Wir trauern nicht, wir rebellieren – Proteste gegen Gewalt an Frauen in der Türkei

Die Leiche der jungen alevitischen Kurdin Özgecan Aslan wurde am Mittwoch in einem Fluss in Mersin gefunden, einer Stadt im Südosten der Türkei. Sie wurde zu erst erstochen, dann verbrannt, weil sie sich gegen einen Vergewaltiger wehren wollte. Der Haupttäter ist zwar verschwunden, aber einige Männer aus seiner Familie, die an der Tat beteiligt waren, haben bereits gestanden. Sie kommen wohl aus dem Umfeld der faschistischen Bozkurt, der Grauen Wölfe. Auf Facebook hatten sie angekündigt, sie werden nun eine türkische Serie schauen, deren Plot damit beginnt, dass eine junge Frau vergewaltigt wird, jedoch wird diese Sendung schon seit langem nicht mehr im Fernsehen ausgestrahlt. Özgecan war auf dem Weg nach Hause und saß als letzte im Kleinbus, als der Fahrer sie angriff. Auf Grund ihrer Herkunft war sie in der Türkei ohnehin schon sozial benachteiligt, doch an dieser Stelle möchten wir darauf eingehen, wieso diese brutale Gewalt gegen Frauen in der Türkei kein Einzelfall ist und wieso sie seit der Regierung der AKP rasant zunimmt, allein zwischen 2002 und 2009 um 1400 Prozent.

Die AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi – Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) ist eine konservativ-islamistische Partei, die seit 2002 die Türkei regiert. Ihre Politik gegen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, gegen Nicht-Muslime und gegen ethnische Minderheiten wird autoritär durchgesetzt, wobei sie großen Rückhalt von der stark religiösen und wirtschaftlich-rückständigen Landbevölkerung bekommt. Der ehemalige Bürgermeister von Istanbul und heutige Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, saß 10 Monate im Gefängnis, weil er vor den Wahlen verkündete „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Seit seine Partei an der Regierung ist, hat sich die Rhetorik noch verschärft. Seitdem Frauen auch nach bezahlter Arbeit suchen, würde die Arbeitslosigkeit steigen. Stattdessen sollten sie lieber zu Hause bleiben, schließlich gäbe es im Haushalt und mit den Kindern genug zu tun. Laut Erdogan solle jede Frau mindestens drei Kinder bekommen. Schwangere Frauen sollen auch nicht aus dem Haus gehen. Zu viel Gleichberechtigung würde dem Zusammenhalt der Familie schaden und die Gewalt gegen Frauen hätte gar nicht zugenommen, das sei nur falsche Wahrnehmung.

Es sollen also nicht nur die Frauen selbst, sondern auch die Debatte um ihre Unterdrückung aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Mit dem neuen Gesetzespaket wurde auch das Strafmaß für Gewalt gegen Frauen gesenkt aber über die allgemeine Einführung der Todesstrafe wird beraten. Doch es regt sich langsam Widerstand. Nach Özgecans Tod sind in vielen Städten mehrere tausend Frauen auf die Straße gegangen, mit dem Slogan „Wir trauern nicht, wir rebellieren!“. Und genau das ist der richtige Ansatz. Natürlich ist diese Tat so unfassbar furchtbar, dass jedeR darüber traurig sein sollte, aber den vielen Frauen, die weiterhin unter dieser Gewalt leiden, ist damit nicht geholfen. Stattdessen muss es eine starke Frauenbewegung geben, die gegen ihre strukturelle Unterdrückung kämpft. In der Türkei, in der vor allem die Familie nach wie vor eine sehr wichtige Rolle spielt, ist politische Organisierung für Frauen schon die erste große Hürde, die sie versuchen müssen zu überwinden. In den Gewerkschaften beispielsweise ist der Anteil von Frauen sehr gering, viele Männer verstehen nicht, warum sie sich mit Frauen gemeinsam organisieren sollten, schon gar nicht, wenn diese mit ihnen vermeintlich um den Arbeitsplatz konkurrieren. Doch zu diesem reaktionären Verständnis, was sich hinter vermeintlicher „Tradition“ versteckt, die man nicht hinterfragen solle, muss eine Alternative her! Dazu ist es in erster Linie wichtig, dass sich Frauen untereinander treffen können, über ihre Unterdrückung sprechen und lernen, sich zu wehren. Özgecan hatte versucht, sich mit Pfefferspray zu wehren, dennoch war sie allein und hatte keine Chance. Gerade auf dem Land ist es wichtig, dass sich Frauen Selbstverteidigungsstrukturen schaffen.

Ozgecan Aslan cenaze toreni

Doch auf den Demonstrationen in den letzten Tagen wurde auch immer wieder betont, dass die Regierung ganz maßgeblich Schuld daran sei, dass die Gewalt gegen Frauen weiter zu nimmt, dass die Täter nicht verurteilt werden und dass es als Normalität erscheint, dass Frauen erniedrigt und unterdrückt werden. Es wurde bereits erwähnt, welche Rolle die Regierung den Frauen zuschreibt, nämlich die der Kinderbetreuerin und der Haushälterin, ohne jegliches gesellschaftliches Leben. Natürlich gilt es, sich politisch gegen diese Regierung zu organisieren und zu kämpfen, gemeinsam mit den fortschrittlichen Männern, die sich gegen Frauenunterdrückung stellen.

Ein Artikel von Svenja Spunck, REVOLUTION Berlin