Der Aufstand in Oaxaca

Qué viva la resistencia!!!

Volksaufstand in Oaxaca (Mexiko)

September 2006

In Mexiko ist zurzeit einiges los. Im Bundesstaat Oaxaca prägen seit Monaten Barrikaden, Polizei- und Armeepräsenz und Aufstände das Bild. Oaxaca ist ein südlicher und einer der ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Im Mai begannen Lehrer dort für höhere Löhne und bessere Ausstattungen der Schulen zu demonstrieren und zu streiken. Am 22. Mai streikten ca. 70 000 Lehrerinnen und Lehrer. Der Gouverneur von Oaxaca, Ulises Ruiz Ortiz, lehnte Verhandlungen ab ordnete an, den Streik gewaltsam zu beenden. Doch das ließ sich das Volk nicht gefallen. Ein scharfer Konflikt brach aus, tausende bisher Unbeteiligte solidarisierten sich mit den Lehrern, und gemeinsam schlugen sie die Polizei zurück und vertrieben sie sogar aus der Hauptstadt. Nun schlossen sich verschiedene Organisationen, von Gewerkschaften über Bauern- bis zu Indigenarganisationen den Lehrern an. Sie alle gründeten die „Asamblea Popular de los pueblos de Oaxaca“ (APPO), die „Volksversammlung der Völker von Oaxaca“. Was als ein Streik für bessere Arbeitsbedingungen anfing wurde zum Volksaufstand. In Oaxaca herrscht eine Doppelmachtsituation. Das Volk ist in der APPO organisiert und bietet der Regierung und Polizei die Stirn. Die Regierung hat teilweise ihre Macht über Oaxaca verloren. Oberstes Ziel der APPO ist nun der Rücktritt des Gouverneurs Ruiz.

Mexiko am Scheidepunkt

In Mexiko hat sich eine interessante politische Situation zugespitzt, die in den Wahlen im Juni 2006 und im Volksaufstand in Oaxaca ihren vorzeitigen Höhepunkt fand. Seit 1994 ist die NAFTA, das North American Free Trade Agreement zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft. Seitdem brühen gewaltige Konflikte in Mexiko. Mexiko ist das Land mit dem höchsten BIP in Lateinamerika und wirtschaftlich im Vergleich sehr gut entwickelt. Das liegt zum einen daran, dass die Mexikaner Öl haben, aber auch weil Mexiko sehr nahe an den USA liegt und sie deswegen lukrativen Handel betreiben können. Doch es gibt eben nicht nur Gewinner, sondern auch sehr viele Verlierer in Mexiko. Durch die gute Handelsposition haben es viele Mexikaner zu einer aufstrebenden Mittelklasse geschafft, doch viele andere blieben auf der Strecke. Vor allem die Mexikaner aus ärmeren Staaten mit weniger Infrastruktur, weniger Bildung und insgesamt weniger Chancen. Das sind besonders die südlichen Staaten Oaxaca und Chiapas, und besonders betroffen ist die indigene Bevölkerung (Oaxaca und Chiapas haben die größten Anteile an indigener Bevölkerung in Mexiko). Ein erstes Mal hat sich dieses Konfliktpotential bereits 1994 entladen, als sich die Zapatistas mit Inkrafttreten der NAFTA erhoben und die Stadt San Christobal in Chiapas einnahmen. Wie wenig sich seitdem verändert hat und dass der Konflikt weiter zunahm zeigt sich an den jetzigen Ereignissen.

Dieses Jahr standen Präsidentschaftswahlen in Mexiko an. Zur Wahl standen Roberto Madrazo von der PRI (Partido Revolucionario Institutional), Felipe Calderon von der PAN (Partido Acción Nacional) und Manuél López Obrador von der PRD (Partido para la Revolucion Democtrática). Die PRI vertritt die traditionelle Rechte, und stellte von 1929 bis 2000 alle Staatspräsidenten und auch fast alle Gouverneure von Mexiko. Diese in eine demokratische Fassade gehüllte Einparteienherrschaft hielt sie hauptsächlich durch ein dickes Gestrüpp aus Korruption und Abhängigkeiten aufrecht, und die meisten Mexikaner waren heilfroh, als sie 2000 endlich abgewählt wurde. Deswegen spielt die PRI zumindest bei den Präsidentschaftswahlen heute keine Rolle mehr. Die PAN ist die Partei des derzeitigen (scheidenten) Präsidenten Vicente Fox und vertritt eine neoliberale und sehr US-freundliche Linie. Die PRD ist eine linkspopulistische Partei, die sich aus mehreren Strömungen zusammensetzt und eher die Interessen der ärmeren Mexikaner und Mexikanerinnen vertritt. Bei diesen Wahlen ging es deshalb mehr als nur um einen Präsidenten. Es ging vielmehr um die Strategie, welche Mexiko in den kommenden 6 Jahren geht. Wollen die Mexikaner weiter dem Neoliberalismus der PAN folgen, oder wollen sie lieber einen moderaten Linkspopulismus irgendwo zwischen Chávez und Lula (wobei der Kandidat der PRD López Obrador eher dem zahnlosen Lula als dem linkeren Chávez ähnelt). Am 02. Juli gingen die Mexikaner und Mexikanerinnen zu den Urnen. Calderón von der PAN gewann mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,56 %. Obrador akzeptierte seine Niederlage nicht und sprach von Wahlbetrug. Er und seine Anhänger forderten eine Neuauszählung aller Stimmen. Am 31. Juli besetzten 3 Millionen Menschen die Strassen und Plätze von Mexiko-City, 7 Millionen waren es im ganzen Land. Obrador rief zu einem „campamento“ auf, und über einen Monat „campten“ tausende von seinen Anhängern überall aus Mexiko mitten in Mexiko-City und sperrten damit den Hauptplatz (Zocalo) und die Avenida La Reforma, einer der größten und wichtigsten Strassen im Zentrum der Stadt. Letztendlich gab sich Obrador geschlagen, auch weil er nicht bereit war, den direkten Konflikt der Massen und der Regierung zu wagen. Doch die Wahl zeigt deutlich, in welcher angespannten Situation sich Mexiko befindet. Ob Calderon nun wirklich Wahlbetrug begangen hat oder nicht ist nicht entscheidend. Tatsache ist, dass er ein gespaltenes Land regieren muss in dem nahezu 50% der Bevölkerung massiv gegen ihn sind.

Eskalation des Konflikts

Seitdem die Polizei im Mai zurückgeschlagen wurde und die „Asamblea Polpular de los pueblos de Oaxaca“ (APPO) gegründet wurde stehen sich Volk und Regierung direkt gegenüber. Die Anhänger der APPO errichteten überall in der Stadt Barrikaden, um sich gegen die Polizei zu wehren und ihre Rückkehr zu verhindern, mit der Forderung, dass Gouverneur Ruiz sofort zurücktreten solle. Sie besetzten mehrere Radiostationen, die zur Koordinierung des Protestes dienen. Ihre zentrale Radiostation befindet sich auf dem Gelände der Universität Oaxacas. Am 27. Oktober 2006 starben bei Zusammenstößen drei Menschen (einer davon war ein US-amerikanischer Reporter für Indymedia). Da Ruiz „das Problem“ (ein Problem für die herrschende Klasse) immer noch nicht lösen konnte, wurde es zum nationalen Problem erklärt, und Präsident Vicente Vox ordnete den Einmarsch der Bundespolizei PFP (Policía Federal Preventiva) an. Schon einen Monat zuvor hatte er erklärt, dass das Problem erledigt sein würde, bis er am 1.Dezember sein Amt an seinen Nachfolger Felipe Calderón übergeben werde. Der Einsatz der PFP brachte den Konflikt endgültig zur Eskalation. Der Polizei gelang es zügig, den Hauptplatz „Zócalo“ zu besetzen, aber andere Teile der Stadt sind weiterhin in Kontrolle der Aufständischen. So wollte die PFP z.B. zur zentralen Radiostation der APPO auf das Unigelände vorstoßen. Doch der Direktor der Universität schlug sich auf die Seite der APPO und verbot der Polizei, das Gelände zu betreten (nach mexikanischem Recht darf die Polizei das Universitätsgelände nur mit Zustimmung des Direktors betreten). Am 25.November plante die APPO eine große Demonstration zum Zócalo, mit dem Ziel, die PFP einzukreisen. Dabei kam es zum bisherig heftigsten Zusammenstoß. Die Polizei bewarf die Demonstranten mit Gegenständen und Tränengas. Die Situation eskalierte und es gab mehrere Verletzte. Die Polizei ging zur Offensive über, attackierte die Demonstranten und besetzte Häuser. Autos und Busse wurden angezündet und Zivilpolizisten attackierten den Busbahnhof. Die Auseinandersetzungen hielten die ganze Nacht über an. Am nächsten Tag, Sonntag den 26.11.2006, gab die Regierung bekannt, sie habe 149 Personen festgenommen. Die APPO sprach von 165 Festnahmen, zahlreiche Verschwundenen und Verletzten und mehreren Toden. Die Regierung erklärte, ihnen seien keine Todesfälle bekannt. Die mexikanische Menschenrechtsorganisation „Liga Mexicana por la Defensa de los Derechos Humanos“ (Limeddh, Mexikanische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte) veröffentlichte am Sonntag einen Bericht, in dem sie erklärten, dass die PSP die Demonstranten absichtlich provoziert habe und verantwortlich für den Konflikt war. Der Bericht bestätigte die Aussagen der APPO, dass Mitglieder der APPO und der Partei PRI begannen, die Demonstranten verbal zu provozieren, und dass sich Polizisten auf den Dächern der Häuser postiert und von dort die Leute mit Tränengaskapseln beworfen haben. Am Sonntag seien „abgeschossene Patronenhülsen vom Kaliber 9mm und Super38“ gefunden worden, weswegen sie auch nicht ausschließen wollen, dass es Tote gab. Ob es Tote gab oder nicht ist nicht bestätigt. Auch der Direktor der Menschenrechtsorganisation „Centro de Derechos Hermanos“ (Zentrum der Menschenrechte) sowie sein Kollege von der „Comisión Mexicana de Defensa y Promoción de Derechos Humanos“ (Kommission zur Verteidigung und Förderung der Menschenrechte“ erklärten, die Regierung setze weiterhin auf Konfrontation und die Polizei beachte nicht die Menschenrechte. Alle Beteiligten sind sich einig, dass neben der Polizei auch paramilitärische Gruppen bei dem Konflikt beteiligt sind. Die APPO verabschiedete eine Erklärung, in der sie die Aktionen der Polizei verurteilt und die Regierung für die Eskalation verantwortlich macht. Ihr Kampf für eine soziale, politische und wirtschaftliche Veränderung, sowie für die Macht des Volkes gehe weiter, und der Fall des „Tyrannen Ruíz“ sowie der Rückzug der PFP sei der Anfang der Wiederherstellung des Friedens und der Ruhe für die „oaxaquenos“. Sie rufen das mexikanische und alle Völker der Welt auf, um weiterhin Aktionen der Solidarität mit dem Volk Oaxacas zu machen und die blutige Repression zu stoppen.

Wie geht´s weiter?

Die Situation ist
klar: die Regierung wird weiterhin versuchen, die APPO mit aller Gewalt aufzulösen und die „Ordnung“ in Oaxaca wieder herzustellen. Es wird weitere Angriffe geben und die Aktivisten werden sich verschärfter Repression ausgesetzt sehen. Deshalb muss der Aufruf der APPO ernst genommen werden. Internationale Solidarität muss organisiert werden, Journalisten müssen sich vor Ort begeben und die Menschen weltweit aufklären. Doch auch wir können etwas tun. Flugblätter schreiben und verteilen, Jugendliche zu Aktionen aufrufen und die Leute aufklären. Wenn der Widerstand in Oaxaca nicht massiv unterstützt wird werden die Aktivisten der APPO sehr bald hilflos der Polizei und vielleicht auch der Armee gegenüberstehen. Wir können das hier vielleicht nicht direkt ändern, aber wir können die Leute aufmerksam darauf machen, was in Mexiko gerade passiert und so Solidarität organisieren.

Doch was ist die politische Perspektive? Was sich in Oaxaca entwickelt hat, ist wie bereits erwähnt eine Doppelmachtsituation. Das Volk hat sich in einer Versammlung organisiert und kämpft für politische Forderungen. Die APPO ist ein Organ des Volkes, in dem sich die Arbeiter und Arbeiterinnen organisieren. Eine solche Organisationsform ist im Ansatz genau das, was wir Räte nennen. Durch Räte erkämpfen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen ihre Rechte und es stellt sich die Frage, wer regiert denn eigentlich. Deswegen ist eine solche Situation auch für jeden bürgerlichen Staat unerträglich. Die Organisationsform von Oaxaca muss sich auf ganz Mexiko ausbreiten und den entschlossenen Kampf gegen die Regierung führen. Doch um diesen Kampf letztendlich zu gewinnen, muss es eine politische Perspektive geben. Das Ziel, den Gouverneur Ruiz zu stürzen ist ein sehr guter Anfang, weil es die Arbeiter, Arbeiterinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Bauern und Bäuerinnen etc. auf ein gemeinsames politisches Ziel zusammenführt (und ganz nebenbei auch noch auf ein sehr berechtigtes Ziel). Aber es muss ein Ziel geben, das über den Sturz von Gouverneur Ruíz, welcher selber nur ein kleiner Handlanger des Systems ist, hinausgeht. Wenn die APPO für eine „soziale, politische und wirtschaftliche Veränderung“ kämpfen will, wie sie in ihrem Aufruf schreibt, dann muss sie einsehen, dass der Kapitalismus das Problem ist, dass man das System ändern muss und dass man eine sozialistische Revolution die richtige Antwort ist.

Für eine revolutionäre Partei!

In Mexiko ist dieses Ziel sogar in greifbare Nähe gerückt. Wenn sich die Volksversammlungen von Oaxaca auf ganz Mexiko ausbreiten, dann wird sich der Staat bundesweit mit einer Gegenmacht konfrontiert sehen, der Macht des Volkes! Durch eine solche Organisationsform kann man den bürgerlichen Staat ins Wanken bringen. Gleichzeitig bildet sie die Grundlage für die neue Gesellschaft: alle Lohnabhängigen organisiert in einer Struktur von Räten, um die Wirtschaft selbst zu organisieren nach ihren unmittelbaren Interessen. Mit anderen Worten: Sozialismus. Doch um dieses Ziel zu erreichen, brauchen die Mexikaner eine revolutionäre Partei, die die Massen führt. Die Volksversammlung wird nicht von alleine zu einer Revolution werden. Es muss eine Partei geben, welche den politischen Weg zur Revolution weist. In dieser Partei müssen Vertreter aller Beteiligten organisiert sein. Sie muss konsequent für den Sturz des Kapitalismus und die Errichtung einer neuen Regierung, die den Volksversammlungen gegenüber rechenschaftspflichtig ist und sich die Errichtung einer Räterepublik auf die Fahnen schreibt, kämpfen. Eine solche Partei ist das einzige Mittel, die spontane Wut der Massen in eine wirkliche politische, soziale und wirtschaftliche Veränderung umzuwandeln.

Quellen: www.wikipedia.de
www.taz.de
www.jornada.unam.mx:8080/ultimas (Spanisch)