1 Jahr Hanau- Wie Rassismus effektiv bekämpfen?

Von Leila Cheng

Dieses Jahr am 19./20. Februar jährt sich der rassistische Anschlag in Hanau, der zehn Menschen das Leben kostete. Ihre Namen sind inzwischen Deutschland weit bekannt: Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu, Gabriele Rathjen. Was aber auch inzwischen jedem bekannt sein sollte ist, dass es sich bei Hanau um keinen Einzelfall handelte. Die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen August 1992 gegen Asylbewerber_Innen und vietnamesische Vertragsarbeiter_Innen, der NSU und seine Attentate an migrantischen Ladenbesitzer_Innen, der Anschlag auf eine Synagoge letztes Jahr in Halle und die zahlreichen Brandanschläge auf Asylheime, wo es allein 2015 mehr als 1000 Stück in Deutschland gab. Dies sind nur einige Beispiele einer Mordserie gegen Migrant_Innen, gesellschaftlich Unterdrückte, aber auch Linke seit dem 2. Weltkrieg in der BRD. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Polizei, Gerichte und der Verfassungsschutz. Zum Beispiel bei der Verbrennung Oury Jallohs 2005 durch die Polizei selbst, beim NSU 2.0, dessen Drohnachrichten von Polizeicomputern kamen, bei der Ermordung Jorge Gomondais, als gerichtliche und polizeiliche Daten einfach verschwanden oder auch bei den NSU Morden, bei denen V-Männer teilweise anwesend waren oder Informationen nicht rausgegeben wurden. Aber auch die Ermordung von Migrant_Innen an den Außengrenzen Europas, dass sie in Lagern wie das auf Moria gesperrt und menschenunwürdig behandelt werden, ist ein Teil dieser Mordserie.

Doch was müssen wir tun, damit dies endet?

Zuerst einmal ist es
wichtig den Zusammenhang nicht nur zwischen dem bürgerlichen Staat
und Rassismus, sondern auch der kapitalistischen Wirtschaftsweise und
dem Rassismus zu verstehen.

Rassismus hat seine
Wurzeln im kapitalistischen Nationalstaat: Mit der kapitalistischen
Wirtschaftsweise und der Ersetzung der feudalen durch die
industrielle Gesellschaft, mit der Ersetzung der Adelsherrschaft
durch die Bürgerliche entstanden neue Formen der Unterdrückung. Der
bürgerlich kapitalistische Staat steht stets in Konkurrenz mit
anderen Nationalstaaten um den größten Profit. Er vertritt dabei
das Gesamtinteresse der Kapitalist_Innen auf nationaler Ebene. Mit
der Kolonialisierung entstanden große imperialistische Mächte, wie
Deutschland, die USA oder Frankreich und ausgebeutete
Kolonialstaaten. Heute sind die meisten dieser Staaten zwar formal
selbstständig, aber politisch und wirtschaftlich immer noch
abhängig, weshalb wir sie Halbkolonien nennen. Die Kapitalist_innen
in den imperialistischen Staaten sammeln in ihrer Konkurrenz immer
mehr Kapital an, sodass die Anlagemöglichkeiten im eigenen Land
nicht mehr ausreichen. Deswegen müssen sie Ihr
Kapital auslagern. Viele investieren in
Halbkolonien, kaufen Fabriken, Land und Infrastruktur dort auf, wo
sie hohe Profite einfahren, Mensch und
Natur unter unwürdigen Bedingungen ausbeuten können. Dieses
Vorgehen muss mit diplomatischer, wirtschaftlicher oder mit
militärischer Gewalt durchgesetzt werden, wobei der bewaffnete Krieg
der krasseste Auswuchs ist. Rassismus legitimiert sowohl
Unterdrückung als auch ihre Durchsetzung,
indem er Menschen in rassische Kategorien einteilt, bei denen alle
nicht-weiße unzulänglich und damit zurecht benachteiligt oder
beherrscht sind. Aber er legitimiert damit auch die Ausbeutung
von z.B. Leiharbeiter_Innen im eigenen Land. Da er in die gesamte
Gesellschaft vordringt, also auch die Arbeiter_Innenklasse, sorgt er
für ihre Spaltung in Nationalitäten, den Ausschluss von
Migrant_Innen aus Gewerkschaften und sozialchauvinistische Ideologien
und verhindert somit einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten.
Das kommt der herrschenden Klasse sehr gelegen.

Im imperialistische
Weltsystem rechtfertigt der Rassismus die Überausbeutung großer
Teile der Welt, die
Entsolidarisierung weiter Teile der Arbeiter_Innenklasse in
imperialistischen Nationen, sowie Kriege um Ressourcen
und Vorherrschaft.

Um Rassismus zu bekämpfen, müssen wir
daher auch den Kapitalismus bekämpfen. Dafür haben wir drei
wichtige antirassistische Forderungen aufgestellt, die erklären, wie
man vorgehen sollte.

  1. Offene
    Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für Alle!

An den Grenzen Europas werden derzeit
tausende Menschen ermordet. Sie ertrinken im Mittelmeer, sterben in
Lagern oder werden von rassistischen Milizen oder der Grenzpolizei
selbst angegriffen. Wir müssen diesen Morden ein Ende setzen, genau
wie dem EU-Imperialismus. Deswegen fordern wir die Zerschlagung von
Frontex oder ähnlichen Grenzpolizeieinheiten, genau wie die
Auflösung aller Lager an den europäischen Außengrenzen und die
uneingeschränkte Aufnahme der Geflüchteten in Europa. Um dies zu
ermöglichen brauchen wir eine
europaweite Vernetzung der antirassistischen und
Arbeiter_Innenbewegung. Aber warum gerade die Arbeiter_Innen? Bei
ihnen kommen einige wichtige Aspekte zusammen: Erstens sind sie keine
Nutznießer des Rassismus, ganz im Gegenteil, wie schon gesagt,
werden sie dadurch eher gespalten und gegeneinander ausgespielt,
während sie genau denen gegenüberstehen, die vom Imperialismus und
Rassismus profitieren, nämlich den Kapitalist_Innen. Zweitens haben
sie sehr mächtige Kampfmethoden, um Forderungen umzusetzen, nämlich
Streiks und Besetzungen von Betrieben, welche großen
wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Drittens und am
wichtigsten schlummert in den Arbeiter_Innen die Grundlage für eine
solidarische Gesellschaft, da sie im Stande sind, eine Produktion
fernab von Profitzwang und Ausbeutung aufzubauen, sobald die Mittel
dazu aus den Händen der Kapitalist_Innen gerissen wurden. Die
Arbeiter_Innenbewegung muss sich dessen bewusst werden und sich aus
internationaler Solidarität für offenen Grenzen einsetzen!

Aber
auch die Menschen, die hier herkommen, werden noch ungleich
behandelt. Der staatliche Rassismus in Deutschland spiegelt sich
nicht nur darin wider, dass es rassistische Polizeikontrollen gibt,
oder Menschen bei der kleinsten Straftat, wie einem Ladendiebstahl,
abgeschoben werden können. Es gelten unter anderem auch
Arbeitsverbote für Migrant_Innen, die noch keine
Staatsbürger_Innenschaft haben. Nun ist Lohnarbeit natürlich
Ausbeutung und es gilt diese zu überwinden, aber innerhalb des
Kapitalismus sind alle Arbeiter_Innen abhängig von ihr. Viele
Migrant_Innen bleiben direkt abhängig vom Staat und dürfen nicht
arbeiten. Das verbreitet und reproduziert wieder rassistische
Klischees in der Arbeiter_Innenklasse und im Kleinbürger_Innentum
von den angeblich so „faulen“ Migrant_Innen. Außerdem drängt es
viele Migrant_Innen in die unterbezahlte Schwarzarbeit oder in
bestimmte Formen der Gang- und Drogenkriminalität. Deswegen ist es
mehr als nötig die Abschaffung jeder rechtlichen Benachteiligung von
Migrant_Innen und insbesondere der Arbeitsverbote zu fordern. Zudem
ist auch die Isolation in Sammelunterkünften ein großes Problem,
weil Geflüchtete dadurch kein selbstbestimmtes Leben führen können
und nur schwierig am öffentlichen Leben teilnehmen können. Her mit
der dezentralen Unterbringung durch Enteignung des leerstehenden
Wohnraumes, Spekulationsobjekte und Hotels!

Menschen sind oft aus bestimmten Gründen auf der Flucht. Viele fliehen vor Armut, Umweltkatastrophen oder Kriegen. Deutschland spielt dabei mit der Beteiligung in der NATO und mit massiven Waffenexporten, aber auch als führender Imperialist in der EU bei der Ausbeutung von afrikanischen Wirtschaften, eine zentrale Rolle. Deswegen müssen wir hier anfangen, um Fluchtursachen ein Ende zu setzen! Eine weitere zentrale Forderung ist die Vergesellschaftung von Rüstungskonzernen und allen weiteren Konzernen/ Unternehmen, die von Krieg, Flucht und dem rassistischen Lagersystem profitieren. Sie müssen unter Kontrolle der Belegschafteb zu einer Produktion umgebaut werden, die unsere Bedürfnisse befriedigen, statt nur für Krieg und Leid zu sorgen! Zudem müssen die NATO und andere imperialistische Militärbündnisse zerschlagen werden, denn sie stehen für ständiges Aufrüsten zwischen imperialistischen Machtblöcken, Kriege um Ressourcen, Einfluss und weltweite Durchsetzung von Unterdrückung.

2. Schluss mit Angriffen und Terrorismus Migrant_Innen und Linke!

Hanau, Halle, Rostock-Lichtenhagen.
Jorge Gomondai, Silvio Meier, Amadeu Antonio Kiowa. Rassistische
Angriffe und Terrorismus gegen Linke und Migrant_Innen sind in der
BRD Alltag. Im Kampf dagegen können wir uns auf Staat und Justiz
nicht verlassen. Stattdessen müssen wir uns dagegen organisieren.
Wir brauchen
Arbeiter_Innenmilizen
zur Selbstverteidigung. Diese müssen kollektiv, massenhaft
organisiert und vor allem wähl und abwählbar sein. Sie sind
notwendig, wenn wir uns effektiv gegen neonazistische Angriffe wehren
wollen.

Weiterhin muss der Verfassungsschutz
zerschlagen werden, denn er hat unfassbar viele Agenten in den Reihen
von Neonazi-Gruppen. Das Problem ist, dass dies auch Doppelagenten
der Neonazis sein könnten und es oft schon waren. Außerdem schützt
der Verfassungsschutz seine Agenten/Ansprechpartner so sehr, dass
selbst der Tod anderer Menschen in Kauf genommen wird. Bei den
NSU-Morden hatte der Verfassungsschutz viele Infos, die über Jahre
einfach nicht herausgegeben wurden. Bei einem der letzten Morde war
ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter anwesend und wollte angeblich
nichts gesehen haben. Dieser wurde wegen Zeugenschutz nie verurteilt.

Lasst uns den antirassistischen mit dem antikapitalistischen Kampf verbinden, denn die massenhafte Unsicherheit und Angst gerade in kapitalistischen Krisen sind Anknüpfungspunkte für die rücksichtslosen Ideen faschistischer Ideologien. Da es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen kommt, müssen wir den Kapitalismus selbst überwinden und dafür sorgen, dass kein Mensch mehr in Angst oder Unsicherheit leben muss! Da die Arbeiter_Innenklasse die Kraft ist, die diese neue Gesellschaft aufbauen kann, müssen ihr Organe auch alle rassistisch Unterdrückte sowie deren Organisationen ansprechen, indem ihnen alle nötigen Rechte darin zugestanden werden und der gemeinsame Kampf zwischen weiße und nicht-weiße Arbeiter_Innen den Rassismus dahingehend überwindet, dass der eigentliche Gegner Kapitalismus heißt! Wir wollen den Aufbau einer internationalen Antikrisenbewegung angehen, die sich gegen Militarismus, Rassismus, imperialistische Kriege und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter_Innenklasse und Halbkolonien einsetzt. Wir müssen dafür vor allem auf die Führung von Linkspartei und SPD Druck ausüben, und deren Basis selbst ein solides revolutionäres Programm vorschlagen, für dass wir in den Gewerkschaften und auf der Straße eintreten.

3. Abschaffung von rassistischer Polizei und Gerichten!

Polizei, Gerichte, aber auch die
staatliche Gesetzgebung sind die nationale Vertretung des Kapitals.
Sie sind es auch, die strukturell rassistisch sind. Das liegt nicht
daran, dass dort nur rechte Menschen arbeiten würden. Vielmehr ist
es so, dass sie das nationale Interesse des Kapitals zuerst vertreten
müssen. So werden Waffenexporte abgesichert, Migrant_Innen als
„Kostenfaktor“ abgeschoben, die Ausbeutung von billigen
Leiharbeiter_Innen legitimiert
und so weiter. Dies alles führt, neben der allgemeinen
Sozialisierung in der bürgerlichen Gesellschaft, zu einem
chauvinistischen und rassistischen Weltbild.

Deswegen fordern wir die Abschaffung/
Zerschlagung von der Polizei und ihre Ersetzung durch kollektive,
demokratische, organisierte Selbstverteidigung
(Arbeiter_Innenmilizen). Auch Gerichte schützen allzu oft
rassistische Gesetze und bürgerliche Eigentumsverhältnisse und sind
nicht demokratisch legitimiert, obwohl sie viel Macht haben. Deswegen
wollen wir sie durch gewählte
(und abwählbare) sowie rechenschaftspflichtige Tribunalen ersetzen,
die im Sinne unserer internationalen Klasse entscheiden. Dahingehend
soll ein Sofortprogramm der Arbeiter_Innenklasse unter Kontrolle von
Gewerkschaften, Komitees und Räten erarbeitet werden.

Da bürgerliche Staaten im Kapitalismus
sich immer durch strukturellen Rassismus auszeichnen, müssen wir sie
durch einen revolutionären Umsturz abschaffen und durch eine
international vernetzte Rätedemokratie ersetzten. Dafür müssen
alle internationalen Kernindustrien enteignet und unter
Arbeiter_Innenkontrolle vergesellschaftet werden. Denn die politische
und militärische Macht ist immer ein Resultat der ökonomischen
Bedingungen. Eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus würde eine
demokratische Planung der Wirtschaft nach Bedürfnissen statt Profit
umsetzen. Dies wird die Überausbeutung der halbkolonialen Länder
abschaffen, weil sich das Kapital nicht mehr in den Händen weniger
Großkonzerne in imperialistischen Staaten konzentrieren würden und
weil die Wirtschaft nicht mehr auf Profit ausgelegt wäre. Dem
Rassismus wäre seine Grundlage entzogen, denn seine unmittelbaren
Ursachen wären abgeschafft!




6 Monate nach Hanau: Was brauchen wir, damit Nazis nicht mehr morden?

Das ging
am Aktionstag

Am
22.08.2020 sollte in der Stadt Hanau eine bundesweit organisierte Demonstration
in Gedenken der Neun Menschen geben, die am 19. Februar 2020 von einem Faschisten
kaltblütig ermordet wurden. Faschistische und rassistische Gewalt mit tödlichem
Ausgang nehmen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt immer weiter zu. Die
Terrorakte von Halle und Hanau bildeten dabei in Deutschland
nur die blutige Spitze des Eisberges, denn Rassismus und damit auch Angriffe
auf Nichtweiße gehören generell zum kapitalistischen System. Diese Entwicklung
und die mediale Gleichgültigkeit bis hin zur öffentlichen Hetze gegen
Migrant_Innen zeigen uns, wie sehr Rassismus und die Aktivitäten der Faschist_Innen
bereits zur Normalität in unserer Gesellschaft geworden sind. Dabei ist das
Problem aktueller denn je. Während in Polizeidienststellen Hitlerjugendwappen
gefunden werden und rassistische Cops beinahe täglich Migrant_Innen schikanieren
und diese verprügeln, in Berlin Neukölln regelmäßig Autos und Geschäfte von
Migrant_Innen und Linken brennen und die gesamte faschistische Bewegung sich
immer weiter radikalisiert, üben sich die Machthaber_Innen im Nichtstun. Sie bezeichnen
diese Fälle als Taten von verwirrten Einzeltäter_Innen und ignorieren
faschistische Netzwerke beim Verfassungsschutz, bei tausenden Bullen und
Soldat_Innen der Bundeswehr, durch sich die Faschist_Innen weiter ausbilden und
bewaffnen können. Damit unterstützen sie diese Entwicklung.

Doch wir
nehmen diese Augenwischerei nicht länger hin!

Wir und
dutzende andere Organisationen und Gruppen, sowie Teile der
Arbeiter_Innenklasse und migrantische Community, haben eine klare Message: Wir
lassen nicht weiter zu, wie ihr unsere Freund_Innen, Verwandten, Kolleg_Innen
und Familien weiter misshandelt, erniedrigt, verhöhnt, bespuckt und ermordet
werden!

Dafür haben
wir uns allesamt vorgenommen, am 22. August nach Hanau zu mobilisieren, um zu
zeigen, dass wir niemanden vergessen und wir erst recht niemandem vergeben
werden. Mit den Angehörigen der Ermordeten wollen wir uns solidarisch zeigen,
an ihrer Seite stehen und gemeinsam eine Perspektive aufzeigen. Eine
Perspektive in eine Welt, in der niemand mehr Angst vor faschistischen
Mörderbanden haben muss und es keine materielle Grundlage mehr für Rassismus
gibt.

Aufgrund der
derzeitigen Pandemie können Demonstrationen nur mit gut ausgearbeiteten
Hygienekonzepten durchgeführt werden, anders lassen die Ordnungsämter die
Demonstrationen gar nicht zu.

Die
Organisator_Innen haben sich wochenlang mit der Stadt Hanau und dessen
Bürgermeister verständigt, um das Demonstrationsgeschehen so sicher wie möglich
für alle Teilnehmer_Innen zu gestalten. Bundesweit wurde mit Bussen mobilisiert
und ein breites Bündnis wollte zwischen 4000 und 10000 Menschen nach Hanau
bringen, um unser gemeinsames Anliegen kraftvoll, laut und kämpferisch auf die
Straße tragen zu können.

Doch keine
24 Stunden vor der Demonstration kam dann die Absage. Die Zahl der Coronainfektionen
stieg in Südhessen sehr schnell an, sodass sich die Stadt dazu entschlossen
hat, die Demonstration zu verbieten und zwar so kurzfristig, dass es fast
unmöglich war, damit angemessen umzugehen. Das war ein Schlag ins Gesicht. Ein
Schlag ins Gesicht aller, die sich gegen jeden Widerstand des rassistischen
Staatsapparates und unter Einsatz ihres Lebens im Kampf gegen faschistische Gruppen
immer und immer wieder dem mörderischen Rechtsruck entgegenstellen, der unsere
Welt erfasst hat.

Während in
Berlin 20.000 Coronaleugner_Innen ohne jede Sicherheitsmaßnahme und Masken
unbehelligt laufen dürfen und die Nazis sich überall die Straßen erobern,
greifen bei vielen linken Demonstration die Corona-Schutzmaßnahmen und unsere
Veranstaltungen werden verboten oder wegen angeblichen Verstößen mit
Polizeigewalt zerschlagen. Wir müssen dieses Demoverbot von Seiten der Politik
als Angriff verstehen, als ein Manöver im Kampf gegen die Organisierung der
Unterdrückten und Ausgebeuteten und es als solches verurteilen und die
richtigen Schlüsse daraus ziehen!

Die Reaktion
der Organisator_Innen darauf war enttäuschend. Sie fügten sich dem Beschluss
und riefen dazu auf, nicht nach Hanau zu kommen, da man ja nicht zu
Coronarebellen werden wollte. Stattdessen sollte es nur eine zentrale
Kundgebung geben, welche per Livestream bundesweit übertragen wird. Dies ist
zwar auch geschehen, ersetzt aber nicht den kollektiven Charakter einer
zentralen Großdemonstration, die so vielen verzweifelten Menschen die richtige
Message gegeben hätte. „Wir sind viele und geben nicht auf!“ So eine
Masse hätte andere motiviert, es den Demonstrierenden gleich zu tun, auf die
Straße zu gehen und sich bestenfalls Revolutionär zu organisieren. Denn nur als
Massenbewegung können wir den Rechtsruck aufhalten, die faschistische Gefahr
beseitigen und den rassistischen Staatsapparat zerschlagen.

Auf die
Absage der Demonstration reagierten jedoch viele linke und migrantische
Gruppen. Sie organisierten daraufhin Demonstrationen und Kundgebungen, an denen
Tausende teilnahmen, um ihre Solidarität auf die Straßen zu tragen und
möglichst viele Menschen zu erreichen. Allein in Frankfurt fanden 11
verschiedene Kundgebungen und eine Demonstration statt. Ungefähr 4000 Menschen
waren daran beteiligt.

So schön das
auch erstmal klingt, spiegelt es doch den Zustand der Bewegung wider, wenn es
für einen solchen Tag nicht möglich ist, sich auf eine gemeinsame, zentrale
Aktion zu einigen. Anstatt ein Dutzend voneinander abgespaltene, dezentrale
Aktionen durchzuführen, welche Uneinigkeit und eine geringe Zahl an Menschen
repräsentieren, hätte man sich dazu entschließen sollen, sich die Straßen
konsequent zu erobern. Auch wir wollen keine Corona-Rebellen sein und es ist
uns schon gar kein Anliegen, die Gefährlichkeit dieser Krankheit
herunterzuspielen. Doch es gibt Anlässe, bei denen wir uns über staatliche
Beschlüsse hinwegsetzen müssen, bei dem Kampf für Geflüchtete, bei
Terroranschlägen, Massenentlassungen oder Gesetze, die unsere Rechte angreifen.
Der Protest am Samstag wäre ein solcher Anlass gewesen.

Wenn die
Faschist_Innen ohne jede Abstandsregel zu Tausenden marschieren dürfen, dann
müssen wir uns dieses Recht erkämpfen und dabei staatlichen Widerstand
überwinden und dürfen uns nicht von Verboten oder schwerbewaffneten Bullen
aufhalten lassen, ansonsten haben wir keine Chance uns weiter aufzubauen und
den Kampf schon so gut wie verloren!

Wir haben
uns entschieden die Gedenkveranstaltung in Hanau als solche nicht zu stören und
die Entscheidung des Bündnisses kritisch anzunehmen. Entschlossen, organisiert
und kämpferisch sind wir aus mehreren Städten nach Frankfurt gefahren und haben
uns stattdessen an der Aktion um 15 Uhr vor der Hauptwache beteiligt. Dort
konnten wir die Gedenkveranstaltung live miterleben und die Aktivist_Innen von
Migrantifa und Young Struggle unterstützen. Anschließend fand auch eine
Spontandemo statt, die durch Frankfurt an verschiedenen Kungebungsorten
vorbeilief. Auch die Didfjugend und weitere Antifagruppen stießen hinzu. Ein
Lautsprecherwagen wurde organisiert, von dem aus Reden gehalten wurden. Die
Aktivist_Innen von Migrantifa haben dort super motivierend moderiert, die
Blöcke haben viel Stimmung gemacht und so konnte die Demo ihre Anliegen lautstark
auf die Straßen tragen.

Das ist auch
gut so, denn eine solche Veranstaltung sollte natürlich nicht nur den Charakter
einer Trauerveranstaltung haben. Denn wenn wir diese Anlässe nicht nutzen, um
aufzuzeigen, wie wir so etwas in Zukunft verhindern können, wird es solche
Gedenkveranstaltungen noch öfters geben müssen. Das haben wir getan.

Wir sind
auch mit Aktivist_Innen ins Gespräch gekommen und haben uns ausgetauscht über
Wege, wie der Kampf weitergehen kann. Zusätzlich verteilten wir Flyer über
Rassismus in der Bildung, dem Ursprung in der Klassengesellschaft und dass wir
diese überwinden müssen, wenn wir Rassismus für immer beenden wollen.

Wir hoffen,
dass wir uns weiter vernetzen und über solche Fragen diskutieren können, damit
sich trotz Differenzen in der Programmatik eine große Bewegung aufbaut, die
sich gegen Rassismus, Faschismus und dieses unterdrückerische System auflehnt
und in der wir Schulter an Schulter kämpfen können.

Wie kann
das sein?

Permanent
gibt es den Klassenkampf gegen uns, so ist jeder von Faschist_Innen ermordete
Mensch, egal ob politisch aktiv oder nicht, ein Betroffener dessen und jede_r
von ihnen hat zwei Täter. Der Mörder, der die Waffe zückt und den
kapitalistischen, rassistischen Staat, der ihn bewaffnet hat. Um ihrer wirklich
in Würde und Ehre zu gedenken, müssen wir jetzt aufstehen und den Kampf
aufnehmen! Um diesen zu gewinnen, müssen sich alle antirassistischen,
antifaschistischen Kräfte in diesem Land, die es wirklich ernst meinen,
vereinen und Widerstand organisieren!

Nur darüber
reden „mal wieder etwas tun zu müssen“ reicht nicht. Wir brauchen
eine klare Perspektive im Kampf gegen den Terror, den unser Staat und seine
Organe über uns gebracht haben und diese Perspektive wollen wir aufzeigen:

Die
Herrschaftsverhältnisse in diesem System sind die Ursache der Unterdrückung der
Arbeiter_Innenmassen. Die Menschen, die das Eigentum an Produktionsmitteln
besitzen, nutzen jede Möglichkeit so viel Mehrwert wie möglich zu
erwirtschaften und ihr Kapital zu vermehren. Da passt es ihnen ganz gut, wenn
die Menschen, die für sie arbeiten, um sich Wohnung und Essen leisten zu
können, sich durch chauvinistische Strukturen wie Rassismus und Sexismus gegenseitig
bekämpfen, anstatt eben die Ursache ihrer beschissenen Situation – das Privateigentum
– anzugreifen. Zusätzlich können sie diese Spaltungs- und
Unterdrückungsstrukturen nutzen, um PoCs, Migrant_Innen und Frauen weniger Lohn
zu zahlen und noch mehr Profit zu gewinnen.

Der Staat
ist dabei eine Struktur, die den ideellen Gesamtkapitalisten darstellt. Er
vermittelt zwischen der ArbeiterInnenklasse und der KapitalistInnenklasse,
vertritt jedoch stets die Interessen des Großkapitals, das sehen wir auch, wenn
durch Steuergelder Konzerne wie Lufthansa, VW und RWE gerettet werden oder eben
an rassistischen Asylgesetzen und die Verstrickung der rechtsextremen Szene bis
tief in die Repressionsorgane hinein. Wir sind damit aber nicht allein! Auf der
ganzen Welt vertreten die Staaten ihre kapitalistische Klasse und stehen dabei
im Konkurrenzkampf. Als unterdrückte Klasse haben wir keinen Staat, der uns
wirklich vertritt und haben mehr mit den Arbeiter_Innen in Bangladesh gemein
als mit dem Chef der Firma, für die wir arbeiten. Deshalb müssen wir uns als
internationale, unterdrückte Klasse zusammenschließen und dieses System
bekämpfen. Die Arbeiter_Innen müssen auf nationaler Ebene gegen ihren eigenen
Staat mobilisieren und auf internationaler Ebene gemeinsam vereinen mit dem
Ziel, eine Gesellschaft aufzubauen, in der die Massen das Sagen haben.

Wie
können wir das erreichen?

Wir müssen
uns organisieren in der Schule, der Universität und natürlich den Betrieben und
Fabriken, um die Herrschenden herauszufordern. Denn die Arbeiter_Innenklasse
vereint, ist dazu in der Lage, diesen Staat nicht nur herauszufordern, sondern
ihn auch zu stürzen und dafür setzen wir uns ein.

Um uns dafür
einzusetzen, ist uns Jugendlichen klar, dass wir uns schon so früh wie möglich
organisieren müssen, um uns zu schulen und für den Kampf im Betrieb
vorzubereiten, damit wir dann als Erwachsene das Erlernte im Betrieb und auf
der Straße einsetzen können. Aber nicht nur als Erwachsene müssen wir kämpfen,
als Jugendliche erfahren wir auch eine strukturelle Unterdrückung im System, dagegen
müssen wir uns unabhängig organisieren und den Schulterschluss mit den
Arbeiter_Innen im Klassenkampf suchen.

Letztendlich
kann dieses Regime nämlich nur durch eine Revolution gestürzt werden, damit wir
uns zu einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft weiterentwickeln
können, in der es dann wirklich keinen Rassismus oder andere Formen des
Chauvinismus mehr geben wird.

Und genau
deshalb laden wir alle Jugendlichen, die diesen Kampf zu führen bereit sind,
dazu ein, sich uns anzuschließen. Denn gewinnen können wir nur zusammen! 

Wir stellen
dabei folgende Forderungen gegen Rassismus auf:

– Kein
Vergeben, kein Vergessen, für eine lückenlose Aufklärung der Terrorangriffe von
Rechten, für die Aufdeckung rassistischer und faschistischer Netzwerke durch
von der unterdrückten Klasse gewählten Strukturen. Dem Staat können wir dabei
nicht trauen

– Es gibt
kein Recht auf Nazipropaganda! Springer&Co enteignen, Nazis blockieren!

– Wir lassen
uns nicht Spalten! Volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, wo sie gerade
leben! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

-Weg mit
allen rassistischen Asylgesetzen! Weg mit den „Sonderdeals“ zur
Abwehr der „Flüchtlingsströme“! Für offene Grenzen und sichere
Fluchtrouten!

-Festung
Europa zerschlagen! Weg mit Frontex und allen anderen Grenzschutzeinheiten! Für
die Vereinigten sozialistischen Staaten Europas!

-Gegen
Geflüchtetenlager! Für dezentrale Unterbringung! Enteignung von leerstehendem
Wohnraum und massive Investitionen in sozialen Wohnungsbau für Geflüchtete!

-Kein
Vertrauen in den Staat! Für das Recht auf Selbstverteidigung gegen rechten und
polizeilichen Terror! Für die Organisierung von Selbstverteidigungsstrukturen
der Unterdrückten gemeinsam mit den Organisationen der ArbeiterInnenklasse,
Migrant_Innen und anderer unterdrückter Gruppen!

— Für den
Aufbau einer antikapitalistischen, antifaschistischen, internationalen, multiethnischen
Arbeiter_Innenbewegung

Für die
sozialistische Revolution!

Hoch die
internationale Solidarität!