TRANS DAY OF REMEMBRANCE

November 2023

Der Transgender Day of Remembrance (TDoR), deutsch „Tag der Erinnerung an die Opfer von Trans*feindlichkeit“, ist ein jährlich am 20. November stattfindender Gedenktag, an dem transgender Opfer transphober Gewalttaten gedacht und auf diese Problematik aufmerksam gemacht wird.

2022 wurden 327 trans Menschen ermordet. 65% davon BIPOC – 48% Sex Arbeiter*innen – 95% trans-feminin – 36% in Europa ermordeten waren migrantisch – 25% wurden Zuhause ermordet.

LILI ELBE

TW! Suizid Gedanken, Homophobie

Lili Elbe (1882-1931) war eine dänische Malerin der Landschafts- und Architekturmalerei. Sie studierte an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen, wo sie Gerda Gottlieb kennenlernte. Die beiden verliebten sich und heirateten kurz darauf. 1912 zogen sie gemeinsam nach Paris, um ihre queeren Identitäten offener ausleben zu können. Dabei stand Lili Elbe auch Modell für die „Femme Fatale“ Portraits ihrer Ehefrau. Im Jahr 1930 plante Lili Elbe, sich das Leben zu nehmen, weil sie es nicht mehr ertrug, mit ihrer Geschlechtsdysphorie zu leben. Doch als sie von dem bekannten deutschen Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld erfuhr, entschied sie sich dagegen. Sie begab sich nach Berlin in das Institut für Sexualwissenschaften und wurde eine der ersten Personen, die die Möglichkeit zu geschlechtsangleichenden Operationen bekamen. Da die Operationen damals noch selten und experimentell waren, wurde sie international in den Medien bekannt. Dieser Aufmerksamkeit stand Lili Elbe kritisch gegenüber: „Ich kämpfe gegen die Voreingenommenheit des Spießbürgers, der in mir ein Phänomen, eine Abnormität sucht. Wie ich jetzt bin, so bin ich eine ganz gewöhnliche Frau.“Aufgrund der Transition wurde die Ehe zwischen Gerda Gottlieb und Lili Elbe vom dänischen König aufgelöst.

Diesen Zwang zur Scheidung gab es auch im deutschen Transsexuellengesetz noch bis ins Jahr 2009. Lili begann daraufhin eine Beziehung mit dem Kunsthändler Claude Dejeune, mit dem sie sich auch Kinder wünschte. In einem Zeitraum von 2 Jahren wurden 4 Operationen an Lili Elbe durchgeführt, zunächst in Berlin, später in der Dresdner Frauenklinik. Nach der vierten Operation, vermutlich einer Uterustransplantation, kam es zu einer Infektion, an der Lili Elbe verstarb. Ihre Autobiographie „Ein Mensch wechselt sein Geschlecht. Eine Lebensbeichte“ erschien 1931 in deutscher Übersetzung.

BRIANNA GHEY

TW! Mord, Hassverbrechen, Transphobie

Brianna Ghey wurde am 7. November 2006 geboren. Gemeinsam mit ihrer Mutter (Esther Ghey) Und ihrer Schwester, lebte sie in Culcheth, Warrington, einer Kleinstadt im Nordwesten Englands. Dort besuchte Brianna Ghey die Birchwood High School. Mit 14 Jahren outete sich Brianna Ghey als Trans. Ihre Mutter unterstützte sie sehr bei ihrer Transition. Nach ihrem Coming-Out wurde Brianna Ghey als @gingerpuppyx ziemlich aktiv auf TikTok, wo sie regelmäßig Videos postete. In der Schule musste Brianna Ghey leider sehr viel transphobes Mobbing erfahren. Nach angaben ihrer Freund*Innen lief es sogar darauf hinaus, dass sie öfter von mehreren Leuten verprügelt wurde.

Am 11. Februar 23, einem Samstag-Nachmittag, ging die 16 jährige Brianna Ghey alleine im Culcheth Linear Park (ein Park in ihrer Heimatstadt) spazieren. Diesen Park verließ sie nie wieder lebend. Um 15.13 Uhr wurde der Rettungsdienst gerufen. Vorbeigehende Passant*Innen hatten den leblosen Körper von Brianna Ghey mit einer Menge brutaler Stichwunden auf einem Weg im Park aufgefunden. Zwei 15-jährige Verdächtige, ein Junge und ein Mädchen, wurden einen Tag später von der Polizei verhaftet. Die Polizei erklärte diesen brutalen Mord zunächst nicht als Hassverbrechen. Nach Ihrem Tod wurde Brianna Ghey von der Presse und anderen öffentlichen Medien misgendert und gedeadnamed, (also Ihr alter Name genannt, den sie nicht mehr benutzt.) Das ist extrem respektlos und transfeindlich. Tausende Personen kommentierten nach Brianna Gheys Tod ihre TikToks und zeigten Solidarität. Ihr TikTok Account wurde allerdings inzwischen schon von TikTok gelöscht. Trotzdem gibt es immer noch einige Fan-Accounts, im Gedenken an Brianna Ghey. Auch wir wollen uns heute an Brianna erinnern!

RITA HESTER

TW! Mord, Hassverbrechen, Transphobie

Rita Hester war eine afro-amerikanische trans Frau aus Boston. Sie war als kontakfreudig, glamourös und Performerin in Kabaretts und Bars in Boston bekannt. Sie war außerdem als Prostituierte unter dem Namen Naomi tätig. Eine Bekannte erzählt von Rita: „Wann immer sie bei Jacques [einer Bar in Downtown Boston] eintraf, wurde ihre Anwesenheit von allen bemerkt. Sie war so elegant und so schön sie doch war, so versuchte sie nicht, andere schlechter aussehen zu lassen.“ Am 28 November 1998 wurde Rita mit mindestens 20 Messerstichen ermordet, sie wurde nur 34 Jahre alt. Das Motiv des Angriffs ist bisher ungeklärt, Ritas Schwester meint aber das am Vorabend zwei Männer, welche Rita kannten ihr mit nach Hause gefolgt sind. Auffällig ist auch, dass keine von Ritas Wertsachen gestohlen wurden und wie brutal der Angriff war, es liegt also nahe das es sich um Hassverbrechen mit transphoben Hintergrund handelt. Als Reaktion auf Ritas Mord wurde am 4. Dezember eine Mahnwache veranstaltet, zu der 250 Menschen kamen. Trotzdem gab es wenig Reaktion von den amerikanischen Nachrichten und dem Staat. Im darauffolgenden Jahr gründete die trans Aktivistin Gwendolyn Ann Smith das Internetprojekt „Remembering Our Dead“ woraus der internationale Transgender Day of Remembrance entstand. Jedes Jahr am 20. November erinnern wir an Rita Hester und alle anderen ermordeten und verstorbenen trans Menschen.

MARTHA P. JOHNSON

TW! Polizeigewalt, Rassismus, sexualisierte Gewalt, Transphobie, Homophobie

Martha P. Johnson (1945-1992) war eine der bekanntesten Aktivist*innen im Gay Rights Movement der 1960er-70er, Drag Queen und Mitbegründerin der Street Transvestite Action Revolutionaries (STAR), einem Hilfsnetzwerk. Mit 18 zog Jonson aus Elizabeth, New Jersey nach New York, um dort ihre Identität als Drag Queen auszuleben (der Begriff transgender wurde erst nach ihrem Tod weithin bekannt). Selbst dort konnte sie als Genderrollen durchbrechende, Schwarze Person durch heftige Diskriminierung kaum Arbeit finden und sah sich gezwungen, neben den Shows als Drag Queen auch durch Prostitution Geld zu verdienen. Wie viele andere queere und gerade nicht Weiße Menschen wurde sie also an den Rand der Gesellschaft gedrängt, ausgebeutet und dann dafür auch noch durch die Polizei kriminalisiert, die sie unzählige Male verhaftete. Bei den Stonewall Riots (Auftständen) im Juni 1969 entlud sich die Wut der queren Community und ihrer Unterstützer*innen gegen die Polizei und den Staat der sie so unterdrückte. Johnson nahm in den folgenden Protesten eine führende Rolle ein und konnte so – mit vielen anderen – einen Kampf für queere Rechte in den USA und weltweit anfachen. Johnson erinnert uns, dass dieser Kampf weitergehen muss: “No pride for some of us without liberation for all of us.” (“Kein Pride für einige von uns ohne Befreiung für uns alle.”)

Amelio Robles Ávila

Amelio Robles Ávila war ein trans Mann der in der mexikanischen Revolution gekämpft hat. Er wurde im Jahr 1889 geboren und lebte seit er 24 Jahre alt war bis zu seinem Tod als Mann. Er starb mit 95 Jahren und wurde als Amelia Robles Ávila begraben, seine männliche Identität wurde jedoch von der Regierung akzeptiert. Er kämpfte in der mexikanischen Revolution auf der Seite der sozialistischen Zapatistas bis zum Aufstand der Konstitutionalisten in 1923, bei dem er half gegen diese zu kämpfen, welche aber letztenendes ihre demokratische (aber nicht sozialistische) Verfassung durchsetzten konnten. Er heiratete Ángela Torres nach seiner Zeit bei den Zapatistas und adoptierte später eine Tochter mit ihr. Er war dafür bekannt seine Identität als Mann sehr zu beschützen und bedrohte oft Menschen, die seine Identität auffliegen lassen wollten, mit seiner Pistole, jedoch akzeptierten die meisten Menschen in seinem Umfeld ihn von allein. Er selbst benutzte oft beide Versionen seines Namens und seiner Pronomen und wird heutzutage sowohl als männlicher Held und kämpferische Frau erinnert. Er wurde auch zu einem Vorbild für queere Menschen, seine Uniform ist nun eine Inspiration für Drag Shows in denen Soldaten verkörpert werden. Nach seinem Tod veröffentlichte einer seiner Verwandten einen Text:

„Sein Name war Amelio Robles, geweihter Oberst, vergesst seinen Namen nicht, bringt Blumen an sein verlassenes Grab.”

Erinnern heißt kämpfen!

  • Organisierte Selbstverteidigung von LGBTIAQ+-Menschen gegen jegliche queerfeindliche Übergriffe, auch gemeinsam mit anderen unterdrückten Gruppen und der Arbeiter_Innenbewegung!

  • Das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität – kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!

  • Reproduktionsarbeit muss vergesellschaftet werden und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung beendet werden!



Filmkritik: Oskars Kleid – Deutscher Film zu Transidentitäten von Kindern

Von Felix Ruga

TW: Transfeindlichkeit; ACHTUNG: Spoiler!

Der Film „Oskars Kleid“ aus deutscher Produktion hat so einiges an Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er behandelt in der gewohnt glatten deutschen Ästhetik ein für viele Deutsche sperriges Thema, nämlich Transidentitäten bei Kindern. Wie zu erwarten war, wird dem Film von konservativer Seite „Genderideologie“ vorgeworfen, aber weite Teile der Trans-Community hat auch klare Kritik an dem Film. So oder so lässt sich über den Film auf jeden Fall viel sagen, denn aus ihm spricht teilweise schon Ideologie oder zumindest eine Anpassung an ideologische Vorstellungen, aber sicherlich auf eine andere Art und Weise, als die Konservativen denken.

Worum geht‘s?

In diesem Film verfolgen wir den Münchner Polizisten Ben, der so ziemlich alle Eigenschaften eines typischen Bullen aufweist: herrisch, konservativ, unkontrolliert, letztendlich toxisch männlich. Dieser hat 2 Kinder aus seiner vorherigen Ehe, in der er wohl nicht der beste aller Väter war und nun erfährt, dass eins seiner Kinder ein trans Mädchen ist: Die 9-jährige Lilli. Ihr Vater will das nicht wahrhaben und deadnamed sie die meiste Zeit als „Oskar“. Daher auch der Name des Films.

Es entsteht nun ein Ringen um Lillis Identität zwischen ihrem Vater und praktisch der restlichen Welt, vor allem aber Lilli selbst und ihrer Mutter. Dabei wird er immer wieder laut und verzweifelt-aggressiv, schmeißt Lillis Kleider weg, will ihr männliche Verhaltensweisen lehren und konfrontiert seine Tochter mit seiner Weltsicht, die teils selbstbewusst, teils eingeschüchtert darauf reagiert. In diesem Ringen sieht Ben schlussendlich ein, dass er seine Ansichten ändern muss und nimmt nicht nur die Identität seiner Tochter an, sondern stellt auch seine Vorstellung von Männlichkeit insgesamt in Frage.

… aber leicht hat’s einen.

Der Film ist gemessen an dem Thema inhaltlich und stilmäßig sicherlich recht anschlussfähig für viele Menschen, die zwar eine konservative Einstellung haben, aber zumindest in irgendeiner Form offen sind. Es wäre ein Film, den ich meinen Eltern vorschlagen würde, die irgendwie etwas verängstigt von dem Thema Transidentitäten sind, aber schon verstehen, dass es etwas ist, mit dem man sich mal auseinandersetzen sollte. Und das kann man dem Film schon zugutehalten. Aber das wird teuer erkauft, indem sich der Film einiges viel zu leicht macht. Allem voran wäre da das Ding, dass es in dem Film paradoxerweise kaum um die Innenwelt und der Suche nach der Identität von trans Menschen geht. Es geht eigentlich um die Sicht eines konservativen cis Typen, der damit konfrontiert wird. Dadurch erhalten wir vielleicht Verständnis dafür, wie „schwer“ er es hat, aber eigentlich kein wirkliches Verständnis für die Situation von Lilli. Ihr innerer Prozess scheint gewissermaßen auch schon abgeschlossen zu sein und dass sie in der Zeit vor der Handlung eine innere Eindeutigkeit erlangt hat, wer sie ist.

Das ist schön und bestärkend, weil sie dadurch als starker und stolzer Charakter auftritt, ebenso wie die einzige andere trans Person, nämlich eine random ältere Dame, die gegen Ende Ben die Welt erklären soll. Aber diese starken Darstellungen verpuffen den meisten cis Personen bei Verlassen des Kinos, da man nicht verstehen konnte, welchen Weg man als trans Person dafür gehen musste. Sowieso ist der Film nicht radikal genug, um entscheidenden Vorurteilen den Zahn zu ziehen. Alleine die Wahl, dass man das Thema Transidentität anhand eines Kindes behandelt, geht dabei einigen Dingen aus dem Weg: Von TERFs oder anderen Transfeind_Innen werden trans Frauen oftmals als gefährliche und abstoßende Perverse dargestellt, die sich Frauen in ihren Schutzräumen aufdrängen. Das ist sicherlich etwas, was man einem 9-jährigen Kind kaum vorwerfen kann, aber dadurch auch nicht aufgelöst wird. Und die Frage von Veränderungen des Körpers und damit auch der äußeren Wahrnehmung im Zuge der Pubertät wird nur angesprochen, aber sicherlich nicht verhandelt. Dadurch kann es z.B. auch nur so problemlos laufen, dass Lilli in ihrer Schule nicht als trans Mädchen auffällt und damit Diskriminierungen entgeht. Das führt zum nächsten Punkt.

Wo bleibt die Gesellschaftskritik?

Denn wirkliche Diskriminierung erfährt Lilli kaum, außer von ihrem Vater. Sowieso macht der Film den Eindruck, als ob eigentlich die restliche Gesellschaft in Ordnung wäre: Die Schule nimmt sie als Mädchen auf und schützt sie; die Angestellte vom Jugendamt ist noch am selben Abend da und ist trotz Unterbezahlung sehr bemüht um das Kinderwohl; selbst die anderen Bullen auf der Wache scheinen sich auch noch den kleinsten Spruch zu verkneifen. Das Problem scheint nur bei einzelnen verbohrten Konservativen zu liegen, die es einfach nicht raffen wollen. Doch die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterdrückung darf in dieser ganzen Frage nicht ausgeblendet werden. In einigen Artikel haben wir schon auf die vielen Missstände hingewiesen, seien es Diskriminierung und Gängelung an Ämtern und im Gesundheitssystem, Misshandlung durch die Polizei oder unmittelbare Angriffe auf offener Straße. Doch der Film ist geradezu staatstragend, denn der Staat tritt als schützend, sorgend und gerecht auf, was ein Schlag ins Gesicht vieler trans Menschen bedeutet.

Die Verbindung zu anderen Unterdrückungsformen wird nicht hergestellt. Die einzige, von der Lilli betroffen ist, ist es, trans und als Kind ihrem Vater ausgeliefert zu sein. Ansonsten ist sie deutsch, lebt normalerweise in einer akzeptierenden Familie, wohnt in einer der reichsten Städte in einem der reichsten Länder und hat Eltern, die sich getrennt 2 Häuser mit Garten leisten können und sonst wohl keine wirtschaftlichen Sorgen zu haben brauchen. Das ist ein sehr eingeschränktes, vielleicht sogar unrealistisches Bild. Wobei der Film es ja eröffnet, aber dann doch vermasselt: Denn die Familie väterlicherseits ist jüdisch. Aber anstatt ernsthaft auf Antisemitismus hinzuweisen oder darauf, was eine überzeugt religiöse Familie in diesem Kontext bedeuten kann, spielt Religiosität dort nur eine oberflächliche Rolle und das Thema Antisemitismus taucht nur auf eine problematische Art auf: Der Opa vermutet nämlich in Momenten, in denen es nicht darum geht, unbeirrbar-schematisch und damit auf alberner Weise Antisemitismus gegen ihn und seine Familie. Damit wird der Antisemitismus in Deutschland kleingeredet.

Insgesamt ist „Oskars Kleid“ der Gesellschaft gegenüber zu wenig radikal und cis-normativen Vorstellungen gegenüber zu vorsichtig, um seinem eigentlichen Potential gerecht zu werden, welches im Film ohne Frage vorhanden und sichtbar ist. Als cis Person, die sich schon etwas mit Transidentität auseinandergesetzt hat, aber nicht unmittelbar davon betroffen ist, konnte ich den Film ohne Probleme wegkonsumieren, aber für viele trans Personen dürfte es eher wie etwas zwischen Enttäuschung und Hohn darstellen. Insgesamt hat sich der Film so angefühlt, als sei er für die typischen urbanen grünen bis sozialdemokratischen Wähler_Innen gedreht worden: Niedliche und saubere Ästhetik, seicht aufgeklärt, staatstragend und das einzig schlechte in der Welt sind die verbohrten Konservativen. Dadurch kann keine tiefe Einsicht in das Leben von trans Menschen und deren Unterdrückung stattfinden, was aber für einen weiteren gesellschaftlichen Fortschritt notwendig ist!




Die Lage von Trans- und Inter- Personen

Nina Awarie, REVOLUTION Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den vergangenen
Jahrzehnten wurden weltweit viele juristische und gesellschaftliche
Zugeständnisse seitens der Herrschenden gemacht oder seitens der
LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit 2017 beispielsweise
gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile Ehe zu schließen. Auch
in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder Südafrika können
gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen bürgerlichen Rechte wie
Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene formelle Akzeptanz
nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von Homosexualität im
Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in mehr als 70
Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnis-
oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung
die rechtliche und soziale Lage von Inter- und Trans-Menschen zu kurz.

Situation
von Transgendern …

Der Begriff Transgender
wurde vor allem von John F. Oliven von der Columbia University in seiner Arbeit
„Sexual Hygiene and Pathology“ aus dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter
gefasst als der der Transsexualität und gleichzeitig auch zutreffender, denn
bei Gender (sozialem/psychologischem Geschlecht) handelt es sich natürlich um die
Geschlechterrolle und nicht um das biologische
Geschlecht. Der Begriff Transgender schließt aber auch all diejenigen
mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich noch
eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 % der
Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies hat
vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch
teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die
erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in
Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender
einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen
Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles
Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu
nehmen.

Wenn man nun die
rechtliche Situation von Trans-Personen allein in Deutschland betrachtet, stößt
man zunächst auf einen riesigen, kaum zu durchblickenden Paragraphendschungel.
Das liegt einerseits an dem großen bürokratischen Aufwand im Falle einer
Geschlechtsangleichung, andererseits an den vielen juristischen Schwächen des
Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat 1980 in Kraft, wurde aber im Laufe
der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte auf Beschwerden von Betroffenen hin
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden.
Beispielsweise durften Personen unter 25 Jahren im ersten Entwurf des TSG weder
eine Vornamensänderung („kleine Lösung“) noch eine Personenstandsänderung
(„große Lösung“) durchführen. Auch ging das TSG ursprünglich davon aus, dass
alle Trans-Personen heterosexuell seien. Folglich konnte die „kleine Lösung“,
also die Vornamensänderung, vom Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden,
wenn die Person eine andere des gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb
von 300 Tagen nach der Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten
Forderungen des TSG an die betroffenen Personen war aber der erforderliche
Nachweis einer Sterilisation, um den Personenstand ändern lassen zu können.
Noch bis 2011 wurde das TSG auf diese Weise umgesetzt und bis heute kann der
Personenstand nicht rückwirkend, also auch auf der Geburtsurkunde, geändert
werden. Neben dem Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die
Krankenkassen ein Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme
verpflichtet. Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen,
variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für
eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach
mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben“, der sie sich „zugehörig“
fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit“ von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor
dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht
angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern.
Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man deren Erlaubnis
und ist somit ihrer Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den
eigenen Körper wird also in allen Fällen massiv beschnitten.

… und
Inter-Personen

Intersexuell sind
Menschen, die weder dem biologisch männlichen noch dem weiblichen Geschlecht
eindeutig zugeordnet werden können. Das kann genetische, anatomische und
hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise kommt jedes tausendste Kind
intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser
Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum heutigen Tag zwangsweise hormonell
behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert und für eine binäre
Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem Alter, in dem es
unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw. sich entwickeln
würde.

Diese brutale
Praxis geht auf die These des Psychologen John Money aus den 1950er Jahren
zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“ behauptete er, dass man Kinder zu
Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn man nur die körperlichen
Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der beiden Geschlechter
angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die Geschlechtsidentität von den
körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und viele der zwangsoperierten,
intersexuellen Menschen lebenslang unter Depressionen, körperlichen Schmerzen
und Traumata zu leiden haben, hält sich diese These in der Medizin teilweise
noch heute. So heißt es in einem laut Amnesty International erst 2013 neu
aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen: „Die operative Korrektur soll so
früh durchgeführt werden, dass die Mädchen sich später ihrer Intersexualität
nicht erinnern, also im Säuglingsalter, spätestens im zweiten bis dritten
Lebensjahr.“

In Deutschland gab
es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des Personenstandsgesetzes. Diese
beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen
Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine solche Angabe in das
Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale Teile des
Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von einer
„kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der
Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war
die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein
Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird
und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot
von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
gibt es bis heute nicht.

Was hat das
Ganze denn jetzt mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun?

Ob nun durch
konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung: Die
Gesellschaft reproduziert tagtäglich ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen
Familie sind die Rollen klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die
Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber
hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht
nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der
Familie die Erbschaftverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze
Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten
stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative
Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich
ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung
in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen
Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder
bekommen.

Auch wenn schon
einige Errungenschaften erkämpft worden sind und die gesellschaftliche
Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen
ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch
längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback
in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der
international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken
der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der
LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz der
bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft
verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man
muss diesen reaktionären Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den
Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus
verbinden.

Wir wollen
gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet
ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und
gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

  • Intersex vollständig legalisieren! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!
  • Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!
  • Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!



Abseits bürgerlicher Geschlechternormen: Die Lage von Trans- und Inter- Personen

Nina Awarie, REVOLUTION-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

In den vergangenen Jahrzehnten wurden weltweit viele juristische und gesellschaftliche Zugeständnisse seitens der Herrschenden gemacht oder seitens der LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit 2017 beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile Ehe zu schließen. Auch in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder Südafrika können gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen bürgerlichen Rechte wie Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene formelle Akzeptanz nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von Homosexualität im Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in mehr als 70 Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnis- oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung die rechtliche und soziale Lage von Inter- und Trans-Menschen zu kurz.

Situation von Transgendern …

Der Begriff Transgender wurde vor allem von John F. Oliven von der Columbia University in seiner Arbeit „Sexual Hygiene and Pathology“ aus dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter gefasst als der der Transsexualität und gleichzeitig auch zutreffender, denn bei Gender (sozialem / psychologischem Geschlecht) handelt es sich natürlich um Identität und nicht um Sexualität. Der Begriff Transgender schließt aber auch all diejenigen mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 % der Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies hat vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu nehmen.

Wenn man nun die rechtliche Situation von Trans-Personen allein in Deutschland betrachtet, stößt man zunächst auf einen riesigen, kaum zu durchblickenden Paragraphendschungel. Das liegt einerseits an dem großen bürokratischen Aufwand im Falle einer Geschlechtsangleichung, andererseits an den vielen juristischen Schwächen des Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat 1980 in Kraft, wurde aber im Laufe der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte auf Beschwerden von Betroffenen hin vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden. Beispielsweise durften Personen unter 25 Jahren im ersten Entwurf des TSG weder eine Vornamensänderung („kleine Lösung”) noch eine Personenstandsänderung („große Lösung”) durchführen. Auch ging das TSG ursprünglich davon aus, dass alle Trans-Personen heterosexuell seien. Folglich konnte die „kleine Lösung”, also die Vornamensänderung, vom Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden, wenn die Person eine andere des gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb von 300 Tagen nach der Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten Forderungen des TSG an die betroffenen Personen war aber der erforderliche Nachweis einer Sterilisation, um den Personenstand ändern lassen zu können. Noch bis 2011 wurde das TSG auf diese Weise umgesetzt und bis heute kann der Personenstand nicht rückwirkend, also auch auf der Geburtsurkunde, geändert werden. Neben dem Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ein Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme verpflichtet. Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen, variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben”, der sie sich „zugehörig” fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit” von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern. Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man die deren Erlaubnis und ist somit deren Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper wird also -in allen Fällen, massiv beschnitten.

… und Inter-Personen

Intersexuell sind Menschen, die weder dem biologisch männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können. Das kann genetische, anatomische und hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise kommt jedes tausendste Kind intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum heutigen Tag zwangsweise hormonell behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert und für eine binäre Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem Alter, in dem es unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw. sich entwickeln würde.

Diese brutale Praxis geht auf die These des Psychologen John Money aus den 1950er Jahren zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“ behauptete er, dass man Kinder zu Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn man nur die körperlichen Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der beiden Geschlechter angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die Geschlechtsidentität von den körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und viele der zwangsoperierten, intersexuellen Menschen lebenslang unter Depressionen, körperlichen Schmerzen und Traumata zu leiden haben, hält sich diese These in der Medizin teilweise noch heute. So heißt es in einem laut Amnesty International erst 2013 neu aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen: „Die operative Korrektur soll so früh durchgeführt werden, dass die Mädchen sich später ihrer Intersexualität nicht erinnern, also im Säuglingsalter, spätestens im zweiten bis dritten Lebensjahr.“

In Deutschland gab es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des Personenstandsgesetzes. Diese beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale Teile des Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von einer „kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern gibt es bis heute nicht.

Was hat das Ganze denn jetzt mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun?

Ob nun durch konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung: Die Gesellschaft reproduziert tagtäglich ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen Familie sind die Rollen klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie, die für den Kapitalismus besonders praktikabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen.

Auch wenn schon einige Errungenschaften erkämpft worden sind und die gesellschaftliche Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz der bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man muss diesen reaktionäre Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbinden.

Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

– Intersex ist eine Identität! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!

– Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!

– Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!

– Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!