Nach SPD-Parteitag: Das Ende der Groko?

Alex Metzger

Anfang Dezember hat die SPD eine neue
Parteispitze gewählt. Dabei wurde dem neoliberalen Kurs der
Befürworter_Innen der Großen Koalition, also dem traditionell
rechten Flügel eine Absage erteilt. Eindeutig war das Ergebnis aber
nicht. Von den gerade einmal 54% der Mitglieder, die überhaupt an
der Abstimmung teilgenommen haben, schaffte es das Duo Saskia Esken
und Norbert Walter-Borjans gerade einmal auf knapp 115.000 Stimmen,
gegen die gut 98.000 Stimmen für Scholz/Geywitz. Dass das Ergebnis
trotzdem eine massive Niederlage für die etablierte Führungsriege
darstellt, ist mehr als offensichtlich. So hatten die meisten
prominenten Mitglieder der SPD, so wie die Mitglieder des
Regierungskabinetts, für die konservative Ausrichtung Stimmung
gemacht und sind damit gescheitert.

Zum Parteivize wurde Kevin Kühnert,
Vorsitzender der Jusos, gewählt. Auch er steht für einen
regierungskritischen Kurs, hat nach der Bundestagswahl eine Kampagne
gegen den Eintritt der SPD in die Bundesregierung angeführt und
konnte sich so in der Parteibasis einen Namen machen (zumindest
stimmten damals 30 % gegen den Eintritt in die Regierung, wobei die
Parteiführung sich stark dafür aussprach). Gleichzeitig zeigt er
sich versöhnlerisch und reicht dem Konservativen Flügel mit
Kommentaren wie „Ich nehme nicht wahr, dass irgendjemand in der
sozialdemokratischen Partei eine Oppositionssehnsucht in sich trägt“
die Hand. Praktisch sieht dass dann so aus, dass neben Kühnert auch
Hubertus Heil als Vize gewählt wurde. Um weiteren politischen
Kämpfen zu entgehen, wurde das Gremium kurzerhand aufgestockt.

Diese Wahl kann durchaus als
Aufforderung zu einem eindeutigen Kurswechsel der Politik der SPD
verstanden werden. Schließlich sind seit knapp 20 Jahren jene Kräfte
in der SPD an der Spitze, die sich für die unsoziale Politik der
Agenda 2010, also für Leih- und Zeitarbeit, für Hartz 4, die
Erhöhung der Mehrwertsteuer und für Kriegseinsätze ausgesprochen
haben und letztlich dafür verantwortlich, dass die SPD bei der
letzten Bundestagswahl lächerliche 20,5 Prozent einfuhr, das
schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob
die neue Führung bereit ist, gegebenenfalls den Bruch mit der großen
Koalition und damit einhergehende Neuwahlen durchzuziehen, oder ob
sie doch vor der etablierten Führungsriege der Partei kuschen und
den versprochenen Kurswechsel auf die Zeit nach der nächsten
Bundestagswahl verschieben.

„Nikolaus ist Groko aus“ ?

Auch wenn Esken und Walter-Borjans auf
der Seite der Regierungsgegner_Innen stehen, konnten sie sich bis
jetzt erfolgreich um eindeutige Aussagen über den Verbleib in der
Bundesregierung drücken. Dem unmittelbaren Austritt aus der
Regierung wurde auf dem Parteitag Anfang Dezember erstmal eine Absage
erteilt. Die flügelübergreifende Argumentation war, dass man
zunächst auf die Verhandlungen der „Halbzeitbilanz“mit der CDU
warten wolle. Je nach Ausgang wird der Austritt dann entweder
durchgezogen oder eben nicht.

Die „Halbzeitbilanz“ war ein
Kompromiss, den der linke Flügel der Gesamtpartei nach den
langwierigen Verhandlungen um die Groko abringen konnte.

Diese uneindeutige Positionierung wird
aber zumindest von einigen guten Inhalten begleitet. So machte das
neue Führungsduo mit der Forderung nach einem Mindestlohn von 12
Euro, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer und dem Ende der
„schwarzen Null“, also dem de facto Investitionsstopp der
Regierung in die soziale Infrastruktur, auf sich aufmerksam.
Weiterhin stimmte die Partei darüber ab, in Städten mit hohem
Wohnkosten Mieten für die nächsten 5 Jahre einzufrieren oder
Mieterhöhungen zumindest an das Inflationsniveau zu koppeln.

In Sachen Umweltpolitik ist auf diesem
Parteitag wenig konkretes zustande gekommen. Die Partei sprach sich
dafür aus, das Klimapaket nachzubessern. Im Leitantrag des
Parteitages wird ein sozialdemokratischer „Green New Deal“, der
einen ökologischen
Umbau der Gesellschaft sozial Verträglich gestalten soll. Ein
Auszug, der den Kern dieser Dealpolitik gut beschreibt: „Wenn wir
die Transformation richtig gestalten, wird aus ihr eine neue Phase
der Prosperität hervorgehen“, die Ausrichtung auf
Wirtschaftswachstum und den Erhalt der Profite der Industrie bleibt
immer im Blick. Letztlich werden durch staatliche
Investitionsprogrammen die Kosten für den Kampf gegen die
ökologische Krise auf die Arbeiter_Innenklasse abgewälzt. Ein
klassenkämpferischer Ansatz, der Industrie und Kapital selbst für
Ihre Krise aufkommen lässt, fehlt völlig.

Wohin der Kurs führt, wird direkt
damit zusammenhängen, ob sich der linke Flügel mit dem Austritt aus
der Regierung durchsetzt, oder ob die guten Ambitionen in faulen
Kompromissen untergehen. Indes ist eindeutig, wofür sich Medien,
aber auch die Bürokratie in den Gewerkschaften positionieren: für
die Bundesregierung, für den neoliberalen Kurs, für ein „weiter
so“, unabhängig davon, was dieser Kurs für die SPD für die
nächste Bundestagswahl bedeutet.

Wo steht die Partei?

Die SPD befindet sich in einer
historischen Krise. Neoliberale Agenda-Politik, Waffenexporte,
fehlende Solidarität in der Grenzpolitik und der militaristische
Ausbau der EU und damit auch die Militarisierung hier in Deutschland
sind in den letzten 20 Jahren von ihr mitgetragen oder sogar
initiiert worden. Die Konsequenzen, wie massive Stimmenverluste zu
den letzten Bundestagswahlen und das fehlende Vertrauen der Millionen
von Arbeiter_Innen, die unmittelbar unter der „Verarmungspolitik“
der SPD leiden müssen, sind mehr als offensichtlich.

Natürlich führt das auch innerhalb
der Partei zu massiven Bruchpunkten. Der ständige Führungswechsel
der letzten Jahre hilft dabei wenig, das Vertrauen in die Partei zu
bestärken. Im Gegenteil: Die letzten SPD Vorstände seit Sigmar
Gabriel, der die Partei mit seinem rechten Kurs von 2009 bis 2017
anführte, gab es schon 2 gescheiterte Parteiführungen, Andrea
Nahles und Martin Schulz. Beide waren weniger als ein Jahr im Amt und
mussten als Bauernopfer für die schlechten Wahlergebnisse der SPD so
wie ihren halbherzigen Linksruck herhalten.

Die Fortführung der Regierungspolitik
der SPD bei gleichzeitiger inhaltlicher Stagnation, wie es in den
letzten Jahren geschehen ist, werden dabei garantiert dazu führen,
dass die SPD in der Bedeutungslosigkeit versinkt und bei der nächsten
Wahl von der AfD und den Grünen überholt wird.

Sehenden Auges wird das von der alten
Führungsriege, dem Parteiapparat und ebenso von der DGB Führung in
Kauf genommen. So äußerten sich DGB Chef Hoffmann: „Die
Menschen brauchen Sicherheit im Wandel.“ SPD und Union müssen
gemeinsam darüber reden, „welche neuen Perspektiven in Angriff
genommen werden“

Ähnlich äußert sich IG-BCE-Chef
Michael Vassiliadis, der betont in einem offenen Brief an seine
Gewerkschaftsführung die Notwendigkeit einer funktionierenden
Regierung für den Standort Deutschland.

Auch der ver.di-Vorsitzende Wernecke bezieht sich positiv auf die
Koalition: „Die Halbzeitbilanz der Regierung kann aus Arbeitnehmer-
und Arbeitnehmerinnensicht sowie gesamtgesellschaftlich in mehreren
Punkten Positives vorweisen.“

In einem Ton mit den großen Nachrichtenhäusern, „Es wird mit
einem Wimmern enden“(Zeit), „Sozialdemokraten geben die „Mitte“
auf“(FAZ), „Gut gemacht, Genossen!“(Zeit), zerreißen sich
stellvertretend für die CDU Kramp-Karrenbauer und Merz die Mäuler.
Während AKK alle Pläne der SPD zumindest verbal sofort an sich
abprallen lässt „Wir können nicht wieder bei Null anfangen“,
hier ging’s um die Nachbesserung des Klimapakets, oder bezüglich der
Abkehr von der „schwarzen Null“: „Es mangelt doch nicht an
Geld!“. Auch im Bezug auf die 12 Euro Mindestlohn Pläne erteilte
sie eine klare Absage. Merz bleibt dabei weit unsachlicher und sieht
die Sozialdemokraten „in der letzten suizidalen Phase ihrer
Existenz als Volkspartei“ fragt weiter „Leben die eigentlich noch
in der Wirklichkeit dessen, was zurzeit in Deutschland, in Europa und
in der Welt passiert?“. Das erinnert schon eher an
Stammtischrhetorik als an einen ernstzunehmenden Kommentar.

Was sagen die Jusos?

„Nikolaus ist Groko aus“, zumindest wurde das von den Jusos
auf Ihrem letzten Bundeskongress Ende November abgestimmt. In einem
vierseitigen Grundsatzpapier erklären sie ihre Haltung zur aktuellen
Politik der SPD und ihre Vorstellungen
von einer gerechten Sozialdemokratie. Im dabei vertretenden Anspruch
setzen sie sich ein hohes Ziel:„50
Jahre nach der Linkswende der Jusos im Dezember 1969 wollen wir jetzt
die SPD auf Links wenden“, im Aufwind der studentischen Bewegung
der 60er Jahre rückten sie nach links und fanden viele
Anhänger_Innen in den mehrheitlich reformistischen Teilen der
Bewegung. So konnten sie bis in die Mitte der 70er auf 300.000
Mitglieder anwachsen (heute sind es 80.000). Was bedeutet das heute?

Mit einer linken
Ausrichtung und als Teil kämpfender Bewegungen schafften es die
Jusos Massen hinter sich zu organisieren. „Ein Bruch mit einer
Koalition, die nur unzureichende Antworten auf die großen
Zukunftsherausforderungen liefert, bietet uns damit eine Chance
diesen Abwärtstrend zu beenden.“ („Zeit für Zukunft“-Papier,
abgestimmt vom Bundesvorstand Ende November 2019). Diesen Bruch mit
der Koalition wollen sie schnellstmöglich erreichen: „Spätestens
im Jahr 2021“, also zu den nächsten Bundestagswahlen.

Wie auch schon in
der „No Groko“-Kampagne stellen die Jusos sich klar auf die Seite
des linken Flügels der SPD und reden offen über sozialistische
Transformation (kommt zwar Sozialismus drin vor, bleibt aber trotzdem
eine zahnlose Formel). Gleichzeitig heben sie die Notwendigkeit
hervor, diesen Kampf gemeinsam mit den rechteren Teilen der Partei zu
führen und verbleiben dabei in der Logik gefangen, dass in der
Politik Kompromisse gemacht werden müssen.

Anstatt selbst
einen „Green New Deal“-Vorschlag mitzutragen, müssten die Jusos
die Kapitalist_Innen auffordern, für Ihre Krise zu zahlen. Statt
gegen „sinkenden Lohnquoten“ einzustehen, könnten sie für eine
4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich einstehen. Anstatt im
Nahverkehr „hin zum ÖPNV“ zu kommen, könnten sie diesen
kostenlos für alle fordern, finanziert aus den Taschen der Reichen.

Der Parteitag der
SPD hat gezeigt, dass der alte Parteiapparat rechts von der Basis der
SPD steht. Die Mehrheiten für progressive Positionen wurden trotz
der massiven Gegenpropaganda seitens der Medien und seitens des alten
Parteiapparats errungen. Jetzt könnten die Jusos einen politischen
Kampf um Ihren Kurs unter der Bedingung führen, aus der Groko
auszutreten.

Juso-Vorsitzender
Kevin Kühnert ließ aber schon vor der Wahl zum Vize der SPD die
Luft raus: „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der
Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne
Feststellung. Auch das sollten die SPD-Delegierten bei ihrer
Entscheidung berücksichtigen.“

Aufgepasst,
Jusos! Ihr müsst Eure Führung mit einer breiten programmatischen
Kampagne der Basis dazu zwingen sich an den Beschluss über ein
schnellstmögliches GroKo-Aus zu halten! Keine Kompromisse…der
Verrat hat schon wieder begonnen!