Sexuelle Unterdrückung: LGBTIA als Fluchtursache

VON SOPHIA AMECKE, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016


Homosexualität steht in ca. 70 Ländern unter Strafe. Diese reichen von Geldstrafen über lebenslange Haft bis zu Todesstrafen. Die Todesstrafe auf Homosexualität gilt im Iran, Katar, Sudan und Saudi-Arabien, im Jemen und in Mauretanien nur für Männer und in Somalia und Nigeria nur in bestimmten Gegenden.
Doch auch in Staaten, wo Homosexualität legal ist, wie in Russland oder den Balkanstaaten, werden LGBTIA-Personen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Inter-, Asexual) oft wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Auch Misshandlung und gewaltsame Übergriffe sind an der Tagesordnung.
Das sind Gründe, die die Menschen dazu bewegen, aus ihrem Herkunftsland zu flüchten. Sie hoffen, in anderen Ländern in Frieden und ohne Angst leben zu können. Doch oft bietet die Flucht nicht das, was sich viele erhoffen. Sie sind der Homophobie anderer Flüchtlinge ausgesetzt und müssen ihre sexuelle und/oder geschlechtliche Identität verbergen. Dies ist besonders in den Sammelunterkünften mit Gemeinschaftsduschen und Gruppenschlafräumen sehr schwierig und die Betroffenen sind dauerhaftem Stress ausgesetzt.


Oft sind sie erneut von Gewalttaten betroffen. Ausreichend soziale und psychische Betreuung ist nicht gegeben.
Eine dezentrale Unterbringung mit gesonderten Unterkünften wäre wünschenswert, um den nötigen Schutz zu gewährleisten. Berlin ist diesbezüglich ein Vorreiter, aber leider auch eine Ausnahme. Bis Mitte Februar ist ein LGBTIA- Flüchtlingsheim mit 120 Plätzen in Planung. Bisher steht allerdings noch kein Gebäude zur Verfügung. Weder Mietvertrag noch der Betreibervertrag mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) waren indes bis zum 31.1.2016 unterschrieben. Die Unterbringung ist besonders wichtig, da sich Asylanträge über Jahre hinweg hinziehen können. Das Berliner Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) berichtet von 95 seinen Mitarbeiter_Innen bekannt gewordenen Fällen verbaler, körperlicher oder sexualisierter Attacken. Zudem habe es seit April bei 19 von 34 Ämterbegleitungen Beleidigungen durch Dolmetscher_Innen oder Wachpersonal gegeben. LesMigraS, der Antidiskriminierungsbereich der Berliner Lesbenberatung, erklärt, dass handfeste „körperliche Gewalt in den Heimen eher selten“ sei. In den Unterkünften herrsche eine „Atmosphäre der Resignation“. Saideh Saadat-Lendle von LesMigraS schildert den Fall eines jungen homosexuellen Afrikaners, der in der Unterkunft befummelt und verhöhnt worden sei.


Er erduldete diese Übergriffe aus Angst, dass seine Familie von der Homosexualität erfahren könne. „Ein Transmann, also eine Frau, die körperlich ein Mann werden wolle“, wollte sich aus Angst, in der Unterkunft angegangen zu werden, umbringen, weil die vor der Flucht nach Deutschland begonnene Hormontherapie hier abgesetzt wurde – aus Gründen, die dem bürokratischen Asylverfahren geschuldet sind, wie u.a. dem eingeschränkten Zugang zum deutschen Gesundheitswesen (ND, 1.2.2016).
Die Bewilligung des Antrags ist dann eine Einzelfallentscheidung, die oft sehr willkürlich ausfällt. Verfolgung aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität ist zwar ein Grund für Asyl, die bloße strafrechtliche Verfolgung auf dem Papier in dem jeweiligen Land reicht jedoch nicht aus. Die Antragsteller_Innen müssen nachweisen, dass sie auch abweichend von der allgemeinen Lage verfolgt wurden. Doch das glaubwürdig zu beweisen ist nicht leicht, wenn in ihren Herkunftsländern LGBTIA-Begehren und LGBTIA-Identitäten sowie der offene Umgang damit tabuisiert sind. Oft wird ihnen unterstellt, die Unwahrheit zu sagen, um ihre Chancen auf Asyl zu erhöhen.


Ein weiteres Problem sind die Richter_Innen, die sich oft von Vorurteilen leiten lassen. Sieht der oder die Betroffene nicht wie ein/eine Homosexuelle/r aus, wird ihr oder ihm nicht immer geglaubt. Häufig müssen sich die Betroffenen von sogenannten „Gutachtern“ auf die „Qualität ihrer homosexuellen Neigungen“ überprüfen lassen. Ist nach Ansicht der Gutachter_Innen ein „Ausweichen auf eine heterosexuelle Lebensweise“ möglich, wird kein Asyl gewährt. Einige Flüchtlinge trauen sich nicht einmal, ihren wahren Fluchtgrund anzugeben. Dies kann zum einen daran liegen, dass sie nicht über die gesetzliche Lage in Deutschland informiert sind. Sie befürchten, dass ihnen auch hier Strafe droht. Ein anderer Grund dafür ist die Angst, die Dolmetscher_Innen aus ihrem Heimatland könnten sie an die dortige Regierung verraten, weil sie oft mit den Botschaften der Herkunftsländer zusammenarbeiten. Falls der Antrag dann abgelehnt würde, würde ihnen eine hohe Strafe drohen.


Deshalb fordern wir:


  • dezentrale Unterbringung für ALLE Geflüchteten
  • sensiblen Umgang in der Unterbringung für die besonderen Bedarfe von LGBTIA
  • ausreichende soziale, psychologische und medizinische Betreuung in den jeweiligen Herkunftssprachen der/des Einzelnen
  • rechtliche Unterstützung bei LGBTIA Themen
  • Sensibilisierung und Schulung aller Helfer_Innen und Mitarbeiter_Innen.