Schulter an Schulter gegen den Faschismus – Fasizme karsi omuz omuza!

Eine Kritik am Verhalten der alevitischen Vereine bei den Protesten gegen die Türkei in Köln


VON DILARA LORIN


Nach dem Putschversuch hat sich die Türkei aufs massivste zu einem zunehmend rassistischen reaktionären militärbonapartistischen Regime unter Erdogan und seiner konservativen Partei AKP entwickelt.


Mit Hilfe der Notstandsgesetze wurden mehr als 100 Kanäle, darunter kurdischsprachige Fernsehsender, Radios und unabhängige Medien und sogar der kurdischsprachige Kindersender abgesetzt. Somit gibt es kaum noch oppositionellen und fast überhaupt keine kurdischen Nachrichten mehr, soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube werden regelmäßig geblockt und das Internet im Osten der Türkei ist extrem langsam oder fällt aus.


Des Weiteren wurden 100.000 Journalist_Innen, Akademiker_Innen, Beamte, Lehrer_Innen und demokratisch gewählte Bürgermeister_Innen und aus ihren Berufen entlassen und durch AKP- treue Vertreter direkt aus Ankara ersetzt.


Erdogan bezeichnet dies als seine „Säuberung“ und verwandelt somit die Türkei in ein Land, in dem alle Minderheiten unterdrückt, mundtot gemacht, in Gefängnisse gesteckt, gefoltert oder getötet werden. Davon betroffen sind vor allem Organisationen, Strukturen, Vereine und Parteien, die nicht dem gewünschten Bild der AKP entsprechen. In der letzten Woche wurden über 300 Vereine geschlossen, die meisten von ihnen hatten einen Bezug zur kurdischen Bewegungen oder setzten sich für Kinderrechte ein. Das Merkwürdige ist, dass sich unter diesen keiner, der in der Türkei zahlreich vorhandenen IS-nahen befindet. Somit wurde die türkische und kurdische Zivilgesellschaft komplett verboten.


Einer der größten Angriffe traf die HDP, die wichtigste fortschrittliche Oppositionspartei. Gegen 100 Abgeordnete wurde ein Haftbefehl erlassen, darunter 59 der prokurdischen Partei HDP: die Co-Vorsitzenden der demokratischen Partei der Völker (HDP) befinden sich zurzeit in Haft und auf alle erdenklichen Weisen wird ihnen diese Lage zur Hölle gemacht. Diese Woche erst wurde einer der Anwälte des Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas ebenfalls in Haft gesteckt. Er selbst befindet sich am westlichsten Zipfel der Türkei, obwohl seine Familien und seine Freunde im Osten des Landes leben. Momentan laufen etwa 100 Verfahren gegen Demitras der angeblich zu zwei Mal lebenslänglich und 486 Jahren Haft verurteilt werden soll.


Dies bedeutet nun mehr und mehr die Diktatur eines Bonaparten, die er schon Jahre vorher angekündigt hatte mit dem Satz: „Die Demokratie ist nur ein Zug, auf den wir aufsteigen.“ (1998). Für diesen Satz erhielt Erdogan eigentlich lebenslanges Politikverbot, was durch bürokratische Tricks nach dem Wahlsieg der AKP 2002 rückgängig gemacht wurde. Menschenrechte und demokratisch freiheitliche Grundsätze werden von der AKP mit Füßen getreten, darum ist es noch wichtiger gerade jetzt einheitlich gemeinsam zu agieren.


Doch schaut man sich die Proteste in Deutschland an, kann man erkennen, dass die Front gegen Erdogan zusammenbricht, statt immer stärker zu werden.


Am vergangenen Samstag (12.11.2016 ) fand in Köln eine Kundgebung, organisiert von der Alevitischen Gemeinde Deutschlands (AABF) statt, zudem unter anderem auch der Dachverband der kurdischen Vereine, NAV-DEM, aufrief, um gemeinsam gegen die Repressionen, gegen die aufkommende Diktatur des türkischen Staates und gegen die Inhaftierung der HDP Abgeordneten zu demonstrieren. Unter anderem riefen auch zahlreiche sozialistisch/linke Strukturen zur Kundgebung auf und waren auch zahlreich vertreten. Es hätte der erste Schritt in Richtung einer gemeinsamen Arbeit sein können, welche bislang zwischen der größten religiösen Minderheit in der Türkei, den Aleviten, und der wohl organisiertesten, fortschrittlichen nationalunterdrückten Minderheit im Nahen Osten, den Kurden, statt fand.
Es sollte eine Veranstaltung werden, auf der alle Gruppierungen gemeinsam ein Zeichen setzen gegen den Terror in der Türkei, doch es kam leider anders.


Als eine Genossin von REVOLUTION kurz vor Beginn der Veranstaltung am Kundgebungsort ankam, kam eine Durchsage von der Bühne aus, dass Fahnen nicht erwünscht seien.
Diese Durchsage kam von einem Stellvertreter der Alevitischen Föderation. Dies ist verwunderlich, da der alevitischen Gemeinschaft die Verteidigung freier, demokratischer Rechte sehr wichtig ist. Wieso schien es nun also nicht erlaubt, Fahnen zu tragen, die Abdullah Öcalan zeigen, welche die wohl wichtigste politische Figur für die kurdische Bewegung ist?


Es ist paradox, auf einer Veranstaltung, die sich gegen das selbst erteilte Mandat der AKP zur Errichtung einer gewaltsamen Diktatur, die mehrere Vereine zusammen bringen soll und dies ja auch geschafft hatte, nun im Alleingang, ohne dass eine Debatte oder eine demokratische Wahl einer Demoleitung gegeben hatte, die Fahnen von Organisationen und Strukturen, zu verbieten.
Leider hatte die Kundgebung keinen starken politischen Ausdruck. Es gab kaum Redebeiträge, in denen man für eine gestärkte Zusammenarbeit zwischen Alevit_Innen, Kurd_Innen und Sozialist_Innen hätte werben können. Es gab keine Lösungsvorschläge für die Lage, in welcher sich die Türkei befindet, was auch bis nach Deutschland übergreift. Erst vergangenen Dienstag, am 15.11., hat sich der Außenminister Steinmeier in der Türkei fast kritiklos dazu geäußert, als es um die Wiedereinführung der Todesstrafe ging.


In den Beiträgen fehlte unserer Meinung nach eine grundlegende Analyse der politischen Lage und eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Begriff Faschismus. Den Kurdischen Vereinen war es untersagt einen Redebeitrag auf Kurdisch zu halten, obwohl sie eine Übersetzung auf Türkisch angeboten hatten. Es wäre ihnen nur erlaubt, eine Rede ausschließlich auf Türkisch zu halten. Auf der eigenen Kundgebung also, sollten sie jene Sprache, die in der Türkei vom Staat so sehr verfolgt wird, nicht sprechen dürfen. In den Stellungnahmen der alevitischen Organisationen, wie der Jugendorganisation BDAJ (Bund der alevitischen Jugend Deutschland) wird es so dargestellt, als ob kurdische Jugendliche versucht hätten, die Kundgebung an sich zu reißen.


Es scheint so, als wolle die Führung der alevitischen Gemeinde ihre Strukturen aus der Schusslinie zu halten und zeitgleich ihrer Mitgliedschaft durch die Mobilisierung vom vergangenen Samstag ruhig stellen – ein Ventil trotz Aufrechterhaltung der Passivität. Unserer Meinung nach ist dies ein politisch schwerwiegender Fehler. Bereitet doch dieser massive Angriff auf die kurdische Bewegung auch weitere Einschränkungen gegenüber der Arbeiter_Innenklasse, den Jugendlichen und gesellschaftlich Unterdrückten vor. Mit dem Vereiteln einer Solidaritätsbewegung gegen diese Angriffe, schädigen sie das Gelingen künftiger Kampfpartner_Innenschaften. All dies aufgrund der Illusion, das Kräfte wie die EU oder die Bundesregierung, ihre demokratischen Rechte in der Türkei zu verteidigen bereit sind. Doch wer sich solche Freunde wünscht, braucht keine Feinde. Sind es doch jene Staaten, die im Zuge der Krise die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit der Türkei über deren innenpolitische Lage stellen. Für uns kann eine gemeinsame Solidaritätsbewegung nur lebendig sein, sofern sie die Freiheit der Aktion in Wort und Tat ermöglicht, nur so kann eine gemeinsame Diskussion um die Perspektiven des Widerstands gegen das Erdogan-Regime fruchtbar sein.


Als bedauernswerte Konsequenz tritt der AABF (Dachverband der Alevitischen Gemeinden Deutschland e.V.) aus dem Antifaschistischen Migrantenverband „Einheit der demokratischen Kräfte“ aus, weil sie nicht mit dem PKK Führer Abdullah Öcalan in Verbindung gebracht werden möchten. Man solle doch auf die Empfindlichkeit der Alevitischen Gemeinde Rücksicht nehmen.


Rücksicht auf eine Bewegung nehmen, die in keinster Weise demokratisch gehandelt hat, der ihre eigene Stellung wichtiger ist als der gemeinsame Kampf gegen den zunehmenden Rechtsruck möglicher Keim eines aufkommenden Faschismus, der vor allem auch sie als unterdrückte Minderheit betrifft. Wir bewerten diesen Austritt als politisch fatal, sektiererisch und in dieser Situation als vollkommen unangemessen. Es ist ein Angriff auf die kurdische Bewegung, wenn man wegen den Öcalan-Fahnen und anderen Punkten aus einem antifaschistischen Bündnis austritt, vor allem, da man zurzeit wichtigere Ziele vor Augen haben müsste, als nur in Deutschland seine Kultur leben zu können oder sich den Parlamentsparteien anzubiedern. Die Alevitischen Vereine rühmen sich sehr oft damit, dass sie eine der größten migrantischen Organisationen in Deutschland sind, doch haben bis jetzt politisch gesehen, außer ihre Kultur auszuleben, kaum etwas erreicht.


Es ist Zeit, eine antifaschistische Einheitsfront aufzustellen. Mit allen fortschrittlichen, demokratischen, kurdischen und revolutionären Strukturen, Parteien und Gewerkschaften indem man gemeinsam ein Ziel verfolgt, den Sturz des diktatorischen Regimes in der Türkei und die Selbstverwaltung der Gebiete durch die Bevölkerung. Das bedeutet hierzulande den Kampf gegen die deutsche Regierung und die EU, denn sie sind es, die die Politik der AKP stützen. Es ist die imperialistische Politik der Bundesregierung, die von diesen Ausnahmezuständen ebenfalls profitiert. Es sind deutsche Bullen, die hier auf die prokurdischen Demos einprügeln und es ist der deutsche Staat der den berechtigten kurdischen Widerstand als terroristisch Brandmarkt. Kurzum: Der Hauptfeind steht im eignen Land. Unter einer solchen Perspektive wollen wir den internationalen Widerstand organisieren.
Wir von REVOLUTION bleiben weiterhin solidarisch
mit der kurdischen Bewegung hier in Deutschland, sowie auch in Rojava und in der Türkei.


Wir stehen für eine gemeinsame Einheitsfront gegen den Erdogans sich selbst errichtendes bonapartistisches Präsidialsystem und für eine kämpferische Jugend, die die Dynamik jeder Gesellschaft bildet. Schluss mit dem Sektierertum! Es lebe der kurdische Befreiungskampf! Hoch die Internationale Solidarität!