Wehrpflicht?! Nein danke! – Keinen Cent, keinen Menschen dem Militarismus!

Von Stephie Murcatto, August 2023, REVOLUTION Zeitung September 2023

Mein etwas pazifistischer Deutschlehrer hat uns jahrelang gewarnt, dass die „Wehrpflicht nur ausgesetzt“ sei und wir deswegen auf uns aufpassen sollten. Damals haben wir etwas mit den Augen gerollt, jetzt hat er recht: Nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 ist die Frage noch nie so groß diskutiert worden wie jetzt. Es ist eine Frage, die besonders uns Jugendliche betrifft und für uns wichtig ist, da wir diejenigen sind, die letztendlich eingezogen werden und als Kanonenfutter für das deutsche Kapital agieren sollen. Aber wie man es kennt, werden in der Debatte natürlich nicht wir Jugendliche gefragt, sondern es wird von den Politik_Innen der verschiedenen Parteien über unsere Köpfe hinweg diskutiert.

Angefangen hat die Debatte mit unserem jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. So sagte er in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“, Zitat: „(…) ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen.“ Der Bundespräsident möchte damit der Jugend helfen, indem er ihnen die Möglichkeit gibt, „aus der eigenen Blase herauszukommen“ und „neue Menschen kennenzulernen“. Diese Debatte wurde dann von verschiedenen Seiten aufgenommen, unter anderem von unserem Verteidigungsminister Boris Pistorius aus der ach so sozialen SPD, der sagte: „Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Fehler“, und sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht einsetzte.

Am stärksten aber kamen die Stimmen für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht von Seiten der AfD, die das sogar in ihrem Grundsatzprogramm festgeschrieben hat, und aus der Bundeswehr selbst, wo der Reservistenverband sich immer wieder für die Notwendigkeit einer Wehrpflicht ausspricht. Man merkt also: Die Wehrplicht-Freund_Innen werden lauter.

Dass Jugendliche nur selten zu diesen gehört, verwundert nicht, denn für uns ist klar, dass vom Ausbilder angeschnautzt zu werden oder gar an der Front zu sterben, nicht das erstrebenswerte Leben ist. Darüber hinaus ist es nicht in unserem Interesse, die Aufrüstung zu unterstützen, da die Bundeswehr am Ende des Tages ein Militär ist, das die Interessen des deutschen Kapitals vertritt. Die „Verteidigung Deutschlands“, was ja ihr Zweck ist, ist letztendlich eine Verteidigung deutscher Profite und keine Verteidigung der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend.

Aber warum kommt die Debatte gerade jetzt wieder auf?

Diese Frage beantworten die bürgerlichen Politiker_Innen ausnahmsweise mal ehrlich: Es liegt an der Zuspitzung der Weltlage, unter anderem durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. In solchen Zeiten des Krieges soll laut den bürgerlichen Politiker_Innen Deutschland wieder die Möglichkeit bekommen, sich zu verteidigen und ein Heer aufzubauen, was Abschreckungspolitik gegenüber Putin machen kann. Denn nur so könne man die Sicherheit Deutschlands und „des Westens“ gewährleisten. Doch die Realität sieht etwas anders aus: 100 Milliarden für die Bundeswehr kommen dann plötzlich ganz schnell, während es lautet, dass für unsere soziale Absicherung eigentlich gar kein Geld bleibt, weswegen Sozialleistungen und die Reallöhne sinken. Natürlich geht es eigentlich um Aufrüstung. Denn nicht nur Russland, sondern auch die Nato hat innerhalb des Ukraine-Kriegs klare Interessen. Die NATO versucht mit diesem Krieg eine Stärkung des russischen Imperialismus zu verhindern, während sie gleichzeitig sich auf verstärkte weltweite Konfrontation vorbereiten und ihren Machtbereich ausweitet.

Hierbei kann die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine Rolle spielen, denn mit Geld allein gewinnt man kein Krieg. Der Bundeswehr fehlen seit Jahren die Rekrut_Innen, weswegen sie einen überall mit ihrer Werbung nervt. Man hat sie ursprünglich zu einer Berufsarmee gemacht, weil man mit den neuartigen Waffensystemen eigentlich viele Jahre Ausbildung braucht und sich der finanzielle Aufwand nicht mehr gelohnt hat, Hundertausende jedes Jahr grundständig auszubilden. Mit der drohenden Eskalation will man wohl nicht mehr auf Freiwilligkeit setzen.

Denn immer mehr steuert die Weltlage auf eine Konfrontation zwischen den Machtblöcken zu, ob es nun mit Russland oder China sein mag. Als Reaktion auf die sich verstärkende Blockbildung rüstet der westliche Imperialismus immer mehr auf, um auch am Ende als Sieger dazustehen zu können. Ein Krieg zwischen fügt uns Jugendlichen und jungen Arbeiter_Innen nur Schaden zu, während die Kapitalist_Innen aktiv davon profitieren. Für uns sollte also klar sein, dass wir einer solchen Aufrüstung und einer solchen Verschärfung der Lage entgegentreten müssen!

Aber wie setzen wir uns diesen Angriffen auf unsere Rechte entgegen?

Zur Verteidigung unserer Rechte bietet uns die bürgerliche Politik keine Perspektive. Sie verfolgt ja gerade diese nationalistische Machtpolitik und kann dabei keine Rücksicht auf uns Jugendliche nehmen, welche am akutesten von der Wehrpflicht und der Aufrüstung betroffen ist. Wir müssen uns für eine unabhängige und internationale Politik der Jugend und der Arbeiter_Innen einsetzen, denn nur wenn wir selbst die Entscheidungskraft an uns reißen, können wir auch Antworten finden.

Aber um das zu erreichen, müssen wir erst einmal eine größere und internationalistische Bewegung gegen den Krieg und gegen die Aufrüstung aufbauen. Konkret sollten dabei unsere Bündnispartner_Innen die Gewerkschaften und die traditionellen Organisationen der Arbeiter_Innenklasse sein, die mit konkreten Forderungen einen Kampf führen. Denn letztendlich ist es die Arbeiter_Innenklasse, die die Macht hat, mit Aktionen des Klassenkampfes dieses System, den Kapitalismus zu überwinden, der immer wieder Kriege und Krisen hervorgebracht hat und es immer wieder wird.

Aber es braucht nicht nur eine Perspektive der Arbeiter_Innenklasse dafür, sondern auch wir Jugendliche müssen uns gegen die Aufrüstung und für soziale Verbesserungen einsetzen. Dafür müssen wir uns organisieren, konkret an den Orten, wo wir sind, also in der Schule, an der Uni und in der Ausbildung.

Aber das Problem lässt sich nicht national lösen, denn die verschärfte Blockbildung und Aufrüstung passieren nicht nur hier in Deutschland, sondern international. Gerade die, die nicht von den Profiten leben, sondern zu diesen benutzt werden, tragen in sich die Perspektive der internationalen Vereinigung. Deshalb brauchen wir auch eine internationale Organisation der Jugend gegen Krieg und Krise und fordern:

  • Für eine revolutionäre Jugendinternationale! Die Jugend braucht eine unabhängige und internationale Vertretung. Für den Aufbau einer Schüler_Innengewerkschaft, die unsere Interessen gemeinsam mit der Arbeiter_Innenklasse vertritt und durchsetzt!
  • Nein zur Wehrpflicht! Wir wollen kein Kanonenfutter sein!
  • 100 Milliarden für Soziales, Bildung und die Jugend und nicht für die Bundeswehr! Gegen jede Aufrüstung aller imperialistischen Nationen, ob Russland oder Deutschland!
  • Für eine Antikriegsbewegung international! Nur die Arbeiter_Innen können den Konflikt lösen.



Air Defender 2023: dunkle Kriegswolken über Europa

von Jürgen Roth, zuerst erschienen in der Infomail 1226 der Gruppe Arbeiter:innemacht, 14. Juni 2023

Vom 12. bis zum 23. Juni 2023 trainieren rund 10.000 Soldat:innen aus 25 Nationen mit ca. 250 Luftfahrzeugen v. a. über Deutschland im größten Luftkampfmanöver seit Bestehen der NATO. 2.000 Flüge sind an den 10 Manövertagen geplant. Die wollen nicht nur spielen!

Das Szenario

Dem Manöver liegt ein Szenario zugrunde, dem zufolge jahrelange Konfrontation zum Krieg geführt hat. Occasus, eine fiktive östliche Militärallianz, hat den unabhängigen Kleinstaat Otso überrannt und greift nun NATO-Gebiet an. Eine von Coronapandemie, Verknappung von Energielieferungen geschwächte, von bisher unbekannt hoher Inflation gebeutelte Bundesrepublik erscheint dem Aggressor als leichte Beute. Reguläre Truppen und die Spezialeinheit Organisation Brückner fallen daraufhin ins Land ein und besetzen im Blitzkrieg die Region Klebus. Ein Viertel der Republik ist besetzt. Aus der Luft wird Rostock angegriffen. Die Einnahme seines Hafens soll mehr Nachschub ins Kampfgebiet bringen. Die NATO ruft gemäß Beistandsartikel 5 den Verteidigungsfall aus. An diesem Punkt startet das Riesenmanöver.

Einschätzung und Ausmaß des Manövers

Die beteiligten Militärs werten die Luftkampfübung bereits jetzt als Erfolg, gelang doch in recht kurzer Zeit die Mobilmachung von 25 Ländern, v. a. NATO-Mitgliedern, und 250 Flugzeugen, v. a. Kampfjets. Rund 100 davon stellen die USA. Die Bundesluftwaffe beteiligt sich mit 64 Maschinen: Eurofighter, Tornados, A400M-Transporter, A330-Tanker und Hubschrauber. Learjets der Gesellschaft für Zieldarstellung und A-4 einer kanadischen Firma mimen das Aggressorluftpotential.

Ähnliche gewaltige Manöver wurden bereits zu Zeiten des Kalten Kriegs abgehalten, doch damals hatten die USA, Großbritannien und Kanada ihre Flugmaschinen direkt in Deutschland stationiert. Nun erfolgte deren Verlegung schnell über Tausende Kilometer.

Die Übung erfolgt dennoch nicht im Namen des westlichen Militärbündnisses. Es war von der BRD geplant und wird von ihr geleitet. Generalleutnant Ingo Gerhartz, seines Zeichens Bundesluftwaffenoberbefehlshaber, betont, sekundiert von US-Generalleutnant Michael Rose, Direktor der Air National Guard, die Übung sei keine direkte Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine. Nur wenige Einsätze würden über Estland, Polen und Rumänien geflogen. Es gehe darum, sich selbst die eigene Verteidigungsfähigkeit zu beweisen. Eine Provokation Russlands durch Flüge in Richtung Kaliningrad solle vermieden werden. US-Botschafterin Amy Gutmann verhielt sich weniger vorsichtig und bekräftigte, dass die Übung auch ein Signal der Stärke aussenden solle. Wohin wohl?

Das Szenario nimmt bis aufs i-Tüpfelchen den sehr realen russischen Überfall als Anlass zum Gegenschlag wahr. In ihrem Bemühen, das Feinbild Russland abzutun, vergessen die NATO-Militärs auch, dass bis zum 5. Juni ein ähnliches Manöver namens Arctic Challenge an der russischen Nordgrenze lief und sich derzeit rund 50 NATO-Schiffe und über 45 Flugzeuge im Rahmen der Übung Baltops in der Ostsee konzentrieren. Und schließlich muss man aus Zeiten des Kalten Kriegs wissen, wie schnell eine Übung als Bedrohung wahrgenommen wurde. Nun wütet ein heißer Krieg. Die Militärs betreiben also Desinformationspolitik.

Geschehen in den Flugzonen

Für Air Defender 2023 sind über Deutschland 3 Flugzonen eingerichtet, die zu gewissen Zeiten für jeglichen anderen Luftverkehr gesperrt sind. Das Militär beansprucht dann hier den Luftraum zwischen 2.500 und 15.000 Metern Höhe. Tiefflüge sollen über dem nördlichen Brandenburg, Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, der Ostsee sowie den Truppenübungsplätzen Baumholder (Rheinland-Pfalz, südlicher Hunsrück) und Grafenwöhr (Bayern, Oberpfalz) erfolgen.

In den kommenden 2 Wochen wird also v. a. der zivile Luftverkehr leiden. Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) redet von täglich 50.000 Minuten Verspätung und der Flughafenverband Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) rechnet mit ausfallenden Flügen, z. B. über Schleswig-Holstein. Dort wird zwischen 16 und 20 Uhr geübt. Hamburg-Fuhlsbüttel plant beispielsweise für den 13. Juni 30 Starts. Um Chaos zu vermeiden, hat man das Nachtflugverbot aufgehoben.

Ökologische Kosten

Zu den direkten Kosten gibt es keine und zu den Umweltauswirkungen nur vage Angaben. Laut Bundeswehr wird das Manöver 32.000 Tonnen CO2 erzeugen – so viel wie 3.500 Deutsche im Jahr 2020 produzierten. Täglich werden allein am Fliegerhorst Wunstorf (ca. 20 km westlich von Hannover) 400.000 – 500.000 Liter Kerosin bereitgestellt. Damit kann ein Airbus A 320 mit 77 Tonnen Gewicht und 170 Passagier:innen an Bord rund 190 Stunden lang um den Globus düsen. Laut wird es außerdem, obwohl nicht scharf geschossen wird. Bis zu 60 Maschinen werden im Nordosten gleichzeitig in der Luft sein.

Protest

Die NATO spielt also mit dem Feuer, präsentiert ihre Stärke und Hoheit, auf dass „dem Iwan“ angst und bange werden möge. Dagegen ist Protest allemal gerechtfertigt. So versammelten sich am Sonntag, den 11. Juni 2023, ca. 150 Friedensbewegte am Sielmann-Hügel in der Kyritz-Ruppiner Heide zur Friedenswanderung auf dem Wanderparkplatz Pfalzheim (Ostprignitz-Ruppin) und bildeten ein Friedenszeichen mit Stoffbahnen über ihren Köpfen.

An diesem historischen Ort sammelten sich ehemals bis zu 10.000 bei Ostermärschen gegen die Naturzerstörung durch einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr, auf dem die Luftwaffe Tiefflüge und Bombenabwürfe trainieren wollte. Das Bombodrom konnte 2009 verhindert werden. Jetzt, wo sich die Lage immer drohender auf einen III. Weltkrieg zubewegt, verbleiben ganze 150 Aufrechte. Welche Schande! Doch nicht für sie, sondern für die Linke und Arbeiter:innenbewegung, die dieses Szenario nicht hinterm Ofen hervorlockt. So bleibt ihr Widerstand gegen die große NATO-Kriegsübung bisher aus.

Neue atomare Rüstungsspirale

Dabei gibt das neue atomare Wettrüsten zusätzlichen Anlass zum Protest. Der Jahresbericht 2023 des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Stockholm International Peace Research Institute; SIPRI) liefert nämlich nur auf den ersten Blick frohe Kunde: Die Anzahl der Atomsprengköpfe ist im vergangenen Jahr weltweit um 198 gesunken. Russland und die USA verfügen demnach über 90 % der 12.000 Waffen. Doch dieser Rückgang geht einher mit ihrer zielstrebigen Modernisierung. Die Sprengköpfe werden mobiler, dauerhaft einsatzfähig und sind schwerer abzuwehren.

Zudem legt sich seit Beginn des bewaffneten Ukrainekonflikts immer mehr der Schleier des Geheimnisses über diese Rüstungskategorie. Die Zahl der gefechtsbereiten Atomsprengköpfe hat im letzten Jahr um 86 auf vermutlich 9.576 zugenommen. Insbesondere China forciert die Aufrüstung, steigerte sein Arsenal von 350 auf 410. Vor 5 Jahren besaß es nur 280. Bis zum Ende des Jahrzehntes könnte es über mindestens ebenso viele Interkontinentalraketen verfügen wie die USA oder Russland. Die kleineren Atommächte ziehen nach: Pakistan (170), Indien (164), Nordkorea (30), Frankreich (290), Großbritannien (225), Israel (90).

2026 endet „New Start“, der letzte Atomwaffenkontrollvertrag zwischen Russland und den USA. Er begrenzt die Zahl der einsatzbereiten strategischen Atomsprengköpfe seit 2010 auf je 1.550 und der Trägersysteme zu Land, Wasser und in der Luft auf je 800. Kein Wunder, dass SIPRI-Direktor Dan Smith fürchtet: „Wir driften in eine der gefährlichsten Periode der Menschheitsgeschichte.“

Anfang Juni riefen die USA China und Russland zu Gesprächen über nukleare Rüstungskontrolle auf – ohne Vorbedingungen. Freilich bedeute das nicht, andere Atommächte nicht für ihr „rücksichtsloses Verhalten“ zur Rechenschaft zu ziehen, wie Jake Sullivan, nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten, betonte. Dieser Vorschlag ist also alles andere als uneigennützig: Geht Chinas Aufrüstung ungebremst weiter, stehen die USA bald vor dem Dilemma, erstmals in ihrer Geschichte zwei annähernd gleich große Atommächte in Schach zu halten. Er hob die Bedeutung von NATO-Verbündeten wie der BRD hervor, die zwar keine Nuklearwaffen besitzen, aber Einsatzmittel fürs US-Arsenal zur Verfügung stellten.

Zu ähnlich düsteren Prognosen kommt auch das Friedensgutachten 2023 von 4 deutschen Instituten. Deutschland und die EU müssten die Ukraine dauerhaft militärisch, ökonomisch und politisch unterstützen. Friedensgespräche seien derzeit keine realistische Option, müssten aber vorbereitet werden. Zu einer solchen Verhandlungsrunde sollten auch China und Brasilien gehören. Somit gerieren sich diese Institute ganz als brave Stimme ihres Herrn. Pazifismus ja, aber zuerst muss die richtige Seite unterstützt werden. Dafür zahlen wir schließlich Steuern – insbesondere für die weitere Aufrüstung.

EU-Militärpolitik: unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Die Ankündigung des militärischen Sondervermögens über 100 Mrd. Euro durch „Zeitenwende“kanzler Scholz löst eine massive Verschiebung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU aus: Der Trend zu wachsenden Verteidigungsausgaben ist europaweit zu verfolgen. Im Jahr 2019 lag das diesbezügliche Budget aller EU-Mitglieder bei 186 Mrd. Künftig wird allein Deutschland jährlich seines um 25 Mrd. aufstocken. Standen Ende 2021 die Zeichen im Koalitionsvertrag noch auf Rüstungskontrolle und Wiederbelebung der internationalen Abrüstung, setzte ab 2022 eine kontrollierte Rüstung ein. Die Ukraine erhielt Militärgerät, wobei östliche EU-Länder ihre noch aus Zeiten des Warschauer Paktes stammenden Waffensysteme abgaben und durch Nachkauf westlicher Ausrüstung sich dem NATO-Standard anpassten, ihn somit vereinheitlichten.

Die Antwort auf den Ukrainekrieg wird also vornehmlich in Aufrüstung gesucht, nicht in diplomatischen EU-Vermittlungs- und Verhandlungsmissionen. Dabei steht die europäische Verteidigungspolitik im Schatten der Öffentlichkeit. PESCO/SSZ, die ständige strukturierte Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten – wir berichteten in NI 226, Februar 2018: https://arbeiterinnenmacht.de/2018/02/03/muenchner-sicherheitskonferenz-2018-auf-dem-weg-zur-eu-armee/ – begann Ende 2017 und weist heute große Schnittmengen mit der NATO selbst auf. Beleg für den laufenden Ausbau dieser Politik liefern die Missionen auf dem Balkan, im Mittelmeer und Afrika (Mali, Niger).

In welche Richtungen EU-Gelder und -Budgets fließen, veranschaulicht das Projekt „Open Security Data EU“ (https://opensecuritydata.eu/). Man bedenke: Diese Gelder tragen zu einem Militärhaushalt ohne eigene EU-Armee bei! Der Europäische Verteidigungsfonds umfasst allein zwischen 2021 und 2027 8 Mrd. Euro für militärische Forschung und Entwicklung. Im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität stehen weiter 5 Mrd. für gemeinsame Missionen und Hilfe an Drittstaaten zur Verfügung. Weitere 500 Mio. liefert das Instrument zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (Edirpa) für den Zeitraum Juli 2022 – 2024.

Dass es bei einer EU ohne Armee bleiben wird, erscheint zudem immer unsicherer. Im März 2022 wurde der Strategische Kompass vorgestellt. Eine neue Schnelleingreiftruppe aus 5.000 Soldat:innen soll für Rettungs- und Evakuierungsaufträge, aber auch den Ersteinsatz im Rahmen der Krisenintervention bis 2025 aufgestellt werden.

Diese Zahlen und Hinweise verdanken wir einer Expert:innenrunde des Brüsseler Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter dem Oberthema: „Der Militarisierung entgegenwirken: Bestandsaufnahme und gemeinsame Wege im Kampf gegen die Militarisierung der Europäischen Union“ von Anfang September 2022 (https://www.rosalux.eu/de/article/2154.der-militarisierung-der-eu-etwas-entgegensetzen.html).

Doch so dankbar wir auch für die wertvolle Recherche der Stiftung sind, ihr „Antimilitarismus“ bleibt ein zahnloser:

„In der Summe der Projekte, Budgets und strategischen Planungen sowie deren absehbaren Ausweitungen drohen die Idee des friedlichen Charakters der Europäischen Union sowie die Vorstellung von einer Mittlerrolle im Rahmen von Friedensverhandlungen, die bislang im Ukrainekrieg auch nicht eingenommen worden ist, weiter Schaden zu nehmen. […] Wenn künftig das Mittel zur konstruktiven Enthaltung auch bei Militärmissionen zum Einsatz kommen sollte, dürfte die Zahl der Missionen aus nationalen Interessen einzelner oder mehrerer europäischer Staaten heraus zunehmen. Damit läuft die EU Gefahr, dass sich abgekoppelte Kriege auf Betreiben einzelner Staaten hin entwickeln. Analog kann der US-Feldzug in Afghanistan gesehen werden, dessen Angriffe im Rahmen der Operation Enduring Freedom mit Verteidigung nicht begründbar waren. Das zur Verteidigung angerückte Bündnis aus NATO- und Nicht-NATO-Mitgliedern leistete dafür eine wesentliche Unterstützung.

Linke europäische Politik muss sich angesichts dieser und vieler weiterer Aspekte, beispielsweise der Einsätze von Frontex im Mittelmeer und der auf Abwehr angelegten Maßnahmen an den europäischen Außengrenzen, über die Rolle innerhalb der Europäischen Union klar werden, um den friedensfördernden Charakter des Bündnisses nicht an die Rüstungsindustrie und Wirtschaftslobbyisten zu verlieren.

Das verlangt linker europäischer Politik aber auch ab, bei der Ablehnung der etablierten konventionellen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eigene Lösungen aufzuzeigen. Dabei muss auch das Bedürfnis nach dem Schutz, den Sicherheits- und Verteidigungsbündnisse vorgeblich bieten, in linke Lösungsvorschläge einfließen. Die Fragen nach einer neuen europäischen Sicherheitsordnung und einer gemeinsamen europäischen Verteidigung müssen von links beantwortet werden.“

Die Märchenerzähler:innen der RLS wollen uns weismachen, die EU sei eigentlich ein friedlicher Zusammenschluss, wenn egoistische Nationalinteressen, Wirtschafts- und Rüstungslobby nicht die Oberhand gewinnen. Kautskys Idee vom Ultraimperialismus erlebt hier eine Renaissance. Sie ist zwar ein Staatenbund, aber kein Superstaat, indem sich die konkurrierenden Interessen nationaler Gesamtkapitale schiedlich-friedlich verflüchtigt haben. Sie bildet ein politisch-wirtschaftliches Kartell unter Ägide des deutschen und französischen Imperialismus als dessen Hauptprofiteuren. Sieht so die Transformationsstrategie aus, der EU ihren grundlegend militaristischen und imperialistischen Charakter abzusprechen? Im Transformatorenhäuschen der RLS fließt nur reformistischer Schwachstrom, der den EU-Militarismus höchstens ein bisschen kitzelt. Das Gesundbeten dieses Saulus zum Paulus wird niemals gelingen. Die Linkspartei und ihre Ableger betreiben „konstruktiven, kritischen“ Sozialpatriotismus.




Krieg dem Krieg: Nein zur stetigen Militarisierung!

Diese Resolution wurde von der internationalen Deligiertenkonferenz der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION beschlossen. Find the english version on our website.

Es herrscht Krieg: ob im Jemen, Myanmar, Kurdistan oder der Ukraine. Und wo immer der Krieg tobt, zerstört er unsere Heimat, treibt Millionen Menschen in die Flucht und bringt den Tod. Mittendrin zwischen Zerstörung und Waffenproduktion, aufgeheizt von den Interessen der profitierenden Parteien sind wir Jugendlichen, die mit den Folgen zurechtkommen müssen. Doch allein das Hoffen auf Frieden wird uns nicht helfen, denn die kriegerischen Auseinandersetzungen und Militärbudgets sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Insbesondere der russische Angriffskrieg auf die Ukraine stellt dabei eine neue Qualität der Auseinandersetzung dar. Dieser Krieg istdieZuspitzung des imperialistischen Konflikts zwischen Russland und der NATO und birgt in sich die Gefahr, noch weiter zu eskalieren. Wir sagen klar: Nein zur imperialistischen Invasion Russlands, für einen sofortigen Abzug aller russischen Truppen! Doch genauso stellen wir uns gegen die Einflussnahme der NATO-Mächte, die nur ihren eigenen Einfluss auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausbauen möchte. Denn es werden vor allem junge Menschen in diesem Konflikt verheizt. Sie haben letzten Endes nur zwei Optionen: an der Front zu kämpfen oder zu desertieren. Wir stellen uns dabei auf die Seite der ukrainischen Jugend und der Arbeiter:innenbewegung, gegen den russischen Angriffskrieg – mit dem Ziel, einen von der NATO politisch unabhängig Widerstand aufzubauen. Die Auswirkungen des Krieges machen dabei nicht an den Grenzen der Ukraine oder Russlands halt, sondern sind weltweit zu spüren. Der Krieg treibt die Inflation hoch, sodass Energie- und Lebensmittelpreise explodieren. Das soll nicht unsere Zukunft sein! Doch wenn wir effektiv gegen den Krieg und seine Folgen kämpfen wollen, müssen wir uns zuerst fragen: Warum gibt es Krieg überhaupt? Und warum gibt es so viel mehr kriegerische Auseinandersetzungen in den letzten Jahren? 

Die stärkste Kraft gewinnt

Die Welt, in der wir leben, ist komplett der kapitalistischen Produktion und Profitlogik unterworfen. Es gibt keinen Fleck, keinen Rohstoff auf der Erde, welcher nicht eine:r Kapitalist:in gehört. Das ist ein Merkmal des höchsten Stadiums des Kapitalismus, des Imperialismus. Doch auch wenn alles aufgeteilt ist, besteht weiterhin eine Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Kapitalist:innen und auch unterschiedlichen Nationalstaaten. Um nicht abgehängt zu werden, haben sie manchmal gar keine andere Wahl, als Kriege um Wirtschaftswege (Westafrikanische Küste), Wirtschaftsräume (Mali) oder geostrategische Einflusssphären (Ukraine, Syrien, Afghanistan) zu führen. In manchen Krisen sind aber Profite zu gering, als dass Kapitalist:innen in ihre eigene Produktion investieren wollen, dann kann es sich für sie lohnen, in einem Krieg konkurrierende Produktivkräfte zu zerstören. Kurz um, die Politik der letzten Jahre ist eine zugespitzte Form der ökonomischen Konkurrenz und der Krieg ist letztendlich die Fortführung dieser Politik mit anderen Mitteln.

Der Kapitalismus hat den Zwang immer mehr Profit anzuhäufen, immer neuere Absatzmärkte zu erschließen und immer günstigere Arbeitskräfte zu erhalten. Die imperialistischen Blöcke haben den Drang, Konflikte zwischen ihnen immer weiter zuzuspitzen, um konkurrierendes Kapital und Produktionsstätten zu vernichten. Beides wird zwangsläufig immer zu Kriegen führen. Wenn wir gegen diese Kräfte ankämpfen wollen, müssen wir uns ihre Rolle in allen Ebenen des globalen Systems anschauen. Gegen Kriege zu kämpfen ist immer auch ein Kämpfen gegen den Kapitalismus!

Krise

Krisen wirken bei diesem Prozess wie Brandbeschleuniger, da sie die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalfraktionen erhöhen. So ist es kein Wunder, dass in den letzten 10 Jahren die Militärausgaben in die Höhe geschnellt sind und internationale Konflikte wieder zunehmen. Denn die Weltwirtschaftskrise von 2007/8 prägt immer noch das aktuelle Geschehen. Damals wurden für kapitalistische Staaten Rettungspläne gebastelt, die zu einem Ende dieser Krise führen sollen. So erleben wir eine langjährige Niedrigzinspolitik der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank, staatliche Konjunkturprogramme des chinesischen Staates und das Anwachsen von neuen Spekulationsblasen. Statt dass in der Krise Kapital vernichtet wurde, wurden ihre Kosten auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt und weitere Kriseneinbrüche mittels der Rettungspläne künstlich herausgezögert. Die Folgen waren eine massive Verarmung und Verschuldung, ein internationaler Rechtsruck und zunehmende Konkurrenz. Mit dem Zusammenbruch der internationalen Wirtschaft in der Corona-Pandemie hat sich nun die Lage nochmals verschärft – und wurde der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zusätzlich befeuert. Dabei besteht der Hauptkonflikt zwischen den USA und China, die sich darum streiten, wer die dominierende Kraft auf der Weltkarte sein wird. Zeitgleich mischen aber auch andere Kräfte mit, die versuchen, sich vor dem Abstieg im Rahmen der Konkurrenz zu retten. 

Blockbildung und drohende Auseinandersetzungen

So hat sich im Zuge des Ukrainekrieges die totgeglaubte NATO wieder formieren – und sich um Finnland und Schweden sogar erweitern können. Darüber hinaus haben sich imperialistische Staaten wie Deutschland und die EU als Ganzes nach dem Angriffskrieg näher zu den USA bewegt. Auch wenn schlussendlich jeder für sich allein kämpft, bilden sich beim aktuellen Kräftemessen unterschiedliche Blöcke heraus. Nicht jede Kraft kann zu 100 % zu einem Block dazugezählt werden. Das Ringen um Einflusssphären erzeugt auch Kräfte wie Indien oder Pakistan, die zwar nicht eigenständig ihr Interesse international durchsetzen können, aber durch wechselnde Allianzen versuchen, das Beste für sich herauszuschlagen. Doch auch wenn die Blockbildung noch nicht komplett abgeschlossen ist, sicher ist, dass die Konfrontationen aufgrund des zugespitzten Verteilungskampfes zunehmen werden. Wo diese stattfinden werden, ist nicht eindeutig zu sagen, aber schaut man sich die Blockbildung und die Verschärfung der Weltwirtschaftskrise an, können einige Regionen mehr als andere immer mehr zum Schauplatz der Austragung werden. Neben der Ukraine, ist auch Taiwan ein Land, welches von den Großmächten China und USA immer wieder ins Visier gelangt. Taiwan bekommt dabei von chinesischer Seite seine nationale Unabhängigkeit abgesprochen, denn Xi Jinping, welcher aktuell mit immer wieder auftretenden Unruhen zu kämpfen hat, schlägt immer stärker vor den aufkommenden Wahlen die Trommel des Chauvinismus. Außerdem versucht Chinas schon seit etlichen Jahren, mit teilweise großen Erfolgen, auf dem Land und auf dem Wasser eine neue Seidenstraße zu etablieren und macht dadurch viele Halbkolonien von sich abhängig. Der schwindende Machteinfluss der USA auf Nordafrika, dem Nahen Osten und Teilen Asiens, führt es einerseits zu einem Machtvakuum und lässt andererseits die Tür für andere imperialistische Mächte offen. Dass dies aber nicht ohne militärische Mittel stattfinden wird, sollte uns allen klar sein.

Mehr Kohle für den Tod

Das zeigt uns auch ein Blick auf die Rüstungsausgaben: 2020 erreichen die weltweiten Militärausgaben einen neuen Rekord: laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri liegen diese bei 1,981 Billionen Dollar, so viel wie noch nie. Das sind 5,4 Milliarden Dollar pro Tag und 226 Millionen pro Stunde. Würde man die Summe, die pro Stunde für Rüstungsausgaben ausgegeben wird, im Jahr gegen den Hunger ausgeben, könnte man innerhalb von 15 Jahren den Hunger auf der Welt beseitigen[1]. 39% aller Militärausgaben weltweit werden von der USA getätigt (778 Milliarden Dollar). An nächster Stelle folgt China, welches  innerhalb der letzten Dekade (seit 2011) dessen Rüstungsausgaben um 76% auf 252 Milliarden Dollar erhöhte, was 13% der weltweiten Ausgaben deckt. Auch Deutschland erhöht seine Militärausgaben, 52,8 Milliarden und einem Plus von 5,9% hat es damit seine Ausgaben im Vergleich zum letzten Jahr sogar mehr erhöht als die USA und liegt damit auf Platz 7 hinter China, Indien, Russland, Großbritannien und Saudi-Arabien. Ein weiteres Beispiel für die fortschreitende Militarisierung der Welt ist Japan. Seine pazifistische Außenpolitik hat das Land in den letzten Jahren bereits aufgeweicht und 2022 den Verteidigungshaushalt nochmals massiv erhöht. Die Zahlen sprechen für sich, und machen deutlich: die imperialistischen Staaten rüsten auf und bereiten sich auf kommende Kriege vor.

Zukunft: Kanonenfutter?

All diese Entwicklungen zeigen, dass „das schöne Leben“ nicht automatisch Teil unserer Zukunft ist, wenn wir nichts dafür tun. Insbesondere wir Jugendlichen werden oftmals zuerst an Fronten geschickt, während vorher eine Welle von Nationalismus nochmals versucht, dass es in unserem Interesse ist, fürs Vaterland zu sterben. Doch dass Nationalstaaten nicht in unserem Interesse handeln, konnten wir während der Pandemie sehen. Die Wirtschaft schrumpft, der Gesundheitssektor war in vielen Ländern am Zusammenbrechen – doch statt darin zu investieren, wuchsen die Rüstungsausgaben weiter und weiter. Und das ist nur eines von unzähligen Beispielen, das klarmachen soll: die Kriege, die aktuell geführt werden, sind Kriege des Kapitals. Sie finden im Interesse der Herrschenden statt, um die eigenen Profite zu sichern. Doch Werbung und Verpflichtung fürs Sterben sind für viele von uns Alltag. Denn die Jugend ist ein essenzieller und wichtiger Teil der Armeen. Wir sind noch nicht komplett in der Produktion eingebunden, kann somit ohne große Einbrüche für die Wirtschaft einbezogen werden und muss oftmals nicht einmal entlohnt werden. Dadurch, dass Jugendliche kein Mitspracherecht in politischen Themen und gesellschaftlichen Entscheidungen besitzen, wird es bewusst erschwert, dass sich dagegen Widerstand erhebt oder formuliert.

Bittere Realität: Jugend im Kreuzfeuer

Aktuell werden weltweit 250.000 Kinder und Jugendliche als Soldat:innen in kriegerischen Auseinandersetzungen sowohl von regulären Armeen als auch von Rebellengruppen eingesetzt. Sie bilden immer mehr einen festen Bestandteil in der militärischen Infrastruktur, ob an der Waffe, als Spion:innen, Informationsübermittler:innen oder bei anderen aufkommenden Tätigkeiten. Darüber hinaus wird oft vergessen, dass sexuelle Gewalt in militärischen Auseinandersetzungen immer stark ansteigt und auch gezielt als Kriegswaffe eingesetzt wird. So sind 5 bis 20 Prozent der Kindersoldat:innen Mädchen, die vor allem als Zwangsprostituierte eingesetzt werden[2]. Massenvergewaltigungen sind dabei die höchste Gewaltform und leider vor allem in Massakern, Kriegen gegen Minderheiten etc. eine immer wiederkehrende Kriegsführung. Myanmar (2017), Äthiopien (2021/22) und Demokratische Republik Kongo (seit 2007) sind traurige Beispiele unserer Zeit, in welchen mehrere Tausende Frauen vergewaltigt wurden, um den Willen der Menschen zu brechen und aufs brutalste zu entmenschlichen. 

So gab es weltweit 2022 67 Länder, in denen eine Wehrpflicht existiert[3]. Zu erkennen ist, dass die meisten Länder der Welt irgendeine Form von Armee besitzen, sie sich aber vor allem in der Art und Weise der Rekrutierung unterscheiden. Länder ohne Wehrpflicht besitzen oftmals große Anwerbekampagnen und verschiedene Angebote, die sowohl leistbare Möglichkeiten auf Bildung bieten als auch die Option, ein Leben lang im Militär zu arbeiten. Außerdem besitzen einige Länder eine Wehrpflicht de Jure, was bedeutet, dass Männer und in einigen Ländern auch Frauen sich zwischen einem bestimmten Alter bei der Armee melden müssen und bei „Bedarf“ rekrutiert werden. Aktuell melden sich aber in den meisten Ländern genügend Freiwillige, sodass dies in den wenigsten Fällen umgesetzt wird.

In Europa haben aktuell nur Dänemark, Schweden, Finnland, Estland, Zypern, Griechenland, Schweiz und Österreich eine Wehrpflicht, aber angesichts des Ukrainekrieges denken einige weitere Staaten über eine Reform ihrer Militärdienste nach. Lettland war das erste Land, welches schon Anfang Juli einen Wehrdienst wegen des Krieges einführen möchte. Ein Gesetzesentwurf dazu soll im kommenden Jahr vom Parlament verabschiedet werden. Der Verteidigungsminister Pabriks macht dabei in seiner Aussage um die Wiedereinführung deutlich: „Damit dürfe sich das Risiko verringern, dass Russland Lettland nach Belieben angreift“[4]. Dass andere Länder folgen werden ist sicher, in den meisten Ländern der EU (z.B. Niederlande) wurden über die Aufstockungen der eigenen Armee diskutiert und Studien zur Wiedereinführung des Militärdienstes in Auftrag gegeben. Auch Deutschland ist in der Debatte nicht stumm geblieben. Aus den Reihen aller Parteien wurden Stimmen nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht laut, was in diesem Kontext eine Stimme für eine fortschreitende Militarisierung ist.

Krieg dem Krieg: kein Cent, kein Mensch dem Militarismus!

Wir wollen kein Kanonenfutter sein oder zusehen, wie unsere Lebensgrundlage immer weiter zerstört wird. Denn Kriege töten nicht nur unmittelbar, sondern befeuern auch die Klimakrise. Was also tun? Wir verurteilen nicht per se, wenn Jugendliche zur Waffe greifen, um für ihre Interessen, gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Imperialismus zu kämpfen. Oftmals bleibt ihnen nichts anderes übrig, wenn es um die Selbstverteidigung erkämpfter Räume geht. Jugendliche kämpfen Seite an Seite in Befreiungskämpfen von Kurdistan bis Palästina, aber eben für ihre Interessen, gegen Besetzung und Vertreibung. Dies ist nicht gleichzusetzen mit den Kriegen der imperialistischen Staaten für die Profite einer Elite. 

Wenn wir uns diesen effektiv entgegenstellen wollen, müssen wir aus der Geschichte lernen. Hier sind die Oktoberrevolution sowie die Anti-Kriegsbewegungen des Ersten Weltkrieges als relevante Beispiele zu nennen, in denen Arbeiter:innen massenhaft und organisiert gegen das imperialistische System vorgingen. Denn nur wenn wir das Problem an der Wurzel packen – den Kapitalismus mit seinem ewigen Konkurrenzzwang – können erfolgreich sein. In der Oktoberrevolution wurde ein Arbeiter:innenstaat errichtet, welcher in Kombination mit der gescheiterten Novemberrevolution zum Ende des Ersten Weltkrieges führte. Anhand dieser historischen Ereignisse muss man die angewandten Strategien analysieren und von ihnen methodische Wege für die Überwindung imperialistischer Kriege und des Imperialismus als Ganzes ableiten. Ein weiteres wichtiges Beispiel sind die Aufstände im Arabischen Frühling, welche von großer Bedeutung für Anti-Imperialismus-Bewegungen in halbkolonialen Ländern sind.

Doch die bloße Analyse und Übertragung der Strategien und Taktiken der vergangenen Arbeiter:innen- und Jugendbewegung ist nicht ausreichend. Wir müssen die Lehren, die wir aus diesen ziehen können, auf die heutige, veränderte Situation der Weltpolitik und die veränderten Gegebenheiten in der Lage der Arbeiter:innenklasse anwenden. Es bleibt die Notwendigkeit des Aufbaus einer Arbeiter:innen- und Jugendbewegung gegen imperialistische Konflikte! Aber wie und wo kann uns das gelingen? Um erfolgreich zu sein, muss ein solcher Kampf zwangsläufig auf einer internationalen Ebene stattfinden. Klar, müssen jene von uns in imperialistischen Ländern, sich gegen die Kriegsinteressen der eigenen Nation stellen. Doch da auch der Imperialismus ein globales System ist, können wir nur erfolgreich sein, wenn wir uns ebenfalls international organisieren. Das heißt: Eine erfolgreiche Antikriegsbewegung muss international sein und den Kampf gegen die Auswirkungen des Krieges mit dem Kampf gegen das kapitalistische System verbinden. Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht vom Nationalismus spalten lassen und trotzdem das Selbstbestimmungsrecht unterdrückter Völker und Halbkolonien verteidigen. 

  • Für die Zerschlagung aller imperialistischen Militär- und Wirtschaftsbündnisse! Für die Niederlage des Imperialismus – sofortiger Abzug aller imperialistischen Truppen und ihrer Handlanger!
  • Gegen jegliche imperialistischen Militarisierung: Weder Wehrpflicht noch Berufsheer – für die Selbstverteidigung der Arbeiter:innenklasse! Für demokratisch legitimierte Arbeiter:innenmilizen unter Kontrolle von Räten!
  • Kein Cent und kein Mensch dem Militarismus: Gegen Werbung für das Militär! Gegen jegliche „Aufrüstungspakete“ und Militäretats!
  • Zerschlagt die Rüstungsindustrie! Verstaatlichung ihrer Kriegsprofite und Überführung der Kriegsindustrie in eine zivile Industrie.
  • Für den Aufbau einer internationalen Jugend- und Arbeiter:innenbewegung gegen Krieg und Kapital!
  • Für das Selbstbestimmungsrecht unterdrückter Nationen.
  • Für das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, weder unter Kontrolle von Russland noch unter Kontrolle der NATO.
  • Enteignet die Kriegsprofiteure! Alle Waffenkonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle.
  • Für das Selbstverteidigungsrecht der Arbeiter:innen! Entwaffnet den bürgerlichen Staat!
  • Kein Sterben für imperialistische Kriege: Gegen Generalmobilisierungen der Imperialisten.
  • Für den Aufbau einer internationalen Arbeiter:innenbewegung gegen Krieg und Kapital!

[1] https://www.handelszeitung.ch/politik/welt-ohne-hunger-kostet-267-milliarden-dollar-810985#:~:text=Um%20in %2015%20Jahren%20den,650%20Millionen%20Menschen%20Hunger%20leiden.

[2] https://www.tdh.de/was-wir-tun/themen-a-z/kindersoldaten/

[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1334153/umfrage/verteilung-der-laender-nach-status-der-wehrpflicht/

#:~:text=Im%20Jahr%202022%20gab%20es,ist%20oder%20nicht%20angewandt%20wird.

[4] https://de.euronews.com/my-europe/2022/07/27/welche-lander-in-europa-wollen-wieder-eine-wehrpflicht-einfuhren




Die ersten 100 Tage der neuen Regierung: Top oder Flop?

Von Jonathan Frühling

Seit einigen Monaten haben wir eine neue Regierung. Es sitzt wieder eine Person von der SPD im Kanzleramt und auch die Grünen sind zurück. Die Merkel-Ära ist endlich vorbei. Doch gibt es wirklich einen Grund zum Feiern? Den Koalitionsvertrag haben wir bereits an anderer Stelle ausführlich analysiert (http://onesolutionrevolution.de/ampelkoalition-transformation-fuers-kapital/). Wir haben uns für euch angeschaut, was die Regierung in den ersten 100 Tagen seit ihrer Amtseinführung Anfang Dezember alles gemacht (bzw. nicht gemacht) hat.

Nochmal eine kleine Zusammenfassung: Die neue Regierung bildet sich aus einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP (nach ihren Farben „Ampelkoalition“ genannt). Die SPD besetzt das Kanzleramt, sowie u.a. die wichtigen Ministerien für Inneres, Arbeit, Verteidigung und Gesundheit. Die Grünen bekommen u.a. das Außen- und das Wirtschaftsministerium, die FDP u.a. das Finanz- und das Verkehrsministerium. Alleine das Vorhandensein der neoliberalen FDP an wichtigen Schaltstellen der Regierung und die Tatsache, dass die SPD in den letzten 23 Jahren 19 Jahre an der Regierung war, sollte das Gerede vom Aufbruch oder dem frischen Wind lächerlich machen.

Welche Fortschritte wurden erzielt?

Fangen wir mit den augenscheinlich guten Dingen an, die die Regierung beschlossen hat. Lang ist die Liste sowieso nicht. Der Mindestlohn wird ab Oktober auf 12 € angehoben und die Lohngrenze für steuerfreie Minijobs von 450 € auf 520 € angehoben. Die Inflation wird diese kleinen Errungenschaften jedoch leider bald wieder zur Nichte machen und leider führt die höhere Lohngrenze bei Minijobs eher zu Vorteilen für Unternehmer_Innen: Denn diese müssen jetzt faktisch noch weniger Geld in die Renten- und Sozialkassen einzahlen, was zuletzt das Risiko für (Alters-)Armut bei Arbeiter_Innen verschärft. Außerdem würde eine wirklich soziale Arbeitspolitik diese Art der Minijobs begrenzen, statt diese weiter attraktiv zu machen.

Das „Entlastungspaket“ soll höhere Energiepreise teilweise ausgleichen. Es beinhaltet eine höhere Pendlerpauschale (die FDP lässt grüßen), eine Einmalzahlung von 135 € für Wohngeldempfänger_Innen und den Wegfall der EEG-Umlagen (Endverbraucher_Innen zahlen hier für die Förderung nachhaltiger Energien). Dies als Tropfen auf dem heißen Stein zu beschreiben, wäre sogar noch übertrieben. Die Energiepreise steigen weiterhin massiv, was gerade Menschen geringeren Einkommens zu spüren bekommen.

Und was ist mit Corona?

Vernünftig klingende Forderungen, wie die Legalisierung von Cannabis wurden bisher nicht angepackt. Grund dafür: Man wolle sich zunächst um die Corona-Krise kümmern. Wer allerdings glaubt, dass endlich der privatisierte und kaputtgesparte Gesundheitssektor in Ordnung gebracht wird, wird enttäuscht. Die Regierung setzt einfach nur den Kurs der schwarz-roten Koalition fort. Das bedeutet eine Herdenimmunität durch Impfungen und Infektionen. 200 Tote pro Tag im Wochendurchschnitt sind schon längst nicht mehr der Rede wert. Eine Impfpflicht, die vielleicht nicht das beste Mittel ist, aber doch viele Leben retten kann, wird wohl nicht mehr verabschiedet werden. Zwar gibt es noch eine Maskenpflicht und die Pflicht, getestet zu sein, z.B. in Restaurants oder Kinos, doch auch diese Maßnahmen sollen noch im März fallen. Die Schließungen von Schulen oder Betrieben (Freizeitenrichtungen teilweise ausgenommen) sind mittlerweile ein politisches No-Go. Die Regierung gibt vor den Verschwörungsspinner_Innen auf der Straße und den Bossen des Kapitals klein bei.

Die Kriegsampel

Spätestens seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine steht die Ampel in Deutschland auf Krieg. Der bisher prägendste Schritt der Regierung ist nämlich die forcierte Aufrüstung. Deutschland soll einmalig zusätzlich 100 Mrd. € (!) für Rüstungsprojekte ausgeben und dann die Militärausgaben auf jährlich 2 % des BIP erhöhen. Das bedeutet eine Steigerung der Rüstungsausgaben um über 30 % und erhöht den Militäretat auf knapp 70 Mrd. €. Diese unglaubliche Zahl wir nur von den USA und China übertroffen und liegt auch weit über den Rüstungsausgaben Russlands (55 Mrd. €). Übrigens wurden auch schon Waffen in die Ukraine (ein Kriegsgebiet) geschickt, was die Regierung bisher abgelehnt hat.

Wenn es um Aufrüstung und Krieg geht, macht die Regierung schnell Milliarden frei. Wenn jedoch unsere Schulen marode & ohne Hygienekonzepte sind, unsere Großeltern an Altersarmut leiden oder Bekannte im Krankenhaus nicht richtig behandelt werden, heißt es dagegen, es wäre kein Geld da. An Heuchelei und Militarismus übertrifft das neue Kabinett die alte Regierung also schon. Mit dem alten Finanzminister Scholz als Kanzler ist das aber auch nicht verwunderlich.

Die Aufrüstung des deutschen Imperialismus auf unsere Kosten ist also in vollem Gange. Kaum erwähnt wird auch, dass die Regierung mit den Stimmen der CDU beschlossen hat, den Militäreinsatz im Irak fortzusetzen. Gleiches gilt für die UN-Mission im Südsudan und die anti-Flüchtlingsmission „Sea-Guardian“ im Mittelmeer. Zwar freut es, dass der Militäreinsatz in Mali im Mai nicht verlängert werden soll, allerdings ist dieser genau wie der Afghanistan-Krieg offensichtlich gescheitert und soll zudem Mittel für den Konflikt mit Russland freimachen. Die Stationierung von 350 weiteren Soldat_Innen (insgesamt dann 850) in Litauen steht auch in diesem Zeichen und wurde sogar schon vor dem Ukrainekrieg beschlossen.

Zudem sollen weitere Aufklärungsdrohnen aus Israel angeschafft werden. Apropos Israel: Natürlich hat die neue Regierung auch eine bedingungslose Unterstützung des israelischen Apartheitsstaates im Gepäck. Das machte z.B. Scholz klar, als er Anfang März Israel besuchte. Ein Besuch der besetzen palästinensischen Gebiete oder auch nur lauwarme Worte für den abgestorbenen Friedensprozesses hielt er unterdessen nicht für notwendig.

Grün ist die Regierung, aber nicht ihre Politik

Unter anderem wegen den Spannungen mit Russland geht es auch in Punkto Klimaschutz nicht voran. Die Nord Stream II Pipeline, die russisches Gas nach Deutschland bringen soll, wird, obwohl fertiggestellt, nicht ans Netz gehen. Stattdessen wird nun weiteres Geld aufgewendet, um Gas-Terminals zu bauen, um z.B. US-amerikanisches Frackinggas in unsere Heizungen zu bekommen. Auch der Ausstieg aus der Kohlverstromung 2030 ist nun offiziell vom Tisch. Imperialistisches Säbelrasseln ist also auch dieser Regierung wichtiger als unsere Umwelt.

Was fehlt?

Lang ist zudem die Liste von Vorhaben, die trotz relativ einfacher Umsetzung bisher nicht angegangen wurden. So z.B. die Einführung des elternunabhängigen Bafögs. Zwar hat das Kabinett endlich die Abschaffung des archaisch wirkenden Verbots für Abtreibungen zu „werben“ (§219a), beschlossen, doch das eigentliche Problem, nämlich, dass Abtreibungen laut Gesetz verboten und nur bis zur 12 Woche straffrei sind, würde natürlich auch nach der Abschaffung von §219a bestehen bleiben. Selbst das erzkonservative und von einer rechten Regierung regierte Kolumbien ist da schon deutlich weiter (dort sind es 24 Wochen). Leider wurde auch bisher die Istanbuler-Konvention gegen Gewalt an Frauen immer noch nicht umgesetzt. Das würde z.B. den Bau von tausenden Frauenhausplätzen miteinschließen.

Zudem kommt Kampf gegen Kinderarmut (jedes 5. Kind in Deutschland lebt in Armut) nicht voran. Über einen gerade in Zeiten von Inflation mickrigen Überbrückungszuschuss von 25 € pro Monat wird derweilen heftig diskutiert. Das lässt vermuten, dass auch die geplante „Kindergrundsicherung“ an der Situation nicht viel ändern wird. Eine satte Erhöhung von Hartz-IV und flächendeckende und kostenlose Betreuungsplätze werden leider nicht erwogen.

Widerstand ist notwendig!

Wer auch nur irgendwelche Hoffnungen in die neue Regierung hatte, sieht sich spätestens jetzt der grausamen Realität gegenüber. Kein Aufbruch, kein Politikwechsel und schon gar kein frischer Wind erwarten uns. Wie wir bereits gewarnt haben, bringt die neue Regierung nur eine Fortsetzung und sogar Verschärfung der kapitalistischen und imperialistischen Politik.

Wir fordern dagegen:

  • Mehr Hartz IV und Sozialwohnungen!
  • Für eine Rekommunalisierung des Gesundheitswesens und eine Abschaffung der Fallpauschalen!
  • Für die Legalisierung aller Drogen & frei zugängliche Aufklärungsangebote!
  • Mehr Frauenhausplätze und eine militante Bewegung gegen Sexismus!
  • Offene Grenzen & Staatsbürger_Innenrechte für alle Menschen!
  • Keine Aufrüstung, sondern Abrüstung!
  • Auflösung der imperialistischen Kriegsallianz NATO! Für den Aufbau einer proletarischen Antikriegsbewegung!
  • Keine Waffenexporte, wie z.B. an die Ukraine!
  • Blockade und Sabotage der Waffenindustrie und Kriegslogistik durch Streiks!