Care-Arbeit: Eine unsichtbare Form patriarchaler Gewalt?

Von Erik Likedeeler, November 2023

Im Zuge des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen wollen wir uns nicht nur die offensichtlichen Formen von patriarchaler Gewalt anschauen, sondern auch das Verhalten, das erst auf den zweiten Blick als Gewalt erkennbar ist. Beispielsweise kann der lebenslange Zwang zur Care-Arbeit, unter dem proletarische Frauen stehen, als eine Form der Gewalt betrachtet werden – genauso wie sämtliche Strategien, die Männer anwenden, um sich vor dieser Arbeit zu drücken. In diesem Artikel wollen wir uns anschauen, welches Verhalten in Bezug auf Care-Arbeit in heteronormativen Beziehungen, Ehen und Familien vorherrschend ist und welche schädlichen Folgen das mit sich bringen kann.

Wer trägt die Verantwortung im Haushalt?

Wenn Frauen ihren Partnern mitteilen, dass diese zu wenig im Haushalt arbeiten, bekommen sie häufig folgende Antwort: „Du hättest mich einfach fragen müssen.“ Doch wenn jemand erwartet, dass man ihm Aufgaben überträgt, dann weigert er sich, seinen Teil der Planung und Verantwortung zu übernehmen.

Denn das Organisieren von Care-Arbeit, auch Mental Load genannt, ist bereits ein Vollzeit-Job. Es ist keine gerechte Aufteilung gewährleistet, wenn eine Person die gesamte Planung macht und die Arbeit selbst dann auch nochmal 50/50 aufgeteilt wird. In seinem eigenen Haushalt „hilft“ man nicht – man macht einfach seine Aufgaben.

Das Wegschieben der Verantwortung zeigt sich zum Beispiel dann, wenn Männer nur mit Schlüssel und Handy aus dem Haus gehen, während Frauen in ihrer Tasche alles mitschleppen, was sie selbst, der Mann, das Baby oder der Hund potentiell brauchen könnten. Männer machen sich gern darüber lustig, dass Frauen so „kompliziert“ seien und alles tausend Mal überdenken würden. Die Wahrheit ist: Frauen sind dazu gezwungen, gedanklich alle möglichen Katastrophen durchzuspielen, weil sie die Verantwortung für so vieles tragen müssen und Männer sich keine Mühe machen, ihnen diese Last abzunehmen.

Zudem zeigt sich die Tendenz, dass Männer das überschätzen, was sie im Haushalt tun. Viele von ihnen glauben, sie würden mehr machen als das, was sie eigentlich leisten. Sie nehmen den Haushalt als gleichberechtigt aufgeteilt wahr, doch das können nur die wenigsten Frauen bestätigen.

Emotionale Arbeit ist Care-Arbeit

Teil der Care-Arbeit ist auch die emotionale Arbeit, also alle unsichtbaren Aufgaben, die mit Rücksicht, Einfühlung und Empathie zu tun haben. Dazu gehören zum Beispiel Streitschlichten, ein Geschenk besorgen, einen Ausflug organisieren, bei Problemen zuhören, ein Zimmer schön dekorieren, eine Massage geben oder jemanden trösten.

Emotionale Arbeit lässt sich schwer messen und vergleichen, weil sie nicht wie Care-Arbeit in einer bestimmten Zeit geleistet wird, sondern immer im Hintergrund existiert. Wenn man sich über fehlende emotionale Arbeit beschwert, fühlt man sich schnell, als würde man übertreiben, da es ja nur um „kleine Dinge“ geht, die man halt mal „aus Nettigkeit“ macht.

Die Feststellung, dass es häufig Frauen sind, die diese Aufgaben übernehmen, wird von Männern oft so gekontert, dass ja niemand Frauen dazu zwingen würde, emotionale Arbeit zu leisten, dass sie das quasi freiwillig machen würden und einfach damit aufhören könnten.

Aber ist es nicht ein erschreckender Gedanke, dass manche Männer lieber in einer Welt ohne intime Gespräche und Geburtstagskuchen leben würden, als sich selbst darum zu kümmern?

Antrainierte Zuständigkeit

Ob man sich für bestimmte Aufgaben zuständig fühlt oder nicht, hängt natürlich nicht mit irgendwelchen Körperteilen, Hormonen oder angeborenen Fähigkeiten zusammen, sondern damit, ob einem vermittelt wird, dass man für eine Aufgabe zuständig ist.

Es gibt den sogenannten Priming-Effekt: Wenn wir einen bekannten Gegenstand sehen, wird unser Gehirn geprimet, also darauf vorbereitet, ihn schneller zu erkennen, weil eine Verbindung zwischen dem Gegenstand und unserem Gedächtnis hergestellt wird. Ein Gegenstand, den wir schon mal gesehen und benutzt haben, ist uns vertraut und wir können ihn schneller erkennen. Wir haben ein mentales Bild davon in unserem Gedächtnis eingespeichert und das Gehirn benötigt weniger Zeit, um Informationen darüber zu verarbeiten.

Das führt uns zur sogenannten Affordanz-Auffassung: So wird es genannt, wenn wir eine Situation wahrnehmen und darin eine Aufgabe erkennen, die erledigt werden muss. Bei Jungs und Männern bildet sich durch die Sozialisation ein unerfahrener Blick auf Haushaltsgegenstände und Care-Arbeit heraus. Eine Ratlosigkeit, aber auch die Unfähigkeit, zu erkennen, dass man gerade etwas machen sollte – häufig in Kombination mit dem arroganten Glauben, dass es ja gar nicht sein könnte, dass man etwas nicht auf den ersten Blick erfasst.

Wenn man im gemeinsamen Haushalt einen vollen Wäschekorb sieht, reicht es also nicht, zu denken: „Ah, ein Wäschekorb“. Sondern es muss der Gedanke einsetzen: „Ich sollte die Wäsche waschen, am besten gleich heute.“

Unterschiedliche Standards oder ästhetische Arbeit?

Leider haben Männer sich zahlreiche Strategien und Ausreden angeeignet, um in ihrer  Bequemlichkeit auszuharren. Diese zu entlarven ist ein wichtiger Schritt, um sie zur Verantwortung ziehen zu können.

Ein beliebter Trick, um sich aus der Care-Arbeit herauszuwinden, ist es, unterschiedliche Standards vorzutäuschen. Wer kennt es nicht?  Männern ist es halt einfach „nicht so wichtig“, dass das Bett alle paar Wochen bezogen wird oder der Abfluss gereinigt wird. Sie haben halt „nicht so hohe Standards“. Aber wieso kann es Männern eigentlich egal sein, wenn sie in einem Drecksloch hausen?

Das liegt zum Beispiel daran, dass sie für diese Nachlässigkeiten nicht befürchten müssen, gesellschaftlich abgestraft zu werden. Frauen hingegen müssen viel öfter erleben, dass vorwurfsvolle Kommentare zur unordentlichen Wohnung an sie gerichtet werden. Scham und Schuld bleiben an ihnen hängen.

Denn spätestens seit der bürgerlichen Revolution gehört auch die ästhetische Arbeit zum weiblichen Rollenbild. Der Haushalt soll nicht nur praktisch geführt werden, sondern auch repräsentativ. Als „Angel in the House“ hat die Frau nicht nur essbare Mahlzeiten zu kochen, sondern liebevoll zubereitete Menüs. Sie soll nicht nur kurz den Boden fegen, sondern schicke Teppiche besorgen und diese aufwändig reinigen.

In den letzten Jahren ist auch noch die Anforderung des „nachhaltigen Konsums“ obendrauf gekommen, denn auch dieser ist mit weiblich konnotierter Care-Arbeit verbunden: Hauptsächlich Frauen waschen Stoffwindeln, stecken Zeit und Energie in die Auswahl der „richtigen“ Produkte, um eine pflanzliche Ernährung zu gewährleisten oder Dinge selbst herzustellen, die man einfach fertig kaufen könnte.

Inkompetenz ist kein Zufall

Eine weitere Strategie ist die Weaponized Incompetence oder auch strategisch eingesetzte Inkompetenz. Diese liegt vor, wenn jemand die Tatsache, dass er eine Aufgabe im Haushalt nicht beherrscht, als Ausrede benutzt, um sie jemand anderen machen zu lassen. Oder auch, Dinge gar nicht erst zu lernen, weil sie ja sowieso jemand anders übernimmt und man es eh nur falsch machen würde.

Diese Weigerung, dazuzulernen, kommt Frauen teuer zu stehen: Sie verbringen durchschnittlich 3 Stunden pro Woche damit, Arbeiten noch einmal auszuführen, die eigentlich ihrem Partner zugeteilt waren. Das Gespräch, in dem man Männern mitteilen muss, dass sie nicht gut genug waren, ist oft anstrengender, als die Arbeit selbst zu machen.

Als Paternal Underperformance wird es bezeichnet, wenn Männer, insbesondere Väter, Aufgaben absichtlich in den Sand setzen, einfach nur, damit sie beim nächsten Mal nicht mehr danach gefragt werden. Gern stellen sie sich als ein Opfer ihrer eigenen Sozialisation dar, weil sie nie beigebracht bekommen haben, wie man einen Backofen anschaltet oder den Boden wischt.

Der „Idiot Dad“ ist zu einer richtigen Kulturtechnik geworden. Aber ist es nicht eigentlich erbärmlich, wenn Frauen ihren Ehemann als ein „zusätzliches Kind“ bezeichnen, oder wenn Väter so tun, als wüssten sie nicht, wann ihr Kind Geburtstag hat oder wie man es wickelt?

Kein lustiges Klischee, sondern Gewalt

In diesem Verhalten kann man wirklich nur dann Unterhaltungswert sehen, wenn man nicht selbst darunter leidet und sämtliche Fehler ausbaden muss. Es handelt sich bei dieser Arbeitsverweigerung nicht um eine sympathische, gemütliche Faulheit oder Entspanntheit, sondern um psychische Gewalt. Die bittere Realität zeigt sich anhand einer Studie aus den USA, wo 21% der Männer ihre Frau verlassen, wenn diese schwerkrank ist. Umgekehrt sind es nur 3% der Frauen.

Außerdem hat die sich ständig wiederholenden Aufgaben Einfluss auf die geistige und körperliche Gesundheit. Personen mit repetitiven Aufgaben neigen stärker zu geistiger und körperlicher Ermüdung. Außerdem können Stress und Angstzustände sich verstärken. Ein Mangel an Abwechslung führt zu Langeweile, Unruhe und Unzufriedenheit. Es ist ein sich selbst verstärkender Prozess aus Leistungsabfall und Erschöpfung. Ebenso kann der ausgeübte Druck, der Rolle als Mutter oder Hausfrau zu entsprechen, eine explizit ausgeübte Form der psychischen Gewalt sein.

Care-Arbeit ist ein Skill!

Natürlich darf der Diskus über Care-Arbeit nicht damit enden, dass diese einfach nur als nervig, unnütze und überflüssig abgewertet wird. Nicht jede Care-Arbeit ist intellektuell einfach. Auch im Haushalt gibt es komplizierte Aufgaben, wie zum Beispiel Feiertage planen oder im Supermarkt Preise vergleichen und ausrechnen, ob das Geld bis zum Ende des Monats reicht. 

Zudem birgt Care-Arbeit einige Gefahren: Als Pfleger_In hebt man teils schwerere Gewichte als auf der Baustelle und setzt sich multiresistenten Keimen aus. Beim Putzen kommt man mit toxischen Substanzen in Berührung, die zu Atemproblemen, Hirnschäden und Krebs führen können – doch auch körperliche Folgen von Care-Arbeit werden kaum anerkannt.

Natürlich kann man den Haushalt jetzt immer noch nervig finden. Aber noch nerviger ist es, wenn man ihn komplett allein machen muss – und wenn man als zickig und nörgelnd abgestempelt wird, nur weil man Beteiligung einfordert. Denn ausschließlich im Haushalt gilt man als pingelig, überkorrekt oder hat einen „Fimmel“, wenn man ihn richtig macht und sich Mühe gibt. Bei allen anderen Themen von Technik bis Finanzen hingegen gilt Genauigkeit als ein nützlicher Skill.

Weiblich kategorisierte Arbeit darf hingegen niemals als Skill gelten, der gelernt werden muss – sonst müsst ja als nächstes die Anerkennung erfolgen. Nach wie vor gilt Wissen über Care-Arbeit nicht als richtiges Wissen, so wie auch das ganze Thema als „Frauenthema“ gilt, welches mit „richtiger“ Politik nichts zu tun hätte.

Der unabhängige Mann: Ein Mythos

Dabei ist es Care-Arbeit, welche die gesamte Gesellschaft am Laufen hält. Immer noch hält sich die gesellschaftliche Vorstellung eines unabhängigen männlichen Künstlers, Wissenschaftlers, Herrschers oder Sportlers. Ein self-made Millionär, ein einsames Genie. Was unsichtbar bleibt, ist, dass all diese männlichen „Helden“, egal ob Berthold Brecht oder Karl Marx, im Hintergrund Frauen hatten, die ihre Termine verwaltet haben, ihre Entwürfe Korrektur gelesen haben und ihnen das Klo geputzt haben, teilweise auch für wichtige Erkenntnisse in ihren Werken verantwortlich waren und dafür nie Anerkennung bekommen haben.

Care-Arbeit und Mental Load hindern Frauen daran, eigene Arbeiten zu veröffentlichen. Das hat sich während der Corona-Lockdowns verstärkt gezeigt, als die wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Frauen um 30% zurückgingen.

Warum ist Care-Arbeit überhaupt privatisiert?

Diese strikte Rollenaufteilung ist natürlich kein Zufall, genauso wenig, wie sie sich auf irgendeine steinzeitliche Jäger_Innen-Sammler_Innen-Gesellschaft zurückführen lässt. Vielmehr liegt die Ursache in der Klassengesellschaft. In marxistischen Theorien wird Care-Arbeit auch als Reproduktionsarbeit bezeichnet, denn sie dient dazu, die Arbeiter_Innen wieder fit für einen weiteren Arbeitstag zu machen.

Bei der Reproduktionsarbeit wird allerdings kein Mehrwert erzeugt, den Kapitalist_Innen für sich selbst einstreichen könnten. Weil sie also kein Interesse daran haben, die Kosten für die Care-Arbeit zu tragen, wird diese in die Privathaushalte ausgelagert. Um diesen Zwang zu festigen, bildete sich die bürgerliche Kleinfamilie heraus, bestehend aus den Kindern, der Mutter als Zuständige für den Haushalt und dem Vater als Familienoberhaupt.

Wenn Frauen durch sozialen Druck und Gewalt eine feste Zuständigkeit dafür aufgedrückt wird, bedeutet das im Umkehrschluss, dass Männer mehr Lohnarbeit leisten können, was den Kapitalist_Innen mehr Gewinn gibt. Sozialleistungen werden insbesondere in wirtschaftlichen Krisen gekürzt, um Frauen im Privathaushalt die Kosten tragen zu lassen. Gleichzeitig verdienen Frauen durch diese Doppelbelastung meist weniger und sind somit vom Einkommen ihres Partners abhängig.

Aus der Care-Arbeit herauskaufen können sich nur bürgerliche Frauen, welche für diese Aufgaben proletarische Frauen anstellen. So sind die Global Care Chains entstanden, bei denen z.B. osteuropäische Frauen nach Westeuropa kommen, um unter miserablen Arbeitsbedingungen und für einen Hungerlohn Care-Arbeit für andere verrichten.

Die bürgerliche Familie abschaffen!

Unsere Vorstellung davon, wie Care-Arbeit gerecht aufgeteilt werden kann, sieht völlig anders aus. Natürlich ist es wichtig, dass Männer lernen, endlich ihren Anteil zu übernehmen, aber am Ende bleiben wir damit immer noch von ihrer individuellen Motivation abhängig.

Damit das nicht so bleibt, müssen wir die bürgerliche Familie abschaffen und die Care-Arbeit vergesellschaften. Durch den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung und die Einführung von gemeinsamen Wäschereien und Kantinen können wir der Isolation entgegenwirken. Auch eine massive Investition in das Gesundheitssystem ist nötig, um die Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen zu entlasten.

Diese Vergesellschaftung kann nur durch eine soziale Revolution erreicht werden. Die Kontrolle über Lohn und Arbeitsbedingungen muss bei den Arbeiter_Innen liegen, welche diese Beschlüsse in Räten umsetzen. Nur so ist es möglich, sich von dem ausbeuterischen und gewaltvollen System der privatisierten Care-Arbeit zu verabschieden.




Geschlechterrollen, Familienideal & Kommodifizierung: Sind Liebe und Sexualität im Kapitalismus unterdrückerisch?

Von Leonie Schmidt, Februar 2023

Heute, am 14. Februar, wird vielerorts der Valentinstag gefeiert, an dem sich Pärchen gegenseitig beschenken oder einander auf viel zu teure Dates in noble Restaurants einladen. Manche beschließen von vorneherein, da nicht mitzumachen, weil sie schon ein Bauchgefühl haben, dass die Kommerzialisierung von zwischenmenschlichen Beziehungen befremdlich ist. Manche Feminist_Innen kritisieren, dass cis Männer lieber Blumen verschenken, anstatt den Gender Orgasm Gap zu schließen, welcher sich auf die Tatsache bezieht, dass Frauen in heterosexuellen Beziehungen um einiges seltener zum Orgasmus kommen als ihre Partner. Häufig wird suggeriert, die 68er Bewegung hätte die Sexualität befreit und jede_r dürfte sowieso jede_n lieben.  Doch nicht nur am Valentinstag sind Liebe und Sexualität eng mit dem Kapitalismus verwoben. Sie sind nicht frei von unserer Gesellschaftsordnung, und erfüllen im Kapitalismus bestimmte Funktionen, Das wollen wir uns in diesem Artikel näher anschauen.

Liebe und Sexualität sind nicht frei

Beginnen wir mit der Grundlage: Während unserem Sozialisierungsprozess wird uns beigebracht, das höchste aller Ziele wäre eine monogame, heterosexuelle Paarbeziehung, aus welcher bestenfalls eine Familie mit Kindern wird. Diese Idee manifestiert sich in den Medien, im Freund_Innenkreis, und wenn die Großeltern nachbohren, ob man denn endlich in einer Beziehung sei. Auch, wenn wir anfangen, einen Menschen interessant zu finden, kommt von allen Seiten die Erwartung auf, dass diese Gefühle in etwas ‚Handfestem‘ resultieren müssen. Dieses Ideal ist ausschließend für alle, die es nicht erfüllen können oder wollen, zum Beispiel LGBTIA+ Personen, insbesondere Personen auf dem asexuellen und aromantischen Spektrum. Aber auch polyamoröse Personen und alle, die noch nicht die ‚richtige‘ Person gefunden haben, werden unter Druck gesetzt.

Zu diesem Ausschluss kommen noch Erwartungen an alle Personen in Form von Geschlechterrollen. Diese sind gesamtgesellschaftlich vertreten, aber besonders im Bereich der Romantik und Sexualität anzutreffen. Dazu gehören zum Beispiel die Annahme, Frauen müssten beim Sex immer frisch rasiert sein, oder das Narrativ, Männer wären genervt, wenn Frauen sie zu sehr kritisieren. Besonders perfide sehen wir Rollenerwartungen bei Schönheitsidealen, durch die gerade Frauen extrem viel Geld ausgeben müssen, um an ein unerreichbares Ideal heranzukommen. Außerdem herrscht maßgeblich unter Frauen ein starker misogyner Konkurrenzkampf, der einige dazu bringt, sich mithilfe von Abwertung und Selbstvermarktung über vermeintliche Gegenspielerinnen zu erheben.

Bürgerliche Sexualmoral

Auch die bürgerliche Sexualmoral sorgt dafür, dass Liebe und Sexualität im Kapitalismus nicht frei sind, sondern prüde und moralisierend. Über Sexualität darf zwischen Sexualpartner_Innen kaum offen gesprochen werden. Die meisten Äußerungen müssen aus ironischer Distanz heraus erfolgen, da ehrliche Bekenntnisse zu Slutshaming führen können. Im schulischen Aufklärungsunterricht geht der Inhalt über einfache, teils falsche Beschreibungen der Vorgänge und knappe Erklärungen klassischer Verhütungsmethoden nicht hinaus. Außerdem geht die bürgerliche Sexualmoral davon aus, dass es eine normale, brave, heterosexuelle und monogame Sexualität gäbe, welche sich von einer anormalen und perversen Sexualität grundlegend unterscheiden würde. Diesen Gegensatz sieht man zum Beispiel im Madonna-Hure-Komplex. In der psychoanalytischen Literatur wird mit diesem Begriff beschrieben, dass cis Männer gewisse sexuelle Praktiken nicht mit ihrer Ehefrau oder Freundin ausführen können, oder sie gar nicht erst begehren können. Hingegen können sie sie mit einer Frau umsetzen, mit der sie nicht in einer romantischen Beziehung stehen, und die sie erniedrigen dürfen, oftmals eine Prostituierte. Das geht damit einher, dass die eigene Frau als unschuldige Heilige vergöttert wird. Diese Teilung der Frauen nach ihrer Funktion existierte bereits im antiken Griechenland, wo eine Dreiteilung vorherrschte: Es gab die Ehefrau, zuständig für Haushalt und Familie, die Frau für die romantische Liebe und die Frau für die sexuelle Befriedigung. Wie Engels schon beschrieben hat, sind das Ideal der bürgerlichen Familie mitsamt braver Sexualität und die Nachfrage von Prostitution unmittelbar miteinander verknüpft.

Das Ideal der bürgerlichen Familie

Was ist überhaupt das Ideal der bürgerlichen Familie? Dieses hat sich über die Geschichte der Menschheit hin entwickelt. Früher, in der sogenannten Urgesellschaft, gab es keine monogam lebende Familie, bestehend aus Mutter, Vater und Kindern. Stattdessen gab es einen Stamm ohne monogame Einschränkung und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Sowohl Männer als auch Frauen waren an der Jagd beteiligt, während Alte, Kranke und Schwangere sich um das Aufziehen der Kinder und um den ‚Haushalt‘ kümmerten. Erst mit der Entstehung des Privateigentums aufgrund von gestiegener Produktionskraft differenzierte sich die monogame Ordnung heraus. Es entstand ein Überschuss, mit dem gehandelt werden konnte, und irgendwie musste die Frage des Erben geklärt werden.

Heutzutage ist das Ideal der bürgerlichen Familie dafür da, die Reproduktion der Ware Arbeitskraft ins Private zu drängen. Die Reproduktionsarbeit bezieht sich sowohl auf die Produktion neuer Arbeiter_Innen durch die Kindererziehung, als auch auf die Regeneration der bereits vorhandenen Arbeiter_Innen durch Care-Arbeit, bestehend zum Beispiel aus Nahrungsaufnahme. Frauen werden in diese unbezahlte Arbeit hineingedrängt, was die Basis der Frauenunterdrückung im Kapitalismus darstellt. Frauen der Arbeiter_Innenklasse werden doppelt ausgebeutet, einerseits durch die Lohnarbeit, andererseits durch die Reproduktionsarbeit. Auch wenn cis Männer sich gern öffentlich damit brüsten, wie toll sie ihren Frauen unter die Arme greifen würden, verbringen Frauen zusätzlich zur eigenen Care-Arbeit im Durchschnitt mehrere Stunden pro Woche damit, die unzureichend erledigten Aufgaben ihres Partners nachzubessern, oder ihn an anstehende Aufgaben zu erinnern. Nur die Frauen des Bürger_Innentums können sich durch Hauspersonal von ihren Pflichten freikaufen.

Das Ideal der bürgerlichen Familie wird durch die bereits erwähnten Geschlechterrollen aufrecht erhalten. Der Mythos, dass Frauen natürliche Mutterinstinkte hätten, traumatisiert viele Frauen nachhaltig, wenn sie aufgrund von fehlender Erfahrung als „schlechte Mutter“ abgestempelt werden oder dafür beschämt werden, auch auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. Außerdem wird die ökonomische Abhängigkeit durch den Gender Pay Gap aufrecht erhalten. Besonders in Zeiten von kapitalistischen Krisen, wenn Männer es nicht mehr schaffen, als Beschützer und Ernährer der Familie zu fungieren, wird das Fundament der bürgerlichen Familie angegriffen. Das führt zu vermehrter Gewalt gegen Frauen und LGBTIA+-Personen, um diese Form der Unterdrückung aufrecht zu erhalten.

Kommodifizierung von Liebe und Sexualität

Kommodifizierung bedeutet, dass etwas zur Ware oder zur Dienstleistung gemacht wird. Sexualität zum Beispiel kann ein Mittel zur Erzeugung von Mehrwert sein, wie wir es bei erotischen Werbungen in der Parfümbranche sehen können. In Bezug auf Sexualität existiert das Attribut der Attraktivität, welches zur Ware im Konkurrenzkampf werden kann. Außerdem können Produkte gekauft werden, welche versprechen, die eigene Attraktivität zu erhöhen. Die Selbstaufwertung durch eine besonders erfolgreiche oder schöne Beziehungsperson kann ebenfalls als Warenwerdung von Attraktivität charakterisiert werden. Auch Erfahrungen in Sachen Sexualität können bei Männern positiv bewertet werden und zum Teil der Selbstvermarktung werden.

Auch Liebe kann zur Ware werden, wie uns der Valentinstag vor Augen führt. Geschenke, besondere Dates, Blumen, Schmuck, etc.: Wir vermitteln unsere Gefühle gern über Waren. Die Soziologin Eva Illouz betrachtet in ihren Werken den Konsum der Romantik. Damit ist gemeint, dass im letzten Jahrhundert die Praktik entwickelt wurde, Romantik mit dem Konsum von Waren zu verbinden, was die Waren zugleich ‚romantischer‘ erscheinen lässt. Ein prägnantes Beispiel: Ein Sektfrühstück gilt als romantischer, als eine Currywurst zu essen, zumindest nach dem gesamtgesellschaftlichen Standard.

Auch bei Dating-Apps können wir erkennen, wie Liebe zur Ware wird: Für bestimmte Interaktionen, die mehr Erfolg versprechen, werden wir zur Kasse gebeten. Natürlich müssen hier besonders diejenigen tief in die Tasche greifen, die sonst keine Erfolge verbuchen, etwa weil sie nicht als normschön gelten. Algorithmen messen auch eine Attraktivitätsskala aus und es werden einander nur Menschen angezeigt, die als gleich attraktiv bewertet wurden.

Sexualität kann durch Prostitution und Pornographie zur Ware werden. Zur genauen Einordnung davon, warum wir der Meinung sind, dass Prostitution eine Dienstleistung sein kann, solange es sich nicht um Zwangsprostitution handelt, möchten wir auf einen anderen, ausführlicheren Artikel zum Thema verweisen.

Die bürgerliche Ehe bleibt ebenfalls nicht von der Kommodifizierung verschont. Hier tauscht der Mann die ökonomische Sicherheit der Frau gegen den unbegrenzten Zugriff auf sexuelle Gefälligkeiten ein.

Perspektive

Das alles klingt ziemlich scheiße. Aber wie können wie als Kommunist_Innen dafür sorgen, dass Sexualität und Liebe uns nicht mehr zwanghaft aufgestülpt und dem bürgerlichen Bewusstsein unterworfen werden? Wir sind der Ansicht, dass wir dafür den Kapitalismus und die Klassengesellschaft überwinden müssen. Solange die Existenz von unbezahlter Reproduktionsarbeit dem Kapital nützt, wird auch das Ideal der bürgerlichen Familie aufrecht erhalten werden.

Deshalb schlagen wir vor, die Reproduktionsarbeit im Sozialismus kollektiv zu organisieren. In jedem Viertel soll es eine Mensa geben, sowie Waschküchen und gemeinsame Kindererziehung, wo jede_r einmal an der Reihe ist. Dadurch wird es möglich, dass sich die Wohnsituationen ändern. Die sowjetischen Kommunistin Alexandra Kollontari schlug eine Art WG vor, in der jedes Mitglied einen eigenen Rückzugsort hat. Diese Wohnverhältnisse würden, mitsamt der vergesellschafteten Reproduktionsarbeit, die Familie als Wohn- und Gesellschaftsort obsolet machen. Die Abkehr vom Ideal der bürgerlichen Familie könnte auch ein Ende von Monogamie und Paarbeziehung bedeuten, wie wir sie kennen. Zwischenmenschliche Beziehungen müssten nicht mehr derart gelabelt werden, Freund_Innenschaften müssten nicht mehr als zweitklassig neben der romantischen Paarbeziehung gelten. Des Weiteren würde das Ende dieses Ideals ein Ende von Geschlechterrollen und dem damit einhergehenden Optimierungszwang bedeuten.  Die bürgerliche Sexualmoral würde an Relevanz verlieren und absterben.

An dieser Stelle finden wir es wichtig, ordentlichen Aufklärungsunterricht zu fordern, der die zwischenmenschlichen Aspekte der Intimität in den Vordergrund rückt und das aktive Konsensprinzip vermittelt. Der Unterricht sollte vielfältige Beziehungskonstellationen vorstellen und nach den Bedürfnissen der Lernenden in Zusammenarbeit mit den Lehrenden organisiert werden.




Alle Jahre wieder… – Frauen-, Queer- und Jugendunterdrückung in der Familie

Von Lia Malinovski

Weihnachten ist eine besinnliche Zeit, in der wir mit unseren Familien zusammenkommen, in uns kehren und an unsere Mitmenschen denken. So zumindest ist das Bild, das überall verbreitet wird und den meisten von uns bei dem Wort in den Kopf kommt. Der Geruch von Kerzen, Tannen, eventuell Keksen – Naja und Streit, nervige Fragen und vor allem eines: Allerhand Unterdrückung und Diskriminierung gebündelt über mehrere Tage. Denn in der bürgerlichen Familie gibt es auch ansonsten Probleme, aber da diese Zeit mit so vielen Traditionen, Erwartungen und damit Zwängen gefüllt ist, häufen sie sich und werden besonders klar. Wir treffen in dieser Zeit sicherlich alle auf Familienmitglieder, mit denen wir normalerweise niemals was zu tun hätten, gleichzeitig verwehrt uns der Zwang zum Heile-Welt-Gehabe, dass wir damit ehrlich umgehen. Wozu das so führt?

Unter dem Puderzucker

Die meisten weiblichen Personen kennen vermutlich Fragen wie „Na, hast du jetzt endlich mal nen Freund?“, „Wann heiratet ihr endlich mal?“ oder Kommentare über das Aussehen. Für LGBTIA+ ist es nicht gerade besser, wenn mal wieder eine völlig cis- und heteronormative Welt vorausgesetzt, indem man nach heterosexuellen Beziehungen gefragt wird, ohne überhaupt in Erwägung zu ziehen, ob es nicht eventuell auch andere Formen gibt. Für trans* Personen bedeutet Weihnachten misgendern (falsche Pronomen benutzen oder mit dem falschen Geschlecht angesprochen werden), gedeadnamed werden (den falschen, „alten“ Namen benutzen) oder sich zu verstecken und als das biologische Geschlecht zu verkleiden, um Stress oder Kommentare zu vermeiden.

Auch gibt eine Art Hierarchie in den Beziehungsarten: Es ist „normal“, oder gehört sogar zum „guten Ton“, wenn man seine romantische Beziehungsperson mitbringt, würde das aber bei Freund_Innen passieren, wären alle schockiert oder zumindest verwirrt. Romantische Beziehungen werden fast in allen Bereichen über andere Beziehungen gestellt, aber an Weihnachten ist es nochmal ein anderes Level. Vielleicht wollen wir aber auch mal mit unseren Leuten chillen in der Zeit? Das kann für uns Jugendliche die einzige Entlastung von den gesellschaftlichen Zwängen sein. Insgesamt sind wir gezwungen, bei allem mitzumachen, was von der Familie verlangt wird, überallhin mitzugehen, und so weiter. Man will nun mal keinen Stress anfangen und wegen finanzieller Abhängigkeit und dem gesellschaftlichen Bild der Familie ist eine Distanzierung von der Familie oft auch nicht möglich.

All das, was uns im Alltag oft genug begegnet, kommt von allen Seiten an Weihnachten besonders klar und dicht zum Vorschein. Normalerweise hat man aber zumindest den Vorteil, sich innerlich und äußerlich dagegen wehren zu dürfen. Sich dagegen an Weihnachten offen zu wehren, hieße, das „schöne“ Bild des Festes einzureißen und die angebliche Heile Welt zu zerstören. Wenn man es doch mal wagt, etwas gegen die Unterdrückung zu sagen und sich zu wehren, wird einem vorgeworfen, alles zu stören. Hätte man doch bloß nichts gesagt, hätte man einfach nur mitgemacht, dann wäre jetzt wenigstens noch ein heiles Bild geblieben.

Aber auch wenn wir uns innerlich dagegen wehren, passt es nicht zum Ideal. Irgendwie fühlt es sich an wie entkoppelt von der „Besinnlichkeit“ des Festes und am Ende sitzt man teilnahmslos dabei.

Und jetzt?

In diesem ganzen Ausmaß wird es sicherlich nicht auf alle zutreffen, aber in irgendeiner Form werden sich die allermeisten jedes Jahr in solche Situationen begeben müssen. Mit etwas Glück hat man vielleicht eine entspannte Schwester, den witzigen Cousin oder die aufmerksame Tante, mit denen die Zeit nur noch halb so schlimm ist und die einen bisschen verstehen. Und sind es nicht gerade die eigenen Eltern, auf die man gar keinen Bock hat, könnte mit ihnen ein direktes Gespräch schon dabei helfen, dass die einen auch verstehen, warum man nicht zum Weihnachtsessen mitkommt, wo der AfD-Onkel die eigene Identität in Frage stellt.

Doch letzten Endes soll es ja dennoch nicht so sein. Leider ist es schwer, eine Perspektive aus dieser Spirale der Unterdrückung und des Stresses zu bieten, sind es doch zu viele Baustellen, verknüpft mit viel kollektiver Verdrängung. Vor allem sind wir ja dann doch wieder sehr vereinzelt in der Familie, sodass ein gesellschaftlicher Kampf schwer ist. Wir wollen trotzdem versuchen, eine Perspektive der Veränderung aufzumachen, denn es hängt eigentlich sehr mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zusammen!

Wir fordern:

  • Es muss die Hegemonie der Bürgerlichen Kleinfamilie angegriffen werden – Schluss mit der sexistischen Einteilung in Mann, Frau und 2-3 Kinder! Freiheit der Entfaltung der Geschlechtsidentität, der Sexualität und der Lebensentwürfe!
  • Es braucht finanzielle Unabhängigkeit von der Familie! Für ein staatliches Taschengeld in ausreichender Höhe, entsprechend der Inflation und den Bedürfnissen der Jugend, unter der Kontrolle der Jugendlichen und der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Gegen den Zwang, bei religiösen Veranstaltungen mitzumachen! Für die Freiheit, Religion auszuüben, aber nicht zu müssen!