Corona und Querdenken: Von gesellschaftlicher Durchseuchung und Hygienemaßnahmen

von Linda Loony

Schaltet man den Fernseher oder das Radio ein, so fällt auf, dass der thematische Dauerbrenner „Corona“ weitestgehend abgelöst wurde. In der Tagesschau bekommt selbst der Wetterbericht inzwischen beinahe mehr Sendezeit als die Berichterstattung rund um Hygienemaßnahmen und Pandemieverlauf und die knappe Zusammenfassung des täglichen Infektionsgeschehens wird in den Ohren der pandemiemüden Zuhörer_Innen nahezu bedeutungslos. Hört man sich in seinem Umfeld um, haben vermutlich viele bereits den Faden verloren, welche Maßnahmen eigentlich gelten – aber Corona ist doch vorbei, oder? Zumindest scheint dies die zentrale Botschaft zu sein, die mit der Aufhebung nahezu aller Beschränkungen nach dem sogenannten „Freedom Day“ am 20. März gerade von der Regierung propagiert wird. Obwohl die Zahlen der Neuinfektionen in Deutschland täglich neue Rekorde erreichen, lautet die Devise „Zurück zur Normalität“. Statt effektiver, kurzzeitiger Shutdowns und dauerhaftem Schutz durch gezielte Hygienemaßnahmen, entschied sich die Bundesregierung längst dafür, geld- und ressourcen-„sparend“ das Pandemietreiben sich selbst zu überlassen.

Durchseuchung und Profite statt Gesundheitsschutz

In den letzten Monaten wurde durch die verhängten Maßnahmen der Regierung immer offensichtlicher, dass es hierbei vor allem um die kurzfristige Verhinderung wirtschaftlicher Einbußen geht, die stets das Wohl der Bevölkerung zu überwiegen scheinen. So ist es bspw. bereits üblich, dass in der Schule nur bestätigte Covid-erkrankte Schüler_Innen isoliert werden – nicht aber ihre direkten Banknachbar_Innen oder engen Kontaktpersonen. Gleiches gilt für das Arbeitsleben: Isoliert werden nur nachweislich erkrankte Personen, für deren Haushaltsmitglieder wird hier keine Notwendigkeit mehr gesehen, sich ebenfalls zu isolieren. Die Folgen der immer weiter zurückgenommenen Maßnahmen sind deutlich im Infektionsgeschehen sichtbar. So hat Deutschland laut der offiziellen Statistik der WHO aktuell die weltweit dritthöchste absolute Zahl der Neuinfektionen pro Woche gemessen. Auch die Anzahl der durchgeführten PCR-Tests, die ein positives Ergebnis lieferten, kletterte laut RKI seit Anfang dieses Jahres von ihren üblichen rund 20% auf knapp 51%. Dies führt zu nie dagewesenen Anzahlen von Krankschreibungen. In ohnehin schon von Personalmangel und Unterfinanzierung gebeutelten Bereichen wie der Pflege oder pädagogischen Arbeit ist dies fatal. Auch die Annahme, mit der Omikron-Variante lediglich einen leichten Schnupfen zu bekommen, verharmlost reale Folgen die das Long-Covid-Syndrom und ignoriert vulnerable, aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpfte Gruppen. Insgesamt wurde in 2 Jahren Pandemie kein nachhaltiges, internationales Lösungskonzept etabliert. Sinnvolle Schritte wie das regelmäßige und niedrigschwellige Testen, der unbeschränkte Zugang zu PCR-Tests oder das Tragen von Masken werden weiter zurückgenommen. Statt die in der Gesundheitskrise deutlicher denn je zu Tage getretene Unterfinanzierung von Gesundheitswesen, Betreuung und Bildung anzugehen, weil es dazu angeblich nicht genug finanzielle Mittel gebe, müssen wir nun zuschauen, wie von denselben Verantwortlichen Milliarden für den Krieg und die Aufrüstung in Rekordzeit bereitgestellt werden.

Die Nebelkerze “Impfkampagne”

Auch wurde bis heute das wirksamste Mittel gegen Corona – die Schutzimpfung – in Deutschland, aber vor allem international unzureichend eingesetzt. Dabei lässt sich die Wirksamkeit der Impfung im Pandemiegeschehen deutlich beobachten: Die Sterblichkeit, auch wenn sie in Deutschland mit 200-300 Menschen täglich noch immer erschreckend hoch ist, sank in den letzten Wochen – zumindest in Relation zu der steigenden Zahl der Erkrankten. Doch der Anteil der geimpften Bevölkerung bleibt seit Februar auf dem Niveau von 76% und stieg seit November letzten Jahres kaum mehr an. Auch die Zulassung des Hoffnungsträger-Impfstoffes Novavax als Alternative zum mRNA-Vakzin brachte nicht den gewünschten Aufschwung für die Impfkampagne. So bleibt infolgedessen auch die Diskussion um die allgemeine Impfpflicht heiß. Doch eine national begrenzte Impfpflicht hilft uns aus einem globalen Gesundheitsnotstand, in dem vor allem in den Halbkolonien weiter nur Impfquoten im unteren Prozentbereich ermöglicht wurden, nicht heraus. Ohne eine international gerechte Verteilung der Impfstoffe, eine dafür notwendige Aufhebung der Patente und die Weitergabe von Produktionsanlagen in die Halbkolonien wird das Infektionsgeschehen dort weitertoben, wodurch neue Virusvarianten entstehen und sich erneut ausbreiten können. Somit bleibt die Pandemie ein fortwährendes, sich immer weitertragendes Problem und das sogenannte „Pandemiemanagement“ der Regierung eine einzige Niederlage ohne Perspektive.

Zwischen notwendiger Kritik und Leugnung von Notwendigkeiten

Wirft man einen Blick auf die Übersicht aller von Maßnahmen betroffenen Bereiche der Gesellschaft und des täglichen Lebens, so fällt für Deutschland rasch eine überproportional hohe Restriktion für das private Leben der Menschen auf. Während in Unternehmen und Schulen lediglich partiell mit einschneidenden Maßnahmen reagiert wurde, waren private Zusammenkünfte, Bewegungsfreiheit oder bspw. die Nutzung von Sport- und Begegnungsstätten lange Zeit und wiederkehrend massiv eingeschränkt worden. Auch im internationalen Vergleich waren laut WHO in Deutschland Beschränkungen in Betrieben und Schulen recht lasch. Es gibt also durchaus berechtigte Kritik an den Maßnahmen der Regierung, die stets so ausgelegt waren, dass sie den Großbetrieben ja keinen Schaden zufügen und vor allem möglichst wenig Geld dafür in die Hand genommen werden musste. Doch diese Kritik und der daraus erwachsende Unmut der Bevölkerung wurde nicht durch eine starke linke Bewegung abgefangen und kanalisiert. Zwar gab es bspw. mit ZeroCovid anfangs gute Initiativen, doch auch diese konnte keinen Massencharakter entwickeln und verschwand nach relativ kurzer Zeit wieder von der öffentlichen Bildfläche. So wurde es den Verschwörungsideolog_Innen von Querdenken besonders leicht gemacht, sich als angebliche Alternative zum desaströsen Pandemiemanagement der Herrschenden zu inszenieren.

Der Bodensatz der Krisenpolitik

Bereits vor dem Ausbruch der Coronapandemie gab es einen gesellschaftlichen Rechtsruck, welcher selbst eine unmittelbare Folge der anhaltenden Weltwirtschaftskrise 2008 war. Im Windschatten dieser Krise konnten sich rechtspopulistische Parteien und rassistische Bewegungen erfolgreich etablieren, während zeitgleich der Aufbau einer sozialen Antikrisenbewegung, getragen von den Gewerkschaften, Arbeiter_Innenparteien und linken Gruppierungen, verpasst wurde. Die widersprüchliche Politik der Herrschenden, die halbherzigen Lockdowns und die hierdurch aufgeschobene Notwendigkeit, Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu beschließen, welche jedoch größtenteils auf den privaten Bereich beschränkt blieben, sorgten dafür, dass die Querdenkenbewegung immer weiter an Zulauf gewinnen konnte. Während die scheinbar harmlosen Kernthemen der Querdenker_Innen, die Kritik an der Einschränkung von Grundrechten, die Ablehnung der Maskenpflicht und von Impfungen, ihren Teil dazu beitrugen, dass ihr rechtes Potential unterschätzt wurde, hat sich die Querdenkenbewegung längst als rechtes Sammelbecken entpuppt. Je länger der Zickzack-Kurs während der Pandemie andauerte, desto mehr radikalisierten sich nennenswerte Teile der Bewegung immer weiter und die Rechten konnten sich im Zuge dieser andauernden Proteste erfolgreich weiter aufbauen und führen diese mittlerweile zum Großteil offen an. Auch wenn die Coronamaßnahmen nun immer weiter zurückgefahren werden, ist nicht davon auszugehen, dass die Schwurbler_Innen einfach verschwinden. Selbst wenn sich Querdenken endlich “totläuft“, bleibt zu befürchten, dass der Schaden, welche die massive verschwörungsideologische und in Teilen antisemitische Propaganda der Rechten angerichtet hat, ein längerfristiges, anhaltendes Problem bleibt. So wie PEGIDA nicht einfach nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ verschwunden ist, sondern im Gegenteil nachhaltig ein rassistisches Klima und einen festen Bodensatz an AfD-Wähler_Innen produziert hat und mittlerweile mit Querdenken nahezu fusionierte, werden auch nach Querdenken neue rechte Bewegungen immer wieder entstehen, solange wir als Linke diesen nicht effektiv etwas entgegensetzen und den Nährboden, auf dem solche erst entstehen können, den Kapitalismus, für immer austrocknen.

Deswegen fordern wir:

  • Freigabe der Impfstoffpatente international und eine internationale Impfpflicht, um der Pandemie endlich wirksam entgegen zu treten, das gilt auch für regelmäßige Auffrischungsimpfungen!
  • Schluss mit der Rücknahme aller Maßnahmen, vor allem denen, die noch notwendig sind (wie z.B. kostenlose Tests oder Maskenpflicht).
  • Kostenlose Bereitstellung von PCR Tests überall, denn Schnelltests stellen nun mal Omikron nicht fest.
  • Stellen wir uns den Rechten auf der Straße entgegen, und blockieren wir ihre Demonstrationen!
  • Aufbau einer Antikrisenbewegung, die eine antikapitalistische Alternative zur Regierung, aber auch zu den rechten Verschwörungstheoretiker_Innen darstellt!



Klassenkampf statt Querdenken

Dies ist ein Flyer, der in Berlin auf den Gegenprotesten zu den „Montagsspaziergängen“ verteilt wird.

Seit mehreren Monaten treibt die rechtsoffene, verschwörungsideologische Bewegung „Querdenken“ verstärkt ihr Unwesen in deutschen Städten. Häufig tritt diese in Form der sogenannten Montags-Spaziergänge, welche in Wahrheit als Spaziergang getarnte und unangemeldete Demonstrationen sind, auf. Querdenken ist eine Querfront, also eine Bewegung, in der sich verschiedene politische Gruppen aktiv zusammenschließen, welche sich eigentlich konträr gegenüberstehen. So besteht Querdenken einerseits aus esoterischen Hippies, ultra-liberalen FDP-Wähler_Innen und andererseits aus handfesten Nazis, welche sich seit Beginn der Bewegung 2020 immer mehr in den Vordergrund gestellt und spätestens seit den Montagsspaziergängen vor allem im Osten Deutschlands die Führung übernommen haben.

Die „Kritik“ der Querdenker_Innen an den Corona-Maßnahmenbezieht sich weniger auf konkrete, teils auch kritikwürdige Regelungen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen wurden. Vielmehr argumentiert die Bewegung mittels absurder, oftmals antisemitisch angehauchter, Verschwörungsmythen á la „Great Reset“. Kernaussage ist hier häufig, dass es in Wahrheit gar keine Pandemie gäbe, sondern lediglich die Mächtigen sich verschworen haben und dem Volk glauben machen wollen, es bestünde eine in Wahrheit nichtexistierende Gefahr. So wird zum Beispiel gerne von einer „Corona-Diktatur“ gesprochen und die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung werden mit dem Hitlerfaschismus verglichen. Eines der ekelhaftesten Beispiele hierfür sind die „Ungeimpft-Sterne“, die viele Querdenker_Innen in Anlehnung an die zur Kenntlichmachung von Jüd_Innen genutzten „Judensterne“ tragen, was eine unfassbare Verhöhnung der Opfer des Holocausts ist.

Gleichzeitig erschwert die Existenz der Querdenker_Innen-Bewegung den Weg für eine sinnvolle und antikapitalistische Kritik an den Corona-Maßnahmen, da es nun ein Leichtes ist, jede Person, die ein Wort gegen die aktuelle Pandemie-Politik sagt, in die verschwörungsideologische Ecke zu stellen. Doch zu kritisieren gibt es vieles: Seien es die unverhältnismäßigen Ausgangssperren, die Tatsache, dass man sich teilweise nicht mit zwei Freund_Innen treffen durfte, aber mit hundert anderen Menschen am Arbeitsplatz arbeiten musste, oder die Strategie der Regierung, ohne ernsthaften Schutz um jeden Preis den Regelunterricht an den Schulen fortzusetzen, wodurch Kinder und Jugendliche der Durchseuchung ausgesetzt werden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der Biontech-Konzern es der BRD verboten (!) hat, überzählige Impfdosen an ärmere Länder zu spenden, um den eigenen Profit nicht zu gefährden.

Wir fordern also:

  • Sofortige Aufhebung der Patente auf Impfstoffe und somit freien Zugang zu diesen für ALLE Länder, damit sich das Virus nirgendwo auf der Welt mehr ungestört verbreiten kann!
  • Finanzierung der Krisenkosten durch Besteuerung auf die Vermögen der Reichsten, die ihr Vermögen in der Krise verdoppelt haben!
  • Rekommunalisierung der Gesundheitsversorgung und Enteignung der großen Krankenhaus-Konzern wie Asklepios oder Vivantes und somit ein Ende des profitorientierten Gesundheitssystems, sowie damit einhergehend die sofortige Abschaffung der Fallpauschale und der Profitpflicht für öffentliche Krankenhäuser!
  • Für eine drastische Erhöhung der Löhne für Pfleger_Innen um mindestens 50% und die Zahlung eines Corona-Bonus von jeweils 5.000 Euro für die beiden Pandemie-Jahre 2020 und 2021, sowie die Einstellung von neuen Pflegekräften zur Entlastung!
  • Sicherheit in Schulen und am Arbeitsplatz, ein Ende der Durchseuchung der Schulen und eine Rückkehr zum Fernunterricht, sobald es die pandemische Lage erfordert, sowie ein bundesweites Aussetzen der Präsenzpflicht bis zum Ende des Schuljahres. Alle werden versetzt! Für Beschäftigte in nicht gesellschaftlich relevanten Bereichen muss die Möglichkeit bestehen, bei sehr hohen Inzidenzen in einen voll bezahlten Urlaub zu gehen.
  • Einen sofortigen Ausbau der PCR-Test-Kapazitäten und kostenlose PCR-Tests für alle: Im Moment stehen nahezu keine PCR-Tests mehr zur Verfügung, was dazu führt, dass die Kontaktnachverfolgung bei weiter steigenden Inzidenzen unmöglich wird.

Zusätzlich wollen wir darauf aufmerksam machen, dass es das kapitalistische Wirtschaftssystem ist, welches eine Krise durch das Virus in diesem Ausmaß erst ermöglicht hat. Da im derzeitigen System der Profit über Bedürfnisse gestellt wird, wurde das Gesundheitssystem jahrzehntelang kaputtgespart; es war Deutschland „nicht möglich“, die nicht notwendige Produktion für einige Wochen herunterzufahren, um die Pandemie einzudämmen. Zudem waren Pharmakonzerne trotz Milliardensubventionen aus Steuergeldern nicht bereit, zum Wohle aller auf fette Rendite zu verzichten. Während die reichsten 10 Männer ihr Vermögen verdoppelt haben, sind 150 Millionen Menschen weltweit in die Armut gestürzt. Und vermutlich wird das erst der Anfang sein, denn die Wirtschaftskrise, die auf die Gesundheitskrise folgt, hat das Potential die Krise von 2009 bei weitem zu übertreffen. Die Inflation hat jetzt bereits die 5% erreicht, was bedeutet, dass die Reallöhne weiter fallen werden, während Mieten und Preise für Gas und Benzin steigen. Dazu kommen dann auch noch zu allem Übel Politiker_Innen, wie der Grüne Özdemir, die auch noch die Lebensmittelpreise erhöhen wollen. Bei all diesen Krisen, die sich immer weiter zuspitzen, muss uns als Lohnabhängigen klar sein: Der Kapitalismus ist die Krise! Nur in einem System jenseits des Kapitalismus, in einer rätedemokratisch verwalteten Planwirtschaft, können wir diese Krisen lösen! Nur der Sozialismus ist in der Lage ein System zu schaffen, in dem nicht mehr der Profit einiger weniger zählt, sondern die Bedürfnisse vieler! Was uns dabei nicht helfen wird, sind rechte, auf Verschwörungsmythen basierende, Scheinlösungen, die das wahre Problem verkennen und im Gegenteil eine noch unsolidarischere Politik fordern.




Die Radikalisierung der Querdenkenbewegung.

von Felix Ruga

Kannst du dich erinnern? Vergangenen
März, bald ein Jahr ist es her, gab es in einigen Städten
sogenannte „Hygiene-Demos“, bei denen sich meist kaum hundert
Leute versammelt haben. Es ging vor allem darum, sich gegen die
Einschränkung der Versammlungsfreiheit genau diese zu nehmen.
„Hygiene“ hieß damals, dass man dabei Abstand hielt, nur in
kleinen Gruppen war und später dann auch Maske trug, weil man sich
über die Ansteckungsgefahr bewusst sei, jedoch trotzdem
demonstrieren wolle. Auch schon damals war es ein Sammelbecken
verschiedenster Strömungen, zunächst vor allem
Menschenrechtler_Innen und Verschwörungsideolog_Innen, später kamen
dann auch Nazis dazu und verdrängten dabei Stück für Stück alle,
die ein Problem mit ihnen haben könnten.

Seit einigen Monaten zeichnet sich ein
grundlegend anderes Bild: Neben einigen ursprünglichen Symboliken
wie Regenbogen, Frieden und Grundgesetz, gibt es jetzt zunehmend
Reichsflaggen, Nazi-Ordner, militantere Ausschreitungen wie in
Leipzig Anfang November, Ablehnung von Hygienekonzepten und eine
klare Verschiebung des Inhalts zu: Corona-Lüge – Neue Weltordnung
– Lügenpresse – Coronadiktatur – BRD-GmbH – Illuminaten –
Trump – Deutschland – Volk. Die Radikalisierung nach rechts ist
unübersehbar, doch woher kommt sie? Wer treibt sie nach rechts? Und
was können wir tun, damit die Querdenker_Innen zurückgedrängt
werden?

Querdenken driftet zwar nach rechts,
bleibt aber heterogen

Zunächst ist es wichtig, anzuerkennen,
dass die gesamte „Querdenken-Bewegung“ und alles, was sich darum
gruppiert, weiterhin heterogen ist und sich darin viele Menschen
tummeln, die politisch eigentlich normalerweise nichts miteinander zu
tun haben. Diese Gegensätzlichkeiten werden zumindest während der
großen Aktionen hintangestellt. Doch das heißt keineswegs, dass
diese Strömungen wie in Stein gemeißelt und voneinander isoliert
sind. Es gibt weiterhin Machtkämpfe darum, wie klar man z.B. eine
rechte Ausrichtung nach außen trägt, nachdem es jetzt schon mal
klar ist, dass man Nazis mitlaufen lässt. Rechte versuchen ständig,
Menschen auf ihre Seite zu ziehen, indem sie großflächig in der
Bewegung intervenieren: Auf Aktionen halten sie Reden, verteilen
Flyer, moderieren auf der Bühne, machen sich durch ihre Mitarbeit zu
unerlässlichen Partner_Innen, in den vielen Chat-Kanälen machen sie
Stimmung und verbreiten ihr Gedankengut. Weniger nationalistische
Kräfte, die sich vielleicht mehr auf das Grundgesetz als auf
Deutschland beziehen, versuchen, ihre Sicht der Dinge zu verteidigen,
geben dabei in Rhetorik und Argumentation aber auch oftmals nach. Das
Gesamtbild ist zwar noch recht heterogen, doch es gibt diverse
Punkte, die Querdenken anschlussfähig für rechte Ideologien machen
und ein Einfalltor dafür darstellen.

Ein wichtiger Aspekt für
Radikalisierung ist es, dass zunächst verhältnismäßig moderate
Einstellungen bestimmte Fragen aufwerfen, die man eigentlich zu
beantworten hat, wenn man ein geschlossenes Weltbild haben möchte.
In dem Fall ist diese zunächst die Aussage: Corona ist eigentlich
gar nicht so schlimm und die Regierung verhält sich da komplett
übertrieben. Darauf folgt die Frage: Ok, aber warum macht die
Regierung das, wenn es doch eigentlich gebildete Leute sind? Dazu
könnten die Leute sich jetzt auf parlamentarische und
gesellschaftliche Komplexitäten beziehen, aber viel öfter wird es
deutlich einfacher beantwortet: Die Regierung, Presse und sonstige
Eliten lügen uns mit Absicht an, weil sie damit einen großen Plan
verfolgen, zum Beispiel eine „Corona-Diktatur“ einzuführen oder
mit Zwangsimpfungen Bill Gates reich zu machen oder sowas. Damit
landet man relativ schnell schon bei verschwörungsideologischen
Inhalten.

Es wächst zusammen, was
zusammengehört: Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus

Verschwörungsideologien sind meist auf
eine Art und Weise gestrickt, dass einige zentrale Charakteristika
mit rechtsextremen Ideologien gut zusammenpassen. Zuerst wäre dabei
der gesellschaftliche Grundwiderspruch gleich: Es ist das (deutsche)
Volk, was gegen den Staat und die Eliten aufbegehren muss, weil diese
lügnerisch, unanständig oder fremdgesteuert sind. Wer dieser Elite
nun konkret angehört, wird passend konstruiert und unterscheidet
sich teils deutlich je nach dem, wen du fragst. Manchmal sind es
politische Mächte wie die „linksgrünen Meinungsdiktator_Innen“
oder „undeutsche“ Politiker_Innen, aber meistens eher versteckt
handelnde Intrigant_Innen wie die Rothschilds, Freimaurer_Innen,
Illuminat_Innen, die Besatzungsmacht in der BRD-GmbH oder
irgendwelche bösen Einzelpersonen wie Bill Gates oder Georg Soros.
Zwar sind hiervon einige Jüd_Innen, aber selten wird offen gesagt,
dass es hierbei um Jüd_Innen im Allgemeinen ginge. Es ähnelt dem
Antisemitismus jedoch in dem Aspekt sehr stark, dass wir angeblich
eine eigentlich intakte (deutsche) Gesellschaft haben, diese jedoch
durch eine außenstehende Kraft vergiftet werde, die wir nur
ausmerzen müssten, dann sei wieder alles ok.

Wer zu der „Elite“ oder zum „Volk“
gehört, wird weder bei Rechten noch bei klassischen
Verschwörungsideolog_Innen an die Klassenzugehörigkeit gebunden.
Das ist ein typisches Merkmal für kleinbürgerliche Bewegungen, also
jenem Teil der Gesellschaft, der zwischen den Hauptklassen
(Arbeiter_Innen und Kapitalist_Innen) steht, z.B. kleine
Solo-Selbstständige, Laden- oder Restaurantbesitzer_Innen. Den
Standpunkt, den man vertritt, wird auch nicht als Teil einer Klasse
dargestellt, sondern als die Interessen „der Deutschen“ oder „der
Menschen“, weil man als Zwischenklasse Schwierigkeiten hat, eine
eigenständige Position zu finden. Beispiel: Auf der einen Seite will
man nach unten seinen Reichtum verteidigen, auf der anderen Seite
nicht von oben durch anderen Reichtum verdrängt werden. Wie soll man
da Klarheit zum Schutz von Eigentum finden? Also spricht man lieber
nicht drüber. Trotzdem scheint es bei Querdenken oft durch, wessen
wirtschaftliche Notlage ein besonderes Problem ist: Gegen die
Schließung der kleinen Betriebe wird die Aufhebung des Lockdowns
gefordert. Über Massenentlassungen bei Galeria oder Lufthansa oder
gar über die Kurzarbeit wird selten gesprochen.

Eine Sache, die die Rechten aber den
klassischen Verschwörungsideolog_Innen voraushaben, ist es, dass sie
direkt noch eine politische Perspektive parat haben, wie man die
Bewegung zum Sieg führt: Wir befinden uns schon seit Jahren in einem
Rechtsruck und es gibt einige Parteien und Personen im rechten Lager,
die Öffentlichkeit haben und die man jetzt nur weiter pushen muss,
damit sie der Corona-Politik ein Ende setzen. Neben dem
parlamentarischen Weg z.B. durch die AfD, gäbe es natürlich noch
das „Führer-Prinzip“, in dem ein starker Mann jetzt dafür
sorgen solle, dass die Ordnung wiederhergestellt werde. Durch diese
Perspektive können sie die Bewegung als Ganzes immer weiter nach
rechts treiben. Doch wer treibt da genau nach rechts? Eine kleine
Auswahl der wichtigsten rechten Kräfte folgt im nächsten Kapitel.

Who Is Who der rechten
Querdenker_Innen

AfD: Nachdem die
Euro- und Geflüchtetenthematik etwas an Zugkraft verloren haben,
versuchen nun Teile der AfD bei den Corona-Skeptiker_Innen zu landen.
Wobei sich diese Haltung
erst im Laufe des Jahres ergab. Zu Beginn der Pandemie rief man, nur
um die Regierung als unfähig dastehen zu lassen, noch nach
schärferen Maßnahmen und schnellerem Eingreifen. Bei allem,
was die AfD so macht, lässt sich immer wieder das gleiche Muster
finden: Sie präsentieren ihre Meinung durch unbequemes Auftreten als
besonders antielitär, vertreten dabei eigentlich aber nur in einem
aggressiven Ton einen Teil des Kapitals. Nun vertreten sie eben das
Kapital, das gerade sehr unter den Maßnahmen ächzt, aber eigentlich
genauso wenig das Interesse der Massen im Sinn hat wie jenes, das
diese Maßnahmen noch ok findet. Funktioniert bislang nur mäßig,
die Partei ist tief zerstritten.

Faschist_Innen: Hier
gibt es einige Kräfte (III.Weg, NPD, Reichsbürger_Innen, kleinere
Gruppen…), die sich teilweise in der Bewegung befinden, teilweise
jedoch das friedliche Auftreten von Querdenken ablehnen und eine
Spaltung suchen. Sie reden zwar auch von Frieden und Freiheit, aber
eher in dem Sinne, dass sie Freiheit für Deutschland (vom äußeren
Feind, s.o.), vielleicht auch durch Abschaffung der parlamentarischen
Demokratie, fordern und dass es dann erst Frieden für das deutsche
Volk gäbe. Die Faschist_Innen sind meist auch jene, die die
Reichsflaggen mitschleppen, um sich positiv auf das „freie
Deutschland“ in Form des Kaiserreichs zu beziehen.

QAnon: Da es sich
hierbei eher um eine US-amerikanische Internetbewegung handelt, ist
es schwierig, den Einfluss auf Deutschland einzuschätzen, aber man
sieht auf Querdenken-Protesten viel Symbolik: ein simples Q oder die
Abkürzung WWG1WGA („Where We Go One We Go All“; so viel wie
„alle für einen, einer für alle“) oder die Glorifizierung von
Trump. Es ist eine Art „Verschwörungsideologie zum Mitmachen“,
bei der eine angebliche Person aus dem Elitenkreis auf Reddit oder
4Chan kryptische Fragen stellt und die Leute sollen selbst im
Internet auf die Suche nach den Antworten gehen. Ergebnis dieser
Suche ist es, dass praktisch alle bekannteren Personen Satanist_Innen
seien, die sich durch das Essen von Kindern ewiges Leben verschaffen
wollen. Diese stecken alle unter einer Decke und kontrollieren das
Weltgeschehen. Und um nun auch die Menschen zu kontrollieren, soll
durch 5G und Chips, die beim Impfen eingepflanzt werden,
Gedankenkontrolle möglich werden. Vorkämpfer gegen die
satanistischen Eliten ist Donald Trump, der uns wieder in eine
anständige und gottesfürchtige Gesellschaft führen soll. Die
Wesensähnlichkeiten zum Faschismus (Antisemitismus, konservatives
Gesellschaftsideal, Führer-Prinzip, Bewegungscharakter…) sind
nicht zu übersehen.

und was machen wir jetzt?

Spätestens seitdem sich im großen
Stil Rechte unter die Querdenker_Innen gemischt haben, werden die
Aktionen auch immer von antifaschistischen Gegenprotesten begleitet.
Und das ist gut so, sie sollen wissen, dass wir sie nicht wollen und
wir müssen uns dagegen organisieren und vernetzen! Doch wird das
wohl allein nicht ausreichen. Der gesellschaftliche Nährboden von
Querdenken ist massenhafte Unzufriedenheit von Arbeitslosen,
Kurzarbeiter_Innen, vom Abstieg Bedrohten, während der Krise
Alleingelassenen. Querdenken ist dabei der einzige Pol, in dem sich
diese Unzufriedenheit entladen kann, obwohl es ihnen kaum mehr als
eine „Rückkehr zur Normalität“ versprechen kann, die wegen der
Wirtschaftskrise sicherlich nicht durch ein Ende des Lockdowns zu
erreichen ist, denn die Krise wird weitergehen, mit oder ohne Corona!

Wir müssen eine eigenständige
Antikrisenbewegung aufbauen, die dazu im Stande ist, eigene
Forderungen aufzuwerfen und durchzusetzen. Diese muss es sich zum
Ziel machen, dass die Lebensumstände aller Menschen gesichert sind
und zwar durch ein Verbot von Jobstreichungen und hohe
Sozialleistungen auf Kosten der Reichen und Krisengewinner_Innen! Um
die Versorgung und Pflege der Menschen abzusichern, muss der
Gesundheitssektor und die Pharmaindustrie enteignet werden. Corona
muss entschlossen und nachvollziehbar angegangen werden, ohne dabei
nur einseitig unsere Freizeit einzuschränken, aber keine Hand an die
Wirtschaft zu legen! Diese und weitere wichtigen Forderungen findet
ihr unserem Corona-Programm! Wenn wir statt Verschwörungsideologien
und leeren Versprechen der Normalität eine sichtbare Perspektive auf
ein gutes Leben aufwerfen, können wir Querdenken und all die Rechten
mit ihnen hinwegfegen!