Stimmungslage auf dem Oranienplatz – eine Impression nach dem Spaltungsversuch der Landesregierung

oranienplatz#1Anfang der Woche wurde von Sprecher_innen der CDU, SPD und Grünen dem Refugee-Camp am Oranienplatz ein Vorschlag unterbreitet, der zur Lösung des Konflikts beitragen soll. In der Realität geht der Senat jedoch auf keine der ursprünglichen Forderungen der Refugees ein. Die zentralen Punkte dieses „Angebots“ sind die erneute Prüfung der Asylanträge, eine Duldung für diesen Zeitraum, Deutschunterricht und die Anerkennung der Berufsausbildungen. Jedoch muss dies mit offiziellen Dokumenten nachgewiesen werden. Diese Schritte werden aber nur eingeleitet, wenn die Geflüchteten die Zelte und Hütten auf dem O-Platz selbstständig abbauen und gemeinsam in ein vom Senat ausgewähltes Haus in Berlin-Kreuzberg ziehen.

Die Berliner Zeitung schrieb, dass nur 27 von 467 eingetragenen Refugees keinerlei Vorteile aus diesen Verhandlungen ziehen könnten und 80% der Bewohner_innen des O-Platzes und der besetzten Gerhart Hauptmann Schule diesem Vertrag zustimmen würden. Um uns selbst einen Eindruck von der Lage zu verschaffen, waren wir heute auf dem O-Platz und haben uns mit einem der 9 Sprecher_innen unterhalten, die für die Verhandlungen mit dem Senat delegiert sind.

Er stellte zunächst richtig, dass acht von 9 Delegierten den Vorschlag ablehnten. Die Zeitungen berichteten fälschlicherweise von zwei bis vier von insgesamt 6 bis 7 Delegierten, die dem Vorschlag angeblich zugestimmt hätten. Allein diese Tatsache zeigt, wie unglaubwürdig die aktuelle Medienkampagne gegen den Oranienplatz ist. Das Ziel dieser Desinformation ist es die Bewegung zu spalten – in diejenigen, die nach monatelangem Protest keine Energie mehr haben, und diejenigen, die weiterhin für die ganze Gruppe kämpfen wollen.

oranienplatz#2Außerdem, so wurde uns berichtet, seien es weitaus mehr als nur 27 Menschen, die ohne Papiere auf dem Platz sind und deshalb kein Asylverfahren bekommen. Der Delegierte war bestürzt darüber, wie die Zeitungen lügen. Die fortschrittlichste Forderung nach dem Recht auf Arbeit und der einzigen Chance, sich in die Gesellschaft zu integrieren, werde weiterhin ignoriert. Er betonte, es sei egal wo man wohne, solange man abhängig von den Almosen des Senats sei.

Der Fakt, dass die ursprüngliche Hauptforderung „Bleiberecht für alle“ nicht mehr diskutiert werde, wie er berichtete, drückt aber unserer Meinung nach auch die Schwäche und die damit einhergehende Defensive der aktuellen Bewegung aus. Vor einigen Tagen gab es ein Treffen aller Camp-Bewohner_innen, auf dem deutlich wurde, dass viele gegen den Vertrag seien, da für sie keine Verbesserungen entstehen würden und die Räumung des Camps, die übrigens durch die Refugees selbst organisiert werden soll, einen Rückschritt für die Protestbewegung darstellt.

Der Grund – aus dem der O-Platz besetzt wurde – war, dass die Umstände, unter denen geflüchtete Menschen in Deutschland leben müssen, öffentlich angeprangert werden. Man wollte die Diskussion darum aus den Lagern in den Kiez bringen, der Senat will sie wieder hinter verschlossene Türen verbannen. Lediglich das Infozelt soll vorerst geduldet bleiben. Der Vorschlag des Senats ist ein trojanisches Pferd mit dem Holzkopf Henkel in seinem Inneren und trägt die gesellschaftliche Spaltung in den Oranienplatz. Womöglich werden dadurch sogar physische Auseinandersetzung beim Abbau des Camps provoziert. Die herrschende Klasse tut das, was sie am besten kann: teilen und herrschen. Vollkommen richtig sagte uns der Delegierte „Erst wenn alle Refugees mit den Verhandlungen einverstanden sind, räumen wir den O-Platz!“

Sie freuen sich über jede Form von Solidarität und wollen am 22.03., 16 Uhr, U Bahnhof Turmstraße, an der Antirepressionsdemo teilnehmen, da sie sich als Teil der betroffenen Unterdrückten sehen.

Welche Perspektive, welche Organisierung braucht die Bewegung?

Unserer Meinung nach darf das Camp nur abgebaut werden, wenn alle Bewohner_innen mit dem Vertrag einverstanden sind. Trotzdem sehen wir es kritisch, wenn für rund 500 Geflüchtete kurzfristig Verbesserungen erreicht werden, während zehntausende weiterhin unter dem strukturellen Rassismus leben und hunderttausende vor den Grenzen sterben, in Hunger, Krieg und Krise. Das Camp ist zu einem Symbol dieses Widerspruchs geworden, aber die Forderungen können nur dann erfüllt werden, wenn der Protest sich mit anderen sozialen Kämpfen verbindet. Vor allem brauchen wir die Einheit der unterschiedlichen linken Kräfte die diese Bewegung unterstützen und aufrecht erhalten, nur so kann ein gemeinsamer Gegenangriff gegen die Zuspitzung von Seiten des Senats und gegen die Krise in der die Bewegung steckt geführt werden. Dies soll und kann jedoch nicht die alleinige Aufgabe der Refugees sein, sondern ist eine Aufgabe der ganzen Linken und letztlich der Arbeiterbewegung, die politisch für diesen Kampf gewonnen werden muss.

oranienplatz-grafikDie Konsequenz der politischen Praxis eines Teils der eher anarchistisch oder libertär geprägten „Supporter“, die den politischen Kampf um die Gewinnung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften für die politischen Forderungen der Flüchtlinge verweigern und die Isolation der Bewegung damit zementieren, zeigt sich nun auf dramatische Weise. Denn die Verleumdungskampagnen der Regierung und der Medien können nur gebrochen werden, wenn nicht nur ein kleiner Kreis aus Aktivist_innen – wenn auch mit aufopferungsvoller Arbeit – dem entgegenwirkt. Auch die zentralen Forderungen der Refugees werden nur durch die Überwindung der Spaltung in Refugees und „deutsche Arbeiter“ umgesetzt werden können. Will man das erreichen, kann man allerdings die gegebenen Organisationen der Arbeiterbewegung – auch wenn man ihre aktuelle politische Führung ablehnt – nicht umgehen. Man muss stattdessen einen konsequenten Kampf um sie und in ihnen führen, um ihre Basis für die Berechtigten Forderungen ihrer geflüchteten Brüder und Schwestern zu gewinnen. Wir schlagen deswegen allen Initiativen, Organisationen, Aktivist_innen und solidarischen Gewerkschafter_innen eine gemeinsame Gegenkampagne in Form von einem gemeinsamen Flugblatt, Veranstaltungen und Ständen in allen Stadtteilen Berlins vor, die sich direkt an die Bevölkerung wendet, um über die aktuelle Situation aufzuklären. Eine erste gemeinsame Initiative könnte der Aktionstag, der vom Refugee Schul- und Unistreikbündnis, an dem auch wir uns beteiligen, am 4. April organisiert werden soll, um Schüler_innen über die Probleme und Ziele der Refugees aufzuklären.

Das Ergebnis einer solchen Kampagne würde im besten Fall die bessere Vernetzung, letztlich ein berlinweites Aktionsbündnis aller Initiativen, die aktuell viel zu oft nebeneinander her arbeiten, sein, die in Richtung des 17 Mai in Berlin eine Großdemonstration zum Beginn des „Marsches nach Brüssel“ organisieren.

Letztlich müssen natürlich die Flüchtlinge am Oranienplatz selbst entscheiden, ob sie den Oranienplatz weiter besetzen und welche Kompromisse sie bereit sind einzugehen. Die gesamte Linke sollte sich aber dazu aufgefordert sehen ihre eigenen Standpunkte, taktische und strategische Überlegungen fernab persönlicher Gepflogenheiten zu artikulieren und sie gemeinsam mit den Flüchtlingen zu diskutieren. Auch wenn man sich in gewissen Fragen einmal uneinig sein sollte. Die Aussage, dass eine solche breite und offene Debatte „bevormundend“ gegenüber den Flüchtlingen sei, hilft der Bewegung und auch den Flüchtlingen nicht. Ganz im Gegenteil, es führt zur Stagnation und Isolierung der politischen Entwicklung am Oranienplatz und in der Ohlauer-Straße. Sollte die Bewegung auf diese zentralen Fragen keine Antwort finden, dann wird sie ernsthafte Schwierigkeiten bekommen – möglicherweise auch scheitern.

1922034_488120451297142_307615973_nDoch das Potential für Solidarität und eine breite Bewegung gegen die reaktionären Asylgesetze und den gesellschaftlichen Rassismus gibt es. Das haben die Großdemonstrationen von Hamburg bis Berlin gezeigt. Es muss nur politisch nutzbar gemacht werden.

Ein Artikel von Svenja Spunck und William Reed, REVOLUTION-Berlin