche Kongo, marschierte Ruanda dort ein und es kam dabei zu einer jahrelangen gewalttätigen Eskalation. Den ruandischen Truppen, sowie ihren Verbündeten aus Burundi, Uganda und verschiedenen Milizen gelang es, rund die Hälfte des Kongo zu erobern und teils gewaltsam zu plündern.

Nach dem zunächst vielversprechenden Friedensprozess in den 00er Jahren fand der Konflikt jedoch nie wirklich eine dauerhafte Lösung. Während der Kongo und Ruanda sich in Diplomatie versuchten, führten Hutu-, Tutsi- und andere Milizen immer wieder Kämpfe, vor allem in der Nord-Kivu Provinz. Vor nun etwa zwei Monaten stieß die Tutsi-Miliz „M23“ vor und eroberte mehrere Städte. Aus Angst vor einem neuen großen Krieg ergriffen hunderttausende die Flucht. Vorausgegangen waren dieser Offensive brutale Morde an Angehörigen des Tutsi Volkes im Ostkongo, teilweise wohl durch Unterstützung oder mindestens wohlwollende nicht-Einmischung der kongolesischen Sicherheitskräfte. Der Kongo wiederum wirft Ruanda vor, M23 aktiv zu unterstützen und an den Angriffen in Nord-Kivu beteiligt zu sein und wies den ruandischen Botschafter aus.

Während in der Region die Angst vor einem neuen Kongokrieg wächst, interessiert sich im Westen fast niemand für die dortige Situation. Für westliche Konzerne hat es schließlich keinen Unterschied gemacht, ob mit Ruanda verbündete Milizen oder die kongolesische Regierung ihnen von brutal ausgepressten Arbeiter_Innen, häufig Kindern, gefördertes Gold, Coltan und Kobalt zu Spottpreisen zur Verfügung stellen.

Ringen um Rohstoffe – Wie sich die Weltlage auf den Kongo auswirkt

Was jedoch EU und USA Sorgen bereiten dürfte, ist der zunehmende Einfluss Chinas im Kongo. Während nämlich die westlichen Imperialisten nicht nur beim Kongokrieg einfach zusahen, wie das Land im Chaos versank, solange die Rohstoffe weiter ausgeführt wurden, investiert seit geraumer Zeit China darin, die kaputte und teils kaum vorhandene Infrastruktur des Landes wieder auf- bzw. auszubauen. Dies veranlasst in jüngerer Vergangenheit immer größere Teile der sich inzwischen demokratisch präsentierenden kongolesischen Bourgeoisie dazu, sich stärker hin zu China zu orientieren, welches den Kongo scheinbar zum ersten Mal auf Augenhöhe behandelt und bessere Preise für die Rohstoffe anzubieten scheint. Dass es China in Wahrheit nicht um Hilfe geht, sondern eben darum, selbst ein größeres Stück vom kongolesischen Kuchen abzubekommen, sollte jedem klar sein. Dabei spielt vor allem eine Ressource heute eine Schlüsselrolle: Kobalt. Ähnlich wie in den 00er Jahren bei Coltan findet auch die weltweite Kobaltproduktion zum Großteil im Kongo statt.

Kobalt ist dabei besonders zentral für die als „Grüne Lösung für den Verkehrssektor“ verkauften E-Autos, welche in Wahrheit nicht grün, sondern blutig sind. China, welches versucht, den USA die Vorreiterrolle im Kampf um die neuesten Technologien abzunehmen, braucht dieses Kobalt sowie auch das Coltan aus dem Kongo und fährt entsprechend dessen klassische Strategie: „Wir sind eure Freunde, wir bauen für euch Infrastruktur, dafür kriegen wir eure Rohstoffe. Vom Westen kriegt ihr weniger.“ Ein Deal, den zahlreiche halbkoloniale Regierungen gerne annehmen.

Doch auch wenn die Ausbeutungsbedingungen des chinesischen Imperialismus tatsächlich etwas besser sein können als die Belgiens, Frankreichs oder der USA, ändert das nichts daran, dass auch das imperialistische China den Kongo ausbeuten will, dass es sich um die Kongoles_Innen nicht kümmert, dass es ihm egal ist, ob Kobalt und Coltan unter widrigsten Arbeitsbedingungen von Kindern abgebaut werden, solange die Ressourcen nur in den Fabriken von Shenzen landen statt in denen von Detroit oder Duisburg.

Wenn jedoch tatsächlich der Kongo mehr und mehr von einer Halbkolonie des Westens zu einer Halbkolonie Chinas wird, dann kann es sein, dass der Westen ein aktives Interesse daran gewinnt, das Land noch weiter zu destabilisieren, auch wenn das zum Preis hunderttausender weiterer Toter geschieht. Fakt ist jedenfalls, die Leittragenden im Kampf um Rohstoffe werden weiterhin die kongolesischen Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen, Jugendliche und Kinder sein.

Only one Solution – Revolution

Der Kongo ist kein Einzelfall, im Gegenteil: Der absolute Großteil der Konflikte in afrikanischen Ländern haben ihren Ursprung maßgeblich im Kolonialismus und werden heute durch den Imperialismus entweder direkt geschürt oder zumindest einmal begünstigt werden.

Für die Ausplünderung von Ressourcen sowie den Ausbau ihrer geopolitischen Stellung ist imperialistischen Mächten jedes Mittel recht, ganz gleich ob Schuldenfalle, Destabilisierung oder militärische Interventionen. Dabei kann auch der Wechsel der imperialistischen Macht keine Lösung sein, da diese China/Russland, auch wenn sie sich gerne als antiimperialistisch darstellen, selber imperialistische Politik betreiben.

Die einzige wirkliche Lösung ist der Bruch mit dem Imperialismus und der eigenen Bourgeoisie, die mit diesem kooperiert, durch ein Bündnis aus Arbeiter_Innen, kleinen bis mittleren Bäuer_Innen und einfachen Soldat_Innen, das eine sozialistische Revolution durchführt und die Produktionsmittel unter seiner Kontrolle verstaatlicht. Nur so können die Menschen im Kongo von den Ressourcen ihres Landes profitieren, in dem sie die Kontrolle über diese an sich reißen! Indem sie internationale Konzerne, ob nun belgische, französische, US-amerikanische oder chinesische, aus dem Land werfen und die Vasallen der Imperialisten verjagen! Dafür braucht es auch einen Zusammenschluss der Arbeiter_Innen über Volksgrenzen und über Staatsgrenzen hinweg. Die Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen und Jugendlichen müssen für die einzige echte Lösung der Krise und das einzige dauerhafte Ende der Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen: Für eine sozialistische Föderation der Völker Afrikas!




HAMAS = ISIS ?!

von Felix Ruga, November 2023

„Hamas ist ISIS, und genauso wie ISIS vernichtet wurde, wird auch die Hamas vernichtet.“

Dieses Zitat stammt von Benjamin Netanjahu auf einem Treffen am 12. Oktober mit dem US-Außenminister Blinken. Das Narrativ, die Hamas sei das gleiche wie der IS (Islamischer Staat; im Englischen meist ISIS = Islamic State of Iraq and Syria), wurde damit schon früh in die Welt gesetzt und dabei auch von vielen westlichen Spitzenpolitiker_Innen aufgenommen. Und irgendwie erscheint es auch erstmal nachvollziehbar, wenn man den Horizont sehr schmal wählt: Gemessen an den Taten am 7. Oktober sind beides brutale, paramilitärische islamistische Organisationen. Damit ist die Auseinandersetzung mit der Hamas schnell abgeschlossen und die Taktik klar: Militärische Zerstörung sei nicht nur legitim, sondern der einzige Weg. Das stellt auch bis heute ein wichtiges Element in der Legitimierung der laufenden israelischen Bodenoffensive, der Einebnung Gazas und zehntausend Getöteten dar.

Jedoch ist diese Gleichstellung so unangemessen, dass sich sogar diverse bürgerliche Zeitungen zu Wort gemeldet haben, die sonst nicht unbedingt einen antiimperialistischen Ruf haben, wie die Washington Post oder das TIME-Magazine. Tenor ist, dass bezüglich ihrer sozialen, politischen und religiösen Rolle die beiden Organisation deutliche Unterschiede aufweisen. Hierbei würden wir zustimmen und dieser Artikel soll zu dieser Differenzierung betragen. Wir machen das zum einen, weil dieser Irrtum eine mächtige Waffe gegen die palästinensische Widerstandsbewegung ist, weil diese momentan mit der Hamas praktisch gleichgesetzt oder zumindest immer in die Nähe gerückt wird. Ein differenzierter Blick auf die Hamas und ihre Geschichte ermöglicht so erst überhaupt eine klare Differenzierung innerhalb des palästinensischen Widerstands. Zum anderen kann so auch eine wirklich fortschrittliche Perspektive entstehen, wie wir den Islamismus in der Region zurückdrängen können. So viel schon mal voraus: Genozid und Einebnung Gazas helfen nicht.

Hamas is not ISIS

Zunächst erstmal ein paar Worte zum IS: Er gehört zum salafistisch-takfirischen Zweig des Islamismus. Das bedeutet, dass hierbei eine extrem autoritäre Auslegung der religiösen Regeln bewaffnet durchgesetzt werden. Das bedeutet nicht nur, dass hier nicht die geringste Hoffnung auf jegliche Toleranz von Abweichung besteht, wie das Nichttragen von Hijabs oder Hören westlicher Musik, sondern dass selbst andere Muslime als Abtrünnige betrachtet und verfolgt werden. Politische Vision des IS ist eine transnationale Bewegung, die eine „Umma“ bildet, also eine Gemeinschaft von muslimischen Gläubigen, die zum „Islamischen Staat“ werden sollen. Vor Ort entspricht seine Rolle auch eher denen von „fremden Invasoren“. Der Ursprung des IS liegt in abgehalfterten irakischen Militärs, die mit dem Blick auf den syrischen Bürgerkrieg gen Westen gezogen sind, um dort mitzumischen. Sie haben sich auch nicht vorwiegend aus den eingenommenen Gegenden rekrutiert, sondern radikalisieren und mobilisieren über Kampagnen im Ausland und im Internet.

Vergleichen wir das nun mit der Hamas. Vorweg sollte gesagt werden, dass wir hier keine vollständige Geschichte der Hamas nachzeichnen können, auch wenn diese recht aufschlussreich ist. Wir empfehlen hierzu den Artikel „Eine kurze Geschichte der Hamas“ von Marx21. Aber schon aus ihren Ursprüngen lässt sich einiges ablesen: Ursprünglich ging die Hamas auf den palästinensischen Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft zurück, die zum Ziele der religiösen Bildung und sozialen Wohlfahrt gegründet wurde. Hierin steckt schon eher eine Idee der „Islamisierung von Unten“ im Gegensatz zum IS. In sozialen Fragen ist die Hamas zwar religiös-konservativ, aber lange nicht so rigide wie der IS. Wirklich relevant wurde die Hamas jedoch erst, nachdem alle anderen große Kräfte im palästinensischen Widerstand ihren politischen Bankrott erklärt haben. Zum einen wäre da der säkulare Panarabismus, der im Sechstagekrieg 1967 eine schwere militärische Niederlage erlitten hat und damit in eine Krise geriet.

Zum anderen der Verrat der palästinensischen Linken aufgrund ihrer Etappentheorie, die die sozialistische Umwälzung der nationalen Befreiung hintenanstellt und die Unabhängigkeit der zuvor sehr schlagfertigen palästinensischen Arbeiter_Innenbewegung zugunsten einer Unterordnung unter der palästinensischen Bourgeoisie aufgegeben hat. Nach der ersten Intifada und den Verhandlungen in Oslo 1993 hat sich die Fatah mit der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde in ein System integriert, das als verlängerter Arm der Besatzung in der Westbank gilt. Hier wurde ein Polizeistaat aufgebaut, der jeglichen Widerstand unterdrückt. Deswegen wird die Fatah weitestgehend als korrupte Verräter_Innen angesehen. Diese Prozesse sind nicht nur isoliert in Palästina passiert, sondern ähnlich in der gesamten Region: Säkulare und stalinistische Kräfte, die ehemals stark waren, haben es nicht geschafft, die Region gegen den Einfluss des Imperialismus zu verteidigen, weshalb sich ab den 90ern der politische Islam immer mehr als Alternative formierte, worunter auch der Aufstieg des IS nach dem Irakkrieg fällt. Teilweise geschah das mit vorheriger Unterstützung des Westens. So wurde zunächst auch die Hamas als Konkurrenz zur Linken von Israel geschont und damit begünstigt.

Die Hamas fokussierte sich zunehmend darauf, sich als „die militantesten“ innerhalb der Befreiungsbewegung darzustellen. Dies wirkte, denn auch nach Oslo ging die israelische Unterdrückung ungebremst weiter und viele Palästinenser_Innen verlangten nach militantem Widerstand. Hierdurch hat sich die Hamas immer mehr in der palästinensischen Gesellschaft verankert. Es ist nicht bloß eine außenstehende paramilitärische Kraft, sondern übernimmt viele gesellschaftliche Aufgaben. Letztendlich speist sich die Hamas aus der Verzweiflung des palästinensischen Volks, was sie auch bewusst nutzen.

Ihre Argumentation bezog sich zunehmend auf die Losungen der nationalen Befreiung, die sie mit islamistischen Ideen verbindet. Hierin zeigt sich jedoch eine durch und durch reaktionäre, antisemitische Utopie: Palästina solle zwar befreit werden, aber hin zu einer islamischen, religiös-konservativen Gesellschaft. In ihrer Gründungscharta erklären sie „die Juden“ zu ihren Feind_Innen und dass für diese kein Platz in der Region sei. Hierbei wird auch keine antisemitische Verschwörungstheorie ausgelassen, wenn es heißt, dass die Jüd_Innen für so ziemlich jedes Übel in der Welt verantwortlich seien.

Die Hamas nahm 2006 an den allgemeinen palästinensischen Wahlen teil, jedoch mit einem Wahlprogramm, das sich in der Sprache etwas mehr an die restliche palästinensische Widerstandsbewegung anpasste, indem es mehr zum Kampf gegen den israelischen Staat und nicht mehr explizit gegen Jüd_Innen aufrief. Dabei grenzte sich die Hamas jedoch nicht vom Antisemitismus ab, was sie auch nie überzeugend tat, sondern ihn eher manchmal taktisch zurückstellt. Sie gewannen die Wahlen und kurz darauf die Oberhand in Gaza, welches aber zum Freiluftgefängnis unter der letztendlichen Kontrolle Israels umgebaut wurde. In Gaza ist die Hamas integraler Bestandteil der Gesellschaft, indem sie die Verwaltung, Sozialsysteme und öffentliche Ordnung organisiert, auch wenn sie immer mehr an Beliebtheit verlor und die Massenproteste gegen sie immer wieder brutal niedergeschlagen hat. Die Hamas lässt sich dabei von anderen Reaktionären unter Druck setzen, indem sie sich von der Unterstützung einiger islamischen Länder abhängig macht und von noch rechteren Gruppen wie dem „Islamischen Dschihad“ herausgefordert wird.

Welche Perspektive?

Das offensichtliche zuerst: Fortschrittliche Kräfte sollten weder die Ideologie, das politische Programm noch die Kampfmethoden der Hamas supporten. Verbunden mit der undemokratischen und elitären Ausrichtung auf den Kampf einiger Tausend Milizionäre sowie der wachsendem Strategielosigkeit, führte das zum sinnlosen Massaker an hilflosen israelischen Zivilist_Innen, was nicht nur menschlich schockierend und militärisch sinnlos war, sondern auch die Reihen im israelischen Staat geschlossen und die Bevölkerung dahinter weitestgehend geeint hat. Dies ermöglicht es dem israelischen Staat, seinen brutalen Angriff auf das Freiluftgefängnis Gaza als „legitime Selbstverteidigung“ darzustellen.

Dennoch sollten wir nicht auf die Erzählung reinfallen, dass Frieden in die Region einkehren würde, sobald die Hamas zerschlagen ist, vor allem wenn dabei von der zivilen Bevölkerung so große Opfer abverlangt werden. Denn wie bereits skizziert: Der gesellschaftliche Nährboden der Hamas ist die Verzweiflung und der legitime Widerstandswille des palästinensischen Volkes sowie das politische Versagen der palästinensischen Linken und der Fatah.

Die einzige Lösung ist es, Freiheit, Gerechtigkeit und eine Zukunft für die Palästinenser_Innen zu erkämpfen. Das Programm der Hamas ist dazu nicht in der Lage und wir müssen sie deshalb politisch aus dem Widerstand verdrängen, unter anderem indem wir eine sozialistische Perspektive aufzeigen. Das bedeutet: In Gaza muss man den Widerstand gegen den Genozid unterstützen, ohne dabei Kritik zurückzustellen. In der Westbank und der Diaspora plädieren wir für Massenmobilisierungen, Streiks und Intifada. In benachbarten Ländern brauchen wir eigene Mobilisierungen und den Bruch mit der Pseudosolidarität aller Erdogans, Assads und Khomeinis. Im Westen müssen wir die Waffenlieferungen blockieren und unsere demokratischen Rechte verteidigen. In Israel braucht die Linke unseren Support und wir müssen die Risse zwischen israelischen Arbeiter_Innen und dem Zionismus weiter vertiefen. Hierbei kann ein Moment der permanenten Revolution entstehen, dass die Perspektive aufmacht zu einer fortschrittlichen Lösung des Nahostkonflikts: Im gemeinsamen Kampf eint sich die palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenbewegungen hin zu einem gemeinsamen, säkularen, multiethnischen und sozialistischen Staat. Das ist der einzige Weg zum Frieden in der Region.




„From the river to the sea“ – Ist das schon Antisemitismus?

Von Lia Malinovski und Felix Ruga, Oktober 2023

Während in Gaza die Luft brennt, verschiebt sich in Deutschland die Debatte nach rechts und wird zunehmend repressiver. Wie selbstverständlich ist der deutsche Staat dabei mitgegangen und meint nun zu erkennen: Antizionismus ist tatsächlich Antisemitismus! Dementsprechend haben wochenlange Verbote jeglicher palästinasolidarischen Demonstrationen kaum mehr eine Erklärung bedurft, außer dass sie „antiisraelisch“ und dementsprechend praktisch schon volksverhetzend sind. Aber auch schon einzelne Aussagen und Demosprüche sind betroffen: Mit der absurden Vorstellung, dass der Ausruf „From the river to the sea, palestine will be free!“ (Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein) die Vernichtung aller Jüd_Innen im Nahen Osten fordere, gab es schon zig Festnahmen. Wir wollen im Folgenden kurz beleuchten, warum es nichts mit Antisemitismus zu tun hat, sich eine fortschrittliche Lösung des Nahostkonflikts und ein sicheres Leben für Jüd_Innen fernab von militärischer Gewalt vorstellen zu können.

Niemand ist frei…

Der Slogan fordert ein befreites Palästina auf dem gesamten historischen Gebiet. Was nun “frei” und “Palästina” bedeutet, ist offen. Viele meinen einfach Gerechtigkeit für alle, ob sie nun in Israel oder Palästina leben. Die “offizielle Lesart” ist nun jedoch, dass man mit dem Slogan die Zerschlagung Israels fordere. Aber dass das als eliminatorischen Antisemitismus gebrandmarkt wird, liegt am Aberglauben an die Unausweichlichkeit eines ethno-nationalistischen Apartheidstaat als jüdischen Schutzraum. Dieses Schutzbedürfnis ist mehr als berechtigt, denn spätestens seit der Shoah ist klar, welche Ausmaße der Antisemitismus annehmen kann, der weltweit seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt und nie abgenommen hat. Dieser Schutz wird in Israel gesehen.

Letztendlich ist Israel aber nicht dazu in der Lage, Antisemitismus tatsächlich zu bekämpfen. Es ist höchstens dazu in der Lage, unter extrem prekären Verhältnissen zumindest einen Nationalstaat zu schaffen, in denen Jüd_Innen die Mehrheit darstellen und dementsprechend keine antisemitische Bedrohung durch ihren eigenen Staat befürchten müssen. Aber dieser Schutz ist unter anderem so prekär, weil das zum Leidwesen einer anderen Volksgruppe, nämlich der palästinensischen geschieht. Der israelischen Politik fiel als Lösung dieses Konflikts nur ein, mit noch mehr Militär und noch mehr Unterdrückung jeglichen palästinensischen Widerstand kleinzuhalten. Das ist weder menschlich erträglich noch fortschrittlich! Ganz im Gegenteil!

Insgesamt wird dabei verkannt oder ausgeblendet, dass Israel ein Klassenstaat ist. Es ist ein kapitalistischer Staat, es gibt Klassenspaltung und entsprechend auch Klassenkampf. Es gibt innere Widersprüche und Konflikte, mit denen der Staat zu kämpfen hat. Es gibt eine Ausbeuter_Innenklasse (Bourgeoisie) und mehrere Klassen der Ausgebeuteten (Proletariat und in Teilen die Kleinbauernschaft). Anhand dessen müsste allen linken und klassenbewussten Kräften klar sein, dass es nicht „ein Interesse“ der Jüd_Innen im Allgemeinen gibt, was ein Denken in nationalistischen Kategorien entspricht. Vielmehr gibt es je nach Stellung im Produktionsprozess, wie auch je nach gesellschaftlicher Stellung und daraus resultierender Unterdrückung (beispielsweise Rassismus), verschiedene entgegengesetzte Interessen, die ein Staat niemals zugleich befriedigen kann. Wie alle anderen bürgerlich-kapitalistischen Staaten muss auch Israel in erster Linie die Interessen der Bourgeoisie vertreten, zuungunsten der israelischen Arbeiter_Innen.

Neben den tödlichsten Formen des Antisemitismus existiert noch weitaus mehr Formen des Antisemitismus, auf die Israel keine Antwort ist. Gerade die jüdische Arbeiter_Innenklasse ist neben der alltäglichen Diskriminierung zusätzlich von Unterdrückung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, sowie in sämtlichen weiteren gesellschaftlichen Bereichen betroffen. Diese „zusätzliche“ Unterdrückung, die den größten Teil aller Jüd_Innen weltweit betrifft, wird von Israel nur so lange bekämpft, wie es nicht den (ökonomischen) Interessen der israelischen Bourgeoisie widerspricht. Es treffen also verschiedene, sich entgegengesetzte Interessen aufeinander, sodass ein tatsächlicher Schutz und die tatsächliche Bekämpfung von Antisemitismus gar nicht möglich sind. Es kann im Kapitalismus auch kein tatsächlicher Schutzraum bestehen. Kritik und Ablehnung dieses gesamten Systems im Nahen Osten ist mehr als gerechtfertigt. Weltweit stellen sich viele Jüd_Innen gegen die Politik und das Apartheidsystem Israels.

Anhand der Ausführung wird klar, dass die Forderung nach Zerschlagung Israels nicht antisemitisch sein muss, gerade wenn sie von Links kommt. Und das ist kein linksradikales Hirngespinst: So könnte man die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ nennen, welche einigen Support aus der Wissenschaft bekommen hat. Darin heißt es: „Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner_Innen zwischen dem [Jordan] und dem Meer volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

zwischen Fluss und Meer?

Wir sollten uns aber auch im Klaren darüber sein, dass es verschiedenste Ziele und Strategien gibt, ein befreites Palästina zu erreichen und wie dieses aussehen soll. So wollen beispielsweise reaktionäre Kräfte wie die Hamas kein säkulares Palästina, sondern einen neuen religiösen und fundamentalistischen Staat. Auch soll kein multiethnischer Staat errichtet werden, sondern es soll weiterhin ein Staat, beruhend auf (religiös begründetem) Rassismus bestehen bleiben, dann gerichtet gegen die Jüd_Innen in der Region. Das ist selbstverständlich abzulehnen. Andere Kräfte, insbesondere Fatah und damit auch die Palästinensische Autonomiebehörde sowie bedeutende Teile der israelischen Zivilgesellschaft, sehnen sich nach der gescheiterten Zwei-Staaten-Lösung und fahren eine Politik der Versöhnung. Es soll einen Staat Palästina geben, neben einem Staat Israel. An sich klingt das erstmal nach einer guten Idee, in der Praxis ist das jedoch nicht umsetzbar, da Israel auf Siedlerkolonialismus und damit einhergehend der Vertreibung der Palästinenser_Innen aufbaut. Beide Bestrebungen sind Sackgassen für den palästinensischen Widerstand und kein Weg zur Befriedung des Nahen Ostens. Sowohl Frieden mit dem Unterdrücker als auch neue Unterdrückung müssen wir als Kommunist_Innen entschieden ablehnen und bekämpfen.

Ein tatsächlich befreites Palästina kann nur säkular, multiethnisch und vor allem sozialistisch sein. Es muss eingegliedert sein in eine Föderation sozialistischer Staaten im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, nach einem Programm der permanenten Revolution. Es müssen Staatsbürger_Innenrechte für alle gelten, die dort leben, es muss das Recht auf Rückkehr für alle Vertriebenen geben, sowie eine gemeinsame demokratische Verwaltung des Gebietes, auf der Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Planung der Wirtschaft. Um das zu erreichen, müssen wir die Spaltung zwischen der israelischen und der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse überwinden, denn diese beiden sind es, die das Potenzial haben, ein sozialistisches Palästina zu erkämpfen. Dazu muss die israelische Arbeiter_Innenklasse mit dem Zionismus brechen. Innerhalb der israelischen und palästinensischen Linken ist diese sogenannte Einstaatenlösung recht weit verbreitet.

Das klingt jedoch alles ziemlich utopisch und das ist es wahrscheinlich auch. Die israelische Arbeiter_Innenklasse ist mit der Gewerkschaft Histadrut eng an den Zionismus gebunden. Die reaktionäre Hamas bestimmt offenkundig den militanten Widerstand. Und die Fatah glaubt weiterhin an die Zwei-Staaten-Lösung und ist nicht bereit, damit zu brechen. Kommunist_Innen in Israel und Palästina werden verfolgt, wurden gefoltert und ermordet. Wir müssen also Taktiken entwickeln, die den Einfluss dieser ganzen Akteur_Innen schwinden lässt und die Bevölkerung von ihnen wegbricht.

Hierfür ist ein konsequenter Kampf gegen die israelische Besatzung notwendig, die nicht vor den Unterdrücker_Innen einknickt. Das Ziel muss es sein, eine neue Intifada zu erreichen, also einen allgemeinen und demokratischen Aufstand gegen den Apartheidstaat. Bei den Streiks, Demonstrationen und Aktionen soll konkret auch auf die israelische Linke zugegangen werden und eine Vereinigung der palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenklasse erreicht werden. Die großen Demos im letzten Jahr gegen die Justizreform haben schon die Potentiale gezeigt. Der revolutionäre Kampf kann die Grundlage für die Verständigung darstellen, um diese Vereinigung zu erreichen, alte Wunden zu heilen und jene zionistischen und islamistischen Kräfte zu besiegen, die genau das fürchten!




Kampf dem Solidaritätsverbot in Hamburg!

Von Bjarne Hecker, November 2023

Die Versammlungsbehörde der Stadt Hamburg verlängerte ihre am 15.10 erstmals verhängte Allgemeinverfügung zum Verbot von Versammlungen „die inhaltlich Bezug zur Unterstützung der Hamas, oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen“ bis zum 05.11. In der Praxis stellt dies ein Verbot aller „sog. pro-palästinensischen“ Versammlungen dar, wie die Versammlungsbehörde in ihrer Begründung des Verbots selbst einräumt. Während der Kolonialstaat Israel also eine genozidale Politik ggü. der Bevölkerung Gazas verfolgt das menschliche Leid ins unermessliche steigt und auch im Westjordanland die Gewalt der Siedler_innen ggü der palästinensischen Bevölkerung stark zugenommen hat, verbietet Hamburg pauschal jegliche Versammlungen zur Solidarität mit Palästina. Aber ist diese neue Qualität der Repression überhaupt rechtens innerhalb der bürgerlichen Demokratie? Und wie schaffen wir es unsere demokratischen Rechte und die unserer palästinensischen Genoss_innen zu verteidigen?

Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots innerhalb der bürgerlichen Demokratie

Wie uns oft und breit erzählt wird gewährt der bürgerlich demokratische Staat den seiner Gewalt Unterworfenen gewisse demokratische Rechte, wobei er diese in Bürger_innen und nicht Bürger_innen spaltet und gewisse Rechte nicht Bürger_innen vorenthält. Hier ist es natürlich wichtig klarzustellen, dass diese Rechte nicht etwa Genschenke der Bourgeoisie an ihre Untertanen darstellen, sondern vielmehr erkämpft wurden und verteidigt werden müssen.

In der bürgerlichen Rechtsdogmatik kommt es für die Rechtfertigung eines Eingriffes in ein Grundrecht vor allem auf die Verhältnismäßigkeit dessen an, d.h konkret das er ein öffentliches Interesse durchsetzen soll, für diese Durchsetzung überhaupt geeignet ist, keine milderen Mittel genauso geeignet wären und das zu Schützende Interesse im Verhältnis mit der schwere des Eingriffs steht.

Ob ein solches Pauschal-Verbot überhaupt geeignet ist die „Öffentliche Sicherheit“ (welche die Versammlungsbehörde als zu schützendes Interesse aufführt) zu fördern, ist sehr stark anzuzweifeln, wie es sich bereits in Berlin gezeigt hat führt ein solches Verbot jeglicher Solidaritätsbekundungen im öffentlichen Raum zum verstärkten Widerstand innerhalb migrantischer Communities gegen den bürgerlichen Staat. Jede Nacht krachte es auf der von der Polizei besetzten Sonnenallee, aber die genehmigten Großdemonstrationen verliefen so gut wie ohne Zwischenfälle. Pauschale Repression, gerade ggü. einer so offensichtlich gerechten Sache wie der der Solidarität mit der unterdrückten und leidenden palästinensischen Bevölkerung und ihrem Befreiungskampf, führt zu Wut und Widerstand und trägt nicht zu irgendeiner „öffentlichen Sicherheit“ bei.

Des Weiteren entzieht sich das pauschale Verbot auch aller Verhältnismäßigkeit in Abwägung des Schutzes der öffentlichen Sicherheit, mit der schwere des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit. Während der Eingriff der Eingriff die „öffentliche Sicherheit“ nicht nur nicht fördert, sondern sie umgekehrt untergräbt, verbietet er auf der anderen Seite pauschal alle Solidaritätsversammlungen mit einem Volk dass vor laufenden Kameras genozidaler Angriffe ausgesetzt ist. Palästinenser_innen wird so in Hamburg jegliche Möglichkeit genommen zu ihrer Identität öffentlich zu stehen und das Leid und die Unterdrückung ihrer eigenen Angehörigen anzuklagen.

Das Versammlungsverbot ist also nicht rechtmäßig, was auch schon durch in entsprechende Urteile in anderen Städten bestätigt wurde.

Warum erfährt die palästinensische Befreiungsbewegung so starke Repression

Es stellt sich jetzt vielleicht die Frage warum ausgerechnet die palästinensische Befreiungsbewegung in Deutschland eine Repression erfährt, die sogar über die Schranken, in denen die bürgerliche Demokratie normalerweise agiert hinausgeht. Hierfür lassen sich drei Gründe ausmachen.

Zum ersten ist Israel enger Verbündeter des deutschen Imperialismus und Vorposten des gesamten westlichen imperialistischen Blocks im nahen Osten und sein Kapital eng verwoben mit diesem Block, allen voran mit den USA. Folglich Unterstützt die BRD ihren engen und langjährigen Verbündeten auch bei seinen aktuellen genozidalen Angriff auf den Gazastreifen. Da Genozid aber selbst in Deutschland ein unpopuläres politisches Programm darstellt, mobilisiert die BRD das gesamte bürgerliche Medienkartell um Zustimmung zu schaffen. Zu dieser Anstrengung gehört es auch, öffentliche Meinungsäußerungen, die dem bürgerlichen Narrativ widersprechen bestmöglich zu verhindern, die Versammlungsverbote dienen also hier um Zustimmung für die deutsche Unterstützung Israels zu schaffen und um das bürgerliche Narrativ zu retten.

Des Weiteren besteht ein wichtiger Teil der Legitimität der BRD in ihrer vermeintlichen Abgrenzung zum ihr vorrausgegangenen deutschen Faschismus und dessen genozidalen Antisemitismus. Die Unterstützung Israels und die Unterdrückung von öffentlichem Dissens ermöglicht ihr, jegliche „Verantwortung“ für jüdische Emanzipation einfach für erfüllt zu erklären, ohne gegen Faschismus und Antisemitismus vorgehen zu müssen und sich dennoch ideologisch vom 3.Reich abgrenzen zu können. Die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands spricht sich also durch ihre Unterstützung Israels selbst frei.

Das Versammlungsverbot und die daraus resultierenden Ausschreitungen erfüllen aber auch einen tagespolitischen Zweck in einer Zeit in heftige Rollbacks im Asylrecht und für migrantische Menschen allgemein in Deutschland vorgenommen werden, sind die vermeintlich „antisemitischen“ Ausschreitungen allen voran in Berlin Neukölln eine willkommene Möglichkeit rassistischer Hetze, wie wir es auch aktuell in den bürgerlichen Medien und alle Parteien überspannend erleben.

Verteidigung unserer demokratischen Rechte

Wie schon oben kurz erwähnt werden uns unsere demokratischen Rechte nicht einfach geschenkt, wir müssen diese erkämpfen bzw. verteidigen. Wenn unsere Versammlungsfreiheit also so grundlegend eingeschränkt wird, müssen wir also trotzdem und gerade deswegen auf die Straße und Widerstand gegen die Repression zeigen.

Berlin-Neukölln macht es vor:
Nachdem in den letzten Wochen vor allem um die Sonnenallee eine ungeheure Repressionswelle auf die Menschen im Stadtteil losgelassen wurden und vor allem migrantische Menschen für jegliche Solidaritätsbekunden mit Palästina verfolgt wurden, selbst Einzelpersonen, die keine Versammlung darstellten, entlud sich die Wut auf der Straße.
In mehreren aufeinanderfolgenden Nächten fanden auf der Sonnenallee Spontis statt, welche sich zu regelrechten Schlachten mit der Polizei entwickelten. Die Jugend im Stadtteil holte sich die Straße zurück.
Daraufhin wurde die Repression in Berlin wieder etwas gelockert, auch wenn sie natürlich immer noch stark besteht, einige Großdemonstrationen für Palästina wurden genehmigt und am Samstag fand die nächste statt.
Die Bewegung hat es also in Berlin durch ihren militanten Widerstand geschafft sich die Versammlungsfreiheit teilweise zurückzuholen.

Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand von Hamburg bis nach Gaza

Um solidarisch an der Seite von Palästinenser_innen und ihrem Widerstand zu stehen müssen wir also einen doppelten Kampf führen, gegen die Repression die in Deutschland vor alle palästinensische und migrantische Gruppen trifft, wie z.B Samidoun, und gegen die genozidale Politik Israels, welche von der BRD unterstützt wird! Ohne die militärische und wirtschaftliche Unterstützung des westlichen Imperialismus wäre Israel in seiner heutigen Form schon lange Geschichte und nicht in der Lage seine genozidale Politik gegegüber Palästinenser_innen weiterzuführen. Ein Kampf gegen den Genozid bedeutet also ein Kampf gegen den deutschen Imperialismus! Ein Kampf gegen seine Repression nach innen und gegen seine Kriegsunterstützung nach außen. Wir müssen daher eintreten für einen sofortigen Stopp aller Lieferungen von Waffen und anderen Mitteln, die den Genozid unterstützen. Wir müssen die Perspektive eines binationalen, säkularen und freien Palästina, eingebettet in eine Föderation sozialistischer Staaten im Nahen Osten aufwerfen und dafür kämpfen. Dafür müssen wir also auch für eine internationale Organisierung der Arbeiter_Innen und der Jugend kämpfen, denn ohne eine solche muss der Kampf gegen den Imperialismus langfristig scheitern.

Also raus auf die Straße gegen den deutschen Imperialismus und Israels Genozid an den Menschen in Gaza, für die Freiheit von Palästina! Wir lassen uns nicht einschüchtern und holen uns unsere Rechte zurück! Von Hamburg bis nach Gaza yallah Intifada!