Erste Hilfe bei Antisemitismusvorwurf

Von Felix Ruga, März 2023

„Du weißt schon, dass das gerade ziemlich antisemitisch von dir war?“

Eine Antwort, die fast alle antiimperialistisch eingestellten Linken irgendwann schon mal ertragen mussten, während sie mit Freund:innen, in der Familie oder der Schule mit irgendwem diskutiert haben, praktisch immer im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. Und da muss man erstmal schlucken: Antisemitismus ist einer der heftigsten Vorwürfe, die man in politischen Debatten überhaupt bekommen kann. Sofort blitzen Bilder von schäumenden Wutreden, Videos und Tweets gegen jüdische Weltverschwörungen, marschierenden Nazis oder gar Vernichtungslagern auf. Für einen selbst ist es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass man Antisemitismus nicht im Entferntesten gutheißen kann oder damit irgendwas zu tun haben will, es viel mehr in der antifaschistischen Praxis aktiv bekämpft. Trotzdem steht man jetzt da und muss sich auf einmal gegen so einen Vorwurf rechtfertigen. Ärger, Frust, Angst steigen auf und, vor allem wenn man damit nicht gerechnet hat, kann man eigentlich gar nicht so recht glauben, was gerade passiert ist. Wie sollte man also damit umgehen?

Zunächst auf jeden Fall erstmal durchatmen und sich nicht direkt einschüchtern lassen. Es hilft, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass gerade die Heftigkeit des Antisemitismusvorwurfs der Hintergrund ist, warum er politisch missbraucht wird, beziehungsweise mittlerweile so definiert ist, dass man ihn leichtfertig missbrauchen kann. Man sollte dabei auf einer fortschrittlichen Definition beharren: Antisemitismus bedeutet Rassismus gegen Jüd:innen, also Diskriminierung, Unsichtbarmachung, Entrechtung, physische und verbale Angriffe und so weiter. Speziell am Antisemitismus ist die herbeikonstruierte „jüdische Verschwörung“, mit der angeblich die Gesellschaft zersetzt werden würde. Mehr könnt ihr dazu in unserem Artikel „Wie können wir Antisemitismus beenden?“ lesen. Es gibt aber auch eine gegenläufige Definition, und zwar die sogenannte IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus, die sich vor allem in westlichen Staaten verbreitet. Hierbei werden bestimmte Aussagen oder Formen von Kritik gegenüber Israel als antisemitisch festgehalten. Hierbei floss auch der sogenannte 3D-Test ein: Antisemitismus sei es dann, wenn man Israel dämonisiert, delegitimiert oder Doppelstandards anlegt.

Das Problem hierbei: Diese Aussagen können zwar auch aus antisemitischen Beweggründen getroffen werden, aber insgesamt ist die ganze Definition so schwammig, dass sie auch gegen absolut legitime Kritik oder einer Solidarisierung mit dem palästinensischen Widerstand verwendet werden. Diese Antisemitismus-Definition ist eine extrem wichtige Waffe für reaktionäre Kräfte in der ideologischen Auseinandersetzung rund um den Nahostkonflikt, weil der Antisemitismusvorwurf so heftige Reaktionen hervorruft oder der bürgerliche Staat damit seine Angriffe auf demokratische Rechte oder die militärische Unterstützung Israels verteidigen kann. Die IHRA-Arbeitsdefinition ist also abzulehnen.

Deswegen sollte man, wenn ein Vorwurf dieser Definition folgt, dies erstmal zurückweisen und klarmachen, dass das so erstmal eine Unterstellung ist und es argumentativ abwehren, indem man bei der Sache bleibt. Aber natürlich ist auch klar: Antisemitische Vorurteile gehören ähnlich wie andere Formen des Rassismus‘ zur bürgerlichen Ideologie. Niemand kann in dieser Gesellschaft aufwachsen, ohne zumindest Bruchstücke rassistischen, sexistischen oder sonst wie diskriminierenden Denkens verinnerlicht zu haben. Das ist keine Entschuldigung, sich nicht zu reflektieren, sondern gerade der Ansatz dazu. Deswegen sollte man mit sich und zusammen mit den Genossis Reflexionsräume über die eigenen diskriminierenden Anteile ermöglichen, auch wenn man sich dafür erstmal schämt. Aber, wie bereits gesagt, ist in aller Regel der Antisemitismusvorwurf aufgrund von Palästinasolidarität tatsächlich eine bloße Unterstellung und wird nicht selten leichtfertig rausgehauen. Hier kann es helfen, direkt einige gute Antworten parat zu haben, die ich jetzt anhand von 3 beispielhaften Zitaten durchgehen würde.

„Kufiyas wurden auch von Attentätern getragen, dann solidarisiert man sich mit Antisemiten.“

Kufiyas sind sehr weit verbreitet im arabischen Raum und stehen seit dem Nahostkonflikt zumeist für die Solidarisierung mit dem palästinensischen Befreiungskampf. Wir haben hier auch einen eigenen Artikel zu der Geschichte der Kufiya geschrieben. Diese Argumentation, man würde sich mit irgendwem gemein machen, weil man bestimmte Symbolik verwendet, lässt sich auf alles Mögliche übertragen: Die Palästinafahne, bestimmte Parolen, Früchte, teilweise schon überhaupt die Forderung nach einem freien Palästina. Manchmal wird das verbunden mit der Aufforderung, wenn dann doch bitte eigene Symbolik des palästinensischen Widerstands zu verwenden, die nur von linken Kräften verwendet wird. Das ist letztendlich aber ein Versuch, Spaltungslinien innerhalb des Widerstands aufzumachen und folgt einer Logik von Kollektivschuld. Es ist gerade eine Stärke der Solidaritätsbewegung, dass sie bekannte Symbole und Parolen hat. Aufgabe muss es sein, diese mit fortschrittlichem Inhalt zu füllen. Und unsere Solidarität zu zeigen, indem wir sie verbreiten. Alles andere isoliert uns nur. Hat das Gegenüber ein Verständnis für soziale Bewegung, müsste dies einleuchten. Ansonsten müsste man eher darüber gehen, wie auch Symbole unliebsamer Bewegungen medial geframet werden und dass Kollektivschuld in diesem Kontext Unsinn ist.

„Vor 2000 Jahren wurden die Juden dort vertrieben und wenn du ihnen die Rückkehr nicht zugestehst, dann hast du offensichtlich was gegen sie!“

Es kann zwar ganz interessant sein, über die Geschichte der Region zu sprechen und was auch davor und danach dort passiert ist und was die Geschichte des europäischen und arabischen Judentums angeht. Aber es kann gut sein, dass die andere Person einen damit aufs Glatteis führt im Sinne von: „Wenn du die Völkerwanderung der letzten 3000 Jahre nicht nachzeichnen kannst, solltest du besser nichts zum Nahostkonflikt sagen.“ Davon sollte man sich nicht einschüchtern lassen. Klar, irgendwo beginnt die Geschichte und man kann immer weiter zurückgehen und lernt dadurch immer mehr über den Konflikt. Aber zum einen sollte Unerfahrenheit nicht zum Ausschluss aus Debatten führen, zum anderen ist der Konflikt heute sehr präsent und man kann und muss dementsprechend auch im Hier und Jetzt Lösungen finden, diskutieren und erkämpfen. Dementsprechend kann man nicht ein irgendwie historisch konstruiertes Recht hernehmen, um die Vertreibung durch Siedler:innen oder die Besatzung Palästinas und damit sehr reales Leid zu rechtfertigen. Sowieso sollte man aber für offene Grenzen einstehen und das bedeutet auch, dafür einzutreten, dass Jüd:innen ein freies Leben in der Region führen können – aber Palästinenser:innen eben auch.

„Free palestine bedeutet, man will alle Juden ermorden!“ oder „Weil Israel der Schutzraum der Juden ist, ist Antizionismus gleich Antisemitismus.“

In beiden Fällen wird impliziert, dass es unmöglich ist, dass die arabische zusammen mit der jüdischen Bevölkerung im Nahen Osten in Frieden leben kann und es daher absolut notwendig sei, einen militarisierten und unterdrückerischen israelischen Nationalstaat zu haben. In einer Argumentation dagegen könnte man beispielsweise darauf eingehen, inwiefern Antisemitismus und Rassismus aus dem Kapitalismus entstehen und dementsprechend in einem revolutionären Kampf auch wieder aufgelöst werden können. Oder dass Israel als Schutzraum in Wahrheit eine Farce ist und Israel eigentlich einer der gefährlichsten Orte für Jüd:innen überhaupt ist und man sich dementsprechend fragen muss, wie man diesen Status Quo auflöst. So oder so sind solche Argumente ganz oft nach dem Schema „wenn du A sagst, kannst du in den engen Grenzen meines politischen Bewusstseins nur B sagen“ gestrickt und dem sollte man entschlossen widersprechen: Eine andere Welt ist möglich und erreichbar, denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.




Verhindert ein Massaker in Rafah!

von Dave Stockton, Februar 2024

zuerst erschienen in der Arbeiter:innenmacht-Infomail 1245

Israel steht kurz davor, Rafah anzugreifen, eine Stadt an der ägyptischen Grenze, die zur letzten Zuflucht für mehr als eine Million Palästinenser:innen geworden ist, die aus dem nördlichen und zentralen Gazastreifen vertrieben wurden.

Obwohl Rafah zur „sicheren Zone“ erklärt wurde, werden Schulen, Krankenhäuser und Flüchtlingslager der Stadt seit Beginn des Krieges aus der Luft bombardiert. UN-Generalsekretär António Guterres beschrieb die Bedingungen, unter denen die Menschen in überfüllten Behelfsunterkünften, unter unhygienischen Bedingungen, ohne fließendes Wasser, Strom und angemessene Lebensmittelversorgung leben.

Westlicher Imperialismus

Krankheiten töten Kinder und Erwachsene, die durch die monatelange Hungersnot geschwächt sind, da Israel die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten in das Gebiet fast vollständig blockiert. Unter diesen Bedingungen haben die Vereinigten Staaten und neun weitere Länder, darunter das Vereinigte Königreich, einseitig die Finanzierung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNWRA eingestellt.

Nach dem wahllosen Abschlachten von rund 30.000 Zivilist:innen hat Präsident Joe Biden mit reichlicher Verspätung eingeräumt, dass „eine Menge unschuldiger Menschen verhungern … und das muss aufhören“. Natürlich könnten die USA Israels Krieg jederzeit stoppen, wenn sie wollten. Dennoch liefern sie weiterhin Israels an Kriegsmaschinerie und nutzen ihr Vetorecht, um es in der UNO zu schützen.

In „normalen“ Jahren stellt Washington Israel rund 3,8 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe zur Verfügung, die direkt in die Bewaffnung der IDF-Besatzungstruppen fließen. Das israelische Fernsehen hat Aufnahmen ausgestrahlt, in denen die verheerenden Auswirkungen der von den USA gelieferten Bunkerbomben auf zivile Hochhäuser gezeigt wurden.

Da die USA nicht die Absicht haben, ihren Kampfhund an die Kandare zu nehmen, überrascht es nicht, dass Biden in Rafah zur „Zurückhaltung“ aufruft, ohne dass dies geschieht. Am 7. Februar erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, es gebe „keine andere Lösung als einen vollständigen und endgültigen Sieg“, und fügte hinzu, er habe den Truppen befohlen, sich in Rafah „auf den Einsatz vorzubereiten“.

Noch bedrohlicher ist, dass er Pläne für die „Evakuierung“ der Zivilbevölkerung bekanntgab. Netanjahu zufolge ist der „totale Sieg“ über die Hamas nur noch wenige Monate entfernt. US-Militärquellen, die in der New York Times zitiert werden, gehen jedoch davon aus, dass Israel nur ein Drittel der Hamas-Kämpfer:innen getötet hat und die Kämpfe im gesamten Streifen weitergehen.

Die Zionist:innen wissen, dass sie die Hamas oder die anderen militärischen Widerstandsorganisationen nicht „liquidieren“ können, ohne die Zivilbevölkerung zu liquidieren, deren Unterdrückung für einen unerschöpflichen Nachschub an neuen Rekrut:innen sorgt.

Ethnische Säuberung

Es ist diese einfache Wahrheit, die die gesamte Dynamik des israelischen Krieges in Gaza in eine Kampagne der ethnischen Säuberung, eine zweite Nakba, führt. Tatsächlich wurde dieses Ergebnis von israelischen Minister:innen, die zur Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und ihrer Ersetzung durch israelische Siedler:innen aufgerufen haben, offen propagiert. Netanjahu selbst, dessen Regierung auf der Unterstützung dieser Extremist:innen beruht, hat erklärt, dass die Sicherheit im Gazastreifen in den Händen der IDF verbleiben müsse – also eine Rückkehr zur militärischen Besatzung.

Weltweit haben Massendemonstrationen, wie sie seit denen gegen die Invasion im Irak 2003 nicht mehr stattgefunden haben, Israels Verbündete, allen voran die USA, Großbritannien und Deutschland, zweifellos dazu gezwungen, ihre bedingungslose Unterstützung für den Krieg des Landes verbal zu drosseln.

Doch während Israels Verbündete aus Angst, ein Massaker in Rafah könnte das Pulverfass Nahost zum Explodieren bringen, zur „Zurückhaltung“ mahnen, weigern sie sich, einfache Maßnahmen zu ergreifen, die den Krieg über Nacht beenden könnten: Aussetzung aller militärischen und finanziellen Hilfen, Verhängung von Sanktionen und Durchsetzung wiederholter UN-Resolutionen.

Anstatt Israels rachsüchtige Kampagne der ethnischen Säuberung zu verurteilen, greifen sie die wachsende Solidaritätsbewegung an. Gesetzliche Verbote der BDS-Kampagne werden im Eiltempo durch die Parlamente gebracht, und unbegründete Anschuldigungen des Antisemitismus werden von den Medien der Bosse in einer Hexenjagd eingesetzt, um Kritiker:innen Israels zum Schweigen zu bringen.

Doch das Schicksal der Palästinenser:innen muss und darf nicht in die Hände ihrer Unterdrücker:innen gelegt werden. Mit einem Schlag könnte die ägyptische Arbeiter:innenklasse den Suezkanal schließen und die gesamte imperialistische Wirtschaft über Nacht hart treffen. Ebenso könnten die organisierten Arbeiter:innenbewegungen in den USA, im Vereinigten Königreich und in Europa ihre eigenen Sanktionen gegen Israel verhängen: sich weigern, alle Waffen und Waren zu transportieren, die aus Israel stammen oder für es bestimmt sind. Investitionen, Forschung und kulturelle Zusammenarbeit mit dem zionistischen Staat sollten von vornherein abgelehnt werden, nach dem Grundsatz: Keine Zusammenarbeit mit der Besatzung!

Am 16. Oktober 2023 hat die palästinensische Gewerkschaftsbewegung einen solchen Aufruf an die weltweite Arbeiter:innenbewegung gerichtet. Es ist ein beschämendes Armutszeugnis für die reformistischen Gewerkschaftsführungen, dass sie, von einigen wenigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen, keinen Finger krummgemacht haben. Viele haben sich sogar schwergetan, den Krieg unmissverständlich zu verurteilen.

Die Arbeiter:innenklasse in den Ländern, die Israel mit Waffen und diplomatischem Schutz versorgen, hat eine besondere Pflicht zu handeln. Dies ist nicht nur der Krieg Israels. Es ist ein kolonialer Krieg, der auch unter Beteiligung mehrerer westlicher imperialistischer Mächte geführt wird.

Der Sieg Israels in diesem Krieg stärkt die Position des westlichen Imperialismus und damit die Stärke, das Selbstvertrauen und die Kampfeslust unserer herrschenden Klassen. Deshalb ist der Kampf der Palästinenser:innen auch unser Kampf; deshalb müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um für internationalistische Aktionen der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen, um den Krieg zu beenden und den Sturz der gesamten vom Imperialismus unterstützten Ordnung im Nahen Osten zu beschleunigen, beginnend mit der Zerschlagung des israelischen Staates, der Errichtung eines bi-nationalen demokratischen und sozialistischen Staates in ganz Palästina und durch eine sozialistische Revolution im Nahen Osten.




HAMAS = ISIS ?!

von Felix Ruga, November 2023

„Hamas ist ISIS, und genauso wie ISIS vernichtet wurde, wird auch die Hamas vernichtet.“

Dieses Zitat stammt von Benjamin Netanjahu auf einem Treffen am 12. Oktober mit dem US-Außenminister Blinken. Das Narrativ, die Hamas sei das gleiche wie der IS (Islamischer Staat; im Englischen meist ISIS = Islamic State of Iraq and Syria), wurde damit schon früh in die Welt gesetzt und dabei auch von vielen westlichen Spitzenpolitiker_Innen aufgenommen. Und irgendwie erscheint es auch erstmal nachvollziehbar, wenn man den Horizont sehr schmal wählt: Gemessen an den Taten am 7. Oktober sind beides brutale, paramilitärische islamistische Organisationen. Damit ist die Auseinandersetzung mit der Hamas schnell abgeschlossen und die Taktik klar: Militärische Zerstörung sei nicht nur legitim, sondern der einzige Weg. Das stellt auch bis heute ein wichtiges Element in der Legitimierung der laufenden israelischen Bodenoffensive, der Einebnung Gazas und zehntausend Getöteten dar.

Jedoch ist diese Gleichstellung so unangemessen, dass sich sogar diverse bürgerliche Zeitungen zu Wort gemeldet haben, die sonst nicht unbedingt einen antiimperialistischen Ruf haben, wie die Washington Post oder das TIME-Magazine. Tenor ist, dass bezüglich ihrer sozialen, politischen und religiösen Rolle die beiden Organisation deutliche Unterschiede aufweisen. Hierbei würden wir zustimmen und dieser Artikel soll zu dieser Differenzierung betragen. Wir machen das zum einen, weil dieser Irrtum eine mächtige Waffe gegen die palästinensische Widerstandsbewegung ist, weil diese momentan mit der Hamas praktisch gleichgesetzt oder zumindest immer in die Nähe gerückt wird. Ein differenzierter Blick auf die Hamas und ihre Geschichte ermöglicht so erst überhaupt eine klare Differenzierung innerhalb des palästinensischen Widerstands. Zum anderen kann so auch eine wirklich fortschrittliche Perspektive entstehen, wie wir den Islamismus in der Region zurückdrängen können. So viel schon mal voraus: Genozid und Einebnung Gazas helfen nicht.

Hamas is not ISIS

Zunächst erstmal ein paar Worte zum IS: Er gehört zum salafistisch-takfirischen Zweig des Islamismus. Das bedeutet, dass hierbei eine extrem autoritäre Auslegung der religiösen Regeln bewaffnet durchgesetzt werden. Das bedeutet nicht nur, dass hier nicht die geringste Hoffnung auf jegliche Toleranz von Abweichung besteht, wie das Nichttragen von Hijabs oder Hören westlicher Musik, sondern dass selbst andere Muslime als Abtrünnige betrachtet und verfolgt werden. Politische Vision des IS ist eine transnationale Bewegung, die eine „Umma“ bildet, also eine Gemeinschaft von muslimischen Gläubigen, die zum „Islamischen Staat“ werden sollen. Vor Ort entspricht seine Rolle auch eher denen von „fremden Invasoren“. Der Ursprung des IS liegt in abgehalfterten irakischen Militärs, die mit dem Blick auf den syrischen Bürgerkrieg gen Westen gezogen sind, um dort mitzumischen. Sie haben sich auch nicht vorwiegend aus den eingenommenen Gegenden rekrutiert, sondern radikalisieren und mobilisieren über Kampagnen im Ausland und im Internet.

Vergleichen wir das nun mit der Hamas. Vorweg sollte gesagt werden, dass wir hier keine vollständige Geschichte der Hamas nachzeichnen können, auch wenn diese recht aufschlussreich ist. Wir empfehlen hierzu den Artikel „Eine kurze Geschichte der Hamas“ von Marx21. Aber schon aus ihren Ursprüngen lässt sich einiges ablesen: Ursprünglich ging die Hamas auf den palästinensischen Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft zurück, die zum Ziele der religiösen Bildung und sozialen Wohlfahrt gegründet wurde. Hierin steckt schon eher eine Idee der „Islamisierung von Unten“ im Gegensatz zum IS. In sozialen Fragen ist die Hamas zwar religiös-konservativ, aber lange nicht so rigide wie der IS. Wirklich relevant wurde die Hamas jedoch erst, nachdem alle anderen große Kräfte im palästinensischen Widerstand ihren politischen Bankrott erklärt haben. Zum einen wäre da der säkulare Panarabismus, der im Sechstagekrieg 1967 eine schwere militärische Niederlage erlitten hat und damit in eine Krise geriet.

Zum anderen der Verrat der palästinensischen Linken aufgrund ihrer Etappentheorie, die die sozialistische Umwälzung der nationalen Befreiung hintenanstellt und die Unabhängigkeit der zuvor sehr schlagfertigen palästinensischen Arbeiter_Innenbewegung zugunsten einer Unterordnung unter der palästinensischen Bourgeoisie aufgegeben hat. Nach der ersten Intifada und den Verhandlungen in Oslo 1993 hat sich die Fatah mit der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde in ein System integriert, das als verlängerter Arm der Besatzung in der Westbank gilt. Hier wurde ein Polizeistaat aufgebaut, der jeglichen Widerstand unterdrückt. Deswegen wird die Fatah weitestgehend als korrupte Verräter_Innen angesehen. Diese Prozesse sind nicht nur isoliert in Palästina passiert, sondern ähnlich in der gesamten Region: Säkulare und stalinistische Kräfte, die ehemals stark waren, haben es nicht geschafft, die Region gegen den Einfluss des Imperialismus zu verteidigen, weshalb sich ab den 90ern der politische Islam immer mehr als Alternative formierte, worunter auch der Aufstieg des IS nach dem Irakkrieg fällt. Teilweise geschah das mit vorheriger Unterstützung des Westens. So wurde zunächst auch die Hamas als Konkurrenz zur Linken von Israel geschont und damit begünstigt.

Die Hamas fokussierte sich zunehmend darauf, sich als „die militantesten“ innerhalb der Befreiungsbewegung darzustellen. Dies wirkte, denn auch nach Oslo ging die israelische Unterdrückung ungebremst weiter und viele Palästinenser_Innen verlangten nach militantem Widerstand. Hierdurch hat sich die Hamas immer mehr in der palästinensischen Gesellschaft verankert. Es ist nicht bloß eine außenstehende paramilitärische Kraft, sondern übernimmt viele gesellschaftliche Aufgaben. Letztendlich speist sich die Hamas aus der Verzweiflung des palästinensischen Volks, was sie auch bewusst nutzen.

Ihre Argumentation bezog sich zunehmend auf die Losungen der nationalen Befreiung, die sie mit islamistischen Ideen verbindet. Hierin zeigt sich jedoch eine durch und durch reaktionäre, antisemitische Utopie: Palästina solle zwar befreit werden, aber hin zu einer islamischen, religiös-konservativen Gesellschaft. In ihrer Gründungscharta erklären sie „die Juden“ zu ihren Feind_Innen und dass für diese kein Platz in der Region sei. Hierbei wird auch keine antisemitische Verschwörungstheorie ausgelassen, wenn es heißt, dass die Jüd_Innen für so ziemlich jedes Übel in der Welt verantwortlich seien.

Die Hamas nahm 2006 an den allgemeinen palästinensischen Wahlen teil, jedoch mit einem Wahlprogramm, das sich in der Sprache etwas mehr an die restliche palästinensische Widerstandsbewegung anpasste, indem es mehr zum Kampf gegen den israelischen Staat und nicht mehr explizit gegen Jüd_Innen aufrief. Dabei grenzte sich die Hamas jedoch nicht vom Antisemitismus ab, was sie auch nie überzeugend tat, sondern ihn eher manchmal taktisch zurückstellt. Sie gewannen die Wahlen und kurz darauf die Oberhand in Gaza, welches aber zum Freiluftgefängnis unter der letztendlichen Kontrolle Israels umgebaut wurde. In Gaza ist die Hamas integraler Bestandteil der Gesellschaft, indem sie die Verwaltung, Sozialsysteme und öffentliche Ordnung organisiert, auch wenn sie immer mehr an Beliebtheit verlor und die Massenproteste gegen sie immer wieder brutal niedergeschlagen hat. Die Hamas lässt sich dabei von anderen Reaktionären unter Druck setzen, indem sie sich von der Unterstützung einiger islamischen Länder abhängig macht und von noch rechteren Gruppen wie dem „Islamischen Dschihad“ herausgefordert wird.

Welche Perspektive?

Das offensichtliche zuerst: Fortschrittliche Kräfte sollten weder die Ideologie, das politische Programm noch die Kampfmethoden der Hamas supporten. Verbunden mit der undemokratischen und elitären Ausrichtung auf den Kampf einiger Tausend Milizionäre sowie der wachsendem Strategielosigkeit, führte das zum sinnlosen Massaker an hilflosen israelischen Zivilist_Innen, was nicht nur menschlich schockierend und militärisch sinnlos war, sondern auch die Reihen im israelischen Staat geschlossen und die Bevölkerung dahinter weitestgehend geeint hat. Dies ermöglicht es dem israelischen Staat, seinen brutalen Angriff auf das Freiluftgefängnis Gaza als „legitime Selbstverteidigung“ darzustellen.

Dennoch sollten wir nicht auf die Erzählung reinfallen, dass Frieden in die Region einkehren würde, sobald die Hamas zerschlagen ist, vor allem wenn dabei von der zivilen Bevölkerung so große Opfer abverlangt werden. Denn wie bereits skizziert: Der gesellschaftliche Nährboden der Hamas ist die Verzweiflung und der legitime Widerstandswille des palästinensischen Volkes sowie das politische Versagen der palästinensischen Linken und der Fatah.

Die einzige Lösung ist es, Freiheit, Gerechtigkeit und eine Zukunft für die Palästinenser_Innen zu erkämpfen. Das Programm der Hamas ist dazu nicht in der Lage und wir müssen sie deshalb politisch aus dem Widerstand verdrängen, unter anderem indem wir eine sozialistische Perspektive aufzeigen. Das bedeutet: In Gaza muss man den Widerstand gegen den Genozid unterstützen, ohne dabei Kritik zurückzustellen. In der Westbank und der Diaspora plädieren wir für Massenmobilisierungen, Streiks und Intifada. In benachbarten Ländern brauchen wir eigene Mobilisierungen und den Bruch mit der Pseudosolidarität aller Erdogans, Assads und Khomeinis. Im Westen müssen wir die Waffenlieferungen blockieren und unsere demokratischen Rechte verteidigen. In Israel braucht die Linke unseren Support und wir müssen die Risse zwischen israelischen Arbeiter_Innen und dem Zionismus weiter vertiefen. Hierbei kann ein Moment der permanenten Revolution entstehen, dass die Perspektive aufmacht zu einer fortschrittlichen Lösung des Nahostkonflikts: Im gemeinsamen Kampf eint sich die palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenbewegungen hin zu einem gemeinsamen, säkularen, multiethnischen und sozialistischen Staat. Das ist der einzige Weg zum Frieden in der Region.




„From the river to the sea“ – Ist das schon Antisemitismus?

Von Lia Malinovski und Felix Ruga, Oktober 2023

Während in Gaza die Luft brennt, verschiebt sich in Deutschland die Debatte nach rechts und wird zunehmend repressiver. Wie selbstverständlich ist der deutsche Staat dabei mitgegangen und meint nun zu erkennen: Antizionismus ist tatsächlich Antisemitismus! Dementsprechend haben wochenlange Verbote jeglicher palästinasolidarischen Demonstrationen kaum mehr eine Erklärung bedurft, außer dass sie „antiisraelisch“ und dementsprechend praktisch schon volksverhetzend sind. Aber auch schon einzelne Aussagen und Demosprüche sind betroffen: Mit der absurden Vorstellung, dass der Ausruf „From the river to the sea, palestine will be free!“ (Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein) die Vernichtung aller Jüd_Innen im Nahen Osten fordere, gab es schon zig Festnahmen. Wir wollen im Folgenden kurz beleuchten, warum es nichts mit Antisemitismus zu tun hat, sich eine fortschrittliche Lösung des Nahostkonflikts und ein sicheres Leben für Jüd_Innen fernab von militärischer Gewalt vorstellen zu können.

Niemand ist frei…

Der Slogan fordert ein befreites Palästina auf dem gesamten historischen Gebiet. Was nun “frei” und “Palästina” bedeutet, ist offen. Viele meinen einfach Gerechtigkeit für alle, ob sie nun in Israel oder Palästina leben. Die “offizielle Lesart” ist nun jedoch, dass man mit dem Slogan die Zerschlagung Israels fordere. Aber dass das als eliminatorischen Antisemitismus gebrandmarkt wird, liegt am Aberglauben an die Unausweichlichkeit eines ethno-nationalistischen Apartheidstaat als jüdischen Schutzraum. Dieses Schutzbedürfnis ist mehr als berechtigt, denn spätestens seit der Shoah ist klar, welche Ausmaße der Antisemitismus annehmen kann, der weltweit seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt und nie abgenommen hat. Dieser Schutz wird in Israel gesehen.

Letztendlich ist Israel aber nicht dazu in der Lage, Antisemitismus tatsächlich zu bekämpfen. Es ist höchstens dazu in der Lage, unter extrem prekären Verhältnissen zumindest einen Nationalstaat zu schaffen, in denen Jüd_Innen die Mehrheit darstellen und dementsprechend keine antisemitische Bedrohung durch ihren eigenen Staat befürchten müssen. Aber dieser Schutz ist unter anderem so prekär, weil das zum Leidwesen einer anderen Volksgruppe, nämlich der palästinensischen geschieht. Der israelischen Politik fiel als Lösung dieses Konflikts nur ein, mit noch mehr Militär und noch mehr Unterdrückung jeglichen palästinensischen Widerstand kleinzuhalten. Das ist weder menschlich erträglich noch fortschrittlich! Ganz im Gegenteil!

Insgesamt wird dabei verkannt oder ausgeblendet, dass Israel ein Klassenstaat ist. Es ist ein kapitalistischer Staat, es gibt Klassenspaltung und entsprechend auch Klassenkampf. Es gibt innere Widersprüche und Konflikte, mit denen der Staat zu kämpfen hat. Es gibt eine Ausbeuter_Innenklasse (Bourgeoisie) und mehrere Klassen der Ausgebeuteten (Proletariat und in Teilen die Kleinbauernschaft). Anhand dessen müsste allen linken und klassenbewussten Kräften klar sein, dass es nicht „ein Interesse“ der Jüd_Innen im Allgemeinen gibt, was ein Denken in nationalistischen Kategorien entspricht. Vielmehr gibt es je nach Stellung im Produktionsprozess, wie auch je nach gesellschaftlicher Stellung und daraus resultierender Unterdrückung (beispielsweise Rassismus), verschiedene entgegengesetzte Interessen, die ein Staat niemals zugleich befriedigen kann. Wie alle anderen bürgerlich-kapitalistischen Staaten muss auch Israel in erster Linie die Interessen der Bourgeoisie vertreten, zuungunsten der israelischen Arbeiter_Innen.

Neben den tödlichsten Formen des Antisemitismus existiert noch weitaus mehr Formen des Antisemitismus, auf die Israel keine Antwort ist. Gerade die jüdische Arbeiter_Innenklasse ist neben der alltäglichen Diskriminierung zusätzlich von Unterdrückung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, sowie in sämtlichen weiteren gesellschaftlichen Bereichen betroffen. Diese „zusätzliche“ Unterdrückung, die den größten Teil aller Jüd_Innen weltweit betrifft, wird von Israel nur so lange bekämpft, wie es nicht den (ökonomischen) Interessen der israelischen Bourgeoisie widerspricht. Es treffen also verschiedene, sich entgegengesetzte Interessen aufeinander, sodass ein tatsächlicher Schutz und die tatsächliche Bekämpfung von Antisemitismus gar nicht möglich sind. Es kann im Kapitalismus auch kein tatsächlicher Schutzraum bestehen. Kritik und Ablehnung dieses gesamten Systems im Nahen Osten ist mehr als gerechtfertigt. Weltweit stellen sich viele Jüd_Innen gegen die Politik und das Apartheidsystem Israels.

Anhand der Ausführung wird klar, dass die Forderung nach Zerschlagung Israels nicht antisemitisch sein muss, gerade wenn sie von Links kommt. Und das ist kein linksradikales Hirngespinst: So könnte man die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ nennen, welche einigen Support aus der Wissenschaft bekommen hat. Darin heißt es: „Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner_Innen zwischen dem [Jordan] und dem Meer volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

zwischen Fluss und Meer?

Wir sollten uns aber auch im Klaren darüber sein, dass es verschiedenste Ziele und Strategien gibt, ein befreites Palästina zu erreichen und wie dieses aussehen soll. So wollen beispielsweise reaktionäre Kräfte wie die Hamas kein säkulares Palästina, sondern einen neuen religiösen und fundamentalistischen Staat. Auch soll kein multiethnischer Staat errichtet werden, sondern es soll weiterhin ein Staat, beruhend auf (religiös begründetem) Rassismus bestehen bleiben, dann gerichtet gegen die Jüd_Innen in der Region. Das ist selbstverständlich abzulehnen. Andere Kräfte, insbesondere Fatah und damit auch die Palästinensische Autonomiebehörde sowie bedeutende Teile der israelischen Zivilgesellschaft, sehnen sich nach der gescheiterten Zwei-Staaten-Lösung und fahren eine Politik der Versöhnung. Es soll einen Staat Palästina geben, neben einem Staat Israel. An sich klingt das erstmal nach einer guten Idee, in der Praxis ist das jedoch nicht umsetzbar, da Israel auf Siedlerkolonialismus und damit einhergehend der Vertreibung der Palästinenser_Innen aufbaut. Beide Bestrebungen sind Sackgassen für den palästinensischen Widerstand und kein Weg zur Befriedung des Nahen Ostens. Sowohl Frieden mit dem Unterdrücker als auch neue Unterdrückung müssen wir als Kommunist_Innen entschieden ablehnen und bekämpfen.

Ein tatsächlich befreites Palästina kann nur säkular, multiethnisch und vor allem sozialistisch sein. Es muss eingegliedert sein in eine Föderation sozialistischer Staaten im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, nach einem Programm der permanenten Revolution. Es müssen Staatsbürger_Innenrechte für alle gelten, die dort leben, es muss das Recht auf Rückkehr für alle Vertriebenen geben, sowie eine gemeinsame demokratische Verwaltung des Gebietes, auf der Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Planung der Wirtschaft. Um das zu erreichen, müssen wir die Spaltung zwischen der israelischen und der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse überwinden, denn diese beiden sind es, die das Potenzial haben, ein sozialistisches Palästina zu erkämpfen. Dazu muss die israelische Arbeiter_Innenklasse mit dem Zionismus brechen. Innerhalb der israelischen und palästinensischen Linken ist diese sogenannte Einstaatenlösung recht weit verbreitet.

Das klingt jedoch alles ziemlich utopisch und das ist es wahrscheinlich auch. Die israelische Arbeiter_Innenklasse ist mit der Gewerkschaft Histadrut eng an den Zionismus gebunden. Die reaktionäre Hamas bestimmt offenkundig den militanten Widerstand. Und die Fatah glaubt weiterhin an die Zwei-Staaten-Lösung und ist nicht bereit, damit zu brechen. Kommunist_Innen in Israel und Palästina werden verfolgt, wurden gefoltert und ermordet. Wir müssen also Taktiken entwickeln, die den Einfluss dieser ganzen Akteur_Innen schwinden lässt und die Bevölkerung von ihnen wegbricht.

Hierfür ist ein konsequenter Kampf gegen die israelische Besatzung notwendig, die nicht vor den Unterdrücker_Innen einknickt. Das Ziel muss es sein, eine neue Intifada zu erreichen, also einen allgemeinen und demokratischen Aufstand gegen den Apartheidstaat. Bei den Streiks, Demonstrationen und Aktionen soll konkret auch auf die israelische Linke zugegangen werden und eine Vereinigung der palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenklasse erreicht werden. Die großen Demos im letzten Jahr gegen die Justizreform haben schon die Potentiale gezeigt. Der revolutionäre Kampf kann die Grundlage für die Verständigung darstellen, um diese Vereinigung zu erreichen, alte Wunden zu heilen und jene zionistischen und islamistischen Kräfte zu besiegen, die genau das fürchten!




Palästinasolidarität bei FridaysForFuture?

Debattenbeitrag von Lia Malinovski

Aktuell läuft bei der klimaaktivistischen Jugendorganisation Fridays For Future in Deutschland eine Debatte um Palästinasolidarität. Die internationale Organisation hat sich durch mehrere Tweets und Posts auf anderen Social-Media-Kanälen solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf gezeigt, die deutsche Organisation distanzierte sich davon. Durch unsere Intervention bei Ende Gelände, nicht zuletzt aber durch die Rede der palästinensischen Organisation „Palästina Spricht“ auf dem globalen Klimastreik am 23.September in Bremen, ist die Debatte aktueller denn je bei Fridays For Future.

Palästinasolidarität – Notwendig oder Antisemitisch?

In unserem Artikel „Unsere Solidarität mit Palästina war niemals antisemitisch, ist nicht antisemitisch und wird auch nie antisemitisch werden!“ gehen wir tiefer in die Thematik ein, ob Palästinasolidarität antisemitisch sei. Kurz gesagt, linke Solidarität mit Palästina und dem Kampf gegen den Zionismus, ist kein Antisemitismus, sondern sollte eine revolutionäre Notwendigkeit sein!

Die Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus ist zutiefst antisemitisch und rassistisch; antisemitisch unter anderem daher, dass es eine Gleichsetzung des Zionismus und des Staates Israel mit dem Judentum bedeutet, rassistisch unter anderem daher, dass diese Ideologie Hass auf Palästinenser_innen und vor allem ihre Vertreibung legitimiert.

Das zeigt sich beispielsweise an den etlichen Morden, die die IDF (Israel Defence Forces) regelmäßig an Palästinenser_innen verübt, deutlich über 100 Menschen wurden alleine in diesem Jahr durch die Besatzungsmacht getötet, aus Gründen die selbst aus bürgerlicher Sicht unverhältnismäßig und völlig illegitim sind. Auch zionistische häufig extrem rechte Siedler_Innen morden in den palästinensischen Gebieten nicht selten und üben sehr oft, quasi immer ungestraft und häufig durch die IDF gedeckt, Gewalt gegen Palästinenser_Innen und solidarische Israelis aus.

Die Frage des Existenzrechtes Israels

In der Debatte bei Fridays for Future ist eine Frage besonders zentral: Die Frage nach dem Existenzrecht Israels. Dabei lenkt diese Frage vom eigentlichen Thema ab. Es ist das Ziel, mit Debatten über das Existenzrecht eines rassistischen Staates, die Unterstützung des antikolonialen Kampfes als antisemitisch und damit rechts und falsch abzustempeln. Anstatt über das Existenzrecht Israels zu sprechen, sollte Fridays For Future über die Unterdrückung der Palästinensischen Bevölkerung sprechen und wie sie den Kampf dagegen unterstützen können. Klimaschutz ist nur im Rahmen eines antikolonialen, und damit antirassistischen, Kampfes möglich! Letzten Endes muss sich Fridays For Future positionieren – entweder sie unterstützen einen antirassistischen Kampf, oder einen rassistischen Kolonialstaat.

Da diese Frage weiter aufkommen wird, wollen wir uns trotzdem kurz damit beschäftigen:

Wer die Frage stellt, ob man dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht, versucht zu sagen, dass man einen jüdischen Schutzraum zu unterstützen hat. Gerade mit Blick auf den zunehmenden Antisemitismus weltweit, ist die Forderung nach einem jüdischen Schutzraum, solange die Gefahr des Antisemitismus nicht gebannt ist, durchaus nachvollziehbar und in vielen Teilen auch sinnvoll.

Doch in Bezug auf Israel, geht jegliche Logik verloren: Ein jüdischer Schutzraum müsste für alle Jüd_innen, die in diesem Raum leben wollen, zugänglich und sicher sein. Israel hingegen ist für schwarze Jüd_innen kein sicherer Ort, wie die rechte Regierung Netanyahus und die israelische Rechte immer wieder mit öffentlichen Aussagen und Angriffen bishin zu kleineren Pogromen deutlich machen. Auch kann ein kapitalistischer Staat kein Schutzraum sein, denn es wird immer Spaltung und Unterdrückung innerhalb der Klassengesellschaft geben. Ein wahrer Schutzraum für Jüd_innen kann nur ein sozialistischer Staat sein, in dem alle Ethnien friedlich miteinander leben können, ein Staat unter der Kontrolle des Proletariats!

Fridays for Future muss sich positionieren, Schluss mit dem Teilen von rassistischen Ideen und der Legitimation von Unterdrückung! Klimaschutz heißt notwendigerweise Solidarität mit antikolonialen Befreiungskämpfen weltweit!

  • Freiheit für die durch das israelische Militär besetzten Gebiete! Schluss mit der zionistischen Unterdrückung und für den Aufbau eines vereinigten, säkularen und sozialistischen Palästinas, in dem Angehörige verschiedener Religionen und Atheist_innen, sowie Menschen sämtlicher Ethnien und Kulturen, gleichberechtigt miteinander leben können. Für eine vereinigte sozialistische Föderation im gesamten Nahen Osten!
  • Für globale Klimagerechtigkeit! Die imperialistischen Staaten sollen für die von ihnen verursachten Schäden bezahlen! Streichung der Schulden für die Halbkoloniale Welt!



Trumps Deal gegen Palästina

Warum wir Trumps Deal ablehnen und wir stattdessen fordern.

Die Veröffentlichung von Trumps “Deal of the Century” am 28.1. in
Washington war eine Party für ihn und Netanyahu, und die erlesene Auswahl von
Vertreter_Innen der evangelikalen Rechten, der Siedler_Innenbewegung und erzkonservativen
Republikaner_innen, die eingeladen waren. In den ersten Reihen saßen jedoch
auch die Botschafter der ölreichen sunnitischen Golfmonarchien. Ganz im Sinne
der geostrategischen Interessen des US-Imperialismus soll hier eine Anti-Iran
Allianz im Bündnis mit Israel zusammengezimmert werden. Trumps Pläne stießen
dabei auf freudestrahlende Gesichter. Nicht eingeladen waren die
Palästinenser_Innen. Um die geht es offensichtlich nicht, und diverse absurd
anmutende Forderungen stellen sicher, dass Trumps Deal niemals tatsächlich zu
Verhandlungen mit den Vertreter_Innen der Palästinenser_Innen führen wird. So
schickte er auch die Drohung vorweg, sein “Friedensplan” könnte die letzte
Möglichkeit für die Palästinenser_Innen sein, Frieden mit Israel zu schließen. Form
und Zeitpunkt der Veröffentlichung des Plans sind dabei kein Zufall sondern
haben innenpolitische Gründe: Während sich Trump in Washington gerade gegen ein
Amtsenthebungsverfahren wehrt, wurde Netanjahu nur wenige Stunden vor
Veröffentlichung des Plans wegen Korruptionsvorwürfen angeklagt. Ganz praktisch
ist dieser “Plan” jedoch eine Ermächtigung für den Staat Israel, seine
strategischen Ziele ohne weitere Konsultationen durchzusetzen, und folgt Trumps
bisheriger Politik: der Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt, der
Anerkennung der Annexion der Golanhöhen und seiner Entscheidung, die
israelischen Siedlungen nicht mehr als Verletzung internationalen Rechts zu
betrachten

Der „Staat Palästina“ würde nach dem Trump-Plan gerade
9% des britischen Mandatsgebiets Palästina von 1947 ausmachen. Fast alle
israelischen Siedlungen in der Westbank und das Jordantal würden zu
israelischem Staatsgebiet, Jerusalem wäre allein israelische Hauptstadt. Trumps
Plan geht sogar darüber hinaus, nur den Status Quo der faktischen Souveränität
Israels über die Westbank anzuerkennen, und schlägt die Abtrennung des sog.
„Triangle“ (Muthallath), einer Gegend mit hohem palästinensischem
Bevölkerungsanteil, von Israel vor, d.h. die Ausbürgerung eines Teils der
Palästinenser_Innen mit israelischem Pass – wie es auch seit Langem von
Rechtsextremen wie Avigdor Lieberman gefordert wird.

Apartheid in Staatsform gegossen

Trumps „Deal of the Century“ beinhaltet die vollständige
Anerkennung der von der zionistischen Rechten geplanten Annexionen in der
Westbank. Dagegen spricht der Plan einem zukünftigen palästinensischen Staat
das Recht auf Kontrolle seiner Grenzen und seines Luftraums ab. Er verweigert
dem „Staat Palästina“ das Recht, militärische Kräfte aufzustellen und
behält dem Staat Israel ein militärisches Interventionsrecht in
palästinensischen Gebieten vor. Der Staat Palästina würde noch nicht einmal das
Recht haben, seine Beziehungen zu anderen Staaten eigenständig zu gestalten,
sofern israelische Interessen davon betroffen sein sollten. Diesem “Staat”
würde es an allem fehlen, was einen unabhängigen Staat ausmacht.

Die Niederlage der ersten Intifada mündete Anfang der 1990er-Jahre
in die Verhandlungen um die Osloer Verträge. Für das vage Versprechen,
irgendwann eine begrenzte Souveränität zugestanden zu bekommen, sollten die
Palästinenser_Innen den Kampf gegen die rassistischen Verhältnisse, die ihnen
Tag für Tag auferlegt werden, einstellen. Damals erlaubte die politische
Kapitulation der PLO und die Demobilisierung der Intifada dem Staat Israel, mit
dem massiven Ausbau der Siedlungen in der Westbank das Ziel eines unabhängigen
palästinensischen Staates zu verunmöglichen. Mit der Gründung der palästinensischen
Autonomiebehörde wurde darüber hinaus ein autoritärer Bürokratenapparat
geschaffen, der als verlängerter Arm der Besatzungsmacht in der Westbank
agiert.

Der Trump-Plan folgt zunächst der gleichen Methode, die Anfang der
1990er-Jahre in den Oslo-Verhandlungen angewendet wurde, mit einem Unterschied:
in den 30 Jahren des Oslo-Prozesses waren die Palästinenser_Innen als
Verhandlungspartner_Innen geachtet, um der fortschreitenden Kolonisierung des
Westbank eine Scheinlegitimation zu geben. Trumps Schwiegersohn Kushner
hingegen hat mit den Palästinenser_Innen noch nicht einmal gesprochen, sie
waren bei der Veröffentlichung des „Plans“ nicht eingeladen, und sie
werden nicht gefragt, ob sie dem Plan zustimmen werden. Dessen Umsetzung, d.h.
die Annexion weiter Teile der Westbank, ist für die zionistische Rechte ohnehin
beschlossene Sache. Während der Oslo-Prozess also der Besatzungspolitik Israels eine „Legitimation“ durch Einbindung der
palästinensischen Institutionen in aussichtslosen Verhandlungsrunden verschaffen
sollte, beschränkt sich die Legitimation nun auf die „Anerkennung der
Wirklichkeit“, d.h. die tatsächliche Gewalt des israelischen Staates über
die besetzten Gebiete. Trumps „Lösung“ für die illegalen Siedlungen
besteht einfach darin, diese zu legalisieren. Seine „Lösung“ für die
tausenden Geflüchteten ist es, ihnen das Rückkehrrecht zu verweigern, und die
„Lösung“ für Jerusalem ist, dass er die gesamte Stadt (ausgenommen
einem kleinen Vorort im Osten) Israel alleine zuspricht.

Sozialismus statt Nationalismus

Die aggressive Politik der US-Regierung gegen die Rechte der
Palästinenser_Innen und die (bestenfalls) schweigende Zustimmung vieler anderer
Regierungen, wie der deutschen und französischen, macht es dringend notwendig,
dass linke Aktivist_Innen und kämpferische Gewerkschafter_Innen weltweit dieser
Politik den Kampf ansagen. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser_Innen
wird nicht von der Vernunft der “Weltgemeinschaft”, also bürgerlichen
Regierungen, abhängen. Sondern davon, ob die Bewegung in in Palästina und
Israel es schafft, Massen gegen die Pläne der israelischen Rechten und ihrer Verbündeten
in Amerika, Europa und den Golfstaaten zu mobilisieren. Sowohl in Ramallah und
Gaza als auch in Tel Aviv gab es bereits große Proteste. Linke Kräfte haben nun
die Aufgabe eine unabhängige Organisation der Arbeiter_Innenklasse
voranzutreiben und ihr eine Perspektive zu geben. Dabei können sie wenig auf
die etablierten Kräfte vertrauen: Während die zionistische Linke bestenfalls
zurück zu Oslo möchte, können ebenso Fatah und Hamas keine politische
Alternative aufwerfen. Die palästinensische Führung hat es sich auf ihre alten
Tage im Status Quo bequem gemacht, genießt große Privilegien und hat kein
Konzept, wie effektiv Widerstand aufgebaut werden kann. Ein viel wichtigerer
Partner sind stattdessen die Massenproteste in der Region: Ob im Libanon, in
Rojava, im Irak, in Algerien, in Ägypten oder im Iran: Nicht nur in Palästina
sondern überall lehnen sich die Massen gegen die imperialistische Neuordnung
der Region und die bereitwillige Unterstützung der lokalen Machthaber auf. Die
Arbeiter_Innenbewegung in Europa hat deshalb die Aufgabe, die kolonialen und
geostrategischen Pläne ihrer Regierungen zu durchkreuzen. Im Zuge der
Niederlage in Antikrisenprotesten und im Taumel der neuaufkommenden Welle des
Nationalismus sind jedoch regierungsnahe nationalistische Positionen in der
Arbeiter_Innenbewegung hier mehr und mehr zur Normalität geworden sind. Im
Falle des Trump-Plans müssen wir hier also auch den profitorientierten und
geostrategischen Interessen Deutschlands eine Absage erteilen und für die
Einstellung jeglicher finanzieller, wirtschaftlicher und militärischer
Unterstützung für den israelischen Staat einzutreten.

Außerdem müssen wir anerkennen, dass die Politik der
Zweistaatenlösung, wie sie von der Palästinensischen Autonomiebehörde und den
traditionellen Organisationen der PLO vertreten wird, zur Unterordnung dieser
Institutionen unter die Bedürfnisse der Besatzungsmacht und zum Verrat am
Befreiungskampf geführt hat. Trotz der Empörung von Vertreter_Innen der
Palästinensischen Autonomiebehörde wie Mahmoud Abbas über die gezielte Provokation,
die der “Friedensplan” darstellt, haben diese Kräfte nicht verstanden, dass
ihre Politik, die auf einen Interessensausgleich mit dem Staat Israel abzielt,
utopisch ist und die palästinensische Bewegung entscheidend geschwächt hat.
Selbst wenn die “Zweistaatenlösung” realisierbar wäre, würde sie nur die
bestehende Unterdrückung in eine neue institutionelle
Form gießen. Daher treten wir innerhalb der Solidaritätsbewegung für die
Perspektive einer sozialistischen Einstaatenlösung ein. Das ist nur realistisch,
wenn der Kampf verbunden wird mit den sozialen und demokratischen Kämpfen im
ganzen Nahen Osten, wie in Ägypten, im Libanon und im Irak. Ein sozialistischer
Staat Palästina würde allen Geflüchteten die Rückkehr erlauben und würde allen
Einwohner_Innen, egal welcher Religion, die gleichen Rechte garantieren. Dieses
Ziel kann nicht in Verhandlungen mit imperialistischen Regierungen erreicht
werden, sondern nur mit Methoden des Klassenkampfes.




100 Tage unter Zionisten – Augenzeugenbericht aus Israel

Israels Präsident Netanjahu und Politiker des Likud-Blocks feiert seinen Sieg für die Knesset. Er ist ein besonders harter Verfechter einer agressiven Kriegspolitik.

Israels Präsident Netanjahu,  ein besonders harter Verfechter einer agressiven Kriegspolitik, feiert gerade seinen Sieg für die Knesset.

Ein wenig mehr als 3 Monate meines einjährigen Freiwilligendienstes in Israel sind bereits verstrichen. Ein relativ kleiner Zeitraum, der jedoch bereits dazu ausreichte, um dieses Land und vor allem dessen Bewohner genauer kennenzulernen:

Entgegen meiner anfänglichen Vorstellung, Israels Aggressionen würden sich hauptsächlich auf die rassistische Besatzung der Westbank und des Gazastreifens beziehen – und entgegen der antideutschen Darstellung eines „Kibbuzkommunismus“ im Innern Israels – wurde mir schnell deutlich, dass die israelische Bourgeoisie nicht nur durch den sich erneut formierenden palästinensischen Widerstand mehr und mehr bedroht wird, sondern dass sich Erez Israel auch von innen selbst aufzufressen scheint.

Zeichen der immer stärker werdenden Wut der israelischen Bevölkerung gegenüber der zionistischen Bourgeoisie und insbesondere gegenüber der ultrarechten Regierung Netanjahus waren die Massenproteste im Sommer des vergangenen Jahres, in welchen tagtäglich bis zu 500 000 Menschen die politische Führung Israels offen kritisierten. Inhalte der Proteste waren in erster Linie Wohnraumknappheit, Mieterhöhungen und Gentrifizierung, stetig steigende Lebenshaltungskosten (ein Faktor, den auch ich als Volontär in voller Härte zu spüren bekomme), sinkende Reallöhne, privatisierte Sozialeinrichtungen, Sonderrechte der ultra-Orthodoxen, und auch Kritik am Ausbau der jüdischen Siedlungen und deren Subventionierung (billigere öffentliche Verkehrsmittel, Steuervergünstigungen,…) innerhalb der Westbank, an den Aggressionen gegenüber dem Iran, an den massiven Militärausgaben und an der Abriegelung Gazas. Die Protestbewegung ist heute auf Grund innerer Ungeschlossenheit und weit auseinanderdividierenden Ansichten kaum noch präsent – aber die Umstände die sie auslösten und die Wut der Israelis darüber. Es scheint nur noch eine letzte Mieterhöhung fehlen, die das Fass zum überlaufen bringt. Die israelische Bourgeoisie hat jedoch aus der Vergangenheit gelernt und beantwortet Krisen im Innern stets mit militärischer Aggression nach außen. In diesem Kontext muss auch die Bombardierung Gazas im vergangenen Monat betrachtet werden. Denn nichts hat die Israelis je mehr zusammengeschweißt und von inneren Problemen abgelenkt als eine Bedrohung von außen. Nicht zu vergessen sind auch die anstehenden Wahlen, welche die Regierung ähnlich wie im letzten Gazakrieg 2008 dazu veranlassen, sich militärisch zu profilieren.

Schleichend bewegt sich das ohnehin verfassungslose und mit Hilfe von Notstandsgesetzen regierte Israel währenddessen durch immer mehr autoritäre Gesetzte in Richtung Diktatur. Beispiele dafür sind das Nakbagesetz, das es verbietet der Vertreibung der Palästinenser öffentlich zu gedenken oder das Anti-Boykott-Gesetz, das den Aufruf zum Boykott von Produkten, Universitäten und Betrieben jüdischer Siedlungen im Westjordanland unter umgerechnet 10 000 € Strafe stellt. Dies ist zudem auch als besonders harter Schlag gegen die arabische Bevölkerung Israels zu sehen, welche als Opfer der Besatzung nun auch noch Schadensersatz an die Besatzer zahlen sollen, sobald sie diese nicht unterstützen. Ein weiteres Gesetz soll es NGOs verbieten, Spenden von anderen Staaten oder staatsähnlichen Institutionen wie der EU oder der UN anzunehmen. Ein cleverer Schachzug der zionistischen Rechten, die selber hauptsächlich von ausländischen Bourgeois, also Firmen und Privatpersonen, finanziell unterstützt werden. Mithilfe eines weiteren neuen Gesetztes ist es der Polizei erlaubt, eine „Zusammenrottung“ von mehr als 3 Personen als illegale Versammlung abzustempeln, was sie dazu befugt diese sofort aufzulösen.

palästina#8

Israels Staatsapparat ist nicht nur für die Unterdrückung der Palästinenser, sondern auch der israelischen Arbeiterklasse, da.

Der Oberste Gerichtshof, welcher eigentlich als politisches Gegengewicht zur Knesset vorgesehen war, wird von der Likudregierung nach und nach personell „gleichgeschaltet“. Es bleibt die Frage, ob das überhaupt notwendig ist, wenn dessen Beschlüsse ohnehin ignoriert werden. Beispielsweise wie auf die Anordnung des Obersten Gerichtshofes, alle Siedlungsaußenposten außerhalb der „Grünen Linie“ zu evakuieren, jede Reaktion der Regierung ausblieb.

Neben dem stark ausgeprägten Überwachungsapparat, der E-Mail- und Postverkehr, Handygespräche und Chatunterhaltungen überwacht und einem gut ausgebauten Netz aus Überwachungskameras, wird der Umweltschutz in Israel komplett vernachlässigt.

Dass der Zionismus mit seiner kennzeichnenden antiarabischen Haltung einen rassistischen Charakter innehat, wusste ich bereits bevor ich dieses Land kennenlernte. Dass sich dieser Rassismus aber keinesfalls nur gegen Araber richtet wurde mir erst bewusst, als ich zum ersten Mal in Tel Aviv war. Gleich nach meiner Ankunft an der Central Bus Station erwartete mich im angrenzenden Levinski Park das traurige Bild von geschätzten 200 obdachlosen unter unmenschlichen Bedingungen lebenden Afrikanern. Allein in Tel Aviv halten sich momentan 40 000 von ihnen, meistens Flüchtlinge aus dem Sudan, Eritrea oder Äthiopien, auf. So gut wie alle von ihnen sind obdachlos und haben nur eine Bleibeberechtigung, dürfen als politische Flüchtlinge also lediglich nicht abgeschoben werden. Auf Grund dieses rechtlichen Status haben sie keinen Anspruch auf den israelischen Mindestlohn (umgerechnet stolze 5,45€) und kämpfen sich mit Gelegenheitsjobs zu Hungerlöhnen durchs Leben. Ein Umstand, welcher die Ärmsten Israelis Tel Avivs jedoch um ihre ökonomische Existenz fürchten lässt. Diese Angst entlädt sich seit diesem Jahr immer öfter in blutiger Gewalt. So gehört es in der rechten Szene bereits zum guten Ton nach einer Kundgebung als pöbelnder Mob durch das afrikanische Viertel zu ziehen und dort Scheiben einzuschlagen und Afrikaner zusammenzutreten. Selbst im religiösen Jerusalem brannte im Juni dieses Jahres ein Haus, welches ausschließlich von afrikanischen Flüchtlingen bewohnt war, komplett nieder. Ein Eingreifen der Regierung ist nicht zu erwarten. Sie sieht in den Immigranten hingegen ein „Krebsgeschwür in unserem Körper“(Likud-Abgeordnete Miri Regev). Israels Innenminister erklärt ferner, dass die Afrikaner nicht verstünden, dass „dieses Land uns gehört, dem weißen Mann“.

Dem ausschweifenden Nachtleben und der wunderschönen Natur Israels, die meinen Freiwilligendienst hier recht angenehm machen, steht natürlich die politische Realität gegenüber. Nie hätte ich es vorher für möglich gehalten, dass ich es mal als normal empfinden würde, neben einem israelischen Soldaten im Bus zu sitzen, dessen Maschinengewehr auch noch halb auf meinen Knien liegt. Nie hätte ich erwartet, dass ich nach der Arbeit mit einem Worker meiner Arbeitsstelle noch ein Bier trinken gehe, der stolzer Bewohner der illegalen Siedlung Gilo im Süden Jerusalems ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Mädchen mit dem man gestern noch in einer der gemütlichen Jerusalemer Bars was trinken war, einen am nächsten Tag am Checkpoint bustet oder an der Straßensperre steht, welcher man einen 1,5 stündigen Umweg zu verdanken hat. Natürlich habe ich auch schon einige echt entspannte linke Israelis kennengelernt, jedoch muss ich mich bei den meisten neuen Bekanntschaften stets bemühen allein den Mensch vor mir zu sehen.

Das ganze fiel noch schwerer als der Gazakonflikt eskalierte. Als Deutscher wurde ich ständig nach meiner Meinung dazu gefragt und in die Diskussion gedrängt. In vielen Leuten denen ich eher eine Gleichgültigkeit in Bezug auf Politik unterstellt hätte, erwachte spätestens zu diesem Zeitpunkt der zionistische Patriotismus. Die Schuld dafür sehe ich vor allem bei den israelischen Medien, die ein sehr einseitiges Bild zeichnen. Fast ausschließlich werden Bilder der Zerstörung auf israelischer Seite gezeigt, währenddessen, falls überhaupt Bilder aus Gaza zu sehen sind, nur von der Brutalität der Hamas gegenüber der Bevölkerung Gazas die Rede ist. Es wird der Glaube erzeugt, Israel würde Gaza bombardieren, um die Menschen in Gaza von der Hamas zu befreien. Dieses Medienbild sollte einen jedoch kaum wundern, wenn man sich vor Augen führt, dass Israels Medienlandschaft von nicht mehr als 20 regierungsnahen Familien kontrolliert und finanziert wird. Beispielsweise wird Israels meistgelesene Zeitung von einem Likud-nahen nationalistischen Milliardär finanziert, dessen Investitionen viele vergleichsweise linke Zeitungen vom Markt verdrängen. Durch einige Unterhaltungen habe ich allerdings mitbekommen, dass selbst die Israelis ihren Medien kaum vertrauen. Jedoch immer noch mehr als arabischen oder allgemein ausländischen.

Trotz der
starken Hegemonie der zionistischen Rechten gibt es aber doch linke Bewegungen, in denen Israelis und Palästinenser sich vereinen.

So gab es eine Friedensdemonstration in der arabischen Stadt Nazareth, einen Tag nach dem die ersten Raketen auf Tel Aviv geflogen waren. Die Demonstration wurde von der sich selbst als kommunistisch bezeichnenden Chadasch-Partei unangemeldet organisiert und wurde von ca. 500 mehrheitlichen Chadasch Anhängern besucht.

Zum Anderen besuchte ich den „Human Rights March“ in Tel Aviv Anfang Dezember. Es beteiligten sich ca. 2000 Menschen und die verschiedensten Organisationen und Parteien. Die Spannbreite ging von Antisexisten, Homophobiegegnern, Arabern, Christen, Menschenrechtsgruppen, Amnesty International über Flüchtlingsorganisationen bis hin zur mehrheitlich und lautstark überwiegenden Chadasch.

palästina#10Diese Art von gemeinsamen palästinensisch-israelischen Protesten sind unbedingt notwendig. Das israelische Proletariat und auch die Jugendlichen müssen den Zusammenhang zwischen ihrer eigenen ökonomischen Situation und der Besatzung der Westbank und Gazas erkennen und begreifen, dass die israelische Bourgeoisie und der Imperialismus die Hauptschuldigen dafür sind. Ihnen muss deutlich werden, dass die massive Ausbeutung der Palästinenser als Billig-Arbeiter für die sinkenden Reallöhne verantwortlich ist. Sie müssen erkennen, dass die israelischen Kapitalisten das fehlende Geld im sozialen Bereich in das Militär und die Besatzung stecken.

Genauso muss auch das palästinensische Proletariat mit der reaktionären, korrupten und antisemitischen Fatah- und Hamasführung brechen. Der nationale Befreiungskampf der Palästinenser muss sich von jeglicher religiöser Bindung an den Islam loslösen, da dessen reaktionären und utopischen Schlachtrufe zum einen Frauen, als auch nationale und religiöse Minderheiten verschrecken. Die Palästinenser müssen begreifen, dass sie nicht nur von den Zionisten, sondern auch von ihrer eigenen Bourgeoisie unterdrückt werden.

palästina#7.php

Jüd_innen und Palästinenser_innen können gemeinsam Palästina befreien und ihre Bourgeoisien stürzen!

Ganz im Sinne von Marx Aufruf „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ ist die einzig sinnvolle Perspektive zur Befreiung der Palästinenser vom israelischen Apartheidsregime, als auch zur Befreiung der israelischen Bevölkerung von ihrer faschistoiden Bourgeoisie, ein gemeinsamer Kampf der israelischen und palästinensischen Jugend und der Arbeiterklasse. Ziel dabei muss die Errichtung eines multiethischen demokratischen Arbeiterstaates mit völliger Gleichstellung aller Bevölkerungsteile sein. Nur der Bruch des Proletariats mit ihren jeweiligen Bourgeoisien und der gemeinsame Kampf gegen diese, kann diesen Jahrzentelangen Krieg beenden. Dass die allseits hochgelobte 2-Staaten-Lösung keine Perspektive bietet, liegt daran, dass der entstehende palästinensische Ministaat keinesfalls eine eigene ökonomische Existenzbasis hätte und damit von Israel abhängig bliebe. Die fruchtbaren Gebiete der Region befinden sich alle auf israelischem Territorium und auch die gesamte Wasser-und Stromversorgung liegt in israelischer Hand. Ebenso der Arbeitsmarkt, da es Palästinensern momentan nur in seltensten Fällen erlaubt ist, eigene Unternehmen zu gründen. Ein Palästina auf dem Gebiet des Westjordanlandes lässt vielmehr die Erinnerung an das südafrikanische Bantustan zur Zeit der Apartheid wach werden: ein Territorium, in das man die „überschüssige“ Minderheit abschieben und weiterhin als billige Arbeitskräfte nutzen kann.

REVOLUTION tritt deshalb ein für:

  • Die Vereinigung der palästinensischen und israelischen Jugend und Arbeiterklasse zur Bekämpfung der zionistischen Besatzung Palästinas, mit dem Ziel der Errichtung eines multiethischen demokratischen Arbeiterstaates!
  • Den Schulterschluss mit anderen fortschrittlichen Kräften der umliegenden Länder, als auch international!
  • Die Schaffung der Vereinigten sozialistischen Staaten des Nahen Ostens!

Ein Artikel von Marvin Schutt, REVOLUTION