Antwort auf die politische Krise: Ab heute Generalstreik in Peru!

Von Jona Everdeen, Februar 2023

Heute kommt es in dem Andenland Peru zum Generalstreik, nicht zum eintägigen, wie wir es die letzten Monate in Frankreich, Belgien und Griechenland erlebt haben, sondern zum unbefristeten!

Durch soziale Massenproteste ist es gelungen die lange zögerliche Gewerkschaftsführung zu diesem Schritt zu bringen! Der Grund für diese Entwicklung: Die Absetzung des linkspopulistischen Präsidenten Pedro Castillo durch einen parlamentarischen Putsch. Aber mal von vorne, wie konnte das alles passieren?

Krisenjahre und Wahl von Pedro Castillo

Bei der Präsidentschaftswahl 2021 gelang überraschenderweise dem Außenseiter Pedro Castillo ein knapper Sieg. Der ehemalige Grundschullehrer, der sich im Lehrer_Innen-Streik 2017 als Streikführer einen Namen gemacht hatte, war angetreten für die kleine, eher linkspopulistische Partei „Peru Libre“.

Er konnte als Außenseiter vor allem deshalb gewinnen, weil in Peru das Vertrauen in die etablierte Politik durch etliche Korruptionsskandale sowie die politischen und ökonomischen Krisen der vergangenen Jahre sehr gering war. Die Zeit vor ihm war geprägt gewesen von ständigen Neuwahlen, abgesetzten Präsidenten und aufgelösten Parlamenten, dazu war es wirtschaftlich immer stärker bergab gegangen und der Sozialstaat hat sich praktisch aufgelöst.

Für Proletariat und ländliche Arme, vor allem aus Südperu, waren die Lasten der Krise so schwer geworden, dass die linkspopulistischen Versprechen des wortradikalen Castillo als einzige Lösung erschienen. Dazu kam auch noch der Aspekt der rassistischen Unterdrückung der indigenen Landbevölkerung, als deren Kandidat sich Castillo präsentiert.

Castillos Reformismus und der Parlamentsputsch

Als Castillo dann als Präsident gewählt und nach einem längeren Hickhack und der Anzweifelung der Wahl durch seine unterlegende Konkurrentin, die Diktatorentochter Keiko Fujimori, vereidigt war, zeigte sich jedoch, dass es mit seiner Radikalität nicht allzu weit her war und er selbst die versprochenen Reformforderungen nicht gegen die Bourgeoisie durchzusetzen gedachte.

So die Verstaatlichung der großen Bergbaubetriebe, vor allem im Kupferbergbau, die zu größten Teilen Konzernen aus imperialistischen Zentren gehören. Kurz nach seinem Amtsantritt reiste jedoch Castillo in die USA und machte dort klar, dass die Imperialist_Innen sich um ihr Privateigentum an Produktionsmitteln auch unter ihm keine Sorgen zu machen brauchen und gerne mehr investieren sollten

Auch das größte Versprechen, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung um die neoliberale von 1993, verfasst durch den Diktator Alberto Fujimori, zu ersetzen, wurde nur zaghaft angegangen und wäre, hätte die Entwicklung nicht Castillos Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht, wohl in einer ähnlichen Farce geendet wie zuvor im benachbarten Chile.

Doch es sollte anders kommen: Am 9. Dezember wurde Pedro Castillo vom Parlament für abgesetzt erklärt und durch die Polizei verhaftet. Noch am selben Tag wurde seine vorherige Vize-Präsidentin Dina Boluarte zur Präsidentin einer neuen „Regierung der nationalen Einheit“ bestehend aus ehemaligen Minister_Innen Castillos und rechten Parlamentsabgeordneten vereidigt.

Das Parlament, in dem rechte Kräfte noch immer die Mehrheit haben, war von Anfang an ein Problem für Castillo und er musste sämtliche etwas radikaleren Reformversprechen aufgeben. Dennoch hatte es zuvor schon zwei Versuche gegeben, Castillo aufgrund fingierter Vorwürfe abzusetzen, nun drohte ein dritter zu gelingen, weshalb Castillo kurzer Hand beschloss, das Heft selber in die Hand zu nehmen und seinerseits das Parlament aufzulösen und Neuwahlen zu veranlassen. In diesem Machtkampf standen jedoch Justiz wie Staatsgewalt (Polizei und Armee) auf Seite der Rechten, wodurch diese am längeren Hebel saßen und ihrerseits Castillo putschen konnten.

Massenprotest und Repressionen

Womit jedoch Dina Boluarte und ihre Regierung nicht gerechnet hatten, war die massive Protestbewegung derer, die ihre Hoffnungen in die Wahl von Castillo gesetzt hatten, die zwar zusehends von ihm enttäuscht waren, aber dennoch gegen den reaktionären Putsch und für Neuwahlen auf die Straße gingen, und zwar in Massen, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hatte. Vor allem in den ländlichen Provinzen Südperus, doch auch in der Hauptstadt Lima schlossen sich ihnen die proletarischen und prekarisierten Massen, die armen Jugendlichen und die Studierenden an. In mehreren Provinzen wurden Generalstreiks ausgerufen und durchgeführt, Flughäfen wurden besetzt, alle wichtigen Straße blockiert.

Die Gewalt mit der Boluartes Regime antwortete war brutal: So wurden die Demonstrierenden als Terrorist_Innen dargestellt, in fast allen Regionen der Ausnahmezustand ausgerufen, somit de facto der Polizeistaat eingeführt und von diesem dann auch Gebrauch gemacht. In Lima wurde eine von Studierenden besetzte Universität mit Panzerwagen gestürmt. Über 60 Menschen wurden inzwischen von der Polizei ermordet und Hunderte teils schwer verletzt, die meisten von ihnen durch Schüsse mit scharfer Munition.

Doch die Repression konnte die Massen nicht einschüchtern. Im Gegenteil, wie bereits zuvor gesehen in Ecuador und Kolumbien, sowie auch nach dem Mord an George Floyd in Minneapolis, wurden Polizeiwachen in Städten, in denen Menschen ermordet worden waren, in Brand gesteckt. Doch trotz der enormen Wut und dem großen Mut der peruanischen Massen gelang es bisher noch nicht die Putschregierung Boluartes zu Fall zu bringen oder zumindest Neuwahlen erreichen. Woran es fehlte, war eine zentrale Koordinierung der Aktionen. Außerdem verhielten sich einige Gewerkschaften, vor allem im zentralen Bergbausektor, bisher eher passiv und abwartend.

Perspektiven   

Nun könnte sich diese Schwäche aufheben, da die Führung des zentralen Gewerkschaftsverbandes nun endlich den landesweiten unbefristeten Generalstreik für heute, den 9. Februar, ausgerufen hat!

Wichtig ist nun, dass sich diese auch tatsächlich alle, städtische wie ländliche Arme, Jugendliche, Studierende, ländliche Arbeiter:Innen sowie vor allem die in den Schlüsselsektoren, dem Bergbau, den Häfen und Flughäfen, anschließen!

Einhergehen muss dieser Generalstreik ebenfalls mit der Gründung von Streikräten in den Betrieben, Schulen, Unisversitäten und ländlichen Kommunen, die auch den Widerstand gegen die von Boluarte und ihren Schergen ins Feld geführte Polizei durch Bildung von Arbeiter_Innen- und Bäuer_Innen-Milizen organisieren!

Diese müssen die Regierung Boluarte absetzen und durch eine provisorische Einheitsfrontregierung aller Arbeiter_Innen-Parteien ersetzen, die schnellstmöglich Neuwahlen und eine echte, demokratische verfassungsgebende Versammlung einberuft, die auf den zuvor geschaffenen Räten basiert.

Wir sind solidarisch mit den Arbeiter_Innen, den kämpfenden Jugendlichen und der ländlichen, meist indigenen, Bevölkerung in Peru! Daher fordern wir:

  • Nieder mit der Boluarte-Regierung! Für die Auflösung des reaktionären korrupten Parlaments und Neuwahlen sowie eine echte verfassungsgebende Versammlung unter Kontrolle der Massen!
  • Die Freilassung des demokratisch gewählten Präsidenten Pedro Castillo!
  • Ein sofortiges Ende des Ausnahmezustands und der mörderischen Polizeigewalt!
  • Schluss mit der Legitimierung der peruanischen Putschist_Innen durch westliche Sozialdemokrat_Innen wie die Podemos-Regierung in Spanien!
  • Den sofortigen Stopp jeglicher Lieferungen von Materialien zur Aufstandsbekämpfung an die peruanische Regierung, sollte weiter geliefert werden, die Blockade dieser Lieferungen und Beschlagnahmung der Materialien durch Arbeiter_Innen der jeweiligen Länder!



An die revolutionäre Jugend von Chile!

Den folgenden offenen Brief haben wir an die Jugend in Chile und ihre Organisationen geschrieben. Die englische und spanische Version werden hier in Kürze ebenfalls veröffentlicht.

Seit mittlerweile mehreren Wochen kämpft ihr entschlossen gegen die soziale Ungleichheit und die neoliberale Politik der Piñera Regierung. Angefangen mit den Protesten von Schüler_Innen gegen Fahrpreiserhöhungen für U-Bahnen, hat sich euer Widerstand im ganzen Land zu einem Massenaufstand der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend gegen die Regierung ausgebreitet. Eure Forderungen nach einer Rücknahme der neoliberalen Reformen der vergangenen Jahre, einem Ende der Sparpolitik und dem Sturz der Regierung sind nicht nur berechtigt, sie sind ein notwendiger Schritt auf dem Weg hin zu einer befreiten Gesellschaft.

Die Regierung reagierte mit der Verhängung des Ausnahmezustandes und dem Einsatz des Militärs. Wie wir hörten wurden bereits Dutzende Menschen ermordet oder verschleppt, Hunderte verwundet und Tausende verhaftet. Trotz dieser brutalen Repression durch den Staat ist euer Widerstand ungebrochen – das bewundern wir zutiefst. Nach wie vor steht die Jugend an vorderster Front in dieser Bewegung. Ihr seid keinen Zentimeter zurückgewichen und das hat bereits erste Früchte getragen: Piñera sah sich gezwungen den Ausnahmezustand aufzuheben und soziale Reformen anzukündigen. Auch wenn diesen Ankündigungen nicht zu trauen ist, so zeigen sie doch, dass sich Piñera in die Enge getrieben fühlt. Wir hoffen ihr könnt daraus neuen Mut schöpfen, um den Kampf nun umso entschlossener weiterzuführen.

Die neoliberalen Angriffe und die sich damit verschärfende Armut haben in Chile seit den 70er Jahren Tradition. Ihr werdet kaputt gespart, ohne Rücksicht auf Verluste. Die aktuellen Sparmaßnahmen stehen dabei im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise 2008. Damals haben die Kapitalist_Innen versucht die Krisenkosten auszulagern, konnten das eigentliche Problem aber nicht lösen und versuchen nun, einer drohenden, globalen Rezession zu entkommen. Wieder indem sie die Last auf dem Rücken der ArbeiterInnenklasse und der Jugend abwälzen wollen. Versuche in anderen Ländern Lateinamerikas, wie in Venezuela, die damalige Krise durch stärkere staatliche Eingriffe (statt durch neoliberale Reformen) zu lösen, waren auf Sand gebaut, da sie den Versuch darstellen die Klassen innerhalb des Kapitalismus zu versöhnen, statt die ArbeiterInnenklasse und die Jugend zur Zerschlagung des Kapitalismus organisieren.

Doch euer Kampf ist wie unsere Klimabewegung in Deutschland Teil einer neuen Welle von Klassenkämpfen und Massenaufständen in Lateinamerika und der ganzen Welt. Ob Chile, Ecuador, Katalonien, Honkong, Irak oder Libanon. Überall erhebt sich die Arbeiter_Innenklasse gegen neoliberale und rechte Regierungen. Wir leisten international Widerstand gegen die Folgen der Krise und die Pläne der Kapitalist_innen, unsere Klasse für die Krise zahlen zu lassen. So wie der Kapitalismus global in der Krise ist, so kämpfen auch die Unterdrückten weltweit dagegen. Auch wenn es jetzt noch zu früh für allgemeine Einordnungen ist, so stellen die aktuellen Kämpfe doch einen Wendepunkt und die Möglichkeit eines Kippens des Kräfteverhältnisses da – gegen den Vormarsch rechter und neoliberaler Regierungen.

Nicht nur in Chile, auch in all den anderen Ländern steht die Jugend an vorderster Front dieser Kämpfe und tritt am entschlossensten für eine bessere Zukunft ein. Wir halten es für eine zentrale Aufgabe die Kämpfe der Jugend und der Arbeiter_Innenklasse weltweit zusammenzuführen. Als Jugendorganisation treten wir deshalb für den Aufbau einer Jugendinternationale ein. Auch wenn die Jugend alleine den Kapitalismus nicht zerschlagen kann, so ist es dennoch wichtig, dass diese sich selbstständig organisiert. Die Jugend braucht eine unabhängige Organisation, ein eigenes politisches Programm und muss ihre eigenen Erfahrungen machen können. Gemeinsam mit euch und Jugendlichen rund um den Globus müssen wir eine solche internationale revolutionäre Jugendorganisation aufbauen. Wenn ihr das auch so seht, meldet euch bei uns.

Der Jugend gehört die Zukunft. Gemeinsam können wir eine Welt gewinnen. Hoch die internationale Solidarität! Für Weltrevolution und Kommunismus!

 

 




Venezuela: Kein Ende des Konflikts in Sicht

von Christian Meyer, Revolution Stuttgart

Nach dem sich in Venezuela Ende Januar der Parlamentspräsident Juan Guaido zum Interimspräsidenten erklärt hatte, erhielt er innerhalb einer Woche die Unterstützung mehrerer führender imperialistischer Staaten und deren verbündeter Regionalmächte. So stellte sich nicht nur US-Präsident Trump auf die Seite von Guaido, sondern auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und die ehemalige Kolonialmacht, der spanische Staat. Auch alle amtierenden Staats- und Regierungsschefs Südamerikas, mit Ausnahme von Evo Morales aus Bolivien, erkannten Guaido an, darunter solch illustre Persönlichkeiten wie etwa der Halbfaschist Jair Bolsonaro aus Brasilien. Demgegenüber stellten sich Russland und China hinter den amtierenden Staatschef Nicolas Maduro und seiner Partei PSUV, was wiederum deren eigene imperialistischen Interessen in Konkurrenz zur USA widerspiegelt.

Juan Guaido gibt vor, er und seine imperialistischen Verbündeten kämpfen für die „Wiederherstellung der Demokratie“ in Venezuela. Dafür wird dann auch schon mal diskutiert, ob Donald Trump nicht ein paar Soldaten als Demokratiehelfer schickt. Wie diese Demokratiehilfe aussieht, kann man sich in den total zerstörten Ländern Afghanistans und des Iraks anschauen. Wie so oft ist der Kampf um Demokratie nur ein Vorwand. Entscheidend ist, welche Interessen hinter diesem demokratischen Deckmantel stecken.

Geschichte

Hierzu ein geschichtlicher Ausflug: Ende der 1990er Jahr begann Hugo Chavez, der Vorgänger von Maduro, mit dem Aufbau der sogenannten „Bolivarischen Revolution“. Der Name stammt vom lateinamerikanischen Freiheitskämpfer Simón Bolívar, welcher im 19. Jahrhundert lebte. Träger dieser Massenbewegung waren unteren Schichten der städtischen Bevölkerung sowie die Landbevölkerung und Bäuer_Innen sowie die Unterstützung der Gewerkschaften. Chavez gelangte demokratisch an die Staatsspitze von Venezuela. Eckpunkte seiner „Revolution“ waren unter anderem Verstaatlichungen von Infrastruktur sowie umfassende Subventionen in Wohnungsbau und Bildung.

All dies passierte gegen den Willen der Reichen im Lande, aber der Lebensstandard ärmerer Schichten wurde gehoben, bis 2012 ging die Armut um 25 % zurück. Zentral waren die riesigen Ölvorkommen in Venezuela, die vor Chavez vor allem zur Bereicherung der Imperialist_Innen und der venezolanischen Bourgeoisie dienten. 2007 mussten ausländische Firmen ihre Anteile an Ölfeldern abgeben. Der staatliche Erdölkonzern PDVSA übernahm diese. Mit dem Geld des Öls konnten die Staatsausgaben lange Zeit beglichen werden.

Dies erfuhr ein jähes Ende mit der Weltwirtschaftskrise 2008 und dem Einbruch des Ölpreises 2015. In der Folge druckte die Regierung massiv Geld, um diesen Verlust auszugleichen, was allerdings zu einer Hyperinflation führte. Mehr und mehr wurde die Bevölkerung Venezuelas mit in den wirtschaftlichen Abgrund gerissen. Dieser wirtschaftliche Einbruch schwächte die Regierung Maduros, welche sich in der Folge noch mehr auf das Militär stützte und das ist ohnedies schon stark privilegiert. Auch griff er zu undemokratischen Mitteln bei Wahlen.

Worum gehts?

Diese schwache Position Maduros nutzen nun Guaido und seine imperialistischen Verbündeten aus. Guaido führt eine oppositionelle Massenbewegung an, die im wesentlichen die Interessen der Bourgeoisie und der Mittelschicht bedienen. Gerade die Bourgeoisie steht in guten Kontakt mit US-Konzernen, die sich vor dem Aufstieg Hugo Chavez massiv auf Kosten der Ärmsten bereichert haben. Mit ausländischen Hilfslieferungen und Appellen diese ins Land zu lassen, versucht Guaido nun eben diese ärmsten und hungernden Teile der Gesellschaft für sich zu gewinnen, obwohl sie nach einer kurzen Hilfe zur Befriedung nichts von Guaido zu erwarten hätten. Denn Guaido geht es vor allem darum, der Bourgeoisie ihr verstaatlichtes Eigentum zurück zu geben und die Ölfelder den Märkten zu öffnen, sprich, er soll an Finanzinvestoren à la Blackrock (größter Vermögensverwalter weltweit, Sitz in den USA) verscherbelt werden. Zudem würde Guaido nicht zögern, Forderungen seitens des IWF, Venezuela möge doch endlich Reformen in Form von Privatisierungen vornehmen, um wieder Kredite und Zugang zu den Finanzmärkten zu bekommen, zu erfüllen. Hätte Guaido nicht diese Absicht, hätten ihn die nordamerikanischen und europäischen Imperialisten wohl kaum binnen weniger Stunden als Interimspräsidenten anerkannt.

Maduro wiederum versucht seine privilegierte Stellung zu halten und muss dabei das Militär bei sich halten, was bisher auch der Fall ist. In der Bevölkerung hat er vor allem unter Arbeiter_Innen und auch Bäuer_Innen immer noch Rückhalt, die die bolivarische Revolution mitgetragen haben und großen Hass auf den imperialistischen Einfluss der USA hegen.

Die Jugend

Der Jugend kommt bei der Auseinandersetzung zwischen Maduro und Guaido dabei eine entscheidende Rolle zu. Aufgrund der Krisensituation steht die Jugend vor der Frage nach ihrer unmittelbaren Perspektive. Viele der wegen der Krise 3 Millionen emigrierten Venezolaner_Innen sind Jugendliche und junge Erwachsene.

Auf der Straße kämpft die Jugend an forderster Front. Bei Zusammenstößen zwischen Maduros Militär und Oppositionellen sieht man vor allem Jugedliche als Vorkämper_Innen. Student_Innen, welche meist aus den gehobeneren Gesellschaftsschichten kommen und von Guaido profitieren würden, schließen sich den Oppositionellen an. Es ist aber anzunehmen, dass sowohl Guaidos als auch unter Maduros Anhänger_Innen die Jugend sich an ihrer Klassenzugehörigkeit orientiert, so wie das oben bereits beschrieben wurde. So gibt es auch Videos davon, wie junge Leute Guaido aus einem Arbeiter_Innenviertel vertreiben.

Perspektive

Derzeit scheint der Machtkampf unentschieden zu sein. Weder Maduro noch Guaido können den Arbeiter_Innen und Unterdrückten eine Perspektive bieten. Ein Sieg Guaidos würde eine Unterwerfung und massive Ausbeutung des Landes durch Bourgeoisie und Imperialismus bedeuten. Daher gilt es den Putschversuch und eine potentielle Militärintervention der USA abzuwehren und in diesem Zusammenhang Maduro zu verteidigen. Gleichzeitg muss ihm die politische Unterstützung entzogen werden.

Einige Bürgerliche und Linke sowie Anhänger der bolivarischen Revolution bezeichnen Venezuela als sozialistisch, doch das ist definitiv falsch! Warum? Die Bourgeoisie wurde nicht komplett enteignet und wo Verstaatlichungen stattfanden wurden die Kapitalist_Innen entschädigt. Es gibt zwar eine gewisse Mitbestimmung aber sicher keine Rätedemokratie und auch keine demokratische Kontrolle über die Industrie. Es gibt ein privilegiertes stehendes Heer anstelle einer demokratischen Arbeiter_Innenmiliz.

Nur wenn die bolivarische Revolution hin zu einer wahrhaft sozialistischen weitergetrieben wird, gibt es eine Perspektive für die Armen, Arbeiter_Innen und Unterdrückten in Venezuela. Es braucht den Aufbau einer demokratischen Miliz zur Abwehr jeglicher Intervention von außen sowie umfassende Enteignungen der noch immer bestehenden Bourgeoisie und einen demokratischen Notfallplan um die Hungernden aus den Mitteln der Kapitalist_Innen zu speisen. Die Arbeiter_Innenklasse, die städtische Armut und die Jugend müssen sich aus dem Klammergriff Maduros und der PSUV-Bürokratie befreien und kraftvolle antikapitalistische Maßnahmen verlangen, um die Krise anzupacken und die Grundlage für eine Arbeiter_Innenregierung zu legen. Diese könnte als leuchtendes Beispiel in die gesamte Region strahlen und die Arbeiter_Innen in Brasilien, Argentinien usw ermutigen, den Kampf gegen ihre stockreaktionären Regierungen in eine sozialistische, internationalistische Richtung zu treiben!

  • Verteidigen wir die bolivarische Revolution gemeinsam gegen imperialistische Aggressionen!
  • Für die Permanenz der bolivarischen Revolution! Nur wenn wir über die bisherigen Schritte hinausgehen und die Eigentums- und die Herrschaftsfrage stellen, können wir die Revolution zum Erfolg führen.
  • Für internationale Solidarität und den gemeinsamen Kampf gegen die weltweite Bourgeoisie sowie ihrer Unterstützer_innen in Medien, Staat & Bildungswesen!



Landgrabbing in Lateinamerika – Raub der Lebensgrundlage

In Entwicklungs- und Schwellenländern – wir sagen dazu Halbkolonien, da sie ökonomisch meist von einem imperialistischen Land beherrscht werden – findet sehr starke Ausbeutung und Unterdrückung an der dortigen Bevölkerung statt. Häufig ist es sehr schwer einen Arbeitsplatz zu finden, oder von diesem zu überleben. Viele Menschen sind daher auf die Landwirtschaft angewiesen. Meist um sich selbst zu ernähren, seltener um noch einen geringen Teil ihrer Waren an andere zu verkaufen. Alles, was diese Menschen besitzen, ist ein Stück Land, doch auch diese existenzielle Lebensgrundlage wird ihnen vielerorts genommen. Meist passiert dies durch ausländische Investor_Innen oder gar ganze Staaten. Viele Kapitalist_Innen aus Industriestaaten besitzen in Halbkolonien riesige Landflächen die einzig und allein dafür genutzt werden, um Waren zu produzieren und diese zurück in die Industrieländer zu exportieren.

Natürlich geben die Bauern/Bäuerinnen die Fläche nicht freiwillig her. Manche bekommen tatsächlich auch Pacht bezahlt, allerdings meist in sehr kleinen Summen, wie z. B. drei Dollar pro Monat, von denen keinesfalls eine ganze Familie leben kann. Oft wird ihnen auch versprochen, dass ihr Dorf ein Krankenhaus oder eine Schule bekommt, im Gegenzug dafür, dass sie ihr Land hergeben. Doch dies bleiben meist nur Versprechungen und die Menschen haben nicht nur ihr Land verloren, sondern auch ihre Beschäftigung sowie die Lebensgrundlage ihrer Familien.

Manchmal kommt es jedoch noch schlimmer. An manchen Orten werden nicht einmal leere Versprechungen gemacht. Bauern und Bäuerinnen werden regelrecht von ihren Ländereien vertrieben, um Platz für internationale Investor_Innen zu machen. Kommt es hierbei zu Gegenwehr, wird kurzerhand die Ernte beschädigt oder man brennt die ganze Landfläche inklusive Wohnhaus nieder. Ist dies nicht genug, kann es auch zu körperlicher Gewalt bis hin zu Mord kommen, entscheiden sich die Bauern/Bäuerinnen nicht zur „Korporation“. All das fällt unter den Begriff „Landgrabbing“.

Soja – einer der vielen Gründe für arbeitslose Bauern/Bäuerinnen

Besonders gut lässt sich „Landgrabbing“ am Beispiel der Sojabohne erklären. Die Sojabohne ist zurzeit ein Lebensmittel, das weltweit nachgefragt wird. Für viele ist es nicht nur gesund, sondern der Lebensmittelersatz schlecht hin. Zusätzlich wird Soja in der Fleischindustrie zu Tausenden Tonnen als Tierfutter verwendet. Doch an ihrem Vertrieb verdienen viele große Kapitale: z. B. Monsato, hinsichtlich des internationalen Handels, Bayer, hinsichtlich der Pestizide und Dünger, sowie Volvo, hinsichtlich der Produktion der landwirtschaftlich erforderlichen Geräte. Nicht zu vergessen sind Investmentbanken wie Goldman Sachs, die das „Landgrabbing“ finanzieren oder durch Spekulationen auf Lebensmittel ihren Beitrag zur miserablen Lage leisten.

Alleine in der Savanne Cerrado in Brasilien lebten Mitte des 20. Jahrhunderts bis zu 50 indigene Völker, die heute der Produktion von Sojabohnen weichen mussten. Diese Savanne ist ungefähr 6-mal so groß wie Deutschland und besitzt das größte Ökosystem der Erde. Doch wenn so weiter gewirtschaftet wird wie bisher, wird 2030 von dieser Fläche nichts mehr übrig bleiben.
2007 haben in Brasilien durch Landraub 2,9 Millionen Menschen ihr Zuhause und ihre Existenz verloren, in Argentinien und Paraguay betraf es 150.000 bis 300.000 Familien. Diese blieben logischerweise nicht auf dem Land, sondern gingen in Hoffnung auf Arbeit in die Städte, um dort enttäuscht zu werden und in Armenvierteln zu leben.
Der deutsche Staat ist direkt involviert in diesen Landraub für Sojaproduktion, denn der Agrarfond der Deutschen Bank ist am argentinischen Konzern Cresud beteiligt, welcher viel Land in Südamerika zur Sojaproduktion besitzt.

Nicht alle geben auf – der Kampf um die Ackerfläche

Doch nicht alle Menschen in Südamerika lassen sich ihres rechtmäßigen Landes berauben. Sie geben nicht auf und wehren sich gegen diese meist illegale Enteignung ihrer Wirtschaftsflächen. Es gibt einige Initiativen wie zum Beispiel die brasilianische Landlosenbewegung MST, eine Massenorganisation, welche radikal für selbstbestimmte Wiederaneignung kämpft und unter anderem Felder besetzt und Großkundgebungen durchführt. Ihre Anfänge sind in der späten Industrialisierung Brasiliens 1970 zu finden. Damals kämpfte man dafür, dass die Felder keinen Fabriken weichen mussten. Die MST hatte vor allem Anfang des 21. Jahrhunderts mit starken und gewaltsamen Repressionen seitens des Militärs und der Polizei zu kämpfen. Sie werden mittlerweile jedoch von der Regierung anerkannt. An der Durchsetzung ihrer Forderungen zur Rückgabe des Landes an sie hat das nicht viel geändert. Höchstens ein Drittel wurde zurückgegeben.

Doch nicht nur gewaltsame Niederschlagungen von Protesten sind in Südamerika gang und gäbe, viele der Aktivist_Innen werden wie zum Beispiel in Kolumbien auch einfach in überfüllte Gefängnisse gesperrt und warten dann unter unmenschlichen Zuständen auf ihre Entlassung. Mit bis zu 70 Menschen müssen sie sich die wenigen Quadratmeter für Monate teilen. Viele der Insassen werden nicht nur körperlich, sondern auch geistig krank. Einige leiden an Schizophrenie und Depressionen. Medizinische wie auch psychologische Hilfe wird ihnen nicht bereitgestellt.

Jeglicher Kampf gegen Landraub ist unserer Meinung nach legitim und unterstützenswert. Jedoch muss diesem Kampf auch eine Perspektive gegeben werden, welche nur im Bündnis mit der Arbeiter_innenklasse zu finden ist. Auch in halbkolonialen Ländern ist die Arbeiter_innenklasse durch ihre gesellschaftliche Stellung in der Lage die demokratischen wie auch sozialen Probleme der jeweiligen Länder zu lösen. Die Erfahrung der MST in Brasilien zeigt jedoch, dass ein solches Bündnis zwischen Bauern/Bäuerinnen und der Arbeiter_innenklasse auf revolutionäre Füße gestellt werden muss. Hat die Zusammenarbeit der MST mit der reformistischen Regierungspartei Partido dos Trabalhadores (PT), nicht zur Durchsetzung ihrer Ziele geführt. Eine solche Zusammenarbeit muss ein revolutionäres Programm zum Inhalt haben und nur in Verbindung mit der Theorie der „Permanenten Revolution“ erfolgreich sein. Eine Theorie, welche die demokratischen Fragen und Probleme der Halbkolonien mit den sozialen Fragen und Probleme des Kapitalismus national wie auch international verknüpft und Antworten dafür bereithält.

VON LEONIE SCHMIDT

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Brasilien – neoliberales Wunderland?

Brasilien gehört heute zu den aufstrebenden Schwellenländern, den sogenannten BRIC-Staaten. Als dieser Begriff 2001 von der Rating-Agentur Goldman Sachs geprägt wurde, machten die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) zusammen 12 % am Welt-BIP aus. Heute liegt dieser Anteil bei satten 25 % – die Rolle dieser Länder in der Weltwirtschaft hat also enorm zugenommen. In welche Richtung die ENtwicklung Brasiliens geht erläutert Rico Rodriguez.

Das trifft auch auf Brasilien zu, das heute vor allem Rohstoffe (Metalle, Erze etc.) und Agrarprodukte (Soja, Fleisch, Kaffee etc.) in die ganze Welt exportiert, aber auch die größte Industrie in Lateinamerika besitzt. Brasilianische Konzerne wie Petrobras (Öl und Gas), Vale (Bergbau) und Embraer (drittgrößter Flugzeughersteller der Welt) und Banken wie Bradesco und Itau spielen vor allem in Lateinamerika, aber auch zunehmend darüber hinaus eine große Rolle.

Auf einem guten Weg?

Im Gegensatz zu China wird Brasilien heute von vielen auch eine positive politische Entwicklung unterstellt. Nach zwei Jahrzehnten Militärdiktatur (1964 – 1985) gilt das Land heute als vorbildliche Demokratie für Südamerika. In den letzten 10 Jahren hatte das Land fast ein konstantes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, im Schnitt von ca. 5 %. 2010 nach der Finanzkrise konnte sogar ein Rekordwachstum von 7,5 % erreicht werden, was aber 2011 wieder recht harsch auf 4 % zurück fiel.

Die Finanzkrise konnte das Land bisher gut verkraften. Einerseits ist das Land weniger stark vom Export abhängig als andere Schwellenländer (der Export macht 13 % des BIP aus), andererseits hat das brasilianische Kapital auch von den hohen Weltmarkt-Preisen für Rohstoffe profitiert (in scharfem Gegensatz zu vielen Entwicklungsländern). Darüber hinaus haben viele Anleger aus den imperialistischen Ländern nach profitablen Anlegemöglichkeiten gesucht – und da ist gerade Brasilien hoch im Kurs. Als weiterer Grund spielt schließlich der relativ regulierte Bankensektor eine Rolle. Brasilianische Banken hatten ihre Finger relativ wenig bei globalen Finanzspekulationen im Spiel.

So konnte die Regierung auf ein solides Wachstum in den vergangenen 10 Jahren setzen und damit ein Ansteigen an Beschäftigung und des Binnenmarktes bei satten Gewinnen für die brasilianische Bourgeoisie verzeichnen.

Das Wachstumsmodell basiert auf einer stetigen Ausweitung des Konsums und einer Liberalisierung des Arbeitsmarktes und aller anderen Bereiche, also auf einem zügellosen Kapitalismus. Und das hat natürlich auch seine Schattenseiten, doch darauf kommen wir später.

Die PT-Regierung, sozial für die Arbeiter?

Dilma und Lula verstehen sich gut – untereinander und mit der Bourgeoisie

Seit 2001 regiert in Brasilien die Arbeiterpartei „Partido dos Trabalhadores“ (PT) mit einer Koalition aus anderen „linken“ Parteien. Als der Führer der PT Lula da Silva 2001 im vierten Anlauf die Wahlen gewann, war das eine Sensation in Brasilien, die gleichzeitig die Armen jubeln und die Reichen zittern ließ. Kein Wunder, Lula war Gewerkschaftsführer aus Sao Paulo. Die PT wurde 1983 im Zuge massiver Arbeitskämpfe gegründet, die auch einen politischen Charakter gegen die Militärdiktatur annahmen. Lula war Gewerkschafter in Sao Paulo und führte viele der damaligen Streiks an. Deswegen war er enorm beliebt unter den Arbeiter_innen im ganzen Land.

Außerdem war die PT schließlich eine Partei, die den Sozialismus zum Ziel hatte. Doch Lula hatte die Kapitalisten schon vor seiner Wahl beruhigt – die ganz großen Änderungen würden unter seiner Regentschaft nicht zu erwarten sein. Er machte ein Abkommen mit dem IWF, dass die Auslandsschulden weiter bediente und die Auflagen nicht brach. Nach seiner Wahl setzte er gleich Henrique Meirelles von der rechten Partei PSDB und Chef der „Bank Boston“ als Zentralbank-Chef ein. Ein „klares Signal“ an die einheimische und internationale Bourgeoisie.

So führte der „Arbeiterführer“ im Wesentlichen auch den neoliberalen Kurs seines Vorgängers Fernando Henrique Cardoso (FHC) fort. Er musste allerdings nicht mehr so viel privatisieren, das hatte sein Vorgänger schon erledigt. Die großen Versprechen hat er allesamt gebrochen. Er machte keine der Privatisierungen aus den 90ern rückgängig, eine konsequente Landreform wurde nie durchgeführt, die Mindestlöhne verbleiben auf einem niedrigen Niveau, der Raubbau an Mensch und Natur geht ungehindert weiter. Die Renten wurden unter seiner Regierung sogar weiter privatisiert: während FHC „lediglich“ die Renten für die Beschäftigten im privaten Sektor privatisiert hatte, dehnte Lula das auf die öffentlich Beschäftigten aus.

Auch seine Nachfolgerin Dilma, seit Ende 2010 Präsidentin, ebenfalls von der PT, setzt diesen Kurs fort. Gerade hat sie ein Konjunkturpaket für brasilianische Firmen aufgelegt. Insgesamt 26,3 Milliarden Euro werden der brasilianischen Bourgeoisie geschenkt, demgegenüber stehen Kürzungen im Haushalt 2011 von 20 und 2012 von 24 Milliarden Euro. Geld das natürlich vor allem im sozialen Bereich gespart wird. Gleichzeitig wurde ein neues Waldgesetz verabschiedet (Código Florestal), dass es den Agrarmultis erleichtert, weiter Wald für ihre Monokulturen zu roden.

Die Kehrseite der Medaille…

Das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre basiert auf der extrem neoliberalen Politik unter FHC in den 90ern. Damals wurden alle großen Staatsbetriebe privatisiert und der Arbeitsmarkt liberalisiert. So haben prekäre Beschäftigungsverhältnisse überall in Brasilien zugenommen. Jugendliche finden fast nur noch über Leiharbeit eine Anstellung, werden schlecht bezahlt und können jederzeit entlassen werden (das kommt uns irgend woher bekannt vor…).

Die Bewohner_innen des „Pinheirinho“ rüsten sich gegen die Räumung ihres Viertels, das dem Erdboden gleichgemacht werden soll…

Zwar können sich heute viele Arbeiter_innen Handys und Fernseher kaufen. Doch was nützt das, wenn man in ständiger Unsicherheit lebt, das Bildungs- und Gesundheitssystem immer mehr ausgedünnt werden und die Rentenversicherung privatisiert wird? Ein großes Problem in Brasilien ist auch der Verkehr. Immer mehr Leute können sich Autos kaufen, was auch extrem propagiert wird. Ein Auto ist gleichbedeutend mit Entwicklung und Wohlstand. Doch der Verkehr in den Großstädten wird immer schlimmer. Es gibt praktisch keine Stadt- und Verkehrsplanung, und die Straßen sind hoffnungslos überfüllt. Stundenlange Staus stehen für Stadtbewohner_innen an der Tagesordnung. Der öffentliche Nahverkehr wurde natürlich auch privatisiert. Seitdem ist er teuer, wird immer schlechter und

ausgedünnt.

… doch gegen die Militärpolizei, die das Viertel mit massiver Brutalität – Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen – räumt, haben sie letztlich keine Chance, vorerst.

So ist auch die Wohnsituation in den Großstädten bei gleichzeitiger Landflucht ein großes Problem in Brasilien. Die Mieten sind unglaublich hoch, heute bereits auf europäischem Niveau. Ein Apartment in Rio de Janeiro für eine Person kostet locker 300 Euro. Ein Lehrer an einer staatlichen Schule verdient dem gegenüber gerade mal 500 Euro! In diesem Zusammenhang wurde Anfang dieses Jahres eine illegale Siedlung in Sao Paulo geräumt. Die Siedlung „Pineirinho“ wurde auf einem verlassenen Gelände errichtet, das einem Kapitalisten gehört. Die Bewohner haben es 2004 aus Wohnungsmangel besetzt und seitdem haben sich dort 6000 Menschen angesiedelt, darunter viele Familien mit Kinder. Der Kapitalist wollte sein Land jetzt wieder haben. Die Siedlung wurde Ende Januar von 2000 Militärpolizisten geräumt, die Bewohner_innen vertrieben – mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen. Und das ist keineswegs ein Einzelfall, sondern Programm in Brasilien.

Die Fußball-Weltmeisterschaft

Gerade sind die Menschen in Europa wieder im nationalistischen EM-Fieber. 2014 wird die WM in Brasilien stattfinden. Glaubt man der Regierung und der FIFA – ein Segen für das Land. Doch wie immer werden hier knallharte Geschäfte gemacht, die tatsächlichen Gewinner sind große Konzerne. Milliarden werden in Stadien investiert, gleichzeitig weigert sich die PT-Regierung seit Jahren, den Mindestlohn der Lehrer_innen zu heben (siehe dazu auch unseren Artikel zur WM in Südafrika).

Die Wohnungsnot wird durch die WM massiv verschärft. In den Großstädten steigen die Mieten weiter, internationale Investoren wüten auf dem Wohnungsmarkt, die lokale Bevölkerung wird verdrängt. Und der Staat hilft kräftig nach. Unliebsame Siedlungen werden von der Regierung zerstört. In der Nähe der Stadien
liegen oft Favelas. Doch die Regierung will Brasilien der Welt als Land des Fußball und des Samba präsentieren: ärmliche Wohngegenden stören da nur. So wird den Bewohner_innen eine Ersatzwohnung im Randgebiet der Städte angeboten. Wenn sie dem Angebot nicht nachkommen, werden sie geräumt und die Wohnungen zerstört.

Dieses Schicksal erlitt z.B. die Favela „Metro“ in der Nähe des weltberühmten Stadions Maracana in Rio. Heute sind nur noch Reste der Häuser übrig.

Einige Arbeiter_innen der Stadienbaustellen dachten sich, sie wollen mehr von dem Kuchen abhaben. Also streikten sie für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Prompt wurde eine Gesetzesinitiative vorgebracht, die den Arbeiter_innen das Streiken verbieten soll – von einem Senator der PT! Begründung: die Weltmeisterschaft sei nationales Interesse und die Arbeiter_innen würden das zum persönlichen Vorteil ausnutzen. Bei allem Verrat der PT ein Satz, der einem die Sprache verschlägt.

Welche Aufgaben für die revolutionäre Linke?

Die Liste von Schweinereien und Problemen könnte noch weiter fortgesetzt werden. Bei all diesen Dingen wird klar: der Kapitalismus bietet auch für die brasilianische Arbeiterklasse und die Bauernschaft keine Perspektive. Er zerstört die Umwelt in rasantem Ausmaß und beutet die Menschen immer schärfer aus. Dass dabei bei hohem Wirtschaftswachstum ein paar Krümel vom Tisch fallen, darf darüber nicht hinweg täuschen!

Die PT hat mehr als bewiesen, dass von ihnen keine ernsthaften Änderungen zu erwarten sind. Sie sind heute treue Handlanger des Kapitals. Es ist zu erwarten, dass bei sinkendem Wirtschaftswachstum weitere Angriffe auf die Arbeiterklasse unter ihrer Regierung zu erwarten sind. Auch die 2004 gegründete Linkspartei PSOL stellt keine Alternative für die Arbeiterklasse dar. Sie hat zwar ein weit linkeres Programm als die PT, hat es aber nie über den Reformismus hinaus geschafft.

Was in Brasilien notwendig ist, ist der Aufbau einer revolutionären Partei der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der Jugend. Eine Partei, die den Sturz des Kapitalismus auf die Tagesordnung setzt und dafür ein Programm entwickelt. Eine sozialistische Revolution in dem wirtschaftlich starken und politisch bedeutsamen Brasilien würde eine unglaubliche Ausstrahlung auf ganz Lateinamerika haben, allen voran die Länder mit links populistischen Regierungen wie in Venezuela, Bolivien und Ecuador, deren Präsidenten der Bevölkerung seit Jahren „einen neuen Sozialismus“ versprechen.

Dafür muss vor allem eine Einheitsfront-Politik entwickelt werden. Ob wir es wollen oder nicht – die PT hat immer noch die Führung über die Arbeiterklasse inne. Deshalb muss die PT aufgefordert werden, ihre Versprechungen einzuhalten und umzusetzen. In der Praxis müssen die Arbeiter_innen erkennen, dass von dieser Regierung nichts mehr zu erwarten ist.

Gleichzeitig muss jedoch ohne Schonung der Kampf gegen die Angriffe der brasilianischen und internationalen Kapitalist_innen geführt werden – auch dort, wo die PT den Kampf verweigert. Das muss und kann der Ausgangspunkt für den Aufbau einer neuen, revolutionären Partei in Brasilien werden. REVOLUTION unterstützt und begrüßt daher die Gründung der neuen Sektion der „Liga für die fünfte Internationale“ in Brasilien und wird gemeinsam mit ihr für die Interessen der Jugend und der Arbeiterklasse in Brasilien eintreten.

Ein Artikel von Rico Rodriguez, REVOLUTION-Hamburg