Europäische Asylpolitik: Erst stirbt das Recht – dann der Mensch!

von Clay Ikarus, Oktober 2023

Hungersnöte, Umweltkatastrophen, Krieg und Verfolgung. Der Kapitalismus schafft eine Spirale des Elends! Über 100 Millionen Menschen sind bereits gezwungen, ihre Heimat zu verlassen auf der Suche nach einem sicheren Zuhause, doch alles was sie erwartet sind überfüllte Lager, eine rassistische Asylpolitik, Diskriminierung, Armut, Menschenhandel und oft auch der Tod. Allein in diesem Jahr sind fast 500 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen und das sind nur die offiziellen Zahlen. Doch anstatt den steigenden Todeszahlen entgegen zu wirken und den Menschen sichere Fluchtrouten, Asyl und gleiche Rechte zu bieten, setzt die EU und allen voran Deutschland auf Abschottungspolitik. Die Festung Europa wird immer weiter ausgebaut und das nicht nur durch Grenzschutzarmeen wie Frontex, sondern auch durch Verschärfungen der Gesetze und Abkommen mit anderen Ländern. Während im Koalitionsvertrag der Ampelregierung noch das Ziel gesetzt wurde, das Leid an den Außengrenzen zu beenden und bessere Standards in der Asylpolitik einzuführen, sieht die Praxis mal wieder komplett anders aus. So wurde in diesem Jahr bereits eine Asylgesetzverschärfung umgesetzt, Menschen können schneller abgeschoben werden. Am 04. und 05.10.23 fand zudem ein informeller EU-Gipfel in Granada statt, wo das GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) nochmals erweitert wurde.

Historischer Rückblick:

Es ist nun 30 Jahre her, dass in Deutschland das Grundrecht auf Asyl geändert wurde und das Prinzip der Drittstaatenregelung sowie „sicherer“ Herkunftsländer unter der Kohl-Regierung eingeführt wurde. 3 Tage später verbrennen 5 Menschen in Solingen im Haus der Familie Genç in Folge eines Angriffs rechter Brandstifter. Diese fühlten sich durch die rassistische Politik bestätigt. Damals wurden bereits Zugeständnisse an rechte Kräfte gemacht, die den Anstieg rechter Gewalt mit sich brachten. Die Politik hat den Kurs jedoch nicht geändert, nach und nach wurden immer mehr rassistische Gesetze eingeführt:

2011 wurden EU-weit Richtlinien erstellt für die Anerkennung eines Menschen als staatenlos, 2013 wurden diese um die Dublin-Verordnung erweitert, die besagt, dass Geflüchtete wo sie zuerst registriert werden, auch Asyl beantragen müssen.

2015 kam das Asylpaket I – Ausweitung der „sicheren“ Herkunftsländer, Verlängerung der Unterbringung in Lagern, Arbeitsverbot solange kein Asyl genehmigt ist, Leistungskürzungen, Abschiebetermine dürfen nicht mitgeteilt werden, Integrationskurse nur für Asylsuchende, die sicher Asyl bekommen und es nicht lange geprüft werden muss, Verteilung von Minderjährigen aufs ganze Bundesgebiet, diese wurden vorab durchs Jugendamt betreut. Ebenfalls wurde im gleichen Jahr noch das Asylschnellverfahren eingeführt, wo innerhalb einer Woche über das Leben der Menschen, die oft traumatisiert hier ankommen, entschieden wird.

2016, schon im März Asylpaket II – Familiennachzug wird eingeschränkt, auch die Integrationsgesetze wurden verschärft. 3 Jahre müssen Asylsuchende an ihrem Wohnsitz bleiben, weitere Kürzungen und Sanktionsmöglichkeiten des bereits aufs Existenzminimum gedrückten Asylleistungsgelds.

2017 wurde dann beschlossen, dass Asylsuchende bis Ende des Verfahrens in Lagern gelassen werden können, was manchmal Jahre dauert.

2018 dürfen Menschen in Abschiebehaft mit Strafgefangenen zusammengelegt werden. Zudem wurden die Gründe für Haft verschärft sowie Auflagen zur Unterbringung erweitert und Menschen, die Abschiebetermine weitergeben, begehen eine Straftat.

Über Corona hinweg wurde der Familiennachzug extrem erschwert, in den Lagern gab es massive Ausbrüche und kaum Hilfe, Abschiebungen wurden weiter durchgeführt, 2020 brannte Moria noch zusätzlich ab. Auch mit Asyl sind die meisten gezwungen, schlechter bezahlte Jobs in großen Einrichtungen, wie Amazon Lagern, Paketdiensten, Tönnies, Erntehilfe, etc. anzunehmen, daher sind viele der Coronatoten auch Migrant_Innen oder Geflüchtete. Doch auch nach Corona ging es brutal weiter. Nicht nur, dass die Umwelt- und Wirtschaftskrise und der Krieg in der Ukraine sowie anhaltende Kriege und Besetzungen mehr und mehr Menschen zur Flucht zwingen als je zuvor, die Abschottung geht gleichzeitig auch in die nächste Runde und mit ihr der Rechtsruck. NSU, Hoyerswerda, Rostock Lichtenhagen, Oury Jalloh, Halle, Hanau etc. sind Folgen dieser Politik. Natürlich gab es auch vorher rechte Kräfte und Gewalt, sowie rassistische Gesetze aber der Rechtsruck zieht sich seitdem verstärkt durch die Gesellschaft und steigert diese Unterdrückung, nicht nur in Deutschland, sondern EU- und weltweit. Gerade die Krise 07/08 befeuerte die Lage und die jetzigen bringen das Risiko des Faschismus näher.

Festung Europa schottet sich ab

Weiter geht es nun mit der Ausweitung des GEAS und der Krisenverordnung. Über 50 Organisationen, die sich für Geflüchtete einsetzen, haben davor gewarnt, doch der Beschluss steht nun fest und die EU-Staaten haben sich geeinigt. Zukünftig soll neben dem Dublin-III-System eben die Krisenverordnung gelten. Dublin-III führte dazu, dass gerade die EU-Staaten im Süden Geflüchtete aufnehmen, denn dort kommen die meisten zuerst an und schaffen es kaum bis nach Deutschland oder Frankreich ohne zuvor bereits registriert worden zu sein. In Italien, Griechenland, Spanien und auch Ländern, wie der Türkei werden die Menschen bereits jetzt in Lagern untergebracht und müssen da auf Asyl warten, was gerade durch die Überlastung Jahre dauern kann. Dies soll jetzt geändert werden, indem die Lager nicht mehr zur EU gehören und Geflüchtete somit die EU faktisch nie betreten haben. Die Asylanträge werden dann im Zuge eines Grenzverfahrens an die EU gestellt, während die Menschen vor der Grenze de facto inhaftiert sind, von dort können sie dann abgeschoben werden. Dies wird auch Kinder treffen, welche 40% der Geflüchtetenzahlen ausmachen. Außerdem kann nun in Drittstaaten abgeschoben werden, die die Menschen nie zuvor betreten haben, während gleichzeitig die Anforderungen an diese „sicheren“ Staaten runtergeschraubt werden. Es wird nicht mehr geprüft, ob Menschen das Recht auf Asyl haben, sondern nur noch festgelegt, wo sie zu leben haben. Heftig ist auch, dass anders als noch im Juni gesagt, nun doch ein Absatz zur „Instrumentalisierung von Migrant_Innen“ enthalten ist, der private Seenotrettung zur Straftat erklären kann. Auch die illegalen Pushbacks sind nun legalisiert, da sie zum legitimen Grenzschutz erklärt werden. Eine verpflichtende Aufnahme der EU-Staaten ist zudem nicht vorgesehen, die Staaten können auch einfach unter dem „Solidaritätsmechanismus“ Gelder an Staaten wie Tunesien zur Flüchtlingsabwehr zahlen.

Argumentiert wird diese grausame Reform dann auch noch mit dem Kampf gegen Rechts. Nächstes Jahr finden nämlich die EU-Wahlen statt und um den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen, macht man weiter Zugeständnisse an sie. Nicht nur, dass man hierbei nicht aus der Geschichte gelernt hat, nein, die letzten Jahre haben auch erneut bewiesen, dass dies den Rechtsruck nur vorantreibt. Olaf Scholz spricht von einem „historischen Wendepunkt“. Nancy Faeser sieht die deutschen „Vorstellungen von Menschlichkeit und Ordnung“ verwirklicht. Auch wurde auf die zu hohen Zahlen von Asylanträgen verwiesen, die ja unbedingt verringert werden müssen, sonst sei der freie Handel innerhalb der EU gefährdet. Also damit die Wirtschaft weiter offene Grenzen hat, bekommen Menschen keine Hilfe.

Über 100 Millionen Geflüchtete und Deutschland hat gerade mal 200.000 Asylanträge, in der ganzen EU sind es nur 800.000 Anträge von 100 Millionen Menschen, die kein Zuhause mehr haben. Diese nicht mal eine Millionen zu bearbeiten und aufzunehmen überfordert??? Was will man uns hier vormachen? Die meisten Menschen auf der Flucht fliehen innerhalb ihres eigenen Landes oder in Nachbarstaaten, ohne dass es da Aussicht auf ein besseres Leben gibt. Und selbst hier innerhalb der EU, wo der Handel sich über jede Grenze frei bewegen darf, dürfen die Menschen sich nicht einfach zu den gleichen Bedingungen bewegen. Während man als Deutsche_r eigentlich alles darf mit dem nötigen Geld, sieht das für Menschen aus Polen oder Griechenland schon ganz anders aus, die kriegen nicht überall ein Arbeitsrecht. Das zeigt mal wieder, dass wir mehr mit den Geflüchteten gemein haben als mit den Profiteur_Innen der kapitalistischen Produktion.

Was müssen wir also dagegen tun?

Also first step: Wir dürfen keine Illusionen in die kapitalistischen Regierungen haben, die seit Jahrzehnten den Rechtsruck befeuern und eh nur das Interesse hat, die Profitgier der herrschenden Klasse zu bedienen und dafür zu sorgen, dass die kapitalistische Wirtschaft freien Handel betreiben kann. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir nur als Unterdrückte und Ausgebeutete gegen die Grenzen die uns voneinander trennen, ankämpfen können und freie Bewegung in der Welt nur gemeinsam erreichen können.

Dafür müssen wir uns gemeinsam organisieren! Die Forderung nach offenen Grenzen und Staatsbürger_Innenrechten für Alle sind für uns alle wichtig, gerade in Zeiten mehrerer Krisen kann es schnell dazu kommen, dass man selbst betroffen ist. Zudem würden gleiche Staatsbürger_Innenrechte auch gegen Rassismus und Rechtsruck helfen, da es dann keine systematische Rechtssprechung gäbe, die Mirgrant_Innen ohnehin zu Menschen 2. Klasse erklärt. Löhne müssten gleich bezahlt werden und an die Inflation angepasst, sodass Lohndrückerei und Überausbeutung halbkolonialer Länder keine Anreize mehr hat. Wenn ein Konzern lieber Migrant_Innen einstellt als Staatsbürger_Innen, dann vor allem, weil weniger Lohn gezahlt werden kann. Das gleiche sehen wir auch bei Gastarbeiter_Innen und stellt auch den Grund für Outsourcing und Abwanderung dar. Gegen den Fachkräftemangel braucht es kostenlose Bildung und Ausbildungen, Umschulungen und ein Recht auf Arbeit und Wohnen für Alle. Dafür müssen wir uns in Schulen, Unis und Betrieben organisieren und gemeinsam streiken. Denn nur der Streik baut den nötigen Druck auf, um unsere Interessen umzusetzen, da dies den Verlust von Kapital bedeutet. Es braucht demokratische Streikkomitees, die auch bereit sind, sich zu nehmen was uns zusteht, wenn die herrschende kapitalistische Klasse es uns nicht geben will.




Nein zur EU-Asylrechtsreform! Offene Grenzen für alle!

Von Paul Dreher, Juni 2023, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Am 8. Juni verständigten sich die EU-Innenminister_Innen auf eine „Reform“ des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS). Faktisch stellt sie eine Abschaffung des ohnedies schon massiv eingeschränkten Asylrechts für Hunderttausende Geflüchtete dar. Ohnehin ist der Status einer geflüchteten Person längst äußerst prekär. So sind Geflüchtete der Hetze bürgerlicher Medien sowie rechter Gewalt ausgesetzt und haben in der Regel weder das Recht zu arbeiten noch ihren Wohnort zu wählen.

Und auch das nur, wenn sie den tödlichsten Fluchtweg der Welt, das Mittelmeer mit seiner Festung Europa, überleben. Keine Woche nach dem Beschluss nahm die rassistische Außenpolitik der EU 500 – 600 weitere Tote in Kauf, als ein überfülltes Fischerboot vor der Küste Griechenlands kenterte. Laut Aussagen von Geflüchteten aufgrund der griechischen Küstenwache, welche im Rahmen eines Pushbacks das Boot aus dem Gleichgewicht brachte.

Der Beschluss der Innenminister_Innen stellt einen weiteren massiven rassistischen Angriff dar. Bevor er in Kraft tritt, muss er noch durch die gesetzgebenden Institutionen – EU-Kommission, -Rat und -Parlament. Eine Verteidigung des Asylrechts ist von diesen nicht zu erwarten, zumal die Regierungen der EU-Staaten wie auch alle größeren Fraktionen des EU-Parlaments in den Beschluss der Innenministerkonferenz eingebunden waren.

Aber die Verhandlungen und Beratungen der EU-Organe können und müssen noch genutzt werden, um eine Bewegung zur Verhinderung der „Reform“ und zum Kampf für ein uneingeschränktes Asylrecht aufzubauen.

Was haben die Innenminister_Innen beschlossen?

Die Reform, welche von der Bundesregierung als „politischer Durchbruch” gesehen wird, bedeutet eine quasi Abschaffung des geltenden Asylrechts. Sie sieht unter anderem die Nutzung von großen Asylzentren an den EU-Außengrenzen mit Einschränkung der Bewegungsfreiheit – praktisch Gefängnisse für Antragssteller_Innen auf Asyl – vor.

In diesen sollen Geflüchtete, worunter ebenfalls Familien mit Kindern zählen, bis zu drei Monate lang eingesperrt, jedoch möglichst schnell wieder abgeschoben werden.

Insbesondere,  wenn es sich um Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten” handelt oder aus Staaten, aus denen Antragssteller_Innen in der Vergangenheit mit einer ziemlich geringen Wahrscheinlichkeit Erfolg auf Asyl hatten (darunter fallen z. B. die Türkei, Indien oder Tunesien). Sollte eine Abschiebung in das Herkunftsland nicht möglich sein (zum Beispiel, weil dort Krieg herrscht), so ist jetzt auch eine in ein „sicheres Drittland” möglich, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise (wie entfernte Verwandtschaft) mit der geflüchteten Person assoziiert wird.

An den Außengrenzen inhaftierte Geflüchtete werden registriert und möglichst gründlich identifiziert.

Die entsprechenden Daten, darunter neben biometrischen Fingerabdrücken auch Gesichtsfotos, sollen in einer EU-Datenbank gesichert und von Asyl- und Strafverfolgungsbehörden aller EU-Staaten abgerufen werden können, damit sogenannte „Sekundärmigration”, d. h. die Chance auf Asyl in einem anderen Land der EU (mit möglicherweise menschengerechteren Lebensgrundlagen), verhindert wird. Ein Recht auf Asylberatung oder rechtlichen Beistand wird den Menschen dabei nicht gewährt.

Widerstand in Basis von SPD und Grünen?

Während die SPD-Bundestagsfraktion 2020 noch Horst Seehofer kritisierte und die EU-Asylrechtsreform mitsamt „Massenlager[n] an der EU-Außengrenze” und einem „abgeschwächten Asylverfahren” ablehnte, sieht es heute ganz anders aus, von den Grünen ganz zu schweigen. Wieder einmal beweisen beide Parteien mit ihrer Zustimmung, dass ihnen die imperialistischen Interessen der EU, insbesondere Deutschlands, wichtiger sind als Menschenleben.

Zwar sprachen sich 24 Abgeordnete der SPD und der Grünen aus dem Bundestag sowie eine Handvoll aus Landtagen gegen die aktuelle Fassung der Asylreform aus, tragen die Politik aber faktisch mit. Überhaupt fällt die parteiinterne Kritik sehr schwach aus, auch wenn die Berichterstattung mancher bürgerlichen Medien das anders sieht. Von grünen Kritiker_Innen der Parteispitze fallen Aussagen wie, dass die Verhandlungssituation „sicherlich schwierig” sei und man sich sicher sei, dass doch trotzdem irgendwie für die richtige Politik gekämpft werde. Erik Marquardt, ein Mitglied der Grünen, welcher dafür bekannt ist, sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen zu wollen, spricht trotzdem von „Vertrauen in die Bundesregierung”, und dass eben alle Menschen Fehler machen. Dass es sich hier jedoch nicht um einen alltäglichen menschlichen Fehler handelt, sondern um die systematische Vertretung der Politik des Kapitals, wird von den parteiinternen Kritiker_Innen verkannt. Im Bundestag lehnte nur die Linkspartei die Reform grundlegend als Angriff auf die Menschenrechte ab.

Während SPD, FPD und auch die Grünen die faktische Aushebelung des Asylrechts als „geringeres Übel“ (für wen???) verteidigten, bezeichnen CDU und CSU die Verschärfungen als „guten Schritt“, dem weitere folgen müssten. Damit will sich die AfD erst gar nicht aufhalten. Für sie stellt selbst dieser rassistische Hammer eine „bloße Alibiveranstaltung“ dar, denn noch immer könnten Geflüchtete aus einzelnen Ländern wie Afghanistan und Syrien Asyl erhalten. Auch wenn die AfD-Forderungen im EU-Parlament keine große Rolle spielen werden, so verweisen sie darauf, dass längst nicht das Ende der rassistischen Fahnenstange erreicht ist, selbst wenn die „Reform“ angenommen wird.

Widerstand ist nötig!

Auch wenn von den EU-Institutionen nichts zu erwarten ist, so können und müssen die Beratungen und Verhandlungen der kommenden Monate genutzt werden, um eine Bewegung zur Verhinderung der „Reform“ und zum Kampf für ein uneingeschränktes Asylrecht aufzubauen.

Der Protest gegen den rassistischen Angriff darf nicht weiter auf Petitionen und Kundgebungen von Menschenrechtsorganisationen, von NGOs und antirassistischen Initiativen beschränkt sein wie beim bundesweiten Protesttag am 15. Juni.

Wir brauchen eine Massenbewegungen, von antirassistischen,  Migrant_Innenorganisationen, Gewerkschaften, der Linkspartei. Die Abgeordneten, die sich im Parlament gegen die rassistischen Maßnahmen ausgesprochen haben, müssen eine solche Mobilisierung unterstützen – und zwar nicht nur EU-weit!

Was braucht es stattdessen?

Statt Internierungslagern an den Außengrenzen, Toten im Mittelmeer und einer insgesamt menschenverachtenden EU-Außenpolitik braucht es eine menschenwürdige Alternative in der Hand von Arbeiter_Innen, Geflüchteten und anderen unterdrückten Menschengruppen.

Deshalb fordern wir:

• Volles Asylrecht für alle Geflüchtete! Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen sowie Abschiebungen! Für offene Grenzen!

• Ein Recht auf Arbeit und freie Wahl des Wohnortes und staatliche Unterstützung für Geflüchtete, solange sie keine Arbeit gefunden haben!

• Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit!

• Volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, die in Deutschland leben, inklusive des passiven und aktiven Wahlrechts!

• Statt des Europas der Imperialist_Innen ein Europa des Widerstands, der Unterdrückten und Ausgebeuteten! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas!




Massaker an Geflüchteten in Melilla: Ein weiterer blutiger Höhepunkt der Festung Europa

Auch wenn diese im Zuge der zahlreichen Krisen unterzugehen scheinen, häufen sich die Meldungen von Toten an den EU-Außengrenzen wieder einmal.

Zahlreiche Menschen sterben bei der Flucht übers Mittelmeer, im Jahr 2022 alleine 1982, zudem harren immer noch Tausende an der Belarussischen, Griechisch-Türkischen sowie anderen Grenzen aus, an denen sie vom örtlichen Grenzschutz massive Gewalt erfahren.

Doch gerade ein bisher eher unbekannterer Teil der „Festung Europa“ erlangte dieses Jahr traurige Bekanntheit: Melilla

Tödliche Grenzgewalt in Melilla

Hier starben mindestens 37 Flüchtende (70 weitere gelten bis heute als vermisst) an der Grenze zwischen dem marokkanischem Staatsgebiet und der spanischen Exklave in Nordafrika, welche als ein Relikt aus der kolonialen Besatzung Nord-Marokkos durch Spanien fortbesteht und, wie auch Ceute, als EU Territorium zählt.

Im Juni letzten Jahres versuchten etwa 2000 Menschen bei Melilla über den metallenen Grenzzaun zu kommen, um in ihrer Flucht nach Europa vor Krieg und Hunger nicht den tödlichen Weg über das Mittelmeer auf sich nehmen zu müssen. Ausgelöst wurde dieser Sturm wohl durch marokkanische Grenzbeamte selber, welche ein provisorisches Geflüchteten-Camp in einem nahegelegenen Wald auflösten und eine Massenpanik auslösten.

Diese wurde noch weiter befeuert, als am Grenzzaun sowohl spanische als auch marokkanische Beamte, welche immer wieder bei der Verteidigung der Grenzen der Festung Europa zusammenarbeiten, ähnlich wie z.B. in Libyen oder der Türkei, gewaltsam gegen die Migrant_Innen vorgingen. Sie schossen mit Tränengas und Gummigeschossen in die Menge. Aufgrund des Drucks der Menschenmasse, brach schließlich der Zaun zusammen, wobei bereits mehrere Menschen schwer verletzt wurden. Diverse Videos dokumentieren, wie daraufhin marokkanische Beamte wahllos auf am Boden Liegende einschlugen und offenkundig bewusstlose Menschen mehrere Meter über den Boden schleiften.

Reaktion

Bereits kurz nach dem Vorfall wurden Stimmen laut, sowohl von Seiten diverser Presseportale als auch von Augenzeug_Innen, welche betonten, dass die tödliche Gewalt nicht ausschließlich auf der marokkanischen Seite des Grenzzauns stattfand, sondern auch auf spanischem Staatsgebiet von spanischen Grenzbeamten durchgeführt wurde.

Unter dem Hashtag #melillamassacre wurde das Massaker an Flüchtenden auf Social Media breit verurteilt und zog eine Welle an Protesten in Spanien und Marokko nach sich.

Der Druck von Migrant_Innen und Menschenrechtsorganisationen führte dazu, dass die spanische Generalstaatsanwältin ankündigte, Ermittlungen bezüglich des Vorgehens der Grenzbeamten einzuleiten. Ein halbes Jahr später wurde das Verfahren jedoch öffentlich eingestellt.

Videos, mit den entscheidenden Minuten, welche beweisen sollen, dass es auch auf spanischem Gebiet Tote gab, bleiben weiterhin unter Verschluss. Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska beharrt weiterhin darauf, dass es keine Todesfälle auf spanischer Seite gegeben hätte und dass er die Reaktion und das Vorgehen der Polizist_Innen für angemessen empfindet, eine Aussage die wieder einmal die Menschenverachtung des Europäischen Grenzregimes unterstreicht.

Die Rolle der „Festung Europa“

Melilla ist dabei nur eine mörderische Mauer der Festung Europa unter vielen. So führt die Grenzschutzorganisation der EU, Frontex, illegale Pushbacks durch, was konkret bedeutet, dass sie hilfesuchende Menschen, zum Beispiel an den Küsten Griechenlands, zurück ins Meer prügelt und damit ihren Tod billigend in Kauf nimmt.

All das geschieht nicht ohne Grund, es ist kein Zufall, dass die ach so menschenrechtsfreundliche und demokratische EU in ihrer Politik Migrant_Innen gegenüber so brutal und repressiv vorgeht.

Der Grund hierfür heißt Imperialismus.

Denn der verhältnismäßig hohe Lebensstandard in der EU basiert auf der Überausbeutung von Halbkolonien, größtenteils im globalen Süden.

Überausbeutung heißt hier, dass die Arbeiter_Innen nicht nur von ihrer eigenen nationalen Bourgeoisie ausgebeutet werden, sondern zusätzlich noch von der eines oder mehrerer imperialistischer Länder. Diese erlangen durch große ökonomische Macht politischen Einfluss und halten die Ökonomie der Halbkolonie soweit künstlich klein, um weiter von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sowie dem Nutzen als Absatzmarkt und Niedriglohnstandort, zu profitieren.

Diese Überausbeutung ermöglicht es der herrschenden Klasse in den imperialistischen Zentren (z.B. EU, USA und China) auch, durch Zugeständnisse einen privilegierten Teil der Lohnabhängigen (Arbeiter_Innen-Aristokratie) ruhig zu halten und an sich zu binden.

Zu diesem Teil gehört auch die Gewerkschaftsbürokratie sowie meist die Führung sozialdemokratischer Parteien.

Die imperialistischen Staaten wie eben Deutschland und Frankreich haben also ein starkes Interesse daran, die Grenzen zu schließen und zu verteidigen, da ansonsten Menschen aus den Halbkolonien einfach in den reicheren globalen Norden kommen und sich der Überausbeutung entziehen könnten.

Rassismus als Legitimation

Legitimiert wird dieses Vorgehen durch den Rassismus als Werkzeug, der ein zentraler Teil des aktuell auch wieder erstarkenden Rechtspopulismus ist, dabei von allen bürgerlichen Parteien mehr oder weniger ausgeprägt mitgetragen wird und ursprünglich als Legitimation von Kolonialismus und Imperialismus entstanden ist.

Der Rassismus erfüllt aber noch eine weitere Funktion, nämlich die Schwächung der Arbeiter_Innenklasse, durch ihre Spaltung in Nationen und Kulturen.

Je kleinteiliger die Lohnabhängigen untereinander verfeindet sind, desto schwächer sind sie in der Erkämpfung ihrer Rechte gegen die Bourgeoisie.

Auch verschleiert Rassismus die eigentlichen Ausbeutungsverhältnisse. Statt des Klassenkonflikts zwischen „oben und unten“, also Proletariat und Bourgeoisie, wird ein Konflikt zwischen „innen und außen“, zwischen „Heimischen und Fremden“ in den Mittelpunkt gerückt, obwohl eigentlich überhaupt kein Interessengegensatz herrscht zwischen europäischen, arabischen und afrikanischen Arbeiter_Innen.

Mit einem sehr ähnlichen ideologischen Konstrukt, dem Nationalismus, sollen außerdem die Arbeiter_Innen an den eigenen imperialistischen Staat  gebunden werden.

Wie das funktioniert lässt sich gut am Beispiel des russischen Angriffskriegs in der Ukraine beobachten, wo bedingungslose Solidarität mit dem Westen gefordert wird und auch selbst proklamierte „antirassistische“ Grünen-Politiker_Innen antirussischen Rassismus verbreiten und Entschlossenheit im Kampf gegen den „nationalen Feind“ fordern, statt die internationale Arbeiter_Innenklasse zum Widerstand gegen den Krieg aufzurufen.

Um gegen das Europäische Grenzregime anzukämpfen, stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Die Grenzen auf, Stacheldraht zu Altmetall – Nieder mit der Festung Europa!
  • Weg mit Frontex und anderen Grenzschutzbehörden! Schluss mit „Flüchtlingsdeals“ wie mit Marokko oder der Türkei!
  • Staatsbürger_Innen-Rechte für alle, überall!
  • Fluchtursachen statt Flüchtende bekämpfen – Streichung aller Schulden von Halbkolonien!
  • Schluss mit ethnischer und nationaler Spaltung! Für die Vereinigung von Arbeiter_Innen und Jugend aller Länder zu einer internationalen Bewegung gegen den Imperialismus und die Herrschaft der Bourgeoisie!



„Lesbos ist für uns ein Gefängnis!“

„Lesbos ist für uns ein Gefängnis!“Nach dem Brand im Lager Moria: Das vieler Geflüchteter
hat sich trotz hehrer Versprechen weiter verschlechtert. Wir sprachen vor Ort
mit Bahal über die aktuelle Situation auf der griechischen Insel Lesbos.

REVO: Die Lage auf der Insel ist nach dem Brand in Moria besorgniserregend. Aber kannst du zuerst erzählen, wie dein Leben auf der Insel bisher verlaufen ist, ehe wir über die aktuelle Situation sprechen?

Als ich damals mit meiner Familie auf einem Schlauchboot mit
35 weiteren Menschen von der Türkei auf die griechische Insel Lesbos gekommen
bin, war ich 21 Jahre alt. Heute bin ich 25 und ich habe das Gefühl, den
Großteil dieser Zeit allein mit Warten verbracht zu haben: Stundenlanges Warten
in der Essensschlange auf eine Mahlzeit; Warten auf eine freie Toilette;
Warten, dass wieder ein Monat vorbei ist, damit ich die rationierte Dusche
benutzen darf; Warten, dass ich aus der Zelle entlassen werde, in die ich grundlos
inhaftiert wurde; Warten, dass die Nacht vorbei geht, die mich vor Angst nicht
schlafen lässt; Warten bis mein Asylantrag bearbeitet wird.

REVO: Wo hast du in dieser Zeit des Wartens gelebt?

Über mehrere Jahre hinweg haben meine Familie und ich in
einem Zelt in „Moria“, dem größten Camp der Insel, gelebt. Neben mangelnder
Nahrungsversorgung und schlechten Hygienebedingungen hatte ich dort als Frau
zusätzliche Probleme. Sexuelle Gewalt ist nämlich Alltag im Camp: Ob durch
nächtliche Überfalle oder in der Essensschlange. Ich habe mich nicht getraut,
nachts auf die Toilette zu gehen.

REVO: Wo lebst du heute und hat sich deine Situation dort verändert?

Seit 3 Monaten wohnen meine Familie und ich im
selbstorganisierten Camp „PIKPA“. Solidarische Inselbewohner und Geflüchtete
haben das Camp vor einigen Jahren zusammen aufgebaut und für bis zu 100 Menschen
dort einen Ort zum Leben geschaffen. Und mit „Ort zum Leben“ meine ich wirklich
einen Ort, an dem ich mich halbwegs sicher fühle. Dieses Gefühl hatte ich,
seitdem ich in Europa bin, noch nie. Ich konnte viel Kraft aus meiner neuen
Lebenssituation schöpfen. „PIKPA“ bedeutet für mich, dass „Moria“ nicht
alternativlos ist. Das Camp wurde speziell für besonders schutzbedürftige
Menschen wie schwangere Frauen, Menschen mit Behinderung, Familien mit mehreren
kleinen Kindern und Opfer von Folter errichtet.

REVO: Der griechische Migrationsminister Panagiotis Mitarakis hat vor Kurzem verkündet, „PIKPA“ bis zum 31.10.20 räumen zu wollen. Sein Ziel scheint es zu sein, jede menschlichere Alternative zu „Moria 2.0“ aus dem Weg zu räumen. Wie haben du und die anderen Bewohner_innen diese Ankündigung aufgenommen?

Ich würde sagen, dass ich seit einer Woche nur weine, aber
dafür reichen meine Tränen nicht. Seitdem wir davon gehört haben, müssen wir
nun auch hier in Angst und Verzweiflung leben. Unsere Sorge ist groß, dass wir
nun auch im neu errichteten Camp „Moria 2.0“ untergebracht werden. Niemand
sollte in diesem Gefängnis leben müssen und umso gefährlicher ist es dort für
die Leute aus „PIKPA“, die eigentlich besonders schutzbedürftig sind.

REVO: Nachdem das ursprüngliche Massencamp „Moria“ im September dieses Jahres abgebrannt ist, haben die griechischen Behörden mit Hilfe der EU ein neues Camp („Moria 2.0“) auf einem ehemaligen Schießübungsplatz des Militärs errichtet. Über 10 000 Menschen wurden bereits dort untergebracht. Was weißt du über die Situation dort?

Im Gegensatz zum abgebrannten „Moria-Camp“ wurde das
provisorische Zeltlager als eine geschlossene Einrichtung gebaut. Die Bewohner
dürfen es nur mit schriftlicher Ausgangserlaubnis verlassen. Ihre Situation hat
sich deshalb sogar noch verschlimmert. Die ärztliche Versorgung wurde bis auf
ein Team, das für Corona-Tests zuständig ist, quasi eingestellt. Es herrscht
ein großes Chaos und die griechische Polizei agiert sehr respektlos gegenüber
den Bewohnern. Freunde von mir, die nun dort wohnen müssen, durften sich noch
kein einziges Mal duschen. Hinzu kommt, dass es auch sehr wenige Toiletten
gibt, was angesichts der Pandemie-Gefahr ein besonders großes Problem darstellt.
Mittlerweile gibt es mehrere hundert Infizierte im neuen Camp.

REVO: Obwohl die EU und die griechische Regierung den Geflüchteten auf Lesbos nach dem Brand in „Moria“ versprochen haben, die Situation zu verbessern, haben sich eure Lebensbedingungen tatsächlich verschlechtert. Was würdest du den EU-Politiker_innen gerne sagen?

Ich würde mir wünschen, dass diese Leute mal einen einzigen Tag in „Moria 2.0“ verbringen. Vielleicht würde das ihre Meinung ändern. Die ganze Insel Lesbos ist für uns ein Gefängnis. Doch wir haben nichts verbrochen. Niemand hat es deshalb verdient, hier eingesperrt zu werden. Wir haben ein Recht auf Bildung, Arbeit, Sicherheit und ein Dach über dem Kopf. Für alle Geflüchteten auf den griechischen Inseln sollte es die Möglichkeit geben, sicher auf das Festland weiterreisen zu können!

Interview erschien zu erst in der Jungen Welt vom 7.10.2020, Online unter: https://www.jungewelt.de/artikel/387801.festung-europa-lesbos-ist-f%C3%BCr-uns-ein-gef%C3%A4ngnis.html




Neue militärische Eskalation in Libyen!

Unser Autor Jonathan Frühling erklärt, was genau in Libyen los ist und warum niemand darüber spricht.

Während hierzulande Corona die Nachrichtenwelt dominiert,
gehen die kriegerischen Konflikte zwischen Imperialist_Innen und Regionalmächte
unvermindert weiter. Dabei ist ein alter Konfliktherd mit besonderer Heftigkeit
wieder ausgebrochen: Libyen.

Libyen ist ein weitläufiger nordafrikanischer Wüstenstaat
mit einer Bevölkerung von knapp 7 Millionen Menschen. Das BIP beträgt ca. 30
Mrd. US-Dollar, was ungefähr der wirtschaftlichen Stärke Syriens entspricht,
wobei die Wirtschaft vor allem auf der Förderung von Öl basiert.

2011 wurde der langjährige Diktator al-Gaddafi durch einen
Bürgerkrieg gestürzt. Damals zerfiel die Armee und es bildeten sich lokale
Milizen, die von der NATO aus der Luft unterstützt wurden. Recht bald nach dem
Krieg ist diese Allianz gegen al-Gaddafi jedoch zerfallen und hat zu einem bis
heute andauernden Bürger_Innenkrieg geführt.

Politische Ausgangslage

Das Land ist momentan gespalten in einen Ost- und einen
Westteil. Der Westen wird geführt von der Übergangsregierung GNA (Government of
National Accord) unter dem Ministerpräsidenten as-Sarradsch, indem er die ehemalige
Hauptstadt Tripolis und die umliegenden dicht besiedelten Gebieten kontrolliert.
Diese Regierung wird auch von der UN als die legitime Regierung anerkannt und
vom Westen unterstützt. Im Osten herrscht der General Haftar und seine Libyan
National Army (LNA), die auch einen Großteil der Ölquellen unter ihrer
Kontrolle haben. Er stützt sich auf eine Reihe von im Nord-Osten des Landes
ansässiger Stämme, die hoffen, bzw. hofften, nach seinem Sieg eine bevorzugte
Stellung im neuen Staat zu erhalten.

Neuste Entwicklungen

Vor gut einem Jahr begann das Militärbündnis von Haftar mit
einer großangelegten Offensive, die zu der Eroberung der Hauptstadt Tripolis
führen sollte. Politische Verhandlungen hatte Haftar zuvor abgebrochen. Bei der
Offensive wurden einige Erfolge erzielt und bis in die Vorstädte der Hauptstadt
Tripolis eingedrungen. Dann allerdings stoppte die Offensive, denn die GNA
bekam militärische Unterstützung vor allem durch die Türkei. Diese sendete
unzählige Schiffe mit schwerem militärischen Gerät, vor allem gepanzerte
Fahrzeuge, sowie der Türkei treuen Islamisten aus Syrien, was wohl
ausschlaggebend für die Wende im Krieg war.

Dadurch konnten die Truppen der GNA selbst offensiv werden
und Städte im Westen des Landes und südlich von Tripolis zurückerobern. Die
Rückeroberung eines großen Militärflughafens war dabei der jüngste Erfolg. Dies
hat zudem dazu geführt, dass die Türkei nun eine festere militärische Präsenz
als bisher aufbauen kann. Zudem kann die Türkei die GNA Truppen jetzt
komfortabel aus der Luft unterstützen und damit die fast vollständige Lufthoheit
Haftars Truppen brechen.

Die Militärallianz der Regierung Haftars droht aufgrund
dieser Rückschläge zu zerbrechen, da es nämlich in Libyen auf keiner Seite eine
zentral strukturierte Armee gibt. Vielmehr gibt es lokale Milizen, die vor
allem ihre eigene Macht im Auge haben und deshalb leicht die Seiten wechseln können.
In den von der GNA eroberten westlichen Städten haben die lokalen Milizen,
vorher noch auf Haftars Seite, bereits der GNA die Treue geschworen.

Doch nicht nur die lokale Unterstützung Haftars bröckelt.
Russland, welches bislang Haftar unterstützte, hat seine Militärberater_Innen
und militärisches Gerät, wie z.B. Flugabwehrraketen aus der Frontnähe in den
Osten des Landes abgezogen. Russland scheint also zumindest die Hoffnung auf
eine baldige Offensive zur Rückeroberung der verlorenen Gebiete zu bezweifeln.
Auch von Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emiraten hört man bisher zur
Unterstützung der LNA wenig. Dabei hatte Ägypten bei einer Ausweitung des
Krieges durch die Türkei vor einigen Monaten noch mit dem Einsatz von
Bodentruppen gedroht.

Hunderte Menschen haben in dem letzten Jahr der Kämpfe den Tod gefunden. 200.000 wurden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen.

Die Lage von Flüchtenden

Das subsaharische Afrika ist von völliger Verarmung,
Rechtlosigkeit und Kriegen geprägt. Deshalb fliehen viele Menschen, um Arbeit
in Europa zu finden. Lange Zeit diente der Diktator al-Gaddafi der EU als
gutbezahlter Türsteher der Festung Europa. Nach dem Sturz Gaddafis nutzen nun
viele Flüchtende das entstandene Chaos, um in Libyen zu versuchen, illegal nach
Europa überzusetzen. Dabei müssen sie sich in die Hände von skrupellosen
Schleppern begeben. Oftmals werden sie vergewaltigt und/oder geraten in die Hände
von Menschenhändlern, die sie versklaven. In Libyen wartet eine Regierung auf
sie, die sich von der EU bezahlen lässt, mit militärischer Gewalt das
Übersetzen von Flüchtlingen zu verhindern. Viele Boote werden sogar noch
außerhalb der libyschen Gewässer zur Rückkehr gezwungen. Menschen auf der
Flucht werden gefangen genommen und interniert. Dort warten jahrelange
Inhaftierung unter erbärmlichen Bedingungen auf sie. Zudem sind Folter und
Missbrauch an der Tagesordnung, sodass nicht wenige durch Selbstmord diesem
Schrecken entfliehen.

Forderungen

Klar ist für uns als Kommunist_Innen, dass das Land in ein
solches Chaos abgedriftet ist, weil die Revolution zwar das diktatorische
Regime von Gaddafi gestürzt hat, die Eigentumsfrage aber unangetastet ließ. Wie
viele Revolutionen im sogenannten „Arabischen Frühling“ hatten auch die
Bewegungen in Libyen große Potentiale, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Ihr
trauriges Schicksal erinnert an die ägyptischen oder syrischen Aufstände, in
denen ebenfalls die Arbeiter_innenklasse nicht die programmatische Führung über
die Widerstandsbewegungen übernahm und somit den Weg für neue machthungrige
Cliquen frei machte statt ihr objektives Interesse an allgemeiner Emanzipation
zu verfolgen. Ähnliche Fragen stellen sich heute auch für die aufständischen
Bewegungen im Libanon oder im Irak.

Keine der in Libyen momentan befehlenden Milizen oder
Milizverbände hat ein Interesse daran, Verbesserungen für die lokale
Bevölkerung einzuführen. Letztlich geht es nur darum, welche kapitalistischen
Cliquen und hinter ihnen stehenden Mächte die Kontrolle über das Land, bzw. die
Ölreserven des Landes, bekommen.

Wir als Vertreter_Innen der Arbeiter_Innenklasse vertreten
eine ganz andere Position: Wir treten für eine Bewegung der Arbeiter_Innen und
Bäuer_Innen ein, die Schluss macht mit Fremdherrschaft und Ausbeutung.

Um das zu erreichen, müssen wir für folgenden grundlegenden
Forderungen kämpfen:

  • Für Versammlungsfreiheit,
    Pressefreiheit und Organisationsfreiheit
  • Regionalmächte und
    Imperialisten raus aus Libyen. Keine Kriegsunterstützung für bürgerliche
    Milizen!
  • Entwaffnet und zerschlagt
    die Milizen, die das Land seit 2011 ins Chaos getrieben haben!
  • Für eine Enteignung des
    Großgrundbesitzes. Das Land muss denen gehören, die es bestellen!
  • Für eine Vergesellschaftung
    der Industrie. Die Wirtschaft soll nach einem Plan der Produzent_Innen und
    Konsument_Innen reorganisiert werden!
  • Keine Folter und
    Internierung von Geflüchteten. Jeder Mensch, der Libyen nach Europa verlassen
    will, soll dies ohne Einschränkung tun können!
  • Für den Aufbau einer
    revolutionären Partei unter deren Banner die Unterdrückten sich sammeln,
    bewaffnen und kämpfen können!
  • Für ein sozialistische
    Föderation der Staaten Nordafrikas!



„Stoppt alle bevorstehenden Abschiebungen!“ Ein Interview mit einem geflüchteten Antira-Aktivisten in Israel

Die israelische Regierung hat ein neues Gesetz beschlossen, das die systematische Abschiebung von 40 000 Migrant_innen aus Afrika (mehrheitlich aus Eritrea und dem Sudan) bewirken soll. Von den insgesamt 60 000 nach Israel geflüchteten Menschen wurden bereits 20 000 abgeschoben. Nun will die Regierung auch die verbliebenen 40 000 des Landes verweisen. Begleitet wird der Beschluss durch eine rassistische Kampagne, in der die Geflüchteten von Mitgliedern der Regierung öffentlich als „afrikanische Eindringlinge“ diffamiert werden. Das neue Gesetz stellt sie vor die Wahl: Entweder sie reisen „freiwillig“ aus, stimmen also ihrer Abschiebung gegen eine Geldprämie zu oder sie werden in eigens dafür errichteten Gefängnissen interniert.
Dieser schmutzige Deal geht jedoch nicht ohne den Widerstand der Geflüchteten vonstatten. Seit Wochen protestieren in Tel Aviv und Jerusalem tausende Geflüchtete zusammen mit Aktivist_innen sowie solidarischen Arbeiter_innen und Student_innen gegen die Abschiebungspläne der Regierung. Vor 2 Tagen waren erneut über 20 000 Menschen auf den Straßen. Im Internierungslager Holot sind zudem seit ein paar Tagen mehrere hundert gefangene Geflüchtete in den Hungerstreik getreten. Unsere Solidarität gilt der Bewegung und ihrem Kampf gegen die Netanjahu-Regierung. Uns interessieren vor allem die Motive, Ziele und Organisationsformen der Protestierenden. Eine Freundin von uns traf sich deshalb mit einem der zentralen Aktivisten der Bewegung und hat ihm für euch ein paar Fragen gestellt:

 

Hi Mutasim Ali, könntest du erst einmal erzählen, wie die Situation von Geflüchteten in Israel aktuell aussieht?

Es ist sehr schwer die Situation heute zu beschreiben. Was ich sagen kann ist, dass Geflüchtete und Asylsuchende in einer sehr verzweifelten Situation stecken. Sie fürchten sich vor ihrem unsicheren Schicksal angesichts der neuen Abschiebungspolitik. Im Rahmen dieser Politik drohen tausenden von asylsuchenden Menschen Abschiebungen oder unbestimmte Haftstrafen. Wir hoffen immer noch auf ein Wunder, dass diese katastrophale Politik plötzlich stoppen wird.

Hat sich in letzter Zeit etwas verändert?

Ehrlich gesagt, neben einigen rechtlichen Änderungen im sogenannten „Eindringlingsgesetz“ wurde die Politik gegenüber uns immer schlimmer. Anfangs waren wir noch aktiv und gut organisiert, doch auch das hat sich mittlerweile verändert, da die Leute den Glauben verloren haben. Das ist genau das, was die Regierung erreichen will.

Was ist das größte Problem?

Das größte Problem ist die fehlende Bereitschaft der Regierung Geflüchtete schützen zu wollen. Viele von uns haben deshalb die Hoffnung bereits aufgegeben, dass unter Netanjahus Regierung noch irgendetwas zu verändern wäre.

Was fordert ihr auf den Demonstrationen?

– eine menschliche Behandlung!
– Stopp aller bevorstehenden Abschiebungen!
– ein individuelles und transparentes Asylverfahren für jeden und jede von uns!
– Stellt uns angemessene Dokumente zur Verfügung, mit denen wir in Würde leben können!

Was erwartet ihr von der israelischen Bevölkerung?

Es ist schwer zu sagen, was man genau erwarten kann. Ich glaube aber, was immer sie tun, um diese offensive Politik aufzuhalten, wird von uns hoch geschätzt. Die „No-Deportation-Kampagne“ ist sehr beeindruckend und sollte so weitergehen!