#wirfahrenzusammen: Streiks im Leipziger Nahverkehr

von Niliam, zuerst erschienen bei der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Februar 2023

Zweimal stand der ÖPNV Leipzigs in den letzten Tagen komplett still.

Am Mittwoch, dem 22.02. fanden wie auch am Freitag, dem 17.02. Warnstreiks statt. Nachdem letzte Woche alle vom TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst, unter ihn fällt auch Leipzigs Nahverkehr) betroffenen Beschäftigten streikten, waren es am Mittwoch ausschließlich die Beschäftigten der LVB (Leipziger Verkehrsbetriebe). Der für den Streik gewählte Tag war brisant: trafen doch RB Leipzig und Manchester City im Rahmen eines Champions League Spiels aufeinander. Tausende von Menschen und internationale Gäste waren zu erwarten. Ein erheblicher Reputationsverlust für die Stadt Leipzig war vorauszusehen.

Dies unterstreicht einmal mehr den Kampfeswillen der Beschäftigten, nach ihrer Forderung von 10,5% mehr Lohn, aber mindestens 500€ bei einer Laufzeit von 12 Monaten für die nächste Verhandlungsrunde Ende März. Wir zeigten uns im Rahmen der Kampagne #wirfahrenzusammen u.a. zusammen mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht an Streikposten in der Stadt und auf der Großkundgebung am Freitag mit den Streikenden solidarisch. Auch wenn es sich nur um eine reine Lohntarifrunde handelt, müssen wir doch klarmachen, dass der Ausbau des ÖPNV dringend für eine Mobilitätswende gebraucht wird.

Während der Nahverkehr oft vernachlässigt, teuer und schlecht ausgebaut ist, wird immer noch auf klimaschädliche Fortbewegungsmittel gesetzt. Wir fordern massive Investitionen in den Nahverkehr – für die Beschäftigten, für das Klima und für die Fahrgäste! Sachsen ist Schlusslicht, was die Bezahlung der Beschäftigten im ÖPNV angeht!

Urabstimmung für Erzwingungsstreiks jetzt!

Letzten Freitag waren wir bereits ab Streikbeginn um 3 Uhr morgens am Betriebshof „Angerbrücke“.

Mit den Beschäftigten haben wir uns über die schlechten Arbeitsbedingungen sowie die bestehenden Ängste und Sorgen hinsichtlich der stark gestiegenen Verbraucherpreise ausgetauscht und darüber gesprochen, weshalb die Forderung der Tarifrunde das Mindeste ist, auf was sich eingelassen werden sollte. Sie durchzusetzen wird nur möglich, wenn die Verantwortlichen von ver.di schnell dazu getrieben werden, eine Urabstimmung für Erzwingungsstreiks durchzuführen.

Wichtig ist die gemeinsame Organisation im Arbeitskampf – der Klimaschutz steht nicht gegen die Arbeitsplätze, wie uns die Kapitalist:innen oft weis machen wollen. Die Klimabewegung kämpft mit den Beschäftigten für die gleichen Interessen! Gemeinsam werden wir am 03.03. den globalen Klimastreik in Leipzig unterstützen.

Unsere Solidarität bedeutet auch Fahrgastgespräche zu führen und auf die berechtigten Belange der Streikenden aufmerksam zu machen. Der ÖPNV muss für eine klimaneutrale Zukunft zwingend ausgebaut werden. Mit Plakaten wurde an den Haltestellen darauf aufmerksam gemacht, weshalb die Busse und Bahnen still standen. Mit den Gäst:innen haben wir über die Gründe des Streiks gesprochen und wie berechtigt und wichtig die Unterstützung dieser ist – höhere Löhne dürfen nicht durch Ticketpreise ausgeglichen werden! Im Gegenteil fordern wir einen kostenlosen Nahverkehr, der durch die Besteuerung der Gewinne von VW und Co. finanziert wird.

Am Freitagvormittag kamen rund 2.000 Beschäftigte auf die Kundgebung der Gewerkschaft ver.di. Das Bündnis #wirfahrenzusammen hielt einen Redebeitrag über den gemeinsamen Kampf von Klimaschutz und den Forderungen für den Tarifvertrag. Die Masse zog nach weiteren Redebeiträgen einmal ums Leipziger Rathaus und machte OB Burkhard Jung deutlich klar: „Zusammen geht mehr“ und dass die vergangenen und zukünftigen Reallohnverluste zwingend aufgefangen werden müssen!

Die Arbeitgeberseite hat ein erstes Angebot vorgelegt, welches nicht als solches bezeichnet werden kann. Ihr Vorschlag: Eine Lohnerhöhung von drei Prozent zum 1. Oktober 2023, sowie eine weitere lineare Erhöhung der Entgelte um zwei Prozent zum 1. Juni 2024. Statt eines monatlichen Mindestbetrags mit sozialer Komponente bieten die Arbeitgeber zwei einmalige Inflationsausgleichszahlungen an: 1.500 Euro im Mai 2023 und erneut 1.000 Euro im Januar 2024. Für Nachwuchskräfte sollen die Einmalzahlungen 750 Euro bzw. 500 Euro betragen.

Fallen wir nicht darauf rein! Mit Einmalzahlungen und Verlängerung der Dauer des Tarifvertrages versuchen die Arbeitgeber eine wirkliche Verbesserung vorzutäuschen. Diese bedeuten aber weiterhin Reallohnverluste, welche nicht hinnehmbar sind. Auch wenn ver.di das Angebot sicher nicht annimmt, heißt es wachsam sein! Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Tarifkommission auf einen faulen Kompromiss einlässt.

  • Verkehrswende heißt gute Arbeitsbedingungen für Nahverkehrsarbeiter:innen!
  • Macht Stunk – die ver.di-Verantwortlichen müssen zur Einleitung der Urabstimmung gezwungen werden! Kündigt die Schichtungsklausel!
  • Für einen Streik in den Händen der Beschäftigten: Organisiert Euch selbst im Betrieb, wählt ein Streik- und Aktionskomitee, fordert öffentliche Verhandlungen sowie eine direkte Wähl- und Abwählbarkeit der Tarifkommission!
  • Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive!



Personalmangel an Schulen: Mehrarbeit und Yoga sollen es richten

Von Christian Gebhardt, Februar 2023. Wir spiegeln diesen Artikel von der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Die Katze ist aus dem Sack: Zu viele Schüler_Innen treffen auf zu wenig Lehrkräfte. Es herrscht Lehrkräftemangel an unseren Schulen. Laut dem Berater_Innengremium „Ständige Wissenschaftliche Kommission“ (SWK) der Kultusminister_Innenkonferenz (KMK) fehlen jetzt schon 12.000 Stellen und in den kommenden Jahren soll diese Lücke jährlich um etwa 1.600 Lehrer_Innen ansteigen.

Diese Lage ist der KMK nicht erst seit heute bewusst. Und natürlich nimmt jede_R Beschäftigte_R in einer Bildungseinrichtung schon lange das zunehmende Problem wahr. Jedoch sind die oben angesprochenen Zahlen der KMK mit Vorsicht zu genießen. Studien des Bildungswissenschaftlers Prof. Dr. Klaus Klemm, die er im Auftrag unterschiedlicher Organisationen wie z.B. der GEW oder des VBE (Verband Bildung und Erziehung) durchgeführt hat, sprechen eher dafür, dass die KMK ein stark geschöntes Bild zeichnet und mit einer weitaus größeren Lücke bis 2030 zu rechnen ist.

Das dahinter liegende Problem zeichnet sich wie folgt: Geburtenschwache Jahrgänge nehmen in den kommenden Jahren ihr Studium auf, während geburtenstärkere eingeschult werden – eine größere Schüler_Innenschaft steht einer kleineren Anzahl an potentiell neuen Lehrer_Innen gegenüber. Die Zunahme der Schüler_Innenzahlen durch Migration von Geflüchteten verstärkt diesen Effekt noch. Hier wird zwar gerne nach einem Sündenbock gesucht, doch den alleinigen Auslöser für das Problem stellt diese bei weitem nicht dar.

Laut Klemm basieren seine Berechnungen wie die der KMK auf einer ähnlichen Annahme des Anstiegs der Schüler_Innenzahl bis 2030 sowie ähnlicher Zahlen der notwendigen Stellen. Interessant wird es aber, wenn ein Fokus darauf gerichtet wird, wie sich das Neuangebot frisch ausgebildeter Lehrkräfte bis 2030 entwickelt. Die KMK geht hier von einer konstant bleibenden Zahl aus. Klemm prognostiziert im Gegensatz dazu ein Sinken der Anzahl jährlich neu ausgebildeter Lehrkräfte. Dies begründet er durch den Verweis auf die oben schon angesprochenen geburtenschwachen Jahrgänge, die in den kommenden Jahren ihr Studium beginnen werden. Weniger potenzielle Lehramtsstudierende bedeuten auch eine geringere Anzahl an Neulehrkräften. Die Rechnung der KMK beschreibt er in diesem Punkt als schlicht unseriös.

Durch diese unterschiedliche Herangehensweise sieht Klemm im Gegensatz zum KMK für 2030 einen Lehrkräftemangel von 81.000 voraus (480% mehr als die KMK). Wichtig anzumerken bleibt, dass diese Zahl notwendig ist, um nur den derzeitigen Status quo aufrechtzuerhalten.

Um bildungspolitische Ziele wie Inklusion, Ganztagsausbau, zusätzliche Betreuung geflüchteter Jugendlicher zu gewährleisten oder die durch Corona entstandenen Lernrückstände aufzuholen, werden noch viel mehr neue Lehrkräfte benötigt. Die wirkliche Zahl beläuft sich laut Klemm daher bis 2030 somit auf weit über 100.000 Fehlstellen, möchte man diese ausgerufenen Ziele auch wirklich erreichen.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Nach den obigen Ausführungen können wir schon einmal festhalten, dass die KMK das Problem nicht erkennen, sondern politisch kleinreden und leugnen möchte. Auch bei dessen Lösung sieht es nicht besser aus.

Am 27. Januar 2023 stellte die KMK die Vorschläge der SWK vor. Darin wird u.a. Folgendes vorgeschlagen:

  • Die Möglichkeit der Teilzeit soll eingeschränkt werden.
  • Die zu unterrichtenden Unterrichtsstunden pro Woche (Deputat) sollen befristet erhöht werden.
  • Auslandsabschlüsse sollen einfacher anerkannt werden, um ausländische Lehrer_Innen schneller einsetzen zu können.
  • Pensionierte Lehrer_Innen sollen aus dem Ruhestand geholt werden.
  • Mithilfe des Fernunterrichts soll eine Lehrkraft nicht nur eine Klasse, sondern mehrere gleichzeitig unterrichten.

Die Vorschläge wurden richtigerweise von der Vorsitzenden der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, als „Ausdruck einer Hilflosigkeit“ sowie als „blanker Hohn“ bezeichnet. Sie weist auch darauf hin, dass u.a. die GEW schon seit Jahren auf die Schönrechnerei der KMK aufmerksam macht. Passiert sei aber nichts. Die GEW verweist auf ihre „15 Punkte gegen den Lehrkräftemangel“, die sie zur Diskussion stellt

In diesem Artikel können wir nicht näher auf alle Punkte des „15-Punkte-Programms“ eingehen. Die Strategie der GEW geht jedoch über ein Anbieten von Diskussionen und Verhandlungen nicht hinaus. Im Grunde ist das überhaupt keine Strategie, sondern nur eine Form des Vermeidens einer offenen Konfrontation mit der KMK. Das Problem soll eher mitverwaltet und „gemeinsam überwunden“ werden, anstatt die Interessen der Beschäftigten darzustellen und offensiv gegenüber der KMK zu vertreten und durchzusetzen.

Was könnte die GEW anders machen?

Einer der Punkte, die die GEW als Lösung vorschlägt ist u.a.:

„Um ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen zu halten, müssen die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verbessert und damit attraktiver werden (Senkung der Arbeitszeit, kleinere Klassen, mehr Ausgleichsstunden, besserer Gesundheitsschutz, höhere Altersermäßigung, Unterstützungssysteme für Lehrkräfte wie Team-Coaching und Supervision usw.).“

Diese Forderungen finden sich nicht umsonst unter „Punkt 1“ ihrer Liste! Sie stellen zentrale Fragen dar, durch den der Lehrer_Innenberuf attraktiver gestaltet werden kann, um so Kolleg_Innen im Beruf zu halten und junge Leute für diesen zu begeistern. Leider widerspricht der Vorschlag der KMK fast allen Forderungen. Dies verdeutlicht, dass hier kein Kompromiss auszuhandeln ist. Es muss sich vonseiten der GEW auf eine langanhaltende Auseinandersetzung und Angriffe auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Schulen und darüber hinaus eingestellt werden.

Für die GEW spielt daher der Kampf um einen „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ und für „kleinere Klassen“ in Berlin eine nicht zu unterschätzende Vorreiterrolle! Dieser wird um eine der zentralen Fragen ausgefochten: Wer holt die Kohlen aus dem Feuer? Die Beschäftigten durch Mehrarbeit und schlechtere Arbeitsbedingungen – und infolgedessen auch die Schüler_Innen und Eltern – oder werden Verbesserungen erkämpft und durchgesetzt, die die Krise im Sinne der Beschäftigen, Schüler_Innen und Eltern lösen?

Um diesen Kampf aber zu gewinnen, muss die GEW in Berlin ihre Streikstrategie ändern. Die bisherigen eintägigen Warnstreiks haben gezeigt, dass sie nicht ausreichen, um den Senat zum Umdenken zu bewegen. Sie sollte die Gespräche für gescheitert erklären, die Organisation sowie Durchführung eines unbefristeten Erzwingungsstreiks einleiten und ihre Kampfkraft zusammen mit den Kolleg_Innen im öffentlichen Dienst, bei der Post und im Nahverkehr auf der Straße vereinigen. Hier können wir positiv auf die Initiative der Jungen GEW Berlin verweisen, die richtigerweise eine Unterschriftenliste gestartet hat, indem sie den Vorstand der GEW Berlin dazu aufruft, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären sowie die notwendigen Vorbereitungen und Durchführung eines Erzwingungsstreiks einzuleiten (https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdDESQdkzQGP6lqAFjbYToI6ylV8LGk9bOyqpJxw-qDr137eQ/viewform).

Bundesweite Solidaritätskampagne für die Berliner Kolleg_Innen!

Die GEW bundesweit muss aber nicht nur zuschauen, was in Berlin passiert, sondern sollte schnellstmöglich damit beginnen, den Kampf ihres Berliner Landesverbandes voll zu unterstützen. Sie sollte eine Solidaritätskampagne initiieren, in der sie Lehrkräfte, Schüler_Innen und Eltern in Solidarität mit dem Berliner Tarifkampf sammelt. Neben dem Aussprechen von Solidarität sollte sie auch darauf abzielen, politischen Druck aufzubauen, indem sie die SPD und LINKE dazu aufruft, ihre Blockadehaltung zu durchbrechen. Hierbei sollte sich gezielt auf diese beiden Parteien fokussiert werden, sind es doch gerade die SPD und LINKE, die am meisten in den Gewerkschaften verankert sind und somit durch eine gewerkschaftliche Initiative erreicht und unter Druck gesetzt werden können. Zusätzlich stellen Parteien wie die CDU oder FDP gewerkschaftsfeindliche Parteien dar, von denen nichts zu erwarten ist. Hier sollte keine politisch diffuse Kampagne gefahren werden, in der Hoffnung ein paar mehr Solidaritätsstimmen zu bekommen. Aus einer klassenkämpferischen Gewerkschaftspolitik muss hier eine Klassenlinie gezogen werden und die CDU bzw. FDP stehen hier auf der anderen Seite.

Eine solche Solidaritätskampagne könnte in zweierlei Hinsicht nützlich sein. Erstens könnte sie dazu führen, exemplarisch in einem Bundesland „Kleinere Klassen“ tariflich festzuschreiben. Zweitens könnte sie auch als Ansatzpunkt fungieren, um diese Forderung in einer bundesweiten Initiative zu kanalisieren und mit weiteren Forderungen des „15-Punkte-Plans“ zu verbinden. Diese bundesweite Initiative sollte diese Forderungen als Bestandteil der kommenden Tarifverhandlungen rund um den „Tarifvertrag der Länder“ (TV-L) vorschlagen und diese in die Tarifverhandlungen integrieren.

So hätten alle Kolleg_Innen im Bildungsbereich, ob Schule oder Kita, die Chance, nicht nur in Berlin, sondern bundesweit zusammen mit unseren Schüler_Innen und ihren Eltern auf die Straße zu gehen und der KMK ein klares „Nein“ auf ihre Vorschläge entgegenzurufen. Wir haben die Krise nicht verursacht! Wir werden auch nicht dafür geradestehen!




Frankreich: 2 Millionen auf den Straßen – was ist der nächste Schritt?

Von Marc Lassalle, einem französischen Genossen der LFI. Der Text ist zuerst in der Neuen Internationalen der Gruppe Arbeiter:innenmacht erschienen und ist noch auf dem Stand vor dem letzten Aktionstag am Dienstag, an dem wieder Millionen auf der Straße waren. Aber die Perspektive ist noch aktuell.

Die Zahlen sprechen für sich. Mehr als zwei Millionen Arbeiter:innen demonstrierten am 19. Januar gegen den jüngsten Versuch von Präsident Emmanuel Macron, das Rentensystem zu reformieren. Ein Zeichen für den weit verbreiteten Widerstand unter den Lohnabhängigen war eine seltene Einheitsfront, bei der alle großen Gewerkschaftsverbände streikten und so den Verkehr, die Energieversorgung und die Schulen zum Stillstand brachten.

Heftiger Angriff

Die Reform ist ein schwerer Angriff auf die Arbeiter:innenklasse. Die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre wird sich unverhältnismäßig stark auf Industriearbeiter:innen und weniger qualifizierte Arbeitskräfte auswirken, die bereits eine kürzere Lebenserwartung und weniger Rentenjahre haben.

Nachdem er einen früheren Versuch im Jahr 2019 wegen der Covid-Pandemie aufgegeben hatte, hat Macron beim aktuellen Projekt nicht um den heißen Brei herumgeredet: Die Beschäftigten müssen mehr arbeiten, um die verschiedenen Maßnahmen der Regierung zur Stützung der Wirtschaft zu bezahlen, sowohl während der Pandemie als auch in letzter Zeit wegen der steigenden Energiekosten.

Die Regierung argumentiert, dass die Reform notwendig ist, um ein prognostiziertes Defizit von 14 Milliarden Euro bis zum Ende des Jahrzehnts zu schließen. Aber während der Pandemie hat der „Präsident der Reichen“ nicht zehn, sondern hunderte von Milliarden Euro in die Stützung der kapitalistischen Wirtschaft gesteckt, und niemand hat das vergessen.

Während Macron mit einer Schwächung der Kampfbereitschaft der Arbeiter:innenklasse rechnete, hat der Aktionstag vom 19. Januar ihn und seine bürgerlichen Expert:innen eines Besseren belehrt. Selbst die gemäßigte Gewerkschaft CFDT, die die Reformen der ersten Regierung Macron zum Arbeitsschutz (Code du Travail) unterstützt hatte, verurteilte sie als „eine der brutalsten Rentenreformen seit 30 Jahren“. Philippe Martinez, Vorsitzender der linkeren Gewerkschaft CGT, sagte, der Plan bündele „die Unzufriedenheit aller“ mit der Regierung. Umfragen zufolge sind etwa 9 von 10 Arbeiter:innen gegen die Vorschläge.

Macron begründete seine beiden Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen, das zu tun, was früheren Regierungen in den letzten 30 Jahren nicht gelungen ist: den Widerstand der Gewerkschaften gegen die Rentenreform zu brechen. Der Präsident, dessen Partei der bürgerlichen Mitte La République en Marche (Die Republik im Vorwärtsgang) bei den letztjährigen Parlamentswahlen ihre Mehrheit im französischen Parlament verloren hat, ist auf die Stimmen der rechten Republikanischen Partei  angewiesen. Die Überreste des Gaullismus werden sich jedoch nicht so leicht dazu überreden lassen, die politischen Kosten für Macrons Reformvorhaben zu übernehmen.

Gelingt es ihm nicht, eine parlamentarische Mehrheit zusammenzuschustern, könnte der Präsident auf Notstandsgesetze zurückgreifen, die es ihm erlauben, das Parlament zu überstimmen, auch auf die Gefahr hin, Neuwahlen zu erzwingen. Macron hat die Zukunft seiner Regierung von der Verabschiedung dieser Reform abhängig gemacht. Der letzte Versuch im Jahr 2019 löste die längste Streikperiode seit dem Generalstreik von 1968 aus. Alle Seiten spielen um die höchsten Einsätze.

Entscheidender Kampf

Millionen von Arbeiter:innen bereiten sich jetzt auf einen entscheidenden Kampf mit der Regierung vor. Trotz des großen Erfolgs des ersten Tages muss die Arbeiter:innenklasse ernsthafte Schwächen in ihrem eigenen Lager überwinden. Während die Parole eines Generalstreiks auf den Demonstrationen weithin aufgegriffen wurde, steht sie nicht auf der Tagesordnung der Gewerkschaftsführungen – im Gegenteil. Sie drohen lediglich mit einer langen Kampagne und haben für den 31. Januar einen weiteren Aktionstag mit Streiks und Demonstrationen angekündigt.

Die Gewerkschaftsspitzen verfolgen ihre übliche, gefährliche und in der Regel tödliche Taktik gelegentlicher „Aktionstage“ mit Pausen dazwischen, die der Regierung nur zum Vorteil gereichen, die sie nutzen wird, um einen Deal mit der CFDT zu schließen, das Bündnis der Gewerkschaftsverbände zu schwächen und schließlich zu brechen.

Die beiden großen linken Parteien sind gegen die Reform, aber für die Arbeiter:innenschaft unzuverlässige Verbündete. Die Überbleibsel der Sozialistischen Partei haben die letzte Rentenreform 2014 eingeführt. Jean-Luc Mélenchon, Parteivorsitzender von France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), fordert eine Senkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre, ist aber mehr auf die parlamentarische Bühne konzentrierte, als einen ernsthaften sozialen Widerstand in den Betrieben und auf den Straßen aufzubauen. Die Schwäche der „Revolutionär:innen“ lässt sich an der prekären Lage der NPA (Neue Antikapitalistische Partei) ablesen. Nach einer Spaltung im vergangenen Dezember gibt es derzeit zwei NPAs mit demselben Namen, wenn auch sehr unterschiedlichen politischen Einschätzungen und Ausrichtungen. Keine von ihnen ruft zu einem Generalstreik auf.

Welche Strategie, welche Kampfmethoden?

Die Frage, die sich allen Lohnabhängigen und Jugendlichen stellt, ist, welche Organisation und Strategie erforderlich ist, um diesen Angriff abzuwehren. Diese Aufgaben müssen in den betrieblichen Vollversammlungen und in Arbeiter:innenausschüssen behandelt werden. Macrons Regierung steht und fällt mit der Frage, ob er diese Reform verabschiedet – aber unsere Bewegung muss die Lohnabhängigen für eine umfassende Antwort auf die Krise mobilisieren: nicht nur die Abschaffung der Rentenreform, sondern den Kampf für Lohn- und Rentenerhöhungen, einen massiven Plan für Investitionen in den öffentlichen Sektor, insbesondere in Schulen und Krankenhäuser, mehr hochwertigen bezahlbaren Wohnraum, einen speziellen Plan für junge Menschen und die Aufhebung der rassistischen Anti-Migrationsgesetze.

Die Beschäftigten der Ölraffinerien planen bereits, ihre Streiks Ende des Monats auszuweiten. Diesem Beispiel sollten wir folgen, aber angesichts der Tatsache, dass sich die Gewerkschaftsführer:innen der Verantwortung entziehen, indem sie die Entscheidung den verschiedenen Sektoren überlassen, müssen wir eine alternative Strategie und Führung im Hier und Jetzt vorbereiten.

Der 31. Januar muss zum Ausgangspunkt für eine Reihe eskalierender Streiks werden für die Bildung von Aktionsräten der Arbeiter:innenklasse zur Koordinierung und Kontrolle der sozialen Bewegung, die in einem Generalstreik gipfeln, um Macron und den Arbeit„geber“:innen eine umfassende Niederlage zuzufügen und den Weg für eine Arbeiter:innenregierung zu ebnen, die mit dem kapitalistischen System in seiner Gesamtheit abrechnen kann.

Eine schwere Niederlage Macrons würde den Weg weisen, den viele andere europäische Länder einschlagen sollten.




Vollen Support an die junge GEW Berlin!

Der Berliner Ableger der Gewerkschaftsjugend der Bildungsgewerkschaft GEW hat sich mit einem offenen Brief an ihren Landesvorstand gewandt, um einen Erzwingungsstreik zu organisieren. Nach mittlerweile 7 Warnstreiks und 0 Gesprächsbereitschaft seitens des grünen Finanzsenators Daniel Wesener wollen sie den Druck auf den Senat dadurch erhöhen, dass die Verhandlungen für gescheitert erklärt, eine Urabstimmung eingeleitet und zu einem unbefristeten Streik aufgerufen wird, der erst aufhört, wenn das Ziel erreicht ist. Unsere Lehrer_innen kämpfen dabei für einen Tarifvertrag-Gesundheit, dessen Ziel es ist, unsere überfüllten Klassen zu verkleinern. Für sie heißt das: weniger Stress und Arbeitsbelastung. Für uns heißt das: besser Lernen, mehr Zeit und weniger genervte Burn-Out-Mathelehrer. Lasst uns diese Kämpfe verbinden! Wie das genau funktionieren soll, erfahrt ihr in unserer neuen Schüler_Innenzeitung oder auf unserer Homepage. Außerdem findet hier den offenen Brief der jungen GEW zum Nachlesen. Streik in der Schule, Uni und Betrieb: Das ist unsere Antwort auf ihre Politik!

Im Folgenden spiegeln wir den offenen Brief:

Erzwingungsstreik jetzt

Wir fordern den Landesvorstand auf, die Verhandlungen um den Tarifvertrag-Gesundheit mit dem Berliner Senat für gescheitert zu erklären. Wir, die streikenden Lehrer:innen, wollen selbst Einfluss auf die Frage nehmen, wie unser Arbeitskampf geführt wird. Der LV möge deshalb alle nötigen Schritte für eine Abstimmung über einen Erzwingungsstreik einleiten. Wir streiken, bis wir unseren Tarifvertrag haben!

Begründung

Die Arbeitsbelastung in den überfüllten Klassen unserer Schulen ist unzumutbar. Während die Schüler:innenzahlen 2023 weiter ansteigen werden, fehlen noch immer rund 1.000 Kolleg:innen in Berlin. Noch immer hat der Senat keinerlei Schritte unternommen, um diesen Mangel zu beheben.Die Untätigkeit des Berliner Senats hat uns zum Handeln gezwungen. Mit unserem Kampf für einen Tarifvertrag-Gesundheit möchten wir die Arbeitsbelastung für uns alle durch eine gesetzliche Verankerung von kleineren Klassengrößen verringern. So waren wir im vergangenen Jahr mit ganzen sieben Warnstreiks auf der Straße. Wir waren viele und wir waren laut. Auch der Landeselternausschuss hat sich unseren Forderungen angeschlossen. Und trotzdem lehnt der grüne Finanzsenator Daniel Wesener bis heute ab, überhaupt mit uns zu sprechen. Wir finden: Jetzt reicht’s! Wir finden, dass wir mehr Druck machen müssen, um den Senat endlich von seiner Blockadehaltung abzubringen. Wir finden, dass wir einen Erzwingungsstreik zur Durchsetzung unserer Forderungen brauchen.

Während der Senat unsere monatlichen Warnstreiks noch teilweise ignorieren konnte, kann die Bildungsverwaltung bei einem Erzwingungsstreik nicht mehr den Kopf in den Sand stecken und Augen und Ohren vor uns verschließen. Ein Erzwingungsstreik ist unser verfassungsmäßig geschütztes Recht nach gescheiterten Tarifverhandlungen den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Wir fordern deshalb unsere Verhandlungsführer:innen Anne Albers (Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik) und Udo Mertens (Leiter des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik) auf, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Erkennt, dass es keine Verhandlungen geben wird, wenn wir den Druck nicht erhöhen! Erklärt die Verhandlungen für gescheitert!Auf mehreren Personalversammlungen hat uns Udo versprochen, im kommenden Jahr die „Daumenschrauben anzuziehen“. Udo, halt dich an dein Versprechen und leite eine Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik ein!

Wir lassen uns nicht lähmen von der Verzögerungs- und Hinhaltetaktik des Senats. Wir wollen unseren Tarifvertrag, denn unter den gegebenen Umständen, weiß kaum jemand von uns, wie wir diesen Job, den wir doch alle eigentlich irgendwo auch lieben, die nächsten zehn Jahre weiter machen sollen. Lasst uns deshalb gemeinsam das Thema Bildung auf die Tagesordnung des Berliner Wahlkampfes setzen!

Dafür wollen wir nun endlich „die Daumenschrauben anziehen“. Wir fordern den GEW-Landesvorstand mit diesen Unterschriften dazu auf, alle notwendigen Schritte für einen Erzwingungsstreik in die Wege zu leiten und diesen aktiv zu organisieren. Natürlich freuen wir uns auch über Solidarität von Kolleg:innen aus anderen Bundesländern, denn die Frage von kleineren Klassen betrifft nicht nur Berlin.




Wenn das Paket nicht kommt, ist der Konzern schuld!

Zu den aktuellen Streiks bei der Deutschen Post AG

Von Lia Malinovski, Januar 2023

In der Deutschen Post AG läuft seit einigen Wochen die neue Tarifrunde 2023 inklusive Verhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di. Die Beschäftigten fordern 15 Prozent Gehaltserhöhung bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und eine Erhöhung der Ausbilungsvergütungen sowie Entgelte der Studierenden um 200 Euro monatlich. Für diese Forderungen haben zwischen dem 18. und dem 20. Januar über 33 Tausend Beschäftigte in Verteilungszentren, sowie Zusteller_Innen selbst, die Arbeit niedergelegt und gestreikt. Die Post selber hat dabei keinen Schritt auf die Beschäftigten zu gemacht. Die Folge ist nun ein dritter Verhandlungstag und weitere Warnstreiks.

Warum die Forderungen?

Die Forderungen nach 15 Prozent mehr Lohn für alle Tarifbeschäftigten soll den Reallohnverlust durch die Inflation und gesteigerte Lebenshaltungskosten angehen und damit der Verschlechterung der Lage der Angestellten entgegenwirken.

Wenn wir an die Post denken, denken wir meistens an die nette Postbotin oder den netten Postboten, die uns unsere Briefe oder Pakete zustellen oder ärgern uns, wenn mal wieder ein lang ersehntes Päckchen später ankommt als gedacht. In den seltensten Fällen ist uns bewusst, unter welcher Belastung die Beschäftigten stehen – mit einem Monatsgehalt von 2.108 bis 3.090 Euro brutto verdienen die meisten Beschäftigten gerade genug, um in einer kleinen Wohnung zu wohnen und gerade genug zu heizen, um am Ende des Monats noch Geld über zu haben. Seit der Privatisierung der Post haben sich Arbeitsbedingungen ohnehin permanent verschlechtert mit längeren Routen, Zusammenlegung von Briefen und Paketen, der wachsende Onlinehandel und Unmengen an Werbung. Dennoch ist ihre Arbeitsbelastung in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie besonders stark gestiegen. Das sieht man besonders gut daran, dass die Post in den letzten zwei Jahren Rekordgewinne im Milliardenbereich erzielen konnte, da mehr bestellt wurde als vor der Pandemie. „Erwirtschaftet wird der Erfolg der Deutschen Post AG von den Kolleg*innen, die uns Tag für Tag Briefe und Pakete bringen und angesichts des hohen Sendungsvolumens vielfach einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt sind“, schreibt ver.di zu der aktuellen Tarifrunde. Auch die Lage der Jugend in der Post ist prekär: Viele Jugendliche machen einen Nebenjob als Zeitungsausträger_In. Dabei verdient man im Schnitt gerade mal ein paar Cent pro ausgetragene Zeitung. Einen Stundenlohn gibt es nicht und damit kann auch mal der Mindestlohn wegfallen, der bei Jugendlichen eh kaum Bedeutung hat. Die Ausbildungsgehälter sind mit 900 Euro Monatlich bestenfalls durchschnittlich und schon ohne Inflation nicht genug, durch die Inflation aber deutlich zu wenig. Freie Entfaltung oder Unabhängigkeit von Eltern ist damit nicht zu schaffen. Egal, was Springerpresse und der Post-Konzern sagen: Die Forderungen der Beschäftigten sind notwendig und müssen umgesetzt werden!

Streiken, streiken, streiken…

Aber wie können diese Forderungen umgesetzt werden? Die Konzernbosse sind nicht gerade überzeugt davon, die Forderungen umzusetzen. Für die Beschäftigten bedeutet das, dass der Kampf weitergehen wird und muss. Es muss weitere Streiks geben, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dabei darf die Gewerkschaft aber nicht bei Warnstreiks bleiben: Der Konzern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Forderungen nicht umsetzen, wenn es nur bei Warnstreiks bleibt. Warnstreiks kann ein Konzern noch verkraften, da sie zeitlich begrenzt und an Verhandlungen gebunden sind. Was gebraucht wird, sind sogenannte Erzwingungsstreiks – also Streiks, die unbefristet sind und bleiben, bis die Forderungen erfüllt sind und die Mehrheit der Beschäftigten für die Beendigung des Streiks abgestimmt hat. Die Beschäftigten müssen sich in Streikkomitees organisieren und die Gewerkschaftsführung unter Druck setzen, eine Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik zu starten! Denn von alleine wird sie das wahrscheinlich nicht, dafür ist der Vorstand zu eng verwoben mit „Arbeitgeberverbänden“ und den Konzernbossen. Schon bei den vergangenen Arbeitskämpfen bei der Post hat ver.di immer wieder Verrat begangen, indem sie Streiks abgewürgt oder erfolgreiche Streiks mit einem schlechten Tarifvertrag ausverkauft haben.

Sollte es tatsächlich zu Erzwingungsstreiks kommen, müssen wir uns solidarisch mit den Beschäftigten zeigen. Denn wenn unser Paket nicht kommt, ist das die Schuld des Konzerns, der die notwendigen Forderungen der Beschäftigten nicht umsetzt. Auch dürfen die Streiks nicht isoliert bleiben, sondern müssen eine Verbindung zu den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die ebenfalls in die Tarifrunden starten, aufbauen. Letzten Endes muss der Kampf sich für eine basisdemokratische Kontrolle der Beschäftigten einsetzen, mit der die Beschäftigten selbst entscheiden können, wann gestreikt wird, wann nicht und welchen Tarifvertrag man annimmt!

  • Für die Anpassung der Löhne an die Inflation, unter Kontrolle der Beschäftigten selbst! Nicht Konzernbosse, sondern diejenigen, die einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten müssen bestimmen, was sie dafür erhalten!
  • Für zufriedenstellende Ausbildungsgehälter! Wir müssen die Möglichkeit haben, uns unabhängig zu machen und selbst zu entfalten! Wir wollen nicht unsere ganze Jugend bei unseren Eltern verbringen!
  • Für die Einführung eines Stundenlohnes mindestens in Höhe des Mindestlohns für Zeitungsausträger_Innen und die Ausweitung der Tarifverträge auf sämtliche Beschäftigte im Logistiksektor!
  • Für die gemeinsame Organisierung der Beschäftigten bei der Deutschen Post AG und der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und gemeinsame, unbefristete Streiks, solange die Forderungen nicht erfüllt sind! Gemeinsam sind wir stärker (als die Konzerne)!



Migrantische Arbeitskräfte in Deutschland: Ausbeutung mit Tradition

von Sani Meier

Wir alle erinnern uns sicherlich noch an den Corona-Ausbruch im Werk des Fleischproduzenten Tönnies im Juni 2020. Nachdem sich dort innerhalb kürzester Zeit fast 1400 Angestellte infiziert hatten, rückten die Arbeitsbedingungen des
Konzerns zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit: Die meist aus Osteuropa (Rumänien, Bulgarien, Polen) stammenden Arbeitskräfte wurden durch Subunternehmen beschäftigt, wodurch es möglich wurde, deutsche Standards wie den Mindestlohn zu umgehen und den internationalen Markt mit Billigfleisch „Made in Germany“ zu überschwemmen. Diese Subunternehmen locken Menschen mit überzogenen Versprechungen von hohen Löhnen, günstigen Unterkünften und geregelten Arbeitszeiten nach Deutschland, nur um sie dann für überteuerte Transporte und heruntergekommene Sammelunterkünfte zahlen zu lassen. Als Reaktion auf diesen Skandal sind Werk- und Leiharbeitsverträge in der Fleischbranche seit dem 1. Januar 2021 verboten, doch verbessert hat sich dadurch für die Arbeiter_Innen nicht viel: Die Konzerne beschäftigen sie nun zwar direkt, reduzierten aber dafür die Anzahl der Angestellten drastisch beim gleichen Arbeitsaufwand, was die Belastung und den Druck nur weiter steigen ließ. Die Fleischindustrie steht hierbei exemplarisch für ein rassistisches System der Ausbeutung migrantischer Arbeiter_Innen in Deutschland mit jahrzehntelanger Tradition.

“Gastarbeiter_Innen”: Ausbeutung auf Zeit

Diese Tradition nimmt ihren Anfang durch den Mangel an Arbeitskräften in der expandierenden Nachkriegswirtschaft der BRD in den 1960er Jahren. Damals schloss die Bundesregierung Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien ab. Da diese Anwerbung aber keinen dauerhaften Aufenthalt der Arbeiter_Innen in Deutschland vorsah, bezeichnete man diese als „Gastarbeiter_Innen“. Diesen teilte man dann vor allem niedrig qualifizierte Tätigkeiten zu und ließ sie im Akkord am Fließband, Baugewerbe oder Bergbau arbeiten und zahlte ihnen meist niedrigere Löhne als den deutschen Kolleg_Innen. Da die sogenannten „Gastarbeiter_Innen“ sich nicht durch die deutschen Gewerkschaften repräsentiert und inkludiert fühlten und die meisten deutschen Gewerkschaften sie auch nicht unterstützten, organisierten sie sich schließlich unabhängig von diesen gegen die rassistische Benachteiligung in „wilden Streiks“. Im Jahr 1973 streikten mindestens 275.000 Arbeiter_Innen in rund 335 Betrieben. Auch heute, fast 50 Jahre später, ist die Einbindung migrantischer (Leih-) Arbeiter_Innen immer noch eine große Baustelle für die Verbindung von Arbeitskämpfen, und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gehören zur grausamen Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Zeitarbeitsjob vs. Abschiebung

Heute werden migrantische Arbeiter_Innen gezielt durch Zeitarbeitsfirmen angeworben, um in Bereichen wie der Landwirtschaft, dem Bauwesen oder den Lieferdiensten möglichst kostengünstig zu arbeiten. Besonders Frauen trifft es hier hart, da diese meist als Pflegekräfte und Haushaltshilfen eingesetzt werden, also in einem Sektor, der ohnehin schon kaputt gespart wurde, und dann noch zusätzlich durch Geschlecht und Herkunft diskriminiert werden. Konzerne wie Amazon werben gezielt mit Stellen „ohne erforderliche Deutschkenntnisse“: Sie nennen es Vielfalt, wir rassistische Ausbeutung. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung steigt der Anteil an Migrant_Innen unter den Menschen, die trotz Vollbeschäftigung Geringverdiener_Innen sind, stetig an: Zwischen 2013 und 2020 hat er sich sogar verdoppelt. Die Beschäftigung im Zeitarbeitsverhältnis bedeutet auch eine hohe finanzielle Unsicherheit für die Arbeiter_Innen: Die Beschäftigungen sind immer befristet und man kann nie sicher sein, im Anschluss eine neue Stelle zu erhalten oder muss dafür ständig den Standort wechseln. Dass dieses Arbeitsverhältnis auch heute noch meist die Realität für migrantische Arbeiter_Innen ist, zeigt auch, dass der deutsche Staat kein Interesse daran hat, diesen Menschen einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Ähnlich wie in den 1960ern soll man solange bleiben, wie man wirtschaftlich verwertbar ist und danach wieder gehen. Diese Logik zeigt sich besonders deutlich daran, dass man die wirtschaftlich schwache Lage bestimmter Länder ausnutzt, um deren Arbeiter_Innen mit minimal besseren Bedingungen nach Deutschland zu holen, diesen Menschen aber in Asylverfahren das Bleiberecht verwehrt. Mit der Bezeichnung der „Wirtschaftsflüchtlinge“ macht man seit 2016 klar, dass Menschen, die aus wirtschaftlicher Not aus ihrer Heimat fliehen, keinen Anspruch aus Sozialleistungen haben sollen und wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Dieselbe wirtschaftliche Not nutzt man dann aber gerne wieder aus, um die Menschen unter untragbaren Bedingungen auf deutschen Erdbeerfeldern arbeiten zu lassen. Menschen aus Rumänien, Polen und Italien bilden momentan den größten Anteil an migrantischen Arbeitskräften in Deutschland, während diese Länder gleichzeitig in den Top 10 der Zielstaaten deutscher Abschiebungen sind. Im Kampf gegen diese Verhältnisse haben es migrantische Arbeiter_Innen auch immer noch schwer. Viele sozialchauvinistische Gewerkschaften sind in Leiharbeitsbranchen nicht vertreten, weil sie der Meinung sind nur für deutsche Arbeiter_Innen zuständig zu sein. Gleichzeitig kümmern sich auch die Gewerkschaften der Herkunftsländer nicht um die Leiharbeiter_Innen in Deutschland, immerhin haben sie auch gar keine Verhandlungsmacht gegenüber dem deutschen Staat.
Auch nicht Deutsche mit Migrationshintergrund werden immer noch in Gewerkschaften diskriminiert, und arbeiten oft in schlecht bezahlten Branchen mit sehr wenig gewerkschaftlicher Organisierung. Auch heute noch ist der Kampf gegen solche Arbeitsverhältnisse nur im „wilden Streik“ möglich. Am Ende des Tages entscheidet also das Interesse der Kapitalist_Innen darüber, wer auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders hart ausgebeutet wird, denn nur sie profitieren davon, indem sie ihre Gewinne durch die Einsparung von Lohnkosten und Arbeitssicherheitsmaßnahmen maximieren. Zudem wird immer wieder durch rassistische Vorurteile versucht, die Arbeiter_Innen gegeneinander auszuspielen. Wir aber lassen uns als internationale Arbeiter_Innenklasse nicht spalten und stehen solidarisch mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten aller Länder, um unseren gemeinsamen Feind, den Kapitalismus zu überwinden…

..und fordern deshalb schon jetzt:

  • Tarifverträge in allen Branchen! Gegen ungleiche Bezahlung und rassistische und sexistische Diskriminierung im Betrieb – Gleiches Geld für gleiche Arbeit!
  • Für ordentlichen Arbeitsschutz und das Einhalten von Verträgen, in bisherigen Leiharbeitsbranchen, stärkere Kontrolle dessen!
  • Gewerkschaften müssen die Organisierung migrantischer Arbeiter_Innen (vor allem Leiharbeiter_Innen) gezielt angehen
    und deren Interessen vertreten! Für einen internationalen Kampf der Arbeiter_Innenklasse!
  • Schluss mit Zeitarbeitsverhältnissen, befristeten Verträgen & Co!
  • Keine weiteren Abschiebungen – Staatsbürger_Innenrechte für Alle



Streiks soweit das Auge reicht.

Warum sind sie gerade so wichtig und welche Ziele verfolgen sie?

von Flo Schwerdtfeger

In letzter Zeit häufen sich die Streiks der verschiedenen Branchen und Gewerkschaften: Die Gewerkschaft deutscher Lokführer (GdL), das Pflegepersonal der Charité und Vivantes oder die Fahrer_Innen des Lieferdienstes Gorillas. Alle streikten für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, aber auch für bessere gesundheitliche Sorge und Vorsorge für das Personal. Bei Gorillas wird beklagt, dass man bei Wind und Wetter mit teilweise reparaturbedürftigen Elektrorädern trotzdem Bestzeiten hinlegen soll, ständig durch Ortung überwacht wird und das alles unter dem Druck von beschissenen Arbeitsbedingungen. Das Krankenhauspersonal wurde in den letzten anderthalb Jahren stärker verschleißt, als ohnehin schon und als Dank haben wir alle mal ein paar Tage geklatscht. Doch was sind die konkreten Forderungen der einzelnen Streiks?

Die Beschäftigten bei Vivantes fordern das sie mit an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) angeschlossen werden, da Teile des Pflegepersonals diesem nicht unterliegen und so bis zu 900€ Gehaltsunterschied entstehen können. Eine weitere Forderung ist der sogenannte Entlastungstarifvertrag. Dieser soll bewirken, dass mehr Personal angestellt wird, um so die generell angespannte Lage in den Krankenhäusern entlasten zu können. Immerhin gibt es bereits seit Jahren Personalmangel in der Pflege, der sich über Corona nochmal verstärkt sichtbar machte. Dafür begann am 7. September ein unbefristeter Streik. Während der Streik in der Charité mittlerweile beigelegt ist, wird in den Vivantes Krankenhäusern fortgeführt, um eine Angleichung des Lohns zu erkämpfen.
Die GdL stand nun mehrmals im befristeten Streik für einen Zeitraum von mehreren Tagen. Dabei forderten sie eine einmalige Corona-Prämie von 600€, eine Lohnerhöhung von 3,2% über 28 Monate, sowie die Umsetzung ihrer betrieblichen Rente, die ihnen zugunsten von Bahn-Aktionär_Innen gestrichen wurde.

Der Auslöser für die Streiks der Lieferfahrer bei Gorillas war die fristlose und spontane Kündigung eines Kollegen. Gegen diese unsicheren und prekären Arbeitsbedingungen und den fehlenden Kündigungsschutz, richtete sich nun ihr Streik. Diese Streiks fanden aber mittlerweile auch ihr frühes Ende, da die coolen hippen Start-Up Kapitalist-Innen den Streikenden einfach kündigten.

Streik auf der Straße, Uni-Klinik und Betrieb

Aber warum schreiben wir einen Artikel über alle Streiks, die gerade stattfinden?
Nicht weil wir fix mal alle Themengebiete abdecken wollen, sondern weil wir die Gemeinsamkeiten herausarbeiten wollen, die diese Streiks verbinden und um damit zu zeigen, warum sie so wichtig sind. Diese liegen zum einen in der aktuellen gesellschaftlichen Krise- hiermit ist einerseits die Coronakrise gemeint, und andererseits auch die Wirtschaftskrise und die Krise im Gesundheitssektor. Denn in deren Folge finden die Angriffe des Kapitals auf Arbeiter_Innenrechte verstärkt statt, und die Arbeiter_Innen wehren sich natürlich dagegen, dass man die Krisenlasten auf ihren Schultern abladen will. Außerdem finden sich diese auch in den Forderungen. Denn neben den wirtschaftlichen Forderungen nach besserer Bezahlung gibt es auch immer wieder die Forderung danach, die Arbeiter_Innen nicht gesundheitlich zu gefährden, denn die Pandemie ließ den Druck nochmal steigen. Neben den Gefahren die quasi schon mit kalkuliert sind von ganz „normalen“ Arbeitsunfällen, kam nun noch das Corona-Virus hinzu, sowohl in seiner Reinform als Ansteckungsgefahr für Bahnpersonal oder Krankenpfleger_Innen, als auch in seinen gesellschaftlichen Auswüchsen, wie z.B. in aggressiver Form von Corona-Leugner_Innen. Bei den Gorillas ist andererseits das Problem, dass ihr Firmenversprechen darin liegt, innerhalb von 10 Minuten zu liefern. Das baut natürlich einen enormen Leistungsdruck auf die Fahrer_Innen auf, da sie bei schlechter Performance auch ganz einfach gekündigt werden können, aufgrund der schlechten Anstellungsverhältnisse.

Während bei den Gorillas „wild“ gestreikt wird, sind die anderen Streiks in ihre Tarifvereinbarungen eingebunden. Der wilde Streik bedeutet, dass die Arbeiter_Innen dort keine eigene Gewerkschaft haben, bzw. der Passenden nicht angehören. Das war letztendlich auch das Fallstrick für die Arbeiter_Innen: ein wilder Streik ist nicht zulässig, da nur Gewerkschaften streiken dürfen und ein wilder Streik somit ein Kündigungsgrund ist.
Das Krankenhauspersonal unter Ver.Di und die Lokführer_Innen in der GdL sind hingegen in die Tarifrunden eingebunden (obwohl die GdL aufgrund ihrer Konkurrenzgewerkschaft der EVG immer etwas mehr kämpfen muss, um verhandeln zu dürfen). Damit dürfen sie zwar streiken, aber nur wenn die Tarifrunde ausgelaufen ist. Daher ist es verständlich das die Gewerkschaften, wie im Falle der GdL, die Zeitabstände so gering wie möglich halten wollen.

Ein anderes Problem, welches alle Streiks gemein haben, ist, dass so gut wie alle Personalchefs und Führungsetagen die Streikenden gegen die Kunden ausspielen. Die Menschen können nicht mit der Bahn verreisen oder die Krankenhäuser können ihre Patient_Innen nicht vernünftig versorgen. Die Front soll somit nicht zwischen den Arbeiter_Innen und den sie ausbeutenden Kapitalist_Innen verlaufen, sondern zwischen den verschiedenen Lohnabhängigen selber. Nicht nur sabotiert man so die Solidarität der Bevölkerung zu den Streikenden, sondern setzt letztere auch massiv unter sozialen Druck, der über den Streik selber hinaus währt.

Es gibt neben dem wirtschaftlichen Streik, der meist auf die direkten Arbeitsbedingungen abzielt, auch den politischen Streik, der sich in erster Linie an die Politik im Ganzen richtet und nicht direkt die eigene berufliche Problemlage fokussiert. Zum Beispiel ist Fridays For Future, sofern denn wirklich gestreikt wird, ein politischer Streik. Bekannter ist vielleicht noch der Kapp-Putsch im Jahr 1920, der durch einen (politischen) Generalstreik beendet wurde. Heute gilt der politische Streik in Deutschland als verboten, obwohl er es nicht wirklich ist. Allerdings findet er auch nicht mehr statt.

Unsere Antwort auf eure Politik?

Dass dieser politische Streik nicht mehr stattfindet, ist ein großes Problem, denn er wäre bitter nötig: Egal ob Klimawandel, Flucht oder eben die Corona-Pandemie. Alle Themen haben mehr oder wenige direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Einzelnen, aber auch auf die Situation der gesamten Arbeiter_Innenklasse. Wenn der Klimawandel die Ärmsten zuerst trifft, wird ihnen nicht geholfen werden vom Kapitalismus. Wenn diese Menschen dann auch noch versuchen, davor zu fliehen, werden ihnen so viele Hürden wie möglich errichtet. Und wie nun schon öfter erwähnt, bedroht die Pandemie ebenso vorrangig die Arbeiter_Innenklasse, sowohl wirtschaftlich, als auch gesundheitlich. Wenn diese Probleme bewältigt werden sollen, müssen die Kämpfe zusammengeführt werden. Besonders wenn es im Kern auch um politische Themen geht, denn nur so kann der Druck auf die Politik erhöht werden.

Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die Solidarität den Streikenden gilt und nicht den ach so armen Kapitalist_Innen, wenn diese mal einige Tage etwas weniger Profit einfahren. Es darf nicht sein, dass wir gegenseitig weiter unsere Ausbeutung hinnehmen und in Konkurrenz weiter zersplittern.

Wir stehen dabei in Solidarität mit den Streikenden und unterstützen sie bei der Erfüllung ihrer Forderungen. Trotzdem müssen wir die Kämpfe letztendlich auch gegen ihre Ursache verbinden den Kapitalismus, der Flucht, Klimawandel und Ausbeutung erzeugt und immer wieder reproduziert. Lasst uns also solidarisch gemeinsam kämpfen, egal ob in der Schule, Uni oder im Betrieb!




Squid Game und Generalstreik in Südkorea

Jetzt fragt ihr euch sicher, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Immerhin ist die neue populäre Netflix-Serie Squid Game ja eine Serie über 456 Personen, die um ein hohes Preisgeld zu gewinnen an tödlichen Kinderspielen teilnehmen. Was hat das also mit Streiks in dem Land, in dem die Serie spielt, zu tun?

Die Serie und ihre Auswirkungen

In der Serie werden nicht irgendwelche Menschen dargestellt. Es handelt sich um bei Immobilienhaien hoch verschuldete, illegale (Arbeits-)migrant_Innen, Arbeiter_Innen, die sich mit Teilzeitjobs durchschlagen müssen, Menschen die ihre Familien nicht ernähren können, u.s.w. Die ganzen sozialen Missstände des Kapitalismus werden sehr deutlich dargestellt. Außerdem wird in einer Folge auch das Trauma des Hauptdarstellers an einen blutigen Arbeitskampf in einer Auto-Fabrik, in der er Jahrzehnte arbeitete, bevor er und seine Kollegen einfach entlassen wurden, thematisiert. Bei anderen Charakteren wird aber auch erzwungene Kriminalität und Prostitution angesprochen. Letzten Endes zeigt diese Serie auf, dass man als einfache/r Arbeiter/in in diesem System gefangen ist, und sogar um sein eigenes Leben spielen muss, nur um sich durch kämpfen zu können. Da die Serie im Gegensatz zu vielen anderen koreanischen Serien über solche Themen international sehr bekannt geworden ist, und viele Menschen sie gesehen haben, konnte sie etwas in den Köpfen von ihnen auslösen. Beispielsweise der von der Polizei blutig zusammen geschlagene Automobilstreik hatte so 2009 tatsächlich stattgefunden, dabei sind auch einige Arbeiter_Innen gestorben und tausende verloren ihren Job. Die ehemaligen Angestellten spüren zurecht nun ihre Wut und ihren Frust wieder aufflammen. Aber nicht nur sie. In Folge der Serie kam es zu Massenstreiks in ganz Südkorea, vor allem in der Hauptstadt Seoul, wo sich die Streikenden als Charaktere von Squid Game verkleideten. Zu dem Streik, der in rund 13 Städten stattfand, rief der koreanische Gewerkschaftsbund auf, der etwa 80 000 Mitglieder hat. Der Streik ging einen Tag und 550 000 Menschen legten die Arbeit nieder, sogar Schulen wurden geschlossen, weil sich auch Kantinen-Mitarbeiter_Innen anschlossen. Die Hauptforderung war vor allem Arbeitsplatzsicherheit und Kündigungsschutz, da in Südkorea mehr als 40 Prozent aller Arbeiter_Innen „irreguläre Arbeiter_Innen“ sind. Weitere wichtige Forderungen des Generalstreiks waren höhere Löhne und die Anhebung des Mindestlohnes, also ganz einfache Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen.

Südkorea im Kapitalismus

Südkorea ist ein Land, was wir als Halbkolonie bezeichnen würden. Nachdem Kolonialismus kam es in Korea zum Koreakrieg. Ein Krieg der mit der Teilung des Landes in das stalinistische Nordkorea und das kapitalistische Südkorea endete. Dieser Krieg ist bis heute nicht geklärt, es gab nie einen Friedensvertrag, sondern bisher nur einen Waffenstillstand. Während dessen entwickelte sich Südkorea in vollkommener wirtschaftlicher Abhängigkeit von den imperialistischen USA, die dort schon den Krieg für den Kapitalismus mitgeführt hatten. Südkorea war lange verschuldet beim IWF, hatte dies jedoch irgendwann abgezahlt, unter anderem durch Kürzungen bei den Sozialausgaben. Trotz dessen, dass sie ein ziemlich großes BIP haben (für ein halbkoloniales Land), und sie auch eigene Märkte bedienen, ist der Reichtum sehr ungleich verteilt

Als halbkoloniales Land hat Südkorea deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen als imperialistische Staaten. 44,6 Stunden Wochen, über 40 Prozent irreguläre Beschäftigung, viele Menschen mit Teilzeitjobs, u.s.w. Außerdem gibt es eine extrem hohe Altersarmut, und gerade in den Krisenjahren seit 2008/09 sind die Menschen unterhalb der Armutsgrenze und Verschuldung immer mehr geworden. Der Mindestlohn beträgt umgerechnet etwa 6 Euro. So leiden viele Arbeiter_Innen sehr unter diesem System. Aber auch die Jugend Südkoreas leidet darunter. Eltern arbeiten in mehreren Teilzeitjobs oder Vollzeitwochen, und haben keine Zeit für sie. In südkoreanischen Schulen gibt es enormen Leistungsdruck, und teilweisen militärische Disziplin und Unterordnung. Auch Frauen leiden unter der Doppelbelastung von Job und Haushalt umso mehr. Außerdem bekommen viele Frauen eine so niedrige Rente, dass sie sich im Alter prostituieren müssen, und das sind keine Einzelfälle. Migrantische Leiharbeiter_Innen oder Geflüchtete aus Nordkorea, die auch in Squid Game thematisiert werden, arbeiten oft schwarz, bekommen ihr Geld nicht, haben keinen rechtlichen Schutz und rutschen so letztendlich in die Kriminalität. So ist es ziemlich verständlich, dass sich so viele Menschen den Streiks und Protesten anschlossen.

Coronaschutz und Repression

In Südkorea gibt es momentan eine sehr strenge Coronapolitik. Im Großraum Seoul sind daher momentan eigentlich alle Versammlungen verboten. So rief der Präsident den Gewerkschaftsverbund auch dazu auf keine Demonstrationen in Seoul durch zu führen. Trotz des Verbots streikten allein in Seoul 27 000 Menschen, natürlich unter strengen Hygieneregeln. Dies war auch notwendig, damit die Streiks die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Auch nicht in einer Pandemie sollten Versammlungsrechte aufgehoben werden. Aber bei der Masse an Streikenden ist eigentlich klar, dass es nicht nur um Infektionsschutz geht, sondern auch darum ihren Protest zu kriminalisieren.

Was muss in Zukunft getan werden?

Wie können die Streiks siegen? Natürlich reicht es nicht, wie gerade, nur einen Tag zu streiken. Der Streik muss solange fortgeführt werden, bis alle Forderungen nach der Verbesserung der Lage der Arbeiter_Innen umgesetzt wurden. Aber auch das reicht noch nicht aus. Viele erkennen zu Recht das Problem dahinter im Kapitalismus. Aber man sollte keine Illusionen in die Reformierbarkeit dessen haben. Die Niederschlagung des Streiks in der Automobilfabrik zeigt das nur zu gut. Der Kapitalismus muss letztendlich als System überwunden werden, wenn man wirklich Verbesserungen erkämpfen will, denn es sind die Funktionsweisen des Kapitalismus die all diese Probleme, wie die hohe Verschuldung und Armut, immer wieder erzeugen. Da Kapitalismus darauf beruht, dass einige wenige besitzend sind, und die Masse an Menschen und ihre Arbeitskraft ausbeuten müssen, um sich gegen die Konkurrenz zu halten. Das passiert auch international, weshalb imperialistische Konzerne z.B. in den USA oder Deutschland Menschen in Halbkolonien, wie Südkorea, noch extremer ausbeuten. Das erklärt auch die schlechten Arbeitsbedingungen und Sozialsysteme in Südkorea und anderen Ländern. Daher kann man im Kapitalismus keine größeren Reformen erwarten.

Deswegen fordern wir:

  • Weiterführung des Generalstreiks um wirtschaftlichen Druck auszuüben, und Verbesserungen zu erkämpfen
  • Langfristig eine Revolution gegen den südkoreanischen Kapitalismus, und den internationalen Kapitalismus
  • Einrichtungen von Streikkommitees mit eigenen Streikkassen, um die Streiks weiter zu koordinieren, sollte der Gewerkschaftsverbund einen Rückzieher machen
  • Aufbau von organisierter Selbstverteidigung auf der Straße, wenn es zu Repressionen durch Polizei und Militär kommen sollte



Tarifabschluss Metall- und Elektroindustrie: Danke für nichts!

Christian Mayer

Seit
Dezember letzten Jahres lief in der Metall- und Elektroindustrie die
Tarifrunde, Ende März wurde sich auf einen Tarifabschluss geeinigt.
Wie schon der erste Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann
ankündigte, wollte man noch vor Ostern ein Ergebnis haben. Dies sei
nach seiner Aussage „zwar sportlich, aber machbar“. Gesagt,
getan.

Das Ergebnis

Wenn
man sich anschaut, mit welchen Forderungen die IG Metall in die
Tarifrunde ging und was am Ende dabei rauskam, kann man durchaus
sagen: Viel gefordert, lange verhandelt, (fast) nichts erreicht.

Aber
schauen wir erst mal kurz die Hauptforderungen an. Diese waren:

  1. eine
    Entgelterhöhung von 4% im Volumen (eine eigenartige Formulierung)
  2. eine
    Laufzeit des Tarifvertrages von 12 Monaten
  3. Die
    Sicherung von Beschäftigung
  4. Die
    Aufnahme von dual Studierenden in den Manteltarifvertrag Ausbildung

Im
Ergebnis wurden die Forderungen 1 und 3 zusammengeschmissen:
Sicherung von Beschäftigung und Entgelterhöhung heißen nun
„Transformationsgeld“. Dieses ist eine vierte Sonderzahlung neben
Urlaubs-, Weihnachts- und Tariflichem Zusatzgeld (kurz T-ZuG). Was
auf den ersten Blick einfach klingt ist in der Tat kompliziert und
auch nicht jedem IG Metall-Mitglied im Detail verständlich. Hinter
dem „Transformationsgeld“ steckt eine etwas komplizierte
Berechnungsgrundlage. Dabei werden die Löhne zwar theoretisch um
2,3% erhöht, allerdings wird diese Erhöhung nicht ausbezahlt,
sondern über einen Zeitraum von 8 Monaten, nämlich bis Februar
2022, angesammelt. Erst dann entscheiden Geschäftsführung und
Betriebsrat, ob diese Zusatzzahlung ausbezahlt oder in zusätzliche
freie Tage umgewandelt wird. Klingt fair? Nun, die Bürokratie der IG
Metall wäre nicht sie selbst, hätte sie den Metallkapitalist_innen
nicht noch ein Hintertürchen eingebaut.

Das „Transformationsgeld“ wird nämlich nur dann ausgezahlt, wenn für die Geschäftsführung des jeweiligen Betriebes die wirtschaftlichen Kennzahlen passen. Oder einfacher: Kein Profit – keine Zusatzzahlung. Ach ja, und wenn wir schon dabei sind, soll das „Transformationsgeld“ ab Februar 2023 dann auch wieder nach dem beschriebenen Prinzip gezahlt werden (nur statt 18,4% (das Produkt aus 8 * 2,3) des eigenen Lohns werden es dann 27,6% vom eigenen Lohn sein), aber eben nur wenn es Profit gibt.

Dafür erhalten die Facharbeiter_Innen und Angestellten dieses Jahr eine Einmalzahlung in Höhe von 500,- € netto, Azubis und Studierende bekommen 300,- € netto.

Und
die Beschäftigungssicherung? Na ja, die finanziert man sich aus dem
eigenen Geldbeutel. Falls es „Beschäftigungsprobleme“ in einem
Betrieb geben sollte, kann man die Arbeitszeit zwar auf eine
Vier-Tage-Woche absenken (man arbeitet dann halt 32 statt 35 Stunden,
jedenfalls in Westdeutschland), allerdings muss man den Lohnausfall
selber begleichen. Wie? In dem individuell, also jede_r für sich
nicht nur auf das „Transformationsgeld“, sondern auch noch auf
das T-ZuG verzichtet und diese in zusätzliche, freie Tage umwandelt.
Umgerechnet auf einen Monat bedeutet das, man kann zwar seine
Arbeitszeit um ganze drei Stunden in der Woche verkürzen kann,
ausgeglichen wird aber nur der Lohnausfall von zwei Stunden durch die
Umwandlung der Zusatzzahlungen. Die letzte Stunde, die dann noch
übrig ist, schenkt man den Kapitalist_innen also in dem diese die
Stunde nicht bezahlen müssen.

Laufzeiten – und was sie bedeuten

Kommen
wir nun zum zweiten Punkt, der Laufzeit. Hier wurden von der IG
Metall ja 12 Monate angepeilt. Im Endergebnis läuft der
ausgehandelte Tarifvertrag aber 21 Monate bis September nächsten
Jahres. Schlecht gerechnet oder doch ein Tippfehler? Nein, entspricht
der Wahrheit. Zwar ist die Laufzeit diesmal etwas kürzer als beim
Tarifabschluss 2018 (da waren sogar 27 (!) Monate), aber wundern
sollte uns das nicht.

Warum
nicht? Weil die IG Metall in den letzten fünf Jahren eigentlich
keine Tarifverträge abgeschlossen hat, die unter 20 Monaten laufen.
Und andererseits bedeutet eine lange Laufzeit eines Tarifvertrages
auch immer, dass die legalen Kampfmöglichkeiten für die
Arbeiter_Innenklasse nicht gegeben sind, da während der Laufzeit
eine Friedenspflicht gilt. Diese ist in den allermeisten Fällen
sogar länger als die Laufzeit des abgeschlossenen Tarifvertrag.
Während der Friedenspflicht darf nicht gestreikt werden, dass regelt
das Betriebsverfassungsgesetz. Nach Ablauf der Friedenspflicht sieht
die Sache anders aus, aber hier beschränkt sich die IG Metall seit
inzwischen 37 Jahren lieber auf Warnstreiks bzw. 24 Stunden Streiks.

Zum jetzigen Abschluss kommt hinzu, dass die Entgelterhöhungen nicht tabellenwirksam sind. Das heißt, die Entgelttabellen sind seit 2018 nicht mehr angepasst worden und man verdient immer noch dasselbe jeden Monat brutto. Gerade für die unteren Entgeltgruppen bedeutet dies angesichts steigender Mieten, Lebensmittelpreise usw. einen deutlichen Einkommensverlust. Und auch für Auszubildende und Studierende bedeutet dies, dass sich ihre Vergütungen nicht erhöhen. Diese werden zwar im Falle von Auszubildenden nach jedem Lehrjahr und für Studierende etwa nach jedem zweiten Semester erhöht, am Ende bleiben sie aber doch deutlich unter dem, was ihre Kolleg_Innen verdienen. Gerade in Städten wie Stuttgart, die inzwischen die teuerste Großstadt bei den Mieten ist (10,41 € pro m²), wird dann deutlich, wie abhängig Jugendliche in Ausbildung von den Eltern sind, selbst wenn sie nicht mehr bei ihnen wohnen.

Aufnahme von dual Studierenden in den MTV Ausbildung

Groß verkündet die IG Metall in der Meldung zum Tarifabschluss, man hätte die dual Studierenden nun endlich in den Manteltarifvertrag (MTV) Ausbildung aufnehmen können. Wenige Stunden später dann allerdings ruderte man zurück. Nun heißt es: „Darüber hinaus werden die Tarifvertragsparteien bis Ende September die Situation von dual Studierenden in den Betrieben evaluieren und prüfen, inwieweit sich tarifpolitischer Handlungsbedarf ergibt. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wird auch nach Wegen gesucht, damit mehr Betriebe Auszubildende und dual Studierende einstellen.“ Oder übersetzt: Erst mal nachschauen und prüfen, ob es überhaupt einen Grund gibt, dual Studierenden einen Tarifvertrag zuzugestehen und sie dann in den MTV aufzunehmen, oder nicht.

Lediglich in Baden-Württemberg gilt nun für dual Studierende, dass sie in den MTV aufgenommen werden. Ungerecht? In den Augen der IG Metall nicht. Dass dual Studierende in der Regel kein Bafög erhalten und es dann noch lokal extrem große Unterschiede gibt, interessiert die IG Metall-Führung nicht. Hauptsache mal wieder was für’s eigene Image getan.

Keine
Alternative zur IG Metall-Kapitulation?

Wir
stellen fest, dass die IG Metall ihren Abschluss als den heißen shit
schlechthin verkauft, das Ergebnis allerdings in der Realität nicht
heiß, sondern lediglich shit ist.

Außerdem: In den kommenden Jahren sollen allein in der Autoindustrie bis zu 400.000 Jobs gestrichen werden. Dagegen gibt es kaum Widerstand. Warum? Weil die Gewerkschaftsbürokratie gerade in diesem Bereich extrem darauf angewiesen ist, mit den Kapitalist_Innen zusammenzuarbeiten. Nirgends in Deutschland kann durch einen Aufsichtsratsposten außerhalb vom Bankenwesen so viel Geld verdient werden wie in der Autoindustrie. Aufsichtsräte werden etwa jeweils zur Hälfte von Kapitalist_Innen und Gewerkschafter_Innen besetzt, den Vorsitz hat aber immer die Kapitalseite inne. Gewerkschaftsfunktionär_Innen sind hier besonders eng mit den Bossen verbunden.

Geht die Gewerkschaftsbürokratie also nun in die Offensive, hat sie ein Problem: Auf der einen Seite muss sie ihren Mitgliedern etwas bieten können, auf der anderen Seite will sie es sich jedoch auch nicht mit den Kapitalist_Innen verscherzen. Die Lösung dieses Problems sind dann Abschlüsse wie dieses Jahr, eine Lösung auf Kosten der Arbeiter_Innen.

Doch
was können wir tun, um Erfolg zu haben? Streiken? Das ist außerhalb
der Friedenspflicht wie bereits dargestellt möglich. Dafür muss der
Kampf gegen die zögerliche Politik der Gewerkschaftsbürokratie
geführt werden. Bedeutet im konkreten Fall: Urabstimmung über die
Durchführung des Streiks und zwar direkt nach Ende der
Friedenspflicht und nicht erst Warnstreiks. Dafür müssen wir eine
organisierte Opposition in den Gewerkschaften aufbauen – und zwar
hier und jetzt.

Eine Opposition darf sich nicht auf den Kampf gegen einzelne Entscheidungen beschränken. Zum Beispiel ist die Forderung nach Ablehnung des Tarifergebnisses in den Tarifkommissionen nicht ausreichend. Es müssen andere Konzepte entwickelt werden und die Unterordnung unter die Kapitalist_Innen gehört politisch bekämpft. Es müssen die undemokratischen Strukturen bekämpft werden, die es der Bürokratie erlauben, die Gewerkschaften zu kontrollieren. Was hilft es zu hoffen, dass Tarifkommissionen Ergebnisse ablehnen, wenn Basismitglieder dafür nicht kandidieren dürfen?

Eine Opposition aufzubauen,
wird nicht leicht fallen, der Apparat ist mächtig. Aber auch wenn
seine Konzeption in vielen Fällen funktioniert, so scheitert sie
doch mit Zunahme der Systemkrise immer mehr.

Und: Es gibt kleine Ansätze
für eine solche Opposition. Aber sie muss zu einer
klassenkämpferischen Basisbewegung werden: Klassenkampf statt
Sozialpartnerschaft mit dem Kapital, Kontrolle der Gewerkschaft durch
die Basis anstelle der Bürokratie!




Bildung und Schule im Kapitalismus

Langweilige Lerninhalte, die keine:r braucht, vergammelte Schulgebäude, Notenterror, Schulstart mitten in der Nacht, Konkurrenzdruck, Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Berge aus Hausaufgaben: Warum wundert sich eigentlich noch jemand, dass so viele von uns keinen Bock mehr auf Schule haben? Das Heft in deinen Händen will dir helfen zu verstehen, warum die Situation in unseren Schulen so scheiße ist, wie sie ist und gleichzeitig Möglichkeiten aufzeigen, was wir dagegen machen können! Wir, das sind Jugendliche von REVOLUTION, gehen teilweise selber zur Schule und haben uns gefragt, was hier eigentlich konkret schiefläuft. An unseren Schulen haben wir bereits viele Erfahrungen damit gemacht, Widerstand gegen dieses beschissene Bildungssystem zu leisten, die wir hier mit euch teilen möchten.

1. Schule wie sie sein könnte

Die Schule ist kein Ort, an dem wir gerne sind. Wir werden dort miteinander verglichen, unter Druck gesetzt, ausgepowert und oft sogar diskriminiert, erniedrigt, vorgeführt und aussortiert. „Das war halt schon immer so, da muss man durch, das wird auch immer so sein“, kriegen wir dann oft zu hören, wenn wir uns über diese Zustände beschweren. Damit soll uns suggeriert werden, dass die Schule so, wie sie heute aussieht, alternativlos ist und wir das zu akzeptieren haben. Dabei ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir nicht gerne zur Schule gehen. Eigentlich entwickelt nämlich jeder Mensch kurz nach seiner Geburt einen angeborenen Lerntrieb und eine natürliche Neugier, um seine Umwelt zu entdecken und zu verstehen. Das aktuelle Schulsystem schafft es jedoch erstaunlicherweise jeden Tag aufs Neue, uns diesen angeborenen Lerndrang abzutrainieren.Dabei teilt es uns in „dumme“ und „schlaue“, „gute“ und „schlechte“  Schüler:innen ein. Diese Trennung hat so gut wie nichts mit unseren tatsächlichen Eigenschaften und Fähigkeiten zu tun, sondern wird vom Charakter des Unterrichts und dem mehrgliedrigen, aussortierenden Schulsystem produziert. Aber gibt es denn wirklich keine Alternative? Kann Schule auch anders sein? Wie sieht eine Schule aus, in der wir gerne sind?

Bildung für Alle!

Zunächst sollten erst einmal alle Menschen Zugang zu dieser Schule haben, egal ob sie geflüchtet sind, oder schon immer hier wohnen, wie viel Geld sie haben, ob sie einen festen Wohnsitz besitzen oder nicht, welches Geschlecht sie haben usw. Bildung muss für Jede_n gleichermaßen zugänglich sein! Dabei wollen wir nicht in Schulen mit „abgestuften Bildungsniveaus“ abgeschoben werden. Das mehrgliedrige Schulsystem mit seiner Trennung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium bietet uns nämlich alles andere als eine bessere Lernumgebung. Vielmehr will es einige von uns zur zukünftigen Elite ausbilden, während die anderen für diese arbeiten sollen. Wir wollen keine Trennung von Hand- und Kopfarbeit, sondern eine Schule, die uns allen die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten bietet und in der wir unsere Stärken und Talente selber entdecken können.

Unterricht zusammen gestalten!

Aber auch im Unterricht selbst darf es keine Benachteiligungen geben: Wir wollen eine Schule, die sich unseren Bedürfnissen anpasst und sich nach uns ausrichtet und nicht ihre eigenen Fehler auf uns abwälzt und unsere schlechten Noten damit erklärt, dass wir Frauen sind, Deutsch nicht unsere Muttersprache ist, unsere Eltern wenig Geld haben, wir in einem bestimmten Stadtteil wohnen oder irgendein_e Mediziner:in sagt, dass wir eine Behinderung haben. Wenn unsere Mitschüler:innen eine andere Sprache sprechen, anders aussehen, sich anders verhalten oder äußern, erkennt das unsere Schule nicht als ein Defizit, sondern eine Bereicherung für uns alle an. Im Unterricht gibt es keinen Leistungsterror und Notendruck, sondern er ist so aufgebaut, dass wir uns dabei am besten und frei entwickeln können. Die Bedürfnisse an Lerninhalten sollen dabei von uns Schüler:innen, den Lehrer:innen und den anderen Beschäftigten an der Schule gleichermaßen zusammen ermittelt werden. Auch durch frei zugängliche Materialien und selbstregulierte Lern- und Pausenphasen kann uns die Schule dabei helfen zu entdecken, was wir wirklich gut können. Dabei wollen wir nicht alleine dastehen, individuell bewertet werden und für uns selber kämpfen müssen. Vielmehr wollen wir lernen, Aufgaben kollektiv zu bearbeiten. Und das nicht in einer blöden Teamarbeit, in der wir zu viert ein Arbeitsblatt ausfüllen dürfen, sondern durch bewusste Gruppenbildungsprozesse, in denen wir unsere eigenen Stärken und die der anderen kennenlernen und uns so aneignen, wie wir gemeinsam Probleme und Aufgaben lösen können. Kein stupides Auswendiglernen, Wiedergeben und Auskotzen, sondern kollektive, demokratische und kreative Lernprozesse, die uns zu kritischem und emanzipatorischem Denken befähigen. Die Lehrer:innen sind dabei keine allwissenden Autoritäten, die uns sagen, was wir zu tun und zu lassen haben, sondern wirken als Unterstützer:innen für unsere Lernprozesse. Unsere Schule soll ebenso nicht nur aus trockener Theorie bestehen und ein, vom gesellschaftlichen Leben abgekapselter, Elfenbeinturm sein. Warum sollten wir uns die ersten 20 Jahre unseres Lebens ausschließlich mit Input vollpumpen lassen, um die folgenden 50 Jahre nichts mehr zu lernen und nur noch zu arbeiten? Wir wollen keine Trennung zwischen Lernen und Arbeiten, sondern eine Schule, die ein lebenslanges Lernen ermöglicht und in der geistig-schöpferisches Denken und Lernen, praktische Arbeit und gesellschaftlich-nützliche Tätigkeit miteinander verknüpft werden. 

Neue Schule, neue Gesellschaft

Klingt cool? Funktioniert aber alles nicht in einer Gesellschaft, die auf der kapitalistischen* Verwertungslogik aufbaut und kein Interesse daran hat, demokratisch und kollektiv erzogene und kritisch denkende Menschen herauszubilden! Genauso wie die Schule, so ätzend wie sie heute ist, ein wichtiger Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist, kann unsere Schule, wie wir sie gerne hätten, nur Bestandteil einer anderen Gesellschaftsordnung sein. Eine von Grund auf demokratische Gesellschaft, in der über die Politik und die Wirtschaft in Räten in der Schule, im Betrieb oder im Stadtteil entschieden wird. Auch die Entscheidungen über Schule, Lerninhalte, Finanzmittel usw. werden dann nicht mehr von unfähigen Politiker:innen und kommerziellen Unternehmen gefällt, sondern von der gesamten Gesellschaft geplant. Eine solche Gesellschaft kann auch eine Schule schaffen, in der wir gerne sind. Deshalb lasst uns die Schule als Ausgangspunkt nehmen, um für eine solche sozialistische Gesellschaft zu kämpfen!

2. Bildung und Schule im Kapitalismus

Was ist Bildung?

Wenn wir den gesellschaftlichen Zweck von Bildung betrachten, dann hören wir viele hohle Worte. Während die einen sagen, dass Bildung immer neutral sein muss, sagen die anderen, dass mit nur genügend Bildung und Aufklärung eine bessere Gesellschaft erschaffen werden kann. Wir Marxist:innen* lassen uns von diesem Palaver nicht täuschen und wissen, dass die Aufgabe von Bildung und Erziehung im Allgemeinen in jeder Form von Klassengesellschaft* eine Klassenerziehung unter Kontrolle der herrschenden Klasse zur Rechtfertigung ihrer Herrschaft und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung ist. Was das genau bedeutet, wollen wir im Nachfolgenden verdeutlichen. Natürlich existierte Bildung schon vor der Entstehung des Kapitalismus*, jedoch erhielten sie in den vorhergehenden Klassengesellschaften vor allem die Herrschenden, um ihre Stellung wahrnehmen zu können. Die unterdrückten Massen in der Antike und im feudalen Mittelalter wurden meist nur im Zuge der familiären Erziehung für ihre gesellschaftliche Funktion ausgebildet. Beginnen müssen wir jedoch mit der Frühgeschichte des kapitalistischen Wirtschaftssystems:Nachdem die feudale, ständische Gesellschaftsordnung des Mittelalters auf- gebrochen wurde, waren die meisten Menschen Besitzlose, die zum Überleben nur ihre eigene Arbeitskraft verkaufen konnten. Jedoch hatten sie auch keinen Herren mehr über sich, der ihnen eine spezifische Arbeit aufzwingen konnte. Vorher war die Familie der Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Jetzt wurden sie vereinzelt und in die Arbeitsstätten gedrängt. Diese Ausdünnung der Familien führte zunehmend zur sozialen Verwahrlosung der Kinder aus Arbeiter:innenfamilien, die schon früh in die Fabriken mussten, um ihren Beitrag zur Familie zu leisten. Die Ideologie der Familie als Mittelpunkt des Lebens brach zusammen. Dadurch, dass Frauen und Kinder nun nicht mehr unter der Aufsicht des Mannes auf dem Feld arbeiten mussten, sondern selber in der Fabrik ihr eigenes Gehalt bekamen, wurde die Autorität des Mannes innerhalb der Familie immer mehr infrage gestellt. Im Allgemeinen führte die zunehmende Vereinzelung und das ins Wanken geratene Bild der altertümlichen Familie zu zunehmenden Depressionen, häuslicher Gewalt bis hin zum (Selbst-)Mord. Dieses Verhalten begründet sich vor allem dadurch, dass den Menschen immer wieder das Ideal der alten Familienordnung eingebläut wurde, welches sich in der neuen wirtschaftlichen Ordnung gar nicht mehr aufrechterhalten ließ. Ein Gegensatz zwischen Idealbild und tatsächlichen Gegebenheiten. Dies führte ebenfalls zur Zuspitzung des Klassenkampfes* rund um Forderungen wie höhere Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und (gewerkschaftliche) Organisationsfreiheit. Eine Reihe von Streiks richtete sich damals aber auch gegen Frauen- und Kinderarbeit. Diese hatten einen zwiespältigen Charakter, da sie zum einen das Ziel hatten die bürgerliche Familie unter patriarchaler* Ordnung erneut zu stärken und zum anderen sich gegen die Verrohung der Klasse und für ihre soziale Absicherung zu kämpfen. Auch für den Kapitalismus ergaben sich daraus schwerwiegende Probleme, denn er ist darauf angewiesen, dass sich die Arbeiter:innen* selber darum kümmern, genug neue Arbeiter:innen zu „produzieren“ und am nächsten Tag wieder auf der Matte stehen zu können. Wie sollte die Produktion aufrechterhalten werden, wenn immer mehr Frauen und Kinder arbeiten müssen, die sich dann nicht mehr um Haushalt und Erziehung kümmern können? Hierbei offenbart sich ein gesellschaftliches Problem innerhalb der Kapitalist:innenklasse*. Als einzelne Unternehmer:innen wollten sie immer mehr Profite einfahren, wenn möglich auch über die Grenzen der körperlichen Erschöpfung ihrer Arbeiter:innen hinaus, egal ob jung, alt, weiblich oder männlich. Das müssen sie auch, denn wer keine Profite mehr einfährt, geht in der freien Konkurrenz unter. Als Gesamtklasse der Kapitalist:innen* wollten sie aber auch die herrschende Ordnung aufrechterhalten. Dafür brauchten sie etwas, das die Interessen ihrer gesamten Klasse mit Gewalt und Zwang umsetzen kann. Dies erweiterte den Rahmen des Staates massiv. Zuvor vor allem eine Institution zur gewaltsamen Durchsetzung der herrschenden Interessen gegenüber den Armen und Unterdrückten, nun eine scheinbar neutrale Instanz, die zwischen den Klassen  vermittelt Da der Staat für die Bildung verantwortlich ist, erscheint es uns oft so, als sei sie  neutral und stehe über den Klassen. Tatsächlich wurde der Staat aber von der Kapitalist:innenklasse erschaffen und hat immer nur dem Zweck gedient, die Interessen ihrer Klasse durchzusetzen. Das Beispiel der Einführung der allgemeinen Schulpflicht zeigt, wie das in Bezug auf die Bildung funktioniert. So gingen vorher nur Kinder aus der herrschenden Klasse zur Schule, um später selber in der Lage zu sein, herrschen zu können. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts sollten aber immer mehr Kinder zur Schule gehen und auch die Schulzeit selber wurde stetig länger. Das lag daran, dass sich die Produktion weiterentwickelte und höhere Ansprüche an die neuen Generationen von Arbeiter:innenjugendlichen gestellt wurden. Damit der Bedarf der Kapitalist:innen an besser ausgebildeten Arbeiter:innen gestillt und mehr Kinder in die Schule geschickt werden konnten, sorgte der Staat dafür, dass die Familien nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung durch die Löhne ihrer Kinder angewiesen waren. So wurde dieser Wegfall durch höhere Löhne für die arbeitstätigen Teile der Familie und durch Kindergeld ausgeglichen. Kinder und Jugendliche mussten also, um in die Schule gehen zu können, aus dem Produktionsprozess ausgegliedert werden. Die Kapitalist:innen konnten sich dieses kostspielige Abenteuer aber nur leisten, indem sie andere Länder auf der Welt stärker ausbeuteten und sich so ihre verloren gegangenen Profite zurückholten.Heute leben wir in einer Zeit, in der Konzerne nicht nur auf nationaler Ebene produzieren, sondern sich multinationale Riesenkonzerne herausgebildet haben. Getrieben durch die internationale Konkurrenz erleben wir hier ein verstärktes Jagen nach Extraprofiten. Dieses macht auch vor den Reproduktionskosten* nicht halt und zwingt gigantische Menschenmassen tagtäglich in die Subsistenzwirtschaft* oder die Halblegalität, produziert damit auch erneut Kinderarbeit. Bildung ist hierbei oftmals ein stärker klassenspezifisches Gut, internationale Zahlungen der ausbeutenden Nationen eher symbolisch. Das kann in Form von Konzernspenden oder staatlicher „Entwicklungshilfe“ passieren. Ein bisschen was reicht aber auch schon, denn die meiste Kopfarbeit soll ja schließlich in anderen Teilen der Welt geleistet werden. In Afrika, Asien, Südamerika oder Osteuropa steckt der Westen also ein bisschen Kohle in die Bildung, aber würde nicht auf die Idee kommen, die Löhne der Arbeiter:innen zu erhöhen, um auch hier Kinder vom Zwang zur Arbeit zu befreien. Aus dieser Ausbildungszeit entsteht v.a. in den ausbeutenden Nationen eine allgemein-menschliche Entwicklungsphase, die in einem zeitlich so langen und umfassenden Maß historisch nicht zuvor existierte, die Jugend.Hierbei wollen wir die Jugend nicht romantisieren, da mit dieser auch eine spezifische Unterdrückung einhergeht, jedoch ist es auch ein historisch neues Phänomen, dass Jugendkulturen enormen Einfluss auch auf ältere Generationen gewonnen haben und sogar teilweise zum (kulturellen) Leitbild werden. Aber zurück zu den Schattenseiten: Jugendunterdrückung bedeutet Bevormundung. Sie bedeutet wirtschaftliche Abhängigkeit von Erziehungsberechtigten, politische Entmündigung in Wahlen und im Alltag, fehlende Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität. Sie rechtfertigt Unterbezahlung, wie wir in Deutschland mit der Einführung des „flächendeckenden Mindestlohns“ sehen können, von dem beispielsweise Jugendliche ausgeschlossen sind. Jugendunterdrückung bedeutet noch vieles mehr, wir wollen hiermit nur deutlich machen, dass sie System hat, sie dient der Unterordnung und Gefügigmachung in Schule und Familie, eine ideale Vorbereitung auf die Arbeitswelt als lohnabhängiger Mensch.

Ideologische Erziehung in der Schule

Schule hat im Kapitalismus* jedoch nicht nur eine Gesellschaftsstabilisierende Funktion, sondern auch einen ideologischen, sich auf das allgemeine Bewusstsein auswirkenden Faktor. Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse (Marx/Engels – Das Manifest der kommunistischen Partei). Bildung hat also in jeder Gesellschaftsform die Aufgabe, nicht nur zur wirtschaftlichen Aufrechterhaltung des Systems beizutragen, sondern dieses System auch in die Köpfe der Gesellschaftsmitglieder zu pflanzen. Hierbei tut der Kapitalismus so, als sei er ein System, indem alle Menschen dieselben Rechte und somit die gleichen Voraussetzungen hätten. Mal abgesehen davon, dass zum Beispiel Geflüchtete vom Kapitalismus stark entrechtet werden, braucht der Kapitalismus einfach weniger rechtliche Einschränkungen, da das seine inneren ökonomischen Gesetze schon von alleine regeln. Sind doch jene, die sich eine dauerhafte Ausbildung für „ihre“ Kinder nicht leisten können, irgendwann dazu gezwungen, die Schüler:innen aus der relativ isolierten Bildungswelt in die „Arbeitswelt“ zu stecken. Das Gleiche gilt für die, die sich die Nachhilfe nicht leisten können oder nicht genügend freie Zeit oder spezifisches Wissen besitzen, um den Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen. Der Ausschluss von Arbeiter:innenjugendlichen aus der höheren Bildung passiert somit meistens automatisch, ohne dass der Staat noch groß nachhelfen muss. Doch nicht nur die Länge des Aufenthaltes in Bildungseinrichtungen, sondern auch ihr Inhalt bestimmt die Bewusstseinsentwicklung. Dies basiert darauf, dass der Staat eine Monopolstellung* über die Bildung hat. Davon sind nur diejenigen befreit, die es sich leisten können, auf Privatschulen zu gehen oder zu Hause unterrichtet zu werden. Aus dieser Alleinherrschaftsstellung folgt auch, dass der Staat alleine entscheiden kann, welcher Lehrstoff auf welche Weise unterrichtet werden soll. Das bedeutet u. a. die Darstellungsweise von historischen Ereignissen, die Selbstkritik des Staates und des Kapitalismus, es bedeutet aber auch die bewusste Überlastung von Schüler:innen durch Dinge wie Bulimie-lernen, durch das zwanghafte Einhalten von Lehrplänen, die Unmöglichkeit der Selbstbestimmung und -entfaltung. Diese diktatorische Form des Lernens – die anfangs aus still sein und ruhig sitzen besteht, bis dies zur Selbstverständlichkeit wird – tötet weite Teile von Kreativität ab und presst die Schüler:innen in eine vorgegossene Form. Hierbei wird Lehrer:innen eine zentralisierte, weitgehend „Arbeitswelt“-fremde Ausbildung auf sachlicher und pädagogischer Ebene erteilt. Der Frontalunterricht ist hierbei ein stark hierarchisch geprägtes Mittel, welches  sehr an militärische Disziplin erinnert. Lehrer:innen müssen außerdem, um ihren Beruf ausüben zu dürfen, die freiheitlich demokratische Grundordnung unterzeichnen, diese umfasst auch das Recht auf Privatbesitz an Produktionsmitteln*, ein Recht also, welches diese Klassengesellschaft* aufrechterhält. 

Jugendunterdrückung: Ergebnis der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit

Ein elementares Problem der Bildung in jedweder Klassengesellschaft * ist die scheinbare Trennung von Bildungs- und Arbeitswelt. Diese isoliert die Schüler:innen von den konkreten Problemen und Prozessen der Außenwelt und schafft eine rein künstliche Konkurrenzsituation rund um das Notensystem und Zukunftsangst bzw. Perspektivlosigkeit. Hierbei tut der Kapitalismus* wieder so, als hätten wir alle die gleichen Chancen und leugnet dabei strukturelle Unterdrückung wie beispielsweise Rassismus, Sexismus oder die Existenz von Klassen. Wenn die Unterschiede dann doch zu sehr auffallen, führt er sie auf angeblich zu geringe Aufklärung und Intelligenz zurück. Denn im Vordergrund steht: Machst du was, dann wirst du was. Dabei ist der Kapitalismus ein System, dass nicht in der Lage ist Menschen vor Krieg und Armut zu beschützen, vollkommen egal wie intelligent diese sind. Dies führt zum einen zur Demoralisierung und Verlust des Interesses am Lernen an sich für einen großen Teil der Schüler:innen. Und zum anderen dazu, dass die Ausbildung neuer Generationen von Arbeiter:innen* nicht als gesellschaftlich notwendige und für alle Mitglieder wichtige Aufgabe wahrgenommen wird. Dies reproduziert und legitimiert wiederum die Jugendunterdrückung. Hieraus werden unbezahlte Praktika, Benachteiligung im Beruf, Unterbezahlung in der Ausbildung und vieles weiteres gerechtfertigt.  Denn die (Aus-)Bildung wird als individuelle Karrierechance und nicht als gesellschaftlich notwendiges Produkt begriffen.

Die Schüler:innenvertretung: Mittel zur Mitbestimmung?

Doch gibt es nicht auch in der Schule Möglichkeiten der Mitbestimmung? Die jährlichen Schüler:innensprecher:innenwahlen und die Schüler:innenvertretung klingen super, sind aber eine ziemliche Mogelpackung. Erst einmal wird Schüler:innen in jungen Jahren vollständig die Interessenvertretung untersagt. Erst in den mittleren und höheren Schuljahren dürfen sie ihre eigenen Schüler:innenvertretungen wählen. Diese ähnelt in vielen Punkten dem parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland. So können die Schüler:innen in regelmäßigen Abständen wählen. Eine Überprüfung, ob die Gewählten auch wirklich im Interesse der Schüler:innen handeln, geschweige denn eine mögliche Abwahl sind dabei wie auch im politischen System der BRD nicht vorgesehen. Auch die Einflussmöglichkeiten der Schüler:innenvertretungen sind winzig, obwohl sie die Mehrheit der Menschen, die sich in der Schule aufhalten, vertritt. So haben sie keinerlei Einfluss auf Unterrichtsinhalte, Bildungsetats oder rechtliche Mittel um Schüler:innen vor Willkür und Repression* zu beschützen. Es handelt sich vielmehr um eine Art Vorschlagsrecht. Vor allem schließen sie aber einen Großteil der Schüler:innenschaft aus der aktiven Beteiligung aus. Sie gewöhnen sie somit an das politische System in Deutschland und an die kommenden Jahre der realen Stimmlosigkeit und beschränkten Selbstorganisierung. So kommt es, dass die meisten Schüler:innenvertretungswahlen zu Beliebtheitswahlen verkommen. Sollte es mal vorkommen, dass einzelne Schüler:innen richtig viel Kraft und Energie in die Schüler:innenvertretungen stecken, wird das nicht als schulische Leistung anerkannt. Mit Glück wird es vielleicht auf dem Zeugnis irgendwo am Rand erwähnt. Somit steht das ehrenamtliche Engagement scheinbar im Gegensatz zum schulischen Erfolg, da wir uns entscheiden müssen, ob wir die Zeit lieber zum Lernen oder zum Politikmachen verwenden. Dies ist kein zufälliges Phänomen. Hier sieht man deutlich, wie uns die Struktur der Schüler:innenvertretung an das parlamentarische System gewöhnen soll. Jede Gesellschaft benötigt die Bildung, um ihre Mitglieder im Sinne ihres politischen Systems zu erziehen, auch eine befreite Gesellschaft*. Diese würde den Schüler:innen jedoch vollste Mitbestimmungsrechte garantieren. Doch was sind das für Formen, die nicht nur beschränkte Mitbestimmung, sondern volle Selbstbestimmung ermöglichen? Darauf wollen wir im späteren Verlauf eingehen.

Bildung & Krise

In Zeiten verschärfter wirtschaftlicher Krisen versucht das Kapital die Schulzeit zu verringern und auch die Kosten für Bildung auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen. Steigende Lehrmittelkosten für Schulbücher, Druckkosten, Exkursionen, Taschenrechner und vieles mehr sind gute Beispiele dafür (Studiengebühren im Hochschulbereich). Eine gesamte Schulklasse freut sich auf die Klassenfahrt, aber für Einige ist dieses soziale Event unbezahlbar. Während für die Armen Bildung immer teurer wird, schicken immer mehr Eltern aus der Kapitalist:innenklasse*, der Mittelschicht oder den oberen Schichten der Arbeiter:innenklasse* ihre Kinder auf Privatschulen. Wer eine gleichberechtigte Gesellschaft aufbauen will, muss diese abgeschotteten Inseln der guten Bildung für die Reichen scharf kritisieren! Ein anderer Ausdruck der sozialen Auseinanderentwicklung ist das mehrgliedrige Schulsystem. Hier wird selektiert, bevor die Entwicklung des menschlichen Gehirns überhaupt abgeschlossen ist und ohne soziale Ungleichheiten innerhalb der Schule zu berücksichtigen. In Zeiten der Wirtschaftskrise heuchelt die jeweilige Schulgliederung die soziale Perspektive vor und tut so, als gäbe es höher- und minderwertige Aufgaben in der Gesellschaft. Diese Hierarchisierung ist Blödsinn, denn es sollte einzig und allein darauf ankommen, ob eine Tätigkeit gesellschaftlich notwendig ist. In Deutschland, aber auch darüber hinaus, sehen wir in den letzten Jahrzehnten einen zunehmenden Rückgang der Vollbeschäftigung. Das Bild von der schönen sozialen Marktwirtschaft, in der niemand arbeitslos ist, fängt an zu bröckeln. Spätestens seit der Agenda 2010** (u.a. „Hartz IV-Reform“) wurde ein großer Teil der Arbeiter:innenklasse, selbst mit Job, in die Armut gedrängt. Durch die wirtschaftspolitischen Reformen haben viele Unternehmen keine Festanstellungen mehr vergeben, um flexibler auf die Wirtschaftskrisen reagieren zu können und Geld zu sparen. So müssen sehr viele Arbeiter:innen beim Arbeitsamt aufstocken oder schlagen sich mit mehreren „Minijobs“, befristeten Verträgen, Leih- und Zeitarbeit, Praktika usw. durchs soziale Elend. Während die Bildung in Krisenzeiten teurer wird, haben also viele Menschen aus der Arbeiter:innenklasse weniger Geld, um sie zu bezahlen. Viele Lohnabhängige erkennen jedoch nicht, dass dieses Problem nicht nur sie, sondern ihre ganze Klasse betrifft. Das liegt unter anderem daran, dass es vielen Leuten hier in Deutschland, aber auch in anderen „westlichen“ Ländern, durch die Globalisierung und die internationale Arbeitsteilung so vorkommt, als gebe es hier gar keine richtige Arbeiter:innenklasse mehr. Das ist natürlich Quatsch, denn auf internationale Ebene sieht man sogar, dass die Arbeiter:innenklasse weltweit mehr und mehr wächst. Insbesondere in Asien.

Exkurs: Einflussversuche des Kapitals in Bildung

Während jede Form von demokratischer Kontrolle der Schüler:innen und Arbeiter:innen* über die Bildung massiv bekämpft wird, erleben wir regelmäßig unterschiedliche Formen von Privatisierungen der Bildung. Der Staat gibt also ein bisschen was von seiner Hoheit über die Bildung ab. Das kann teilweise durch die Kooperation mit privaten Unternehmen in Form von Public-Private-Partnerships passieren, aber auch, indem Kinder wieder stärker in die Familie zurückgedrängt werden. Dies ergibt sich aus dem bereits geschilderten Widerspruch zwischen den Interessen der Kapitalist:innenklasse* als Ganzes und den Interessen ihrer Einzelteile, also den einzelnen Unternehmer:innen. Ein Beispiel hierfür ist die Verkürzung des Abiturs in Deutschland von 13 auf 12 Jahre. Diese Verkürzung der Lernzeit steht eigentlich den stetig steigenden Anforderungen an die neuen Arbeiter:innen entgegen, während es gleichzeitig die Zeit der Jugend verkürzt und die Schüler:innen schneller zur Arbeit zwingt. Auch wenn diese Veränderung mittlerweile als gescheiterte Reform erklärt und in einzelnen Ländern wieder zurückgenommen wird. Ebenfalls sind Maßnahmen, wie die Pisa-Studie aber auch die Bologna-Reform (Studierendenbeispiel: Einführung des Bachelor-Master-Systems) Ausdruck der internationalen Arbeitsteilung, die zunehmend versucht, gleiche Standards zu schaffen. Darüber hinaus versuchen die Kapitalist:innen* die Kosten für die Ausbildung ihrer zukünftigen Arbeiter:innen noch stärker auf den Staat abzuladen. Dafür versuchen sie Einfluss auf die Lehrpläne zu nehmen, welche „marktkonformer“ gestaltet werden sollen. Inhalte, die für sie weniger relevant sind, sollen so gekürzt und durch andere ersetzt oder gänzlich gestrichen werden. Vor allem kreative, soziale und sportliche Unterrichtsfächer sollen Schritt für Schritt verdrängt werden. Vertreter:innen des Kapitals argumentieren oft, dass die Wirtschaft noch mehr Einfluss auf die Bildung nehmen müsse, um zu verhindern, dass es in bestimmten Fächern einen Überschuss an Expert:innen gebe, während in anderen Fächern Fachkräftemangel herrsche. Damit machen sie auf ein wirkliches Problem aufmerksam, dass aber vielmehr ein Ergebnis der kapitalistischen* Wirtschaft ist. Da es hier nur um Profit geht und Konkurrenz das bestimmende Prinzip des Wirtschaftens ist, kann es keine demokratische und an den Bedürfnissen orientierte Planung geben, sodass sich Bildung immer den ständigen Krisen, Aufschwüngen und Stagnationen unterwerfen muss. Das Bildungswesen im Kapitalismus schafft so riesige ungenutzte oder verschwendete Potentiale: Wer kennt sie nicht, die Legende der taxifahrenden Soziologiestudentin?

Selektion

Bildung ist jedoch eine teure Angelegenheit für das Kapital (bzw. den Staat), weshalb nur so viel Bildung zur Verfügung gestellt wird, wie dringend nötig ist. Das sieht man daran, dass in Deutschland im Schnitt nur 26% der Jugendlichen eine „hohe Qualifikation“ (=Hochschulabschluss oder Meisterbrief) erreichen. Eine ganzheitliche, ausführliche und allgemeine Bildung der gesamten Arbeiter:innenklasse* ist daher im Kapitalismus* nicht zu gewährleisten. Stattdessen werden Kosten und Ausbildungszeit durch frühe und ständige Selektion* reduziert und damit gleichzeitig dafür gesorgt, dass dem Kapital stets eine große Menge an weniger ausgebildeten Arbeitskräften zur Verfügung steht, die für schlechter bezahlte Arbeit eingesetzt werden können. Was hätten die profitorientierten Unternehmen in Deutschland davon, wenn wir alle Doktortitel hätten und ein fünfstelliges Gehalt im Monat verlangten? Über Noten, ein mehrgliedriges Schulsystem, Numerus Clausus usw. wird eine permanente Konkurrenzsituation unter Jugendlichen geschaffen und im Hinblick auf die spätere Stellung im Produktionsprozess selektiert. Dieser Prozess findet vor allem anhand von Klassenlinien statt, wie im Folgenden gezeigt wird. Insbesondere in Krisenzeiten wird der Selektionsdruck zusätzlich verschärft, da der Staat durch die zunehmende internationale Konkurrenz und die schwindenden Einnahmen dazu gezwungen ist, im Bildungs- und Sozialwesen massive Kürzungen vorzunehmen, um nicht die Profite der Konzerne antasten zu müssen. Dann wird zum Beispiel die Lernzeit für das Abitur von 13 auf 12 Jahre gekürzt und durch die gestiegene Stoffdichte noch weiter selektiert. Die kapitalistische Ideologie behauptet dennoch, dass mit genügend Fleiß und Durchhaltevermögen jede:r Jugendliche alles schaffen kann. Wir sehen aber, dass das deutsche Bildungssystem mit seinen Selektionsmechanismen gar nicht vorsieht, dass uns allen das größte Maß an Bildung zukommt und wir alle unsere  Träume erfüllen können. Die Verantwortung wird dafür aber nicht im System, sondern individuell bei uns gesucht. Dies führt zu selbstauferlegtem Leistungswahn, Druck, Depressionen, Suizid, Unsicherheit und mangelndem Selbstbewusstsein bei vielen von uns.

Bildung & soziale Ungleichheit

Wie wir bereits erklärt haben, hat das Bildungssystem vor allem die Aufgabe, die bestehende gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Das bedeutet also auch, dass es die bestehende soziale Ungleichheit und Benachteiligung bestimmter Gruppen von Menschen aufrechterhält. Gleichzeitig wird uns dabei aber erzählt, dass unsere Erfolge und Misserfolge in der Schule einzig und allein mit unserer persönlichen Leistung zu tun haben. Im Folgenden wollen wir diesen Mist an den vier Komponenten Klassenherkunft, Geschlecht, Migration und Behinderung veranschaulichen.

Klassenherkunft

Die Pisa-Studie hat aufgezeigt, dass die Chance für Kinder steigt, einen guten Schulabschluss zu kriegen, je mehr ihre Eltern verdienen, je sozial anerkannter der Beruf der Eltern ist und je höher der eigene Bildungsabschluss der Eltern ist. Nur 24% der Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, erlangen selber einen Hochschulabschluss. Je weniger Kohle unsere Eltern haben, desto schlechter unsere Chancen in der Schule. Auch wenn es um Nachhilfe und Förderung geht: Wessen Eltern keine gute Schulbildung bekommen haben oder den ganzen Tag arbeiten müssen, haben auch kaum die Möglichkeit beim Lernen zu helfen. Dabei verlagert das deutsche Bildungssystem immer mehr Inhalte in die Privatsphäre: seien es Hausaufgaben, die Prüfungsvorbereitung oder das Nachholen von Lernstoff, der in der kurzen Zeit nicht nachvollziehbar war. Dabei sollen dann die Eltern oder teure Nachhilfelehrer:innen helfen. Ganztägige Schulmodelle, bei all ihren Schwächen, hätten hierbei die Aufgabe, dies auf gleichberechtigter Ebene anzubieten.

Geschlecht

Schülerinnen haben im Durchschnitt bessere Noten als Schüler. So haben nach einer Statistik zu Schulnoten des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2007 40% der Jungen eine Abiturnote die schlechter als 3,0 war, während es bei den Mädchen nur 33,4% waren. Auch der Anteil an Schülerinnen, die Abitur machen, hat massiv zugenommen. Waren 1950 noch 32,8% der Schüler:innen weiblich, so sind es im Jahr 2013 54,6% gewesen, so das statistische Bundesamt. Doch immer noch haben Lehrer:innen starke Geschlechterstereotype – wie auch in der gesamten Gesellschaft präsent – im Bezug auf spezifische Fächer. So sind Jungen angeblich besser veranlagt für Naturwissenschaften, während Mädchen eine tendenzielle Begabung für Sprachen haben. Dies ergibt sich aus der erzwungenen Rolle der Frau in der Familie, die ein Schwerpunkt des weiblichen Lebens in der Rolle der Mutter sein soll. Noch immer werden 2/3 der Hausarbeit in der BRD von Frauen erledigt. Gleichzeitig verdienen Frauen in der BRD im Durchschnitt 23% weniger als Männer. Auch mit besseren Noten werden Frauen also massiv im Beruf und im gesellschaftlichen Leben benachteiligt.

Migration

Dadurch, dass unser Staat Menschen mit Migrationshintergrund systematisch in der Arbeitswelt benachteiligt, treffen auch auf viele migrantische Jugendliche dieselben Probleme zu, die wir schon im Punkt „Klassenherkunft“ erläutert haben. Das deutsche Bildungssystem hält aber noch einige zusätzliche Hindernisse und Diskriminierungsstrukturen bereit. So basiert die Bildung hier darauf, nur in einer Sprache unterrichtet zu werden. Anstatt Mehrsprachigkeit für den Unterricht zu nutzen, macht es das Bildungssystem Schüler:innen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, somit erheblich schwerer, alles in derselben Zeit zu verstehen. Noch schwieriger wird es, wenn es um Fachsprache geht. Der Staat würde aber nicht auf die Idee kommen, selber massiv in Sprachkurse und Förderangebote zu investieren. Stattdessen macht er einfach die Erziehung in den Familien dafür verantwortlich. Da aber die meisten migrantischen Familien selber nicht genügend Sprachförderungsangebote vom Staat bekommen haben, ist es vielen unmöglich, „ihren“ Kindern die deutsche Sprache perfekt beizubringen. Rassistische Stereotype und Einstellungen bei Lehrer:innen tun dann noch ihr Übriges. So kommt es, dass Kinder, deren Eltern nicht in Deutschland geboren sind, nur 4 % der Schüler:innen in Gymnasien darstellen, aber 20% der Schüler:innen in Hauptschulen. Während uns Rassist:innen von der AfD erzählen wollen, dass schlechte Noten an mangelnder Intelligenz liegen, ist der Grund vor allem die systematische Benachteiligung.

„Behinderung“

Niemand von uns ist „behindert“. Stattdessen werden wir zu „Behinderten“ gemacht, wenn wir aufgrund irgendwelcher Eigenschaften, Erfahrungen etc. nicht den Anforderungen, die die kapitalistische* Konkurrenzlogik an uns stellt, gerecht werden können. In der Schule ist dafür der Begriff „sonderpädagogischer Förderbedarf“ in Mode gekommen. Einmal damit gelabelt, werden wir meistens auf sogenannte Förderschulen abgeschoben und dürfen mit diesem Schulabschluss für den Rest unseres Lebens eine Vielzahl von Jobs nicht machen und werden immer eine viel schlechtere Bezahlung akzeptieren müssen, so verdienen beispielsweise Werkstattbeschäftigte im Schnitt 180€ pro Monat. Menschen zu „Behinderten“ zu machen ist also ein wichtiger Selektionsmechanismus im Bildungssystem. Dabei sind eigentlich nicht wir das Problem, sondern die Lernumgebung, die nicht in der Lage ist, sich auf unsere Bedürfnisse einzustellen. Wenn ein Kind in der Grundschule nicht still im Frontalunterricht sitzen kann, sollte vielmehr die Lernform überdacht werden, anstatt das Kind mit ADHS zu labeln und es mit Medikamenten vollzustopfen. Besonders betroffen sind auch hier wieder Kinder aus Arbeiter:innenfamilien, da laut Studien die Wahrscheinlichkeit der Diagnostizierung eines „sonderpädagogischen Förderbedarfs“ in dem Maße steigt, in dem das Einkommen der Eltern sinkt. „Behinderung“ ist also keine medizinische, sondern eine soziale Frage!

Erziehung & Konkurrenz

Dass man im Kapitalismus* am besten überlebt, wenn man die Ellenbogen ausfährt, nach unten tritt und sich nach oben streckt, soll uns schon in der Schule beigebracht werden. Für diese Erziehung zur Konkurrenz spielt das Notensystem eine große Rolle. Die Noten geben dabei nicht an, wie gut wir den Stoff wirklich verstanden haben, oder ob wir persönliche Lernerfolge erzielt haben. Vielmehr zeigen sie nur, wie gut wir im Verhältnis zu unseren Mitschüler:innen abgeschnitten haben. So sollen wir lernen, unsere Leistung nicht nach unseren persönlichen Maßstäben zu beurteilen, sondern uns immer an den Anderen zu messen und zu versuchen, sie zu übertreffen. Noch dazu wird Lernen so zur absoluten Drucksituation, was die schulischen Leistungen vielen wissenschaftlichen Studien gemäß sehr negativ beeinflusst. Dabei erwartet die Schulleitung von einer guten Lehrkraft, dass die Klassenarbeit einen „ausgeglichenen Notenspiegel“ hervorbringt: also nicht zu viele 1en, ein breites Mittelfeld und ein paar 4en, eine 5 und eine 6. Wenn alle Schüler:innen gut oder sehr gut abschneiden würden, wäre die Arbeit in der Logik unseres Bildungssystems definitiv zu leicht gewesen. Wer also etwas schneller verstanden hat und den anderen Schüler:innen dabei helfen will, schwächt in diesem System eher seine eigenen Chancen. Ziel einer befreiten Gesellschaft ist es, dass das Handeln für das eigene Wohl mit dem Handeln für das Wohl der Allgemeinheit einhergeht. Deshalb sind wir für die Abschaffung aller Noten und für eine Ausbildung und gegebenenfalls Überprüfung nach Fähigkeiten und gesellschaftlichen Bedürfnissen. 

Kommandoprinzip

Die ersten Schuljahre sollen uns vor allem disziplinieren, ob über pädagogische oder offener repressive Maßnahmen. Ziel ist es hierbei stillschweigende Kinder zu formen, die die Masse an Stoff unhinterfragt aufnehmen und sich nicht beschweren. Wer das schon in der Schule verinnerlicht hat, soll sich auch später im Betrieb so verhalten. Extrovertierte Jugendliche werden mit Nachsitzen, Klassenbuch- und Hausaufgabenhefteinträgen, schlechten Noten, Tadeln oder Sonstigem bestraft. Wenn das nicht hilft, wird uns AD(H)S attestiert und wir werden mit Medikamenten ruhig gehalten. Viele Eltern übernehmen dieses Prinzip in die eigene Erziehung, da sie sich ja wünschen, dass ihre Kinder erfolgreich in der Schule sind. Die Faustregel lautet dabei: Mach was dir gesagt wird, dann hast du weniger Probleme. Diese Form von Erziehung steht im krassen Gegensatz zum Idealbild der Aufklärung von Bildung, die durch Wissensvermittlung eine befreite Form von Mensch schaffen möchte, der die Gesellschaft stets kritisch hinterfragt.

Warum eigentlich noch zur Schule gehen?

Auch wenn hier sehr viel blöd läuft, ist das allgemeine Bildungswesen eine historische Errungenschaft. Neben der Tatsache, dass wir zu guten Arbeitskräften ausgebildet werden sollen, ermöglicht es uns auch, uns Wissen über den Produktionsprozess hinaus anzueignen. Es vermindert zum Beispiel auch die Rate von Analphabetismus, was wiederum auch die Verbreitung revolutionärer Gedanken erleichtert. Da wir für eine Gesellschaft kämpfen, in der wir alle – die gesamte Arbeiter:innenklasse* – die Politik und die Produktion demokratisch leiten, ist es für uns auch notwendig, schon jetzt die nötige Bildung zu erhalten, die dafür gebraucht wird. Bildung ist und bleibt dabei eine Aufgabe des Staates. Wird Bildung in die Familie zurückgedrängt, leiden darunter insbesondere Jugendliche aus Arbeiter:innenfamilien, besonders wenn sie Frauen sind. Wir fordern also nicht die Auflösung des staatlichen Bildungsmonopols*. Wir wollen aber, dass es jemand anderes kontrolliert: nämlich die, die Bildung bekommen und die, die sie machen. Wir fordern eine Kontrolle des Bildungssystems durch demokratische Gremien von Lernenden und Lehrenden, so wie jeder Bereich der Gesellschaft von denen kontrolliert werden soll, die ihn ausmachen. Darauf ist dieser Staat, der nur die Interessen der Kapitalist:innenklasse* repräsentiert, jedoch nicht ausgelegt. Deswegen muss die Arbeiter:innenklasse im Schulterschluss mit der Jugend und anderen unterdrückten Teilen der Gesellschaft den bürgerlichen Staat zerschlagen und durch die eigenen, wirklich demokratischen Strukturen ersetzen, um damit nach und nach jegliche Form von Staatsgewalt überflüssig zu machen. So können die Klassengegensätze überwunden und eine Gesellschaft aufgebaut werden, in der jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen frei leben kann, der Kommunismus*. Trotzdem unterstützen wir auch jeden Kampf um Reformen des Bildungswesens zur Verbesserung der Bildung im Interesse für uns alle. Auch kleine Schritte können die Bedingungen in unseren Schulen verbessern. Wenn wir jedoch immer weiter für unser Recht auf Mitbestimmung kämpfen, werden dem Staat und Kapitalist:innenklasse einen Riegel vorschieben. Uns muss immer bewusst sein: eine befreite Schule ist nur in einer befreiten Gesellschaft möglich. Einen Weg zu dieser Perspektive wollen wir bereits im Kleinen aufzeigen. 

3. Für eine kämpferische Gewerkschaft!

Als Sozialist:innen besteht unsere politische Arbeit nicht nur darin uns selbst, sondern auch andere Menschen für revolutionäre Politik zu begeistern. Neben den Inhalten unserer Politik müssen deshalb auch unmittelbare Erfolge für uns sprechen können. Erfolge sind in diesem Zusammenhang auch die Verbesserung der Lebens-, bzw. Arbeitsbedingungen im Hier und Jetzt, im Kapitalismus*. Für solche Erfolge müssen wir kämpfen, nicht nur mit lokalen (Schüler-)Gruppen. In der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung stellte sich die Gewerkschaft als Ort des Zusammentragens der verschiedenen Kämpfe um Forderungen nach höherem Lohn, nach Krankengeld usw. als eins der besten Mittel heraus, diese umzusetzen. Denn wo sich viele Arbeiter:innen* oder Schüler:innen organisieren, können ihre Kämpfe auch erfolgreich sein. Ein kleiner Streik macht keinem:r Bourgeois, keinem:r Fabrikbesitzer:in Angst, wenn wir aber nicht nur eine Schule unter vielen, nur einen Zulieferer unter vielen bestreiken, sondern alle, dann geht es an die Substanz, dann finden auch unsere Forderungen Gehör. Praktisch jede:r weiß grundlegend, was eine Gewerkschaft ist, oder hat zumindest schon von einer gehört. Spätestens wenn wieder ein Fußballgroßereignis á la WM auf der Tagesordnung steht und die Lokführer:innengewerkschaft es wagt sich auch nur über die Möglichkeit von Streiks zu unterhalten, können und dürfen es die Medien nicht verpassen sich über die scheinbar radikalen Gewerkschafter:innen auszulassen. Schnell wird dann aus dem ganz normalen Arbeitskampf, dem Kampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, ein Angriff auf die Zivilgesellschaft durch die sowieso schon besser gestellten Arbeiter:innen. Denn diejenigen Arbeiter:innen mit wirklich kampfstarken Gewerkschaften wie in der Chemie oder Metallindustrie, bei den Lokführer:innen oder bei den Pilot:innen sind meist auch die besser gestellten Arbeiter:innen. Warum? Ganz einfach gesagt, weil ein Streik mehr weh tut, wenn er zentrale industrielle Bereiche oder das Transportwesen lahmlegt.Hetze gegen Gewerkschaften ist ein wenig vielschichtiger, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. Nicht nur gegen die kampf- bzw. streikerprobten Arbeiter:innen die auch unsere Kämpfe vorantreiben können, wird gehetzt, sondern gegen gewerkschaftliche Organisierung an sich, welche sich doch in der Geschichte als starke Waffe der Arbeiter:innen gegen die Kapitalist:innen* herausgestellt hat. Erfolge von Kämpfen, die unmittelbar aus der Organisierung von Arbeiter:innen erfolgten und nur über Streiks umgesetzt werden konnten, sind zum Beispiel das allgemeine einkommensunabhängige Wahlrecht, die Krankheits- und Altersversorgung oder aber die Verteidigung der demokratischen Republik gegen adelstreue rechte Putschisten (Deutschland 1920), um nur einige, unzusammenhängende Bespiele zu nennen. Gewerkschaften sind also offensichtlich zu mehr in der Lage als „nur“ die Kämpfe um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu führen. Sie können politische Interessen der Arbeiter:innen umsetzen, indem sie die Kapitalist:innen zu Kompromissen zwingen. Unabhängig vom politischen Programm ist eine Gewerkschaft also ein Kampfbund aller Arbeiter:innen, die Einheitsfront der Ausgebeuteten gegen die Ausbeuter:innen. Warum sollten wir Schüler:innen solche Strukturen nicht auch haben? 

Organisierung von Oben

Anfang 2016 rief die FIDL, die unabhängige demokratische Schüler:innengewerkschaft, gemeinsam mit den großen französischen Gewerkschaften zu Streiks und Demonstrationen auf. Diese richteten sich unmittelbar gegen die Politik der PS, der französischen sozialdemokratischen Partei. Konkret ging es um die sogenannte Khomri-Reform. Eine „Neuerung“ auf dem Arbeitsmarkt, die die 35 Stunden Woche faktisch aufheben und diverse Rechte am Arbeitsplatz wie zum Beispiel den Kündigungsschutz verwässern soll. Dazu aufzurufen war richtig. Dieser Angriff stellt natürlich einen Angriff auf ältere Schüler:innen, also angehende Arbeiter:innen* dar, welche es als Jugendliche ohnehin schwer genug haben, einen sicheren Job zu bekommen. Dass die FIDL sich mit ins Boot der aufrufenden Gewerkschaften setzte, kam trotzdem unerwartet. Lange schon gab es Proteste gegen die Reformen ohne die Beteiligung der Schüler:innen. Die Führung der Gewerkschaft musste auf den Druck ihrer eigenen Mitglieder reagieren, welche von sich aus demonstrieren wollten. Mit oder ohne „ihre“ Gewerkschaftsführung. Wieder einmal rannte die Führung der Bewegung hinterher erst, als die Bewegung an sich schon zu groß war, um sich vor ihr zu verschließen, anstatt selbst initiativ zu werden und solche Kämpfe mit eigenen Forderungen zu unterfüttern, gar anzuführen. Wieder einmal zeigt sich, dass die Gewerkschaftssbürokrat:innen Probleme lieber aussitzen und nur in der größten Not zur Tat, zum Streik, greifen. Als Schnittstelle zwischen den organisierten Arbeiter:innen und den Interessensgruppen der Kapitalist:innen*, den Arbeitgeberverbänden, welche nicht unmittelbar von uns Arbeiter:innen kontrolliert werden kann, ist die Bürokratie von der widerlich rassistischen und sexistischen Ideologie der Kapitalist:innen durchdrungen. Sie scheut sich in der Regel Position für die Rechte, seien es auch nur Arbeitsrechte, von Geflüchteten, von Migrant:innen oder von Frauen zu beziehen und begnügt sich damit das bürgerliche Märchen der Chancengleichheit unzerkaut zu schlucken. Trotzdem kann auch eine korrumpierte Bürokratie fortschrittliche, antirassistische Kämpfe führen. So führte 2013  unter anderem die FIDL eine spontane Bewegung mit landesweiten Streik- und Protestaktionen gegen die Abschiebung einzelner Schülerinnen und Schüler an französischen Schulen an. Wieder als Reaktion auf eine existierende Bewegung, denn unabhängig von der eigenen Gesinnung ist jede Bürokratie von der von ihr verwalteten Masse abhängig. Obwohl sich die FIDL, so wie auch andere Gewerkschaften, als frei und unabhängig bezeichnet, ist sie doch politisch und finanziell abhängig von der PS, der sozialdemokratischen Regierungspartei. Wie auch in Deutschland und sonstwo, wo es sozialdemokratische Parteien wie die SPD oder PS gibt, ist deren Kurs gegenüber den Kapitalist:innen ein sozialpartnerschaftlicher. Ähnlich verhält es sich mit den meist auch von ihnen dominierten Gewerkschaften. Grob gesagt äußert sich dieser Kurs darin, dass die Kapitalist:innen den Bürokrat:innen Brotkrumen für die von ihnen vertretenen Arbeiter:innen anbieten. Selbst genießen sie aufgrund ihrer hohen Funktion in der Gewerkschaft besondere Privilegien, einen hohen Lohn und einen sicheren Arbeitsplatz, wenn man sich an die allgemeinen, opportunistischen Spielregeln hält. Von sich aus kommen die Gewerkschaftsbürokrat:innen selten auf die Idee Kämpfe einzuleiten, eher reagieren sie notgedrungen auf Angriffe. Sicherlich nicht zuletzt, weil sie selbst zu der Schicht besser gestellter Arbeiterinnen und Arbeiter gehören. Damit einhergehen nicht nur versäumte Kämpfe für die Arbeiter:innen. Letztlich sind die Privilegien, die sich aus der besonderen Bedeutung der höher gestellten Arbeiter:innenschaft für die Kapitalist:innen ergeben, auch eine Grundlage für arbeiter:innenfeindliche Ideologie innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Besonders stark wird diese pro-kapitalistische Ideologie bei den Bürokrat:innen* der Gewerkschaften deutlich. Sehen sie sich doch als (Sozial-)Partner:innen des Kapitals, mit dem sie verhandeln, anstatt ihm den Kampf anzusagen. So kommt es nicht von ungefähr, dass zentrale Punkte fortschrittlichen, proletarischen Bewusstseins kaum Widerhall in den Reihen der Arbeiter:innen finden. So positioniert sich der DGB, der Dachverband deutscher Gewerkschaften, selten zu international koordinierten Streikversuchen. Außer Grußbotschaften an die tatsächlich kämpfenden Arbeiter:innen regt sich in den Reihen der deutschen Gewerkschaftsbürokrat:innen wenig. So bei den letzten europaweiten Streiks gegen die Sparpolitik, die den am stärksten von der Krise betroffenen Ländern der EU, zum Beispiel Griechenland oder Spanien, diktiert wird. Auch die historischen Angriffe der Agenda 2010*, welche den Weg für die sich immer stärkende Ausweitung der Leih- und Zeitarbeit oder der Hartz-Reformen. Auch das jüngst beschlossene Tarifeinheitsgesetz, welches nur noch der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern innerhalb eines Betriebes erlaubt Tarifverhandlungen in diesem Betrieb zu führen, wurde vom DGB sogar unterstützt! Dass keine dieser Reformen im Interesse der Arbeiter:innen als Klasse ist, sondern nur der Beschneidung ihrer Rechte dient, ist mehr als offensichtlich. Der soziale Frieden wird dabei gewahrt, indem den Stammbelegschaften der einzelnen Betriebe zugesichert wird, dass sie ihre Plätze bis zur Rente sicher haben. Dass die Stelle danach eben keine Vollzeitstelle mehr ist, sondern z. B. an Leiharbeiter:innen vergeben wird, welche sich mit weit schlechteren Löhnen zufrieden geben müssen, wird billigend in Kauf genommen. Die Privilegien der einen werden so zum Leid der anderen und auch das trägt dazu bei, die Klasse zu spalten und ein ideologisches Gefälle zwischen Facharbeiter:innen und den angeblich minder qualifizierten Aushilfskräften zu schaffen. 

Organisierung von Unten

Wenn auch nicht im Aufbau der Gewerkschaft so, aber doch in der Schlagkraft und in der Militanz der Aktionen fortschrittlicher und konsequenter waren die Schüler:innen in Brasilien. Im Herbst 2016 brach eine Welle von Besetzungen über die großen Städte herein. Weder waren es radikale Linke, die sich für die Besetzung von Häusern entschieden haben, noch waren es die Studentinnen und Studenten, die ihre Hörsäle einnahmen. Es waren die Schüler:innen, die von sich aus anfingen Schulen zu besetzen. Hunderte von Schulen waren verschlossen für Rektor:innen und rückschrittliche Lehrer:innen, verschlossen für diejenigen, die sich mit Brasiliens Bildungssystem der zwei Klassen abgefunden haben. In den Schulen wurden interessante Seminare, beispielsweise zur Russischen Revolution oder dem Arabischen Frühling gegeben. Es wurde sich mit Antisexismus und Antirassismus auseinandergesetzt. Es wurde sich selbst organisiert. Vom Essen über die Lehrinhalte bis zum notwendigen Wachschutz nahmen die Schüler:innen alles selbst in die Hand. Gerade die Rolle von jungen Frauen, welche vermehrt im Mittelpunkt der Aktivitäten standen und die Bewegung nach außen hin vertraten, ist besonders hervorzuheben. Die Bildung in Brasilien ist gnadenlos unterfinanziert. Einsturzgefährdete Schulgebäude, teilweise ohne Strom, großteils ohne Klimaanlage sind die Regel. Die Klassen an den öffentlichen Schulen platzen aus allen Nähten und die Lehrinhalte richten sich nahezu ausschließlich nach den Inhalten der zentralen Abschlussprüfungen. Immer mehr Schulen wurden geschlossen und im Gegenzug immer mehr Stadien und Arenen aufgebaut. Nachdem für die WM 2014 und die olympischen Spiele 2016 genug Geld vorhanden gewesen war, neue Prunkbauten und Viertel aus dem Boden zu stampfen (und dafür ärmere Viertel einzustampfen), war den meisten Schüler:innen klar: Für sie tut keine:r was, sie müssen sich selbst organisieren, um für ihre Belange zu kämpfen. Im Zuge dessen wurden immer mehr Schulen besetzt und die Bewegung vernetzte sich mit anderen. Die Angriffe seitens der Medien und der Regierung wurden erfolgreich abgewehrt. Hiermit sind weniger die praktischen Angriffe, die auf der Tagesordnung standen, wie gewalttätige Räumungsversuche und Denunziation der Organisator:innen gemeint. Wie immer versuchte die Regierung, den Protest zu spalten, die Medien den Protest zu isolieren. So wurden Verhandlungsangebote seitens der zuständigen Minister:innen mit einzelnen Schulen zu deren Forderungen abgelehnt. Auch fiel man nicht auf den Trick der Medien herein, die Proteste „erfolgreich“ abzuschließen, da ja schon Versprechungen der Regierung in diesem Jahr keine weiteren Schulen zu schließen gemacht wurden und nun die Zeit der Mäßigung gekommen sei. Für Angriffe dieser Art war die Bewegung zu stark. Sie hatte sich Gedanken gemacht. Nicht nur jede Schule organisierte sich selbst in Form von täglichen Plena und Kommissionen, auf denen alles demokratisch entschieden und umgesetzt wurde. Auch die nächsthöhere Instanz, welche die Bewegung nach außen hin vertrat und befugt war zu verhandeln, war demokratisch gewählt und von der Basis, von den kämpfenden Schüler:innen kontrolliert. Über das Rotationsprinzip, demnach politische Funktionen immer nur auf einen kurzen Zeitraum vergeben werden, um keine klassische, korrupte Bürokratie, sondern einen lebendigen Apparat zu erzeugen, konnte eine solche Kontrolle durch die Basis gewährleistet werden. Diese Erfahrungen sollten uns ein positives Beispiel sein, wie eine unabhängige Gewerkschaft von Schüler:innen aufgebaut sein kann, auch wenn neben der Form maßgeblich der Inhalt über den Erfolg entscheidet.

Warum Schulstreik?

Uns muss klar sein, dass der Schulstreik kein Streik im herkömmlichen Sinne ist. Streiken z.B. die Arbeiter:innen* bei Siemens, die durch ihre Ausbeutung Milliarden an Mehrwert produzieren, dann tut das den Boss:innen von Siemens ziemlich weh und sie sehen sich einem starken Druck ausgesetzt, entweder den Forderungen der Arbeiter:innen irgendwie entgegenzukommen oder den Streik mit Propaganda und roher Gewalt zu brechen. Da wir in der Schule nicht direkt Mehrwert für eine_n konkrete_n Kapitalist:in* produzieren, fehlt uns auch dieses konkrete Druckmittel. Wie oben schon ausgeführt liegt unsere Bildung weniger im direkten Interesse von einzelnen konkreten Kapitalist:innen und mehr im Interesse der Kapitalist:innenklasse als ganze. Gegen diese richtet sich also unser Streik und ist vielmehr ein politischer Streik, das also, was bei uns in Deutschland den Arbeiter:innen eigentlich verboten ist. Wir wollen damit neben den Forderungen, die wir eh schon auf die Straße tragen, wie zum Beispiel Themen des Antirassismus, der Kampf gegen das 12 Jahre Turbo Abi oder aber den Kampf gegen die Aufteilung in verschiedene Schultypen, auch gegen die Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit* vorgehen. Denn natürlich hat auch jede:r spätere „Arbeitgeber:in“ was davon, wenn wir lesen, schreiben und rechnen können, insofern ist auch das zur Schule Gehen Teil gesellschaftlicher Arbeit und kann dementsprechend bestreikt werden. Auch können wir so gegen die vermeintliche Unselbstständigkeit von Jugendlichen vorgehen, indem wir uns und andere organisieren, nicht zuletzt, um eigene Erfahrungen in der Organisierung und politischen Bildung zu sammeln. Allein können wir aber keinen Kampf für eine wirklich gerechte Bildung führen, da wir Jugendliche nicht die Masse noch die gesellschaftlichen Druckmittel, wie zum Beispiel Schlüsselposten in Industrie oder Transportwesen, in der Hand haben. Der Streik gibt uns jedoch ein eigenes Podium im Klassenkampf* und kann uns so helfen, gegen die vorherrschende Jugendunterdrückung vorzugehen.

Was fehlt?

Der Kampf um bessere Existenzbedingungen ist wichtig, genauso wie die Organisierung aller möglichen Kräfte gegen den Kapitalismus*. Dass diese Kämpfe überhaupt getrennt werden, ist nicht das Ergebnis einer Entscheidung von Streikenden oder aber von kämpfenden Arbeiter:innen*. Diese Trennung ist Ergebnis eines Kampfes zweier bürokratischer Bollwerke. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts kämpften SPD und Gewerkschaften Hand in Hand für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen, für demokratische Forderungen und für Verstaatlichungen. In dieser Zeit entwickelte sich in den Reihen der Gewerkschaft eine Bürokratie, die engeren Kontakt zu den Arbeitgebern suchte, für „Verhandlungen auf Augenhöhe“. Die Positionen in der Führungsriege waren keine sozialistischen mehr. Man ging davon aus, im System durch den Kampf für ein besseres Leben Gerechtigkeit schaffen zu können, ohne den parlamentarischen Überbau, ohne seine Grundlage, den Kapitalismus an sich, infrage zu stellen. Diese Positionen kollidierten unmittelbar mit den noch sozialistischen Positionen der SPD, welche den Anspruch hatte politische und wirtschaftliche Kämpfe anzuführen. Der Konflikt der beiden Positionen spitzte sich an der Losung des politischen Generalstreiks als Mittel im Kampf gegen den Kapitalismus so weit zu, dass als Ergebnis des Streits Gewerkschaften und Arbeiterparteien sich als gleichrangige Organisationen der Klasse betrachtend jede mit den eigenen Mitteln unter der den eigenen Forderungen Kämpfe ausruft und anführt (festgehalten 1906 im Mannheimer Abkommen). Das Ergebnis dieses politischen Streits war letzten Endes nicht weniger als der bewusste Verzicht auf die mächtigsten Kampforgane der Arbeiter:innenklasse für politische Auseinandersetzungen. Die Kämpfe in Brasilien schafften es sogar, einen Schritt weiter zu gehen als viele Arbeiter:innen hier, denn neben der eigenen Organisierung ihrer Kämpfe aus den kämpfenden Massen heraus positionierten sie sich politisch. Die Ablehnung von Sexismus und von Rassismus, sowie die Ablehnung der rein weißen, männlichen Regierung in Brasilien ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung, um das Bewusstsein der Schüler:innen gegen die Angriffe und Spaltungsversuche des Kapitals zu schärfen. Weiter wird man jedoch mit der politischen Arbeit in Gewerkschaften allein nicht kommen. Als Revolutionär:innen stellen wir in allen Kämpfen den Pol dar, der neben den unmittelbar aufgestellten Forderungen auch immer das System des Kapitalismus’ als Ursache für die angeprangerten Probleme begreift. Deshalb darf eine Gewerkschaft als Kampfstruktur nicht die revolutionäre Organisierung ersetzen. Vielmehr stellen sie eine ausgezeichnete Plattform dar, die eigene Politik vor den Massen der Organisierten Arbeiter:innen, Schüler:innen und Student:innen zu vertreten und durchzuführen. An sich werden die, mit denen wir gemeinsam streiken, nicht automatisch auch ein revolutionäres Bewusstsein erlangen. Ein Streik begnügt sich meist damit, Forderungen um kleine unmittelbare Verbesserungen aufzustellen und spätestens, wenn diese umgesetzt sind, setzt oder stellt sich jede:r wieder an die Schulbank oder den Arbeitsplatz. Ein zentrales Element wird hier meist ausgeklammert: der politische Charakter von Streiks und der politische Charakter von Gewerkschaften, welcher beiden durch die Ideologie des Reformismus abgesprochen wurde. Gegen diese Ideologie gilt es zu kämpfen und zwar über Losungen wie die des unbefristeten politischen Generalstreiks. Denn zu glauben, dass Politik nicht unmittelbar etwas mit den Lebensbedingungen der Arbeiter:innen zu tun hat, wäre fatal. So können zentrale Angriffe auf die Rechte der Arbeiter:innen abgewehrt werden. Würde beispielsweise ein Freihandelsabkommen á la TTIP, ein Kriegseinsatz in Afghanistan oder aber die Grundlage für das System der Leih- und Zeitarbeit, die Agenda 2010*, umgesetzt werden, wenn sich die Arbeiter:innen mit Massenstreiks dagegen wehren? Nein! Mit Sicherheit würden keine Regierung und keine Partei, die ja trotz des bürgerlichen Charakters, von den Massen abhängig sind Gesetze gegen die mehrheitlichen Proteste der Arbeiter:innen durchsetzen. Diese unbefristeten politischen Streiks stellen unmittelbar die Frage nach der Macht im Staat, also die Frage nach der Herrschaft der einen Klasse über die andere. Gleichzeitig bringt ein solcher Streik den Kapitalismus ins Wanken, da ja jeder Betrieb, um Wert zu schöpfen, Arbeitskraft ausbeuten muss. Wenn diese Wertschöpfung zum Erliegen kommt, bangen also nicht nur der bürgerliche Staat, sondern auch die Klasse der Kapitalist:innen* um ihre eigene Existenz. Solche Kämpfe erhöben die Gewerkschaft als Organisierung der Arbeiterklasse gegen Armut und Verelendung zu einer Organisation mit politischen Zielen, zu einer Organisation, die die Interessen der Klasse tatsächlich vertreten und durchsetzen kann, um sich der eigenen Stellung und der eigenen Macht bewusst zu werden.

Kämpfe verbinden!

Tatsächlich kann eine solche Gewerkschaft im bürgerlichen Staat, welcher Streiks außerhalb von Tarifverhandlungen illegalisiert und Strafen wie Entlassung oder sogar Entschädigungszahlungen für „wilde Streiks“ verhängt, kaum existieren. In Indien zum Beispiel ging es soweit, dass die Initiator:innen eines Streiks, welcher Ausschreitungen zur Folge hatte, zum Tode bzw. zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt wurden. Auch werden wohl die wenigsten Gewerkschaften dazu die Bereitschaft aufweisen, auf einmal für politische Forderungen zu kämpfen, auf einmal selbst initiativ zu werden. Denn die Gewerkschaft hat kein Programm, sie organisiert Arbeitende eines Bereiches um ihre eigenen Forderungen. Um alle Gewerkschaften tatsächlich an einem Strang ziehen zu lassen, braucht es eine revolutionäre Partei, die dazu in der Lage ist, von sich aus Massen zu mobilisieren, um der Gewerkschaftsführung gar keine andere Wahl zu lassen, als mitzuziehen und die politischen Forderungen zu unterstützen. Gleichzeitig wirft die Entscheidung, sich einem revolutionären Programm anzuschließen, die Frage auf, welcher Organisation man angehören will. Einer Organisation mit verknöcherter bürokratischer Spitze oder aber der revolutionären Organisation der kämpfenden Massen. Letzteres macht die Gewerkschaft durch die Aufhebung der Trennung politischer und wirtschaftlicher Kämpfe als „unpolitische“ Koordinatorin überflüssig. Sie kämpft nur noch in Form einer basisdemokratischen Gewerkschaftsopposition mit einem eigenen Aktionsprogramm um die Führung unmittelbarer ökonomischer Kämpfe. Ein revolutionäres Bewusstsein kann nur unter großen Teilen der Gesellschaft verbreitet werden, indem Revolutionär:innen nicht nur Forderungen wie eine bessere Finanzierung des Bildungswesens oder aber das Recht auf Mitbestimmung der Lehrpläne auf die Tagesordnung setzen. Wir wollen nicht einfach nur, dass alles besser und netter wird, wir als Lehrende und Lernende wollen selbst bestimmen wie wir das Geld ausgeben und was wir lernen. Wir wollen eine Grundsicherung für Schüler:innen und Studierende unabhängig vom Verdienst und der Situation ihrer Eltern und wir wollen nichts für Bildung und Kultur und öffentlichen Nahverkehr bezahlen müssen. Solche Forderungen sind es, die nachvollziehbar anhand der Bedürfnisse von uns Jugendlichen jeder_m die Grenzen des kapitalistischen Systems aufzeigen, welches uns diese Privilegien mit absoluter Sicherheit nicht zugestehen wird. Solche Forderungen sind es, welche als Katalog, zusammen mit den Forderungen die von den Gewerkschaften bzw. ihren Mitgliedern, aufgestellt werden und Forderungen nach dem Umsturz des Kapitalismus, der Arbeiter:innenbewegung vorgeschlagen, zusammen mit ihr diskutiert und umgesetzt werden müssen. Wir müssen jedes Podium und jede Struktur nutzen, um unsere Forderungen unter die Leute zu bringen. Deshalb wollen wir eine kämpferische Gewerkschaft, in der sich Jugendliche, egal ob Schüler:innen oder Studierende gemeinsam, basisdemokratisch organisieren, um für ihre Forderungen erfolgreich kämpfen zu können. Dabei sollten wir auch versuchen die Schüler:innenvertretungen und die Studierendenparlamente für unsere Forderungen zu begeistern, jedoch darf sich unser Kampf nicht auf den Kampf in diesen light Versionen von Parlamenten beschränken. Diese Gremien haben kaum Möglichkeiten den Schulalltag mitzugestalten. Außerdem haben Lehrer:innen und Schuldirektor:innen meist einen zu starken Einfluss auf diese, weshalb der Kampf auch immer außerhalb der unmittelbaren schulischen Gremien geführt werden muss. In einer Gewerkschaft wollen wir Sozialist:innen für ein revolutionäres Programm der Jugend einstehen, diese also als Podium nutzen, um unsere Ideen vor einer großen Masse zu verbreiten und zu verteidigen. Gleichzeitig müssen wir uns aber den Rahmen vor Augen halten, in dem eine Gewerkschaft agieren kann. So kann die Organisierung in dieser nie die Organisierung in einer revolutionären, antikapitalistischen, internationalistischen Organisation ersetzen, da nur sie die Kämpfe verbinden, die Mittel im Kampf frei wählen und ein revolutionäres Programm vertreten kann.

Fremdwörterlexikon

Agenda 2010: Reform des sozialen und Arbeitsmarktsystems auf Kosten der Arbeiter:innen. Geplant und umgesetzt wurde es 2003 bis 2005 unter der Regierung der SPD und Bündnis90/Die Grünen. Diese Reform stürzte große Teile der arbeitenden Massen in die Zeit- und Leiharbeit. So konnten die Lohnstückkosten in Deutschland im Schnitt massiv reduziert und Deutschland wieder Exportweltmeister werden. Ebenso wurde Hartz IV eingeführt, eine massive Verschlechterung der Existenzsicherung für Arbeitslose, die diese wiederum rigoroser in die Arbeitswelt drängt und dazu bringt, Jobs zu den miesesten Bedingungen anzunehmen.

Produktionsmittel: Alles das, was zur Produktion von Gütern benötigt wird. Also zum Beispiel Fabriken, Grundstücke, Rohstoffe und Maschinen

.Kapitalismus, kapitalistisch: Dieses Wirtschaftssystem hat im 18. Jahrhundert in Europa die Feudalordnung abgelöst. Heute hat sich der Kapitalismus nahezu auf der gesamten Welt ausgebreitet. Die konkurrenzorientierte kapitalistische Wirtschaft ist nicht darauf ausgerichtet, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern hat nur zum Ziel, Profite zu maximieren. Die Produktionsmittel befinden sich im Privatbesitz einiger weniger Menschen, sodass der Großteil der Menschheit nur ihre Arbeitskraft verkaufen kann, um sich ihr Leben durch den Lohn zu finanzieren.

Befreite Gesellschaft, Kommunismus, kommunistisch: Eine Gesellschaftsordnung, in der niemand mehr geknechtet wird, sich jeder Mensch frei entfalten kann und in der keine Ausbeutung, keine Armut, kein Krieg, kein Sexismus, kein Rassismus und keine LGBTIA+-Feindlichkeit existiert. Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft wird und die Wirtschaft unter demokratischer Planung aller auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Diese Gesellschaft bezeichnen wir als befreite, klassenlose Gesellschaft oder Kommunismus.

Produktionsverhältnis: Die Frage, wer in Besitz der Produktionsmittel ist, bestimmt das Produktionsverhältnis und die Art und Weise, wie die Produktion, der Verbrauch, der Austausch und die Verteilung von Produkten in einer Gesellschaft geregelt sind. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft, sondern auf jegliche zwischenmenschlichen Beziehungen.

Klassengesellschaft: Sobald sich die Produktionsmittel innerhalb einer Gesellschaft nur im Besitz einer bestimmten Gruppe befinden, entsteht ökonomische, soziale und politische Ungleichheit und es bilden sich Klassen heraus. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass eine Klasse die andere ausbeutet und sie somit in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander stehen. So ist nicht nur der Kapitalismus eine Klassengesellschaft, sondern auch der mittelalterliche Feudalismus oder die antike Sklavenhaltergesellschaft.

Klassenkampf: Jede Klasse muss um ihre eigene ökonomische Existenz kämpfen. Da in einer Klassengesellschaft immer ein unversöhnlicher Gegensatz zwischen zwei Klassen besteht, steht der Kampf um die eigene Existenz einer Klasse immer im Widerspruch zu den Interessen der anderen Klasse. Indem in der Geschichte der Menschheit immer eine Klasse die Herrschaft einer anderen abgelöst hat, haben wir uns von der Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus und schließlich hin zum Kapitalismus entwickelt. Auch hier kämpfen zwei Klassen gegeneinander, auch wenn das nicht immer mit Waffengewalt passiert und uns das nicht immer direkt wie ein Kampf vorkommen mag. Aber jede Forderung nach höheren Löhnen oder mehr Freizeit, jeder Streik und auch jede Kürzung von Sozialleistungen, jede Kündigung und jede unbezahlte Überstunde sind Ausdrücke des ökonomischen Klassenkampfes. Im Kapitalismus bedeutet der Klassenkampf der Arbeiter:innenklasse, der auf den Sturz der unterdrückerischen Kapitalist:innenklasse gerichtet ist, letztendlich auch den Kampf für den Sozialismus und die befreite Gesellschaft.

Bourgeoisie/ Kapitalist:innenklasse: Im Kapitalismus gehören die Produktionsmittel nur einigen wenigen Menschen. Diese bezeichnen wir als Kapitalist:innen oder Bourgeoisie. Wer selber keine Produktionsmittel besitzt, ist darauf angewiesen, seine oder ihre Arbeitskraft gegen einen Lohn an die Bourgeoisie zu verkaufen. Diese Abhängigkeit erlaubt es der Bourgeoisie ihre Profite zu maximieren, indem sie den Lohn nach unten drückt und somit die Arbeitskraft anderer ausbeutet.

Proletariat/ Arbeiter:innenklasse: Wer selber keine Produktionsmittel besitzt, muss irgendwo arbeiten gehen, um sich seinen Lebensunterhalt vom Lohn zu finanzieren. Diese Klasse bildet die große Mehrheit aller Menschen auf der Welt und wird als Proletariat oder Arbeiter:innenklasse bezeichnet. Dabei ist es egal, ob man in einer Fabrik arbeitet, als Supermarktkassierer:in, als Bankangestellte:r, als Pilot:in oder als Fahrradkurier:in. Bürgertum, bürgerlich: Bürgertum ist eine weitere Bezeichnung für die Klasse der Kapitalist:innen. Wenn etwas bürgerlich ist, dann unterstützt es in irgendeiner Weise die gesellschaftliche Ordnung, in der die wirtschaftliche und politische Macht in den Händen der Kapitalist:innen ist.

Marxist:in, Marxismus, marxistisch: Die Schriften von Karl Marx legten im 19. Jahrhundert den Grundstein für die Analyse des Kapitalismus und gaben Antworten, wie dieser überwunden werden kann. Marx entwickelte eine eigene Philosophie und eine eigene Wissenschaft die wir als Marxismus und ihre Anhänger:innen als Marxist:innen bezeichnen. Der Marxismus wurde von vielen Menschen in vielen Ländern im Kampf erprobt und theoretisch weiterentwickelt. Wir beziehen uns hier vor allem auf Karl Marx, Friedrich Engels, Wladimir Iljitsch Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Trotzki.

Monopol: Wer ein Monopol innehat, besitzt in diesem Bereich das absolute Vorrecht oder die Alleinherrschaft. Privatisierung: Staatlicher Besitz oder Verantwortungen und Befugnisse werden in privaten Besitz oder an nicht-staatliche Akteure überführt. Privater Besitz kann einem Konzern gehören, aber auch zum Beispiel der bürgerlichen Familie.

Gewerkschaftsbürokratie: Hiermit sind die Chefs und Vorsitzenden der Gewerkschaften gemeint. Sie verdienen das Zehnfache der anderen Gewerkschaftsmitglieder und handeln nicht im Interesse der organisierten Arbeiter:innen. Anstatt zusammen mit ihnen Streiks gegen die Ausbeutung zu organisieren, sitzen sie mit den Kapitalist:innen am Verhandlungstisch und versuchen schlechte Kompromisse zu finden.

Reaktionär: Reaktionär bedeutet rückschrittlich. Wenn sich also bereits bestimmte Errungenschaften erkämpft wurden und diese dann wieder erneut in Frage gestellt werden, ist das reaktionär. Beispiele für reaktionäre Ideologien sind Rassismus und Faschismus.

Patriarchal: Soziale Ordnung in der Männer, im speziellen Väter (lat.: pater), die führende Position in sozialen Gruppen wie Familien, Stämmen o. ä. einnehmen.

Reproduktionsarbeit: Zur Aufrechterhaltung der Arbeitskraft nötige Arbeit. Reproduktionsarbeit wird in unserer Gesellschaft in das Privatleben gedrängt und verschleiert damit ihren Charakter als gesellschaftlich notwendige Arbeit. In Familien übernehmen diese oft die so doppelt (durch Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit) ausgebeuteten Frauen.

Repression: Gewaltsame Unterdrückung oder Niederschlagung von gesellschaftlichem Widerstand.

Subsistenzwirtschaft: Entspricht einer teilweisen Selbstversorgung. In vielen Ländern der Welt reicht der Lohn von ausgebeuteten Arbeiter:innen nicht aus, um eine Versorgung zu gewährleisten. Deshalb sind viele Menschen in stark ausgebeuteten Ländern (z. B. Polen, Ukraine) darauf angewiesen, eigene Produkte auf ihrem Land anzubauen und sich so zum Teil selbst zu versorgen.

Selektion: Bewusste Ausgrenzung sozial benachteiligter Glieder der Gesellschaft.