#WirFahrenZusammen: Vom Bahnstreik zum Verkehrswendestreik

Von Lia Malinovski, August 2023

In wenigen Monaten beginnt die Tarifrunde im Öffentlichen Nahverkehr (TVN). Die Beschäftigten kämpfen dort für bessere Arbeitsbedingungen, unter Anderem höhere Löhne, längere Pausen- und Umschlagszeiten[1]. Beteiligte Gewerkschaften sind die ver.di und die EVG, führend dabei ist jedoch in den meisten Betrieben die ver.di. Alle Bundesländer dürfen im nächsten Jahr streiken, bis auf Bayern. In diesem Artikel wollen wir uns angucken, wie wir von dem kommenden Streik in einen politischen Streik für die Verkehrswende kommen.

Schon im März 2023 ist die Kampagne „#WirFahrenZusammen“ (WFZ) mit Beschäftigten im ÖPNV auf die globalen Fridays for Future (FFF)-Demonstrationen gegangen. Ver.di hatte den Streiktag im Öffentlichen Dienst auf den Tag von der globalen Demonstration gelegt, sodass die Beschäftigten ihren Kampf in den Kampf von FFF tragen konnten. Die Kampagne ist noch sehr neu und in der Findungsphase, weshalb es nicht einfach ist, verlässliche Infos zu bekommen. Die Informationen, auf denen ich den Artikel basiere, stammen aus Recherche in den Strukturen der Kampagne, aus einem Interview mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von Genoss_Innen, die selber in der Kampagne aktiv sind oder bei der Deutschen Bahn arbeiten. Es gibt bis auf den FFF-Streik im März bisher keine aktive Außenwirkung der Kampagne, wobei sie zur IAA in München mobilisieren wollen und dort einen Block in der Demo stellen wollen.

WFZ versucht einen Schulterschluss aus linken Teilen der Klimabewegung, die die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Arbeiter_Innenklasse erkannt haben, und ÖPNV-Beschäftigten herzustellen. So haben sie es bspw. In Köln geschafft, Forderungen bei den ÖPNV-Beschäftigten populär zu machen, indem sie ihre Forderungen mit Unterschriftensammlungen unterstützten und so das Vertrauen der Arbeiter_Innen gewinnen konnten. Teile der Gewerkschaftsapparate von ver.di und der EVG unterstützen die Kampagne, vermutlich allerdings in erster Linie, um politische Forderungen aus dem Tarifkampf auszugliedern. Denn sie wissen von der Notwendigkeit, politisch zu kämpfen, wollen aber auch nicht aufs Spiel setzen, gute Sozialpartner_Innen (für die Konzerne) zu sein. WFZ bietet für sie die Möglichkeit, zu zeigen „hey, wir haben doch auch politische Forderungen“, ohne für diese tatsächlich kämpfen zu müssen. WFZ selbst versucht diese Masche der Gewerkschaften aber nicht zu problematisieren oder gar zu ändern, da sie fürchten, das Bündnis zu verlieren. Verständlicherweise, denn es gibt kaum unabhängige Strukturen in den Belegschaften, die nicht von der Gewerkschaftsbürokratie (privilegierte Führung) abhängig sind. Damit aber der Schulterschluss aus Arbeiter_Innen und Klimabewegung möglich ist, ohne abhängig von der Bürokratie zu sein, braucht es genau diese Kräfte.

Von der Straße auf die Schiene!

„Wir Fahren zusammen“ kann also kaum die Bürokratie kritisieren. Dabei müssten sie genau dies tun, um oppositionelle Kräfte innerhalb der Belegschaften und Gewerkschaften zu stärken. Das führt dazu, dass sie sich der Bürokratie unterordnen und einen in erster Linie ökonomischen Kampf der Gewerkschaften unterstützen, die politische Perspektive dabei aber schrittweise aufgeben. Für die Verkehrswende ist es aber unerlässlich, ökonomische Kämpfe mit politischen zu verbinden: Wir stehen vor der Herausforderung, dass die Anforderungen an den Schienenverkehr stetig wachsen. Es braucht einen massiven Ausbau der Schieneninfrastruktur, um diese zum Kern der zukünftigen Verkehrsweise zu machen. Dafür reicht es aber nicht, einfach nur mehr Lohn zu fordern. Es braucht neben längeren Umschlagszeiten auch mehr Personal, mehr Geld und geringere Anforderungen für die Bahn. Auch die zunehmende Privatisierung und drohende Zerschlagung der Bahn erfordern politische Antworten.

Wir möchten, bevor wir thematisieren, wie wir zum politischen Streik kommen, darauf eingehen was eigentlich im ÖPNV notwendig ist für die Verkehrswende. Denn nur mit einer Vorstellung davon, was Ausbau bedeutet und wie der Verkehr aussehen muss, können wir für diesen Kämpfen. Die aktuelle Situation ist, dass große Streckenabschnitte in ganz Deutschland, insbesondere aber in Ostdeutschland, stillgelegt und zugunsten des Autos abgebaut wurden. Während man mit dem Auto problemlos von A nach B kommt (wenn man nicht gerade in einer Großstadt lebt), braucht die Bahn häufig doppelt so lang oder länger, man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie pünktlich kommt oder dass sie überhaupt fährt. Jeder dritte Zug war im letzten Jahr zu spät – von denen die überhaupt gefahren sind. Das liegt nicht nur daran, dass viele Strecken zurückgebaut wurden, sondern auch daran, dass die verbliebenen Strecken völlig überlastet sind (Beispielsweise Hamburg-Hannover mit 126% Auslastung). Neben dem kulturellen Aspekt, dass ein neues, hübsches Auto als Statussymbol gilt, macht auch das den Autoverkehr attraktiver und es ist also nicht verwunderlich, dass die Neuzulassungen von PKWs in manchen Jahren kaum relevant zurückgehen und in anderen sogar zunehmen (2022 wurde ein Anstieg von 1,1% verzeichnet).

Dabei ist das Rad-Schiene-System mit Abstand das effizienteste, da wenig Reibung entsteht und es meistens von Außen mit Strom betrieben wird. Nicht nur kann ein Zug auf ausgebauten Strecken deutlich schneller fahren, er fährt auch viele Hundert bis Tausend Menschen mehr von A nach B als ein Auto. Aber was heißt Ausbau genau und wie kommen wir dahin? Es müssen selbst die kleinsten Ortschaften an das öffentliche Schienensystem angeschlossen werden. Das bedeutet, dort wo es einen Nutzen für schon wenige tausend Menschen hat, müssen Schienen gebaut werden (wenn es möglich ist). Tramkonzepte, kleine Bahnen und Schnellfahrstrecken müssen den Kern des neuen Verkehrs bilden. Dort wo es nicht möglich ist oder schlicht mehr Ressourcen binden würde, Schienen zu bauen, sollten Car-Sharing-Konzepte oder Oberleitung-betriebene Busse die Anbindung an den nächstgelegenen Bahnhof ermöglichen. Gleiches gilt auch für den Gütertransport: Bis auf die letzten Kilometer sollte alles über die Schiene fahren, die letzten Kilometer möglichst ebenfalls über Oberleitung. Grundlegend ist außerdem, dass das Schienennetz 100% strombetrieben läuft.

Vom Bahnstreik zum Verkehrswendestreik…

Obwohl das nur einen kleinen Ausschnitt darstellt, sehen wir schon hier die Grenzen von rein ökonomischen Streiks und Forderungen. Der Ausbau auf 100% strombetriebene Gleise lässt sich nicht mit mehr Lohn und längeren Umschlagzeiten ermöglichen. Letztendlich muss der Verkehrssektor enteignet und unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden, um nicht mehr für Profit, sondern den Schutz von Mensch & Umwelt zu produzieren. Wie kommen wir jetzt also zum politischen Verkehrswendestreik?

Die Kampagne „Wir Fahren Zusammen“ geht einen wichtigen ersten Schritt: Die Verbindung zwischen Klimabewegung und Arbeiter_Innenklasse ist essentiell, um zum Einen höhere Schlagkraft zu haben, andererseits auch, um nicht Klimaschutz und direkte Nöte der Arbeitenden gegeneinander ausspielen zu können. Dabei darf die Kampagne aber nicht vor Kritik an der Bürokratie zurückschrecken, die sich mit aller Kraft gegen politische Streiks wehren wird. WFZ sollte oppositionelle und klassenkämpferische Kräfte in den Gewerkschaften unterstützen in ihrem Kampf für Basisorganisierung, Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Posten in den Gewerkschaften. Als Revolutionäre müssen wir in WFZ also aufzeigen, wieso es notwendig ist, sich nicht unter die Gewerkschaftsbürokratie unterzuordnen. Wir müssen den Widerspruch, den die Bürokratie selbst geschaffen hat, weiter vertiefen und alles daran setzen, dass die Beschäftigten und die Basis der Gewerkschaften ihre ökonomischen Forderungen mit politischen ergänzt. Hier müssen auch Kampagnen wie WFZ auf die Beschäftigten zugehen und mit ihnen gemeinsame Forderungen entwickeln. Wer die Notwendigkeit der Forderungen erkennt, wird nicht aufhören dafür zu kämpfen, wenn ein undemokratischer Apparat Nein sagt.


[1] Umschlagszeit ist die Zeit, in der eine Bahn, die am Zielbahnhof angekommen ist, stehen bleibt, bevor sie in die andere Richtung zurück fährt




Streiks im ÖPNV: Für eine sozialistische Verkehrswende!

Von Yorick F., aus der REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

FFF und ver.di gemeinsam im Streik

Am 3. März fand der Tag des Globalen Klimastreiks von Fridays For Future statt, der in diesem Jahr aktiv mit den Arbeitskämpfen im öffentlichen Personennahverkehr verbunden wurde.

Am selben Tag hatte die Gewerkschaft ver.di bundesweit in mehr als 250 Orten zum Streik aufgerufen. Nicht nur stand der Verkehr an diesem Tag größtenteils still, auch die Beschäftigten solidarisierten sich durch eine Teilnahme an den Demonstrationen mit den Klimaaktivist_Innen, welche im Gegenzug Streikposten besuchten. Gemeinsam unterstützten sie mit ihnen ihre Forderungen nach einem Festgeld von 500€ und einer Lohnerhöhung von 10,5% als Ausgleich für die weiterhin wütende Inflation, sowie einen massiven Ausbau des ÖPNVs. Auch mit Beschäftigten aus der Automobilindustrie wurde gestreikt, so in Zwickau wo gemeinsam mit den Beschäftigten des Automobilzulieferers GKN für ihre Tarifforderungen gestritten wurde. Das Echo auf diesen erneut aufkommenden Schulterschluss zwischen Klimabewegung und Gewerkschaften blieb nicht aus: So bezeichnete der Vorsitzende der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Steffen Kampeter diesen als „gefährliche Grenzüberschreitung“. Wir sagen: Wenn sich prominente Vertreter_Innen des Kapitals besorgt zeigen, ist das ein gutes Zeichen! Auch dass sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Tag des Klimastreiks für einen weiteren Ausbau der Autobahn ausgesprochen hat, zeigt, dass diese Entwicklungen mehr als notwendig sind. Die Klimabewegung muss jetzt weiterhin in der notwendigen Frage der Verkehrswende zeigen, dass die ökonomische Not der Beschäftigten ihr nicht egal ist und dass die Interessen der Arbeiter_Innen auch ihre sind.

Die Rolle des Verkehrs für den Klimaschutz

Die Frage der Mobilität ist für den Kampf gegen die Zerstörung unseres Planeten eine sehr zentrale. So hat allein der individuelle Personenverkehr im Jahr 2019 fast 18% der durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe entstandener Treibhausgase verursacht. Die Frage ist zusätzlich brisant, da die Autoindustrie weltweit einer der größten Wirtschaftssektoren, in Deutschland, gemessen am Umsatz, sogar der bedeutendste ist. So gilt das Auto spätestens seit dem sog. „Wirtschaftswunder“ unter Ludwig Erhard als Symbol der deutschen Industrie und des gesellschaftlichen Fortschritt. Dass dies mit Nichten der Fall ist beweisen nicht nur die CO2-Bilanzen, sondern vor allem auch die enorme Ineffizienz des Autos. Private PKWs stehen die meiste Zeit nur herum und haben pro Insass_In einen desaströsen Kraftstoffverbrauch (etwa in Vergleich zu einem Zug/Bus etc.). Dennoch sind viele, besonders in ländlichen Regionen, unmittelbar auf das Auto angewiesen, wenn in entlegenen Regionen der Bus nur alle 2 Stunden kommt und man dann fast 5 Euro für eine Fahrt zahlt. Da ist es kein Wunder, dass in Deutschland über 48 Millionen private PKWs fahren (stand Januar 2022).

Die Verkehrswende muss antikapitalistisch sein!

Dass dieser Zustand ein Problem ist, zeigt sich auch daran, dass selbst Parteien, die mit Klimaschutz nicht einmal offiziell etwas am Hut haben, wie die CDU, das Thema Verkehrswende floskelhaft ansprechen. Dabei muss uns als RevolutionärInnen klar sein, dass diese und auch die Versprechen der Grünen nichts weiter als leere Worte sind. Spätestens seit Lützerath ist klar, dass die Interessen großer Konzerne von ihnen über den Erhalt unserer Lebensgrundlage gestellt werden. Die Verkehrswende ist für uns vor allem eine gesellschaftliche Frage: Die aktuelle Ordnung des Verkehrs ist Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse, welchen er zu dienen hat. Zwar erkennen die Herrschenden zumindest floskelhaft die Notwendigkeit einer Transformierung des Verkehrs an, werden aber nie in der Lage zu sein, diese ausreichend umzusetzen, da sich ihre Vorstellung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit immer unter die eigenen wirtschaftlichen Interessen unterordnen muss. Deshalb muss die Mobilitätsfrage ein integraler Bestandteil unseres antikapitalistischen Kampfes sein. Die Verbindung der Klimabewegung und der Gewerkschaften ist dafür ein unbedingt notwendiger Schritt, der u.a. gemeinsam mit den Beschäftigten der Automobilindustrie, wie des ÖPNVs gegangen werden muss.

Durch die Streikbereitschaft im Öffentlichen Dienst können auch andere Beschäftigte besonders in Industrien mit traditionell recht hohen Organisierungsraten, wie etwa der Automobilindustrie, weiter für den Kampf um die Verkehrswende und damit für den Sozialismus und gegen den Klimawandel gewonnen werden. Hierfür müssen wir als RevolutionärInnen in der Klimabewegung Kämpfe weiter zusammenführen und für fortschrittliche sozialistische Positionen innerhalb der Gewerkschaften sowie der Klimabewegung einstehen, denn ihre Führung ist nicht willens, diesen Weg in seinem vollen notwendigen Ausmaß mit zu gehen. Dies müssen wir mit dem Ziel tun, gemeinsam mit Aktivist_Innen der Klimabewegung und den Beschäftigten in den Gewerkschaften des Verkehrs, sowie der Automobilindustrie, ein revolutionäres Programm aufzustellen, um gemeinsam für dieses zu kämpfen.

  • Enteignung der Verkehrsbetriebe und nachhaltige Umstrukturierung unter Kontrolle der Beschäftigten! Kostenlose Umschulungsmaßnahmen in klimaschädlichen Wirtschaftszeigen durch Organe der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Kostenloser ÖPNV für alle!
  • Umsetzung aller Forderungen der Streikenden! Für einen massiven Ausbau des ÖPNVs, höhere Löhne und mehr Personal!



#wirfahrenzusammen: Streiks im Leipziger Nahverkehr

von Niliam, zuerst erschienen bei der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Februar 2023

Zweimal stand der ÖPNV Leipzigs in den letzten Tagen komplett still.

Am Mittwoch, dem 22.02. fanden wie auch am Freitag, dem 17.02. Warnstreiks statt. Nachdem letzte Woche alle vom TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst, unter ihn fällt auch Leipzigs Nahverkehr) betroffenen Beschäftigten streikten, waren es am Mittwoch ausschließlich die Beschäftigten der LVB (Leipziger Verkehrsbetriebe). Der für den Streik gewählte Tag war brisant: trafen doch RB Leipzig und Manchester City im Rahmen eines Champions League Spiels aufeinander. Tausende von Menschen und internationale Gäste waren zu erwarten. Ein erheblicher Reputationsverlust für die Stadt Leipzig war vorauszusehen.

Dies unterstreicht einmal mehr den Kampfeswillen der Beschäftigten, nach ihrer Forderung von 10,5% mehr Lohn, aber mindestens 500€ bei einer Laufzeit von 12 Monaten für die nächste Verhandlungsrunde Ende März. Wir zeigten uns im Rahmen der Kampagne #wirfahrenzusammen u.a. zusammen mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht an Streikposten in der Stadt und auf der Großkundgebung am Freitag mit den Streikenden solidarisch. Auch wenn es sich nur um eine reine Lohntarifrunde handelt, müssen wir doch klarmachen, dass der Ausbau des ÖPNV dringend für eine Mobilitätswende gebraucht wird.

Während der Nahverkehr oft vernachlässigt, teuer und schlecht ausgebaut ist, wird immer noch auf klimaschädliche Fortbewegungsmittel gesetzt. Wir fordern massive Investitionen in den Nahverkehr – für die Beschäftigten, für das Klima und für die Fahrgäste! Sachsen ist Schlusslicht, was die Bezahlung der Beschäftigten im ÖPNV angeht!

Urabstimmung für Erzwingungsstreiks jetzt!

Letzten Freitag waren wir bereits ab Streikbeginn um 3 Uhr morgens am Betriebshof „Angerbrücke“.

Mit den Beschäftigten haben wir uns über die schlechten Arbeitsbedingungen sowie die bestehenden Ängste und Sorgen hinsichtlich der stark gestiegenen Verbraucherpreise ausgetauscht und darüber gesprochen, weshalb die Forderung der Tarifrunde das Mindeste ist, auf was sich eingelassen werden sollte. Sie durchzusetzen wird nur möglich, wenn die Verantwortlichen von ver.di schnell dazu getrieben werden, eine Urabstimmung für Erzwingungsstreiks durchzuführen.

Wichtig ist die gemeinsame Organisation im Arbeitskampf – der Klimaschutz steht nicht gegen die Arbeitsplätze, wie uns die Kapitalist:innen oft weis machen wollen. Die Klimabewegung kämpft mit den Beschäftigten für die gleichen Interessen! Gemeinsam werden wir am 03.03. den globalen Klimastreik in Leipzig unterstützen.

Unsere Solidarität bedeutet auch Fahrgastgespräche zu führen und auf die berechtigten Belange der Streikenden aufmerksam zu machen. Der ÖPNV muss für eine klimaneutrale Zukunft zwingend ausgebaut werden. Mit Plakaten wurde an den Haltestellen darauf aufmerksam gemacht, weshalb die Busse und Bahnen still standen. Mit den Gäst:innen haben wir über die Gründe des Streiks gesprochen und wie berechtigt und wichtig die Unterstützung dieser ist – höhere Löhne dürfen nicht durch Ticketpreise ausgeglichen werden! Im Gegenteil fordern wir einen kostenlosen Nahverkehr, der durch die Besteuerung der Gewinne von VW und Co. finanziert wird.

Am Freitagvormittag kamen rund 2.000 Beschäftigte auf die Kundgebung der Gewerkschaft ver.di. Das Bündnis #wirfahrenzusammen hielt einen Redebeitrag über den gemeinsamen Kampf von Klimaschutz und den Forderungen für den Tarifvertrag. Die Masse zog nach weiteren Redebeiträgen einmal ums Leipziger Rathaus und machte OB Burkhard Jung deutlich klar: „Zusammen geht mehr“ und dass die vergangenen und zukünftigen Reallohnverluste zwingend aufgefangen werden müssen!

Die Arbeitgeberseite hat ein erstes Angebot vorgelegt, welches nicht als solches bezeichnet werden kann. Ihr Vorschlag: Eine Lohnerhöhung von drei Prozent zum 1. Oktober 2023, sowie eine weitere lineare Erhöhung der Entgelte um zwei Prozent zum 1. Juni 2024. Statt eines monatlichen Mindestbetrags mit sozialer Komponente bieten die Arbeitgeber zwei einmalige Inflationsausgleichszahlungen an: 1.500 Euro im Mai 2023 und erneut 1.000 Euro im Januar 2024. Für Nachwuchskräfte sollen die Einmalzahlungen 750 Euro bzw. 500 Euro betragen.

Fallen wir nicht darauf rein! Mit Einmalzahlungen und Verlängerung der Dauer des Tarifvertrages versuchen die Arbeitgeber eine wirkliche Verbesserung vorzutäuschen. Diese bedeuten aber weiterhin Reallohnverluste, welche nicht hinnehmbar sind. Auch wenn ver.di das Angebot sicher nicht annimmt, heißt es wachsam sein! Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Tarifkommission auf einen faulen Kompromiss einlässt.

  • Verkehrswende heißt gute Arbeitsbedingungen für Nahverkehrsarbeiter:innen!
  • Macht Stunk – die ver.di-Verantwortlichen müssen zur Einleitung der Urabstimmung gezwungen werden! Kündigt die Schichtungsklausel!
  • Für einen Streik in den Händen der Beschäftigten: Organisiert Euch selbst im Betrieb, wählt ein Streik- und Aktionskomitee, fordert öffentliche Verhandlungen sowie eine direkte Wähl- und Abwählbarkeit der Tarifkommission!
  • Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive!



Ein paar Gedanken zum „Danni“ – ein Bericht

Zuerst veröffentlicht unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/12/09/ein-paar-gedanken-zum-danni-ein-bericht/

Lars Keller

Vorbemerkung: Am 08. Dezember fielen mit dem Barrio „Oben“ die
letzten Baumhäuser im „Danni“. Ende November war ich für einige Tage
dort gewesen, als noch 4 – 5 Barrios der Rodung standhielten. Dieser
Bericht erinnert an diese Zeit.

Woodcracker (Fällgreifer, teils mit Greifersäge) schneiden Bäume, als wären es Grashalme, werfen sie gleich einem Mikadospiel zu Boden. Die Kettensägen der Harvester (Holzvollernter) kreischen. Nach 20 Sekunden ist eine eben noch stattliche Tanne entastet, geschält und zerteilt. Hunderte Cops stehen hinter Bauzäunen und NATO-Draht. Sie gewähren den schweren Forstmaschinen Geleit, haben selbst mächtige Wasserwerfer, Räumpanzer und Teleskopbühnen mitgebracht. Keine 10 Meter von fallenden Fichten entfernt, in 20 Metern Höhe, klammern sich die letzten Baumhäuser und mit ihnen einige Aktivist_Innen des Barrios „Morgen“ an Buchen und Eichen fest, die vermutlich älter sind als alle Menschen, die an ihren Wurzeln stehen.

Der Mensch, der in meiner Hörweite die Parents for Future durch den Wald führt, erklärt: „Laut Gesetz muss bei Baumfällungen die doppelte Baumlänge als Sicherheitsabstand eingehalten werden.“ Es ist offensichtlich, dass Bullen und Baumfäller_Innen darauf scheißen. Ein_E Aktivist_In wird über mir ins Baumhaus geholt Sie hatte sich außerhalb des Fensters über dem Abgrund festgeklammert, dem SEK den Einsatz schwerer machen wollen. Immerhin: Hier, wo die „Zivilgesellschaft“ sie beobachtet, benehmen sich die Cops einigermaßen. Ich denke an die Geschichten von brutal Weggeschleppten, von getretenen Aktivist_Innen, von im Baumhaus Zusammengeschlagenen und an voreilig oder vorsätzlich zerschnittene Seile, an denen Menschenleben hingen.

Inhalt im Wald

Vom „Morgen“ aus laufe ich tiefer in den Dannenröder Wald, kraxle durch eine in junge Buchen geschlagene Lichtung, bin bald in „Oben“ angekommen. Hier hatte vor 15 Monaten die Besetzung begonnen, hier wird sie enden. Auf der Suche nach den Inhalten einer heterogenen, anarchistisch dominierten Bewegung stolpere ich durch die Barrios, lese die aufgehängten Transparente. „Carpitalismus“ lese ich irgendwo, mit Anarchie-A – eine Anspielung auf die Macht der kapitalistischen Autoindustrie. Ansonsten finde ich vieles gegen Cops, Kapitalismus, Autobahn und Nazis; Flüche gegen die Grünen, ihren hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Al-Wazir, und Bundesverkehrsminister Scheuer gibt‘s auch. Feminismus, das Leben einer Utopie, die Schönheit des Waldes werden gepriesen.

In „Unterwex“ entdecke ich die auf Stoff gebannte Solidarität mit der kurdischen Bewegung. Sehr selten ist die konkretisierte Form einer Verkehrswende auf den Stofffetzen in den Bäumen zu lesen, lediglich zweimal so was wie „Nahverkehr zum Nulltarif.“ Die Ideen von Enteignung der Verkehrsindustrie, Arbeiter_Innenkontrolle oder demokratisch geplantem Verkehr existieren allenfalls als schwacher, kaum sichtbarer Schimmer in dieser kleiner werdenden Parallelwelt, die sich befreit gibt und an deren Unfreiheit sie der behelmte, knüppelnde bürgerliche Staat doch täglich erinnert.

Dann habe ich den Wald durchquert. 300 m waren es vielleicht noch,
die die beiden sich aufeinander zu bewegenden Schneisen voneinander
trennen. Ein paar Cops stehen wie verloren in der überwältigend breiten
Rodungsstrecke. Hier wird heute nicht geräumt. Ich denke an die gestrige
Kundgebung, vor allem zwei sinngemäße Aussagen des Redners der
Deutschen Umwelthilfe wechseln sich mit meinen Gedanken ab:

  • „Autobahnen sind nicht mehr zeitgemäß“. Waren sie es denn mal?
    Oder gibt es sie viel eher, weil der Individual- und Schwerlastverkehr
    dem deutschen Kapital mehr Profite brachte und bringt, als es ein
    öffentlich organisierter Verkehr je könnte?

Ich denke über diesen Begriff nach: „Zeitgemäß“. Von Fridays for Future bis hierher – das Wort ist populär, obwohl es doch so inhaltsleer ist.

Autobahnen sind gesamtgesellschaftlich irrational. Es bräuchte sie nicht, gäbe es den gut ausgebauten, flächendeckenden Schienenverkehr, gäbe es die nach Bedürfnissen ausgerichtete Produktionsweise und nicht jene nach Profiten zwanghaft lechzende.

Zu sagen, Autobahnen seien „nicht mehr zeitgemäß“, suggeriert doch, dass sie irgendwann mal rational und richtig waren. Damals wie heute machen sie aber nur für den fortwährend beschleunigenden Kapitalismus Sinn, nicht aber für die Menschheit als Ganze.

  • „Die Grünen an der Landesregierung haben uns enttäuscht!“ Tjoa. Enttäuscht ist ja nur, wer anderes erwartet hatte.

Durch meine Fantasie läuft der Paradezug der grünen Partei auf einer frisch asphaltierten Autobahn, angeführt von Habeck und Al-Wazir in einem übergewichtigen E-Auto, angetrieben von Illusionen und falschen Hoffnungen tausender Wähler_Innen auf eine konsequente Klimapolitik. Der folgende Aufzug präsentiert protzig Bilder: Kosovo, Afghanistan, Agenda 2010, Stuttgart 21, Hambi holzen. Am Schluss des Zuges folgt eine nie endende Schlange Ruß kotzender Lkws, mit dem Holz des Danni beladen. Reste von Baumhäusern hängen an den Stämmen.

Die Grünen sind eine bürgerliche Partei. Schon längst haben sie die Bewegung hinter sich gelassen, auf deren Rücken sie emporstiegen. Sie machen Politik von und fürs Bürger_Innentum. Nicht für den Danni. Nicht für‘s Klima. Nein. Sie hoffen auf eine Koalition mit der CDU im Bundestag. Sie machen Politik zuallererst für die bürgerliche Klasse, heißt für deren Eigentum, heißt für deren geheiligte Autoindustrie und streichen sie blassgrün an. All dies heißt: Die A49 wird gebaut (und im Gekreisch der Kettensägen hört man leis‘: „Aber wir, die Grünen, haben das nie gewollt … wir können bloß nicht anders.“

Zurück im Wald. Eine Rodungskante wie ein Abgrund. Mittlerweile liegt Schnee. Es ist der nächste Tag. Auf Plattformen, Konstruktionen und Baumhäusern harren Aktivist_Innen der Kälte. Die Gesichter sind bemalt, Hände zerschnitten, mit Sekundenkleber und Glitzerkonfetti unkenntlich gemacht. Für manche hat es auch was von Abenteuer: Das SEK holt dich vom Baum. Benimmst du dich, benimmt es sich hoffentlich auch. Die Bereitschaftscops bringen dich aus dem Wald, durchsuchen dich. Platzverweis, Verstoß gegen das Waldschutzgesetz (welch Ironie). Identität? Verweigert. Sind genug Aktivist_Innen beisammen, fährt ein Bus in die Gefangenensammelstelle (Gesa). Frankfurt. Kassel. Oder woandershin. Kripos durchsuchen dich, versuchen, irgendwas zu deiner Identität rauszukriegen. Fotos. Missglückte Fingerabdrücke … das Glitzerzeug dürfen sie nicht abschrubben. Nach wenigen Stunden: Freilassung. Dann zurück in den Wald. Aber nicht vergessen: Die Ordnungsmacht kann auch anders.

Für die einen hat es was von einem Spiel, für andere bedeutet die Räumung den Verlust von ein bisschen Zuhause. Die Besetzung ist vieles: Eine scheinbar gelebte anarchistische Utopie, die völlig abhängig ist von der kapitalistischen Außenwelt und der – im Verhältnis zur Masse der Lohnabhängigen – auch relativ privilegierten Stellung eines Teils der Aktivist_Innen. Enthusiastisch sprechen sie, da ist der Danni noch nicht mal gefallen, von Besetzungen in anderen bedrohten Wäldern.

Auch ist das Ganze ein kreativer Protest, der mit bewundernswertem
Durchhaltevermögen und Geschick versucht, die Übermacht des Staates zu
stoppen. Und klar, über allem schwebt der gegen die bestehende
Verkehrspolitik. Aber welche konkrete bräuchte es stattdessen? Und wer
soll sie liefern? Diese Antwort scheint großteils anderen überlassen.
Ich komme noch darauf zurück.

Und jetzt?

Ich konnte nur ein paar Tage im Wald bleiben. Viele andere waren eine
gefühlte Ewigkeit auf den Bäumen oder im Camp am Dorfrand Dannenrods.
Seit 40 Jahren kämpft ein Teil der Menschen hier gegen die A49. Ohne
deren aufrichtige Unterstützung wäre die Protestform der dauerhaften
Besetzung unmöglich – vor beiden Lagern habe ich allein schon fürs
Durchhalten großen Respekt. Ihre drohende Niederlage tut mir leid.

Verkürzt wäre es zudem, die Bewegung auf die Bürger_Inneninitiativen und die Besetzung zu reduzieren. Kinderdemos, Fridays for Future, Ende Gelände, Demos in Berlin, Frankfurt und anderswo sowie Soli-Baumhäuser und (wenig sinnhafte) individualistische Autobahnblockaden in der ganzen Republik rahmen die Proteste gegen Autobahnbau und Verkehrspolitik ein.

Trotzdem fielen tausende Bäume für eine Autobahn. Ist denn ein Sieg
unmöglich? Ich glaube nicht. Vielmehr fehlt der Bewegung Entscheidendes,
etwas, das nicht durch Kreativität und Durchhalten ersetzt werden kann.
Es braucht eine konkrete Perspektive, anstatt auf Instagram zu jammern,
dass der Wald so schön sei und nun kaputt gemacht wird.

Was heißt das?

Einerseits die Bewegung lokal vertiefend zu verankern, nicht nur in Form von Bürger_Inneninitiativen, sondern auch in Betrieben wie Ferrero Stadtallendorf oder MHI-Steine Nieder-Ofleiden (Stadtteil von Homberg im mittelhessischen Vogelsbergkreis), wo der Schotter für die A49 herkommt. Die hier Arbeitenden könnten bspw. für „Gleise statt Autobahn“ gewonnen werden, ebenso wie jene von STRABAG. Ein politischer Streik mit Besetzung der Baustelle durch diese Belegschaften wäre vielfach effektiver als Sitzblockaden vor den Werkstoren.

Andererseits muss die bundesweite Umweltbewegung ebenso auf die Arbeiter_Innenklasse zugehen. Tausende Jobstreichungen, Gehaltsverluste und Abwälzen der Krisenkosten auf die Beschäftigten stehen hier an. Warum das nicht nutzen und aus der Umweltbewegung den Startpunkt einer Antikrisenbewegung machen?

Warum nicht sagen: „Die Reichen, die Konzerne und Industrien sollen für die Krise zahlen!“? Keine Entlassung wegen Wirtschaftskrise oder Verkehrswende! Stattdessen: Massive Besteuerung der Gewinne von klimaschädlichen Produktionen, kostenloser Nah- und Berufsverkehr für alle, Umstellung der Produktion auf medizinische Ausrüstung und klimaneutrale Verkehrskonzepte, demokratisch kontrolliert durch die Arbeiter_Innenklasse selbst! Für politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik, um dies durchzusetzen!

Natürlich wäre die Entwicklung einer solchen Perspektive etwas in der
Bewegung heiß Diskutiertes. Gut so! Nicht zu diskutieren, heißt, die
Verkehrspolitik in den Händen von Regierung und Staat zu belassen.

Mich des Erlebten im Danni erinnernd, blicke ich auf dem Heimweg aus dem Fenster der Regionalbahn. Anstatt an die Utopie einer in Bäume gezimmerten Parallelwelt zu glauben, tagträume ich von flächendeckendem kostenlosem Nahverkehr und gut ausgebauten Schienennetzen: Stadtallendorfer Pralinen werden wesentlich mit Güterzügen transportiert, Verkehrswege und Wohnraum werden reorganisiert, entflochten.

Die Verkehrsindustrie und Transportunternehmen sind enteignet, Arbeiter_Innen haben die Kontrolle übernommen, setzen eine demokratisch von ihnen selbst geplante ökologisch sinnvolle Notumstellung der Produktion um. Die Arbeitszeit ist bei vollem Lohn auf 30 Stunden in der Woche reduziert, die gesellschaftlich notwendige Arbeit wird auf alle verteilt. Scheuer, Al-Wazir und die Bosse von DEGES, VW und Co. wurden aus ihren Ämtern gejagt. Ihr Staat existiert nicht mehr. Nun forsten sie die Schneise eines Waldes auf eigene Kosten und mit eigener Arbeitskraft wieder auf. Minibagger und Gießkanne statt Dienstwagen und Krawatte heißt das Programm …

Eine Zugbegleiterin weckt mich, fragt nach meinem Ticket. 10 Minuten später habe ich ein Schwarzfahrerticket, 60 Euro, mein Fahrschein sei ungültig. Ein Anruf beim Kundendienst des Verkehrsverbundes beweist mir, dass dessen Angestellte selbst keine Ahnung von den Tarifbestimmungen haben. Sauer lege ich auf. Höchste Eisenbahn, diese antikapitalistische Verkehrswende!