Indiens reaktionäres Regime und die Lage von Frauen

Jonathan Frühling, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

1,4 Milliarden Menschen zählt die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Laut Prognosen des IWF könnte Indien bereits im Jahr 2027 auf Rang vier aufzurücken – und damit Deutschland überholen. Doch Größe allein bedeutet nicht Reichtum. Indien ist ein Land voller Widersprüche, ein extremes Beispiel für die kombinierte und ungleichzeitige Entwicklung im Rahmen des imperialistischen Weltsystems. So entsteht das Bild einer aufstrebenden Macht, die zwischen Hightechindustrie und massiver Armut der Bevölkerung hin- und herpendelt. Im Folgenden wollen wir uns dabei die Lage von Frauen genauer anschauen. Doch bevor wir dazu kommen, wollen wir eine kurze Skizze der aktuellen Regierung und ihres Regimes geben.

Das Regime der BJP

Seit 2014 wird das Land von der Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei; BJP), einer der rechtesten Regierungsparteien der Welt, regiert. Die BJP hängt einer Ideologie an, die als Hindutva (hinduistischer Nationalismus, kurz Hindunationalismus) bezeichnet wird. Der Hinduismus wird als einzig legitime Kultur im indischen Staat angesehen. Alle anderen Kulturen, Religionen, Nationalitäten, Indigene und untere Kasten gelten als feindliche und schädliche oder jedenfalls als untergeordnete Elemente, die oder deren Widerstand bekämpft werden müssen. Das betrifft vor allem Muslim:innen, Kashmiri, Sikhs, Dalits (unterste Kaste) und Adivasi (Indigene).

Sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik werden als Kulturkampf inszeniert. Nach außen werden die Kulturen anderer Staaten als Gefahr angesehen, im Inneren werden die anderen Religionen, d. h. vor allem der Islam, Ziel der Hetze des Hindunationalismus. Die Funktion dieser Ideologie besteht darin, Feindbilder zu schaffen, um gleiche Hindu verschiedener Klassen bzw. Kasten an den Staat und seine kapitalistische und neoliberale Politik zu binden.

Denn es ist gerade die neoliberale Politik, die den Premierminister Narendra Modi Zustimmung unter den Kapitalist:innen einbringt. Während wichtige Teile des indischen Großkapitals lange in der Kongresspartei ihre politische Vertretung sahen, schwenkten in den letzten 10 – 15 Jahren fast alle Großkonzerne zur BJP um. Und diese agiert ganz in deren Interesse.

So erfolgten während der ersten Amtszeit Modis massive Angriffe auf die Gewerkschaften und Arbeitsschutzgesetze wie die Aufhebung des Rechtsschutzes für Festanstellungen und von Arbeitszeitbeschränkungen. Doch das ist nicht alles. Im Zuge von Modis Amtszeit hat sich das politisch-gesellschaftliche Klima extrem nach rechts verschoben.

Aufrufe zum Mord an Menschen muslimischen Glaubens durch hohe hinduistische Kleriker waren nur die Spitze des Eisberges an Volksverhetzung. Diese politische Stimmung hat auch bereits schon zu Pogromen geführt, wie z. B. 2020 in Delhi. Damals griff ein hinduistischer Mob muslimische Viertel an, um Protest gegen ein antimuslimisches Gesetz zu verhindern. Es starben dabei 26 Muslim:innen und 15 Hindus.

Bei der BJP handelt es sich zwar nicht um eine genuin faschistische Organisation, aber sie stützt sich sehr wohl auf rechte faschistoide Milizen wie die Bajrang Dal (Brigade Hanuman; Jugendflügel der Vishva Hindu Parishad; VHP. Diese ist wiederum auf dem rechten Flügel der Sammlungsbewegung Sangh Parivar angesiedelt) und die Rashtriya Swayamsevak Sangh (Nationale Freiwilligenorganisation; RSS). Die RSS ist eine paramilitärische, rechtsgerichtete hindunationalistische Gruppe, die über 50.000 Zweigstellen und Waffenausbildungslager besitzt. Sie wurde in den 1920er Jahren als antibritische, aber auch streng hinduistische und antimuslimische Organisation gegründet. Stark von Mussolini und Hitler beeinflusst, soll sie heute zwischen 5 bis 6 Millionen Mitglieder zählen. Sangh Parivar (Familie der Verbände) ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Hinduorganisationen, die von der RSS hervorgebracht wurden, wobei die Regierungspartei BJP eng mit ihr verbunden ist, sich auf sie stützt und ihre Agenda bedient.

Anders als ein faschistisches Regime kamen Modi und die BJP nicht infolge der Machteroberung einer kleinbürgerlich-reaktionären Massenbewegung an die Regierung. Sie zerschlugen auch nicht die organisierte Arbeiter:innenbewegung. Aber unter Modi etablierten sie einen parlamentarisch-demokratisch legitimierten Bonapartismus. Die rechten Verbände wie die RSS stellen zwar nicht den Kern der Regierungsmacht und des Staatsapparates dar, wohl aber organisierte kleinbürgerliche Hilfstruppen, vor allem gegen religiöse und nationale Minderheiten.

Während Modis Regime den großen Kapitalen enorme Zugewinne brachte und versucht, Indien in deren Interesse als Machtfaktor zu etablieren, so ist seine Regierung auch für die Masse der Frauen in Indien eine Kampfansage.

Die Lage von Frauen

Die widersprüchliche Situation innerhalb Indiens wird deutlich, wenn man die Lage von Frauen betrachtet. Aus dem Artikel „Why Indian women may lead the tech world of tomorrow“, von  Times of India am 4. Mai 2020 veröffentlicht, geht hervor, dass Frauen fast 50 % aller Studierenden im MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik)-Bereich umfassen und Indien mit 42 % den höchsten Anteil an weiblichen MINT-Absolvent:innen auf der ganzen Welt hat.

Ihr Anteil an den Beschäftigten in Wissenschaft, Technik und technologischen Forschungsinstituten liegt aber bei nur 14 % und zeigt damit ein zentrales Problem des Landes auf. Denn sieben Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen in Indien noch immer gering, teilweise sogar rückläufig.

1990 waren noch 35 % aller Frauen beschäftigt. Heute sind es nur noch 25 %, womit Indien auf Platz 145 von 153 Ländern liegt. Hierbei ist anzumerken, dass diese Zahl vor allem so gering ist, da Frauen wesentlich häufiger im informellen Sektor arbeiten, also keine offiziellen Verträge (und damit einhergehenden Arbeitsschutz) haben. Interessant ist jedoch, dass der Anteil der Frauen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, in den Städten geringer ist als in den ländlichen Gebieten, obwohl es dort eigentlich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und höhere Löhne gibt. Der entscheidende Grund dafür ist aber, dass die Familien von Kleinbauern/-bäuerinnen und Arbeiter:innen in diesen Regionen ohne weibliche Erwerbsarbeit nicht überleben könnten.

Ein ähnliches Szenario ist auch bei den alphabetisierten Frauen zu beobachten. 35,5 % aller Frauen sind Analphabetinnen (und nur 19,1 % aller Männer). Obwohl die Alphabetisierung die Erwerbstätigkeit von Frauen fördert, ist in den meisten Bundesstaaten nur ein geringer Anteil der gebildeten Frauen in der Stadt erwerbstätig. Auf der anderen Seite ist der Anteil der alphabetisierten Frauen auf dem Lande in verschiedenen Bereichen der bezahlten Arbeit viel höher als in den Städten.

Auch wenn keine offiziellen Zahlen verfügbar sind, so ist davon auszugehen, dass die Coronapandemie die Situation nochmal drastisch verschlechtert hat. Mit einem Minus von 7,7 % hat die Wirtschaft in Indien deutlichere Einbußen hinnehmen müssen als in anderen Ländern. Allein der Tourismusbereich ist um rund 58 % eingebrochen. Die Arbeitslosenquote stieg von 5,3 auf 8,0 %. Die Inflationsrate ist von zuvor 3,7 auf nun 6,6 % angestiegen und extrem viele Jobs im informellen Sektor sind weggefallen.

Das zeigt schon mal eines: Frauen in Indien sind keine homogene Masse, sondern ihre Situation ist stark von ihrer Herkunft geprägt, von ihrer Klassen- und Kastenzugehörigkeit, ihrer Nationalität oder Religion. Dies kann man auch an der Frage der häuslichen Gewalt nachvollziehen. Laut Regierungsumfragen ist jede dritte Frau häuslicher Gewalt ausgesetzt. Besonders betroffen sind dabei Dalitfrauen, die ungefähr 16 % aller Frauen ausmachen. Sie haben beispielsweise einen sehr eingeschränkten Zugang zur Justiz und in Fällen, in denen der Täter einer dominanten Kaste angehört, herrscht für diesen weitgehende Straffreiheit. Dalitfrauen gelten daher als leichte Zielscheibe für sexuelle Gewalt und andere Verbrechen, da die Täter fast immer ungestraft davonkommen. So zeigen beispielsweise Studien, dass in Indien die Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen von Dalitfrauen unter 2 % liegt, während sie bei Vergewaltigungen aller Frauen in Indien 25 % beträgt.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Probleme: Frauen und besonders Mädchen leiden auch deutlich öfter an Mangelernährung, da es üblich ist, dass Frauen erst nach den männlichen Teilen der Familie essen und für diese oft nicht mehr genug übrig bleibt. Frauen werden massiv für ihre Menstruation diskriminiert, die als unrein angesehen wird und zum Teil sogar dazu führt, Tempel nicht mehr betreten zu können. Die Folge dieses Tabus und natürlich der Armut ist eine katastrophale Menstruationshygiene, auf die 70 % aller Unterleibserkrankungen bei Frauen zurückzuführen sind. Nur ca. 18 % aller Menstruierenden haben ausreichend Zugang zu Hygieneprodukten.

Arrangierte Ehen sind bis heute die Regel in Indien. Manche Quellen gehen von bis zu 90 % aus. Arrangiert werden die Heiraten traditionell von den Familien und Angehörigen, in den letzten Jahren aber auch zunehmend von Daitingseiten (im Auftrag beider Partner:innen), um so eine standes- und statusgemäße Heirat zu erzielen. So sind Hochzeiten von Angehörigen verschiedener Kasten bis heute mit nur rund 5 % eine Rarität, Heiraten über religiöse Grenzen hinaus sind mit nur 2 % noch seltener.

Die Lage unter der BJP

Trotz gesetzlicher Verbote wird die Gabe einer Mitgift (Geld und/oder teure Geschenke, die die Familie der Braut an die Familie des Bräutigams zahlen muss) bei der Verheiratung einer Frau gesellschaftlich erwartet. Wird die Mitgift als zu niedrig angesehen, läuft die Braut Gefahr, ermordet zu werden. Ca. 25.000 Mädchen und Frauen erleiden jedes Jahr dieses Schicksal. Die Geburt vieler Mädchen kann deshalb eine Familie finanziell ruinieren. Zum Teil müssen die Frauen auch selbst jahrelang arbeiten, um die Mitgift an die Familie des Mannes selbst bezahlen zu können.

Die Folge dieses Umstandes ist, dass Mädchen häufig abgetrieben oder geborene getötet werden. 52,1 % aller Kinder zwischen 0 und 6 Jahren sind Jungen. Dieses Problem versuchte die Modi-Regierung, seit 2015 mit der Kampagne „Beti Bachao, Beti Padhao“ (Rettet die Tochter, erzieht die Tochter) zu adressieren. Dass dies jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, zeigen die Daten der Regierung selber. Mehr als 56 % der Gelder wurden von 2014/15 bis 2018/19 für „medienbezogene Aktivitäten“ ausgegeben. Im Gegensatz dazu wurden weniger als 25 % der Mittel an die Bezirke und Staaten ausgezahlt und über 19 % von der Regierung gar nicht erst freigegeben.

Dies fasst die Politik der BJP recht gut zusammen. Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob in Modis Regime Frauen einen Platz haben. So wurden in seiner Amtszeit auch teilweise Gesetze verabschiedet, die ihre Situation punktuell verbessern. 2021 wurde das Gesetz über den medizinischen Schwangerschaftsabbruch (MTP) abgeändert. Zwar sind Abtreibungen in Indien seit 1971 legal, allerdings nur unter bestimmten Vorraussetzungen. Diese wurden im Rahmen der Reform abgeändert. Beispielsweise ist es nun auch für unverheiratete Frauen möglich, legal abzutreiben. Ebenso wurden die Beratungsbedingungen angepasst, sodass es nun möglich wäre, dass Frauen statt nur bis zur 20. bis zur 24. Schwangerschaftswoche abtreiben können. 2017 hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den bezahlten Mutterschaftsurlaub von 12 auf 26 Wochen für Beschäftigte aller Unternehmen, die mehr als 10 Mitarbeiter:innen beschäftigen, verlängert. Dies gilt jedoch nur für die ersten beiden Kinder, danach verkürzt sich die Elternzeit wieder auf 12 Wochen.

Doch fundamental verbessern diese Gesetze die Situation von Frauen nicht. Anrecht auf Kinderbetreuung haben beispielsweise nur Frauen, die in Betrieben mit 50 oder mehr Beschäftigten arbeiten. In einem Land, in dem ein großer Teil der weiblichen Erwerbstätigen entweder selbstständig ist oder im informellen Sektor arbeitet, führen diese Bedingungen zwangsläufig dazu, dass viele Frauen von den Leistungen (wie auch bei MBAA, der Reform zum Mutterschaftsurlaub) ausgeschlossen werden.

In der Praxis führt das jedoch dazu, dass laut einer Umfrage von India Today-Axis My India (das Meinungsforschungsinstitut, das die Ergebnisse der nationalen Wahlen im Mai 2019 am genauesten vorhersagte) 46 % der Frauen für die BJP und ihre Verbündeten stimmten, 27 % für den Kongress und seine Verbündeten und 27 % für andere Parteien. Im Vergleich dazu stimmten 44 % der Männer für die BJP und ihre Verbündeten. Bei der letzten Wahl stimmten also mehr Frauen als Männer für die BJP, auch wenn es nur 2 % waren.

Die BJP inszeniert sich also bewusst als „frauenfreundliche“ Kraft, macht Zugeständnisse, wo sie kann, und schafft es so, Wählerinnen zu mobilisieren. Gleichzeitig macht sie aber nicht Politik im Interesse „aller“ Frauen, sondern konzentriert sich überwiegend (nicht ausschließlich) auf wachsende Mittelschichten und agiert im Interesse der herrschenden Klasse.

Vor allem aber wendet sich das Modi-Regime an die Frau als Hindu. Ideologisch bezieht sie sich auf das tradierte Bild der Hindufrau als Mutter, Fürsorgerin und Göttin. So forderte beispielsweise der BJP-Abgeordnete Sakshi Maharaj im Jahr 2015 alle Hindufrauen auf, mindestens vier Kinder zu gebären, um die hinduistische Religion zu schützen (India Today, 2015). Mehrere Bundesstaaten haben auch Antikonversionsgesetze verabschiedet, die auf den so genannten „Liebesdschihad“ abzielen und die Angst schüren, dass muslimische Männer die Ehe nutzen, um Hindufrauen zum Islam zu bekehren, wodurch interreligiöse Ehen kriminalisiert werden. Darüber hinaus sind Parteiführer häufig wegen frauenfeindlicher Äußerungen in den Schlagzeilen und einige ihrer Landesregierungen haben wegen der schlechten Behandlung von Vergewaltigungsfällen weltweit Schlagzeilen gemacht.

Veränderung ist möglich

Trotz aller Hindernisse sind Frauen in Indien eine wesentliche Kraft bei Protesten. 2019 wurde bei einem symbolischen Protest eine 620 km lange Menschenkette gebildet, an der mehrere Millionen Frauen teilnahmen oder beispielsweise beim Kampf um sauberes Trinkwasser oder bei den Protesten gegen das CAA (neues Staatsbürgerschaftsgesetz), bei dem vor allem muslimische Frauen präsent waren.

Dabei muss klar sein: Gesetze und Urteile von Gerichten können Aufmerksamkeit schaffen, ändern werden sie die Situation von Frauen aber nur marginal, wenn der bürgerliche Staat sich weigert, die Gesetze umzusetzen oder schlichtweg nicht das Interesse hat, die Wurzel der Frauenunterdrückung anzugreifen. Frauen schützen, patriarchale Strukturen vernichten und eine reale Verbesserung erzwingen können wir nur, wenn wir uns gemeinsam organisieren: auf der Straße, in den Betrieben, an den Schulen, Unis und auch im Haushalt! Gegen die massive Gewalt gegen Frauen bedarf es des Aufbaus einer Bewegung, die beispielsweise auch für demokratisch-organisierte Selbstverteidigungskomitees eintritt. Sie muss in den Betrieben und Stadtteilen verankert sein und auch die Gewerkschaften zur Organisierung und Unterstützung auffordern.

Eine erfolgreiche Bewegung muss auf den Interessen der Arbeiter:innenklasse basieren und darf sich nicht der herrschende Klasse und deren Parteien unterordnen – natürlich nicht der BJP, aber auch nicht der Kongresspartei.

Das bedeutet auch, offen für die Rechte von Unterdrückten wie Muslim:innen, Dalits, Kaschmiris oder LGBTIA-Personen einzustehen und gemeinsame Kämpfe zu organisieren. Besonders braucht es aber auch einen gewerkschaftlichen Kampf gegen die miserablen Arbeitsbedingungen im informellen Sektor. Frauen können hier eine wichtige Rolle spielen und so ihre Situation verbessern und außerdem Mut und Motivation für weitere Kämpfe erlangen.

All dies erfordert nicht nur den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung, sondern auch eine politischen Alternative zum Reformismus der Communist Party of India (CPI): eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei.




Widerstand: Aber wie?

Leonie Schmidt / Katharina Wagner, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen. Seien es zum einen die Auswirkungen der Coronapandemie, Umweltzerstörung und zunehmender Klimawandel oder zum anderen der derzeit stattfindende Ukrainekrieg mit einhergehender Inflation und Energiekrise. Ursache von alle dem: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgetragen. Zusätzlich kommen rechtskonservative Kräfte  in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hatte bereits für einen starken Rollback gegen Frauen gesorgt und die Coronapandemie diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind. Hinzu kommen nun noch der seit Februar 2022 geführte Ukrainekrieg und die damit einhergehende Energiekrise, was zusammen genommen zu weltweiter Inflation und enormen Preissteigerungen geführt hat.

Auch diesmal leisten Frauen weltweit massiven Widerstand dagegen. So zum Beispiel im Iran, wo sie seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa (kurdischer Name Jina) Amini nach ihrer Verhaftung durch die „Sittenpolizei“ im September 2022 weiterhin ihren Protest unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadi“ (kurdisch für „Frauen, Leben, Freiheit“) gegen das religiöse, unterdrückerische Regime und die herrschende Diktatur auf die Straße tragen. Und das trotz enormer Repression, zahlreicher Verhaftungen, Folter und bereits vollstreckter Todesurteile. Mittlerweile konnten sie eine breite gesellschaftliche Unterstützung quer durch alle Altersgruppen und Geschlechter für ihren Kampf erreichen und damit enormen Druck auf das Regime ausüben.

Anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November gingen ebenfalls weltweit Frauen auf die Straße, um gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen. Eine weiterer großer Aktionstag unter dem Slogan „One Billion Rising“ fand am Valentinstag statt, an dem sich weltweit rund 1 Milliarde Frauen an dem Flashmob beteiligten, um gegen Gewalt an Frauen und für Gleichberechtigung einzutreten.

Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen der letzten Sommer stattfindenden Verschärfungen des Abtreibungsrechts in den USA oder anlässlich des Austritts der Türkei aus der Istanbuler Konvention zum Schutz von Frauen im Juli 2021  – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

Des Weiteren spielen Frauen auch im Kampf gegen den derzeitigen Ukrainekrieg eine zentrale Rolle. So organisieren sie in Russland beispielsweise innerhalb der Bewegung „feministischer Widerstand gegen den Krieg“ (Feminist Anti-War Resistance; FAR) vielfältige Proteste gegen Putins Angriffskrieg in der Ukraine.

Was all diese feministischen Proteste eint, ist, dass sie meist (spontan) um aktuelle  Vorfälle entstehen und spezifische Forderungen aufstellen. Sie werden allerdings meist nicht mit anderen bestehenden Bewegungen wie z. B. der Klimabewegung oder Kämpfen gegen Preissteigerungen und Inflation koordiniert. Daher bleiben sie häufig national isoliert und stark hinter ihren Mobilisierungsmöglichkeiten zurück.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter:innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Carearbeit etc. Diese ist  wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus und wird vornehmlich von Frauen ausgeführt. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter:innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und diese in einer solchen Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des liberalen, radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer:innen oder Akademiker:innen (Bildungsbürger:innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter:innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter:innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär:innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zu dem des Mannes.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner:innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär:innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und der politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist diese Forderung für Marxist:innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype – beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Dies kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße Cisfrau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrückten in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt. Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden. So bspw. mit der Organisierung von Streiks im öffentlichen Dienst, der Umweltbewegung oder der Bewegung gegen Rassismus. Beispielsweise könnte auch der gemeinsame Kampf gegen Inflation und Preissteigerungen oder den Ukrainekrieg relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionären Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist:innen oder kleinbürgerlichen Feminist:innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär:innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in aktuellen feministischen Bewegungen und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen.  Wir müssen uns auch in aktuelle Tarifauseinandersetzungen beispielsweise im öffentlichen Dienst einschalten. Auch die Unterstützung von Klimaaktivist:innen oder Aktionen zum Kampf gegen Inflation und Preissteigerungen sind eine wichtige Aufgabe von Revolutionärinnen. Zudem müssen wir unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen ansprechen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter:inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Skizze der Weltlage

Emilia Sommer, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Nach der Pandemie Luft holen? Kaum möglich. Das letzte Jahr bot ein breites Repertoire an kapitalistischen Krisensymptomen. Angefangen mit dem noch immer anhaltenden Krieg in der Ukraine über große Aufstände wie im Iran oder in Sri Lanka, die mit massiver und gewaltsamer Repression bekämpft wurden und immer noch werden, bis hin zur Inflation und damit einhergehenden massiven Preissteigerungen. Als ob das nicht genug wäre, so merken wir schon jetzt sehr deutlich die Auswirkungen des Klimawandels wie beispielsweise bei der Flut in Pakistan, die im Spätsommer 2022 ein Drittel der Landesfläche überflutete. Es scheint, als würde eine Krise die nächste jagen, und dazwischen gibt es keine Zeit zum Aufatmen. Doch warum ist das so? Woher kommt das und wie wirkt es sich auf die ohnehin prekäre Lage von Frauen aus?

Es herrscht Krise – aber warum?

Ökonomische betrachtet, besteht der zentrale Grund für die gegenwärtige Krisenperiode darin, dass die Ursachen der Finanzkrise 2007/08 nie gelöst wurden. Die Regierungen haben nur deren Auswirkungen im Zaum gehalten. Im Kapitalismus erfordern Krisen eigentlich die Vernichtung von überschüssigem Kapital, um einen neuen Wachstums- und Expansionszyklus einzuleiten. Doch das hätte auch die Vernichtung von industriellem und Finanzkapital aus den imperialistischen Metropolen in großem Stil erfordert.

Stattdessen wurden sie mit der Politik des „billigen Geldes“ und massiven Schulden gerettet. Die Krisenkosten wurden durch soziale Kürzungen, steigende Preise und die Ausdehnung prekärer Arbeit (wie zum Beispiel Leiharbeit, Zeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse) auf den Rücken der Arbeiter:innenklasse abgewälzt – und natürlich auch auf die bäuerlichen Massen im globalen Süden.

Die Niedrigzinspolitik, die zunehmende Privatisierung von öffentlichen Unternehmen, eine massive globale Verschuldung und viele weitere „Maßnahmen gegen die Krise“ schafften es nicht, eine neue ökonomische Dynamik zu entfachen, und die Wirtschaft stagnierte. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass nun der Spielraum, die aktuelle Situation abzufedern, wesentlich geringer ist.

Durch die Coronapandemie wurde die sich vorher schon anbahnende erneute Wirtschaftskrise ausgelöst und massiv verschärft. Denn durch das Virus haben sich die Finanz- und die Gesundheitskrise synchronisiert. Im Zuge dessen stieg die Verschuldung auf das Dreifache des Welt-BIP (Bruttoinlandsprodukt aller Länder). Die Verwertung des Kapitals stagniert und es kommt zu einer zunehmenden Blasenbildung (Ausdehnung des spekulativen und fiktiven Kapitals).

Das Ergebnis: massiv steigende Konkurrenz zwischen imperialistischen Kräften im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Denn niemand verfolgt das Interesse, als „Krisenopfer“ von anderen übertrumpft zu werden. In diesem Zusammenhang muss auch die reaktionäre russische Invasion in der Ukraine betrachtet werden. Die Karten der internationalen Beziehungen werden neu gemischt und zugleich haben sie erhebliche Auswirkungen auf die globale Wirtschaftsordnung.

Dabei konnte die NATO unter Führung der USA ihre eigenen Interessen stärken und beispielsweise den Block der EU dazu bringen, die Wirtschaftsbeziehungen gegenüber dem russischen Imperialismus auf Eis zu legen. Durch den Krieg sowie die Sanktionen der G7 sind die Folgen der Unterbrechung der Getreide-, Gas- und Ölversorgung weit über Europa spürbar. Insbesondere die Inflation befeuert die aktuelle Lage.

Derzeit befinden wir uns bereits in einer globalen Hochinflationsphase, die laut einer Studie von Economic Experts Survey (EES), internationalen Wirtschaftsexpert:innen, bis 2026 anhalten könnte. Allerdings gibt es hier sehr große Unterschiede. Die höchsten Inflationsraten weltweit mit deutlich über 20 % werden in diesem Jahr in Nord- und Ostafrika, Teilen Asiens und Südamerika erwartet. Europa und Nordamerika haben durchschnittlich mit rund 10 % Inflationsrate zu kämpfen. In 50 asiatischen und afrikanischen Ländern ist die Ernährungssicherheit gefährdet. Infolge der erneut gestiegenen Lebensmittelpreise sind Hungersnöte und Hungerkrisen neben Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse weltweit zu erwarten, was wiederum Regierungskrisen wie in Sri Lanka befeuert.

Konkrete Verschlechterung

Wie bereits geschrieben, hat die Coronapandemie  eine weltweite Krise ausgelöst, die die Situation der Frauen massiv verschlechterte. Dabei haben sie beispielsweise in  informellen Beschäftigungsverhältnissen schon während des ersten Monats der Pandemie 70 % ihres Einkommens verloren. Weltweit ging die Beschäftigung von Frauen zwischen 2019 und 2020 um 4,2 % zurück, während sie bei Männern um „nur“ 3 % sank, so ein Kurzbericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aus dem Jahr 2021. Darüber hinaus haben die Doppelbelastung durch Carearbeit und die Gewalt gegen Frauen massiv zugenommen.

Das Problem an der aktuellen Lage besteht darin, dass vielerorts der Stand vor der Pandemie nicht wieder erreicht worden ist. Der Krieg in der Ukraine, der die Preissteigerungen befeuert, verschärft also die Situation erneut. Der Zustand einzelner Bereiche wie die Belastung in der häuslichen Carearbeit hat sich zwar gebessert, dennoch gibt es viele, in denen es zu einer Überlappung der Krisenfolgen kommt oder die Auswirkungen sich erst später bemerkbar machen wie beispielsweise bei der Frage der Altersarmut.

Beschäftigung und Armut

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gibt in ihren Trends für 2023 an, dass Frauen und junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechter dastehen als der Durchschnitt der Lohnabhängigen. Weltweit lag die Erwerbsquote der Frauen im Jahr 2022 bei 47,4 Prozent, während sie bei den Männern 72,3 Prozent betrug. Dieser Unterschied von 24,9 Prozentpunkten bedeutet, dass auf einen nicht erwerbstätigen Mann zwei nicht erwerbstätige Frauen kommen. Konkret bedeutet das, dass mehr Frauen aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden und nun einen schwereren Einstieg haben.

Längerfristig verstärkt dies die kaum verwunderliche Tendenz, dass weltweit Frauen  häufiger von Armut betroffen sind als Männer. Hinzu kommt eine generelle verstärkte Altersarmut bei Frauen, die dadurch begünstigt wird, dass sie weniger im gleichen Beruf verdienen, durch Schwangerschaften teilweise aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und danach meist für weniger Geld wieder integriert werden und generell häufiger in Teilzeitbeschäftigung gedrängt werden und somit weniger verdienen, um die Reproduktionsarbeit im Haushalt verrichten zu können.

Inflation und Energiepreise

Die aktuelle Lage mit der Teuerung von Lebensmitteln sowie Energiepreisen bedeutet, dass Frauen zum einen verstärkter in Armut leben. Im April 2022 publizierten die Vereinten Nationen den Bericht „Global Gendered Impacts of the Ukraine Crisis on Energy Access and Food Security and Nutrition“. Hieraus geht eindeutig hervor, dass der Ukrainekrieg global die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie massiv verschlechtert hat. Dies liegt an der Schlüsselrolle Russlands und der Ukraine auf den globalen Märkten für Energie und Grundnahrungsmittel.

So sind die Lebensmittelpreise seit Januar 2022 um über 50 Prozent gestiegen, während Rohöl um über 33 Prozent teurer geworden ist. Über 90 Prozent des Weizens in Armenien, Aserbaidschan, Eritrea, Georgien, der Mongolei und Somalia wurden aus Russland und der Ukraine importiert. Dadurch sind diese Länder in hohem Maße von Ernährungsunsicherheit bedroht. Außerdem bildet die Ukraine eine wichtige Weizenquelle für das Welternährungsprogramm (WFP), das 115,5 Millionen Menschen in mehr als 120 Ländern unterstützt. Dabei ist zu betonen, dass dieser Engpass langfristig auftreten wird. Schätzungen gehen davon aus, dass 30 Prozent der ukrainischen landwirtschaftlichen Flächen aufgrund des Krieges nicht mehr nutzbar sind. Hinzu kommen schlechtere Ernten durch fehlende Kapazitäten, Felder instand zu halten, was die Situation perspektivisch verschärfen könnte.

Carearbeit – bezahlt und unbezahlt

Bekanntlich stellt der Sozial- und Pflegesektor ein wichtiges Beschäftigungsfeld für Frauen dar. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Studie der ILO „The gender pay gap in the health and care sector: A global analysis in the time of COVID-19” aus dem Jahr 2022 genauer ansieht. Ihr zufolge liegt der Anteil der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Pflegesektor an der weltweiten Gesamtbeschäftigung bei 3,4 % und ca. 67 % aller Beschäftigten in diesem Bereich sind weiblich. Herauszustreichen ist dabei, dass der Durchschnittsverdienst in diesem Sektor niedriger ausfällt als in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes. Hinzu kommt, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle mit 24 % im Durchschnitt höher ist als in anderen Sektoren, was darin begründet liegt, dass auch hier Frauen wesentlich stärker in den schlecht bezahlten Bereichen arbeiten sowie miesere Bedingungen für den Wiedereinstieg nach einer Schwangerschaft vorfinden. Betont sei, dass die Pandemie die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert hat. Insbesondere die Situation in Krankenhäusern spitzt sich weiter zu.

Ebenso angespannt war sie bezüglich der unbezahlten Reproduktionsarbeit. Besonders betroffen waren hierbei Eltern sowie jene, die Angehörige zu Hause pflegen, durch den Wegfall von Schulen, Kitas und weiteren Unterstützungsangeboten. Dabei gaben  Mütter fast dreimal so häufig wie Väter an, dass sie den Großteil oder die gesamte zusätzliche unbezahlte Betreuungsarbeit aufgrund Schließung von Schulen oder Kinderbetreuungseinrichtungen übernommen haben: 61,5 % der Mütter von Kindern unter 12 Jahren geben an, dass sie den größten Teil oder die gesamte zusätzliche Betreuungsarbeit übernommen haben, während nur 22,4 % der Väter tun. So ist es kaum verwunderlich, dass besonders diese Mütter die Gruppe verkörpern, die zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem dritten Quartal 2020 im Durchschnitt der OECD-Länder am ehesten von der Erwerbstätigkeit in die Nichterwerbstätigkeit wechselten. Zwar hat sich die Situation unmittelbar durch die Öffnung der Betreuungsangebote wieder erholt. Doch die Pandemie hat die bereits existierende Kluft in der unbezahlten Reproduktionsarbeit verstärkt und durch die schlechtere Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig verschlechtert.

Warum eigentlich?

Wie wir an diesen Beispielen sehen, trifft es Frauen in Krisensituation wesentlich stärker. Denn gerade in solchen Perioden wird die Reproduktionsarbeit im Kapitalismus systematisch ins Private gedrängt. Kosten für v. a. öffentliche Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege erscheinen als unnütze, unproduktive Arbeit, da sie oft keinen Mehrwert für ein Kapital schaffen. Diese Arbeiten sind zwar gesellschaftlich notwendig und letztlich auch für die Reproduktion des Gesamtkapitals erforderlich, aber sie werfen meistens keinen Profit für Einzelkapitale ab. Daher drängen diese darauf, dass die staatlichen Kosten dafür als erste gekürzt oder Leistungen ausgelagert und privatisiert werden. Diese werden also „eingespart“ oder teurer und somit für die ärmeren Schichten unerschwinglich.

Statistisch trifft dies daher Frauen besonders, da sie häufiger prekäre Arbeitsplätze wie Leiharbeits- und Teilzeitstellen besetzen oder im informellen Sektor arbeiten und so Schwankungen des Arbeitsmarkts stärker ausgesetzt sind. Dies findet häufig unter dem Deckmantel von mehr Zeit für die Familie statt. In Wirklichkeit nehmen Frauen aber häufiger diese Angebote an, da sie weniger Geld als ihr Partner verdienen. und wenn es dann darum geht, wer zu Hause bleibt und Reproduktionsarbeit verrichten soll, ist das praktische Ergebnis, dass es den Part trifft, der weniger verdient. So wird die geschlechtliche Arbeitsteilung weiter reproduziert, bedeutet aber auch, dass Frauen stärker von Krisen getroffen werden.

Die Ursache des Problems liegt also in der unbezahlten Reproduktionsarbeit, die versucht wird, ins Private hineinzudrängen, sowie in der geschlechtlichen Arbeitsteilung an sich. Das Sinnbild der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihren Stereotypen verkörpern der Mann, als Hauptverdiener und Versorger; die Frau, die sich um die Kinder kümmert.

Perspektiven

Die aktuelle Weltlage spitzt sich immer weiter zu, die Krise breitet sich aus, die Fronten der imperialistischen Mächteblöcke verhärten sich und das offene Aufrüsten derer lässt vermuten, dass sich auch in Zukunft kriegerische Auseinandersetzungen häufen könnten. Die Ausbeutung und Unterdrückung halbkolonialer Länder nimmt stetig zu und die Klimakrise scheint mit aktuellen Taktiken der Regierungen unabwendbar. Damit einhergehend verstärken sich die Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und damit auch allen voran auf Frauen. Die Auswirkungen der Krise, die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückung der Frau, stehen also in einem engen Verhältnis zueinander und bedingen sich teils gegenseitig. Um gegen kommende Krisen kämpfen zu können, braucht es ein Antikrisenprogramm, mit welchem in aktuelle ökonomische und soziale Kämpfe interveniert werden muss. Doch der Kampf gegen Frauenunterdrückung, Krisen und für die Umwelt kann nur Hand in Hand mit dem gegen den Kapitalismus erfolgen.




Personalmangel an Schulen: Mehrarbeit und Yoga sollen es richten

Von Christian Gebhardt, Februar 2023. Wir spiegeln diesen Artikel von der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Die Katze ist aus dem Sack: Zu viele Schüler_Innen treffen auf zu wenig Lehrkräfte. Es herrscht Lehrkräftemangel an unseren Schulen. Laut dem Berater_Innengremium „Ständige Wissenschaftliche Kommission“ (SWK) der Kultusminister_Innenkonferenz (KMK) fehlen jetzt schon 12.000 Stellen und in den kommenden Jahren soll diese Lücke jährlich um etwa 1.600 Lehrer_Innen ansteigen.

Diese Lage ist der KMK nicht erst seit heute bewusst. Und natürlich nimmt jede_R Beschäftigte_R in einer Bildungseinrichtung schon lange das zunehmende Problem wahr. Jedoch sind die oben angesprochenen Zahlen der KMK mit Vorsicht zu genießen. Studien des Bildungswissenschaftlers Prof. Dr. Klaus Klemm, die er im Auftrag unterschiedlicher Organisationen wie z.B. der GEW oder des VBE (Verband Bildung und Erziehung) durchgeführt hat, sprechen eher dafür, dass die KMK ein stark geschöntes Bild zeichnet und mit einer weitaus größeren Lücke bis 2030 zu rechnen ist.

Das dahinter liegende Problem zeichnet sich wie folgt: Geburtenschwache Jahrgänge nehmen in den kommenden Jahren ihr Studium auf, während geburtenstärkere eingeschult werden – eine größere Schüler_Innenschaft steht einer kleineren Anzahl an potentiell neuen Lehrer_Innen gegenüber. Die Zunahme der Schüler_Innenzahlen durch Migration von Geflüchteten verstärkt diesen Effekt noch. Hier wird zwar gerne nach einem Sündenbock gesucht, doch den alleinigen Auslöser für das Problem stellt diese bei weitem nicht dar.

Laut Klemm basieren seine Berechnungen wie die der KMK auf einer ähnlichen Annahme des Anstiegs der Schüler_Innenzahl bis 2030 sowie ähnlicher Zahlen der notwendigen Stellen. Interessant wird es aber, wenn ein Fokus darauf gerichtet wird, wie sich das Neuangebot frisch ausgebildeter Lehrkräfte bis 2030 entwickelt. Die KMK geht hier von einer konstant bleibenden Zahl aus. Klemm prognostiziert im Gegensatz dazu ein Sinken der Anzahl jährlich neu ausgebildeter Lehrkräfte. Dies begründet er durch den Verweis auf die oben schon angesprochenen geburtenschwachen Jahrgänge, die in den kommenden Jahren ihr Studium beginnen werden. Weniger potenzielle Lehramtsstudierende bedeuten auch eine geringere Anzahl an Neulehrkräften. Die Rechnung der KMK beschreibt er in diesem Punkt als schlicht unseriös.

Durch diese unterschiedliche Herangehensweise sieht Klemm im Gegensatz zum KMK für 2030 einen Lehrkräftemangel von 81.000 voraus (480% mehr als die KMK). Wichtig anzumerken bleibt, dass diese Zahl notwendig ist, um nur den derzeitigen Status quo aufrechtzuerhalten.

Um bildungspolitische Ziele wie Inklusion, Ganztagsausbau, zusätzliche Betreuung geflüchteter Jugendlicher zu gewährleisten oder die durch Corona entstandenen Lernrückstände aufzuholen, werden noch viel mehr neue Lehrkräfte benötigt. Die wirkliche Zahl beläuft sich laut Klemm daher bis 2030 somit auf weit über 100.000 Fehlstellen, möchte man diese ausgerufenen Ziele auch wirklich erreichen.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Nach den obigen Ausführungen können wir schon einmal festhalten, dass die KMK das Problem nicht erkennen, sondern politisch kleinreden und leugnen möchte. Auch bei dessen Lösung sieht es nicht besser aus.

Am 27. Januar 2023 stellte die KMK die Vorschläge der SWK vor. Darin wird u.a. Folgendes vorgeschlagen:

  • Die Möglichkeit der Teilzeit soll eingeschränkt werden.
  • Die zu unterrichtenden Unterrichtsstunden pro Woche (Deputat) sollen befristet erhöht werden.
  • Auslandsabschlüsse sollen einfacher anerkannt werden, um ausländische Lehrer_Innen schneller einsetzen zu können.
  • Pensionierte Lehrer_Innen sollen aus dem Ruhestand geholt werden.
  • Mithilfe des Fernunterrichts soll eine Lehrkraft nicht nur eine Klasse, sondern mehrere gleichzeitig unterrichten.

Die Vorschläge wurden richtigerweise von der Vorsitzenden der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, als „Ausdruck einer Hilflosigkeit“ sowie als „blanker Hohn“ bezeichnet. Sie weist auch darauf hin, dass u.a. die GEW schon seit Jahren auf die Schönrechnerei der KMK aufmerksam macht. Passiert sei aber nichts. Die GEW verweist auf ihre „15 Punkte gegen den Lehrkräftemangel“, die sie zur Diskussion stellt

In diesem Artikel können wir nicht näher auf alle Punkte des „15-Punkte-Programms“ eingehen. Die Strategie der GEW geht jedoch über ein Anbieten von Diskussionen und Verhandlungen nicht hinaus. Im Grunde ist das überhaupt keine Strategie, sondern nur eine Form des Vermeidens einer offenen Konfrontation mit der KMK. Das Problem soll eher mitverwaltet und „gemeinsam überwunden“ werden, anstatt die Interessen der Beschäftigten darzustellen und offensiv gegenüber der KMK zu vertreten und durchzusetzen.

Was könnte die GEW anders machen?

Einer der Punkte, die die GEW als Lösung vorschlägt ist u.a.:

„Um ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen zu halten, müssen die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verbessert und damit attraktiver werden (Senkung der Arbeitszeit, kleinere Klassen, mehr Ausgleichsstunden, besserer Gesundheitsschutz, höhere Altersermäßigung, Unterstützungssysteme für Lehrkräfte wie Team-Coaching und Supervision usw.).“

Diese Forderungen finden sich nicht umsonst unter „Punkt 1“ ihrer Liste! Sie stellen zentrale Fragen dar, durch den der Lehrer_Innenberuf attraktiver gestaltet werden kann, um so Kolleg_Innen im Beruf zu halten und junge Leute für diesen zu begeistern. Leider widerspricht der Vorschlag der KMK fast allen Forderungen. Dies verdeutlicht, dass hier kein Kompromiss auszuhandeln ist. Es muss sich vonseiten der GEW auf eine langanhaltende Auseinandersetzung und Angriffe auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Schulen und darüber hinaus eingestellt werden.

Für die GEW spielt daher der Kampf um einen „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ und für „kleinere Klassen“ in Berlin eine nicht zu unterschätzende Vorreiterrolle! Dieser wird um eine der zentralen Fragen ausgefochten: Wer holt die Kohlen aus dem Feuer? Die Beschäftigten durch Mehrarbeit und schlechtere Arbeitsbedingungen – und infolgedessen auch die Schüler_Innen und Eltern – oder werden Verbesserungen erkämpft und durchgesetzt, die die Krise im Sinne der Beschäftigen, Schüler_Innen und Eltern lösen?

Um diesen Kampf aber zu gewinnen, muss die GEW in Berlin ihre Streikstrategie ändern. Die bisherigen eintägigen Warnstreiks haben gezeigt, dass sie nicht ausreichen, um den Senat zum Umdenken zu bewegen. Sie sollte die Gespräche für gescheitert erklären, die Organisation sowie Durchführung eines unbefristeten Erzwingungsstreiks einleiten und ihre Kampfkraft zusammen mit den Kolleg_Innen im öffentlichen Dienst, bei der Post und im Nahverkehr auf der Straße vereinigen. Hier können wir positiv auf die Initiative der Jungen GEW Berlin verweisen, die richtigerweise eine Unterschriftenliste gestartet hat, indem sie den Vorstand der GEW Berlin dazu aufruft, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären sowie die notwendigen Vorbereitungen und Durchführung eines Erzwingungsstreiks einzuleiten (https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdDESQdkzQGP6lqAFjbYToI6ylV8LGk9bOyqpJxw-qDr137eQ/viewform).

Bundesweite Solidaritätskampagne für die Berliner Kolleg_Innen!

Die GEW bundesweit muss aber nicht nur zuschauen, was in Berlin passiert, sondern sollte schnellstmöglich damit beginnen, den Kampf ihres Berliner Landesverbandes voll zu unterstützen. Sie sollte eine Solidaritätskampagne initiieren, in der sie Lehrkräfte, Schüler_Innen und Eltern in Solidarität mit dem Berliner Tarifkampf sammelt. Neben dem Aussprechen von Solidarität sollte sie auch darauf abzielen, politischen Druck aufzubauen, indem sie die SPD und LINKE dazu aufruft, ihre Blockadehaltung zu durchbrechen. Hierbei sollte sich gezielt auf diese beiden Parteien fokussiert werden, sind es doch gerade die SPD und LINKE, die am meisten in den Gewerkschaften verankert sind und somit durch eine gewerkschaftliche Initiative erreicht und unter Druck gesetzt werden können. Zusätzlich stellen Parteien wie die CDU oder FDP gewerkschaftsfeindliche Parteien dar, von denen nichts zu erwarten ist. Hier sollte keine politisch diffuse Kampagne gefahren werden, in der Hoffnung ein paar mehr Solidaritätsstimmen zu bekommen. Aus einer klassenkämpferischen Gewerkschaftspolitik muss hier eine Klassenlinie gezogen werden und die CDU bzw. FDP stehen hier auf der anderen Seite.

Eine solche Solidaritätskampagne könnte in zweierlei Hinsicht nützlich sein. Erstens könnte sie dazu führen, exemplarisch in einem Bundesland „Kleinere Klassen“ tariflich festzuschreiben. Zweitens könnte sie auch als Ansatzpunkt fungieren, um diese Forderung in einer bundesweiten Initiative zu kanalisieren und mit weiteren Forderungen des „15-Punkte-Plans“ zu verbinden. Diese bundesweite Initiative sollte diese Forderungen als Bestandteil der kommenden Tarifverhandlungen rund um den „Tarifvertrag der Länder“ (TV-L) vorschlagen und diese in die Tarifverhandlungen integrieren.

So hätten alle Kolleg_Innen im Bildungsbereich, ob Schule oder Kita, die Chance, nicht nur in Berlin, sondern bundesweit zusammen mit unseren Schüler_Innen und ihren Eltern auf die Straße zu gehen und der KMK ein klares „Nein“ auf ihre Vorschläge entgegenzurufen. Wir haben die Krise nicht verursacht! Wir werden auch nicht dafür geradestehen!




Wenn das Paket nicht kommt, ist der Konzern schuld!

Zu den aktuellen Streiks bei der Deutschen Post AG

Von Lia Malinovski, Januar 2023

In der Deutschen Post AG läuft seit einigen Wochen die neue Tarifrunde 2023 inklusive Verhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di. Die Beschäftigten fordern 15 Prozent Gehaltserhöhung bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und eine Erhöhung der Ausbilungsvergütungen sowie Entgelte der Studierenden um 200 Euro monatlich. Für diese Forderungen haben zwischen dem 18. und dem 20. Januar über 33 Tausend Beschäftigte in Verteilungszentren, sowie Zusteller_Innen selbst, die Arbeit niedergelegt und gestreikt. Die Post selber hat dabei keinen Schritt auf die Beschäftigten zu gemacht. Die Folge ist nun ein dritter Verhandlungstag und weitere Warnstreiks.

Warum die Forderungen?

Die Forderungen nach 15 Prozent mehr Lohn für alle Tarifbeschäftigten soll den Reallohnverlust durch die Inflation und gesteigerte Lebenshaltungskosten angehen und damit der Verschlechterung der Lage der Angestellten entgegenwirken.

Wenn wir an die Post denken, denken wir meistens an die nette Postbotin oder den netten Postboten, die uns unsere Briefe oder Pakete zustellen oder ärgern uns, wenn mal wieder ein lang ersehntes Päckchen später ankommt als gedacht. In den seltensten Fällen ist uns bewusst, unter welcher Belastung die Beschäftigten stehen – mit einem Monatsgehalt von 2.108 bis 3.090 Euro brutto verdienen die meisten Beschäftigten gerade genug, um in einer kleinen Wohnung zu wohnen und gerade genug zu heizen, um am Ende des Monats noch Geld über zu haben. Seit der Privatisierung der Post haben sich Arbeitsbedingungen ohnehin permanent verschlechtert mit längeren Routen, Zusammenlegung von Briefen und Paketen, der wachsende Onlinehandel und Unmengen an Werbung. Dennoch ist ihre Arbeitsbelastung in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie besonders stark gestiegen. Das sieht man besonders gut daran, dass die Post in den letzten zwei Jahren Rekordgewinne im Milliardenbereich erzielen konnte, da mehr bestellt wurde als vor der Pandemie. „Erwirtschaftet wird der Erfolg der Deutschen Post AG von den Kolleg*innen, die uns Tag für Tag Briefe und Pakete bringen und angesichts des hohen Sendungsvolumens vielfach einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt sind“, schreibt ver.di zu der aktuellen Tarifrunde. Auch die Lage der Jugend in der Post ist prekär: Viele Jugendliche machen einen Nebenjob als Zeitungsausträger_In. Dabei verdient man im Schnitt gerade mal ein paar Cent pro ausgetragene Zeitung. Einen Stundenlohn gibt es nicht und damit kann auch mal der Mindestlohn wegfallen, der bei Jugendlichen eh kaum Bedeutung hat. Die Ausbildungsgehälter sind mit 900 Euro Monatlich bestenfalls durchschnittlich und schon ohne Inflation nicht genug, durch die Inflation aber deutlich zu wenig. Freie Entfaltung oder Unabhängigkeit von Eltern ist damit nicht zu schaffen. Egal, was Springerpresse und der Post-Konzern sagen: Die Forderungen der Beschäftigten sind notwendig und müssen umgesetzt werden!

Streiken, streiken, streiken…

Aber wie können diese Forderungen umgesetzt werden? Die Konzernbosse sind nicht gerade überzeugt davon, die Forderungen umzusetzen. Für die Beschäftigten bedeutet das, dass der Kampf weitergehen wird und muss. Es muss weitere Streiks geben, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dabei darf die Gewerkschaft aber nicht bei Warnstreiks bleiben: Der Konzern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Forderungen nicht umsetzen, wenn es nur bei Warnstreiks bleibt. Warnstreiks kann ein Konzern noch verkraften, da sie zeitlich begrenzt und an Verhandlungen gebunden sind. Was gebraucht wird, sind sogenannte Erzwingungsstreiks – also Streiks, die unbefristet sind und bleiben, bis die Forderungen erfüllt sind und die Mehrheit der Beschäftigten für die Beendigung des Streiks abgestimmt hat. Die Beschäftigten müssen sich in Streikkomitees organisieren und die Gewerkschaftsführung unter Druck setzen, eine Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik zu starten! Denn von alleine wird sie das wahrscheinlich nicht, dafür ist der Vorstand zu eng verwoben mit „Arbeitgeberverbänden“ und den Konzernbossen. Schon bei den vergangenen Arbeitskämpfen bei der Post hat ver.di immer wieder Verrat begangen, indem sie Streiks abgewürgt oder erfolgreiche Streiks mit einem schlechten Tarifvertrag ausverkauft haben.

Sollte es tatsächlich zu Erzwingungsstreiks kommen, müssen wir uns solidarisch mit den Beschäftigten zeigen. Denn wenn unser Paket nicht kommt, ist das die Schuld des Konzerns, der die notwendigen Forderungen der Beschäftigten nicht umsetzt. Auch dürfen die Streiks nicht isoliert bleiben, sondern müssen eine Verbindung zu den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die ebenfalls in die Tarifrunden starten, aufbauen. Letzten Endes muss der Kampf sich für eine basisdemokratische Kontrolle der Beschäftigten einsetzen, mit der die Beschäftigten selbst entscheiden können, wann gestreikt wird, wann nicht und welchen Tarifvertrag man annimmt!

  • Für die Anpassung der Löhne an die Inflation, unter Kontrolle der Beschäftigten selbst! Nicht Konzernbosse, sondern diejenigen, die einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten müssen bestimmen, was sie dafür erhalten!
  • Für zufriedenstellende Ausbildungsgehälter! Wir müssen die Möglichkeit haben, uns unabhängig zu machen und selbst zu entfalten! Wir wollen nicht unsere ganze Jugend bei unseren Eltern verbringen!
  • Für die Einführung eines Stundenlohnes mindestens in Höhe des Mindestlohns für Zeitungsausträger_Innen und die Ausweitung der Tarifverträge auf sämtliche Beschäftigte im Logistiksektor!
  • Für die gemeinsame Organisierung der Beschäftigten bei der Deutschen Post AG und der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und gemeinsame, unbefristete Streiks, solange die Forderungen nicht erfüllt sind! Gemeinsam sind wir stärker (als die Konzerne)!



Der ewige Pflegenotstand – Was tun außer Applaus?

Der Begriff des Pflegenotstands ist nun schon so lange im Umlauf, dass er effektiv zum Pflegenormalfall geworden ist – wieder und wieder gibt es Trostpflaster von der deutschen Politik für einen Patienten, der eigentlich auf den OP-Tisch müsste. Tatsächlich sieht die Situation düster aus: Der deutsche Berufsverband für Pflegeberufe beklagt 200.000 fehlende Vollzeitbeschäftigte und die höchste Krankheitsquote aller Berufsgruppen. Dazu kommen ein gewaltiger Arbeitsaufwand und eine kärgliche Bezahlung, die dazu in keinem Vergleich steht – es ist nicht wirklich rätselhaft, woher der Personalmangel kommen mag.

Doch wie kommt es dazu? Krankenhäuser befinden sich zunehmend in privater Hand, und diese Entwicklung hat sich mit der Einführung der Fallpauschale im Jahre 2004 noch beschleunigt. Diese legt je nach behandelter Erkrankung einen Fixbetrag fest, der an die Krankenhäuser geht – Stationäre Pflege ist in diesem System schlicht nicht besonders profitabel. Auch die Kommunen sind gezwungen, Abteilungen zu reduzieren, zu schließen, oder Krankenhäuser gleich komplett in private Hand zu geben. Die Folgen sind Lohndumping und Erhöhung der Arbeitszeit, mit denen eine gewaltige Verschlechterung der Situation für Pflegebedürftige einhergeht. Noch übler ist es oft auf dem Land, wo Krankenhäuser gleich ganz geschlossen werden, weil eine profitable Führung unmöglich scheint. Besser sieht die Situation auch in anderen Pflegeeinrichtungen wie Senior_Innen-Heimen nicht aus.

Gleichzeitig sind die durch die Pflegeversicherung gefüllten Töpfe eher halbvoll, und in aller Regel müssen die Leute für einen Anteil der Kosten ihrer Pflege selbst aufkommen. Hier fehlen schmerzlich Gelder, die stattdessen in private Kranken- oder Rentenversicherungen fließen, die durch Beitragsermessungsgrenzen „weggedeckelt“ werden, oder unangetastet auf den Konten großer Unternehmen liegen.

Diese Zustände haben regelmäßig Streiks zur Folge, wie noch zuletzt öffentlichkeitswirksam in der Charité in Berlin. „Aber die armen Patienten, die armen Alten!“, rufen dann oft diejenigen am lautesten, die zuvor noch durch die Auslastung der Pfleger_Innen bis aufs Äußerste das Wohlergehen genau dieser Menschen aufs Spiel gesetzt haben. Naja…

Die Forderungen besagter Streiks dürfen jedoch nicht bei Lohnerhöhungen oder einer Reduzierung der Arbeitszeit aufhören, denn auch, wenn es sich um wichtige Punkte handelt, stellen sie letztlich dennoch nur Symptombekämpfung dar. Das eigentliche Pathogen heißt Kapitalismus, und er zwingt das Gesundheitssystem in Betriebsform, ob es nun darum geht, in Privatbesitz den Profit zu maximieren, oder in Staatshand „nur“ um Kostendeckung. Es geht also darum, nicht nur die Produktion, sondern auch die Reproduktion, und darunter fällt die Pflege, zu vergesellschaften und in Arbeiter_Innenkontrolle zu stellen. Das beinhaltet ein Mitspracherecht für Pfleger_Innen und Gepflegte gleichermaßen.

Nun findet aber die Pflege insbesondere von älteren Menschen, sofern keine medizinische Notwendigkeit stattfindet, oft zu Hause statt. Auch diese Arbeit fällt als Hausarbeit unter den Schirm der Reproduktionsarbeit, und gehört ebenso vergesellschaftet. Das heißt nicht, dass plötzlich Männer in Uniform vor der Tür stehen und Opa aus dem Wohnzimmer ins nächste Altersheim verschleppen, sondern in erster Linie, dass die Aufgaben, die heute in den Händen einzelner liegen – und oft aus finanziellen Gründen in die Hände einzelner gezwungen sind – von vielen übernommen werden können. Besonders Entlastung wird das für Frauen und andere von Sexismus Betroffene bringen, von denen die patriarchalen Ordnung in Form der bürgerlichen Familie erwartet dass sie die unbezahlte Carearbeit zu tun haben, also auch bedürftige Verwandte pflegen.

Ganz generell wird in einer sozialistischen Gesellschaft der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht der Profit, weshalb es selbstverständlich sein wird, dass Ärzt_Innen wie Pfleger_Innen die Behandlung kranker oder pflegebedürftiger Menschen einzig und alleine danach ausrichten was diese Menschen benötigen und nicht was die günstigste und nach kapitalistischer Logik effizienteste Lösung ist. Gleichzeitig wird im Sozialismus natürlich auch klar sein, dass sowohl Ärzt_Innen als auch Pfleger_Innen einen ihrer Arbeit entsprechenden Lohn erhalten, was den Teufelskreis aus Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege durchbrechen wird.

Wir fordern:

  • Inflationsangepassten Mindestlohn und Stunden- statt Gehaltsreduzierung! Bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege lieber gestern als heute!
  • Massiver Ausbau des Gesundheitswesens! Der Schließungstrend muss sich umkehren, besonders auf dem Land!
  • Abschaffung der Fallpauschalen! Für eine Behandlung, die an der Gesundheit und den Bedürfnissen der Patient_Innen ausgerichtet ist und nicht am Profit privater Konzerne!
  • Vollständige Vergesellschaftung des Gesundheitssystems! Schluss mit privaten Krankenhäusern, Versicherungen und Altenpflegeketten!



Was geht eigentlich ab?

REVOLUTION, November 2022

Auf unserer jährlichen Sektionskonferenz haben wir als gesamte deutsche Sektion von REVOLUTION uns die Köpfe darüber heiß diskutiert, wie wir eigentlich die Lage der Welt aktuell einschätzen. Dabei spielten Fragen wie die Folgenden eine Rolle: Wird es einen neuen Weltkrieg geben? Was wird aus der Inflation? Schlittern wir in die nächste Wirtschaftskrise? Gibt es ein internationales Roll-Back gegen Trans-Menschen? Wird die EU die kommende Krise überleben? Wie ist die Lage des Kapitals in Deutschland? Was wird aus der sogenannten „Zeitenwende“ (Olaf Scholz 2022)? Wird sich die Linkspartei auflösen? Was waren die Probleme der Klimabewegung?

Antworten auf das alles und noch viel mehr gibt’s im folgenden Text!

Weltlage

1. Die Welt, in der wir Leben beugt sich der kapitalistischen Ordnung, welche seit Jahren durch Krisen geprägt ist. In jedem Fall stehen wir aber an einem Wendepunkt der Entwicklung des globalen Kapitalismus, also inmitten einer Phase des globalen Klassenkampfes, die entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung nehmen wird – und zwar auf verschiedenen Ebenen:

2. Das weltweite Wirtschaftswachstum wird 2022 nach Schätzungen des IWF wahrscheinlich nur 3,6% betragen. Die Prognose musste wegen der Inflation, den Lockdowns in China und dem Ukrainekrieg gegenüber Januar 2022 um 0,8 % gesenkt werden. Besonders betroffen von dieser Entwicklung ist die EU. Für 2023 rechnet der IWF nur noch mit einem Wachstum von 3 %, allerdings auch nur unter der Voraussetzung, dass sich der Ukrainekrieg nicht ausweitet, es in China weniger Lockdowns gibt und auch sonst keine neuen Konflikte und Krisen ausbrechen. Für ein Drittel aller Länder (vor alle europäischen Länder, allen voran Deutschland) sagt der IWF sogar eine Rezession (also ein Schrumpfen der Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahresvierteln) voraus. Wir stehen also anscheinend vor einer Stagflation (einer Kombination aus stagnierendem Wirtschaftswachstum und Inflation). Wenn weitere Krisen (politisch, gesundheitlich, wirtschaftlich usw.) ausbrechen oder sich die bestehenden verstärken, kann die Weltwirtschaft schnell in eine ausgewachsene Rezession rutschen.

3. Eine gemeinsame Antwort der führenden imperialistischen Mächte auf die globale ökonomische Krise kann, anders als nach der großen Finanzmarktkrise 2008 und der darauffolgenden Rezession, faktisch ausgeschlossen werden.

4. Das verschärft nicht nur die zyklische ökonomische Krise in einzelnen Staaten, sondern auch die innerimperialistischen Gegensätze, die Tendenzen zur „Deglobalisierung“, zur Fragmentierung des Weltmarktes, zur Blockbildung sowie zur Abwälzung der Krisenkosten auf die halb-koloniale Welt. Der Krieg um die Ukraine und die wechselseitigen, beide Seiten massiv treffenden Sanktionen wirken krisenverschärfend, sowie die Krise die gegenseitige Konkurrenz und die Kriegsgefahr erhöht. 

5. All dies befeuert die katastrophenhafte Zuspitzung weiterer grundlegender Probleme der Menschheit, vor allem die ökologischen Katastrophen (nicht nur Klima, sondern auch andere wie Artensterben) und die Probleme der kapitalistische Landwirtschaft in Bezug auf ökologische und soziale Grenzen. Die Pandemie, die Millionen Tote gefordert hat, sowie die Hungerkrise und die drohende Vertreibung von einer Milliarde Klimaflüchtlingen im kommenden Jahrzehnt sind Ausdruck dieser Entwicklung. Die Kombination aus der ökonomischen Krise und dem innerimperialistischen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt wird die Krise des Verhältnisse zwischen der Menschheit und dem Planeten weiter massiv verschärfen.

6. Die Krise geht notwendigerweise mit Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse, die Bauernschaft, die Jugend, die unteren und ärmeren Teil des Kleinbürgertum und der Mittelschichten einher. Heute stehen Preissteigerungen und Inflation im Zentrum der Angriffe auf die Einkommen und Lebensbedingungen der Massen. Mit der Entwicklung der Krise könnte dies jedoch in Deflation umschlagen, die mit Massenentlassungen, Betriebsschließungen, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung einhergehen, wie diese heute schon für bedeutende Teile der Halbkolonien gilt.  

7. Auch wenn die Weltwirtschaftskrise 2008-2010 etliche vor allem Halbkoloniale Länder, wie Griechenland, in den Ruin trieben, konnte die imperialistische Bourgeoisie durch eine Politik des billigen Geldes dem entgegenwirken. Dies führte zu einer Begrenzung des eigentlich notwendigen Vernichtens überschüssigen Kapitals in den imperialistischen Zentren und konnte das Finanzkapital schützen. Mit der Corona Pandemie verschärfte sich die schon vorher aufkommende neue Krise, denn durch die Pandemie kam es zu einen massiven Produktionseinbruch, welches die Länder mit voller Wucht traf. Jedoch sind beide Krisen nicht gleich zu setzen. So haben sich die Gewichte der Weltwirtschaft weiter verschoben, welches auch zu einer Verschiebung innerhalb der globalen Konkurrenz führte und den damit einhergehenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

8. Dies sind leider auch keine guten Umstände für die Arbeiter_Innenklasse, denn auch hier befinden wir uns vor einer anderen Lage als nach der Weltwirtschaftskrise 2008-10. Nach der damaligen Krise befand sich die Bourgeoisie in einer ideologischen Defensive. Die arabischen Revolutionen und die vor-revolutionäre Zuspitzung in Griechenland verdeutlichten das Potential einer Wende im Klassenkampf und stellten über mehrere Jahre eine Inspiration der Arbeiter_Innenklasse und der Massen weltweit dar. Deren Ansturm erfolgte trotz einer schon damals tiefen Krise und verdeutlicht, das spontan revolutionäre Potential der Arbeiter_Innenklasse – aber auch dessen Grenzen. Die Niederlagen dieser Bewegungen offenbarten nicht nur die Tiefe der Führungskrise des Proletariats, sie hatten, zusammen mit anderen wichtigen Niederlagen) auch nachhaltige globale Auswirkungen auf die Moral, Kampfbereitschaft und das Bewusstsein der Arbeiter_Innenklasse. Dies hat heute noch eine große Auswirkung auf die Kämpfe der Arbeiter_Innen, und dessen Auswüchsen. Wir können immer mehr erkennen, dass viele einer politischen Alternative zwischen populistischen Rechten und „demokratischer“ Mitte hinterher laufen. Auch wenn wir in dem letzten Jahre mehrere kämpferische und spontane Bewegungen erkennen konnten (Frauenstreiks, BLM), waren auch diese stark geprägt durch kleinbürgerliche und neo-reformistische Ideen Identitätspolitik, Individualismus, Linkspopulismus, Transformationsstrategie).

9. Das Blatt kann sich jedoch schnell wenden. Mächtige Streikbewegungen in England und auch in Frankreich zeigen, wie schnell sich die Arbeiter_Innenklasse aufraffen und als Macht auftreten kann (ohne dadurch natürlich schon die Führungskrise zu lösen). In Russland gab es bereits Proteste gegen den Krieg und die Zwangsrekrutierungen. Im Falle Russlands besteht dabei die Aufgabe die „liberale“ bürgerliche Opposition als kaum bessere Alternative zu Putin zu entlarven. In der Halbkolonialen Welt machen die Proteste im Iran momentan die meisten Hoffnungen. Eine Revolution hätte Auswirkungen auf die kurdische Frage, auf die national unterdrückten Belutschen, welche im Iran und in Pakistan leben, aber auch auf die Lage der Frauen in Afghanistan, um nur die direktesten Einflüsse auf die Nachbarländer zu nennen. Sicher ist, dass uns auch in der Zukunft noch weitere spontane Massenmobilisierungen und Kämpfe erwarten werden, auf welche wir nicht nur reagieren müssen, sondern durch Interventionen versuchen müssen diese mit anzuleiten und in eine revolutionäre Richtung zu bewegen.

Weltwirtschaftslage

10. Die Globalisierungsperiode, die Anfang der 1990er Jahre begann, hat den Kapitalismus zweifellos auf einer qualitativ neuen Ebene internationalisiert. Die Produktion, die Dienstleistungen, der Handel, die Finanzströme, die Kommunikation und  die Wissenschaft haben alle ein neues Niveau der internationalen Organisation erreicht, das auf den Fortschritten der Produktivkräfte und einer Internationalisierung der  WeltArbeiter_Innenklasse beruht und eine expansive Bewegung der globalen Kapitalakkumulation ermöglicht. Diese neue Periode der Kapitalakkumulation setzte eine Wiederherstellung der Profitraten in den imperialistischen Zentren als Ergebnis wesentlicher Niederlagen der jeweiligen Arbeiter_Innenklassen voraus. Diese ermöglichten die Deregulierung der Arbeitsbedingungen, Offshoring, Investitionen in privatisierte Sektoren, eine Ausweitung des Welthandels, den Aufbau internationaler Produktionsketten usw. Unterstützt wurde dies durch eine massive Expansion neuer Formen des Finanzkapitals, das neu gegründete globale Unternehmen dominiert und eine verstärkte Kontrolle über Industrien und Nationalstaaten ausübt. Während diese Finanzkonzerne als internationale Agenturen agieren, ist die Quelle des von ihnen investierten Kapitals immer noch überwiegend die imperialistische Bourgeoisie Nordamerikas, die reichen europäischen Länder und in geringerem Maße die neue Bourgeoisie in China und Russland.

11. Nach der schwachen Erholung nach der „Corona“-Rezession, den überraschend niedrigen Wachstumsraten in China, der tiefen Krise mehrerer „Schwellenländer“ und den wirtschaftlichen Schockwellen nach dem Ukraine-Krieg kommt die Mehrheit der Wirtschaftskommentatoren zu dem Schluss, dass die Weltwirtschaft erneut auf eine globale Rezession zusteuert

12. Dies ist nicht nur auf zufällige oder kontingente globale Ereignisse zurückzuführen (Corona, Ukraine-Krieg). Diese Ereignisse trafen die Weltwirtschaft zu einem Zeitpunkt, an dem die eigentlichen Tendenzen zur Wirtschaftskrise bereits akut waren und die Endphase der Globalisierung ankündigten. Der globale Kapitalismus war nicht in der Lage, die Pandemie auf der notwendigen globalen Ebene zu bewältigen, was ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen hinauszögerte. Dadurch das der Kapitalismus scheiterte internationale Institutionen zu schaffen,  führte dies zu einem Widerspruch zwischen den realen staatlichen handlungsmöglichkeiten un den „demokratischen“ Versprechen des bürgerlichen parlamentarismus. Dies trug auch in den imerpialistischen Staaaten dazu bei, dass es zu einer Krise der Demokratie kam.

13. Die zunehmende Konkurrenz zwischen den imperialistischen Blöcken führte zu politischen und bewaffneten Konfrontationen  zwischen ihnen – und damit zu einer weiteren Vertiefung der wirtschaftlichen Krise der Globalisierung. Diese kontingenten Ereignisse dienten also als Katalysatoren, die die Krisentendenzen noch schneller und tiefer wirken lassen, so dass die kommende Rezession die Frage aufwerfen wird, wie eine kapitalistische Weltwirtschaft nach dem Ende der aktuellen Periode neu gestaltet werden kann. In den immer mehr miteinander konkurrierenden imperialistischen Staaten zählt Europa aktuell zu den schwächeren Teilen der Herrschenden.

14. Vor allem nach der Weltwirtschaftskrise 2008-10 konnte noch damals das deutsche Kapital  die EU als Instrument für den Aufbau eines Systems von Produktionsketten in Ost und Südeuropa nutzen, während das britische Kapital zusammen mit dem US amerikanischen Finanzsektor vor allem daran interessiert war, sich finanzielle  Investitionsmöglichkeiten in Europa zu sichern. Frankreich und Deutschland förderten die „Lissabon-Agenda“, die Perspektive der EU als wichtiger Konkurrent im imperialistischen  System. Dies erforderte jedoch ein stärkeres Bündnis mit dem russischen Imperialismus, um sowohl dessen große Energie- und Rohstoffmonopole als auch die großen, mit Russland verbundenen Märkte in Zentralasien zu nutzen. Russland, das aufgrund einer schleppenden Weltwirtschaft unter niedrigen Energiepreisen litt, wandte sich einer noch autoritäreren und aggressiveren Politik zu, um das Regime zu stabilisieren. In der Zwischenzeit verließen sich die osteuropäischen Länder mehr und mehr auf rechtspopulistische Regime als Sicherheitsventil gegen soziale Unruhen. Die meisten von ihnen lehnten auch die“schwache Position“ von Berlin und Paris gegenüber Russland ab und orientierten sich stark an den USA und deren NATO-Präsenz in Europa. Schließlich war der Brexit ein weiterer Schlag gegen den Aufbau eines starken „europäischen Wettbewerbers“ auf denWeltmärkten. Angesichts dieser politischen Rahmenbedingungen ist es nicht verwunderlich, dass Europa in den 2010er Jahren bei den Wachstumsraten, der Kapitalproduktivität, den Anteilen ihrer Großunternehmen und der Fähigkeit, mit Krisensituationen umzugehen, hinter China und den USA zurückfiel.

15. China, welches noch Anfang des 20. Jahrhunderts zu den „aufsteigenden“ Ländern gehörte, hat im 21. Jahrhundert die Konkurrenz um die Welthegemonie der USA strittig gemacht. Aber auch in China gelten die Gesetze der kapitalistischen Akkumulation. Als dynamischster Faktor der Weltwirtschaft in den 2010er Jahren mit einem immer höheren Ausmaß an kapitalistischer Rationalisierung ist es daher nicht verwunderlich, dass China  die kapitalistische Volkswirtschaft war, die den charakteristischsten Rückgang der Profitraten aufwies, insbesondere nach 2015, verbunden mit einer Verlängerung des Wachstums der absoluten Profitmassen – und damit einer Fortsetzung der hohen Wachstumsraten für einige Zeit. Dies führte zwangsläufig zu einer Überakkumulation, was sich in wachsenden Schwierigkeiten im Verhältnis von Neuinvestitionen zum bestehenden Kapitalstock zeigt. Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung von weiterem Wachstum und Investitionen in einem politischen Wirtschaftssystem, das von hohen Wachstumsraten ausgeht, führten zwangsläufig zu Problemen im fragilen Finanzsystem, die sich in  mehreren Blasen-Krisen äußerten. Staatliche Eingriffe konnten das System zwar bisher stabilisieren, führten aber zu höheren Spannungen zwischen Bourgeoisie und Staatsapparat, die nur durch eine zunehmend autoritäre Form des Bonapartismus an der Spitze des Staates beruhigt werden können. Je mehr die kapitalistische Krise an die Oberfläche kommt, desto aggressiver muss dieser Bonapartismus auf die inneren und äußeren Spannungen reagieren. Vor allem die strikten Corona-Maßnahmen im Land mit Lockdowns in mehr als 45 Städten in den vergangenen Monaten führte zu einer weiteren Schwächung der Wirtschaft.

16. Diese Analyse zeigt, dass wir weit davon entfernt sind, uns in einer neuen Periode der steigenden Kapitalakkumulation zu befinden. Die nächsten Jahre werden weiterhin von der Krise des gegenwärtigen Akkumulationsregimes geprägt sein. Anders als zu Beginn der Globalisierung gibt es keine entscheidenden neuen Niederlagen der Arbeiter_Innenklasse, die zu noch höheren Ausbeutungsraten führen könnten. Die Profitraten aller imperialistischen Volkswirtschaften haben sich auf einem niedrigen Niveau angeglichen. China ist selbst eher zu einem Krisenfaktor als zu einem Motor der globalen Akkumulationsdynamik geworden. Alle Krisenfaktoren: Energie und Ökologie, Pandemie, Verschuldung, Inflationsgefahr, Zusammenbruch von Zombie Unternehmen, die aussichtslose Krise fast aller halbkolonialen Regionen, insbesondere der Absturz der Schwellenländer, die wachsende Kriegs- und Aufrüstungsgefahr – all das macht einen reibungslosen Übergang zu einer neuen Investitionswelle in klimaneutrale und intelligente Technologien (Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Industrie 4.0 etc.) höchst unwahrscheinlich. Die Phänomene der „Deglobalisierung“, wie der Rückgang der Direktinvestitionen, das geringere Gewicht globaler Wertschöpfungsketten, die Schwächung des Welthandels, zum Beispiel durch neue Zölle, sind ein Zeichen der Krise, kein Merkmal einer neuen Periode. Auch wenn die „Globalisierung“ nicht mehr dynamisch voranschreitet, wird es dem Kapitalismus sehr schwer fallen, sich von seinem neuen Internationalisierungsgrad zurückzuziehen. In der gegenwärtigen Krisenzeit bedeutet dies, dass auch die Krise eine viel internationalere und globalere Dynamik annimmt.

Kampf um die Neuaufteilung der Welt

17. Die russische Invasion in der Ukraine hat ein neues Kapitel in den internationalen Beziehungen aufgeschlagen, das erhebliche Auswirkungen auf die globale Wirtschaftsordnung hat. Der Ukrainekrieg hat sicherlich Bewegung in die Blockbildung (also der außenpolitischen Ausrichtung der Staaten) gebracht. Die hirntot geglaubt NATO ist plötzlich wieder erwacht, die USA und die EU fanden wieder zueinander und die Beziehungen zwischen der EU und Russland scheinen ein für alle mal zerbrochen. Die Integration von Schweden und Finnland in die Nato verdeutlicht dies zusätzlich und verschärft die Konfrontation mit Russland, welches nun tausende weitere Kilometer eine direkte Grenze mit einem NATO-Staat teilt.

18. Durch die Sanktionen wird die EU unabhängig von Russland, besonders von Öl und Gas. Doch der westliche Block wurde durch den Krieg nicht nur gestärkt. Außer der EU, USA, Kanada, Australien, Japan und Neuseeland hat sich kein Land den Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Diese Länder wollen die Tür hinter sich nicht zuschlagen. Indien (traditionell ein Handelspartner Russlands, z.B. als Waffenimporteur) kauft massenweise billiges russisches Öl. Durch ihre gemeinsamen Neutralität zum Ukrainekrieg haben Indien und China ihr Beziehungen verbessert und versuchen gerade ihre Grenzstreitigkeiten zu lösen.
Aber das beispiellose Sanktionsregime der G7 haben wegen der Unterbrechung der Getreide-, Gas- und Ölversorgung Folgen weit über Europa hinaus. Russland und die Ukraine produzieren 19 % der weltweiten Gerste, 14 % 459 des Weizens und 4 % des Mais. Sie sind die Hauptlieferanten von Raps für den Rest der Welt und liefern 52 % des weltweiten Sonnenblumenöls. Die Blockade bedroht die  Ernährungssicherheit von etwa 50 Ländern in Afrika und Asien. Die Lebensmittelpreise sind 2020 um 28 % und 2021 um 23 % gestiegen; in diesem Jahr sind sie allein zwischen Februar und März um 17 % in die Höhe geschnellt. Hungersnöte und Hungergskrisen sind damit vorprogrammiert. Westliche Beschränkungen für russische Gas- und Ölexporte tragen ebenfalls zum Inflationsdruck bei und bringt heute schon, vor allem in Großbritannien die Arbeiter_Innen auf die Straße. Massive Preissteigerungen führen zu Hunger und Not und treiben die Inflation in Ländern  an, die weit vom Schauplatz des Konflikts entfernt sind.

19. Es wird deutlich welche Rolle Europa in diesem Konflikt einnimmt und welche Interessen damit verteidiget werden sollen. Deutschland, als ein Land welches gute wirtschafltliche Beziehungen zu Russland pflegte, liegt aktuell gänzlich auf der Linie der USA, Russland weiter zu stärken. Die USA schlugen auch deshalb einen Konfrontationskurs mit Russland ein, um so nicht nur den russischen Imperialismus, sondern vor allem auch eine Allianz Deutschlands (und Frankreichs) mit Russland zu verhindern. . Mit dem Krieg um die Ukraine haben die USA dieses Ziel erreicht und jede  absehbare Hoffnung von Teilen der europäischen Bourgeoisie auf eine Allianz mit Russland  für die nächste Zukunft zunichte gemacht. Unter der Vorherrschaft der USA rüsten die EU Staaten massiv auf und sind zu einer gewissen militärischen und politischen Konzentration gezwungen, die zur Zeit von den USA wesentlich mitbestimmt wird, später aber auch eigenständige europäische, von den USA unabhängige und mit ihnen rivalisierende Institutionen werden könnten

20. Vor allem aber treibt der Krieg zugleich Russland in die Armee des viel stärkeren chinesischen Imperialismus. Da Russland und China heute den Kern der riesigen eurasischen Landmasse beherrschen, stellen sie gemeinsam eine langfristige Bedrohung für die Welthegemonie der USA dar. Wenn sie die „Freundschaft“, die Wladimir Putin und Xi Jinping bei den Olympischen Winterspielen am Vorabend der russischen Invasion in der Ukraine in herzlichen Umarmungen zum Ausdruck brachten, in ein wirtschaftliches und  militärisches Bündnis umwandeln können, dann wird sich eine neue Vorkriegszeit eröffnen, die in mancher Hinsicht derjenigen der 1870er, 1910er und 1930er Jahre ähnelt.

21. Die Weltordnung findet ihren größten Widerspruch jedoch im Gegensatz zwischen USA und China. Er ist es, der der Weltlage maßgeblich bestimmt, auch wenn mit dem Ukrainekrieg der Fokus momentan auf der EU und Russland liegt. Diese Imperialismen spielen jedoch wirtschaftlich und militärisch nur die zweite Geige. Die USA ist mit knapp $20 Billionen BIP die größte Wirtschaftsmacht, China folgt mit $12 Billionen dahinter. Bei dem momentan stattfindenden Wettrüsten stehen USA und China an der Spitze und versuchen sich mit neuen Technologien und der Produktion der alten Techniken auszustechen. Auch der Kampf um Einfluss wie z.B. in Pakistan, Indien, Sri Lanka oder den Philippinen wird zwischen den imperialistischen Hauptmächten ausgefochten. Hier werden besonders asiatische Staaten erwähnt, weil sich viele davon noch nicht endgültig entschieden haben auf welcher der beiden Seiten sie stehen wollen. Zudem ist zwischen Süd- und Ostasien ein Großteil der Weltbevölkerung konzentriert. Dort stehen sich auch USA und China direkt gegenüber; Nur getrennt durch den Pazifischen Ozean.

22. Wir können Putins Gräueltaten in der Ukraine und Xi‘ Jinpings Vorgehen gegen die Uiguren in Xinxiang, seine Unterdrückung in Hongkong oder seine Drohung, in Taiwan einzumarschieren, die nicht im Geringsten gerechtfertigt sind, nicht übersehen oder relativieren. Wir müssen mit ihren Opfern sympathisieren und uns mit ihnen solidarisieren, nicht mit ihren Unterdrückern, aber ohne dem Westen einen demokratischen Heiligenschein zu verpassen, der nur zu Sozialimperialismus führen kann. Revolutionäre werden all diese Handlungen als typisch für imperialistische Mächte erkennen, auch wenn sie rivalisieren

EU und innere Krise

23. Nachdem sich die führenden EU-Mächte zu Beginn des Jahrtausends aufgemacht hatten, die  größte und führende Volkswirtschaft der Welt zu werden, erlebten das EU-Projekt, die kapitalistische Einigung, der EURO und andere Institutionen eine Reihe von Krisen und Rückschlägen – sei es die Ablehnung der Europäischen Verfassung, sei es die permanente Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise und als vorläufiger Höhepunkt der Brexit Großbritanniens.

24. Der Krieg um die Ukraine bedeutet für die nahe Zukunft, dass die EU-Staaten (und auch Großbritannien) politisch von den USA geführt werden, dass die USA den geostrategischen Takt unter den westlichen imperialistischen Mächten vorgeben. Eine wirtschaftliche oder gar politische Annäherung an Russland, wie sie von Deutschland und Frankreich seit langem angestrebt wird, ist faktisch unmöglich geworden, solange es keinen Regimewechsel in Russland gibt. Die USA konnten auch eine Umverteilung der Kosten der NATO und ihrer Osterweiterung durchsetzen. Der Brexit und der Krieg um die Ukraine haben die Bewegungen und Kräfte für einen schnellen Austritt in der EU teilweise zur Besinnung gebracht. Keine bedeutende Kapitalfraktion in den führenden imperialistischen Staaten der EU (Deutschland, Frankreich, Italien) will einen. Deshalb treten wichtige EU-skeptische rechtsextreme, rassistische Parteien (RN in Frankreich, Fratelli d’Italia) nicht mehr für einen Austritt aus der EU ein, sondern wollen „nur“ die Spielregeln in Brüssel zugunsten ihrer Nation ändern. Dieser Sinneswandel hat sicher auch damit zu tun, dass die EU-Staaten bei der Bewältigung ihrer Schuldenkrisen immer abhängiger von der EZB geworden sind. Hinzu kommt, dass Deutschland in den letzten Jahren seine Blockade gegen eine gemeinsame Verschuldung und eine wichtige Rolle der EZB faktisch aufgegeben hat. Das hat nicht nur mit dem Druck der Ereignisse während der Pandemie und der Rezession zu tun, sondern auch damit, dass ein Flügel des deutschen Kapitals (vor allem die Grünen, die SPD, aber auch Teile der Union) glaubt, dass die Überwindung der inneren Widersprüche der EU möglich ist, wenn die EU und ihre Institutionen eine treibende Rolle bei der Umstrukturierung und Bildung eines europäischen Kapitals spielen, das wiederum natürlich vom deutschen Kapital dominiert werden soll. Die zunehmende wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit bedeutet nicht, dass die internen Probleme der EU überwunden sind. Um im Wettbewerb mit den USA und China bestehen zu können, ist ein „positives“ europäisches Projekt erforderlich. Der Green Deal stellt einen solchen Versuch dar. Der Ukraine-Krieg ermöglicht es, die gemeinsame Rüstungs-, Militär- und Außenpolitik stärker ideologisch als Kampf für die Demokratie zu rechtfertigen. Die derzeit weit verbreitete Einigkeit unter den Gegnern sollte jedoch nicht vergessen lassen, dass die EU nach wie vor von historischen Antagonismen imperialistischer Mächte durchdrungen ist, die allein keine den USA oder China gleichwertige Rolle ausfüllen können, die aber andererseits bereit sein müssen, untereinander einen neuen Modus vivendi zu finden, eine Partnerschaft unter deutscher, manchmal französischer Führung, und Europa in ihrem Interesse zu organisieren. Darüber hinaus können sie dies nicht in einem Vakuum tun. Derselbe Wettbewerb, dieselben Krisen, die sie zur Einigung drängen (was eigentlich dem Entwicklungstrend der Produktkräfte entsprechen würde), bringen auch jene Kräfte hervor, die einer Überwindung der nationalen Fragmentierung des Kontinents im Wege stehen. Hinzu kommt, dass die USA und China selbst Akteure im europäischen Spiel sind. Wie in den letzten Jahrzehnten wird die Frage des Verhältnisses zwischen Deutschland, Frankreich und – in geringerem Maße – Italien letztlich entscheidend für die Zukunft der EU sein

Halbkoloniale Welt

25. Die gegenwärtige wirtschaftliche und ökologische Krise trifft die halbkoloniale Welt natürlich besonders dramatisch. Gleichzeitig bedeuten die Entwicklung einzelner großer halbkolonialer Volkswirtschaften in den letzten Jahren, die Schwächung der US-Hegemonie und der zunehmende Kampf um die Neuaufteilung der Welt auch, dass wichtige Regionalmächte versuchen, in diesem Kampf ihre eigene Position innerhalb der imperialistischen Weltordnung zu verbessern. Dies gilt für eine Reihe von Staaten, wie Indonesien, Indien, Pakistan, die Türkei, Saudi-Arabien, Iran, Südafrika, Brasilien, um nur einige zu nennen. Es wäre impressionistisch, diese Länder als imperialistisch zu bezeichnen, auch wenn einige von ihnen ihre eigenen Finanzkapitale entwickelt haben (insbesondere Indien) und zu wichtigen regionalen Mächten geworden sind oder dies anstreben.

26. Generell kann man sagen, dass einige dieser Staaten, allen voran Indien, in den letzten Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt haben. Andere sind eher im Niedergang begriffen, vor allem Südafrika, aber auch Länder wie Brasilien und die meisten anderen lateinamerikanischen Staaten. Länder wie Pakistan, die Türkei und der Iran (in gewissem Maße auch die Golfstaaten) sind dagegen durch eine extreme Form der ungleichen Entwicklung gekennzeichnet. Pakistan und Iran beispielsweise befinden sich in einer fast ständigen Wirtschaftskrise. Andererseits verschaffen ihnen die Schwächung der US-Hegemonie und der Aufstieg Chinas einen gewissen Spielraum – nicht zuletzt, weil sie ihren Einfluss auch in Ländern wie Afghanistan oder dem Irak ausbauen konnten.

27. In der nächsten Periode werden sie alle mit massiven internen wirtschaftlichen und sozialen Krisen konfrontiert sein, allerdings unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Während sich das Modi-Regime und in geringerem Maße auch das von Erdogan auf eine breite Basis in der herrschenden Klasse stützen können und die traditionellen bürgerlichen Kräfte (Kongress und Kemalismus) erfolgreich ersetzt haben, befinden sich die bürgerlichen Parteien und Institutionen in Ländern wie Pakistan selbst in einem massiven inneren Konflikt. Generell können wir aber davon ausgehen, dass die Arbeiter:innenklasse, die in der Globalisierungsperiode in Asien massiv gewachsen ist, vor einer Art Bewährungsprobe steht, die auch die Möglichkeiten des Aufbruchs und der Entstehung neuer Organisationen und politischer Parteien der Klasse eröffnet.

28. Im Nahen Osten und in Nordafrika, und noch mehr in Afrika, ist die Situation eindeutig anders. Hier ist die Konterrevolution nach den Niederlagen des Arabischen Frühlings eindeutig gestärkt. Die Krise der US-Hegemonie und die Konfrontation mit Russland und China bedeutet, dass Länder wie Saudi-Arabien und Israel im Inneren weitgehend freie Hand haben. Das gilt im Grunde auch für Erdogan gegenüber dem kurdischen Volk und der Enklave Rojava. Die Mobilisierungen wie kürzlich im Irak oder auch revolutionäre Bewegungen wie im Sudan sind durch eine extreme Führungskrise gekennzeichnet. In Lateinamerika erleben wir auch die Auswirkungen der Pandemie und jetzt der Inflation. Politisch ist der Kontinent jedoch nach wie vor von bedeutenden Klassenkämpfen geprägt, einer Konfrontation zwischen reformistischen und links-populistischen Kräften auf der einen Seite und neoliberalen, autoritären bis bonapartistischen Kräften auf der andern.

Reaktionäre auf dem Vormarsch – Frauen- und LGBTIA-Unterdrückung

29. Die Lage von Fraune und LGBTIA Menschen verschlächtert sich in der aktuellen Phase immer mehr. Weltweit verdienen Frauen im Durchschnitt 23% weniger als Männer und dabei leisten sie jeden Tag 12,5 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit (Reproduktionsarbeit, Hausarbeit usw.). Es bleibt jedoch nicht nur bei der ungleichen oder keinen Bezahlung, weltweit haben weniger als die hälfte der Frauen einen Job.

30. In Zuge der Verschärfung der Krisen werden Rechte die durch die Arbeiter_Innen erkämpft wurden, Schritt für Schritt zurück genommen und es findet weltweit, bis auf einige Länder ein Rollback von veralteten Frauenrollen und LGBTIA-Feindlichkeit und dem konservativen Familienbild statt. Die USA hat dabei in den meisten Staaten das Abtreibungsrecht komplett gelöscht oder immer weiter verschärft. Aber auch hier in Europa nehmen Reaktionäre Frauen- und LGBTIA Feindliche Politik fahrt auf. Polen und Ungarn sind dabei die Länder, in welchen in den Letzen Jahren und Monaten das Abtreibungsrecht verschärft wurde und auch die Rechte von LGBTIA Menschen eingeschränkt wurden oder ihre Existenz gänzlich abgelehnt wurde. Das spielt immer mehr den Rechten in die Hände mit ihren konservativen Familinivorstellungen. Es häufen sich immer mehr Angriffe und gezielte Morde an Frauen- und LGBTIA, sowie in Bratislava.

Die Rechte von LGBTIA und insbesondere trans Personen stehen international vor noch massiveren Angriffen. Besonders in den USA und in Großbritannien spitzt die Lage sich zunehmend zu. In den ersten drei Monaten von 2022 wurden in den USA nicht weniger als 240 Gesetzesentwürfe eingereicht, die LGBTIA-Rechte einschränken. Etwa die Hälfte davon bezieht sich ausschließlich und spezifisch auf Menschen, die transgender sind, allen voran Jugendliche und Kinder, eine fast verschwindend kleine und massiv vulnerable Minderheit. Ein Gesetze schränkt z.B. die Aufklärung über LGBTIA-Themen im Unterricht und Unterstützung von LGBTIA-Jugendlichen durch Schulpersonal sowie das bloße thematisieren von z.B. zwei Vätern ein, weil queere Menschen essentiell sexualisiert werden. Ein weiteres verlangt, dass ein Arzt das Geschlecht von trans Jugendlichen feststellt, bevor diese (meist geschlechtlich falsch eingeordnet) am Schulsport teilnehmen dürfen. In Texas konnte es kurzzeitig als Kindeswohlgefährdung ausgelegt werden, wenn Eltern ihre trans Kinder unterstützen, was Familien dazu bewogen hat umzuziehen. Das wurde allerdings nach Protesten von trans Personen und Unterstützer_Innen zurückgenommen. Ähnliches sehen wir in Großbritannien, wo seit dem Gerichtsprozess der detransitionierten Keira Bell medizinische Notwendigkeiten für trans Personen massiv erschwert wurden und der öffentliche Diskurs über transgender Menschen zutiefst reaktionär ist. In Ungarn sind Personenstandsänderungen unmöglich gemacht worden. Die Proteste, die sich gegen diese zugespitzten Angriffe richten, verbleiben meist eher klein, lokal, von LGBTIA Personen vor Ort getragen und überwiegend defensiv. Hintergrund der steigenden Angriffe auf trans-Personen ist der aktuelle gesellschaftliche Rechtsruck, der in Krisenzeiten eine Stärkung traditioneller Familien- und Geschlechterordnungen propagiert. Dieser Rechtsruck findet auch im Feminismus durch eine Stärkung liberaler Feminist_innen (wie Annalena Baerbock) oder TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) seinen Ausdruck. In Großbritannien und den USA erleben wir auch zunehmend, dass sich diese „Feminist_Innen“ im Angesicht der „bedrohlichen Gefahr durch die Gender-Ideologie“ auf Querfronten mit zutiefst konservativen und rechtsradikalen Kräften einlassen. In Deutschland sehen wir diese Dynamik bisher nicht in der Form, es ist aber nicht auszuschließen, dass die Angriffe hier eine ähnliche Entwicklung vollziehen werden. Bereits aktuell finden sich Argumente von TERFS nicht nur in rechten Kreisen sondern auch vereinzelt und zunehmend in linken Organisationen und Bewegungen. Die Debatten um trans Frauen im Profisport und das von der Ampel vorgeschlagene Selbstbestimmungsgesetz (das das erniedrigende Transsexuellengesetz ersetzen soll) werden mit dehumanisierenden und transphoben Argumenten geführt, mit der Vorgabe, „echte Frauen zu schützen“. Es gilt also weiterhin und umso mehr, LGBTIA und v.a. trans Menschen vor Angriffen auf ihre Rechte zu schützen und den Argumenten von scheinfeministischen Transfeind_Innen entschlossen entgegenzutreten.

31. Das Austreten der Türkei aus den Frauenrechtskonvention war ein weiterer Einschnitt in die Frauenrechte und macht die internationale Stimmung um die Frage noch einmal deutlich. Durch die Pandemie verschärfte sich außerdem die (häusliche-) Gewalt gegenüber Frauen und LGBTIA Menschen und verschlimmerte damit ihre Lage immer mehr. Durch die Lockdowns waren viele Menschen gezwungen mehr als zuvor sich in den Häusern/Wohnungen mit ihren Partner_Innen aufzuhalten, der Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt war kaum noch vorhanden. Durch die Schließung von Schulen/Kindertagesstätten etc. stieg auch da die Doppelbelastung auf weibliche Personen, die dies kompensieren mussten. Dies führte auch zu einer weiteren Verstärkung der Rollenverteilung.

32. Außerdem sind weltweit 70% des Personals in sozialen und Pflegeberufen Frauen. Gerade diese Einrichtungen waren darauf fokussiert die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, ohne eine faire Bezahlung geschweigeden angemessenen Arbeitsbedingungen. Erste Betroffene in der Entlastungswelle während der Pandemie waren vor allem Frauen und LGBTIA Personen, welche unteranderem im Niedriglohnsektor und in präkern/schlecht und informell Bezahtlten Jobs ihren Unterhalt verdienen. Alleine in Europa verloren in den ersten Monaten der Pandemie 70% der in informellen Sektor arbeitenden Frauen ihr Einkommen. Diese ökonomischen Folgen, machen Frauen und LGBTIA Personen immer mehr von ihrem männlichen Vormund/Ehemann/Vater etc. abhängig und drängt sie wieder zurück in die familiären und patriarchalen Strukturen.

33. Es gibt jedoch auch einige positive Beispiele die aufzeigen, was fortschrittliche Politik verändern kann, so wurde in Spanien nicht nur das Abtreibungsrecht ausgebaut, sondern es gibt immer mehr Rechte die Sexuelle Vergehen bestragen und es auch als solche anerkennen. Und noch immer spielen Frauen in internationalen Protesten eine große Rolle, sei es in der aktuellen Revolte im Iran oder in der Umweltbewegung, wo Frauen führende Rollen übernehmen.

Die derzeitigen Proteste im Iran werden international mit (formellen) Solidaritätsbekundungen beantwortet. Statt einer bedingungslosen Aufnahme aller Geflüchteten und internationalem Zusammenschluss der Frauenbewegung in Solidarität wird nun u.a. in Deutschland über Sanktionen gegen das Regime nachgedacht. Diese müssen verhindert werden, da sie in erster Linie die Protestierenden selber treffen werden. Die Bewegungen zeigen sich jedoch stark, sie werden von Frauen angeführt und richten sich gegen die massiv frauenfeindliche Gesetzgebung und das Regime. Zunehmend werden die Aufstände auch durch breite Streiks begleitet und immer mehr werden die Proteste explizit klassenkämpferisch. Sollten die Bewegungen nicht an der fehlenden Führung, ihrem Pluralismus oder den massiven Repressionen und der Gewalt von Regierung und Militär zerbrechen, könnte ihr Erfolg nicht nur positive Auswirkungen auf die Region, sondern auch auf die internationale Frauenbewegung haben. Ein Sturz des extrem frauenfeindlichen Regimes im Iran könnte zum Vorbild und Anstoß für internationale Kämpfe gegen die aktuellen reaktionären Angriffe werden.

Die Lage der Jugend in halbkolonialen Ländern

34. Mit der Verschärfung der Krisen, dessen Auswirkungen auf die Halbkolonialen Welt, verschläft sich auch die Lage der Jugend drastischer und an viele Stellen auch mehr als für den Großteil der Arbeiter_Innenklasse. Aufgrund dessen das sie weniger im Arbeitsmarkt vertreten sind, oder nur die prekären Jobs ausüben, werden sie in Krisen Situationen als erstes entlassen und haben oft nicht mal die Möglichkeit dazu, sich Gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei wächst aber der Druck auf sie seitens der Familien immer mehr, denn Jugendlichen wird oft aufgezwungen für die Familien mit aufzukommen. Die Arbeitslosenquote steigt innerhalb der Halbolonialen Welt auch bei Jugendlichen weiter an, so haben zum Beispiel Länder wie Südafrika eine Jugendarbeitslosenquote von 61,4%, welches damit im Listenende steht. Die meisten Jugendarbeitslosenquoten der Halbkolonialen Welt liegen zwischen 30 und 15%, was bedeutet, dass jeder 3. bis 5. Jugendliche arbeitslos ist. Und diese Zahlen werden weiter ansteigen, je mehr sich die Krisen verschärfen.

35. In Europa sieht die Lage dabei nicht besser aus, Griechenland, welches schon durch die Weltwirtschaftskrise 2008-10 zu dem großen Verlieren gehörte, verzeichnet die höchste Jugendarbeitslosigkeit (28,6%) in Europa. Die Jugend kommt in eine Phase, in welcher die Zukunft in der sie lebt so ungewiss ist wie noch nie zu vor, die Zeiten einer „Besseren Welt, die auf uns warten“ sind Real für viele vorbei und nur noch ein trauriges Gespenst aus alten Filmen. Das führt vermehrt dazu, dass Jugendliche nicht nur an der Spitze von aufkommenden Protesten stehen, da sie es sind mit dem Interesse an eine bessere Zukunft und mehr Perspektiven, sondern auch der Teil der Arbeiter_Innenklasse darstellen, der immer weniger Hoffnungen in die staatlichen Strukturen hat, in denen sie leben. Dies bedeutet einerseits, dass Jugendliche eine treibende Kraft in Massenprotesten sein können, andererseits aber auch, dass viele aufgrund der Perspektivlosigkeit und dessen das sie zwar an Spitzen von Bewegungen stehen aber kein eigenes Sprachrohr besitzen, die Perspektive in den Ländern, in denen sie leben nicht mehr sehen. Die Frage der Flucht und Migration stellt sich vor allem hier den Jugendlichen, denn oft haben sie dann noch Hoffnung in einem imperialistischen Land von all der Unterdrückung und Ausbeutung zu entkommen. Für die Jugend ist nicht nur die Frage der Führungslosigkeit ein großes Problem, sondern auch die der Organisierung. Dies kann in spontan aufkommenden Massen dazu führen, dass sie eher mundtot gemacht werden. Es fehlt an Organisation außerhalb von meist zeitlich begrenzten Bewegungen, Verbindung von Kämpfen und einer übergreifenden Organisation zur Interessenvertretung von Schüler_Innen.

Die Ampelkoalition als Organisatorin der „Zeitenwende“ für das deutsche Kapital

36. Kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verkündete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“. Was er damit gemeint hat, wird von Woche zu Woche deutlicher: Es bilden sich neue globale Blöcke und die Kosten der Krise werden auf die Arbeiter_innenklasse abgewälzt. Die Krise ist dabei 3-facher Art: Eine globale Klimakrise bedroht die Fortexistenz des Menschen auf diesem Planeten. Mit über 4500 Hitzetoten in Deutschland zählt die vergangene Hitzewelle zu den tödlichsten Sommern überhaupt. Überschwemmungen, Artensterben, Dürren und Waldbrände machen den Klimawandel lassen den Klimawandel als ein Problem erscheinen, welches längst nicht mehr nur die halbkoloniale Welt betrifft. Auch wenn die Coronakrise als weniger gefährlich dargestellt und in neoliberaler Manier auf die individuelle „Eigenverantwortung“ gepocht wird, hat das Virus in der vergangenen Periode 153 000 Menschen in Deutschland das Leben gekostet. Die dritte Krise ist eine Wirtschaftskrise samt hohen Inflationsraten, welche durch historisch niedrige Kapitalverwertung, die Tendenz zur De-Globalisierung und die Verschuldungskrise ausgelöst wurde und durch den Zusammenbruch globaler Lieferketten infolge der Coronakrise und des Ukraine-Krieges verschärft wird.

37. Wir erwarten eine wirtschaftliche Rezession als Folge der Inflation. Aktuell sagt das Institut für Wirtschaftsforschung noch relativ optimistisch eine Schrumpfung des deutschen BIPs um 0,7 Prozent voraus. Auch das deutsche Kapital selbst blickt laut dem ifo-Geschäftsklimaindex vom Oktober 2022 pessimistisch in die eigene Zukunft. Der Zusammenbruch globaler Lieferketten, das Sinken des globalen Konsumniveaus sowie der Stopp des Zufluss von billigen Rohstoffen aus Russland haben das deutsche Exportkapital schwer getroffen.

38. Während das deutsche Kapital in der vergangenen Konferenzperiode noch damit geliebäugelt hat, durch eine Stärkung der EU und seiner eigenen Führungsrolle darin sowie den Ausbau der Beziehungen zu Russland (siehe Nordstream 2) und China eine eigene globale Konkurrenzrolle in der Liga der imperialistischen Staaten einzunehmen, wurde es durch die Taktik der USA Russland international zu isolieren quasi in die Rolle des Juniorpartners der USA gezwungen.

39. Im Spektrum der bürgerlichen Parteien verkörperten insbesondere die Grünen, aber auch die FDP und die Mehrheit der CDU diese transatlantische Linie. Konflikte gibt es dabei mit den Kapitalfraktionen, die dadurch ihre Profite bedroht sehen, verkörpert durch die Minderheit in der CDU, die AfD und die schwankende Position der SPD. Die Ampel-Koalition erfüllt für das Kapital dabei den allgemeinen Zweck seine Interessen nach innen (durch Einbindung der Arbeiter_innenklasse und Gewerkschaften in Form eines SPD-geführten Innen- und Arbeitsministeriums) und nach außen (durch ein grün-transatalantisch geführtes Außenministerium) zu vertreten. Dabei hat es mit dem FDP-geführten Finanzministerium eine starke Lobby, die dafür sorgt, dass die Krisenkosten zu gering wie möglich für das Kapital gehalten und auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden (siehe Pläne für Bildungskürzungen). Eine wichtige Aufgabe der Ampel es ist, den deutschen Monopolkonzernen finanzielle Verluste in großem Maßstab zu bezahlen (Gaspreisdeckel, Einstieg bei Uniper etc.) und Energiesichert zu gewährleisten (panische Reisen von Habeck und halbgare Blitzverträge mit Qatar).

Die Ampelkoalition ist das Ende der Merkel-Ära und vorerst auch das der Zeiten der GroKo. Als solches bestand neben dem Kleinbürger_Innentum auch in Teilen der Arbeiter_Innenklasse eine Hoffnung in die neue Regierung als Organisatorin einer „Zeitenwende“ v.a. bezüglich der Sozial- Wirtschafts- und Außenpolitik. Diese Wende findet auf mehreren Ebenen statt, allerdings als Angriff und Rollback, untermauert mit der ideologischen Rechtfertigung durch Krieg und Krise. Es ist eine „Zeitenwende“, aber keine im Sinne derer, die dieser Koalition mit Hoffnung entgegengeblickt haben. Dass dieser Verrat an der eigenen Basis und dem eigenen Programm durch v.a. SPD und Grüne nun als alternativlos dargestellt wird, muss angegriffen und gegenüber der Arbeiter_Innenklasse, die ihre Hoffnung immer noch in die SPD setzt, (anhand ihrer tatsächlichen Politik) entlarvt werden.

Krieg und „Nationale Einheit“

40. Das politische Bewusstsein der Arbeiter_innenklasse in Deutschland steht mehrheitlichim Zeichen der nationalen Einheit, was nicht heißt, dass das Land nicht politisch tief gespalten ist. Diese Spaltung erfolgt jedoch nicht anhand einer Klassenlinie zwischen Arbeit und Kapital. Vielmehr ordnet sich die Arbeiter_innenklasse den 2 bürgerlich geführten Blöcken unter: Auf der einen Seite befindet sich der vom Exportkapital dominierte Block, der für einen Green New Deal, gemäßigte Coronaschutzmaßnahmen, Migration von Fachkräften, mehr europäische Integration etc. eintritt (SPD, Grüne, Mehrheit der CDU, FDP, „Die Vernünftigen“), während auf der andere Seite der Block des kleineren, auf den deutschen Binnenmarkt orientierten Kapitals besteht, der durch seine in der globalen Konkurrenz in Bedrängnis geratene Position gegen Umweltschutzmaßnahmen, gegen Coronaschutzmaßnahmen, gegen Migration und gegen die EU wettert (AfD, Minderheit in der CDU, „die Unvernünftigen“).

41. Zuerst die Coronakrise und nun der Ukraine-Krieg haben trotz der großen sozialen Verwerfungen und Deklassierung durch das Anbiedern von SPD, Linkspartei und DGB die Bildung eines Bewusstseins der „nationalen Einheit“ begünstigt. Dies führt dazu, dass die Arbeiter_innenklasse in Deutschland Angriffe billigend in Kauf nimmt (siehe „Frieren für den Frieden“, Verzicht auf Lohnforderungen bei IGBCE, IG-Metall und verdi). Dabei konnte das Kapital seine Aufrüstungspläne (,die schon vor dem Ukraine-Krieg in Form von Floskeln für „Mehr Übernahme internationaler Verantwortung“ auf dem Tisch lagen,) nahezu widerstandslos durchsetzen. Die über 50 000 Unterschriften-starke Kampagne gegen die Grundgesetzänderung zur Aufrüstung ist praktisch ohne Konsequenzen geblieben. Dem Kapital ist es damit gelungen, die historisch gewachsene Aufrüstungssekpsis in der deutschen Bevölkerung (3 Millionen Menschen auf Demo gegen den Irakkrieg 2003) zu zerschlagen. Die Grünen, welche das Vertrauen vieler Pazifist_innen genossen, bildeten dabei die Sperrspitze.

42. Die wichtigsten Kriegsinstrumente stellen aktuell großzügige Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen in historisch nie dagewesenem Ausmaß dar. Die zunächst zögerliche und abwartende Haltung der SPD konnte auf Druck der Grünen, der CDU und der konservativen Medien schnell gebrochen werden. Ziel ist es dabei Russland kriegsunfähig zu machen und es durch eine nachhaltige Schwächung seiner Wirtschaft aus der Liga der imperialistischen Staaten zu verbannen (siehe bereits 2014 Rausschmiss Russlands aus G8-Runde).

43. Die Ampel versucht die aktuelle Kriegssituation ferner für ein klimaschädliches Rollback zu nutzen. Die mühsam erkämpften Erfolge der Anti-AKW-Bewegung (Atomausstieg 2011) und der Klimabewegung (Kohleausstieg 2038) sollen wieder zurückgenommen werden. Während sich die AfD und der rechte Flügel der CDU als Vorreiterinnen für ein Zurück zur vermeintlich (!!) sauberen Atomkraft präsentieren, dient das grüne Energieministerium Habecks dem Kapital dazu, den Kohleausstieg noch weiter nach hinten zu verschieben, Öl aus Qatar und Frackinggas aus den USA zu besorgen und durch die Integration der Klimabewegung Widerstand dagegen zu verhindern.

44. Eine der wichtigsten Tagesforderungen ist es, jede Fortführung des Krieges, ob durch russische Panzer oder westliche Sanktionen und Waffenlieferungen, abzulehnen! Eine größere Friedensbewegung ist jedoch aus den anfänglichen Großmobilisierungen gegen den Krieg nicht entstanden. Ein Großteil der Kriegsgegner_innen vertritt die Regierungslinie und betrachtet Sanktionen und Waffenlieferungen als einzige Mittel zur Beendigung des Krieges. Das wesentlich kleinere Lager aus traditionell pro-russischer Friedensbewegung, Stalinist_innen und AfD erkennt der Bevölkerung in der Ukraine unter dem Slogan „Frieden mit Russland“ ein Recht auf Selbstverteidigung ab. Das kleinste aber progressivste Lager hat es nicht geschafft den einzig richtigen Slogan „No Nato- No Putin“ in größere bundesweite Aktionen unter Einbindung von Klassenorganisationen zu übersetzen. Auch Versuche von Sozialverbänden, Linkspartei und Gewerkschaftsgliederungen eine Bewegung gegen die Aufrüstungsvorhaben der Ampel aufzubauen, ist aufgrund dem Ausweichen oder der Abwesenheit einer Positionierung zum Ukraine-Krieg insgesamt gescheitert.

45. Waffenproduktion und -lieferungen müssen durch politische Streiks der Beschäftigten in Rüstungs- und Transportindustrie unterbunden werden. In der kommenden Periode gilt es außerdem die unpopuläre Forderung nach einem Stopp der Sanktionen in die Linke zu tragen (Nur noch 53% der Deutschen unterstützen die Sanktionen gegen Russland, wenn dies persönlichen Verzicht für sie bedeutet). Dabei müssen wir uns jedoch stark von der AfD oder dem Wagenknecht-Flügel der Linkspartei abgrenzen, denn wir lehnen die Sanktionen nicht wie diese Kräfte ab, weil sie auch dem deutschen Kapital und Kleinbürgertum schaden, sondern weil sie der russischen Arbeiter_innenklasse schaden und ein Mittel der imperialistischen Kriegsführung darstellen, welches der NATO-Block für sich nutzt, um RU als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und den USA nutzt, um Europa stärker an sich zu binden und seinen Hauptkonkurrenten China weiter zu isolieren. Es gilt jedoch ebenso aufzuzeigen, dass eine Widereröffnung von „Nordstream2“ und der Ausbau fossiler Energieträger angesichts der Flutkatastrophe in Pakistan, die über 30 Mio. Menschen in tiefste Not gestützt hat, ein Verbrechen darstellt. Wir treten weiterhin für den schnellstmöglichen Ausstieg aus fossiler Energiegewinnung unter Arbeiter_innenkontrolle ein. Wir lehnen die zynische Doppelmoral im Umgang mit ukrainischen Geflüchteten, russischen Deserteur_innen und muslimischen Geflüchteten ab. Stattdessen fordern wir offene Grenzen sowie Arbeitserlaubnisse, Mindestlohn und Privatwohnungen für alle Geflüchteten! Zur Beendigung der Kriegshandlungen fordern wir einen sofortigen Waffenstillstand. Gleichzeitig lehnen wir jedoch jede „diplomatische Lösung“ kategorisch ab, denn diese stellen nur zeitweilige Kompromisse zwischen imperialistischen Mächten (die gerade keine Möglichkeit mehr sehen, anderweitig mehr für ihre Interessen rauszuschlagen) dar, sind meistens nur temporär und nie im Sinne der Arbeiter_innenklasse. Unsere Alternative ist eine unabhängige Position der Arbeiter_innenklasse: ein revolutionärer Defätismus auf der Basis internationaler Klassensolidarität.

Rechtsruck vorbei?

Im Zuge der Verschärfung der Krise nimmt auch der Rechtsruck weiter zu, allerdings teilweise in anderen Formen und mit neuen Dynamiken, es ist wichtig diese zu verstehen um diesen neuen Rechtsruck, der sich nicht mehr auf das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte jenseits des klassischen Konservativismus und daraus folgend, dessen langsames Wandern nach Rechts beschränkt, sondern die komplette bürgerliche Politik gravierend verändert, zu bekämpfen. So sind es im Moment vor allem die Teile des bürgerlich-liberalen Lagers, die sich traditionell als links und progressiv betrachten, die extrem stark nach rechts driften, das Beispiel der Grünen in Deutschland zeigt dies besonders eindrucksvoll. Eine Partei die über lange Zeit in ihrem Selbstverständnis Pazifismus vertreten hat, treibt nun das imperialistische Säbelrasseln und die größte Aufrüstung Deutschlands seit 1945 voran und fordert die kompromisslose Bekämpfung des imperialistischen Rivalen Russlands. Der starke Rechtsruck der Grünen in den Außenpolitik kommt mit Verzögerung auch in anderen politischen Feldern an. So trieben die Grünen aktiv voran, dass das Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier doch noch abgebaggert wird, einzig und alleine um RWE mehr Profit ermöglichen zu können, biedert sich den reaktionärsten Regimen, wie Katar, Aserbaidschan oder der Türkei an, und lehnt Entlastungen für die Bevölkerung oder Besteuerung von Krisenprofiten ab.

Innerhalb der Grünen hat sich bereits mit ihrer Regierungsbeteiligung 1998 der Flügel durchgesetzt, der die Partei von sämtlichen pazifistischen und sozialen Altlasten aus ihrem politischen Entstehungskontext befreien wollte. So organisierte die Partei mit dem Kosovo[1]Krieg den ersten deutschen Kriegseinsatz nach dem zweiten Weltkrieg, versetzte der Arbeiter_innenklasse mit der Agenda 2010 einen historischen Schlag und stimmte den imperialistischen Kriegseinsätzen in Afghanistan und Mali zu. Seither unternehmen die Grünen den Versuch, von der kleinbürgerlichen Partikularpartei zur vorherrschenden bürgerlichen Kraft aufzusteigen. Durch ihre konsequente transatlantische Ausrichtung, ihre Bereitschaft zur Militarisierung Deutschlands im Zeichen des „Schutzes demokratischer Werte“ sowie die Perspektive einer industriell-technischen Erneuerung des deutschen Kapitals (Stichwort „Green New Deal“) auf Kosten der Arbeiter_innenklasse präsentierte sich die Partei im Bundestagswahlkampf 2021 als moderne alternative für die exportorientierten Kapitalfraktionen (laut einer Umfrage der deutschen Bank von 2021 wünschte sich die Mehrheit der Entscheider in 200 deutschen Industrieunternehmen eine grüne Regierungsbeteiligung). Der reaktionäre Charakter des grünen Programms wird in dem Maße deutlicher, indem sich der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zuspitzt.

Auch beträchtliche Teile der sozialdemokratischen bis links-reformistischen Linken schließen sich diesem bürgerlichen Rechtsruck an und stimmen, ganz in alter Burgfrieden Manier, zu, dass man sich nun hinter den „freiheitlich demokratischen“ Westen stellen müsse um diesen gegen den viel übleren russischen Imperialismus zu verteidigen, und das man dafür nun einmal auch in Kauf nehmen muss, dass die Bedingungen für die Arbeiter:Innenklasse sich verschlechtern. Während das ehemals links-liberale Bürgertum nach rechts wandert und dabei teilweise traditionell konservative Kräfte überholt, sehen wir bei den rechtspopulistischen Kräften Europas eine fast schon entgegengesetzte Tendenz, diese Kräfte integrieren sich fester in den bürgerlichen Staat und die bürgerliche Politik und werden zum akzeptierten und integrierten Teil dieser. Besonders stark wird dies deutlich in Frankreich, wo der ehemalige Front National nun als Rassemblement National viele seiner rechtsradikalen Positionen entschärft um als rechts-konservative Partei breite Achtung und Akzeptanz der bürgerlichen Gesellschaft zu erhalten sowie in Italien, wo die Faschistin Meloni sich nun als ganz normale rechts-konservative Politikerin darstellt und auch von der breiten Masse der bürgerlichen Politik Europas so gesehen wird. In Deutschland ist dieser Trend noch nicht so deutlich zu sehen, was wohl einerseits mit der deutschen Geschichte zusammenhängt, vor allem aber mit einem anderen Faktor: Dem Verhältnis der Partei zum imperialistischen Konkurrenten Russland.

Eine andere Entwicklung der Rechten in Europa ist nämlich die Spaltung in zwei Lager: pro-ukrainische und pro-russische Kräfte. Diese Spaltung ist jedoch keineswegs ideologisch begründet, sondern im Grunde eine rein taktische. Während nämlich pro-russische Rechte wie AfD oder Rassemblement National dass Interesse der Teile ihrer nationalen Bourgeoisie vertreten, die sich statt des Bündnis mit dem US-Imperialismus, der als Hegemonialmacht über den NATO-Block auftritt, ein gleichberechtigtes Bündnis mit dem russischen Imperialismus wünschen, ist dies für die italienische Rechte nicht sinnvoll, da ihre Bourgeoisie nicht stark genug ist ein gleichberechtigtes Bündnis mit einem anderen Imperialismus aufzubauen und es für sie das beste ist sich in EU und NATO zumindest noch ein paar Stücke des westlich-imperialistischen Kuchens zu sichern, weshalb sich auch Melonis Fratelli D’Italia hinter EU, NATO und Ukraine stellen. Diese Spaltung hat allerdings, trotz ihres rein taktischen Charakters, durchaus das Potential, die Kooperation rechter Kräfte in Europa einzuschränken, so ist das jahrelang stabile Bündnis der Rechtsregierungen Ungarns und Polens durch unterschiedliche Positionen zum Krieg in der Ukraine auseinander gebrochen, während Polen klar und entschieden an der Seite der Ukraine gegen seinen historischen nationalen Feind Russland steht, sympathisiert Ungarn, das selber Anspruch auf eine ukrainische Provinz erhebt, nach wie vor mit Putin. Eine Dynamik hingegen zieht sich durch alle bürgerlichen Kräfte, ganz gleich ob pro-russisch oder pro-ukrainisch, liberal, konservativ oder rechtspopulistisch: Der Trend in der Krise zu einer autoritären Politik zu greifen. Aufrüstung nach außen geht meistens auch mit einer Aufrüstung nach innen einher. So greift der ukrainische Staat im Kriegszustand auf ein Verbot jeglicher politischer Opposition zurück, während Russland versucht, jedes Aufkommen einer Antikriegsbewegung durch scharfe Repression im Keim zu ersticken. In Deutschland und anderen westlichen EU-Ländern pocht das Kapital stattdessen angesichts einer sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Arbeiter_innenbewegung auf die „Nationale Einheit“: die Bevölkerung soll für die deutschen Kriegspläne frieren und die Gewerkschaften sollen ihre Lohnforderungen so gering wie möglich ansetzen. Die harte Repression gegen kämpferischere Streiks wie derjenige der Hamburger Hafenarbeiter_innen oder gegen die Klimabewegung macht jedoch deutlich, wie das Kapital vorzugehen gedenkt, wenn die Arbeiter_innenklasse sich weigert, die Krisenkosten zu zahlen. So lassen sich bereits auf Länderebene Verschärfungen der Polizeigesetze erkennen, deren bundesweite Ausweitung bei einem Anstieg von Protesten wahrscheinlich ist.

Inflation ohne Ende?

46. Die Inflationsrate in Deutschland lag im September bei rund 10 Prozent. Die stärksten Preisanstiege finden sich bei Lebensmitteln (insbesondere Obst, Gemüse und Milchprodukte), Energiekosten, Mieten, sowie Freizeitkonsumgütern. Die massiven Teurungsraten stellen deshalb  längst nicht mehr nur tiefe Einschnitte im Alltag von Jugendliche und Geringverdiener_innen dar, sondern auch bei mittleren Einkommen und der Arbeiter_innenaristokratie und dem Kleinbürgertum.

47. Während die Bevölkerung für den Frieden frieren und verzichten soll, sorgt die Ampelkoalition dafür, dass Verluste der großen Unternehmen so gering wie möglich ausfallen. Obwohl die „Entlastung der Gering- und Mittelverdiener“ von Anfang an in aller Munde war, stellten Gasumlage und Tankrabatt lediglich Subventionen an die Energieindustrie dar. Des Weiteren wurden mehrere milliardenschwere Entlastungspakete auf den Weg gebracht, die gesamte Gesellschaft nach dem „Gießkannenprinzip“ entlasten sollten. Selbst laut Rechnungen des bürgerlichen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kamen jedoch 70 Prozent der 10 Milliarden € des 3. Entlastungspaketes lediglich den oberen 30 Prozent der höchsten Gehaltsklassen zugute.

48. Anhaltende Proteste haben die Ampel bereits stark unter Druck gesetzt und zu kleinen Nachbesserungen sowie zur Rücknahme der Gasumlage veranlasst. Das Potenzial des „heißen Herbstes“ eine soziale Massenbewegung zu werden, wird jedoch aktuell vor allem von Rechts genutzt. Besonders bildlich wurde dies beispielsweise am 8.10. in Berlin, als sich unter dem Slogan „Löhne rauf – Preise runter“ ca. 120 Menschen in Berlin-Wedding versammelten, während ca. 15 000 Menschen unter Führung der AfD mit Slogan „Unser Land zuerst“ durch das Stadtzentrum zogen. Während linke Kräfte daran scheitern, eine klare Position zum Krieg einzunehmen und die Ampel für ihre unsoziale Kriegstreiberpolitik anzugreifen erscheinen die rechten durch ihre konsequente Ablehnung der Sanktionen als glaubwürdigste Vorkämpfer gegen die soziale Verwerfungen der Inflation.

49. Da wir 2 Ortsgruppen in Ostdeutschland haben, soll an dieser Stelle noch einmal ein Blick auf die spezielle Lage vor Ort geworfen werden. Laut dem INSA-Meinungstrend vom 26.9. ist die AfD stärkste Kraft in Ostdeutschland. Zehntausende sind dort im Zuge der aktuellen Proteste unter offener Beteiligung von Faschist_innen wie dem III. Weg oder den Freien Sachsen auf der Straße gegangen. In Ostdeutschland sind aufgrund der Deindustrialisierung nach der Annektion der DDR mehr Menschen prekär, fühlen sich abgehengt und fremdbestimmt. Der Braunkohleausstieg, die Inflation sowie die ungeklärte Zukunft der Ölraffinieren verbreiten eine nicht unberechtigte Angst vor einer Deklassierung 2.0. Zudem ist die Wirtschaft traditionell stärker strukturell auf Russland ausgerichtet (siehe zum Beispiel PCK-Raffinerie in Schwedt, selbst die CDU-Sachsen vertritt viel pro-russischeren Kurs als die Bundespartei). Auch ideologisch wird Russland aufgrund der DDR-Sozialisierung weniger als Feind betrachtet.

50. Angesichts der rechten Führung über die sozialen Proteste trauen viele den großen breiten Gegenprotesten von Unteilbar etc. hinterher. Wir sehen aktuell jedoch deutlich, dass der Slogan „einfach alle zusammen solidarisch und ,unteilbar‘ gegen die AfD“ in Krisensituationen bei Abwesenheit einer klaren eigenen linken Perspektive nicht mehr funktioniert. Die Trägheit und Vorsicht der Linken eine eigene Perspektive aufzuwerfen, überlässt den Rechten das Feld. Ähnlich haben wir es bereits in der Corona-Krise erlebt, als die Abwesenheit einer kämpferischen und gegen die Regierung gerichteten Zero-Covid-Bewegung eine politische Lücke eröffnet hat, die Querdenken füllen und sich als Fundamentalopposition präsentieren konnte.

51. Aktuelle Ansätze in der radikalen Linken wie die „Dont Pay“-Kampagne (á la klauen im Supermarkt und den Armen geben) verurteilen wir zwar nicht moralisch aber politisch als individualistisch und kleinbürgerlich. Darüber hinaus kommen lokale linke Kleinstbündnisse in einigen Städten kaum dazu, unter zaghafter Beteiligung einzelner lokaler Gewerkschaftsgliederungen über ihre eigenen Unterstützer_innenkreise hinaus zu mobilisieren.

Die Genug ist Genug Kampagne sieht sich selbst als eine Plattform, welche als „Brücke“ zwischen Straßenprotesten und Gewerkschaften fungieren will. Angeführt wird die Kampagne in Deutschland vom reformistischen Jacobin-Magazin und Teilen des Ver.di Gewerkschaftsapparats. Auch wenn die Kampagne bisher nicht über Internetaktivismus, lokale Rallyes, Arbeitsgruppen zur Verbreiterung der Initiative und reformistische Minimalforderungen hinausgeht (zum Beispiel werden die Fragen nach Arbeiter:innenkontrolle des Energiesektors, der Positionierung zum Krieg und den Sanktionen bewusst ausgeklammert), bietet sie aufgrund ihrer Einbindung von Gewerkschaften und ihres internationalen Charakters im Vergleich zu anderen Antikrisenbündnissen bisher das größte Potential für den Ansatz des Aufbaus einer linken Antikrisenbewegung. Sie könnte sich in Zukunft in eine vielversprechende Richtung entwickeln, ist es zum jetzigen Punkt jedoch nicht. Entscheidungen werden mit Teilen des Gewerkschaftsapparats geheim und undemokratisch gehalten. Während sie auf den Rallys mit starken, klassenkämpferischen Reden glänzten (in Berlin rief der BSR (Stadtreinigung) für die kommende Tarifrunde beispielsweise zum Generalstreik auf) hält sich die Führung mit so etwas bewusst zurück. Mehr noch als das: interessierte, potentielle Aktivist_innen werden bis jetzt in ineffektiven Organizing-Arbeitsgruppen verheizt, wodurch der tatsächliche Aufbau einer Antikrisenbewegung sogar noch erschwert wird. Aktuell scheint die Kampagne in Deutschland also nicht an ihre Erfolge in UK anknüpfen zu können. Im Gegensatz zu den Protesten in UK stützt sie sich hierzulande nämlich nicht auf kämpferische Streiks, sondern wird lediglich von Gewerkschaftsfunktionär_innen aus verdi und GEW unterstützt, die die Kampagne ihren Mitgliedern gegenüber als Feigenblatt für Aktionismus gegen die Inflation nutzen.

Revolutionäre müssen mit dem Slogan einer europaweiten Antikrisenkonferenz in die Kampagne intervenieren und diese nach links treiben, bei gleichzeitiger Integration weiterer Gewerkschaftsgliederungen. In den Gewerkschaften müssen wir erkämpfen, dass diese die Forderungen von „Genug ist genug“ nicht nur dem Papier unterstützen, sondern ihre Betriebsgruppen aktiv über die Vertrauensleute mobilisieren. Unsere wichtigen Forderungen zur Inflation sind die Einführung Preisdeckeln unter Arbeiter_innenkontrolle, die gleitende Skala zur Anpassung von Löhnen und Sozialleistungen an die Inflation, die Öffnungd er Geschäftsbücher und eine Übergewinnsteuer sowie die Enteignung der Energiekonzerne unter Arbeiter_innenkontrolle.

Diesen allgemeinen Forderungen müssen sich für die Jugend spezifische Forderungen anschließen, da Inflation und damit verbundene Krisen sich Jugendlichen gegenüber besonders hart und aussichtslos zeigen. Einige zentrale Punkte hierbei sind: kostenloses Mittagessen an Schulen und Kontrolle von Schüler*innen über Auswahl und Preise des Mensasortimentes, finanzielle Unterstützung von Jugendlichen (z.B. für Freizeitangebote), besondere Unterstützung von Familien, der Inflation angepasste und faire Löhne sowie garantierte Übernahme für Azubis, außerdem die Forderung nach kostenlosem ÖPNV und einer starken Jugendbewegung, die an der Seite der Arbeiter_Innen gegen Krieg und Krise kämpft.

Gewerkschaften in der Krise

52. Der DGB fungiert aktuell nicht als Organ des Klassenkampfes, sondern durch seine Politik der Sozialpartnerschaft (kooperativer Ausgleich der Interessen von Kapital und Arbeit) als Stütze der bürgerlichen Herrschaft. Sowohl in der Coronakrise, in der Klimakrise, im Ukraine-Krieg und zur Inflation nimmt er keine fundamentale Oppositionshaltung zur Politik der Bundesregierung ein. Die Beteiligung des DGB an der „konzentrierten Aktion“, in der ein Konsens mit Unternehmer_innenverbänden zur Bekämpfung der Inflation gefunden werden soll, ist nur ein Ausdruck davon. Ebenso die Tatsache, dass der DGB seine historisch gewachsene antimilitaristische Haltung gegenüber dem Aufrüstungsvorhaben der Ampel aufgegeben hat. Es gab keine Ablehnung dessen von Seiten des DGB, lediglich den müden Verweis, dass die Aufrüstung nicht zulasten von Sozialem, Gesundheit und Bildung finanziert werden dürfe. Auf hohe Lohnforderungen wird zugunsten des Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und aufgrund der angeblichen Gefahr einer „Lohn-Preis-Spirale“ ebenso verzichtet, wie auf politische Streiks angesichts der vielfachen Krisenlagen. Stattdessen gibt es Einmalzahlungen (siehe Abschluss IGBCE und müde Lippenbekenntnisse gegen den Klimawandel).

53. Diese staatstragende Haltung des DGB bringt die Mitgliedsgewerkschaften angesichts sich zuspitzender Krisenlagen in den Lebenswelten der Gewerkschaftsmitglieder in eine fundamentale Krise. Viel zu lange hat sich der DGB als verlässlicher Partner für das Kapital präsentiert, die Mitgliedschaft ruhiggestellt und dafür in wirtschaftlichen Aufschwungperioden Tariferhöhungen für Kernsektoren und Stammbelegschaften (= Arbeiter_innenaristokratie) herausgeholt. In Krisenzeiten, in denen es jedoch selbst für die sogenannten Kernsektoren kaum noch etwas abzuschöpfen gibt, gerät diese Politik in akute Bedrängnis. Zusätzlich geraten die Gewerkschaftsbürokraten der großen DGB-Gewerkschaften durch kämpferisch auftretendere Spartengewerkschaften unter Druck (siehe Cockpit oder GDL). Als Folge erlebt der DGB aktuell einen massiven Mitgliederschwund. Im Jahr 2021 (aktuellste Zahlen) verließen über 2 Prozent der Gesamtmitgliedschaft ihre jeweiligen Gewerkschaften (am meisten bei IG Metall und verdi). Gleichzeitig gehen die Rechten immer aggressiver auf Stimmenfang unter Gewerkschafter_innen, sodass die AfD in einigen Betrieben sogar bereits eine absolute Mehrheit unter Gewerkschaftsmitgliedern verzeichnen kann. Der Apparat versucht sich deshalb mit verzweifelten und halbherzig geführten „Organizing“-Kampagnen zu erneuern und Mitglieder zu gewinnen.

54. Dabei braucht es auch über rein tarifliche Forderungen hinausgehende Forderungen der Gewerkschaften, da die aktuellen Krisen (Corona, Klima, Krieg, Inflation) und die Tiefe mit der sie sich auf den Alltag von Lohnabhängigen auswirken, die traditionelle ökonomistische Selbstbeschränkung der Gewerkschaften in Frage stellen. Ferner liegen für die kommenden Tarifauseinandersetzungen von IG-Metall und verdi aktuell nur Forderungen auf dem Tisch, die knapp über der aktuellen Inflationsrate liegen. Nach den Verhandlungen sind also Reallohnverluste zu erwarten. Der kämpferische Streik der Hamburger Hafenarbeiter_innen konnte die Bürokratie dagegen zeitweise vor sich hertreiben und bildete dabei eine Ausnahme. Es wird immer deutlicher, dass der bürokratische Gewerkschaftsapparat das eigentliche Problem ist, der, um seine eigene privilegierte Stellung zu erhalten, gewerkschaftliche Kämpfe ausbremst. Was wir brauchen ist deshalb kein Organizing für einen erneuerten Gewerkschaftsapparat, sondern eine kämpferische Gewerkschaftsopposition, gestützt auf basisdemokratische Betriebsgruppen, die selbst über Forderungen und Kampfmittel entscheiden, sowie Wähl- und Abwählbarkeit von Delegierte entsenden. Verknüpft werden muss dies mit einem gewerkschaftlichen Aktionsprogramm des Klassenkampfes (statt Sozialpartnerschaft) gegen die Abwälzung der Krisenkosten und der kommenden Rezession auf die Beschäftigte. Die VKG bildet einen ersten Ansatzpunkt dafür.

War’s das mit der Linkspartei?

55. Die traurige Lage der Linkspartei ist geprägt von massiven Wahlverlusten bei der Bundestagswahl. Mit 5 Prozent und über 4 Prozent Stimmverlust ist sie noch knapp in den Bundestag eingezogen. Ähnlich schlecht sind die Ergebnisse bei den vergangenen Landtagswahlen. Hauptgrund dafür ist ihre reformistische Ausrichtung und ihre falschen Analyse des bürgerlichen Staates, die es ihr verwehrt einen radikale Kampf gegen die Angriffe der Regierung zu führen. Zusätzlich ist die Partei durch den inneren Kampf ihrer Flügel gelähmt.

56. Kurzzeitige Hoffnung machte die Proklamation des „Heißen Herbsts gegen soziale Kälte“, bei dem die Linkspartei in Leipzig ca. 4000 Menschen mobilisierte. Diese Aktion blieb jedoch der vereinzelte Höhepunkt der „Kampagne“, da die Positionen der jeweiligen Flügel zum Krieg und seinen Folgen zu unterschiedlich sind, um einen gemeinsamen Kurs vorzuschlagen. Der Flügel der sogenannten „Regierungssozialist_innen“ will dabei nur verhalten Opposition spielen, um sich weiterhin als verlässlicher Koalitionspartner zu präsentieren. Forderungen nach einem Ende der Sanktionen, die ihm von links unter Druck setzen könnten, versucht er dabei als „Rechtsoffenheit“ und „Putinverständnis“ zu denunzieren. Der linkspopulistische „Aufstehen“-Flügel um Sarah Wagenknecht versucht dagegen aktiv Proteste gegen die Inflation zu organisieren. Praktisch scheint der Flügel dabei zu testen, wie viel Basis er tatsächlich hat, um den Erfolg eines Bruchs mit der Linkspartei abschätzen zu können. Dabei strebt er eine Volksfront von Arbeiter_innenklasse und kleineren Unternehmen an, um die Lasten der Krise abzufedern. Seine Kritik an Sanktionen und der Abwälzung der Krisenkosten formuliert er jedoch nicht aufgrund von internationaler Klassensolidarität. „Aufstehen“ kämpft für ein „sozialeres Deutschland“, dessen durch Frieden mit Russland florierende Wirtschaft mehr Spielraum für Umverteilungspolitik hätte. Die Bewegungslinke will zwar laut eigenen Aussagen zwar eine Massenbewegung gegen die Regierung aufbauen, traut sich jedoch nicht die nötige Konfrontation mit anderen Flügeln einzugehen. Obwohl sie eine Mehrheit im Parteivorstand stellt, hat sie bisher nichts von ihren eigentlich fortschrittlichen Forderungen umgesetzt. Im Ernstfall haben ihre Mitglieder bisher auf den Parteitagen mit den Regierungssozialist_innen gestimmt und damit offenbart, dass sie keinen Kampf um die Partei für ein sozialistisches und „bewegungsorientiertes“ Programm führen wollen.

57. Die Anzeichen, dass der Wagenknecht-Flügel die Partei verlässt, nehmen dabei zu. Dies sieht man an den Streitereien innerhalb des Hamburger Landesverbandes oder beispielsweise dem Schreiben des NRW Landesvorstandes, bei dem der gesamte Vorstand sich nicht zur Wiederwahl bereit erklärte und ihre Erklärung zuerst der Presse zuschickte und dann den eigenen Strukturen. Vertreter wie Dieter Dehm, der zwar nicht 100% dem Wagenknecht-Flügel zu zuordnen ist, erklärten zudem öffentlich die Notwendigkeit einer neuen linken Initiative mit den Worten„Es muss eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt“. So kann es sein, dass gerade im Hinblick auf die Europa-Wahl 2024 sich dieser Teil aus der Linkspartei verselbständigt um sich dort eigene Posten zu sichern. Sollte der Flügel rund um Wagenknecht und Populäre Linke die Partei im aktuellen Zustand verlassen, wird dies die Zersetzungserscheinungen beschleunigen. Praktisch bedeutet das ein weiteres Schrumpfen der Linkspartei, da schon jetzt mehr und mehr Aktivist:innen durch die andauernde öffentliche Schlammschlacht zwischen Parteiführung und Bundestagsfraktion bei gleichzeitigen Ausbleiben von Erfolgen demoralisiert sind, von Wähler:innen ganz zu schweigen.

Der interne Machtkampf ist dabei von der Idee geprägt, dass der „stärkere“ Flügel den anderen in Schach hält, da viele – inbesondere Vertreter:innen der Bewegungslinken (und M21-Mitglied) wie Christine Buchholz, der Idee nachhängen, dass eine weitere Spaltung zur Irrelevanz der Partei führen würde. Dies stimmt nur bedingt. Hätte es früher eine klare Abtrennung der populistischen Politik gegeben, verbunden mit einem Rausschmiss Wagenknechts hätte so eine Handlungsfähigkeit der Partei unter einem positiven Vorzeichen hergestellt werden können. Dies wäre auch jetzt noch möglich, nur setzt man eher auf Blockaden statt inhaltlicher Diskussion und gemeinsame Mobilisierungen aus Angst mehr Leute an das gegnerische Lager zu verlieren wie man an der Praxis in Leipzig sehen konnte. Dort iniitierte Sören Pellmann (einer der drei Gründe warum die Linke überhaupt noch im Bundestag ist) Anfang September einen Protest gegen die Inflation, nur um im Oktober bei der Aktion organisiert von Juliane Nagel und Katharina König-Preuss nicht reden zu dürfen.

Klimabewegung in der Sackgasse

58. In den letzten Jahren gab es gewaltige internationale Proteste der Klimabewegung. Trotzdem wurden keine relevanten politischen Verbesserungen erreicht. Der Ausstoß von Treibhausgasen hat sich sogar erhöht (abgesehen von dem Lockdownjahr 2020). Folglich befindet sich die Klimabewegung in einer Sackgasse. Alle bisher angewandeten Methoden waren anscheinend unzureichend, um etwas zu verändern. NGO´s und die Grünen haben sich spätestens seit dem Kohleverlängerungsgesetz als unfähig gezeigt wirklich etwas für das Klima zu tun. Die freitäglichen Schulstreiks von FFF gibt es schon lange nicht mehr, die Aktionstage werden immer kleiner. Auch die Waldbesetzungen haben sich als symbolische Aktionen einer scheinradikalen Minderheit ohne größere Bedeutung entpuppt. Das Gleiche gilt im Grunde genommen für das Bündnis Ende Gelände, welches nicht über ein reformistisches Programm und symbolisches Eventhopping hinausging. Die Aktionen von „die letzte Generation“ oder XR konnten nur Arbeiter_Innen ärgern, die zur Arbeit wollten, nicht jedoch die Regierungen zum Umdenken bewegen. Keine der genannten Bewegungen und Organisationen hat eine Verbindung zur Arbeiter_Innenklasse gesucht, obwohl ihre Streikmacht alleine Druck auf Regierung und Kapital ausüben kann. Zum Teil wurde ein Schulterschluss zur Klasse sogar abgelehnt, obwohl er sich aufgedrängt hat, wie z.B. rund um die Ende Gelände Proteste in Hamburg, die parallel zu dem beeindruckenden Streik im Hamburger Hafen stattfanden.

59. Die Ampelkoalition, bürgerliche Medien und Teile der kleinbürgerlich geprägten Umweltbewegungen nutzen den Ukrainekrieg und die Wirtschaftskrise als Grund, um Investitionen in grüne Technologien, Green New Deal und Umweltfragen in den Hintergrund zu schieben. Während es massive Investitionen in Aufrüstung und zur Unterstützung von Unternehmen gibt, wird uns weisgemacht, diese Depriorisierung von Klimafragen wäre alternativlos, weil andere Krisen im Vordergrund stünden. So kommt es, dass Atomkraft wieder im Gespräch ist und Kohlekraftwerke länger laufen sollen, als bisher geplant, während ein Aufschrei der Klimabewegung und große Mobilisierungen ausbleiben. Teile der Umweltbewegung gehen auch so weit, den Kurs der Regierung nicht nur passiv mitzutragen, sondern den Krieg des Westens gegen Russland zu unterstützen und ihn als Chance eines Ausstieges aus fossilen Brennstoffen zu sehen (z.B. in Teilen von FFF). Das Dogma von Luise Neubauer: „Wir haben eben Krieg, dann gibt es halt eine unpopuläre Politik“, setzt sich durch.

Radikale Linke und Klimabewegung

60. Das Mobilisierungspotenzial der radikalen Linken stagniert weiterhin. Hauptgrund dafür ist die Abwesenheit von klaren Positionen (oder gar Kampagnen) zu den drängenden Fragen der Zeit: Ob Corona-Krise, Klimakrise, Krieg, Rassismus, Inflation oder Frauenbefreiung. Eine Hauptursache stellt dabei die Führungskrise der Arbeiter_innenklasse und ihre Abwesenheit als ein in den Verlauf der Geschichte eingreifendes Subjekt dar. Vorherrschende reformistische oder postmoderne Ansätze bieten keine Antworten auf die drängenden Krisen und machen die Gruppen der radikalen Linken unfähig, über isolierte Großmobilisierungen hinaus eine Bewegung aufzubauen (siehe Black Lives Matter, EG, Frauen*streik, …).

61. Die Interventionistische Linke steckt als größte „linksradikale“ Organisation in einer tiefen Krise (3 Ortsgruppen sind ausgetreten), die auf andere sich an ihr orientierende kleinere Gruppen abfärbt. Ihr pluralistisches Aufbaukonzept und ihre Taktik der „breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisse“ scheinen angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht mehr zeitgemäß und unfähig, praktisch in das Geschehen einzugreifen. Ferner hat sich ihre politische Erwartung der Herausbildung eines weltumspannenden Empires (siehe Antonio Negri) angesichts der Blockbildung, der Deglobalisierungstendenz und verschärfter bürgerlicher Angriffe nicht bewahrheitet, was die Organisation auch in eine programmatisch-politische Bedrängnis gebracht hat.

62. Das traditionell-stalinistische Milieu (SDAJ, DKP, MLPD) wurde empirisch in seiner Proklamation der friedliebenden Ambitionen Putins widerlegt (DKP-Slogan im Januar 2022: „Denkst du der Russe will Krieg?“) und hat Schwierigkeiten angesichts der neuen globalen Kräftekonstellation eine Position herauszubilden. Die Kommunismuskonferenz der Kommunistischen Organisation blieb mit 200 Teilnehmer_innen hinter den Erwartungen einen Umgruppierungsprozess anzustoßen zurück, sollte jedoch weiter beobachtet werden. Die traditionell maoistisch ausgerichteten Migrant_innenorganisationen haben noch wie vor eine große Mobilisierungskraft in den jeweiligen Diaspora-Communities. Sie stehen jedoch vor dem Problem, dass gerade das Bewusstsein von Jugendliche stärker durch ihre Klassenlage und die damit verknüpfen Alltagsprobleme bestimmt wird, als die Diasporapolitik der Organisationen ihrer Eltern.

63. Positiv zeichnet sich ab, dass die Forderung nach Vergesellschaftung von Unternehmen an Popularität gewonnen hat (siehe: 800 Menschen bei Vergesellschaftungskonferenz). Der erfolgreiche Volksentscheidung von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ in Berlin hat sicherlich dazu beigetragen und zeigt zugleich dessen Probleme auf. So gilt es in der kommenden Konferenzperiode einen ideologischen Kampf um die Frage zu führen, ob diese Vergesellschaftung über Art. 15 des Grundgesetzes vor dem Gericht erstritten oder über politische Streiks in den betreffenden Betrieben durchgesetzt werden muss. Ebenso, ob die Kontrolle über die Vergesellschaftung in der Hand einer „Anstalt öffentlichen Rechts“ oder den Beschäftigten liegt. Die Forderung nach einer Vergesellschaftung des Energiesektors gewinnt aktuell in der Klimabewegung an Popularität und bildet ein vielversprechendes Bindeglied zur Antikrisen- bzw. Anti-Inflationsbewegung.

Lage der Jugend in Deutschland

64. Die Inflationsrate ist für Jugendliche bis zu 4 mal höher. Jugendliche haben in den meisten Fällen kein oder nur ein sehr geringes Einkommen. Bereits im Zuge der Pandemie haben viele ihre Nebenjobs verloren oder werden sie Blick auf die zu erwartende Rezession verlieren. Gleichzeitig sind die Preise von Waren, die verstärkt von Jugendlichen konsumiert werden, besonders stark angestiegen. Beispielsweise sind die Preise für linierte Blöcke (brauch man in der Schule) um 13% angestiegen. Viele können sich das Mensaessen nicht mehr leisten oder müssen auf Brötchen mit Ketchup zurückgreifen. Da neben sinkenden Einkommen und teureren Konsumgütern ebenso Mieten und Nebenkosten drastisch angestiegen sind, werden Jugendliche in Deutschland in der kommenden Konferenzperiode noch stärker an den elterlichen Haushalt gebunden bleiben.

65. Dies trifft noch stärker auf migrantisierte Jugendliche zu, die zudem teilweise in prekären und repressiven Familienstrukturen gezwungen sind, die eigene Familie noch finanziell durch Nebenjobbing zu unterstützen. Polizeigewalt ist ferner weiterhin ein Thema, was nicht aus den Leben migrantisierter Jugendlicher wegzudenken ist. Allein im August 2022 haben rassistische Polizist_innen sogar 4 migrantisierte Menschen erschossen. Jugendliche mit russischem Migrationshintergrund werden in der Schule oder in Peergroups verstärkt bloßgestellt und in Rechtfertigungsdruck für einen Krieg gebracht, für den sie nichts können.

66. Schüler_innen werden angesichts der geplanten Bildungskürzungen in einigen Bundesländern besonders am Anwachsen der Klassengrößen sowie am Ausfall von Unterricht bei gleichbleibenden Leistungserwartungen durch den Lehrer_innenmangel zu leiden haben. Ferner ist zu erwarten, dass die Schulen im Winter von einer erneuten Covid-Welle erfasst werden, zur starken Belastung für die Jugendlichen und ihre Familien werden wird. Dabei ist Long-Covid eine Folgeerkrankung auf eine Covid-Infektion von der viele Jugendliche betroffen sind, auf die in der Schule aber keinerlei Rücksicht genommen wird.

67. Auch die Einkommen von Azubis und Studierenden werden weiter durch die Inflation schrumpfen, da weder BAföG noch Mindestauszubildendenvergütung an die Inflation angepasst werden. Gleichzeitig werden sie beim Berufseinstieg mehr Schwierigkeiten haben, da Unternehmen mit Blick auf eine Rezession weniger Menschen einstellen oder geringere Löhne zahlen. Für Azubis sinken dabei die Übernahmechancen massiv ab.

68. All dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Bewusstsein von Jugendlichen. Politisierte Jugendliche aus der Generation Z und jünger kennen eigentlich keine Welt mehr ohne existenzbedrohende Krisen und wurden zwischen Klimakrise, Corona-Krise, Ukrainekrieg und Wirtschaftskrisen sozialisiert. Laut einer Studie des Forsa Meinungsforschungsinstituts haben 72 Prozent der unter 30 Jährigen große Angst vor der Inflation. Damit sind sie die Altersgruppe, der die Inflation die meisten Sorgen bereitet. Die Coronapandemie bereitet laut der Studie dagegen nur 30% Sorgen, was vermutlich an einer Gewöhnung an den Krisenzustand sowie der Angst vor weiteren Schulschließungen liegt. Der Ukraine-Krieg und die Klimakrise bereiten jeweils 50 % der befragten Jugendlichen Sorgen. Über 50 % lehnen jedoch eine stärkere Einmischung Deutschlands in den Krieg ab. Wachsende Ängste, Einschnitte durch die Coronapandemie, eine verschärfte Konkurrenz um Arbeitsplätze, Schulnoten und soziales Prestige sowie gestiegene Leistungserwartungen verursachen einen Anstieg von psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen um über 20 Prozent. In dieser dauerhaft krisenhaften und oft hoffnungs- und perspektivlosen Lage gilt es, Perspektiven aufzuzeigen und Antworten auf bestehende Probleme und Krisen zu bieten, auch solche, die sofortige Verbesserung der Lage bewirken.




4 Fragen und 4 Antworten zur aktuellen Inflation: Woher sie kommt und was wir dagegen tun müssen

Von Romina Summ

Unser Alltag ist seit den letzten Monaten von andauernden Preissteigerungen geprägt. Früher konnte man sich in der Mittagspause mal einen Döner für 3,50 € holen, mittlerweile bekommt man für unter 5 € kaum noch ein Mittagessen am Imbiss nebenan. Genauso sieht es mit den meisten Lebensmittelkosten und sonstigen Lebensunterhaltungskosten aus. Alles wird teurer. Das stellt für fast alle lohnabhängigen Menschen, aber besonders auch für uns junge Menschen ohne festes Einkommen ein riesiges Problem dar.

Welche Ursachen hat die aktuelle Inflation?

Preisschwankungen können verschiedene Ursachen haben. Die Preise auf kapitalistischen Märkten sind im Grund immer und zu jeder Zeit gewissen Preisschwankungen ausgesetzt. Oft sind zum Beispiel Preise gerade am Anfang des Monats höher als am Ende des Monats. Das liegt daran, dass am Anfang des Monats nach Gehaltszahlungen mehr Geld bei den arbeitenden Menschen vorhanden ist und mehr konsumiert werden kann. Gegen Ende des Monats sinkt dann die Nachfrage, womit ein Überschuss an Waren auf dem Markt ist. Um diese Waren überhaupt noch loszuwerden, muss der Preis sinken. Schließlich ist es für das Kapital besser eine Ware etwas billiger zu verkaufen als gar nicht.

Preisschwankungen können jedoch auch auf eine Veränderung von Angebot oder Nachfrage zurückgehen. Wenn zum Beispiel die Menge an angebotenen Produkten auf dem Markt zurückgeht (z.B. wegen Lieferengpässen), kann dieses Angebot die gleichbleibende Nachfrage nicht bedienen. Es kommt zu einer Steigerung des Preises, wodurch sich nun weniger Leute die Produkte leisten können und die Nachfrage zurückgeht und sich so dem Angebot angepasst hat. Die derzeitige Inflation hat ihre Ursachen genau in einem solchen Rückgang des Angebotes. Wenn also weniger Waren angeboten werden, steigen die Preise, da das Weniger an Waren stärker nachgefragt wird. Die Ursachen für die aktuelle Inflation liegen in den globalen Krisen, die gerade unser Leben bestimmen. Angefangen hat es damit, dass durch pandemiebedingte Lockdowns globale Lieferketten unterbrochen wurden, was zu einer mangelnden Auslastung der Produktionskapazitäten führte. Viele Rohstoffe oder Vorprodukte konnten nicht geliefert werden oder nur mit starken Verzögerungen. Die Auswirkungen zeigen sich bis heute noch und haben zu einem Angebotsschock geführt. Die gleichbleibende Nachfrage ist auf ein extrem sinkendes Angebot gestoßen. Das hat die Preise zunächst in die Höhe getrieben.

Als im Februar der Angriffskrieg auf die Ukraine von russischer Seite begann, antworten die Regierungen der NATO-Staaten mit historisch unvergleichbar harten Sanktionen, welche das Angebot weiter reduzierten. Diesmal beim Gas. Außerdem legte der Krieg die Wirtschaft in der Ukraine, ein Land, welches einen großen Teil der Welt mit Getreide versorgt, (10 % des weltweiten Getreidemarktes, 15 % des Maismarktes) lahm. Dies hatte Auswirkungen auf das Angebot von Lebensmittelpreisen, wodurch auch hier die Preise in die Höhe schießen. Dass sich die Preissteigerungen aber mittlerweile auf fast alle Produkte bei uns niederschlagen, liegt daran, dass für die Produktion Energie benötigt wird. Die gestiegenen Energiekosten schlagen sich somit auf die Endprodukte nieder und spiegeln sich im Preis wider. Dadurch dass die meisten Energiekonzerne und Mineralölkonzerne eine Monopolstellung im Markt inne haben, können sie leichter Preise heben, da es wenig Konkurrenz gibt, die günstiger anbietet. Daher zeichnen sich in dieser Branche in den letzten Monaten Rekordgewinne ab, während immer mehr Menschen verarmen.

Gab es auch vor Pandemie und Ukraine-Krieg schon Inflation?

Die Ursachen der Inflation dürfen jedoch nicht losgelöst von der wirtschaftlichen Entwicklung im letzten Jahrzehnt betrachtet werden. Denn bereits vor der Corona-Pandemie gab es Inflationstendenzen, welche anhand von 3 Faktoren, 1. der niedrigen Kapitalverwertung, 2. der steigenden Verschuldung und 3. der Tendenz zur Deglobalisierung deutlich wurden. Schon seit den 2000er Jahren sank die Produktivität der Weltwirtschaft, was letztlich auch zur großen Finanzkrise im Jahr 2008 geführt hat. Erholen konnte sich die Wirtschaft davon nie wirklich und die Verwertung von Kapital blieb bis heute niedrig. Das bedeutet, dass aus investiertem Kapital durchschnittlich nur niedrige Gewinne abflossen. Dadurch gingen Investitionen und Handel zurück und führten zu einer stagnierenden Kapitalakkumulation (Anhäufung von Kapital durch Investitionen) und niedrigen Profitraten.

Auch die hohe Verschuldung von Staaten und Unternehmen begünstigt in diesem Zusammenhang die Inflationstendenz. Zu Beginn der Coronakrise lag die Verschuldung bei dem 2,6-fachen des Welt-GDP (Bruttoinlandsprodukt aller Länder), mittlerweile sind wir beim über 3-fachem. Schulden sind allerdings nur dann inflationstreibend, wenn die Verwertung der aufgenommenen Kredite nicht mehr produktiv ist. Einfache Verbraucherkredite hingegen führen nicht zur Inflation. Beispiel: Wenn ein Land oder Unternehmen Kredite zu einer Kondition von 7 % Zinsen aufnimmt, aber dieses Geld im Verwertungsprozess (Investition in Produktion, Verkauf von produzierten Waren, Gewinnabschöpfung) nur 3 % Gewinn abwirft, ist die Produktivität geringer und es würde durch die Aufnahme von Krediten nur eine weitere Verschuldung stattfinden. Eine solche Schuldenentwicklung, wie sie sich in Ländern wie Italien zeigt, treibt die Inflation voran.

Zuletzt ist es die Entwicklung zur Deglobalisierung, die die Inflation, am schlimmsten in den abhängigen halbkolonialen Ländern vorantreibt. Weg von der Globalisierung geht der Trend hin zur Verlagerung der Produktion aus den halbkolonialen Ländern zurück in die imperialistischen Länder. Mit entsprechend schlimmen Folgen für die abhängigen Länder: Durch den Abzug von imperialistischem Kapital sinkt der Handel vor Ort, was wiederum dazu führt, dass die lokale Währung nicht mehr so gefragt ist und verfällt. Hinzu kommt, dass durch den Abzug von Fabriken und Kapital mehr importiert werden muss und die Arbeitslosigkeit steigt. Sowohl der Verfall der Währung als auch die teureren Importe feuern die Inflation besonders in diesen abhängigen Ländern an und führen zu einer Verelendung der Menschen. Aufgrund dieser Entwicklung hat sich schon vor dem Krieg und vor der Coronapandemie in vielen südlichen Ländern eine starke Inflation abgezeichnet. Wir sehen also, dass es direkte Ursachen für die aktuelle Inflation im Krieg und in der Pandemie gibt. Diese Aspekte haben aber eine schon dagewesene Krise des Wirtschaftssystems mit inflationären Tendenzen verschärft.

Was bedeutet das für uns?

In genau diesen Ländern ist die Krise nun besonders drastisch und führt teilweise zur Hyperinflation. In Argentinien sind die Menschen teilweise aufgrund der Inflation von knapp 80 % zum Tauschhandel übergegangen. Im Sudan liegt die Inflationsrate sogar bei über 200 %. Der Hunger und der Kampf ums tägliche Überleben bekommen gerade in diesen Ländern eine immer wichtigere Bedeutung. Doch auch hierzulande sind die Auswirkungen der massiven Preisanstiege insbesondere für Menschen ohne festes Einkommen, wie Jugendliche, Studierende oder Arbeitslose, ziemlich verheerend. Alles wird teurer, aber Geld ist sowieso nicht vorhanden. Viele von uns haben bereits vorher schon am Existenzminimum gelebt und haben keine Ersparnisse, sodass wir nun nicht wissen, mit welchem Geld wir die Preissteigerungen bezahlen sollen. Ebenso haben auch Arbeiter_Innen mit einem festen Einkommen bereits große Probleme. Auch ihnen droht durch die Inflation Verarmung. Durch die höheren Preise verlieren sie immer größere Teile ihres Lohns. Die Gewerkschaften hätten die Möglichkeit höhere Löhne, die nicht sofort wieder von der Inflation aufgefressen werden, für die Arbeiter_Innen zu erkämpfen. Anstatt in die Offensive zu gehen, halten sie sich jedoch in den aktuellen Tarifverhandlungen (IG-Metall fordert lediglich 8% Lohnerhöhung) viel zu stark zurück.

Und während die Armut weltweit größer wird, werden die Gewinne einiger Konzerne, vor allem die der Ölkonzerne, immer größer. Besteuerung oder Umverteilung? Fehlanzeige! Die Regierung hat zwar drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, doch diese beinhalten unzulängliche Einmalzahlungen für Heiz- und Energiekosten, für Empfänger_Innen von Sozialleistungen und Arbeitslosengeld und die Anhebung von Kindergeld. Das ist jedoch angesichts der eben beschriebenen Probleme nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Selbst das eher unternehmerfreundliche Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass von 10 Milliarden Euro des 3. Entlastungspaketes ganze 70% an die oberen 30% der Gesellschaft gehen. Die Armen gehen also weiterhin ziemlich leer aus. Das liegt nicht daran, dass die deutsche Regierungskoalition zu unfähig ist, sich effektive Entlastungsmaßnahmen auszudenken, sondern daran, dass ihre Politik in erster Linie die Profite der Unternehmen sichern soll, um der deutschen Wirtschaft ihren Ruf als „Exportweltmeister“ zu erhalten. Die geplante Gasumlage war ein gutes Beispiel dafür. Nur durch massiven Druck von der Straße konnte ihre Umsetzung letztlich verhindert werden.

Was können wir tun?

Nicht wir sollen für diese Krise zahlen, sondern diejenigen, die sie selbst verursacht haben. Vorschläge wie die Einführung einer Übergewinnsteuer gehen dabei schon einmal in die richtige Richtung. Dabei sollen Unternehmen, die besonders hohe Profite durch die Krise gemacht haben, stärker besteuert werden, um Sozialleistungen für Lohnabhängige, Arbeitslose, Jugendliche und Rentner_Innen zu finanzieren. In Spanien wurde eine solche Steuer bereits eingeführt und damit ein kostenloser ÖPNV finanziert. Maßnahmen wie diese müssen wir unterstützen, auch wenn sie noch nicht weit genug gehen. Mit einer kurzzeitig höheren Besteuerung können zwar die Symptome der Inflation ein wenig abgefedert werden, jedoch bleiben ihre Ursachen unangetastet. Dafür müssen wir die Energiekonzerne enteignen und unter demokratische Kontrolle der Konsument_Innen und Beschäftigten stellen. Nur so können wir sicherstellen, dass die Unternehmen ihre Verluste nicht zu Lasten ärmerer Länder ausgleichen und dabei eine ökologische Transformation weg von fossiler Energiegewinnung organisieren. Eine Umgestaltung der Wirtschaft, hin zu einem ausgeglichenen Kreislauf zwischen Mensch und Natur, kann jedoch letztlich nur in einer demokratischen Planwirtschaft erfolgen, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Natur die Produktion bestimmen. Um dahin zu kommen, müssen wir im Hier und Jetzt Forderungen aufwerfen, die eine Antwort auf die sozialen Verwerfungen der Inflationskrise geben und zugleich den Massen aufzeigen, dass sie selbst die Macht erobern müssen, um der Barbarei zu entkommen.

Wir fordern:

  • Lehrmittelfreiheit! Schulbücher, Hefte, Stifte, digitale Endgeräte und auch das Schulessen müssen kostenlos für alle sein!
  • Eine Erhöhung des Mindestlohns und der Renten! Für ein elternunabhängiges Grundeinkommen für Jugendliche von 1600 € monatlich!
  • 9€-Ticket vorbei? Macht den ÖPNV endlich kostenlos!
  • Für eine gleitende Skala der Löhne, die automatisch an die steigende Inflationsrate angepasst wird!
  • Stoppt die Preisexplosionen! Sofortige Preisdeckel für Energie, Lebensmittel und Mieten!
  • Für eine stärkere Besteuerung derjenigen, die an der Krise verdienen! Legt ihre Geschäftsbücher offen und enteignet die, die sich weigern, die Steuer zu bezahlen!
  • Geld für Soziales, Bildung und Gesundheit statt 100 Milliarden für die Bundeswehr!

Diese Forderungen werden sich nicht von selbst umsetzen. Wir müssen schon selbst dafür kämpfen, dass die Krise nicht auf unserem Rücken ausgetragen wird. Dabei müssen wir auch klar machen, dass wir den hinterhältigen Angriff Russlands auf die Ukraine klar ablehnen, jedoch in den Sanktionen kein Mittel sehen, das den Krieg aufhält. Vielmehr versuchen imperialistische Staaten wie die USA oder Deutschland mit den Sanktionen eine missliebige Konkurrenz wie Russland zu schwächen, und das auf dem Rücken der Ukraine, der russischen Arbeiter_Innen und von uns. Was wir brauchen ist internationale Klassensolidarität unter dem Slogan „No Putin, No NATO“.

Auch wenn die Positionen der Organistor_Innen zum Ukraine-Krieg weit auseinandergehen, gibt es bundesweit bereits regelmäßig Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Folgen der Inflation. Verschiedene Bündnisse wie „Genug ist genug“ oder „Brot, Heizung, Frieden“ versuchen linke Initiativen und Organisationen hinter gemeinsamen Forderungen zu vereinen. Zentral ist dabei, ob sie es schaffen werden, die Gewerkschaften und auch linke Teile der SPD und der Linkspartei für sich zu gewinnen und diese zur Mobilisierung ihrer Mitgliedschaft zu bewegen. Nur mit Massendemonstrationen und Streiks werden sich diese Forderungen auch tatsächlich durchsetzen lassen. Jedoch wäre das nicht die erste soziale Bewegung, in der SPD, Linkspartei und Gewerkschaften am Start waren, und die Bewegung jedoch vielmehr ins System integriert anstatt im Kampf gegen das System unterstützt haben. Deshalb müssen wir Aktionskomitees in unseren Schulen, Unis, Stadtteilen und Betrieben aufbauen, uns von unten organisieren und verhindern, dass die Reformist_Innen die Führung an sich reißen. Aktuell bleibt jedoch noch offen, ob der viel beschworene „Heiße Herbst“ eine rechte oder linke Richtung annehmen wird. Mit bürgerlichen Forderungen nach einem Wiedereinstieg in die Atomenergie oder einer Verschiebung des Kohleausstieges versuchen die Rechtspopulist_Innen die sozialen Verwerfungen für sich zu nutzen. Auch Forderungen nach Aufhebung der Sanktionen gegen Russland finden sich bei den Rechten. Ihnen geht es dabei jedoch nicht um internationale Klassensolidarität, sondern um’s „deutsche Volk“. Es geht ihnen darum, deutsche Kleinunternehmen, die durch die Sanktionen in Bedrängnis geraten sind, wieder zahlungsfähig zu machen. Es liegt an uns, die Rechten von unseren Demos zu schmeißen und eine klarere und entschiedenere Perspektive von links aufzuzeigen, wollen wir die Folgen der Inflation abfedern und aus dieser Defensive in die revolutionäre Offensive übergehen!




Soziale Proteste müssen internationalistisch sein!

Gemeinsame Stellungnahme von REVOLUTION, Gruppe ArbeiterInnenmacht, SDAJ, DKP, MLPD, Zora, Internationale Jugend und Handala zu dem Angriff auf palästinensische Genoss:innen in Leipzig

Was ist passiert?

Am 15.10.22 organisierte das Bündnis „Jetzt reicht’s!“ eine Demonstration gegen die Teuerungen. Gemeinsam als Internationale Jugend, Solidaritätsnetzwerk, ZORA, Revolution, GAM und der palästinensischen Gruppe Handala organisierten wir hierfür einen klassenkämpferischen Block. Dem Aufruf folgten einige Palästinenser:innen, die die Krisenpolitik in Deutschland mit Antikriegspositionen, internationaler Solidarität und dem eigenen Kampf gegen die Unterdrückung durch den Staat Israel verbanden. Auf einem Pappschild wurde das Ende der Besatzung palästinensischer Gebiete gefordert und die Landkarte in den Farben Palästinas gezeigt.

Daraufhin wurde der klassenkämpferische Block umzingelt, bedrängt und mit der Parole: „Kannibalismus gehört zu unsern Riten – esst mehr Antisemiten!“ beschallt, was mit palästinasolidarischen Parolen beantwortet wurde. Aufgrund der zunehmend aggressiver werdenden Stimmung, stellte sich der Block schützend um „Handala“ auf. Anschließend erschienen auch mehrere Polizist:innen, wohl von den Ordner:innen gerufen. Nach kurzer Zeit und einigen Diskussionen schnitt Handala die Landkarte aus der Pappe heraus und hielt das angepasste Schild nach oben, inzwischen konform mit dem „Demokonsens“. Juliane Nagel (Die Linke) reichte das allerdings nicht aus. „Verpisst euch!“, „Ich hol die Polizei!“, „Ihr nutzt meine Strukturen aus!“ waren nur einige der von ihr getroffenen Aussagen. Unsere Kommunikationspersonen verhielten sich jederzeit deeskalierend und gingen nicht weiter auf die Aussagen ein.
Dabei blieb es jedoch nicht. Juliane Nagel drang in den Block ein, schubste Genoss:innen zur Seite und entriss dem palästinensischen Genossen gewaltsam die Pappe, mit dem Ziel diese zu zerstören. Teilnehmer:innen des Blocks wurde außerdem aggressiv und aus nächster Nähe eine Handykamera vors Gesicht gehalten. Auf die Bitte, das zu unterlassen, argumentierte einer der filmenden Personen, Marco Dos Santos, lediglich mit der „Pressefreiheit“, die dieses Verhalten rechtfertigen würde. Letztlich konnten wir durchsetzen, alle gemeinsam, auch mit unseren palästinensischen Freund:innen, einen sichtbaren und lautstarken Block auf der Demo zu bilden und gemeinsam gegen Krieg und Krise zu kämpfen.

Das Argument mit dem Demokonsens

Auf der Demonstration gab es den Demokonsens, dass keine Nationalfahnen gezeigt werden dürfen. Palästina ist jedoch, genauso wie Rojava, kein Staat, was einen qualitativen Unterschied bedeutet. Es ist ein Unterschied, ob man die Fahne kapitalistischer Unterdrückerstaaten zeigt oder die Fahnen von nationalen Freiheitsbewegungen wie in Rojava oder Palästina. Außerdem ist es nicht verhältnismäßig, einen Demokonsens wegen einer kleinen Pappe mit solchen aggressiven Maßnahmen durchzusetzen. Trotzdem wurden die palästinensischen Farben von unseren Genoss:innen zur Deeskalation aus der Pappe herausgeschnitten. Und siehe da: es wurde weiter aggressiv und gewaltsam gegen uns vorgegangen. Der Demokonsens war also nur ein vorgeschobenes Argument. Es ging ganz offensichtlich um etwas anderes: Migrantische, israelkritische Stimmen sollten zum Schweigen gebracht und sozialer Protest von internationalen Kämpfen künstlich getrennt werden.

„Das Thema hat hier nichts zu suchen!“

Wer internationale Kämpfe, Antikriegskämpfe, antirassistische Kämpfe und antikoloniale Kämpfe von sozialen Protesten „im eigenen Land“ trennt, hat es offensichtlich nicht geschafft, die Wirtschaftskrise in einen globalen Kontext zu setzen. Krise und Krieg hängen unweigerlich miteinander zusammen und gehören zum kleinen Einmaleins einer linken Analyse, die über die eigenen Staatsgrenzen hinaus reicht. Das ist genau das, was uns von reaktionären Kräften unterscheidet, die mit ihrem Nationalismus die Arbeiter:innenbewegung spalten möchten. „Internationalismus“ bedeutet das Kontextualisieren und Verbinden von verschiedenen globalen Kämpfen der Ausgebeuteten und Unterdrückten!

Gerade linke Gruppen sind es doch, die Mantra mäßig fordern, die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu verbinden und vor allem auch marginalisierte Gruppen miteinzubeziehen! Die Geschehnisse von Samstag beweisen allerdings: Manche Organisationen und Personen haben wohl keinerlei Interesse an bestimmten internationalistischen und migrantischen Perspektiven in ihrem Aktivismus. Der palästinensische Befreiungskampf wird kategorisch ausgeschlossen und zusätzlich als „Antisemitismus“ diffamiert. Dadurch werden zum einen migrantische Stimmen unterdrückt und zum anderen die Bewegung gespalten und geschwächt. Das nützt alleine der Rechten und dem Kapital!

Anstatt sich also darüber zu freuen, dass Palästinenser:innen Teil der Bewegung gegen die Krise in Deutschland sein möchten, wird unterstellt, dass das Thema „Palästina/Israel“ keinen Bezug zu dem Motto der Demonstration gehabt hätte. Dabei sind es gerade die Länder des globalen Südens, die durch die Ausbeutung und Unterdrückung durch imperialistische Staaten, wie z.B. Deutschland, von der aktuellen Krise in viel schlimmerem Ausmaß getroffen werden. Sie haben jedes Recht dagegen aufzubegehren, auch und gerade in Deutschland. Die Gruppe „Handala“ hat auf ihrer Instagramseite eine genauere Ausführung dazu, was ihr Kampf mit den sozialen Protesten auch in Deutschland zu tun hat.

Der Kampf der Palästinenser:innen und die fehlende Solidarität deutscher Linker

Dass deutsche Linke von palästinensischen Symboliken bis hin zur äussersten Aggressivität getriggert werden, ist ein bekanntes Muster und überrascht uns nicht. Dennoch müssen wir die Heuchelei offenlegen, die die Ereignisse von vergangenem Samstag zeigen. Die Heuchelei einer deutschen Linken, die am laufenden Band die internationale Solidarität mit Befreiungskämpfen verrät und diffamiert, wenn sie nicht in die eigenen Vorstellungen passen. Denn die internationalen Kämpfe im Iran, in Rojava und in Palästina hängen zusammen und lassen sich nicht von den sozialen Kämpfen in Deutschland isolieren. Während erstere Kämpfe von diesen Gruppen ohne Vorbehalt unterstützt werden, ignorieren sie bewusst die Besetzung und Unterdrückung Palästinas.

Wir stehen zum palästinensischen Befreiungskampf!

Für uns internationalistische und antikapitalistische Gruppen in Leipzig ist dieser Angriff auf unsere palästinensischen Freund:innen nicht akzeptabel! Wir werden auch in Zukunft solidarisch mit der palästinensischen Befreiungsbewegung bleiben und dafür sorgen, dass deren Kampf in Leipzig weiterhin präsent ist und mit dem Kampf gegen die Krise des Kapitalismus verbunden wird. Alle Kräfte, die den ernsthaften Anspruch haben internationalistische Politik zu praktizieren, rufen wir dazu auf, sich mit den angegriffenen Menschen zu solidarisieren und Stellung zu dem Vorfall zu beziehen!




Streiks gegen die Krise in Europa

Von Jonathan Frühling

Seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 sind 130 Millionen Menschen in totale Armut abgerutscht. Die Inflation erhöht diese Zahl momentan noch einmal massiv. Die Entwicklung umfasst nicht einzelne Länder und Branchen, sondern den gesamten Planeten. Deshalb formiert sich überall Widerstand von Menschen, die nicht hinnehmen wollen, dass sich die herrschende Klasse ihrer Länder immer noch weiter bereichert. Beispielhaft soll hier genannt werden, dass das Vermögen der 2755 Milliardär_Innen in der Coronapandemie von 4 auf 12 Billionen US-$ gestiegen ist. Deshalb werden momentan weltweit Abwehrkämpfe geführt, in denen die Arbeiter_Innen und Bäuer_Innen versuchen zu verhindern, die Kosten der vielen Krisen zahlen zu müssen. Wir haben uns für euch exemplarisch Bewegungen in Europa angeschaut und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet und versuchen eine Perspektive zu formulieren.

Streiks Europaweit

Norwegen

In Norwegen streikten Anfang Juli Arbeiter_Innen in der Gasindustrie für mehr Lohn, sodass die Gasförderung auf drei Förderplattformen eingestellt werden musste. Relevant war das auch für Deutschland, welches mehr als 30 % seines Gases aus Norwegen bezieht. Die Regierung schritt allerdings nur wenige Stunden nach dem Ausbrechen des Streikes ein und brachte ihn vor ein Schlichtungsgremium, was nach norwegischem Recht legal ist. Begründet wurde das mit den Gasengpässen in Europa und dem Krieg zwischen Ukraine und Russland. Die Gewerkschaften akzeptierten diese Entscheidung

Deutschland

In sechs deutschen Häfen haben die Arbeiter_Innen im Juni und Juli Warnstreiks durchgeführt und damit erreicht, dass Waren nicht umgeschlagen werden konnten. Die Gewerkschaft fordert 14% mehr Lohn in einem Jahr, die Kapitalseite bot 12,5 % in zwei Jahren. Das Angebot liegt damit unter der Inflation und wird von der Gewerkschaft daher richtigerweise abgelehnt.

Die Kapitalseite denkt in Form von „Arbeitgeberpräsident“ Reiner Dulger desweilen laut darüber nach, mit Notstandsgesetzen das Streikrecht zu brechen. So könnte sichergestellt werden, dass die Industrie auf Kosten der Lohnabhängigen ununterbrochen weiterläuft. Das wäre natürlich ein brutaler Angriff auf ein langerkämpftes Streikrecht.

Spanien

Auch in Spanien gibt es momentan Streiks. Hier sind es die Kabinenarbeiter_Innen der Billig-Airlines Easyjet und Ryanair, die der Arbeiter_Innenklasse ein Beispiel geben. Beide Unternehmen sind für ihre schlechten Arbeitsbedingungen bekannt. Die Streiks haben natürlich Auswirkungen in ganz Europa, da die Airlines ausschließlich innereuropäische Flüge durchführen. Zudem kommt hinzu, dass die Branche unter Personalmangel zu kämpfen hat, welcher auch zum Teil auf die niedrigen Löhne zurückzuführen ist.

Großbritannien

Besondere Strahlkraft hatten die Eisenbahner_Innenstreiks der Gewerkschaft RMT in England Ende Juni 2022. Es waren mit 50.000 Streikenden die größten Streiks der Branche seit 30 Jahren und brachten ca. 80 % des Schienenverkehrs auf der Insel zum Stehen. Ziel ist es auch hier, für höhere Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und bessere Renten zu kämpfen, denn die Post-Brexit Gesellschaft wird von Inflation und wirtschaftlichen Problemen besonders hart getroffen. Teile des Staatsapparates haben bereits gewarnt, dass ein Erfolg der Bewegung die Arbeiter_Innenbewegung motivieren kann ähnliche Forderungen in anderen Sektoren zu stellen. Da die britische Regierung gerade zerfällt, ist es eine besonders gute Situation, um den Druck zu erhöhen und weiter Sektoren der Klassen in den Kampf zu führen.

Schwächen der Streiks

Alle genannten Beispiele zeigen, dass es eine Schwäche der Streiks gibt, die zu deren Scheitern oder zumindest zu für die Arbeiter_Innen schlechten Abschlüssen führt. Überall verhandelt nicht die Arbeiter_Innenklasse selbst, sondern stellvertretend eine bürokratische Schicht von Gewerkschaftsfunktionär_Innen. Diese haben aber sowieso einen gut bezahlten und recht sicheren Job, weshalb sie vom Interesse der Arbeiter_Innen losgelöst handeln. Ihnen geht es vor allem darum, ihre eigene Stellung durch schnelle Schlichtungen und einen guten Draht zu Regierung zu sichern, statt die Kämpfe zu eskalieren und so z.B. mehr Lohn für die Arbeiter_Innen zu erkämpfen.

Deshalb liegen die Lohnforderungen, wenn überhaupt, knapp über dem Inflationsausgleich, die Abschlüsse sogar meist darunter! Außerdem sind 1-3-tägige Streiks, die oftmals sogar auf mehrere Wochen verteilt sind, nicht genug, um den Druck wirklich zu erhöhen. Diese Taktik ist nur dafür geeignet, die Bewegung totlaufen zu lassen. Es braucht Forderungen von mindestens 8-10 % mehr Lohn bei 12 Monaten Laufzeit. Diese Ziele können aber nur umgesetzt werden, wenn es einen unbefristeten Streik gibt. Ein kämpferisch geführter Streik erhöht außerdem fast automatisch die Mitgliederbasis der Gewerkschaft. Nur wenn sich die Arbeiter_Innen des Streiks bemächtigen und selbst die Kontrolle darüber haben wann, wo und wofür gestreikt wird und vor allem wann der Streik beendet wird, können sie dem Kapital und der Regierung das Fürchten lehren.

Eine weitere Schwäche ist die Zersplitterung der Kämpfe. Der Grund, wieso die Regierungen und Kapitalist_Innen hier in Europa schnell und entschlossen gegen die Streiks vorgehen wollen, ist überall derselbe: Die Europäische Union und der gesamte Kapitalismus ist in einer Krise, in die uns die Regierungen selbst geführt haben. Kürzlich wurde das durch ihre wirtschaftlichen Angriffe gegen Russland z.B. mittels Sanktionen deutlich. Grund genug für uns gemeinsam auch politische Forderungen aufzustellen, um die Krise in unserem Sinne zu lösen. Damit ist z.B. das Abschaffen der Sanktionen gemeint, die vor allem der Entflechtung und Stabilisierung der europäischen Wirtschaft dienen sollen und in Russland selber eher der Arbeiter_Innenklasse als den Kapitalist_Innen schaden. Auch zur Zahlung der Coronaschulden muss das Kapital zur Kasse gebeten werden. Statt Geld für Rüstung brauchen wir Geld für Krankenhäuser, Schulen, Renten. Natürlich muss die gesamte Infrastruktur dafür wieder in öffentliche Hand geführt werden.

Dies alles sind aber politische Forderungen, die nicht in nationalen Tarifverhandlungen geklärt werden können. Die Arbeiter_Innenklasse muss endlich wieder die politische Bühne betreten und beweisen, dass sie eine gesamtgesellschaftliche Perspektive formulieren kann. Alle hier erwähnten Bewegungen sind defensive Abwehrkämpfe, die dafür sorgen sollen, den Verfall des Lebensstandards aufzuhalten. Wir müssen aber selbst in die Offensive gehen. Oft wird argumentiert, dass in Zeiten von Krisen alle den Gürtel enger schnallen müssen. Aber gerade jetzt zeigt sich, wie unbrauchbar der Kapitalismus geworden ist, um für Wachstum und Wohlstand zu sorgen. Wenn sich die Kämpfe verbinden und ausweiten können wir uns, wie Marx es einst formulierte: „den ganzen alten Dreck vom Hals schaffen.“