Jung und pleite – ganz normal und niemand kann was dafür?

Von Sani Meier, April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – diesen oder ähnliche Sprüche hast du vielleicht auch schon gehört, ob von Lehrer_Innen, Vorgesetzten oder Eltern. Gemeint ist damit, dass man während seiner Schulzeit, Ausbildung oder Studium trotz großer Mühen wenig Geld zur Verfügung hat und dass das alles ganz normal und völlig in Ordnung sei. Geld verdienen sei was für Erwachsene und wer was anderes erwartet, sei selbst schuld. Aber warum sollten wir uns damit zufriedengeben und wie sieht die Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland wirklich aus?

Hard facts:

In Deutschland ist momentan jedes fünfte Kind von Armut bedroht, besonders in alleinerziehenden und Mehrkindfamilien. Von den jungen Erwachsenen unter 25 sind es ein Viertel. Frauen und migrantisierte Menschen trifft es nochmal stärker. Insgesamt haben junge Erwachsene zwischen 14 und 25 in Deutschland das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen, egal in welchem Bundesland.

Während man noch zur Schule geht, hat man in der Regel kein eigenes Einkommen und wohnt meist bei den Eltern. Diese verwalten das Kindergeld und entscheiden über die Höhe und Häufigkeit des Taschengeldes, das sie zahlen können oder wollen. Wenn die eigenen Eltern selbst gerade so über die Runden kommen oder man kein gutes Verhältnis zu ihnen hat, bleiben zwei Optionen: kein eigenes Geld haben oder sich ab dem 14. Geburtstag einen Minijob suchen. Beides ist belastend für junge Menschen- entweder hat man keinen Zugang zu Essen, Kino und Freibad oder man erfährt schon früh die Doppelbelastung von Schule und Lohnarbeit, was sich negativ auf die schulischen Leistungen auswirken kann. Jetzt noch ein unbezahltes Pflichtpraktikum on top? Im Kapitalismus gar kein Problem.

Hat man diese Zeit hinter sich gebracht, geht das gleiche Spiel in Ausbildung und Studium weiter: Während der gesetzliche Mindestlohn aktuell bei 12€ liegt, bekommen Azubis gerade mal die Hälfte. Viele kommen aktuell gar nicht erst an diesen Punkt: 261.800 junge Menschen, die ein Interesse an einer Berufsausbildung hatten, fanden im Ausbildungsjahr 2018/2019 keine Stelle. Das heißt: Mehr als die Hälfte aller an einer Ausbildung interessierten und bei der Arbeitsagentur gelisteten Jugendlichen ging leer aus. Unter Studierenden sind 38% von Armut betroffen. Lebt man in einer WG oder alleine, sind es 76%. Viele von ihnen sind zusätzlich von Wohnungslosigkeit betroffen, das heißt, sie hangeln sich von Zwischenmiete zu Zwischenmiete, da der aktuelle Wohnungsmarkt keine Angebote mehr für junge, einkommensschwache Menschen bieten kann. Und auch das BAföG reicht nicht aus, um das auszugleichen: Selbst wenn man Anspruch darauf hat, reicht es in der aktuellen Preisentwicklung von Lebensmitteln, Mieten und Energie schon lange nicht mehr aus und muss dringend reformiert werden.

Das alles hat weitreichende Folgen für die Entwicklung junger Menschen: Während der Schule hat man weniger Zugang zu ruhigen Orten wie einem eigenen Zimmer oder einen eigenen Laptop als Kinder aus wohlhabenden Familien. Es ist schwieriger, Hobbies auszuüben, wenn dafür Vereinsbeiträge zu zahlen sind, kann weniger reisen und kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Man gibt weniger Geld für die eigene Gesundheit aus, ist der ständigen Doppelbelastung von Schule/Studium und Arbeit ausgesetzt und stark abhängig von den Eltern, was viele junge Menschen an ihrer freien Entfaltung hindert und sich so auch negativ auf die psychische Verfassung auswirkt. Wenn Politiker wie Frank-Walter Steinmeier jetzt auch noch ein soziales Pflichtjahr für Jugendliche fordern, fragt man sich ernsthaft, wer hier eigentlich den Kontakt zur Gesellschaft verloren hat.

Und das alles soll normal sein?

Wir finden das alles andere als normal und sprechen unter anderem deshalb in diesem Kontext von Jugendunterdrückung. Junge Menschen werden massiv ausgebeutet und an ihrer selbstbestimmten Entwicklung gehindert, haben die meiste Zeit ihrer Jugend kein Wahlrecht und sind rechtlich entmündigt. Aus diesem Grund organisieren wir uns in einer unabhängigen Jugendorganisation, die jungen Menschen eine Stimme gibt und von niemandem bevormundet wird. Unsere Unterdrückung ist eng mit dem Kapitalismus verknüpft, da ihre Normalisierung und Verharmlosung eine Überausbeutung unserer Arbeitskraft rechtfertigt. Gemeinsam sagen wir dem kapitalistischen „Normalzustand“ den Kampf an und werfen folgende Forderungen auf:

  • Für die ökonomische Unabhängigkeit von Schüler_Innen, Studierenden und Jugendlichen in Ausbildung! Für ein Mindesteinkommen, angepasst an die Lebenssituation im jeweiligen Land durch die Besteuerung von Reichtum und Kapital.
  • Kostenfreier Zugang zu Lernmitteln wie Laptops, Tablets und Büchern, sowie frei zugänglichen Lernräumen!
  • Wer arbeiten darf, soll auch wählen dürfen! Für das Wahlrecht ab dem Zeitpunkt des legalen Berufseintrittsalters.
  • Kampf für höheren Mindestlohn für alle Arbeitenden in Anpassung an die Inflation, kontrolliert von Arbeiter_Innenausschüssen! Schluss mit unbezahlten Praktika und sozialen Pflichtjahren!
  • Unkomplizierter und kostenfreier Zugang zu Wohnräumen. Niemand darf dazu gezwungen sein, bei der eigenen Familie zu leben oder wohnungslos zu sein!
  • Ausbau von Jugendzentren und Freizeit- und Kulturangeboten, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen!
  • Volle Selbstbestimmung über den eigenen Körper, Schluss mit medizinischer Entmündigung Minderjähriger!
  • Für das Recht auf Eigentum und die selbstständige Verfügung darüber! Eltern dürfen kein Recht haben, das Eigentum von Jugendlichen zu entwenden, wie es bspw. bei Handys oft passiert!



Alle Jahre wieder… – Frauen-, Queer- und Jugendunterdrückung in der Familie

Von Lia Malinovski

Weihnachten ist eine besinnliche Zeit, in der wir mit unseren Familien zusammenkommen, in uns kehren und an unsere Mitmenschen denken. So zumindest ist das Bild, das überall verbreitet wird und den meisten von uns bei dem Wort in den Kopf kommt. Der Geruch von Kerzen, Tannen, eventuell Keksen – Naja und Streit, nervige Fragen und vor allem eines: Allerhand Unterdrückung und Diskriminierung gebündelt über mehrere Tage. Denn in der bürgerlichen Familie gibt es auch ansonsten Probleme, aber da diese Zeit mit so vielen Traditionen, Erwartungen und damit Zwängen gefüllt ist, häufen sie sich und werden besonders klar. Wir treffen in dieser Zeit sicherlich alle auf Familienmitglieder, mit denen wir normalerweise niemals was zu tun hätten, gleichzeitig verwehrt uns der Zwang zum Heile-Welt-Gehabe, dass wir damit ehrlich umgehen. Wozu das so führt?

Unter dem Puderzucker

Die meisten weiblichen Personen kennen vermutlich Fragen wie „Na, hast du jetzt endlich mal nen Freund?“, „Wann heiratet ihr endlich mal?“ oder Kommentare über das Aussehen. Für LGBTIA+ ist es nicht gerade besser, wenn mal wieder eine völlig cis- und heteronormative Welt vorausgesetzt, indem man nach heterosexuellen Beziehungen gefragt wird, ohne überhaupt in Erwägung zu ziehen, ob es nicht eventuell auch andere Formen gibt. Für trans* Personen bedeutet Weihnachten misgendern (falsche Pronomen benutzen oder mit dem falschen Geschlecht angesprochen werden), gedeadnamed werden (den falschen, „alten“ Namen benutzen) oder sich zu verstecken und als das biologische Geschlecht zu verkleiden, um Stress oder Kommentare zu vermeiden.

Auch gibt eine Art Hierarchie in den Beziehungsarten: Es ist „normal“, oder gehört sogar zum „guten Ton“, wenn man seine romantische Beziehungsperson mitbringt, würde das aber bei Freund_Innen passieren, wären alle schockiert oder zumindest verwirrt. Romantische Beziehungen werden fast in allen Bereichen über andere Beziehungen gestellt, aber an Weihnachten ist es nochmal ein anderes Level. Vielleicht wollen wir aber auch mal mit unseren Leuten chillen in der Zeit? Das kann für uns Jugendliche die einzige Entlastung von den gesellschaftlichen Zwängen sein. Insgesamt sind wir gezwungen, bei allem mitzumachen, was von der Familie verlangt wird, überallhin mitzugehen, und so weiter. Man will nun mal keinen Stress anfangen und wegen finanzieller Abhängigkeit und dem gesellschaftlichen Bild der Familie ist eine Distanzierung von der Familie oft auch nicht möglich.

All das, was uns im Alltag oft genug begegnet, kommt von allen Seiten an Weihnachten besonders klar und dicht zum Vorschein. Normalerweise hat man aber zumindest den Vorteil, sich innerlich und äußerlich dagegen wehren zu dürfen. Sich dagegen an Weihnachten offen zu wehren, hieße, das „schöne“ Bild des Festes einzureißen und die angebliche Heile Welt zu zerstören. Wenn man es doch mal wagt, etwas gegen die Unterdrückung zu sagen und sich zu wehren, wird einem vorgeworfen, alles zu stören. Hätte man doch bloß nichts gesagt, hätte man einfach nur mitgemacht, dann wäre jetzt wenigstens noch ein heiles Bild geblieben.

Aber auch wenn wir uns innerlich dagegen wehren, passt es nicht zum Ideal. Irgendwie fühlt es sich an wie entkoppelt von der „Besinnlichkeit“ des Festes und am Ende sitzt man teilnahmslos dabei.

Und jetzt?

In diesem ganzen Ausmaß wird es sicherlich nicht auf alle zutreffen, aber in irgendeiner Form werden sich die allermeisten jedes Jahr in solche Situationen begeben müssen. Mit etwas Glück hat man vielleicht eine entspannte Schwester, den witzigen Cousin oder die aufmerksame Tante, mit denen die Zeit nur noch halb so schlimm ist und die einen bisschen verstehen. Und sind es nicht gerade die eigenen Eltern, auf die man gar keinen Bock hat, könnte mit ihnen ein direktes Gespräch schon dabei helfen, dass die einen auch verstehen, warum man nicht zum Weihnachtsessen mitkommt, wo der AfD-Onkel die eigene Identität in Frage stellt.

Doch letzten Endes soll es ja dennoch nicht so sein. Leider ist es schwer, eine Perspektive aus dieser Spirale der Unterdrückung und des Stresses zu bieten, sind es doch zu viele Baustellen, verknüpft mit viel kollektiver Verdrängung. Vor allem sind wir ja dann doch wieder sehr vereinzelt in der Familie, sodass ein gesellschaftlicher Kampf schwer ist. Wir wollen trotzdem versuchen, eine Perspektive der Veränderung aufzumachen, denn es hängt eigentlich sehr mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zusammen!

Wir fordern:

  • Es muss die Hegemonie der Bürgerlichen Kleinfamilie angegriffen werden – Schluss mit der sexistischen Einteilung in Mann, Frau und 2-3 Kinder! Freiheit der Entfaltung der Geschlechtsidentität, der Sexualität und der Lebensentwürfe!
  • Es braucht finanzielle Unabhängigkeit von der Familie! Für ein staatliches Taschengeld in ausreichender Höhe, entsprechend der Inflation und den Bedürfnissen der Jugend, unter der Kontrolle der Jugendlichen und der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Gegen den Zwang, bei religiösen Veranstaltungen mitzumachen! Für die Freiheit, Religion auszuüben, aber nicht zu müssen!



Zwischen Entmündigung und Sparzwang: Jugendwohnen in Zeiten der Pandemie

Eine betroffene Genossin berichtet

Im Frühjahr 2017 wurde ich
von dem für mich zuständigen Jugendamt in Obhut genommen. Seitdem lebte ich
drei Jahre lang in einer Einrichtung der Jugendhilfe. Ich entschied mich damals
selbst, in Obhut genommen zu werden, um meinem Elternhaus zu entkommen. Während
ich in diesem Hilfesystem lebte, lernte ich dessen Stärken, aber vor allem auch
dessen Schwächen kennen. Im Grunde soll es Jugendliche dabei unterstützen, in
ihr selbständiges Leben zu starten. Dabei stehen aber leider weniger die
Entwicklung und Bedürfnisse der Jugendlichen im Vordergrund, sondern eher die
Kostenminimierung und die traditionelle Hoheit der Familie. In Zeiten der
Corona- und Wirtschaftskrise verstärkt sich dieser Zustand zunehmend, wie ich
am eigenen Leib spüren musste.

Bereits bevor ich in die Jugendhilfe
aufgenommen worden bin, merkte ich, welchen Stellenwert ich für das Jugendamt
hatte. Erst nachdem zwei voneinander unabhängige Therapeutinnen und zwei
voneinander unabhängige Sozialarbeiterinnen sich mit der Bitte, mich dabei zu
unterstützen, mein Elternhaus zu verlassen, an das Jugendamt wandten und meine
Eltern jegliche Zusammenarbeit verweigerten, wurde ich in Obhut genommen. Aber
selbst dann war alles noch abhängig von der Unterschrift meiner Eltern. Diese
mussten der Hilfe für mich zustimmen und auch einen Teil, gemessen an ihrem
Einkommen, davon bezahlen. Im Endeffekt mussten sie von einem Familiengericht
zur Unterschrift gezwungen werden. Da zeigt sich bereits, dass der_die
Jugendliche kaum als mündiges Individuum betrachtet wird, sondern eher als
Besitztum der Eltern. Auch, dass die Familie als Institution in konservative
Weise immer noch als „Keimzelle der Gesellschaft“ betrachtet wird, behindert
die Unterstützung der Jugendlichen, welche zuhause Gewalt erfahren. Dadurch
bekommen die Eltern über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder die Chance,
meist bei angemeldeten Hausbesuchen, den Schein zu wahren, dass doch alles in
Ordnung sei. Egal von welchen schlimmen Taten der_die Jugendliche berichtet. Im
schlimmsten Fall wird nach harmlosen angemeldeten Hausbesuchen dann die
Intervention des Jugendamtes in der Familie beendet, der Fall zu den Akten
gelegt und die Gewalttaten können wieder ungestört von statten gehen.
Eigentlich alle Jugendlichen, welche ich während meiner Zeit in der Jugendhilfe
kennengelernt habe, haben nicht nur eine, sondern mehrere Gewalttaten über
einen langen Zeitraum hinweg erlebt, auch trotz mehrfacher Interventionen des
Jugendamtes in diesen Familien.

Die Dunkelziffer an Familien,
in denen Jugendliche physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt sind, ist
unglaublich hoch. Hinter der bürgerlichen Fassade der
Friede-Freude-Eierkuchen-Familie tut sich für manche von uns die Hölle auf. Nur
ein kleiner Teil der Betroffenen schafft es daraus zu entkommen. Wenn man dann
das Glück hat, in die Jugendhilfe aufgenommen zu werden, ist man zwar vor dem
Elternhaus weitestgehend geschützt, wird aber stattdessen mit anderen
Schwierigkeiten konfrontiert. Die Einrichtungen der Jugendhilfen unterscheiden
sich sowohl stark vom Konzept als auch vom konkreten Zustand. Sie werden nicht
direkt vom Jugendamt kontrolliert oder unterhalten. Dies wird von sogenannten freien
Trägern übernommen. Diese sind meistens non-profit Organisationen. Diese bekommen
pro Kind oder Jugendliche_r einen Betrag, um dessen Betreuung zu finanzieren.
Davon werden dem_der Jugendlichen auch gewisse Beträge, anhängig vom Alter und
Jugendamt und Träger, als Taschengeld, Hygiene-, Guthaben-, Fahrkarten- und
Bekleidungsgeld ausgezahlt. Hört sich erstmal gut an. Allerdings sind diese
Beträge weniger als ausreichend. Von meinem Fahrkartengeld konnte ich höchstens
einmal in der Woche in die Stadt fahren. Für weitere Fahrten ging dann mein
Taschengeld drauf, welches auch der einzige Betrag ist, über den ich, ohne eine
Abrechnung zu schreiben, verfügen durfte. Alkohol durfte ich davon trotz
Volljährigkeit dennoch nicht kaufen. Über das wenige Geld, was man bekommt,
kann man also nicht einmal frei verfügen. Aber nicht nur bei diesen Geldern wird
gespart, was das Zeug hält: auch die Ausstattung der meisten Einrichtungen ist
sehr heruntergekommen. Bei den wenigsten kann man da von einem Zuhause
sprechen. Jegliche Ausgaben der Wohngruppe, ob Ausstattung oder Ausflüge,
müssen bei dem Träger begründet und genehmigt werden.

Dieser hat auch bei allem anderen die Entscheidungsgewalt.
Er bestimmt, wer einziehen darf, welche Betreuer_Innen angestellt oder
gekündigt werden und welches Konzept in der Wohngruppe angewendet wird. Daraus
resultierte dann einige Male, dass Betreuer_Innen eingestellt oder einfach
nicht entlassen worden sind, nachdem alle Jugendliche sich gegen die
Zusammenarbeit mit diesen ausgesprochen haben. Gründe dafür waren zum Beispiel,
dass der_die Betreuer_In handgreiflich geworden ist oder einfach ständig
anfing, ungefragt über sexuelle Themen zu sprechen. Somit blieb uns
Jugendlichen nichts anderes übrig als zu vermeiden, Zuhause zu sein, wenn
der_die Betreuer_In Dienst hatte.

Sowie der Eintritt ist auch der Austritt aus der Jugendhilfe
mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Viele Jugendliche, welche diese Hilfe in
Anspruch nehmen, haben keine Eltern, die sie finanziell nach der Jugendhilfe
unterstützen könnten. Somit müssen sie mit spätestens 21 Jahren ein geregeltes
Einkommen und ein paar Rücklagen haben, um Dinge wie eine Mietkaution oder eine
Erstausstattung zu finanzieren. Gelder für solche Dinge kann man zwar bei der
wirtschaftlichen Jugendhilfe beantragen, aber auch diese Beträge reichen nicht
aus. Selbst Geld anzusparen ist auch für Jugendliche mit einem Einkommen durch
eine Beschäftigung nicht möglich. Jugendliche, welche in der Jugendhilfe
landen, tragen meistens so krasse Lebensgeschichten mit sich rum, dass ein
reibungsloser Bildungsweg oder dem Nachkommen einer geregelten Tätigkeit nicht
möglich sind. Selbst wenn man arbeiten geht, ist man verpflichtet, ab einem
Freibetrag, welcher unter 200 Euro liegt und in das Taschengeld mit
eingerechnet wird, 75% deines Einkommens an das Jugendamt zu zahlen. Diese
Pflicht wird damit begründet, dass die Kosten für die eigene Betreuung ja sehr
hoch seien und auch irgendwie finanziert werden müssen. Du musst am Ende also
dafür bezahlen, was deine Eltern angerichtet haben und musst dir so die Chance
auf ein kleines finanzielles Puffer trotz harter Arbeit nehmen lassen. Dies
führte bei den Jugendlichen, welche ich kennengelernt habe, entweder dazu, dass
sie erst gar nicht arbeiten gegangen sind oder angefangen haben, Gelder zu
hinterziehen. Jugendliche aus prekären Lagen werden durch die Hilfen also
weiter prekarisiert.

Durch die momentane Corona- und Wirtschaftskrise hat sich
die Situation der Jugendlichen weiter verschärft. Sie dürfen keine Kontakte
außerhalb der Wohngruppe mehr haben und müssen so ihre gesamte Zeit in der
Wohngruppe mit Betreuer_Innen verbringen. Dies ist eine hohe psychische
Belastung. Für viele sind ihre Wohngruppen kein Zuhause, sondern hauptsächlich
der Ort, an dem sie schlafen und essen. Ihre Freizeit verbringen sie
hauptsächlich mit vertrauten Personen aus ihren Freundeskreisen, welche sie in
der schweren Zeit in der Jugendhilfe begleiten. Zudem gibt es in den meisten
Wohngruppen kaum Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch unter den Einschränkungen,
die ihrer Betreuer_Innen erfahren, leiden die Jugendlichen. Diese dürfen selbst
keine sozialen Kontakte außerhalb der Wohngruppe pflegen und haben aufgrund der
Corona Auflagen viel mehr zu tun bei gleichbleibendem Gehalt. Hinzu kommt noch
das ohnehin schon erhöhte Arbeitsaufkommen durch Ausfall von Kolleg_Innen aus
Risikogruppen. Durch diese hohe Arbeitsbelastung ist viel weniger Zeit, um sich
mit den Jugendlichen auseinanderzusetzen und der Stress steigert sich täglich.
Dies bekommen am Ende die Jugendlichen dadurch zu spüren, dass ihre Betreuer_Innen
so viel mit sich zu tun haben, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die
Jugendlichen angemessen zu betreuen. So kam es in den letzten Monaten meines
Aufenthaltes dort zu massiven Auseinandersetzungen und der Tatsache, dass ich
meinen Auszug allein planen musste. 

Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass die bestehenden
Betreuungskonzepte bei Weitem nicht ausreicht, um Jugendlichen die
Unterstützung zu bieten, welche sie brauchen und verdienen. Es müssen viel mehr
Mittel für die Zukunft dieser Menschen zur Verfügung gestellt werden, damit sie
die Chance haben, sich ein eigenständiges Leben unabhängig von ihren Eltern
aufzubauen und die Benachteiligung aufgrund ihrer Familiengeschichte überwinden
können. Statt dem Trägersystem braucht es gut finanzierte staatliche
Einrichtungen unter vollster demokratischer Kontrolle durch die betroffenen
Jugendlichen, Pädagog_Innen und Organisationen der Arbeiter_Innenklasse. Diese
Rätestrukturen müssen auch das repressive Jugendamt ersetzen, dessen Aufgabe es
ist, die Erziehungs- und Rechtsvorstellungen eines patriarchalen
kapitalistischen Nationalstaates Namens Deutschland durchzusetzen, ob für oder
gegen den Willen der Kinder und Jugendlichen. Wir fordern stattdessen vollste
Mitspracherechte für uns darüber, wo wir mit wem wie wohnen wollen. Außerdem
müssen die Hierarchien durchbrochen werden. Jugendliche sind mündige Menschen, die
selber am besten einschätzen können, ob sie mit ihrer Familie zusammenleben
oder mit welcher_m Betreuer_In sie zusammenarbeiten können. Zudem müssen
Familien antastbar sein, damit sie keinen Schutzraum für Gewalttaten
darstellen. Jugendliche sind nicht der Besitz ihrer Eltern, sondern
eigenständige Menschen!

  • Frühere rechtliche
    Gleichstellung von Jugendlichen, angepasst an die Situation der jeweiligen
    Länder!
  • Für das Recht auf gegenständliches
    Eigentum und die eigenständige Verfügung darüber für Jugendliche!
  • Für den Ausbau von
    Schutzräumen für Kinder und Jugendliche! Niemand soll bei seiner Familie
    bleiben müssen, wer das nicht möchte!
  • Für selbstverwaltete
    Freiräume für Jugendliche, den massiven Ausbau von unabhängigen  Jugendzentren und kostenloser Zugang zu einem
    ausgebauten Freizeit- und Kulturangebot für Jugendliche bezahlt durch die
    Besteuerung der Reichen!
  • Für ein bedingungsloses
    Mindesteinkommen für Jugendliche, das uns ein unabhängigeres Leben ermöglicht.
    Bezahlt durch die höhere Besteuerung der Reichen!
  • Massives staatliches
    Investitionsprogramm in Jugendbetreuung, Soziale Arbeit und Bildung! Bezahlt
    durch die Bestreuerung des Kapitals und kontrolliert durch die
    Arbeiter_Innenbewegung!



Jugend im Aufbruch – Generalstreik Europaweit

Jugendliche Militante in Italien in der ersten Reihe des Widerstands bei den europaweiten Streikaktionen am 14.11. gegen die Spardiktate der Monit-Regierung und der Auswirkungen der kapitalistischen Krise.

Jugend im Aufbruch? Für viele Jugendliche in Europa müsste es doch eher heißen: „Jugend am Rand der Verzweiflung“. Denn die Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien oder Griechenland liegt schon längst über 50%. Die Krise des Kapitalismus trifft uns Jugendlichen am härtesten. Wir verlieren als erste unseren Job, wenn wir einen finden, ist er schlechter bezahlt. Wir haben weniger Rechte, ob in der Bildung oder am Arbeitsplatz und werden permanent von der Hetze der Medien für den „Verfall der Gesellschaft“ verantwortlich gemacht. Dabei ist es der Kapitalismus und seine Krise, die diesen Zerfall bewirken. Warum also Aufbruch?

Gesellschaftliche Krisen bergen auch einen gewaltigen Sprengstoff für Veränderungen in sich. Wir Jugendlichen sind dieser Sprengstoff. Ob in Athen, Madrid, London oder Berlin – Wir sind die ersten, die sich über die Ungerechtigkeit dieses Systems empören. Wir haben wenig zu verlieren, aber alles zu gewinnen.

Auch die Illusion, dass dieses System „verbesserbar“ ist, haben viele von uns nicht. Wir wissen, dass der Zerfall des Kapitalismus nicht aufzuhalten ist, sondern dass er gestürzt und durch eine befreite Gesellschaft ersetzt werden muss. Wir haben uns nicht wie die ältere Generation mit einigen „Privilegien“ abgefunden. Wie auch? Doch es fehlt uns an Organisation. Wir stehen zwar immer in den ersten Reihen des Widerstandes, sind jedoch auch immer die ersten, die von den reformistischen und sozialdemokratischen Führungen der Proteste verraten und verleumdet werden.

Wir brauchen unsere eigene unabhängige Jugendorganisation! Doch diese Organisation muss Hand in Hand mit der gesamten Bewegung gegen die Angriffe der Kapitalist_innen stehen. Zwar lehnen wir die reformistischen Führungen der jetzigen Bewegungen ab, doch wir fühlen uns mit den Kämpfen der Arbeiter_innen verbunden.

Die Massenproteste der letzten Monate, der europäische Aktionstag am 14. November sind ein erster Schritt, diese Bewegung zu radikalisieren, den Bruch mit der Politik der faulen Kompromisse vorzubereiten – für ein revolutionäres Programm. Der nächste Schritt muss ein europaweiter, unbefristeter Generalstreik sein. Besonders wir Jugendlichen in Deutschland haben eine große Verantwortung, Solidarität und Widerstand mit den Jugendlichen in Südeuropa zu organisieren: Denn „unsere“ Regierung Merkel ist die Triebkraft für die historischen Angriffe in Südeuropa und die Beispiellose Verarmungspolitik. Nur wenn wir uns mit den kämpfenden Jugendlichen in Südeuropa verbinden, kann Europa eine Zukunft haben:
Ein Europa, das nicht den Kapitalist_innen gehört, sondern uns. Die vereinigten sozialistischen Staaten von Europa!

Doch dafür brauchen wir eine Organisation, die uns gehört. Bau mit uns REVOLUTION auf, organisiere den Widerstand, werde mit uns aktiv in Aktionskomitees gegen die Krise!

  • Keine weiteren Sparpakete, Rücknahme aller Kürzungen und Entlassungen! Solidarität und Widerstand europaweit organisieren!
  • Reichtum besteuern – Bildung finanzieren, Arbeits– und Ausbildungsplätze für alle, bei einem Mindestlohn von 12 Euro für Jung und Alt! Nein zu unbezahlten Praktika, Leih- und Kurzarbeit!
  • Banken enteignen und unter Arbeiterkontrolle! Wenn die kapitalistischen Regierungen die Krise auf uns abladen, müssen wir sie stürzen!

Organisationsaufruf, REVOLUTION-Deutschland

In Stuttgart und Berlin organisieren wir zu diesen Themen Veranstaltungen. Dort wollen wir die Streiks und Demonstrationen in den jeweiligen Städten, sowie europaweit diskutieren. Darüber hinaus wollen wir uns der Frage widmen, was jetzt kommen muss, um die Angriffe der Kapitalist_innen und ihrer Regierungen aufzuhalten – Wie wir Jugendlichen uns für eine befreite Gesellschaft organisieren können.

19.11.| 18.00 Uhr| Berlin|Florastraße 84 im unabhängigen Jugendzentrum Pankow

21.11.| 18.00 Uhr|Stuttgart|Schwabstr./Bebelstraße im Jugendhaus West




Amy Winehouse: 1983-2011

16:00 Uhr. 23. Juli 2011. Der Rettungsdienst wird gerufen, um in eine Wohnstraße in Camden im Norden Londons zu fahren. Berichte über den Tod einer 27-jährigen Frau füllen die Kommunikationswege.Amy Winehouse wurde tot aufgefunden – allein, in ihrem Zuhause. Innerhalb weniger Minuten verbreitet sich die Nachricht in allen sozialen Netzwerken und auf jedem Medienportal. Kurz darauf veröffentlicht die Londoner Polizei eine Erklärung, in der sie verlauten läßt, dass ihr Tod vor der Autopsie „unerklärlich“ sei. Doch ist der ganze Fall so unerklärlich?

Während die genaue Todesursache in diesen frühen Tagen unsicher war, eine Sache war sicher. Abgesehen von den Welt-Tourneen und Album-Verkäufen, war Amy Winehouse zum Zeitpunkt ihres Todes ein weiterer einsamer Statist; ein Opfer, sowohl der bestehenden Musikindustrie, als auch der Drogenkultur.

Das 21. Jahrhundert brachte keine musikalische Revolution. In den ersten zehn Jahren erreichte der gekünstelte Pop seinen Höhepunkt (oder besser Tiefpunkt), mit inszenierten Künstlern, die den nächsten Trend der musikalischen Mode setzten und einer Verstärkung der Saisonellen Schwankungen in Frauenunterdrückung, durch die offene Vermarktung von Sexismus – mal durch einen etwas kürzeren Rock, mal durch einen etwas tieferen Ausschnitt, vielleicht sogar durch das Entfernen des Materials am rechten oder linken Arm…

Im Gegensatz zu diesen anderen „gekünstelten“ Künstlern, schrieb Amy ihre eigenen Songs, was eine Rarität heutzutage ist. Durch das Beharren darauf ihre eigene Erscheinung selbst bestimmen zu können, machte sie das Unmodische modisch und zog eine Reihe von Nachahmern mit sich.

Sie wählte den Weg einer Sängerin. Von jung an war dies ihre Berufung!

Sie wollte nicht als drogenabhängiger Paparazzi Magnet dargestellt werden, so wie es die britischen und internationalen Medien taten. Wie immer, wenn die Medien die Person hervorheben und nicht die Musik, waren es die Drogen, die die Schlagzeilen machten und nicht ihre Performance.

Ein vergeudetes junges Leben ist immer eine Tragödie, und wie so viele Male zuvor, haben uns die Medien zu Zeugen werden lassen, wie das langwierige Spektakel von Ausbeutung, Misshandlung und gefühlloser Geschäftemacherei in einem einem traurigen Tod endet.

Im Juni, am Anfang eine europaweiten Tour, trat Amy auf dem „Festungs Festival“ in Serbien auf. Sie nuschelte und erschien betrunken oder bekifft auf der Bühne. Die Menge verhöhnte sie und sie von der Bühne gebuht.

Ihr Management sagte dann den Rest der Tour ab. Angesichts ihres anhaltenden Kampfes mit ihrer Sucht und psychischen Problemen, stellt sich die Frage, warum sie überhaupt auftreten sollte?

Die finanzielle Beteiligung an Konzerten ist ein offensichtlicher Anreiz für Manager und Labels, so viel Showtime, wie möglich aus dem Künstler zu pressen. Das Hin- und Her zwischen unzureichenden Rehabilitationsprogrammen und dem intensiven Leistungsdruck, konnte nur eines für jemanden in Amys Gesundheitszustand zur Folge haben.

Amy Winehouse tritt dem so genannten 27er Klub neben Jimi Hendrix, Brian Jones, Jim Morrison, Kurt Cobain und Janis Joplin bei. Alle, starben im Alter von 27 und alle waren Opfer des Drucks, der als Standard auf den höchsten Ebenen der Musikindustrie gilt.

Obwohl Amy Winehouse eines frühen Tod starb, kann ihr musikalische Wirken auch nach ihrem Tod weiterleben. Doch ebenso wird die typische Hysterie in der rechtsgerichteten Presse einen Aufschwung sehen, der gegen Drogen und die Jugend- und Musikkultur im allgemeinen Hetzt. Das alles wird mit der Forderung verschiedenster Politiker und Hilfsorganisationen nach einem schärferen Vorgehen verbunden sein.

In Wirklichkeit war Amy ein Opfer des so genannten „Krieges gegen Drogen“, der die Benutzer kriminalisiert, Hilfsprogramme in den Schatten stellt und die Profite der Drogenkartelle und Waffenindustrie, die dahinterstehen verschweigt.

Abgesehen von dem offensichtlichen Punkt, das die Legalisierung der Drogen-Industrie größere Qualitätskontrollen erlauben würde, würde der Verkauf von Drogen zur Finanzierung der Prostitution, des Terrorismus und großer krimineller Unternehmen enorm eingedämmt werden. Eine qualitativ hochwertige und kostenlose Information für diejenigen, die sie brauchen, was zu einer besser informierten, gesünderen Drogenkultur führen würde ist das was wir brauchen.

Letztendlich, war dies kein Beispiel dafür, dass Drogen verboten gehören, sondern eine Demonstration dafür, dass die Drogenpolitik unserer Regierungen nicht funktioniert. Der Drogenkonsum in einem illegalen, unregulierten Markt wird jeden töten, reich oder arm, früher oder später.

Rehabilitation funktioniert nicht immer, sicherlich, aber Kriminalisierung wird junge Menschen nur weitaus schneller zum Leichenbestatter bringen. Immerhin ist es nicht die Droge, die Abhängig macht, sondern die Suche nach einer Erfüllung, die uns diese kranke Gesellschaft nicht geben kann.