Die Lage von Trans- und Inter- Personen

Nina Awarie, REVOLUTION Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den vergangenen
Jahrzehnten wurden weltweit viele juristische und gesellschaftliche
Zugeständnisse seitens der Herrschenden gemacht oder seitens der
LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit 2017 beispielsweise
gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile Ehe zu schließen. Auch
in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder Südafrika können
gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen bürgerlichen Rechte wie
Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene formelle Akzeptanz
nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von Homosexualität im
Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in mehr als 70
Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnis-
oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung
die rechtliche und soziale Lage von Inter- und Trans-Menschen zu kurz.

Situation
von Transgendern …

Der Begriff Transgender
wurde vor allem von John F. Oliven von der Columbia University in seiner Arbeit
„Sexual Hygiene and Pathology“ aus dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter
gefasst als der der Transsexualität und gleichzeitig auch zutreffender, denn
bei Gender (sozialem/psychologischem Geschlecht) handelt es sich natürlich um die
Geschlechterrolle und nicht um das biologische
Geschlecht. Der Begriff Transgender schließt aber auch all diejenigen
mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich noch
eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 % der
Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies hat
vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch
teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die
erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in
Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender
einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen
Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles
Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu
nehmen.

Wenn man nun die
rechtliche Situation von Trans-Personen allein in Deutschland betrachtet, stößt
man zunächst auf einen riesigen, kaum zu durchblickenden Paragraphendschungel.
Das liegt einerseits an dem großen bürokratischen Aufwand im Falle einer
Geschlechtsangleichung, andererseits an den vielen juristischen Schwächen des
Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat 1980 in Kraft, wurde aber im Laufe
der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte auf Beschwerden von Betroffenen hin
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden.
Beispielsweise durften Personen unter 25 Jahren im ersten Entwurf des TSG weder
eine Vornamensänderung („kleine Lösung“) noch eine Personenstandsänderung
(„große Lösung“) durchführen. Auch ging das TSG ursprünglich davon aus, dass
alle Trans-Personen heterosexuell seien. Folglich konnte die „kleine Lösung“,
also die Vornamensänderung, vom Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden,
wenn die Person eine andere des gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb
von 300 Tagen nach der Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten
Forderungen des TSG an die betroffenen Personen war aber der erforderliche
Nachweis einer Sterilisation, um den Personenstand ändern lassen zu können.
Noch bis 2011 wurde das TSG auf diese Weise umgesetzt und bis heute kann der
Personenstand nicht rückwirkend, also auch auf der Geburtsurkunde, geändert
werden. Neben dem Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die
Krankenkassen ein Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme
verpflichtet. Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen,
variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für
eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach
mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben“, der sie sich „zugehörig“
fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit“ von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor
dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht
angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern.
Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man deren Erlaubnis
und ist somit ihrer Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den
eigenen Körper wird also in allen Fällen massiv beschnitten.

… und
Inter-Personen

Intersexuell sind
Menschen, die weder dem biologisch männlichen noch dem weiblichen Geschlecht
eindeutig zugeordnet werden können. Das kann genetische, anatomische und
hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise kommt jedes tausendste Kind
intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser
Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum heutigen Tag zwangsweise hormonell
behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert und für eine binäre
Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem Alter, in dem es
unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw. sich entwickeln
würde.

Diese brutale
Praxis geht auf die These des Psychologen John Money aus den 1950er Jahren
zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“ behauptete er, dass man Kinder zu
Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn man nur die körperlichen
Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der beiden Geschlechter
angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die Geschlechtsidentität von den
körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und viele der zwangsoperierten,
intersexuellen Menschen lebenslang unter Depressionen, körperlichen Schmerzen
und Traumata zu leiden haben, hält sich diese These in der Medizin teilweise
noch heute. So heißt es in einem laut Amnesty International erst 2013 neu
aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen: „Die operative Korrektur soll so
früh durchgeführt werden, dass die Mädchen sich später ihrer Intersexualität
nicht erinnern, also im Säuglingsalter, spätestens im zweiten bis dritten
Lebensjahr.“

In Deutschland gab
es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des Personenstandsgesetzes. Diese
beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen
Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine solche Angabe in das
Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale Teile des
Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von einer
„kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der
Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war
die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein
Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird
und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot
von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
gibt es bis heute nicht.

Was hat das
Ganze denn jetzt mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun?

Ob nun durch
konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung: Die
Gesellschaft reproduziert tagtäglich ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen
Familie sind die Rollen klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die
Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber
hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht
nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der
Familie die Erbschaftverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze
Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten
stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative
Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich
ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung
in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen
Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder
bekommen.

Auch wenn schon
einige Errungenschaften erkämpft worden sind und die gesellschaftliche
Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen
ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch
längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback
in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der
international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken
der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der
LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz der
bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft
verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man
muss diesen reaktionären Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den
Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus
verbinden.

Wir wollen
gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet
ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und
gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

  • Intersex vollständig legalisieren! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!
  • Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!
  • Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!