Die große Depression

1929 ging die Krise, welche Europa in die Armut und einige Jahre später in Faschismus und imperialistischen Krieg trieb, als „Große Depression“ in die Geschichte ein. Knapp ein Jahrhundert später erleben wir erneut eine solche Depression. Doch heute wie damals bedroht sie nicht nur die Ökonomie, sondern auch die mentale Gesundheit von Millionen von Menschen.

Psychische Erkrankungen verursachten im Jahr 2009 Kosten in Höhe von 136 Milliarden Euro in der EU. Der EU-Gesundheitsexperte Michael Hübel erklärte, der Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer Krise und mehr psychischen Erkranken sei statistisch nachweisbar. Gleichzeitig sparen aber viele Staaten im Gesundheitssektor.

Die serbische Gesundheitsministerin Slavica Djukic Dejanovic prophezeite letztes Jahr, dass bereits 2020 Depressionen die zweithäufigste Ursache für das Fehlen am Arbeitsplatz sein werden. In Serbien kommen auf 7,2 Millionen Einwohner lediglich 350 geprüfte Psychotherapeuten und 900 Psychiater, der Bedarf ist 10 Mal so hoch. Dieser Mangel wird mit Beruhigungsmitteln kompensiert. Allein im Jahr 2011 wurden 4,3 Millionen Schachteln Bromazepam verschrieben, wovon 3 Millionen illegal verkauft wurden.

Ein Drittel der Bevölkerung leide unter psychischen Beschwerden in Folge der Wirtschaftskrise, die zu Arbeitslosigkeit und wachsender Armut führte, sagte Nadja Maric Bojovic, die Leiterin der Belgrader Klinik für Psychiatrie ist. Auch die Zahl der Suizide spricht für sich. Statistisch gesehen bringen sich jeden Tag 4 Serben um, womit das Land international an der 13. Stelle liegt. Die älteren Generationen sind ebenfalls von Traumata durch die Balkankriege und die NATO-Bombardements betroffen, hinzu kommen die materielle Not, die durch internationale Wirtschaftssanktionen zwischen 1992 und 2000 hervor gerufen wurde. Die Arbeitslosenquote lag im Jahr 2012 in Serbien bei 25,5 Prozent.

Aber man muss gar nicht aus Mitteleuropa raus, um schockierende Zahlen zu finden. Eine Studie in Österreich ergab, dass dort die Zahl der psychisch Kranken zwischen 2009 und 2011 um 22 Prozent gestiegen sei. Im Laufe eines Jahres sind 900.000 ÖsterreicherInnen wegen psychischen Leiden in Behandlung gegangen, wovon 46 Prozent im arbeitsfähigen Alter sind. Viele können danach aber ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen, 44 Prozent aller Frühpensionen wurden 2011 wegen psychischen Problemen begonnen. Im Jahr 2005 waren es 24 Prozent. Am stärksten betroffen sind Jugendliche, Arbeitslose und Frauen. Zwei Drittel aller Patienten, die Antidepressiva einnehmen, sind weiblich.

In dem Land, das von der Krise am härtesten getroffen wurde,  stieg die Selbstmordrate um ein Drittel. Griechenland war 2008 mit knapp 300 Suiziden das europäische Land mit der niedrigsten Quote, zwischen 2010 und 2012 nahmen sich schon 2000 Griechen das Leben. Es gibt auch bekannt gewordene Fälle, beispielsweise der eines 45-Jährigen, der sich vom Hügel der Akropolis stürzte, oder eines 77-Jährigens Rentners, der sich auf dem Syntagma-Platz erschoss. In ihrem Abschiedsbriefen sagen sie, sie wollen nicht darauf warten, etwas Essbares im Müll zu finden,
sondern lieber würdevoll sterben.

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Gedenken an den Rentner, der sich auf dem Syntagma-Platz das Leben nahm

Die offiziellen Zahlen können jedoch sehr stark von der Dunkelziffer abweichen, denn Suizid ist in Griechenland immer noch ein Tabuthema. 97 Prozent der Bevölkerung sind griechisch-orthodoxen Glaubens und die Kirche verweigert im Falle eines Suizids ein christliches Begräbnis. Deshalb werden viele Fälle als Unfall deklariert.

So simpel es auch klingen mag, all diese Fakten beweisen eins: Kapitalismus macht krank!
Während der letzten Jahre in der Krise wurden etliche Menschen an den sozialen Abgrund getrieben. Sie verloren ihren Arbeitsplatz, ihre Wohnung und jegliche Möglichkeit Familie und Freunde zu besuchen. Verliert man seinen Job, verliert man nicht nur das finanzielle Einkommen, sondern
auch die Möglichkeit, sich einfach mit den KollegInnen auf der Arbeit zu unterhalten und die gewerkschaftliche und politische Organisierung wird unheimlich erschwert. Man wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen und die Medien tragen ihr übriges dazu bei, dass das Bild des „schmarotzenden Arbeitslosen, der sowieso keine Lust auf seinen Job hat“ schön erhalten bleibt.

Auch der europäische Lebensstandard ist mittlerweile rapide gesunken, die „Würde des Menschen“ wird nun auch hier mit Füßen getreten. Es ist verständlich, dass man in solch einem mentalen Zustand nicht immer sofort in der Lage ist, sich zu organisieren, an Veranstaltungen und Demonstrationen teilzunehmen. Aber es ist die Aufgabe der bestehenden revolutionären Organisationen öffentlich Präsenz zu zeigen, den Menschen einen Ausweg aus ihrer Not zu bieten und sie gegen das zu organisieren, was sie kaputt macht: Gegen das kapitalistische, ausbeutende und mordende System und all diejenigen, die es aufrecht erhalten.

 Svenja Spunck, REVOLUTION Berlin