Kohle für die Chefs, Krise für alle Anderen! Die Deutsche Bahn & der Kapitalismus

Von Lia Malinovski, Dezember 2023

Verspätungen, Zugausfälle, Umleitungen, Störungen. Steht man mal länger an einem Hauptbahnhof in Deutschland, erschrickt man fast, bei der Zahl der Pro-bleme, die im Minutentakt durch die Lautsprecher an die Fahrgäste durchgesagt werden.

Im Jahr 2023 waren bis 11.12. weniger als 65% der Züge im Fernverkehr „pünktlich“, im Dezember sogar weniger als 50%! Als pünktlich gelten in der Statistik Züge, die weniger als 6 Minuten später als geplant in einem Bahnhof oder Haltepunkt halten. Auch werden in der Statistik nur Züge gezählt, die überhaupt gefahren sind. Die Gründe für Verspätungen sind ganz unterschiedlich: sei es die marode Infrastruktur, seien es die vielen Bau-stellen, teilweise auch der Personalmangel; sie alle haben gemeinsam, dass sie vor 30 Jahren, vor der Bahn-reform, kaum bis gar nicht existierten, schon gar nicht in diesem Ausmaß.

Marode Infrastruktur, Personalmangel, usw. – ein kapitalistisches Problem!

Es ist das Jahr 1994, die Deutsche Bundesbahn (BRD) und die Deutsche Reichsbahn (DDR) fahren parallel zu-einander. Nach der Annexion der DDR durch die BRD wollte man das Eisenbahnsystem vereinheitlichen und eine gesamtdeutsche Eisenbahn aufbauen. Außerdem wollte man Wege suchen, die massive Verschuldung der Bahn aufzulösen. Geboren war das Eisenbahnneuordnungsgesetz, durch das die beiden Staatsbahnen, ganz entsprechend des radikal neoliberalen Grundsatzes der Zeit, zu einer privatwirtschaftlich organisierten Aktiengesellschaft werden sollten. Ursprünglich sollte die so neu geschaffene Deutsche Bahn AG (DB) an die Börse gehen. In den Führungsetagen der DB gab es nun Überlegungen, wie das zu bewerkstelligen ist: Man entschloss sich dazu, viele Mitarbeitende zu entlassen, Geld an allen Orten zu sparen, wo es ging, keine neuen Fachkräfte auszubilden. Man tat also das, was alle Konzerne tun, wenn sie wieder schwarze Zahlen schreiben wollen.

Die Rechnung dafür dürfen wir heute bezahlen: Das fehlende Geld in der Infrastruktur macht sich bemerkbar, viele Streckenabschnitte wurden eingestampft, die Kapazität von noch mehr Streckenabschnitten lässt zu Wünschen übrig, im Winter frieren Weichen ein und sind nur noch eingeschränkt bis gar nicht befahrbar, Stellwerke sind völlig veraltet. Das Fehlen von Fachkräften wird auch immer sichtbarer: In den nächsten Jahren werden viele verbeamtete Kolleg:innen in allen Bereichen in Rente gehen, es gibt aber kaum fertig aus-gebildete Arbeiter:innen. Es klafft eine riesige Lücke zwischen der Generation, die noch vor 1994 verbeamtet wurde und bald geht, und der neuen Generation, die noch ausgebildet werden muss. Bei der S-Bahn Ham-burg zum Beispiel bestehen die Azubi-Lehrgänge für die Lokführer:innen aus etwa dreimal so vielen Menschen wie noch vor 3-4 Jahren. Folge sind Raumprobleme, eine Abnahme der Ausbildungsqualität und teilweise völlige Planlosigkeit. Und das bei einem der wenigen Unternehmen, das noch schwarze Zahlen schreibt und entsprechend zwar mehr schlecht als recht, aber dennoch, in der Lage ist, auf die Krise zu reagieren! Wie es in anderen Bereichen aussieht, kann man sich entsprechend vorstellen.

Bonuszahlungen & Haushaltskrise

Die Vorstände der DB, Richard Lutz, Martin Seiler, Evelyn Palla und wie sie nicht alle heißen, bekommen wahrscheinlich eine Bonuszahlung ausgeschüttet – wofür weiß niemand so genau. Für die Pläne, die Bahn weiter zu zerschlagen? Für die unfassbar schlechten Statistiken? Fürs Ignorieren der Beschäftigten? Für das Ab-wenden eines 50 Stunden-Streiks der EVG? Für die gescheiterten Verhandlungen mit der GDL?

Es gäbe tausend Gründe, diese Zahlungen nicht auszuschütten. Nicht nur dass sie ihren Job ganz offensichtlich nicht im Sinne der Bahn machen, sondern aus-schließlich für den Profit, sondern auch, dass sie so frech sind, uns zu erzählen, sie würden sich gut um ihre Mitarbeitenden kümmern, obwohl sie vor allem mit fragwürdigen Aktionen auffallen. Dazu kommt, dass die Bundesregierung mit dem Geld für den Klimafonds auch Projekte der Bahn finanziell unterstützen wollte. Dieses Geld fällt jetzt wahrscheinlich weg. Während also an allen Ecken und Enden Geld fehlt, sollen die Vorstände plötzlich Millionenbeträge bekommen. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die bei der Bahn arbeiten, auf sie angewiesen sind oder einfach nur wollen, dass sie in einem guten Zustand ist!

Geld in Personal und Infrastruktur, statt in die Taschen der Bosse!

Die Bonuszahlungen sollten an die Mitarbeitenden der Eisenbahnen gehen: Sie baden die Probleme aus, die die Vorstände verursacht haben! Das Geld sollte in die In-frastruktur, ins Personal, in die Fahrzeuge gehen, an-statt in die Taschen der Vorstände, die nur durch das Kaputtsparen und Zerstören der Eisenbahn auffallen!

Insbesondere für diese Ziele müssen Eisenbahner:innen einstehen:

  • Weg mit den Bonuszahlungen an die Vorstände der DB! Nutzt das Geld, um die marode Infrastruk-tur auszubessern! Für eine Planung der Infrastruktur, die nicht nach Profit strebt, sondern im Sinne der Fahrtüchtigkeit der Eisenbahn, auch einen Blick auf die Klimakrise wirft!
  • Stoppt die Zerschlagung der Deutschen Bahn! Für die Zusammenlegung aller Eisenbahnverkehrs- und -infrastrukturunternehmen zu EINER staat-lichen Eisenbahn!
  • Für den massiven Ausbau der Eisenbahninfra-struktur, sowie der Möglichkeiten der Ausbil-dung! Für mehr Räume, kleinere Azubi-Klassen, mehr Ausbildungsplätze insgesamt!

Lage der Gewerkschaften – für EINE Verkehrsgewerkschaft!

Die Gewerkschaften werden diese Forderungen aber nicht aufnehmen. Nicht mal Anteile davon. Weder die EVG noch die GDL werden tatsächlich für eine Eisenbahn kämpfen, die ihrem Anspruch gerecht wird. Die GDL, die aktuell in der Tarifrunde steckt, findet die weitere Zerschlagung der DB super. Sie erhofft sich, dadurch ihre Stellung zu verbessern. Die EVG findet es zwar grundsätzlich falsch, dass die Eisenbahn weiter zerschlagen werden soll, hat sich aber beispielsweise in der letzten Tarifrunde nicht darum gekümmert, die Forderung nach einem Stopp der weiteren Zerschlagung in den Kampf mit einfließen zu lassen. Der Grund dafür dürfte sein, dass die Gewerkschaftsführung kein Interesse daran hat, dass die bisherigen Kämpfe der Beschäftigten einen politischen Charakter bekommen könnten. Denn das würde bedeuten, dass sich eine große gesellschaftliche Bewegung rund um die Frage der Eisenbahn bilden könnte. Es wären die besten Voraussetzungen vorhanden, die Klimabewegung und die Beschäftigten zu verbinden, und die EVG hätte große Mühe, die Beschäftigten im Sinne der Sozialpartner:innenschaft wieder einzufangen.

Deshalb müssen wir eine antibürokratische Bewegung innerhalb der Gewerkschaften aufbauen! Wir müssen in die aktuelle Tarifrunde der GDL diese Forderungen hin-eintragen und für ihre Umsetzung kämpfen! Wir müssen die EVG auffordern, sich mit den Streiks der GDL zu solidarisieren, kämpft die GDL doch aktuell für wichtige Ziele, die den Arbeitsalltag stark verbessern und den Beruf der Eisenbahner:in deutlich attraktiver machen würden.

Und wir müssen für eine gemeinsame und demokratische Verkehrsgewerkschaft kämpfen, haben alle Eisenbahner:innen doch die gleichen Probleme und müssen das Versagen des Staates und des Vorstandes, aber auch der Gewerkschaftsführungen, ausbaden… Gleiche Probleme benötigen gemeinsame Antworten! Also Schluss mit dem Konkurrenzdenken und für einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen! Innerhalb der Gewerkschaften und der Belegschaft müssen wir al-so kämpfen für:

  • Umsetzung der Forderungen der GDL! Für einen unbefristeten Erzwingungsstreik, der erst mit der vollständigen Erfüllung der Forderungen endet!
  • Für eine antibürokratische Bewegung in EVG und GDL! Für die demokratische Kontrolle über Forderungen, Streiks und Verhandlungen durch die Beschäftigten!
  • Für eine gemeinsame, demokratische Verkehrs-gewerkschaft! Schluss mit der Spaltung in der Be-legschaft und für einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen in allen Bereichen!



Tarifkampf der EVG: Schlichtung ablehnen!

Leo Drais, Juli 2023, zuerst erschienen bei Arbeiter:innenmacht

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat sich in der überaus zähen Tarifrunde mit der DB AG auf eine Schlichtung eingelassen, nachdem sie sich bereits in der Vorbereitung der Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik befand. Diese wird auch kommen – das Schlichtungsergebnis soll urabgestimmt werden. Es ist zu erwarten, dass die EVG dann die Annahme empfiehlt, gerade mal 25 % der abstimmenden Mitglieder reichen dafür. Demgegenüber müssten 75 % das Ergebnis ablehnen, sprich für einen Erzwingungsstreik stimmen, damit dieser stattfindet.

Schachzug der Bürokratie

Das Ganze ist ein geschickter Zug der EVG-Führung, die in den letzten drei Monaten viel dafür getan hat, nicht zu streiken, die immer wieder betont hat, Lösungen gebe es nur am Verhandlungstisch, die eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zu einem Sieg umdeutete, die mit Transdev einen Abschluss gemacht hat, zu niedrig, zu lang in der Laufzeit, den sie wie mit dem Zaunpfahl winkend auch bei der DB gern genommen hätte – nur: Nicht mal diesen Abschluss wollte die DB akzeptieren.

Der Abschluss bei Transdev, dem größten privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) nach dem staatlichen der DB AG (Betreiber u. a. der Bayerischen Regiobahn, NordWestBahn, S-Bahn Hannover) beinhaltet eine Laufzeit von 21 Monaten und eine zweistufige Bruttofestgelderhöhung von 290 Euro ab November und 130 Euro ab August 2024; Nachwuchskräfte kriegen die Hälfte. Zusätzlich kommt eine Inflationsausgleichsprämie über 1.400 Euro. Daneben erfolgten Verbesserungen im Bereich der Zuschläge und noch Weiteres. Von den ursprünglichen Forderungen: Laufzeit 12 Monate, 650 Euro in die Tabelle ist dennoch nicht viel geblieben. Andere private EVU folgten dem Abschluss.

Die Bahn provozierte mit einem Angebot von 27 Monaten Laufzeit und einer Erhöhung von gerade mal 200 Euro in zwei Schritten (Dez 23, Aug 24, jeweils 100 Euro). Das „Angebot“ wurde von der Zentralen Tarifkommission (ZTK) abgelehnt und ebenso vom Bundesvorstand der EVG. Somit waren die Verhandlungen gescheitert.

Die Entscheidung ist wahrscheinlich Ausdruck von zwei Aspekten: Erstens kann natürlich eine Gewerkschaftsführung, auch wenn sie sich noch so sehr um die Sozialpartner:innenschaft mit den Bossen bemüht, nicht jeden Scheiß unterschreiben, zumal die EVG im Coronajahr 2020 komplett die Füße stillgehalten und unter dem Deckmantel der Beschäftigungssicherung eine Nullrunde unterschrieben hat – ohne irgendeine Vordiskussion mit der Basis.

Dieses Mal bemühte sich der Apparat von Anfang an, dem ganzen Verfahren einen demokratischeren Anstrich zu geben, natürlich weit ab von einer direkten Kontrolle durch die Mitglieder. Man organisierte Tarifwerkstätten und eine Mitgliederbefragung, beides mit deutlichen Schwächen. Bei Ersteren durfte zwischen drei Hauptforderungen nur eine gewählt werden, bei Zweiterer konnten alle mehrfach abstimmen, jedoch ohne, dass in dem Ergebnis irgendeine Verbindlichkeit lag; die Laufzeit fehlte gleich ganz.

Zudem hat sich in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung des EVG-Apparates verändert. Mehr junge Gewerkschaftssekretär:innen und Ehrenamtliche sind abgefuckt davon, wie der Laden läuft. Zudem ist natürlich einerseits allen Gewerkschaftsoffiziellen klar, dass mit einem zu schlechten Abschluss Austrittswellen drohen, zum anderen, und das ist nicht zu unterschätzen, gibt es bei der Bahn anders als für die IG Metall bspw. eine relevante Konkurrenzgewerkschaft mit der GDL. Diese hat ihrerseits mittlerweile ihre Forderungen für die Tarifrunde ab Herbst aufgestellt, darunter eine 35-Stundenwoche für Schichtarbeiter:innen sowie 555 Euro mehr in die Tabelle. Schließt die EVG zu schlecht ab, gibt es für alle Mitglieder immer auch die Möglichkeit, zu ihr zu gehen, und das weiß natürlich der Apparat beider Vereinigungen.

Davon abgesehen ist es natürlich so, dass die Tarifkommissionen bei den unterschiedlichen Unternehmen anders zusammengesetzt sind.

Dann kam die DB mit dem Angebot einer Schlichtung um die Ecke und der EVG-Apparat witterte die Chance: ein guter Sozialpartner sein und gleichzeitig die Mitgliedschaft einbinden. Das Ergebnis der Schlichtung wird urabgestimmt, die Verantwortung über die Annahme der Mitgliedschaft in einem Verfahren überantwortet, das selbst formal undemokratisch ist. Am Ende klopfen sich EVG-Vizevorsitzende Cosima Ingenschay und Co. auf die Schulter und sagen: „Die Mitgliedschaft hat entschieden“, selbst wenn mehr als 50 % das Ding ablehnen sollten. Es scheint demokratisch, aber der ganze Weg dahin und die Abstimmung selbst waren und sind es nicht. Allein schon deshalb muss die Schlichtung abgelehnt werden. Immerhin einige, wenigstens die Vertreter:innen der Jugend, haben dies getan.

Annahme verweigern

Darüber hinaus ist erstens zu erwarten, dass bei der Schlichtung nicht das rauskommt, was ursprünglich gefordert wurde. Zwar gehört es zu den üblichen Ritualen in deutschen Tarifverhandlungen, weit unter den eigenen Forderungen abzuschließen, doch nur, weil es „schon immer so gemacht“ wird, wird es dadurch nicht richtiger. Warum wird nicht eskalierend vorgegangen? Eine DB, die ungestraft einfach mal 2 Monate gar nicht verhandelt hat, hätte es nicht anders verdient, als mit einem Erzwingungsstreik bestraft zu werden, wo mit jeden Tag die Forderung erhöht wird.

Zweitens muss die Schlichtung (und damit ihr Ergebnis) deshalb abgelehnt werden, weil sie nicht nur ein Zugeständnis an die Bahn darstellt, sondern auch, weil die EVG damit von dem Wohlgefallen der Schichter:innen abhängig wird. Diese kann sie zwar selbst mitbestimmen, zum Redaktionsschluss sind diese auch noch nicht bekannt, erfahrungsgemäß sind es jedoch Politiker:innen, die vorgeblich zwar über dem Konflikt stehen, jedoch immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Blick behalten (wie die EVG-Spitze selbst auch; schließlich verteidigt sie die DB nicht aus fortschrittlichen Gründen gegen deren drohende Zerschlagung, sondern für den Erhalt des Status quo).

Wir sollten von der Schlichtung nicht mehr erwarten als den Transdev-Abschluss. Wir sollten sie deshalb ablehnen und, weil sie ein undemokratisches Verfahren ist, das am Ende mit der Urabstimmung einen demokratischen Touch erhalten soll. Unsere Mittel für einen Abschluss, der unseren Forderungen entspricht, sind noch nicht ins Spiel gebracht worden: Ablehnung des Schlichtungsergebnis, Durchführung des Erzwingungsstreiks.

Und wenn das Ganze sich schon bis in den Herbst hinzieht, dann liegt der gemeinsame Kampf mit den Kolleg:innen der GDL auch auf der Hand. Immerhin stehen wir täglich zusammen gegen diesen Konzern um Sicherheit und Pünktlichkeit auf der Schiene ein, das heißt, wir können auch zusammen gegen seinen Tarif kämpfen. Wir sollten gegenseitig die Forderungen durch die der höchsten von der anderen Seite ersetzen. Von den Führungen der EVG und der GDL gibt es in unterschiedlichem Maß daran kein Interesse, die Zusammenarbeit wird aus der Basis kommen müssen.

Genauso gilt das für ein Eintreten für wirklich demokratische Tarifrunden: Tägliche Betriebsversammlungen, direkt gewählte und rechenschaftspflichtige Vertreter:innen in der Tarifkommission. Abstimmungen über Annahme und Streik nach einfacher Mehrheit. Kann sein, dass ein solches Verfahren noch Jahre auf sich warten lassen wird. Trotzdem: Der Grundstein für eine Diskussion dazu muss jetzt in der Tarifrunde gelegt werden.

Und noch etwas müssen wir selbst in die Hand nehmen: GDL- und EVG-Chef:innen sind denkbar schlecht darin, der Medienhetze etwas entgegenzusetzen, wenn es zu Streiks kommt. Es wird einfach darauf verwiesen, dass diese rechtens seien – das heißt im Umkehrschluss dann eben auch, ein gerichtliches Streikverbot kampflos zu akzeptieren.

Streik und Reisende

Wie können die Reisenden also mitgenommen werden? Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten. Erstens: Einbeziehung durch Erweiterung der Forderungen. Keine Fahrpreiserhöhung, kostenloser Nahverkehr und massive Angebotserweiterung, bezahlt durch die Profite von VW und Co. Zweitens: Aufklärung. Nicht die streikenden Kolleg:innen sind schuld an der Misere, sondern der Konzern und der Staat. Der Streik findet auch dafür statt, dass die Arbeitsbedingungen bei der Bahn besser werden. Verkehrswende braucht Eisenbahner:innen. Von diesen gehen in manchen Bereichen 70 – 80 Prozent in den nächsten zehn Jahren in Rente. Daher braucht es nicht nur einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs, sondern auch ein deutlich verbessertes Investitionsprogramm für Neueinstellungen!

Drittens: Gezielter Erzwingungsstreik. Es wäre durchaus möglich, gezielt und schwerpunktmäßig den Güterverkehr der Auto- und Schwerindustrie zu bestreiken und Personenverkehr zeitweilig auszunehmen, verbunden mit einem Streik im Bereich Vertrieb und Fahrkartenkontrolle. Das würde aber einen höheren Organisationsgrad brauchen und vor allem wäre dafür die Voraussetzung, dass wir als Beschäftigte den Streik selbst kontrollieren. Die Ironie wäre dann übrigens, dass der Reiseverkehr auf einmal pünktlicher wäre – in einem vollen, heruntergefahrenen Netz fällt es auf, wenn die Züge fehlen, die die bedeutendsten Industrien des Landes bedienen, also jene, die seit Jahrzehnten für einen chronische Benachteiligung der Schiene verantwortlich sind.




Berliner S-Bahn: Krise geht in die nächste Runde

ein Kommentar von Felix Wolkenfuß

Kein November ohne ordendliche S-Bahnkrise. Doch wer nun denkt, dass die sich dieses Mal wieder auf kappute Räder zurückführen ließe, der irrt. Das bleibt vorraussichtlich dem Dezember vorbehalten. Anstelle der üblichen Mängel tritt jetzt ein ganz neues Übel auf den Plan.

Die angebliche Arbeiterpartei SPD und die berliner CDU haben in ihren Koalitionsverhandlungen eine neue Möglichkeit zum Kaputtsparen entdeckt: Die privatisierung der berliner S-Bahn. Beginnen soll der ganze Spaß mit der Ringbahn und den Strecken im Südosten der Stadt. Auf diesen Strecken fahren rund ein viertel der berliner Züge. Diese sollen jetzt europaweit ausgeschrieben werden.

Was soll denn das heißen?

Ganz einfach: Für die Kolleg_innen die dort arbeiten heißt dies erstmal, dass nicht garantiert werden kann, dass sie ihren Job in den nächsten Jahren noch behalten, oder zu welchen Bedingungen sie dort arbeiten müssen.

Für Fahrgäste bedeutet dies in erster Linie noch höhere Fahrpreise und schlechterer Service, ganz zu schweigen von noch schlechterem Chaosmanagement, sowie dem ausbluten der öffentlichen Kassen durch weiteren Subventionszwang.

Wieso machen die das dann?

Dass die CDU scheiße ist, wissen wir alle, und auch bei der SPD hat man nur noch selten Hoffnung, was den politischen Stil angeht. Was jedoch diesmal besonders pikant rüberkommt ist, dass sich der SPD-Landesparteitag 2010 noch gegen eine Zerschlagung der S-Bahn ausgesprochen hatte und den Kolleg_innen versprach es nicht soweit kommen zu lassen. Ein weiteres reformistisches Märchen und ein Schlag ins Gesicht aller Mitarbeiter_innen des öffentlichen Nahverkehrs.

Was tun?

Ausgefuchst wie wir nun mal sind, sammeln wir bereits seit Sommer zusammen mit anderen Gruppen und den Verkehrsgewerkschaften EVG und GDL Unterschriften für ein Volksbegehren. Ziel dessen soll die Erhaltung und Sanierung des Betriebs sein, die nicht auf Kosten des Personals oder der Fahrgäste gehen darf.

Daher unterstütze auch du das Volksbegehren “Berliner S-Bahn-Tisch” und sammle Unterschriften. Noch bis Mitte Dezember haben wir Zeit 20.000 Unterschriften zusammenzukriegen und wir sind mit bisher gesammelten 16.000 auf einem guten Weg. Also ran da!

Website: http://www.s-bahn-tisch.de/