Interview mit Kaveh

Kaveh ist innerhalb der radikalen Linken als Musiker bekannt, der sich immer wieder mit dem Widerstand gegen den Kapitalismus solidarisiert und mit seinen antikapitalistischen Tracks immer wieder bei Demonstrationen und Solikonzerten auftritt.

Im Oktober hat der Rapper, der auch schon zweimal bei unserem Camp aufgetreten ist, sein Album „Gegen den Strom“ veröffentlicht. Grund genug sich einmal ausführlicher mit ihm zu beschäftigen.

Hallo, Kaveh. Du bist ein bekannter, linker Rapper und schreibst seit 20 Jahren Texte. Wie kam die Politik in deine Musik bzw. wie kam die Musik in deine politische Aktivität?

Es sind unterschiedliche Einflüsse gewesen. Einerseits ist es die familiäre Umgebung, die mich geprägt hat, wo viel über politische Themen diskutiert wurde. Es war immer an der Tagesordnung zu debattieren und sich auszutauschen. Dazu kamen durch Freunde auch musikalische Einflüsse hinzu, wie KRSOne, Public Enemy, usw. Ich habe auch ziemlich früh angefangen politische Bücher zu lesen wie das „Manifest der Kommunisten Partei“ von Marx und Engels und auch viele Romane, wie „Siddhartha“ von Hermann Hesse, „die Schachnovelle“ von Stefan Zweig sowie persische Poesie von Hāfez und Rumi, die mich früh geprägt haben.

Dadurch hatte ich eine ziemlich breite Inspirationsquelle von verschiedenen Texten, familiären Einflüssen und Einflüssen aus dem Freundeskreis, die mich dann auch dazu verleitet haben das politische Wissen, das ich mir angeeignet habe, auch musikalisch umzusetzen.

In deinen Liedern sind fast keine Punchlines zu finden. Wieso?

Das würde ich so nicht sagen. Ich habe schon eine Menge Punchlines, wie zum Beispiel in dem Track „Nur ein Augenblick“ oder in „Therapie“, wo es gegen Rassismus geht. Aber es ist natürlich immer sehr gezielt und die Zielscheibe ist niemals beliebig. Wir hatten damals auch den Track „Sarrazynismus“ gemacht, in dem wir auch gegen Sarrazin polemisiert haben.

Es gibt ja auch den Song gegen Antideutsche, wo Thawra und ich so einige Pseudolinke dissen.

Es gibt zwar immer wieder Punchlines, aber es steht nicht im Mittelpunkt der Musik, sondern es kommt immer dann auf, wenn es gerade mal wieder raus muss und wenn Leute aus dem Kunst-, Kultur- und Politikbereich mir besonders auf die Nerven gehen. Dann kommt natürlich auch ein Disstrack raus, aber ich sehe es nicht als meine Hauptaufgabe Disstracks zu schreiben.

Du bist ein Rapper der sich offen mit Palästina solidarisiert. Viele andere, linke Rapper, Produzenten, usw. sind israelsolidarisch. Kommt es vor, dass Antideutsche deine Musik blockieren? Hast du oft Schwierigkeiten deshalb einen Produzenten, Beats, etc. zu finden?

Das kommt natürlich vor, z. B. auf Konzerten von mir. Das erste Konzert wo ich Erfahrungen damit gemacht habe, war in Leipzig 2010. Dort haben Antideutsch die Bühne gestürmt und ich wusste noch nicht einmal was Andideutsche sind. So habe ich erst gemerkt, was es für unterschiedliche Strömungen innerhalb der deutschen radikalen Linken gibt.

Danach ist immer mal wieder was passiert. Zuletzt wieder in Leipzig bei einer antirassistischen Demonstration, wo ich aufgefordert wurde entweder meine Kufiya abzunehmen oder die Veranstaltung zu verlassen. Ich habe das natürlich nicht gemacht. Während ich gerappt habe, kam dann noch ein anderer Ordner an, der mich wieder aufforderte die Kufiya abzunehmen, was ich natürlich wieder ignorierte.

Interessanterweise habe ich auf dieser Veranstaltung – das war eine klassische AntiRa-/ RefugeesWelcome-Demo – weit und breit niemanden gesehen, der eine Kufiya trug. Das sagt schon sehr viel über die Zustände in Leipzig aus.

Als Allerletztes ist mir das im AZ Mülheim passiert, wo ich ein Tag vor dem Konzert eine Absage bekommen habe. Das war die aktuellste Erfahrung.

Ansonsten gibt es natürlich unheimlich viele Shitstorms von Antideutschen unter Facebookposts und es gibt Blogeinträge von ihnen gegen mich. Die sind da ziemlich aktiv. Es ist schon fast eine professionelle Propagandamaschinerie, die sich da aufgebaut hat.

Bei den Antideutschen hat man das Gefühl, sie haben den ganzen Tag nichts zu tun als im Internet rumzutrollen, irgendwelche Zitate aus dem Kontext zu reißen und irgendwelche Artikel zu schreiben, die mit pseudo-wissenschaftlichen Methoden daherkommen. Auf propagandistische Art und Weise werden Zitate herangezogen und Texte vollkommen entstellt. In ihrer Berichterstattung findet eine starke Manipulation gegenüber mir, aber auch anderen Kollegen, statt.

Dass viele andere Rapper, unter anderem auch „Linke“, sexistische Äußerungen in ihren Texten haben, ist nichts Neues. In der Vergangenheit hast du dich schon diesbezüglich dazu geäußert. Würdest du dich auch in deinen Tracks mit dem Thema befassen?

Ich kann mir natürlich vorstellen, das zu thematisieren. Ich mache das ja auch unabhängig von meinen Songs. Ich mache immer wieder darauf aufmerksam, dass viele eine sehr diskriminierende Sprache benutzen, sei es sexistisch, homophob, behindertenfeindlich oder was auch immer für eine Form von Diskriminierung. Das ist kritikwürdig und ich finde, dass man schon darauf achten sollte, dass man keine Sprache benutzt, die Individuen und Gruppen diskriminiert.

Thematisieren werde ich das schon irgendwann, aber es ist ein Thema, das innerhalb der radikalen Linken schon ziemlich viel behandelt wird, etwa von Leuten wie Lena Störfaktor oder Sookee. Insofern sehe ich nicht den Bedarf das Gleiche zu tun, da es ja eine Vielzahl wichtiger Themen gibt, wie den Imperialismus, Interventionskriege oder das Thema Rassismus. Was das Thema Krieg und Frieden angeht, denke ich, dass das innerhalb der radikalen Linken viel zu wenig behandelt wird. Vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden deutschen Kriegsbeteiligung in Afrika und Asien ist das meiner Meinung nach sehr schade und letztendlich auch gefährlich.

Zum Thema Sexismus wird in Zukunft aber auch was kommen.

Glaubst du, dass man das Bewusstsein mit solchen Tracks verändern kann?

Ich denke schon, dass man Denkanstöße geben kann und dass man dadurch auch bestimmte Prozesse in Gang setzt, aber dass man Leute durch Musik verändern kann, glaube ich eher weniger. Es mag sein, dass man die eine oder den anderen beeinflussen und vielleicht sogar auf einen nicht-diskriminierenden antikapitalistischen Pfad bringen kann, aber in der Regel müssen die Prozesse von den Personen selbst gemacht werden. Man kann also immer nur Hilfe leisten.

Musik ist da in dem Falle auch eine Art Empowerment und Identifikationsfaktor. Leute identifizieren sich gerne mit Musik. Jeder von uns will gerne in bestimmten Songs repräsentiert werden und fühlt sich auch bestätigt und gestärkt, wenn man Songs hört, die einem aus der Seele sprechen.

Wenn es wirklich gut läuft, dann gibt man Leuten Denkanstöße, die dann bestenfalls dazu führen, dass sie auch ihre Ansichten verändern, aber das ist im Normalfall nicht die Regel und das sollte man auch nicht erwarten.

Was ist deine Meinung zu den Diskussionen hinsichtlich der Übergriffe in Köln und Hamburg?

Es besteht wohl kein Zweifel darüber, dass die Übergriffe in Köln und Hamburg vollkommen inakzeptable Angriffe sexistischer Natur waren, für die es keinerlei Rechtfertigung gibt. Es ist lächerlich, wie manche nun versuchen den Frauen eine Mitschuld daran zu geben oder dass die Oberbürgermeisterin den Frauen eine Handlänge Abstand empfiehlt. Entweder spiegeln solche Aussagen die Frauenfeindlichkeit der Männer wider oder den verinnerlichten Sexismus gewisser Frauen. Aber besonders krass ist die Heftigkeit der rassistischen Reaktionen. Typen, die seit Jahren ihre oder auch andere Frauen schlecht behandeln und sich nie um Frauenrechte geschert haben, entdecken plötzlich ihre „feministische“ Ader, und zwar nicht deshalb, weil es ihnen um die Frauen gehen würde, sondern weil sie Frauen lediglich als Projektionsfläche benutzen um ihren Rassismus offen zur Schau zu stellen. Auch Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte, machen auf einmal einen eurozentrischen Unterschied zwischen den „machistischen Muslimen“, den „wilden Arabern“ und „testosterongeladenen Flüchtlingen“ – die angeblich stärker zum Sexismus neigen – und den „aufgeklärten“ und „zivilisierten Europäern“. Dieser Essentialismus ist nichts neues, aber immer wieder erschreckend, denn Klischees, Vorurteile und die Reproduktion anti-muslimischer Rassismen ersetzen dabei viel zu oft einer Analyse sozialer Umstände, die zu solchen Taten führen können.

Falls das tatsächlich überwiegend Menschen mit muslimischem Hintergrund oder Geflüchtete gewesen sind, dann muss man sich die Frage stellen, warum dies der Fall ist. Aber bevor man das tut, sollte man sich erst mal vergegenwärtigen, dass Sexismus und Patriarchat nichts neues sind, kein Problem von Muslimen, sondern von Männern im Allgemeinen darstellen und dass es auch viele weiße deutsche Männer gibt, die Frauen begrapschen und vergewaltigen. Aber über die Typen auf Mallorca, auf dem Karneval oder Oktoberfest regen sich die Menschen in Deutschland nicht so sehr auf, weil sie voller Doppelstandards stecken, so dass immer nur bei den
„Kanaken“ und „Schwarzköpfen“ die Alarmglocken angehen.

Aber wenn man über die Ursachen spricht, sollte man eines nicht vergessen. Der Alltags- und strukturelle Rassismus auf dem Arbeitsmarkt, bei der Ausbildung, in der Schule, bei der Wohnungssuche und vor der Disco, führen dazu, dass sich Asylsuchende oder Jugendliche mit muslimischem Migrationshintergrund immer stärker ausgegrenzt fühlen. Dies führt manchmal zu starken aggressiven Handlungen, einer Besinnung auf rückständige Ideologien oder zu einer nationalistischen und religiösen Identitätssuche. Gleichzeitig wird ihnen tagtäglich der Sexismus von den „Vorbildern“ in Medien und Werbung vorgelebt. Diese Jugendlichen sind also vor allem eines: Sie sind entweder Produkte der rassistischen, frauenfeindlichen und kapitalistischen Gesellschaft in der sie leben oder im Falle der Geflüchteten auch noch Opfer westlicher Interventionskriege, Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik. Das soll aber wie gesagt nicht bedeuten, dass sie keine Verantwortung für ihre abscheulichen Taten tragen, sondern nur, dass man diese kontextualisieren sollte, bevor man mit „orientalistische“ Stereotypen um sich schmeißt. Aber leider schon zu spät, denn auch die Mainstreampresse wie SZ zeigt sich ungeniert von ihrer rassistischen Seite. Selbst Heribert Prantl spricht sich für die Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen aus. Der Rassismus steckt den meisten Deutschen anscheinend noch tief in den Knochen. Und davon sind leider nicht einmal die Linken ausgenommen, wie regelmäßige Äußerungen von Oskar Lafontaine über notwendige Obergrenzen für Geflüchtete deutlich machen.

GEFÜHRT VON BEN ZIMMER