Profit vs. Gesundheit – beides geht nicht!

Von Lucia Lo Lasso, Januar 2024

Das deutsche Gesundheitssystem wird international oft bewundert und als besonders sozial gefeiert. Spätestens seit der Corona-Pandemie sind seine Schwachstellen aber mehr als deutlich geworden. In diesem Artikel setzen wir uns mit den grundlegenden Strukturen, deren Problemen und unserer politischen Perspektive für eine faire und effektive gesundheitliche Versorgung auseinander.

Gesetzliche und Private Krankenversicherung: Ein 2-Klassen-System

Gesundheit als System lässt sich in Deutschland nicht ohne die Krankenversicherungspflicht denken. Sie ist die Basis der Versorgung, auf der alles Weitere aufbaut. Wenn es darum geht, sich eine Krankenversicherung zu suchen, steht einem die Wahl zwischen gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) oder privaten Krankenversicherungen (PKV) offen. Zwischen beiden gibt es drastische Unterschiede, wenn es um die Qualität der Behandlung geht. Dabei ist die PKV zwar teurer, man bekommt aber einfacher Termine und der Beitrag steigt mit dem Alter. Manche Privatversicherte geraten so in die Lage, dass der Kassenbeitrag zu hoch wird und sie nur schwer aus der PKV wieder raus kommen.

Bei der GKV hingegen zahlen Arbeitnehmer:innen 14,6% vom Gehalt und auch der/die Arbeitgebende:r zahlt etwas dazu. Die Krankenkassen finanzieren sich also durch Mitgliedsbeiträge. Die GKV ist sozial orientiert, da der Beitrag einkommensabhängig ist und durch das Solidaritätsprinzip hilft – unabhängig davon, wie viel man zahlt, bekommen alle Versicherten die gleiche Leistung. Die lässt allerdings im Vergleich zur PKV deutlich zu wünschen übrig.  Die Gründe für die ungleiche Behandlung liegen unter anderem im Vergütungssystem.

Eine von der Hans Böckler Stiftung geförderte Studie zeigt, dass für eine medizinisch im Grundsatz gleiche Leistung ein:e niedergelassene:r Ärzt:in von der Privatversicherung durchschnittlich das 2,28-fache der Vergütung erhält, die von der gesetzlichen Kasse gezahlt wird. 

Ein anonymer Arzt äußerte sich dazu in der Münchner Tageszeitung mit der Aussage, dass das derzeitige Abrechnungssystem ihn dazu zwinge, gesetzlich Versicherte wie „Holzbanktouristen“ zu behandeln, da er allein von seinen Privatpatient:innen lebe. Außerdem böten viele Ärzt:innen, vor allem in der Zahnmedizin, gesetzlich versicherten Patient:innen gar nicht die gesetzlich erstatteten Behandlungsformen, also die Regelversorgung an. Dadurch müssen Patient:innen teilweise riesige Summen für Zahnersatz stemmen, ohne über die Alternativen informiert zu sein.

Für Menschen ohne Papiere, deutsche Stattsbürger:innen ohne Krankenkasse, Asylsuchende und in zunehmendem Maße EU Bürger:innen, die keinen Krankenversicherungsschutz, also einen Nachweis der Krankenversicherung vorweisen können, ist der Zugang zum Gesundheitssystem kaum oder gar nicht möglich. Obwohl sie über rechtliche Ansprüche auf Leistungen verfügen, werden diese Menschen im Moment unvollständig und unentgeltlich in humanitären Parallelstrukturen versorgt.

Als Asylbewerber:in zum Beispiel ist der Kostenträger der medizinischen Versorgung nicht die GKV, sondern das Sozialamt, bei dem vor dem Besuch in der Praxis ein Behandlungsschein beantragt werden muss. Untersucht und behandelt wird man nur, wenn man akut krank ist, unter Schmerzen leidet oder schwanger ist.

Ohne Rücksicht auf Gehalt und Aufenthaltsstatus sollte medizinische Versorgung für alle Menschen überall zugänglich sein.

Diskriminierung im Behandlungszimmer

Diskriminierung kann beabsichtigt, allerdings auch ohne schlechte Intentionen stattfinden. Sie kann durch einzelne Personen (also direkt) oder durch Strukturen oder unterschwellige Mechanismen verursacht sein, sie kann offen oder unsichtbar und von den betroffenen Personen unbemerkt ablaufen – relevant ist der für die Betroffenen entstehende Schaden.

Beim Zugang, aber auch während der gesundheitlichen Versorgung, kommt es zu Diskriminierungen. Betroffene berichten dabei beispielsweise über abwertende Kommentare oder Ungleichbehandlung aufgrund ihrer Behinderung, Geschlechtsidentität, des Gewichts oder der ethnischen Herkunft beziehungsweise aus rassistischen Gründen.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der Überlastung in der Gesundheitsversorgung hat eine Studie des DeZIM (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) in einer Reihe von Umfragen untersucht, nach welchen Kriterien Menschen in Deutschland Coronapatient:innen für eine lebenswichtige Behandlung auswählen würden, sollten die Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen knapp werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Befragten die wahrscheinlichste Überlebenschance von Coronapatient:innen als wichtigstes Auswahlkriterium erachtet, falls die Intensivstationen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen sollten. Allerdings wurde auch deutlich, dass Migrant:innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft eine etwa 10 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit als deutsche Staatsbürger:innen haben, von der Bevölkerung für ein Intensivbett ausgewählt zu werden. Eine ebenfalls starke Diskriminierung erfahren Menschen ohne Kinder und Menschen mit Vorstrafen.

Auch jenseits der Pandemie zeichnen sich deutliche gesundheitliche Unterschiede für rassifizierte und migrantische Communitys ab. So wird eine höhere Krankheitslast durch nichtübertragbare Erkrankungen wie Diabetes Typ II, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs sowie psychische Erkrankungen für afroamerikanische Communitys in den USA, aber auch für migrantische Communitys in Europa festgestellt.

Ein beharrlicher, struktureller Fall ist der mangelnde barrierefreie Zugang zu Gesundheitsleistungen für Menschen mit Behinderungen, aber auch sprachlich erhöhen Barrieren das Diskriminierungsrisiko in der Gesundheitsversorgung, zum Beispiel für Patient:innen, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen und somit Schwierigkeiten damit haben, über die bürokratische Sprachbarriere hinweg an das System zu kommen.

Pharmalobby & Korruption

Deutschland, das Land der Medikamente. 114.000 Menschen arbeiten in der Pharmaindustrie, jedes Jahr erwirtschaften deutsche Pharmakonzerne Umsätze bis zu 40 Milliarden Euro. Obwohl die Pharmakonzerne auch sehr viele Ausgaben für die Forschung und Erforschung haben; bleibt doch immer ein guter Gewinn hängen. Die Pharmalobby setzt sich dafür ein, dass das auch so bleibt.Die Pharmalobby setzt sich dafür ein, dass das auch so bleibt.

Dafür beschäftigt die Pharmaindustrie Lobbyist:innen, die sich in Berlin darum kümmern sollen, dass die dort besprochenen Gesetze möglichst vorteilhaft für die Industrie sind. Die Lobbyist:innen wirken indirekt an Gesetzen mit, sie beraten Politiker:innen und sind generell sehr aktiv im Hintergrund. In Deutschland haben sie ein leichtes Spiel, sie müssen kein Verbrechen begehen, um ihren Willen zu bekommen. Das liegt daran, dass sie nicht nur die Politiker:innen beeinflussen, sondern auch diejenigen, die entscheiden, welche Medikamente verschrieben werden. 

2015 zahlten Pharmakonzerne 575.000.000 Euro an rund 70.000 Ärzt:innen, die Dunkelziffer liegt mit Sicherheit höher. Das Geld war unter anderem für Dienstreisen, Forschungsaufenthalte, neue Gerätschaften in Praxen, also Dinge, die auch den Patient:innen Gutes tun. Das Geld wurde aber auch für Anwendungsbeobachtungen gezahlt. Der Begriff hört sich sehr wissenschaftlich an, so soll er sich auch anhören. Expert:innen stimmen dem allerdings nicht zu. Wenn Ärzt:innen von einem Konzern Geld bekommen, um ein bestimmtes Medikament zu verschreiben und zu beobachten, welche Nebenwirkungen bei den Patient:innen auftreten, ist es eine Anwendungsbeobachtung. Unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit sind diese Beobachtungen vor allem Marketinginstrumente, um die eigenen Medikamente in den Markt zu drücken und die Ärzt:innen durch die Zahlung von Honoraren zu beeinflussen und an den Konzern zu binden. 

Laut Recherchekollektiv Corrective legt nur jede:r vierte Ärzt:in Zahlungen offen auf, die er oder sie von Pharmafirmen erhält. Kein Gesetz verbietet es Ärzt:innen, Leistungen von Pharmakonzernen entgegenzunehmen. Natürlich sind nicht alle Ärzt:innen bestechlich, dennoch gibt es dieses Problem, welches erst dann gelöst werden kann, wenn etwas gegen die Pharmalobby getan wird, die in der Politik weitgehend beteiligt ist

Ärzt:innenmangel

Das dritte Problem mag sich banal anhören, ist allerdings sehr ausschlaggebend, denn was wäre das System ohne Ärzt:innen? Vor allem auf dem Land ist der Ärzt:innenmangel ein prägnanter Faktor, dessen Folgen nicht zu unterschätzen sind. Dort kann es durchaus sein, dass die nächste Fachärztin 50km entfernt ist und auch Termine bei Hausärzt:innen sind nicht leicht zu bekommen. Das liegt zum einen daran, dass Ärzt:innen in den Ruhestand gehen oder wegen dem niedrigeren Gehalt ungern auf dem Land arbeiten, denn dort sind durchschnittlich mehr gesetzlich versicherte Patient:innen als privat versicherte. Zum anderen zeigt sich der Ruf in die Stadt momentan in allen Bereichen, nicht nur im Gesundheitswesen. In der Folge kommt es dazu, dass alte Leute dann häufig gar nicht zur Ärztin gehen, da sie die lange Fahrt nicht antreten können, was starke Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Nicht nur auf dem Land mangelt es an Ärzt:innen, auch in öffentlichen Krankenhäusern ist Personalmangel ein großes Problem. 

Das Personal steht unter hoher Belastung und die Bezahlung ist im Vergleich geringer als bei einer Privatpraxis. Eine Umfrage der „Ärztegewerkschaft Marburger Bund“ gab bekannt, dass Krankenhausärzt:innen durchschnittlich zwischen 60 und 79 Stunden in der Woche arbeiten und das auch noch häufig in 24 Stunden Schichten ohne Schlaf. Das hat leider auch Folgen für die Qualität der dort stattfindenden Behandlungen. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hat ausgerechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus durch einen Behandlungsfehler zu sterben fünfmal höher ist, als bei einem Verkehrsunfall umzukommen. Expert:innen sagen, dass die hohe Arbeitsbelastung damit zusammenhängt.

Auch in der Pflege gibt es einen ernstzunehmenden Personalmangel, da der Beruf eine hohe Arbeitsbelastung mit wenig Wertschätzung und Gehalt mit sich bringt. Im sogenannten Care-Sektor sind es immer noch vor allem Frauen, die diese Berufe ausüben und zusätzlich zur privaten Hausarbeit ausgebeutet werden. Dazu kommt noch, dass Deutschland einen demographischen Wandel erlebt. Immer mehr alternde Menschen sind auf die Hilfe von immer weniger jüngeren angewiesen.

Obwohl das deutsche Gesundheitssystem eines der besten weltweit ist, heißt das nicht, dass alles perfekt ist. Sowohl für die Patient:innen, also auch für die Arbeiter:innen gibt es noch viel zu erkämpfen!

  • Rekommunalisierung aller Einrichtungen im Gesundheitsbereich unter Kontrolle der Beschäftigten, PatientInnen und BewohnerInnen! Nur so kann letztendlich auch der Lobbyismus gestoppt werden.
  • Für die Vergesellschaftung der Hausarbeit und Schluss mit weiblicher, prekärer Care-Arbeit in Krankenhäusern & Pflegeheimen!
  • Die privaten Krankenkassen abschaffen, immerhin sind bereits 90% der Versicherten (!) GKV-PatientInnen. Auch die restlichen 10% der privat Versicherten sollten dem Solidaritätsprinzip beitreten, welches alle Menschen gesundheitlich versorgen muss.
  • Arbeitszeitverkürzung für alle – bei vollem Lohn- und Personalausgleich: Verteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Schultern! Einführung der 30-Stunden- und Vier-Tage-Woche als erster Schritt!
  • Aufbau von mehr Personal im Gesundheitsbereich entsprechend dem Bedarf!
  • Finanzierung der Forderungen durch höhere Besteuerung der Reichen!
  • Für eine revolutionäre Streikbewegung im gesamten Gesundheitssektor, vom Pflegeheim bis zu den Produktionen von Arzneimitteln! Vollversammlungen & Streikkomitees in den Betrieben sind der erste Schritt zur Organisierung!



Bauernproteste: Subventionen erhalten auf Kosten der Reichen!

von Susanne Kühn, Januar 2024, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Vom 8. – 12. Januar werden Tausende Bauern und Bäuerinnen mit Fahrtkolonnen, Sternfahrten zu größeren Städten und Blockaden von Autobahnzufahrten und zentralen Verkehrsknoten immer wieder Teile des Landes lahmlegen. Am 15. Januar schließt die Aktionswoche mit einer zentralen Kundgebung in Berlin, um der Ampel den Marsch zu blasen.

Den unmittelbaren Auslöser für die Proteste bildete die geplante Streichung der Subventionen beim Agrardiesel und der KfZ-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft. Diese belaufen sich für das Jahr 2024 auf insgesamt ca. 440 bzw. 485 Millionen Euro. Für einen durchschnittlichen Betrieb würde sich die Streichung der Vergünstigungen auf 4.000 – 5.000 Euro pro Jahr belaufen bei einem durchschnittlichen Jahresgewinn von 82.000 Euro im Wirtschaftsjahr 2021/22 bzw. 115.400 Euro im Jahr 2022/23.

Damit steht sicherlich nicht „die Landwirtschaft“ auf der Kippe, wohl aber würden die Streichungen vor allem die kleineren und mittleren Betriebe treffen, da diese natürlich weniger Gewinn machen, weniger Reserven haben und auch mehr Sprit im Verhältnis zur ihrer Agrarfläche verbrauchen. Für diese landwirtschaftlichen Unternehmen stellt die Streichung der Subventionen eine erhebliche Einkommenseinsbuße dar – zumal die Steigerung der Durchschnittsgewinne landwirtschaftlicher Unternehmen in den letzten Jahren selbst Resultat eines dauerhaften Zentralisations- und Konzentrationsprozesses ist. Gab es im Jahr 2020 noch 440.000 Unternehmen im Agrarsektor, so waren es 2020 noch 260.000.

Zweifellos ist die Empörung und Wut der kleineren und mittleren Landwirt:innen über die Streichungen und die dazukommende schrittweise Abschaffung der Subventionen für den KfZ-Diesel nachvollziehbar und berechtigt. Diese kleinbürgerliche Schicht wird längst ökonomisch von einem immer unhaltbareren Agrarsystem an den Rand gedrückt, da vor allem die Interessen der großen Betriebe, vor allem aber der Agrarindustrie und Handelskonzerne im globalen Wettbewerb bedient werden. Zugleich sollte auch niemand die Protestaktionen als Proteste der „Kleinbäuer:innen“ idealisieren. Geführt werden sie von den großen Wirtschaften, die auch den Bauernverband dominieren, politisch eng an CDU/CSU hängen und an einem auf Subventionen basierenden aberwitzigen Agrarsystem. Diese sind eng verbunden mit direkten Kapitalinteressen und einer über Jahrzehnte etablierten Agrarpolitik, die die Konkurrenzfähigkeit der deutschen und europäischen Agrarproduktion sichert und für relativ günstige Preise in Supermärkten sorgt, die letztlich wiederum durch Massensteuern finanziert werden.

In den letzten Wochen ging der Bauernverband zudem ein enges Bündnis mit dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der einen großen Teil des Transportgewerbes vertritt, ein. Die Aktionswoche vom 8. – 12. Januar wird von beiden Verbänden durchgeführt. Während der Bauernverband weiter die Rücknahme der Streichung aller Subventionen will, fordern die Transportunternehmen „Geld für intakte Straßen und Brücken, Lkw-Stellplätze und verlässliche Förderprogramme für einen klimafreundlichen Straßengüterverkehr“.

Am rechten Rand der Proteste machen sich zudem Verbände wie die sog. „Freien Bauern“ und andere reaktionäre kleinbürgerliche Standesvereinigungen breit. Die AfD und auch Nazi-Organisationen wie die Freien Sachsen suchen die Verbindung zu diesem „Volkswiderstand“ und mischen den Ruf nach billigem Diesel mit dem nach noch billigerem Blut und Boden.

Aktionen gehen weiter

Angesichts der Aktionen des Bauernverbandes im Dezember nahm die Ampel-Koalition die Kürzung der KfZ-Steuerbefreiung vollständig zurück. Die Begünstigung für den KfZ-Diesel soll 2024 nur zu 40 % gekürzt und dann schrittweise bis 2026 abgeschafft werden. Das lehnt der Bauernverband ab, der an der Spitze der Proteste steht und bundesweit die weitaus größte Interessenvertretung bildet. Auch wenn die Bundesregierung jammert, dass die geplanten Blockaden und Sternfahrten „unverhältnismäßig“ seien, so sieht der Bauernverband zu Recht die Chance, sämtliche Forderungen durchzusetzen.

Gemeinsam mit BGL und unterstützt von CDU, CSU und Freien Wählern wollen sie die Ampel-Koalition weiter vor sich hertreiben. Auch wenn der Bauernverband gebetsmühlenartig betont, dass die Proteste „unpolitisch“ wären, so befindet er sich faktisch im Bündnis mit den konservativen Oppositionsparteien.

Diese Kräfte haben (noch) kein Interesse an einem Bündnis mit den rechten Bauernverbänden wie den sog. Freien Bauern oder Teilen von „Landwirtschaft schafft Verbindung“. Daher distanzieren sich der Bauernverband und seine konservativen Verbündeten auch von den rechten Protestaktionen wie der Blockade von Habeck in Schleswig-Holstein, denn schließlich wollen CDU und CSU nicht das System „stürzen“, sondern übernehmen.

Der Bauernverband hofft so, außerdem seine eigene Vormachtstellung unter der Bäuer:innenschaft wieder zu festigen, die in den letzten Jahrzehnten eigentlich schwächer wurde. Phasenweise hatten die Grünen Einfluss gewonnen; die können zurückgedrängt werden. Zugleich machen sich immer wieder auch die inneren Gegensätze unter „der“ Bäuer:innenschaft bemerkbar. Diese reicht schließlich von großen Agrarunternehmen bis hin zu noch relativ kleinen Landwirt:innen, ist also klassenmäßig durchaus heterogen. Darüber hinaus unterminieren auch Interessengegensätze wie z. B. zwischen konventionellen und Öko-Landwirtschaften die „Einheit“ des Verbandes.

Der Angriff auf die Agrarsubventionen dient daher auch als Mittel, eine Einheit herzustellen, die es bei früheren Protesten, z. B. gegen die EU-Glyphosat-Verordnung nicht gab, als Bäuer:innen auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden standen. Indirekte Steuern und Agrarsubventionen stellen hingegen traditionell ein Mittel dar, eine Einheit zwischen klassenmäßig heterogenen Kräften wie Kleinunternehmen und Agrarkonzernen herzustellen. Höhere Steuern und Belastungen seien schließlich ein Angriff auf alle Unternehmen. Wie die Subventionen finanziert werden, wird dabei bewusst außen vorgelassen. Dabei liegt gerade hier der Hase im Pfeffer, denn unter den aktuellen Bedingungen müssen diese natürlich aus Steuermitteln finanziert werden – und diese kommen nach Jahrzehnten der Umverteilung der Steuerlast auf die Lohnabhängigen natürlich vor allem von diesen.

Daher müsste eine linke Haltung zu den Forderungen der Landwirt:innen folgendermaßen aussehen: Nein zu den Subventionsstreichungen, da diese tatsächlich die Existenz der kleineren Betriebe bedrohen und massive Einkommenseinbußen bedeuten. Diese Maßnahmen müssten aber durch eine progressive Besteuerung der Unternehmensgewinne – auch im Agrarsektor – finanziert werden. So wäre es möglich, einen Keil zwischen die verschiedenen Schichten der Landwirt:innen zu treiben und die Vormachtstellung der Großbäuerinnen/-bauern und des Agrarkapitals anzugreifen.

Die Grenzen der kapitalistischen Agrarbranche

Die aktuelle Protestbewegung reflektiert auch eine tiefe Krise des bestehenden landwirtschaftlichen Systems in Deutschland und der EU, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Die Subventionen oder Vergünstigungen in diesem Sektor bilden mittlerweile einen zentralen Bestandteil der Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland (und der gesamten EU). So zogen die landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe in Deutschland ungefähr die Hälfte ihres Einkommens aus Direktzahlungen und anderen Zuschüssen.

Auch wenn in bestimmten Sektoren kleiner Landwirt:innen, z. B. bei einzelnen Nebenerwerbsbauern/-bäuerinnen das sogar 90 % ausmachen kann, so werden die Großbetriebe (z. B. in Ostdeutschland) sowie Agrarholdings (also große Investor:innen) von diesem System überdurchschnittlich begünstigt.

Dieses Subventionssystem ist selbst ein Resultat der inneren Tendenzen der kapitalistischen Landwirtschaft. Die Preise für zentrale Produkte (z. B. Getreide, Futtermittel, Rinder- und Schweinefleisch, Milchprodukte) werden auf dem Weltmarkt bestimmt. Die Agrarproduktion selbst ist natürlich auch auf ihn ausgerichtet.

Um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher oder europäischer Produzent:innen zu sichern, pumpen die EU und Deutschland seit Jahren Milliarden an Subventionen in diesen Bereich. Solcherart (und aufgrund der höheren Produktivität einer industrialisierten Landwirtschaft) kann der europäische Agrarexport halbkoloniale Konkurrenz verdrängen und sogar deren Inlandsmärkte erobern.

Einen eng damit verbunden Bestimmungsfaktor der gesamten landwirtschaftlichen Produktion bilden die Lieferant:innen von Maschinen, Saatgut, Düngemitteln etc. sowie die Abnehmer:innen (große Agrarkonzerne und Handelsunternehmen). Im Unterschied zur Bäuerinnen-/Bauernschaft sind diese hochgradig konzentriert, bestimmen wenige Konzernen nationale und internationale Märkte, können also den landwirtschaftlichen Produzent:innen Preise diktieren.

Ohne Subventionen würden die Bauern und Bäuerinnen entweder nicht mehr erhalten als diese Preise, viele Betriebe wären längst pleite, die Zentralisation in der Landwirtschaft noch viel weiter fortgeschritten. Oder sie wären in der Lage, höhere Preise zu verlangen, was massiv steigende Nahrungsmittelpreise zur Folge hätte, die von der Masse der lohnabhängigen Konsument:innen zu bezahlen wären. Um beides zu verhindern, wirken die Agrarsubventionen wie ein Reparaturbetrieb, der ständig nach mehr Subventionen, mehr Stützen schreit, weil für ein im Grunde aberwitziges System eigentlich immer mehr Subventionen nötig werden. Hinzu kommt, dass relativ geringe Lebensmittelpreise auch den Wert der Ware Arbeitskraft senken, so dass sich auch Lohnabhängige in prekären Verhältnisse noch über Wasser halten können. Das heißt, das bestehende Agrarsystem erleichtert auch die Umsetzung und Durchsetzung neoliberaler Arbeitsmarktreformen.

Die aktuellen Proteste bringen auch einen Unmut breiter Schichten der Landbevölkerung mit diesem System zum Ausdruck, das immer schwerer zu finanzieren ist und den Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft zwar bremst, keinesfalls aber aufhält. Zweitens steht dieses System jeder einigermaßen vernünftigen Reorganisation der Landwirtschaft im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit direkt entgegen.

Es ist daher eine gewisse Paradoxie, dass bei den aktuellen Protesten gerade solche Kräfte an der Spitze stehen – CDU/CSU, aber auch der Deutsche Bauernverband –, die über Jahrzehnte dieses milliardenschwere System auf- und ausgebaut und gegen jede Kritik verteidigt haben; ein System, das vor allem dem Agrarkapital sowie den großen Konzernen im Handel Milliardenprofite sichert.

Innerhalb der Bauern-/Bäuerinnenschaft bildet sich schon länger ein kleinbürgerlicher Widerstand gegen diese Politik des Bauernverbandes. Mit der Expansion der ökologischen Landwirtschaft profitierten einige Zeit die Grünen davon. Doch die Illusionen in deren „andere“ Politik sind bei vielen verblasst, was auch erklärt, warum in der gegenwärtigen Situation Habeck und die Grünen und nicht Lindner und die FDP zur ersten Zielscheibe des Hasses gerieten. Der andere Grund liegt darin, dass seit etlichen Jahren auch eine reaktionäre, kleinbürgerliche, rechte und nationalistische Kritik am Bauernverband stärker geworden ist. Diese lehnt Subventionen grundsätzlich ab und tritt für eine „echte“, das heißt kleinbäuerliche Marktwirtschaft ein, will zurück zur Einheit von Hof, Land und Eigentum. Um die „ehrliche“ deutsche Landwirtschaft zu retten, soll sie von der internationalen Konkurrenz abgeschottet werden. Es sind diese utopischen und gleichzeitig reaktionären Tendenzen, die von den Rechten, von AfD oder auch Faschist:innen aufgegriffen werden. Darin sind sie nicht erfolglos, obwohl sie selbst kein auch nur einigermaßen schlüssiges Konzept vorzuweisen haben. Die AfD fordert sogar die Streichung aller Subventionen in der Landwirtschaft, was, würde es auf einmal umgesetzt, den Ruin Zehntausender Bäuerinnen und Bauern bedeuten würde. Doch wie andere rechte und rechtspopulistische Bewegungen zeigen, wird der Verweis auf die innere Unvernunft solcher Vorschläge, auf ihren aberwitzigen und zutiefst irrationalen Charakter nicht verhindern, dass Kleinbürger:innen solchen Rattenfänger:innen auf den Leim gehen.

Und die Arbeiter:innenklasse?

Ein entscheidender Grund, warum die gesamte Krise des Agrarsektors von bürgerlichen Kräften bestimmt und als deren einzige scheinradikale Alternative rechte bis faschistische Gruppierungen auf den Plan treten, liegt darin, dass die Arbeiter:innenbewegung selbst über keine programmatische und politische Antwort verfügt. Sie kann so auch nicht als eigenständige Kraft in Erscheinung treten, zumal sie auch bei den Kämpfen der letzten Jahre über rein ökonomische Forderungen kaum hinauskam.

Natürlich sollten sämtliche Subventionsstreichungen unmittelbar rückgängig gemacht werden. Aber das löst die grundlegenden Probleme überhaupt nicht. Eine Überwindung der Krise des Agrarsektors und eine Neustrukturierung im Interesse der Versorgung und ökologischer Notwendigkeiten setzt voraus, die Eigentumsfrage anzugehen. Das schließt die Enteignung von Grund und Boden sowie der Agrarindustrie und der Handelskonzerne ein.

Auf dieser Basis könnte die Produktion unter Einbeziehung von Ausschüssen der Bauern und Bäuerinnen und Landarbeiter:innen gemäß der Bedürfnisse der Masse der Konsument:innen und ökologischer Nachhaltigkeit reorganisiert werden – und zwar nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Dies müsste natürlich nicht nur die Frage einschließen, welche Landwirtschaftsprodukte wie produziert, sondern auch, wie die Maschinen und Transportsysteme entwickelt werden sollen.

Um die Preise für Agrarprodukte zu regulieren, braucht es Preiskontrollkomitees, die ländliche Produzent:innen und städtische Konsument:innen direkt verbinden. Damit höhere Agrarpreise nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen, müssen Löhne und Einkommen automatisch an diese Preissteigerungen angepasst werden.

Die Arbeiter:innenklasse kann und muss den bäuerlichen Produzent:innen zwar einen Plan für eine vernünftige Reorganisation der Landwirtschaft anbieten, sie kann und muss sie gegen den Druck der Agrarkonzerne verteidigen, aber sie kann ihnen nicht die Beibehaltung des bäuerlichen „unabhängigen“ Betriebs versprechen. Dieser ist selbst auf dem Boden des aktuellen Kapitalismus längst zu einer Fiktion geraten. Die Lösung des Problems besteht nicht in der Rückkehr zu einem „goldenen“ Zeitalter der bäuerlichen Wirtschaft, das es ohnehin nie gab, sondern in der gemeinwirtschaftlichen, demokratisch geplanten Produktion auch in der Landwirtschaft. Dabei können Genoss:innenschaften als Übergangsform vom individuellen Privat- zum Gemeineigentum nützlich sein. Sie sollten daher von der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden.

Ein solches Programm würde zwar sicher nicht alle Landwirt:innen, also eine ganze (klein-)bürgerliche Schicht gewinnen. Es wäre aber geeignet, einen Keil zwischen Bäuerinnen-/Bauernschaft und das Agrarkapital zu treiben und zwischen reaktionären und fortschrittlichen Teilen der Landbevölkerung.




Kohle für die Chefs, Krise für alle Anderen! Die Deutsche Bahn & der Kapitalismus

Von Lia Malinovski, Dezember 2023

Verspätungen, Zugausfälle, Umleitungen, Störungen. Steht man mal länger an einem Hauptbahnhof in Deutschland, erschrickt man fast, bei der Zahl der Pro-bleme, die im Minutentakt durch die Lautsprecher an die Fahrgäste durchgesagt werden.

Im Jahr 2023 waren bis 11.12. weniger als 65% der Züge im Fernverkehr „pünktlich“, im Dezember sogar weniger als 50%! Als pünktlich gelten in der Statistik Züge, die weniger als 6 Minuten später als geplant in einem Bahnhof oder Haltepunkt halten. Auch werden in der Statistik nur Züge gezählt, die überhaupt gefahren sind. Die Gründe für Verspätungen sind ganz unterschiedlich: sei es die marode Infrastruktur, seien es die vielen Bau-stellen, teilweise auch der Personalmangel; sie alle haben gemeinsam, dass sie vor 30 Jahren, vor der Bahn-reform, kaum bis gar nicht existierten, schon gar nicht in diesem Ausmaß.

Marode Infrastruktur, Personalmangel, usw. – ein kapitalistisches Problem!

Es ist das Jahr 1994, die Deutsche Bundesbahn (BRD) und die Deutsche Reichsbahn (DDR) fahren parallel zu-einander. Nach der Annexion der DDR durch die BRD wollte man das Eisenbahnsystem vereinheitlichen und eine gesamtdeutsche Eisenbahn aufbauen. Außerdem wollte man Wege suchen, die massive Verschuldung der Bahn aufzulösen. Geboren war das Eisenbahnneuordnungsgesetz, durch das die beiden Staatsbahnen, ganz entsprechend des radikal neoliberalen Grundsatzes der Zeit, zu einer privatwirtschaftlich organisierten Aktiengesellschaft werden sollten. Ursprünglich sollte die so neu geschaffene Deutsche Bahn AG (DB) an die Börse gehen. In den Führungsetagen der DB gab es nun Überlegungen, wie das zu bewerkstelligen ist: Man entschloss sich dazu, viele Mitarbeitende zu entlassen, Geld an allen Orten zu sparen, wo es ging, keine neuen Fachkräfte auszubilden. Man tat also das, was alle Konzerne tun, wenn sie wieder schwarze Zahlen schreiben wollen.

Die Rechnung dafür dürfen wir heute bezahlen: Das fehlende Geld in der Infrastruktur macht sich bemerkbar, viele Streckenabschnitte wurden eingestampft, die Kapazität von noch mehr Streckenabschnitten lässt zu Wünschen übrig, im Winter frieren Weichen ein und sind nur noch eingeschränkt bis gar nicht befahrbar, Stellwerke sind völlig veraltet. Das Fehlen von Fachkräften wird auch immer sichtbarer: In den nächsten Jahren werden viele verbeamtete Kolleg:innen in allen Bereichen in Rente gehen, es gibt aber kaum fertig aus-gebildete Arbeiter:innen. Es klafft eine riesige Lücke zwischen der Generation, die noch vor 1994 verbeamtet wurde und bald geht, und der neuen Generation, die noch ausgebildet werden muss. Bei der S-Bahn Ham-burg zum Beispiel bestehen die Azubi-Lehrgänge für die Lokführer:innen aus etwa dreimal so vielen Menschen wie noch vor 3-4 Jahren. Folge sind Raumprobleme, eine Abnahme der Ausbildungsqualität und teilweise völlige Planlosigkeit. Und das bei einem der wenigen Unternehmen, das noch schwarze Zahlen schreibt und entsprechend zwar mehr schlecht als recht, aber dennoch, in der Lage ist, auf die Krise zu reagieren! Wie es in anderen Bereichen aussieht, kann man sich entsprechend vorstellen.

Bonuszahlungen & Haushaltskrise

Die Vorstände der DB, Richard Lutz, Martin Seiler, Evelyn Palla und wie sie nicht alle heißen, bekommen wahrscheinlich eine Bonuszahlung ausgeschüttet – wofür weiß niemand so genau. Für die Pläne, die Bahn weiter zu zerschlagen? Für die unfassbar schlechten Statistiken? Fürs Ignorieren der Beschäftigten? Für das Ab-wenden eines 50 Stunden-Streiks der EVG? Für die gescheiterten Verhandlungen mit der GDL?

Es gäbe tausend Gründe, diese Zahlungen nicht auszuschütten. Nicht nur dass sie ihren Job ganz offensichtlich nicht im Sinne der Bahn machen, sondern aus-schließlich für den Profit, sondern auch, dass sie so frech sind, uns zu erzählen, sie würden sich gut um ihre Mitarbeitenden kümmern, obwohl sie vor allem mit fragwürdigen Aktionen auffallen. Dazu kommt, dass die Bundesregierung mit dem Geld für den Klimafonds auch Projekte der Bahn finanziell unterstützen wollte. Dieses Geld fällt jetzt wahrscheinlich weg. Während also an allen Ecken und Enden Geld fehlt, sollen die Vorstände plötzlich Millionenbeträge bekommen. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die bei der Bahn arbeiten, auf sie angewiesen sind oder einfach nur wollen, dass sie in einem guten Zustand ist!

Geld in Personal und Infrastruktur, statt in die Taschen der Bosse!

Die Bonuszahlungen sollten an die Mitarbeitenden der Eisenbahnen gehen: Sie baden die Probleme aus, die die Vorstände verursacht haben! Das Geld sollte in die In-frastruktur, ins Personal, in die Fahrzeuge gehen, an-statt in die Taschen der Vorstände, die nur durch das Kaputtsparen und Zerstören der Eisenbahn auffallen!

Insbesondere für diese Ziele müssen Eisenbahner:innen einstehen:

  • Weg mit den Bonuszahlungen an die Vorstände der DB! Nutzt das Geld, um die marode Infrastruk-tur auszubessern! Für eine Planung der Infrastruktur, die nicht nach Profit strebt, sondern im Sinne der Fahrtüchtigkeit der Eisenbahn, auch einen Blick auf die Klimakrise wirft!
  • Stoppt die Zerschlagung der Deutschen Bahn! Für die Zusammenlegung aller Eisenbahnverkehrs- und -infrastrukturunternehmen zu EINER staat-lichen Eisenbahn!
  • Für den massiven Ausbau der Eisenbahninfra-struktur, sowie der Möglichkeiten der Ausbil-dung! Für mehr Räume, kleinere Azubi-Klassen, mehr Ausbildungsplätze insgesamt!

Lage der Gewerkschaften – für EINE Verkehrsgewerkschaft!

Die Gewerkschaften werden diese Forderungen aber nicht aufnehmen. Nicht mal Anteile davon. Weder die EVG noch die GDL werden tatsächlich für eine Eisenbahn kämpfen, die ihrem Anspruch gerecht wird. Die GDL, die aktuell in der Tarifrunde steckt, findet die weitere Zerschlagung der DB super. Sie erhofft sich, dadurch ihre Stellung zu verbessern. Die EVG findet es zwar grundsätzlich falsch, dass die Eisenbahn weiter zerschlagen werden soll, hat sich aber beispielsweise in der letzten Tarifrunde nicht darum gekümmert, die Forderung nach einem Stopp der weiteren Zerschlagung in den Kampf mit einfließen zu lassen. Der Grund dafür dürfte sein, dass die Gewerkschaftsführung kein Interesse daran hat, dass die bisherigen Kämpfe der Beschäftigten einen politischen Charakter bekommen könnten. Denn das würde bedeuten, dass sich eine große gesellschaftliche Bewegung rund um die Frage der Eisenbahn bilden könnte. Es wären die besten Voraussetzungen vorhanden, die Klimabewegung und die Beschäftigten zu verbinden, und die EVG hätte große Mühe, die Beschäftigten im Sinne der Sozialpartner:innenschaft wieder einzufangen.

Deshalb müssen wir eine antibürokratische Bewegung innerhalb der Gewerkschaften aufbauen! Wir müssen in die aktuelle Tarifrunde der GDL diese Forderungen hin-eintragen und für ihre Umsetzung kämpfen! Wir müssen die EVG auffordern, sich mit den Streiks der GDL zu solidarisieren, kämpft die GDL doch aktuell für wichtige Ziele, die den Arbeitsalltag stark verbessern und den Beruf der Eisenbahner:in deutlich attraktiver machen würden.

Und wir müssen für eine gemeinsame und demokratische Verkehrsgewerkschaft kämpfen, haben alle Eisenbahner:innen doch die gleichen Probleme und müssen das Versagen des Staates und des Vorstandes, aber auch der Gewerkschaftsführungen, ausbaden… Gleiche Probleme benötigen gemeinsame Antworten! Also Schluss mit dem Konkurrenzdenken und für einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen! Innerhalb der Gewerkschaften und der Belegschaft müssen wir al-so kämpfen für:

  • Umsetzung der Forderungen der GDL! Für einen unbefristeten Erzwingungsstreik, der erst mit der vollständigen Erfüllung der Forderungen endet!
  • Für eine antibürokratische Bewegung in EVG und GDL! Für die demokratische Kontrolle über Forderungen, Streiks und Verhandlungen durch die Beschäftigten!
  • Für eine gemeinsame, demokratische Verkehrs-gewerkschaft! Schluss mit der Spaltung in der Be-legschaft und für einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen in allen Bereichen!



TV-L: Warum unsere Lehrkräfte streiken!

November 2023

1. Warum unterstützen wir Streiks?

Wir befinden uns gerade mitten im Tarifkampf für einen neuen Tarifvertrag der Länder (kurz: TV-L). Konkret geht es um insgesamt 2,5 Millionen Beschäftigte, die 10,5 % Prozent mehr Gehalt und mindestens 500 € mehr fordern. Und was geht mich das an? Eine ganze Menge! Klar ist, dass zugegebenermaßen Streiks jeglicher Art, nicht so der Ort sind, an dem sich Jugendliche super wohl fühlen. Lauter alte Menschen ziehen mit bunten Westen und nervigen Trillerpfeifen durch die Innenstadt und wenn’s ganz doof kommt, fährt dann auch noch kein ÖPNV, die Krankenhäuser sind dicht, der Müll wird nicht abgeholt oder Geschäfte sind geschlossen. Doch genau hier zeigt sich, die reale Macht, die Streiks entfalten können: Da das Fortlaufen der kapitalistischen Produktionsweise darauf beruht, dass sich die Kapitalist_innen gesellschaftlich geschaffenen Mehrwert privat aneignen, wird sie durch Streiks dort getroffen, wo es ihr am meisten weh tut – bei den Profiten. Wenn eine ganze Belegschaft also kollektiv nicht zu Arbeit geht, können die Kapitalist_innen auch keinen Mehrwert abschöpfen und das wird sich sehr schnell negativ auf ihre Profite auswirken, sodass sie gezwungen sind, auf die Forderungen der Streikenden einzugehen. Deshalb haben die organisierte Arbeiter_innenklasse und ihre Streiks eine so wichtige Rolle, wenn es darum geht, das kapitalistische System aus den Angeln zu heben. Ob zum Beispiel im Kampf gegen den Klimawandel durch mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und ein ausgebautes Schienennetz bei der Bahn oder gegen den Umbau unserer Krankenhäuser zu Wirtschaftsunternehmen in der Pflege. Ebenso wurden bedeutende historische Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht oder das Ende des Ersten Weltkrieges durch Streiks durchgesetzt. Auch wenn die meisten Streiks nicht unmittelbar das kapitalistische System als Ganzes in Frage stellen, lässt doch jede durchgesetzte Streikforderung das klassenkämpferische Bewusstsein der Arbeiter_innenklasse anwachsen und ist ein Etappensieg im Kampf unserer Klasse gegen das Kapital. Ob bei der Bahn, in der Pflege oder bei den Angestellten der Länder: Jeder Streik verdient unsere vollste Solidarität!

2. Worum geht’s beim TV-L?

Die Anzahl der Beschäftigten, deren monatliche Löhne durch den Tarifvertrag der Länder geregelt werden, ist mit 2,5 Millionen ziemlich beachtlich. Das sind so viele Menschen wie in München, Leipzig und Dortmund zusammen wohnen! Dazu zählen vor allem Lehrer_innen und Erzieher_innen, aber auch viele Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiter_innen, Bauingineur_innen, Schulpsycholog_innen, Stadtplaner_innen, Systemtechniker_innen, Baumpfleger_innen, Hausmeister_innen usw. – alle Beschäftigten, die bei den Behörden und Institutionen des jeweiligen Bundeslandes angestellt sind. Leider zählen auch die Bullen dazu, die wir natürlich nicht als Teil der Arbeiter_innenklasse, sondern als Prügelknechte des bürgerlichen Staates betrachten. Wir treten für den Ausschluss ihrer Gewerkschaften aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein und solidarisieren uns nicht mit ihren Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, um uns zu schlagen und festzunehmen. So wie viele Bullen sind leider auch viele Lehrer_innen und andere Landesbeschäftigte Beamt_innen und dürfen aufgrund des restriktiven deutschen Streikrechts nicht selbst auf die Straße gehen, um für ihre Forderungen zu kämpfen.

In einem Tarifvertrag werden zwischen Arbeitgeber_innen und Gewerkschaften die Rechte und Pflichten der Beschäftigten und der Arbeitgeber_innen festgeschrieben und bieten für die Arbeiter_innen die Möglichkeit, Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen vertraglich festzuschreiben. Die Forderung mit denen nun die Gewerkschaften ver.di, die GEW und der Deutsche Beamtenbund für einen neuen TV-L in den Kampf ziehen sind 10,5 Prozent mehr Gehalt für alle. Und da 10,5 % mehr bei den niedrigen Einkommensgruppen nicht so viel ist, fordern sie mindestens 500 Euro mehr. Angesichts einer allgemeinen Teuerungsrate von 14% in den letzten 2 Jahren liegt diese vorsichtige Forderung aber sogar noch unter dem, wie die anstrengende Arbeit der Landesbeschäftigten täglich entwertet wird. Außerdem sollen die studentischen Beschäftigen an den Universitäten, die aktuell in vielen Bundesländern vollkommen wild bezahlt oder nicht-bezahlt werden, auch in den Tarifvertrag mit eingegliedert werden. Der Arbeitgeberverband der Länder (TdL) hat jedoch bereits in der ersten Verhandlungsrunde gesagt, dass er alle Forderungen komplett überzogen findet und angesichts „leerer Kassen“ keine Möglichkeit sieht, diese umzusetzen. Wenn wir uns ansehen, dass der deutsche Staat jedoch ein mehrere Milliarden hohes Steuerplus erwartet und 100 Milliarden in die Bundeswehr steckt, wird klar, dass das einfach nur eine dreiste Lüge ist. Vielmehr ist die Ampelregierung einfach nicht dazu bereit, mehr Geld in Bildung, Erziehung und andere öffentliche Aufgaben zu stecken. Die Blockadehaltung der TdL ist Teil des gigantischen Sparprogrammes, mit dem in der sozialen Daseinsvorsorge gekürzt werden soll, um die gesparten Milliarden in Aufrüstung und Unternehmenssubvention zu stecken. So verkörpert der Haushaltsentwurf der Ampel für 2024 einen fetten Sozialkahlschlag, den wir so seit der Agenda 2010 nicht mehr gesehen haben. Konkret geht es darum in Bildung, Obdachlosenhilfe, Sozialer Arbeit, Humanitärer Hilfe, Katastrophenschutz, Bundesfreiwilligendienst, Prävention gegen sexuelle Gewalt, BAföG und Hilfe für Menschen mit Behinderung mehrere Milliarden wegzukürzen, um diese in Bundeswehr und die Unterstützung von Unternehmen („Wachstumsförderungsgesetz“) zu stecken. Die Landesbeschäftigten müssen also erkennen, dass sie mit ihrem Kampf für einen TV-L gegen diese brutale Umverteilung öffentlicher Gelder vorgehen können!

3. Warum betrifft das uns Schüler_innen?

Wie oben schon erwähnt, betrifft uns eigentlich jeder Streik, denn erfolgreiche Streiks sind auch wieder motivierend für andere Berufsbranchen und heben das Bewusstsein der Klasse im Allgemeinen. Doch gerade beim TV-L geht es konkret um die Frage, wie viel Geld in die Rüstung und viel in die Schulen gesteckt wird. Ob kaputte Schulgebäude, stinkende Schulklos, mehr Klassenarbeiten, gestresste Lehrer_innen oder ständiger Unterrichtsausfall: die aktuelle Bildungskrise hängt davon ab, wie viel Geld der Staat für die Schulen auf den Tisch legt. Somit sind wir zwar nicht direkt durch den TV-L betroffen, da wir kein Geld fürs Lernen erhalten. Jedoch betrifft uns sein Ergebnis indirekt sehr stark, denn ein starker Abschluss bedeutet eine feste Zusicherung von mehr Geld im Bildungssystem, mit dem strukturelle Probleme wie der Personalmangel angegangen werden können. Ein starker TV-L bedeutet, die Umverteilungsplänen der Ampel mit den Mitteln des Klassenkampfes ein Stück weit aufzuhalten. Wenn am 28.11. also unsere Lehrer_innen für den TV-L streiken, heißt das nicht nur Schulausfall, sondern das heißt, dass sie unsere vollste Unterstützung bei ihrem Kampf brauchen. Auch wenn Frau Schmanz ungerechte Noten gibt und Herr Weiß den langweiligsten Unterricht der Welt macht – in diesem Kampf stehen wir an ihrer Seite, denn ihr Kampf ist auch der unsere. Jede Schwäche in ihrer Mobilisierung wird den Arbeitgeberverband nur dazu ermutigen, ein schlechteres Ergebnis und damit weniger Geld im Bildungssystem durchzusetzen.

4. Wie können wir die Streiks für den TV-L unterstützen?

Am 28.11. werden bundesweit die angestellten Lehrer_innen streiken. Meistens gibt es am Streiktag selbst einen Streikposten vor dem Schultor. Dort kann man vor Ort mit den streikenden Lehrer_innen reden, wie wir sie unterstützen können. Wenn sie korrekt sind, nehmen sie uns vielleicht auch direkt mit auf die Streikdemo oder machen daraus eine Politik-Exkursion. Oder ihr geht einfach selbst hin, wenn der Unterricht wegen des Streiks komplett ausfallen sollte. Ihr könnt auch ein kleines Flugblatt schreiben, dass ihr die Idee cool findet, und allen Lehrer_innen ins Fach legen. Auch das motiviert sie und hilft ihnen vielleicht auch bei Konflikten mit der Schulleitung, die Streiks meistens gar nicht toll findet. Auf einer Vollversammlung oder Sitzung der Schüler_innenvertretung kann eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden, dass der Streik von uns Schüler_innen unterstützt wird. Wichtig ist, dass ihr gleich loslegt, denn der 28.11. ist nicht mehr weit entfernt.

Da wir uns jedoch mit unseren Lehrer_innen als gleichberechtigte Partner_innen im Kampf gegen die geplanten Angriffe auf das Bildungssystem verstehen, ist es wichtig, dass wir nicht nur die Forderungen der Gewerkschaften unterstützen, sondern auch eigene Ideen aufwerfen, um die Probleme anzugehen, die uns täglich in der Schule betreffen. Wir fordern deshalb zum Lehrer_innenstreik auch die Bildung einer Beschwerdestelle gegen Diskriminierung an jeder Schule. Diese muss unabhängig von der Schulleitung sein und gemeinsam von wähl- und abwählbaren Schüler_innen und Lehrkräften kontrolliert werden. Dafür brauchen wir an jeder Schule eine Art Antidiskriminierungs-Awarenessteam, das jederzeit ansprechbar ist und in dem auch von Diskriminierung betroffene Menschen selbst dabei sind. Es muss möglich sein, dort auch anonym eine Beschwerde über diskriminierendes Verhalten an der Schule einzureichen. Außerdem braucht die Beschwerdestelle eigene Befugnisse, um auch selbst gegen die Diskriminierung aktiv werden zu können. Das ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern wir können gleich morgen damit beginnen, diskriminierenden Strukturen an unseren Schulen den Kampf anzusagen!

5. Wie geht es nach dem 28.11. weiter mit dem TV-L?

Leider verstehen sich die Führungen der Gewerkschaften in Deutschland nicht als Anführer_innen im Klassenkampf, sondern eher als Co-Verwaltung des kapitalistischen Systems. Das haben wir beispielsweise daran gesehen, dass sie keine großen Kampfmobilisierungen gegen die Corona-Krise, die Klimakrise oder die Aufrüstungspolitik organisiert, sondern stattdessen den Burgfrieden mit dem deutschen Kapital gesucht haben. Es ist also zu erwarten, dass sie nicht die volle Stärke ihrer Basis mobilisieren werden, dort wo sie schwach aufgestellt sind großangelegte Kampagnen zur Mitgliedergewinnung starten und dann ausgehend vom Vollstreik die Urabstimmung zum unbefristeten Erzwingungsstreik einleiten. Das bräuchte es aber, denn die einzelnen Nadelstiche der aktuellen Streikpolitik von ver.di und GEW tun dem Arbeitgeberband nicht weh, sodass dieser wahrscheinlich, wie schon zuvor beim Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TV-ÖD), mit einem schlechten Abschluss mit schlappen 5,5 % Lohnerhöhung rechnet. Dass die Gewerkschaftsführungen nicht gewillt sind, sich mit voller Stärke in den Kampf zu werfen, zeigt sich schon daran, dass gar nicht geplant ist, dass alle Beschäftigtengruppen am selben Tag streiken. Stattdessen streiken alle Berufsgruppen total vereinzelt, heute die Erzieher_innen, übermorgen die Lehrer_innen. Diese Taktik freut allein die Arbeitgeber. Dass die Beschäftigten auf diese Vereinzelung eigentlich keine Lust haben, hat am 17.10. eindrucksvoll eine Streikversammlung der Berliner Lehrer_innen gezeigt, bei der die absolute Mehrheit für eine Zusammenlegung der Streiktage gestimmt hat. Ähnlich hat sich auch das ver.di-Aktionskomitee der FU Berlin positioniert. Dieses klare Stimmungsbild wurde jedoch von der Bürokratie übergangen. Dieses undemokratische Verständnis von Gewerkschaftspolitik zeigt uns, dass es in allen Betrieben und Einrichtungen Streikkomitees brauch, die über wähl- und abwählbare Delegierte selber entscheiden, welche konkreten Kampfhandlungen als nächstes unternommen werden und wie die nächsten Streiktage aussehen. Ferner dürfen nicht die Gewerkschaftsbürokrat_innen entscheiden, ob ein Angebot der Arbeitgeberseite angenommen wird, sondern nur die Streikenden selbst!




Warum wir Schüler_Innen die Streiks der Lehrer_Innen unterstützen!

Revolution Zeitung September 2023

Mit einem Geräuschpegel von 90 Dezibel für eine Klassenarbeit zu lernen, ist schon daheim schwer, wenn sich jemand im gleichen Raum föhnt. Aber bei diesem dauerhaften Geräuschpegel im Unterricht wird es dann völlig unmöglich. Die Klassen sind massiv überfüllt mit sehr häufig mehr als 30 Schüler_Innen. Dies werden dann auch nur von einer Lehrkraft betreut und sie muss sich um alle Probleme während des Unterrichts kümmern, während Unterrichtsinhalte vielfach auf der Strecke bleiben. Das stellt eine massive Belastung für die Lehrer_Innen und uns Schüler_Innen dar.

Ebenfalls erlaubt dies keine faire Bewertung, wenn, wie man es vielleicht selber noch kennt, die Lehrkräfte nach einem halben Jahr immer noch nicht einmal alle Namen kennen und dies das Würfeln der Noten nur noch verschärft. Eine Methode für eine „fairere“ oder zumindest vergleichbarere Bewertung wäre eine größere Menge an schriftlichen Abgaben. Diese würden jedoch die Lehrkräfte nur noch weiter belasten und eine individuelle Förderung noch schwieriger gestalten. Eine individuelle Förderung basiert auf den Stärken, Schwächen und Interessen und ist aktuell so gut wie unmöglich, da wenige Lehrkräfte die Möglichkeit haben, so einen Mehraufwand zu leisten. Das ist ein strukturelles Problem vor Allem für Schüler_Innen mit größeren Förderbedarf!

Aber was hat das jetzt mit den Streiks zu tun?

Die Lehrkräfte haben im Gegensatz zu uns Schüler_Innen eine Organisation, welche sie vor ihrem Vorgesetzten (= die Bundesländer) geeint repräsentiert und Forderungen erhebt: die Gewerkschaften. Gegenüber den Bundesländern bestehen die Streiks als Möglichkeit, Druck aufzubauen. Doch gerade bei Lehrer_Innen gibt es da Probleme: Zum Beispiel, dass die Streikenden ihrem Ziel, eine gute Bildung uns Schüler_Innen zu bieten, damit auch teilweise entgegenwirken. Dazu ist ein Streik von Lehrer_Innen nicht mit so viel Druck verbunden wie bei Angestellten in Unternehmen, da dies einen deutlich direkteren finanziellen Druck aufbaut, wenn die Produktion stillsteht. Dies macht es umso wichtiger, dass wir Schüler_Innen die Streiks und das Tarifvorhaben unterstützen, weil die Herstellung von öffentlichem Druck eine größere Rolle spielt.

Das Tarifvorhaben (TV-L) richtet sich jedoch nicht ausschließlich an die Lehrer_Innen, sondern an alle im Öffentlichen Dienst, die bei den Bundesländern angestellt sind. Dabei sind sehr viele Arbeiter_Innen aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen mitbetroffen, wie Erzieher_Innen, bei denen Kita in der Hand des Landes sind, auch reguläre Beamte und aber leider auch Polizei, die eigentlich Feinde der Arbeiter_Innenbewegung sind. Insgesamt sind also neben der Lehrer_Innengewerkschaft GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften) noch ver.di, IG BAU, DBB (Deutscher Beamtenbund) und die GdP (Gewerkschaft der Polizei) mit von der Partie.

Diese müssen sich zuvor noch auf einen Forderungskatalog einigen, was den Prozess noch komplizierter macht. Hierbei müssen die Lehrkräfte darauf drängen, dass auch eine Entlastung durch Verkleinerung der Klassen gefordert wird. Der TV-L hat jedoch einen Unterschied zu dem Letztens abgeschlossen Tarifverträgen: Dieser ist nämlich zwischen Bund und Kommunen und den bei ihnen Angestellten. Diese Unterteilung von Bund und Kommunen auf der einen, Bundesland auf der anderen Seite schwächt die Position der Angestellten, da sie nicht geeint auftreten.

Wie können wir da mitsprechen?

Wir Schüler_Innen haben nur eine Repräsentation über die Schulsprecher_Innen. Diese haben jedoch keine tatsächlichen Machtbefugnisse. Sie sind ebenfalls nicht ein politisches Gremium, was die Interessen der Schüler_Innen tiefergehend vertritt. Denn es besteht keine jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit und die Schulsprecher_Innen bewegen sich meist nur im „offiziellen“ Rahmen, weniger in Aktionen und Aufklärung an der Schule. Ebenfalls ist die Vorstellung der Schule und Schüler_Innenvertretung als etwas Unpolitisches problematisch, da schlussendlich die Beliebtesten der Klasse oder der GSV (Gesamtschüler_Innenvertretung) gewählt werden. Weiterhin ist eine Transparenz des Gremiums der GSV nicht wirklich die Norm.

Um für einen Tarifvertrag zu kämpfen, welcher die Ziele der Lehrer_Innen und dem entsprechend auch teilweise der Schüler_Innen erfüllt, braucht es eine organisierte Bildungsbewegung, welche für unsere Interessen kämpft und dabei nicht davon zurückscheut, auch radikale Forderungen aufzustellen und ein anderes Bildungssystem vorzuschlagen. Ebenfalls sollten wir versuchen, als Schüler_Innen gemeinsam mit unseren Lehrer_Innen für eine Gerechtere Bildung zu kämpfen und Solidarität aufzubauen, da nicht nur sie von der Misere des aktuellen Bildungssystems betroffen sind. Wir als Schüler_Innen sollten versuchen, auch zu einer Schüler_Innengewerkschaft zu kommen, welche unsere Forderungen vertritt und für diese kämpft. Hierbei kann es helfen, die bestehenden Schüler_Innenvertretungen als eine Plattform zu nutzen, um eine Perspektive in die Schüler_Innenschaft zu tragen. Aber wir müssen auch unabhängig Druck aufbauen! Deswegen versucht, euch mit anderen Schüler_Innen zu vernetzen und unabhängige Schüler_Innen-Komitees aufzubauen, welche sich an Bildungsprotesttagen und Streiktagen der Lehrer_Innen beteiligt und das Perspektiven gegen die Bildungskrise in die Schüler_Innenschaft trägt.

Dabei sollten wir auch die Frage der Macht über die Bildung stellen. Diese ist nämlich in eindeutiger Hand der Bundesländer und damit dem bürgerlichen Staat, also einem Organ, für das nicht an erste Stelle das Interesse an einer möglichst guten Bildung für alle basierend auf ihren Interessen steht, sondern das ihres Machterhalts. Dementsprechend würden Unterrichtsinhalte, welche das Machtsystem in der BRD infrage stellt, nicht zugelassen werden. Vielleicht lernen wir dann irgendwann im selbstbestimmten Politik-Unterricht mal etwas über den Kapitalismus und wie eine Welt nach ihm aussehen könnte!




Was und wie wir lernen, entscheiden wir!

Von Isma Johnson

Die Schule ist für die meisten ganz schön ätzend. Das liegt auch daran, dass wir Schüler_Innen kaum mitbestimmen können, welche Inhalte und Fähigkeiten wir dort lernen. Stattdessen wird in den Lehrplänen alles aufgeschrieben, was in der gesamten Schulzeit unterrichtet werden soll, und wir werden anschließend gezwungen, das alles irgendwie in 12 bis 13 Jahren Schule zu schaffen. Aber warum dürfen wir daran eigentlich nicht mitbestimmen und wer hat aktuell Kontrolle über die Lehrpläne?

Das sind die Ministerien für Bildung in den einzelnen Bundesländern, zusammen mit (unter anderem) Vertreter_Innen der Wirtschaft, also des Kapitals. Diese sollen Lehrpläne entwerfen, die uns möglichst gut auf die Arbeit vorbereiten. Und obwohl das sinnvoll klingt, liegt genau hier das Problem. Die Arbeitswelt im Kapitalismus wird nämlich von Kapitalist_Innen bestimmt, für die die Arbeitenden die Profite erarbeiten. Eine Vorbereitung auf diese Tätigkeit ist also nichts anderes als die Vorbereitung darauf, von Kapitalist_Innen kontrolliert und ausgebeutet zu werden. Die Arbeiter_Innenklasse soll also im Bildungssystem auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Auf diese Fähigkeiten von Arbeiter_Innen sind Kapitalist_Innen unbedingt angewiesen, ihnen diese beizubringen ist aber ziemlich teuer. Daher profitieren Kapitalist_Innen doppelt, wenn der Staat das Bildungswesen übernimmt.

Wir müssen uns also durch einen Lehrplan durchquälen, der für die Kapitalist_Innen – nicht für uns und unser Leben – ideal sein soll. Hier wird immer vorgezogen, was für verschiedene Berufe mit verschiedenen Anforderungen verwertbar ist, wie zum Beispiel Informatik, die zunehmend unterrichtet und in Lehrpläne einbezogen wird, weil sie auch fürs Arbeiten wichtiger wird. Was wir fürs Leben brauchen – zum Beispiel Konsens in Sexualkunde, psychische Gesundheit oder echte demokratische Mitbestimmung – fällt hinten runter. Im Großen und Ganzen müssen wir einen Unterricht aushalten, der so langweilig, autoritär und ungerecht ist, dass wir auf die Hierarchien der Lohnarbeit eingestellt werden. Es zeigt sich: Solange es eine gute Arbeiter_Innenklasse produziert, ist es dem Schulsystem völlig egal, ob es uns psychisch krank und konstant gestresst macht oder sonst wie auf‘s Leben vorbereitet. 

Aber geht es anders?

Deshalb lohnt es sich den Ministerien und “Expert_Innen für Wirtschaft” die Kontrolle über unsere Lehrpläne zu nehmen und den Einfluss der Kapitalist_Innen zu hinterfragen. Sie sind nicht von uns gewählt, sie repräsentieren uns nicht und arbeiten offensichtlich auch nicht zu unserem Besten. Stattdessen müssen wir die Macht über unsere Schulen für uns selbst beanspruchen, also für alle die tatsächlich in die Schule gehen: Schüler_Innen, Lehrer_Innen und an der Schule Beschäftigte. Gemeinsam könnten wir ausarbeiten, was für uns und die Gesellschaft wichtige Fähigkeiten und Themen sind, was wir lernen sollten und was wir lernen wollen. Da die Schule aber eben nicht losgelöst von der Arbeitswelt funktioniert, können wir beginnen, die Frage nach Kontrolle in unseren Schulen zu stellen, müssen sie aber auch weitertragen. Denn solange wir im Kapitalismus leben, wird auch die Schule ihren Klassencharakter behalten, unter kapitalistischem Einfluss stehen. Aus diesem Grund bedeutet eine konsequente demokratische Kontrolle über die Lehrpläne auch eine Schule gegen den Kapitalismus und ist ein Ausgangspunkt, um diese einzufordern.

Was könnte das bedeuten, eine nicht kapitalistische, sozialistische Schule? Wir könnten sie grundsätzlich anders gestalten: Schule könnte die Interessen und Talente der einzelnen Lernenden fordern und der Unterricht müsste nicht frontal und autoritär gestaltet sein, sondern kann den Raum für eigenständige Entfaltung geben. Dabei könnten Lehrer_Innen unterstützen, anstatt autoritär und durch Frontalunterricht vorzugeben, was wir zu tun und zu lernen haben. Leistungsterror und Notendruck könnten ein absurdes, realitätsfernes Konzept werden, wodurch sich die psychische Gesundheit der Lernenden wahrscheinlich deutlich verbessern würde. Wir müssten nicht für uns allein stehen, uns durchkämpfen und individuell bewertet werden, sondern könnten lernen, Aufgaben gemeinsam, kreativ und demokratisch zu lösen. Im Prozess könnten wir außerdem lernen, gemeinsam demokratische Entscheidungen so zu treffen, wie es auch im Rest der Gesellschaft notwendig ist. Wenn Schulen nicht mehr alles auf kapitalistischer Verwertungslogik aufbauen müssten, dann könnten sie nicht nur schöne und freie Orte sein, sondern auch mündige und eigenständige Menschen ausbilden.

Das mag jetzt utopisch und weit weg klingen und das ist es auch. Es ist aber nicht unmöglich: Der erste Schritt auf diesem Weg zu einer gerechteren Schule ist die Forderung nach einer demokratischen Kontrolle über die Lehrpläne! Diese können wir nur gemeinsam mit unseren Lehrkräften und allen in der Schule Beschäftigten durchsetzen. Das bedeutet einerseits, dass wir ihre Kämpfe in den Gewerkschaften unterstützen und die Frage der Lehrpläne in diese hineintragen. Andererseits müssen wir unsere Mitschüler_Innen überzeugen, sich diesem Kampf anzuschließen: In eigenständigen Komitees können wir gemeinsam und demokratisch entscheiden, wie wir es schaffen, die Schüler_Innenschaft unserer und anderer Schulen, hinter dieser Forderung zu versammeln: Kundgebungen, Flyer, Podiumsdiskussionen können ein guter Anfang sein. Gemeinsam mit den Lehrkräften haben wir dann die Macht, in einem Streik den gesamten Schulalltag lahmzulegen und die Herrschenden können uns nicht länger ignorieren. Lasst uns also gemeinsam Widerstand an unseren Schulen organisieren und kapitalistischen Leistungsterror ein für alle Mal vom Lehrplan streichen!




#WirFahrenZusammen: Vom Bahnstreik zum Verkehrswendestreik

Von Lia Malinovski, August 2023

In wenigen Monaten beginnt die Tarifrunde im Öffentlichen Nahverkehr (TVN). Die Beschäftigten kämpfen dort für bessere Arbeitsbedingungen, unter Anderem höhere Löhne, längere Pausen- und Umschlagszeiten[1]. Beteiligte Gewerkschaften sind die ver.di und die EVG, führend dabei ist jedoch in den meisten Betrieben die ver.di. Alle Bundesländer dürfen im nächsten Jahr streiken, bis auf Bayern. In diesem Artikel wollen wir uns angucken, wie wir von dem kommenden Streik in einen politischen Streik für die Verkehrswende kommen.

Schon im März 2023 ist die Kampagne „#WirFahrenZusammen“ (WFZ) mit Beschäftigten im ÖPNV auf die globalen Fridays for Future (FFF)-Demonstrationen gegangen. Ver.di hatte den Streiktag im Öffentlichen Dienst auf den Tag von der globalen Demonstration gelegt, sodass die Beschäftigten ihren Kampf in den Kampf von FFF tragen konnten. Die Kampagne ist noch sehr neu und in der Findungsphase, weshalb es nicht einfach ist, verlässliche Infos zu bekommen. Die Informationen, auf denen ich den Artikel basiere, stammen aus Recherche in den Strukturen der Kampagne, aus einem Interview mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von Genoss_Innen, die selber in der Kampagne aktiv sind oder bei der Deutschen Bahn arbeiten. Es gibt bis auf den FFF-Streik im März bisher keine aktive Außenwirkung der Kampagne, wobei sie zur IAA in München mobilisieren wollen und dort einen Block in der Demo stellen wollen.

WFZ versucht einen Schulterschluss aus linken Teilen der Klimabewegung, die die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Arbeiter_Innenklasse erkannt haben, und ÖPNV-Beschäftigten herzustellen. So haben sie es bspw. In Köln geschafft, Forderungen bei den ÖPNV-Beschäftigten populär zu machen, indem sie ihre Forderungen mit Unterschriftensammlungen unterstützten und so das Vertrauen der Arbeiter_Innen gewinnen konnten. Teile der Gewerkschaftsapparate von ver.di und der EVG unterstützen die Kampagne, vermutlich allerdings in erster Linie, um politische Forderungen aus dem Tarifkampf auszugliedern. Denn sie wissen von der Notwendigkeit, politisch zu kämpfen, wollen aber auch nicht aufs Spiel setzen, gute Sozialpartner_Innen (für die Konzerne) zu sein. WFZ bietet für sie die Möglichkeit, zu zeigen „hey, wir haben doch auch politische Forderungen“, ohne für diese tatsächlich kämpfen zu müssen. WFZ selbst versucht diese Masche der Gewerkschaften aber nicht zu problematisieren oder gar zu ändern, da sie fürchten, das Bündnis zu verlieren. Verständlicherweise, denn es gibt kaum unabhängige Strukturen in den Belegschaften, die nicht von der Gewerkschaftsbürokratie (privilegierte Führung) abhängig sind. Damit aber der Schulterschluss aus Arbeiter_Innen und Klimabewegung möglich ist, ohne abhängig von der Bürokratie zu sein, braucht es genau diese Kräfte.

Von der Straße auf die Schiene!

„Wir Fahren zusammen“ kann also kaum die Bürokratie kritisieren. Dabei müssten sie genau dies tun, um oppositionelle Kräfte innerhalb der Belegschaften und Gewerkschaften zu stärken. Das führt dazu, dass sie sich der Bürokratie unterordnen und einen in erster Linie ökonomischen Kampf der Gewerkschaften unterstützen, die politische Perspektive dabei aber schrittweise aufgeben. Für die Verkehrswende ist es aber unerlässlich, ökonomische Kämpfe mit politischen zu verbinden: Wir stehen vor der Herausforderung, dass die Anforderungen an den Schienenverkehr stetig wachsen. Es braucht einen massiven Ausbau der Schieneninfrastruktur, um diese zum Kern der zukünftigen Verkehrsweise zu machen. Dafür reicht es aber nicht, einfach nur mehr Lohn zu fordern. Es braucht neben längeren Umschlagszeiten auch mehr Personal, mehr Geld und geringere Anforderungen für die Bahn. Auch die zunehmende Privatisierung und drohende Zerschlagung der Bahn erfordern politische Antworten.

Wir möchten, bevor wir thematisieren, wie wir zum politischen Streik kommen, darauf eingehen was eigentlich im ÖPNV notwendig ist für die Verkehrswende. Denn nur mit einer Vorstellung davon, was Ausbau bedeutet und wie der Verkehr aussehen muss, können wir für diesen Kämpfen. Die aktuelle Situation ist, dass große Streckenabschnitte in ganz Deutschland, insbesondere aber in Ostdeutschland, stillgelegt und zugunsten des Autos abgebaut wurden. Während man mit dem Auto problemlos von A nach B kommt (wenn man nicht gerade in einer Großstadt lebt), braucht die Bahn häufig doppelt so lang oder länger, man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie pünktlich kommt oder dass sie überhaupt fährt. Jeder dritte Zug war im letzten Jahr zu spät – von denen die überhaupt gefahren sind. Das liegt nicht nur daran, dass viele Strecken zurückgebaut wurden, sondern auch daran, dass die verbliebenen Strecken völlig überlastet sind (Beispielsweise Hamburg-Hannover mit 126% Auslastung). Neben dem kulturellen Aspekt, dass ein neues, hübsches Auto als Statussymbol gilt, macht auch das den Autoverkehr attraktiver und es ist also nicht verwunderlich, dass die Neuzulassungen von PKWs in manchen Jahren kaum relevant zurückgehen und in anderen sogar zunehmen (2022 wurde ein Anstieg von 1,1% verzeichnet).

Dabei ist das Rad-Schiene-System mit Abstand das effizienteste, da wenig Reibung entsteht und es meistens von Außen mit Strom betrieben wird. Nicht nur kann ein Zug auf ausgebauten Strecken deutlich schneller fahren, er fährt auch viele Hundert bis Tausend Menschen mehr von A nach B als ein Auto. Aber was heißt Ausbau genau und wie kommen wir dahin? Es müssen selbst die kleinsten Ortschaften an das öffentliche Schienensystem angeschlossen werden. Das bedeutet, dort wo es einen Nutzen für schon wenige tausend Menschen hat, müssen Schienen gebaut werden (wenn es möglich ist). Tramkonzepte, kleine Bahnen und Schnellfahrstrecken müssen den Kern des neuen Verkehrs bilden. Dort wo es nicht möglich ist oder schlicht mehr Ressourcen binden würde, Schienen zu bauen, sollten Car-Sharing-Konzepte oder Oberleitung-betriebene Busse die Anbindung an den nächstgelegenen Bahnhof ermöglichen. Gleiches gilt auch für den Gütertransport: Bis auf die letzten Kilometer sollte alles über die Schiene fahren, die letzten Kilometer möglichst ebenfalls über Oberleitung. Grundlegend ist außerdem, dass das Schienennetz 100% strombetrieben läuft.

Vom Bahnstreik zum Verkehrswendestreik…

Obwohl das nur einen kleinen Ausschnitt darstellt, sehen wir schon hier die Grenzen von rein ökonomischen Streiks und Forderungen. Der Ausbau auf 100% strombetriebene Gleise lässt sich nicht mit mehr Lohn und längeren Umschlagzeiten ermöglichen. Letztendlich muss der Verkehrssektor enteignet und unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden, um nicht mehr für Profit, sondern den Schutz von Mensch & Umwelt zu produzieren. Wie kommen wir jetzt also zum politischen Verkehrswendestreik?

Die Kampagne „Wir Fahren Zusammen“ geht einen wichtigen ersten Schritt: Die Verbindung zwischen Klimabewegung und Arbeiter_Innenklasse ist essentiell, um zum Einen höhere Schlagkraft zu haben, andererseits auch, um nicht Klimaschutz und direkte Nöte der Arbeitenden gegeneinander ausspielen zu können. Dabei darf die Kampagne aber nicht vor Kritik an der Bürokratie zurückschrecken, die sich mit aller Kraft gegen politische Streiks wehren wird. WFZ sollte oppositionelle und klassenkämpferische Kräfte in den Gewerkschaften unterstützen in ihrem Kampf für Basisorganisierung, Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Posten in den Gewerkschaften. Als Revolutionäre müssen wir in WFZ also aufzeigen, wieso es notwendig ist, sich nicht unter die Gewerkschaftsbürokratie unterzuordnen. Wir müssen den Widerspruch, den die Bürokratie selbst geschaffen hat, weiter vertiefen und alles daran setzen, dass die Beschäftigten und die Basis der Gewerkschaften ihre ökonomischen Forderungen mit politischen ergänzt. Hier müssen auch Kampagnen wie WFZ auf die Beschäftigten zugehen und mit ihnen gemeinsame Forderungen entwickeln. Wer die Notwendigkeit der Forderungen erkennt, wird nicht aufhören dafür zu kämpfen, wenn ein undemokratischer Apparat Nein sagt.


[1] Umschlagszeit ist die Zeit, in der eine Bahn, die am Zielbahnhof angekommen ist, stehen bleibt, bevor sie in die andere Richtung zurück fährt




Tarifkampf der EVG: Schlichtung ablehnen!

Leo Drais, Juli 2023, zuerst erschienen bei Arbeiter:innenmacht

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat sich in der überaus zähen Tarifrunde mit der DB AG auf eine Schlichtung eingelassen, nachdem sie sich bereits in der Vorbereitung der Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik befand. Diese wird auch kommen – das Schlichtungsergebnis soll urabgestimmt werden. Es ist zu erwarten, dass die EVG dann die Annahme empfiehlt, gerade mal 25 % der abstimmenden Mitglieder reichen dafür. Demgegenüber müssten 75 % das Ergebnis ablehnen, sprich für einen Erzwingungsstreik stimmen, damit dieser stattfindet.

Schachzug der Bürokratie

Das Ganze ist ein geschickter Zug der EVG-Führung, die in den letzten drei Monaten viel dafür getan hat, nicht zu streiken, die immer wieder betont hat, Lösungen gebe es nur am Verhandlungstisch, die eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zu einem Sieg umdeutete, die mit Transdev einen Abschluss gemacht hat, zu niedrig, zu lang in der Laufzeit, den sie wie mit dem Zaunpfahl winkend auch bei der DB gern genommen hätte – nur: Nicht mal diesen Abschluss wollte die DB akzeptieren.

Der Abschluss bei Transdev, dem größten privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) nach dem staatlichen der DB AG (Betreiber u. a. der Bayerischen Regiobahn, NordWestBahn, S-Bahn Hannover) beinhaltet eine Laufzeit von 21 Monaten und eine zweistufige Bruttofestgelderhöhung von 290 Euro ab November und 130 Euro ab August 2024; Nachwuchskräfte kriegen die Hälfte. Zusätzlich kommt eine Inflationsausgleichsprämie über 1.400 Euro. Daneben erfolgten Verbesserungen im Bereich der Zuschläge und noch Weiteres. Von den ursprünglichen Forderungen: Laufzeit 12 Monate, 650 Euro in die Tabelle ist dennoch nicht viel geblieben. Andere private EVU folgten dem Abschluss.

Die Bahn provozierte mit einem Angebot von 27 Monaten Laufzeit und einer Erhöhung von gerade mal 200 Euro in zwei Schritten (Dez 23, Aug 24, jeweils 100 Euro). Das „Angebot“ wurde von der Zentralen Tarifkommission (ZTK) abgelehnt und ebenso vom Bundesvorstand der EVG. Somit waren die Verhandlungen gescheitert.

Die Entscheidung ist wahrscheinlich Ausdruck von zwei Aspekten: Erstens kann natürlich eine Gewerkschaftsführung, auch wenn sie sich noch so sehr um die Sozialpartner:innenschaft mit den Bossen bemüht, nicht jeden Scheiß unterschreiben, zumal die EVG im Coronajahr 2020 komplett die Füße stillgehalten und unter dem Deckmantel der Beschäftigungssicherung eine Nullrunde unterschrieben hat – ohne irgendeine Vordiskussion mit der Basis.

Dieses Mal bemühte sich der Apparat von Anfang an, dem ganzen Verfahren einen demokratischeren Anstrich zu geben, natürlich weit ab von einer direkten Kontrolle durch die Mitglieder. Man organisierte Tarifwerkstätten und eine Mitgliederbefragung, beides mit deutlichen Schwächen. Bei Ersteren durfte zwischen drei Hauptforderungen nur eine gewählt werden, bei Zweiterer konnten alle mehrfach abstimmen, jedoch ohne, dass in dem Ergebnis irgendeine Verbindlichkeit lag; die Laufzeit fehlte gleich ganz.

Zudem hat sich in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung des EVG-Apparates verändert. Mehr junge Gewerkschaftssekretär:innen und Ehrenamtliche sind abgefuckt davon, wie der Laden läuft. Zudem ist natürlich einerseits allen Gewerkschaftsoffiziellen klar, dass mit einem zu schlechten Abschluss Austrittswellen drohen, zum anderen, und das ist nicht zu unterschätzen, gibt es bei der Bahn anders als für die IG Metall bspw. eine relevante Konkurrenzgewerkschaft mit der GDL. Diese hat ihrerseits mittlerweile ihre Forderungen für die Tarifrunde ab Herbst aufgestellt, darunter eine 35-Stundenwoche für Schichtarbeiter:innen sowie 555 Euro mehr in die Tabelle. Schließt die EVG zu schlecht ab, gibt es für alle Mitglieder immer auch die Möglichkeit, zu ihr zu gehen, und das weiß natürlich der Apparat beider Vereinigungen.

Davon abgesehen ist es natürlich so, dass die Tarifkommissionen bei den unterschiedlichen Unternehmen anders zusammengesetzt sind.

Dann kam die DB mit dem Angebot einer Schlichtung um die Ecke und der EVG-Apparat witterte die Chance: ein guter Sozialpartner sein und gleichzeitig die Mitgliedschaft einbinden. Das Ergebnis der Schlichtung wird urabgestimmt, die Verantwortung über die Annahme der Mitgliedschaft in einem Verfahren überantwortet, das selbst formal undemokratisch ist. Am Ende klopfen sich EVG-Vizevorsitzende Cosima Ingenschay und Co. auf die Schulter und sagen: „Die Mitgliedschaft hat entschieden“, selbst wenn mehr als 50 % das Ding ablehnen sollten. Es scheint demokratisch, aber der ganze Weg dahin und die Abstimmung selbst waren und sind es nicht. Allein schon deshalb muss die Schlichtung abgelehnt werden. Immerhin einige, wenigstens die Vertreter:innen der Jugend, haben dies getan.

Annahme verweigern

Darüber hinaus ist erstens zu erwarten, dass bei der Schlichtung nicht das rauskommt, was ursprünglich gefordert wurde. Zwar gehört es zu den üblichen Ritualen in deutschen Tarifverhandlungen, weit unter den eigenen Forderungen abzuschließen, doch nur, weil es „schon immer so gemacht“ wird, wird es dadurch nicht richtiger. Warum wird nicht eskalierend vorgegangen? Eine DB, die ungestraft einfach mal 2 Monate gar nicht verhandelt hat, hätte es nicht anders verdient, als mit einem Erzwingungsstreik bestraft zu werden, wo mit jeden Tag die Forderung erhöht wird.

Zweitens muss die Schlichtung (und damit ihr Ergebnis) deshalb abgelehnt werden, weil sie nicht nur ein Zugeständnis an die Bahn darstellt, sondern auch, weil die EVG damit von dem Wohlgefallen der Schichter:innen abhängig wird. Diese kann sie zwar selbst mitbestimmen, zum Redaktionsschluss sind diese auch noch nicht bekannt, erfahrungsgemäß sind es jedoch Politiker:innen, die vorgeblich zwar über dem Konflikt stehen, jedoch immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Blick behalten (wie die EVG-Spitze selbst auch; schließlich verteidigt sie die DB nicht aus fortschrittlichen Gründen gegen deren drohende Zerschlagung, sondern für den Erhalt des Status quo).

Wir sollten von der Schlichtung nicht mehr erwarten als den Transdev-Abschluss. Wir sollten sie deshalb ablehnen und, weil sie ein undemokratisches Verfahren ist, das am Ende mit der Urabstimmung einen demokratischen Touch erhalten soll. Unsere Mittel für einen Abschluss, der unseren Forderungen entspricht, sind noch nicht ins Spiel gebracht worden: Ablehnung des Schlichtungsergebnis, Durchführung des Erzwingungsstreiks.

Und wenn das Ganze sich schon bis in den Herbst hinzieht, dann liegt der gemeinsame Kampf mit den Kolleg:innen der GDL auch auf der Hand. Immerhin stehen wir täglich zusammen gegen diesen Konzern um Sicherheit und Pünktlichkeit auf der Schiene ein, das heißt, wir können auch zusammen gegen seinen Tarif kämpfen. Wir sollten gegenseitig die Forderungen durch die der höchsten von der anderen Seite ersetzen. Von den Führungen der EVG und der GDL gibt es in unterschiedlichem Maß daran kein Interesse, die Zusammenarbeit wird aus der Basis kommen müssen.

Genauso gilt das für ein Eintreten für wirklich demokratische Tarifrunden: Tägliche Betriebsversammlungen, direkt gewählte und rechenschaftspflichtige Vertreter:innen in der Tarifkommission. Abstimmungen über Annahme und Streik nach einfacher Mehrheit. Kann sein, dass ein solches Verfahren noch Jahre auf sich warten lassen wird. Trotzdem: Der Grundstein für eine Diskussion dazu muss jetzt in der Tarifrunde gelegt werden.

Und noch etwas müssen wir selbst in die Hand nehmen: GDL- und EVG-Chef:innen sind denkbar schlecht darin, der Medienhetze etwas entgegenzusetzen, wenn es zu Streiks kommt. Es wird einfach darauf verwiesen, dass diese rechtens seien – das heißt im Umkehrschluss dann eben auch, ein gerichtliches Streikverbot kampflos zu akzeptieren.

Streik und Reisende

Wie können die Reisenden also mitgenommen werden? Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten. Erstens: Einbeziehung durch Erweiterung der Forderungen. Keine Fahrpreiserhöhung, kostenloser Nahverkehr und massive Angebotserweiterung, bezahlt durch die Profite von VW und Co. Zweitens: Aufklärung. Nicht die streikenden Kolleg:innen sind schuld an der Misere, sondern der Konzern und der Staat. Der Streik findet auch dafür statt, dass die Arbeitsbedingungen bei der Bahn besser werden. Verkehrswende braucht Eisenbahner:innen. Von diesen gehen in manchen Bereichen 70 – 80 Prozent in den nächsten zehn Jahren in Rente. Daher braucht es nicht nur einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs, sondern auch ein deutlich verbessertes Investitionsprogramm für Neueinstellungen!

Drittens: Gezielter Erzwingungsstreik. Es wäre durchaus möglich, gezielt und schwerpunktmäßig den Güterverkehr der Auto- und Schwerindustrie zu bestreiken und Personenverkehr zeitweilig auszunehmen, verbunden mit einem Streik im Bereich Vertrieb und Fahrkartenkontrolle. Das würde aber einen höheren Organisationsgrad brauchen und vor allem wäre dafür die Voraussetzung, dass wir als Beschäftigte den Streik selbst kontrollieren. Die Ironie wäre dann übrigens, dass der Reiseverkehr auf einmal pünktlicher wäre – in einem vollen, heruntergefahrenen Netz fällt es auf, wenn die Züge fehlen, die die bedeutendsten Industrien des Landes bedienen, also jene, die seit Jahrzehnten für einen chronische Benachteiligung der Schiene verantwortlich sind.




Interview zu Klimaaktivismus mit Cosmo, Aktivistin bei „End Fossil“ Göttingen und der „Letzten Generation“

Von Clay Ikarus, Juli 2023

Spätestens nach der letzten Razzia bei der „Letzten Generation“ und Beschlagnahmung der Spendenkonten sowie dem drohenden Organisationsverbot durch den §129 sollte uns bewusst sein, dass der Angriff gegen Klimaaktivismus in die nächste Runde geht. Gleichzeitig werden auch Besetzungen durch „End Fossil Occupy“ oder „Wuhlheide bleibt“ mit Gewalt aufgelöst und mit massiven Versammlungsverboten verbunden.

Doch wie entsteht eigentlich eine Besetzung und wie können wir gemeinsam gegen die Repressionen ankämpfen?

Hey Cosmo, Wer bist du und wie bist du zur Umweltaktivistin geworden ?

Ich studiere in Göttingen Politikwissenschaft, Soziologie und Ethnologie. Politisiert habe ich mich durch die Initiative „O-Platz ist überall“, einer Berliner Bewegung für eine menschenwürdige Geflüchtetenpolitik. Mit einem anfangs stets naiven Blick auf die Welt begann ich kurz darauf mit überparteilicher, politischer Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb von Schulen, ich organisierte Podiumsdiskussionen, Demos und Kampagnen in ganz Europa und nahm auch an klassischen Hinterzimmergesprächen mit Minister*innen und anderen Entscheidungsträger*innen teil. Bald merkte ich, dass ich in der liberal geprägten Europabubble mit meinen antikapitalistischen Forderungen nur wenig Gehör fand und schloss mich zunächst einer linken, proeuropäischen Bewegung an, bevor ich mich entschied, in die Kommunalpolitik zu wechseln.

Überrascht hat mich im Stadtrat besonders die starke Einflussnahme von Lobbygruppen und das Ausmaß fehlender Handlungsbereitschaft der Politik bei gleichzeitiger kontinuierlicher Erhöhung der Fraktionsmittel und Sitzungsgelder. Auch den Rechtsruck im Stadtrat hielt ich auf Dauer nicht aus und wechselte auf die Seite der Klimagerechtigkeitsaktivist*innen. Mit „End Fossil“ habe ich seit vergangenem Herbst mehrere Schulen und Universitäten im In- und Ausland besetzt. Wir sind eine junge, antikapitalistische Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich für soziale Gerechtigkeit, klimagerechte Lehre und mehr Demokratisierung in Bildungseinrichtungen und gesamtgesellschaftlich einsetzt.

Gerade von der Besetzung in Göttingen haben wir viel Positives gehört. Wie habt ihr es geschafft, vor Ort viele Menschen dafür zu mobilisieren und was kann man aus der Besetzung lernen?

In Göttingen haben wir mit der europaweit ersten Besetzung von „End Fossil“ den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Von uns hatte niemand besondere Vorerfahrungen in zivilem Ungehorsam und der Kern der Gruppe bestand neben mir nur aus zwei weiteren Menschen. Nicht selten hatten wir starke Zweifel, ob wir das überhaupt stemmen können. Geholfen haben uns dankenswerterweise auch viele Schüler*innen, die in Göttingen eigene Besetzungen planten und zahlenmäßig stärker aufgestellt sind. 

Schließlich wurden wir auch Dank der guten Verhandlungen durch den AStA an der Uni geduldet und zum ersten Plenum waren wir schon über 100 Leute. Wir hatten einen Nerv getroffen und konnten den größten Hörsaal drei volle Tage mit einem bunten, antikapitalistischen und dekolonialem Programm bespielen und vielen verschiedenen Perspektiven auf Klimagerechtigkeit den Raum öffnen. Gemeinsam haben wir Forderungen an die Universität formuliert und bekamen dafür auch die Unterstützung der Senatsmitglieder. 

Das Präsidium der Universität verweigert jedoch bis heute jede Anstrengung im Hinblick auf  Klimagerechtigkeit am Campus. Deshalb gab es im vergangenen Monat eine erneute Besetzung. Wichtig für den Erfolg einer Hörsaalbesetzung ist in der Vorbereitung vor allem eine breite Bündnisarbeit und Kommunikation nach außen, aber auch eine intensive Auseinandersetzung mit möglichen Repressionen.

Du bist ja selbst auch durch Repression des Staates betroffen, magst du nochmal erläutern, was dir vorgeworfen wird ? 

Ja, seitdem ich mich als aktiven Teil der Klimabewegung verstehe, bin ich mit deutlich heftigeren Repressionen konfrontiert als je zuvor. Kürzlich musste ich in den Gerichtssaal, weil mir Nötigung vorgeworfen wurde. Das Urteil in Höhe von 20 Tagessätzen ist aber noch nicht rechtskräftig. Ich habe mich im vergangene Sommer friedlich mit etwa 65 weiteren Personen an einer Sitzblockade der „Letzten Generation“ in Berlin beteiligt, um gegen neue Ölbohrungen in der Nordsee öffentlichkeitswirksam zu protestieren. Auch die Bezirksbürgermeisterin solidarisierte sich damals vor Ort mit uns. Die Gerichte argumentieren dann meistens mit der Länge und Dauer des Rückstaus. Es ist nicht meine erste Sitzblockade und die Polizei hätte mich jederzeit ohne weiteres auch wegtragen können.

Die Mitglieder der Bundesregierung wurden trotz des bewussten Missachtens weltweiter Abkommen noch nie für ihr Handeln gerichtlich verurteilt. Auch große Konzerne werden nicht ansatzweise so stark bestraft wie Menschen, die sich für unsere Lebensgrundlagen einsetzen. Stattdessen werden neokoloniale Großprojekte, Landraub und die Täuschung der Öffentlichkeit mit riesigen Profiten belohnt und treiben unsere Lebenshaltungskosten in die Höhe.  Gegen das Urteil am Amtsgericht habe ich nun Rechtsmittel eingelegt. Es ist ein politischer Prozess. Das zeigen nicht zuletzt die unterschiedlichen Strafmaße in den verschiedenen Bundesländern, die von einfachen Ordnungswidrigkeiten bis hin zu Hausdurchsuchungen und monatelanger Haft reichen.

Was denkst du braucht es, damit die Forderungen der Umweltbewegung auch umgesetzt werden und wie sollten wir gegen die Repression vorgehen?

Ein unendliches Wachstum und ein Festhalten am kapitalistischen Mantra ist eine direkte Gefahr für unsere Demokratie und den Zusammenhalt und das Überleben von Gesellschaften weltweit. Als Klimagerechtigkeitsbewegung fordern wir, dass Grundbedürfnisse wie Wohnen, Energieversorgung, Nahrung, Gesundheitsversorgung usw. unter demokratische Kontrolle und nicht in die Hände profitorientierter Unternehmen gehören. Die Antwort auf das derzeitige Machtungleichgewicht befindet sich im Grundgesetz Artikel 15 und heißt Vergesellschaftung.

Mit unseren vielfältigen Aktionsformen, immer breiteren Bündnissen und globaler Solidarität lassen sich die Repressionen von Staaten und multinationalen Großkonzernen am besten bekämpfen. Wir kämpfen um unser aller Überleben. Deshalb sollten wir aufhören bei der Politik betteln zu gehen und uns stattdessen stärker mit Arbeitskämpfen und anderen sozialen Bewegungen solidarisch zusammentun. Durch großen gesellschaftlichen und ökonomischen Druck können wir letztendlich auch die Politik bewegen.

Was hältst du von der „Letzten Generation“ und den derzeitigen Angriffen durch den Staat auf die Organisation?

Die „Letzte Generation“ hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren zu einem wichtigen Akteur der Klimagerechtigkeitsbewegung entwickelt. Sie hat auch gezeigt, dass egal wie vielfältig Aktionsformen sein können, sie nur Aufmerksamkeit erreichen, wenn die Öffentlichkeit ganz unmittelbar adressiert ist. Auch die „Letzte Generation“ hat schon Unis besetzt, Pipelines abgedreht, Sportevents gestört, das Regierungsviertel lahmgelegt, eigene Kunstaktionen gemacht und Zufahrtsstraßen fossiler Konzerne blockiert. Große öffentliche Aufmerksamkeit gibt es jedoch nur für Straßenblockaden an Autobahnen oder in den Innenstädten, Blockaden von Passagierflughäfen oder Aktionen in Museen. Die „Letzte Generation“ ist mit ihrer Strategie sehr erfolgreich, doch eine Teilnahme an Aktionen muss auch aus finanziellen Gründen und im Hinblick auf Folgen für den Schul- oder Berufsalltag gut abgewogen werden muss. Nur wenige in der Gesellschaft können sich das leisten und ein nur kleiner Bruchteil derer, die die hohen Repressionen in Kauf nehmen für ihren Protest mit der „Letzten Generation“, werden in demokratische Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Straßenblockaden und Gefängnisaufenthalten als letzte Möglichkeit der Selbstwirksamkeit anzupreisen und damit alle anderen Arten des Einsatzes für Klimagerechtigkeit abzuwerten, finde ich falsch. Mir ist wichtig, dass alle verstehen: Es gibt nicht nur die eine Aktionsform, die Handlungsfähigkeit verspricht. Für einen kollektiven Machtaufbau gegen Staat und Kapital sind wir alle gefragt – im Betrieb, in der Schule und auch an der Universität!

Wenn ihr wissen wollt, was unsere Antwort auf die Umweltkrise ist schaut in diese Artikel:
Wer ist eigentlich Schuld an der Umweltkrise?
https://onesolutionrevolution.de/umweltzerstoerung-klimawandel-wer-ist-schuld-daran/
Hier unsere Perspektive auf Landwirtschaft und Ernährung
https://onesolutionrevolution.de/resolution-zur-landwirtschaft-und-ernaehrungsfrage/

Zur internationalen Frage
https://onesolutionrevolution.de/warum-muss-die-umweltbewegung-international-sein/




Wie Pflegeazubis das Recht auf Streik genommen wird

Von Paul Fuchs, Juni 2023

Die Ausbildung in der Pflege umfasst 3 Jahre. 3 Jahre, in denen man den Beruf lernen sollte, in schulischen Phasen die Theorie und in praktischen die Praxis. Während bei anderen Ausbildungen häufig davon geredet wird, dass Azubis zum Lernen im Betrieb sind, spricht im Gesundheitssektor so gut wie niemand mehr von sowas. Pflegeazubis sind Arbeitskräfte und werden dementsprechend in die Arbeit eingeplant. Der Schichtplan wird so gestaltet, dass Azubis nicht zusätzlich auf Station sind, sondern z.B. eine Pflegeassistenz ersetzen. Dass dennoch gerade mal der halbe Mindestlohn gezahlt wird, ist ein Problem, welches alle Auszubildenden kennen. In diesem Artikel geht es deshalb speziell um unser Streikrecht. Das Streikrecht, so kümmerlich es in der BRD durch Jahre des schwachen Klassenkampfes und der Sozialpartner_Innenschaft geworden sein mag, ist ein Recht, was es um jeden Millimeter zu verteidigen gilt.

Arbeitgeber_Innen und sogar manchmal Dozent_Innen machen hier Druck und sprechen Azubis teilweise das Streikrecht völlig ab. Gerade die Charité übt sehr bewusst Druck auf ihre Auszubildenen aus. Bereits bei einer geringen Anzahl von (entschuldigten) Fehltagen gibt es, wenn Streiktage bevorstehen, Gespräche darüber, dass sich kein weiterer Fehltag mehr erlaubt werden könne. Das Streikrecht ist eigentlich für alle Menschen durch das Grundgesetz gedeckt, doch wird zur Profitsicherung immer wieder untergraben.

Was ist die aktuelle Situation?

Um zum Examen, also Abschlussprüfung, zugelassen zu werden, darf man nur eine gewisse Anzahl an Fehltagen haben. In diese zählen Streiktage mit rein. Wer streikt, muss sich also zwei oder dreimal überlegen, ob man es sich dann leisten kann, bei Krankheit zu Hause zu bleiben. Und das in einem so körperlich und emotional anstrengenden Beruf wie der Pflege. Streiktage werden zwar gesondert notiert, zählen jedoch als Fehltage. Sollten die Noten einen Antritt zum Examen erlauben, die Fehltage aber eigentlich nicht, ist es möglich, gegen Ende der Ausbildung einen sogenannten Härtefallantrag zu stellen. Der Antrag kostet 60 €, ob dieser angenommen oder abgelehnt wird, bleibt aber offen. Wenn man also an Streiks teilnimmt, gibt es keine Gewissheit, die Ausbildung auch abschließen zu können. In einem Beruf, der die Arbeiter_Innen mit miserablen Arbeitsbedingungen so kaputt macht, dass er sich praktisch selbst abschafft.

Wie begründet der Staat das?

Verantwortlich ist offiziel hier aktuell die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Im Zuge der TVöD Runde gab es Diskussionen zwischen der damaligen Senatorin Ulrike Gote (Grüne) Diese hatte mit ihrem Team vor einigen Monaten ein Schreiben aufgesetzt, in welchem den Azubis selbstverständlich ein Streikrecht zugesprochen wurde. Ein Recht bringt aber ziemlich wenig, wenn du in einem prekären Arbeitsfeld psychologisch unter Druck gesetzt wirst, es nicht wahrzunehmen. Die gleichen Menschen, die durch Streiks Profite einbüßen, entscheiden, ob du am Ende einen Job kriegst oder nicht. Aufgrund mehrerer offener Fragen wurde von der Ver.di (Gewerkschaft der Dienstleistungen) eine Zoomkonferenz organisiert, auf der es bei einem der letzten Arbeitsstreik eine kleine Diskussion gab. Es wurde sich hinter Bürokratie und konfusen, juristischen Winkelzügen versteckt. Auszubildene wurden ignoriert und es wurde mantra-artig herunter gerattert, was auch schon im Schreiben zu lesen war. So auch der Vorwurf, dass durch Wahrnehmung des Streikrechts eine Patient_Innengefährdung vorliege. Die Realität ist, dass selbst bei Normalbetrieb jeden Tag in unserem Gesundheitssystem eine Gefährdung für Patient_Innen und Arbeiter_Innen vorliegt, durch Unterbesetzung und Stress. Auf wichtigen Stationen gibt es bei einem Streik eine Notfallbesetzung, sodass die Patient_Innen zumindest grundlegend versorgt werden können. Soweit die Idee, in der Realität unterscheidet sich aber auf vielen Stationen die Notfallbesetzung gar nicht von der Normalbesetzung oder liegt sogar über darüber.

Neben dem Fantasieren über ein „festes Kontingent an Streiktagen für Auszubildene“ wird immer wieder auf den Härtefallantrag als Ausweg gepocht. Darauf, dass dieser jedoch keine Sicherheit darstellt und genauso gut abgelehnt werden kann, war die Antwort: „Wir werden diese wohlwollend bearbeiten“. Toll, vielen Dank! Aussagen wie diese stellen innerhalb eines halb öffentlichen Zoommeetings keinerlei Verbindlichkeit, geschweige denn Sicherheit dar.
Frau Gote nimmt damit einfach hin, was für einem Druck und Stress Auszubildende in der Pflege ausgesetzt sind. Zahlreiche Beispiele für psychologischen Druck bei Personalgesprächen über Fehlzeiten wurden einfach ignoriert. In der Realität verzichten Auszubildene eher auf Streik oder gehen krank zur Arbeit, anstatt ihre ökonomische Grundlage aufzugeben. Laut Gote sei das Ganze ja gar kein Eingriff ins Streikrecht, weil die Streiktage würden zwar als Fehlzeiten gezählt und ergeben dadurch einen direkten Nachteil, aber, Zitat: „Das Problem sei nicht der Streik, sondern das Fehlen“.
Mittlerweile wird der Posten von Dr. Ina Czyborra (SPD) bekleidet, im Zuge des Koalitionsvertrages wurde viel versprochen, erfahrungsgemäß sollten wir uns keine Hoffnungen in einen Personellen Wechsel bei Vertreter*innen des Kapitals machen.

Und die Gewerkschaft?

Der Bürokratische Charakter der Gewerkschaften hat sich in diesem Tarifkampf wieder einmal zur schau gestellt. Die Führung versucht, statt die Interessen des Proletariats durchzusetzen wird versucht ein Kompromiss zu finden. Sozialpartnerschaft nennt sich der Spaß dann in dem wir immer als Verlierer raus gehen. Die Gewerkschaftsführung gibt sich im Wortlaut radikal, beweist, gerade zu anfang der Tariffrunden, sogar eine klare Klassenanalyse. Doch das gesagte wird schnell vergessen und es wird auf die Verhandlungen und die individuelle schwäche einzelner geschoben, dass es kein besseres Ergebnis bleibt. Linke Teile des Apparats lassen sich auch gerne hin reißen zu Aussagen wie „es wäre mehr drinn gewesen“, jedoch verbleiben sie stehts bei einer ökonomistischen Kritik. Die Frage um die Führung, bzw die demokratisierung der Gewerkschaften darf nicht gestellt werden.
Was diese Tarifrunde getötet war das sogenannte Schlichtungsabkommen, ein Deal zwischen der Verdi und den Arbeitgebern, der beiden Seiten während einer Tarifverhandlung jederzeit ermöglicht eine Schlichtung einzuberufen. Also eine erneute Verhandlung hinter verschlossenen Türen, es herrscht absolutes Informationsverbot. Vermeidlich neutrale Schlichter*innen werden von jeder Seite gewählt und es herrscht Friedenspflicht, ergo es darf nicht gestreikt werden. Dieses Schlichtungsverfahren ist nicht nur absolut lächerlich, es hat auch ein gigantisches Demobilisierungspotenzial. Darüber hinaus gibt es keine einzige realistische Situation in der es in unserem Interesse wäre so eine Schlichtung einzuberufen, Anträge auf Kündigung gibt es seit Jahren, werden vom Apparat aber stehts abgewehrt. Die Gewerkschaftsbürokratie hat erfolgreich den Erzwingungsstreik abwenden können, aber warum ist das in ihrem Interesse?
Ähnlich wie die politische Bürokratie fungiert sie als kapitalistcher Agent in den Reihen des Proletariats. Sie stehen jedoch zwischen den Stühlen, ebendso wie ihnen das Kapital gefährlich werden kann, kann ihnen auch die Basis gefährlich werden da eine demokratische und kämpferische Gewerkschaft ihre Abschaffung bedeutet. Der Erzwinungsstreik stellt einen wichtigen Moment der kollektiven Selbstermächtigung dar, das Proletariat sieht welche Macht es hat und durch die viele Zeit die mit Kolleg*innen verbracht wird ohne den Druck der Lohnarbeit, können Diskussionen darüber instehen wozu man die Gewerkschaftsführung überhaupt braucht oder warum diese das 10 Fache unserer Gehälter bekommen.

Zum Schlichtungsergebnis, es ist schlecht, sehr schlecht. Sie reichen nicht aus um altes Personal zu halten, geschweige denn neues zu Gewinnen. Das fortführen des Kollaps der Pflege ist die Folge.

Wenn euch die Rolle der Gewerkschaftsführung weiter gehend interessiert empfehelen wir diesen Artikel der Gruppe ArbeiterInnenmacht: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/05/20/tvoed-bund-und-kommunen-buerokratie-redet-sich-auch-die-mitgliederbefragung-schoen/

Was braucht es stattdessen?

Organisation statt Entpolitisierung. Die Ausbildung beschreibt einen Übergang von der Jugend zum Proletariat. Dies ist eine hochpolitische Zeit, in der sich im Individuum viel verändert, aber auch der Grundstein für zukünftige Klassenkämpfe gelegt wird. Die permanente Unterdrückung der Auszubildenden durch Berufsschule und Arbeitgeber_Innen, heißt es entschlossen zu bekämpfen. Die bürokratische Ver.di Jugend bietet hierbei gute erste Anlaufstellen, jedoch keine Lösung. Was es braucht, ist einen Verbund von Auszubildenen im engen Austausch mit den Arbeiter_Innen im Betrieb. Die künstliche Spaltung in „Kämpfe der Auszubildenen“ und „Kämpfe der Beschäftigten“ durch Ver.di und Arbeitgeber_Innen muss mit gemeinsamen Streiks und gemeinsamen Kämpfen beantwortet werden. Nicht nur betreffen uns nach spätestens drei Jahren die Realitäten der Beschäftigten, auch sind diese auf gute zukünftige Kolleg_Innen angewiesen. Letzteres kann es im momentanen Gesundheitssystem nicht geben, da der Kapitalismus auf Profite angewiesen ist und diese immer auf Kosten der Arbeiter_Innen gesichert werden. Es braucht also vor allem eine antikapitalistische Perspektive für die Arbeitskämpfe in der Pflege.

Trotzdem sollte man bestehende Strukturen wie die Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in Betriebsräten nutzen, sie sind jedoch kein Ersatz für basisdemokratische Verbunde von Auszubildenen. Die Berufsschulen haben nicht zu entscheiden, ob und welche Flyer in den Berufsschulen verteilt werden, das Recht auf freie Propaganda gilt es auch zu erkämpfen! Es sind unsere Kämpfe und wir haben zu entscheiden, welche Schwerpunkte wir legen. Dabei gilt es auch zu erkämpfen dass die Auszubildenden, zum Beispiel im Zuge des Kurssprecher*innentreffen die Möglichkeit haben miteinander zu diskustieren ohne das Lehrer*innen und Schulleitung mit am Tisch sitzen wie derzeit. Diskussionen die auch nur leicht über den Berufsschulalltag hinaus gehen werden strickt unterbunden, politischer Diskurs verunmöglicht. Ein wichtiger Moment des Austausches verkommt zu einem technisches Punkte abhacken, ohne Diskurs.
Gegen die Entpolitisierung durch die Ver.di. Arbeitskampf ist Klassenkampf und sollte als dieser benannt werden. Malle-Hits und zwei Demosprüche, die keinerlei Forderung aufwerfen, sind nicht genug. Es muss die Möglichkeit für Auszubildene bestehen, ihre Perspektive darzulegen.

Dafür benötigt es Komitees von Auszubildenen, die weder durch Ver.di, Berufsschule noch Arbeitgeber bevormundet werden!

  • Enteignung der Pflege und Verstaatlichung unter Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Arbeitszeitverkürzung bei voller Lohnfortzahlung!
  • Uneingeschränktes Streikrecht für alle Azubis und Beschäftigte!
  • Raum für politische Diskussionen unter Azubis ohne bevormundung durch die Schulleitung!
  • Basisdemokratische Gewerkschaften statt bürokratischem Verrat!
  • Für gläserne Verhandlungen, jede Verhandlung mit dem Arbeitgeber muss via Internet livegestreamt werden! Keine Hinterzimmerverhandlungen