Schwarze Zeiten? Die Berliner Wahlen und ihr Ausgang

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Februar 2023, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Die CDU geht als klare Siegerin aus der Berliner Abgeordnetenhauswahl vom 12. Februar hervor. Erstmals seit 1999 wurde sie zur stärksten Partei in der Stadt und konnte ihren Stimmenanteil deutlich auf 28,2 % steigern, was ein Plus vom 10,2 % gegenüber 2021 bzw. von 10,6 % verglichen mit 2016 bedeutet. Die einzige andere Partei, die einen leichten Stimmengewinn verbuchen kann, ist die AfD mit 9,1 % und einer Steigerung um 1,1 % zu 2021.

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken hat geschlossen verloren und kommt auf 49 %, ein Verlust um 5,4 % zu 2021 (SPD bei 18,4 % und -3 %, Grüne ebenfalls bei 18,4 % und -0,5 %, LINKE bei 12,2 % und -1,9 % zu 2021). Die FDP fällt unter die undemokratische 5 %-Hürde, verliert 2,5 % und kommt nur noch auf 4,6 %. Sie muss somit das Abgeordnetenhaus verlassen – also wenigstens eine erfreuliche Nachricht.

Der Wahlgewinn der Union war zwar im Vorfeld abzusehen, ist aber dennoch deutlicher als von vielen erwartet. Vor allem aus zwei Parteien erhielt sie dabei Stimmengewinne: 60.000 von der SPD und 37.000 von der FDP. Auch interessant sind die Zahlen von jeweils 21.000 Stimmenwanderungen von den sog. Kleinstparteien und Nichtwähler_Innen. Daneben gewann sie 17.000 Stimmen von den Grünen, 12.000 von der AfD und 11.000 von der LINKEN. Bei den Erststimmen konnte die Union ihre gewonnenen Wahlkreise mehr als verdoppeln. Sie gewann 48 von 78, 2021 waren es 21. Die SPD stürzte von 25 auf 4 Wahlkreise ab. Daneben: Die Stimmendifferenz zwischen SPD und Grünen beläuft sich anscheinend auf 105, weshalb eine Neuauszählung wahrscheinlich ist.

Der Erfolg der CDU ist darauf zurückzuführen, dass sie gleich mehrere Stimmungen auf sich fokussieren konnte. Außerdem hat er auch sehr wichtige bundesweite Implikationen bzw. setzt Trends fort. Vergleichbar sieht es um die FDP aus, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen. Die Wahlniederlage reiht sich in den Trend der vergangenen Landtagswahlen ein. Die Union konnte sich gegen die rot-grün-rote Landeskoalition als Alternative präsentieren und den Unmut gegen den Senat kanalisieren.

Der Löwenanteil der Berliner_Innen ist jedoch nicht zur Wahl gegangen oder durfte es nicht. Die Wahlbeteiligung lag bei 63 %. Gegenüber 2021 ist das ein massiver Rückgang. Damals lag die Beteiligung aber mit 75,4 % überaus hoch, weil sie gemeinsam mit der Bundestagswahl durchgeführt wurde. Die 63 % entsprechen hingegen dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Knapp 22 % der Bevölkerung hat überhaupt kein Wahlrecht, weitere 13 % haben das Wahlalter noch nicht erreicht. Am Dienstag, dem 14.2, tauchten auch in Lichtenberg noch mehr als 400 Briefwahlumschläge auf. Das endgültige amtliche Wahlergebnis ist nicht vor dem 17. Februar zu erwarten.

Ein Schritt nach rechts

Das „Es kann kein Weiter so geben“, das aus allen Fanfaren der Parteien klingt, drückt die Stimmung der Wahl aus. Mit der CDU und den Grünen haben sich zwei bürgerliche Parteien in Berlin weiter etablieren bzw. ein sehr gutes Ergebnis von 2021 weitgehend stabilisieren können, während die bürgerlichen Arbeiter_Innenparteien SPD und LINKE weiter an Stimmen und Prozenten verlieren.

Auch wenn die Wahl von keinem großen Rechtsruck begleitet wurde, so stabilisiert sie die Rechtsentwicklung im Abgeordnetenhaus. In diesem Licht muss das „Es kann kein Weiter so geben“ gewertet werden, egal ob es eine Fortsetzung von RGR, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wird.

Diese Verschiebung zeigt sich auch in den Wahlkampfthemen. So haben CDU, AfD und FDP einen thematisch vergleichbaren Wahlkampf geführt, wenn auch im Ton verschieden. Sie haben das Berliner Verwaltungsversagen auch über die gescheiterte Wahl von 2021 hinaus ins Zentrum gestellt und andererseits den Ruf nach Recht und Ordnung im Lichte der rassistischen Diffamierungen rund um die Silvesternacht oder um das „Chaos“ in den „linken“ Stadtteilen erklingen lassen. Alles klassisch rechte oder rechtspopulistische Themen.

Die Senatsparteien hatten dem im Grunde nichts entgegenzusetzen. Die SPD versuchte sich sogar, wenn auch ohne großen Erfolg, selbst als Law-and-Order-Partei mit Augenmaß zu inszenieren. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass der nächste Senat – egal wie er zusammengesetzt sein wird – die Polizei, deren Mittel und Befugnisse unter dem Vorwand der Bekämpfung von „Clankriminalität“ und „linken Chaot_Innen“ massiv stärken wird. Wir können annehmen, dass die ohnedies oft eher symbolischen und letztlich zweitrangigen Reformen unter RGR faktisch kassiert werden sollen.

Daneben stand Mobilität im Zentrum, wobei die drei Parteien sich für die Aufrechterhaltung Berlins als Autostadt mitsamt der Fortsetzung des Baus der A100 ausgesprochen haben. Insgesamt wurde die Koalition als handlungsunfähig beschrieben und das trotz einer LINKEN, die bei den Koalitionsverhandlungen ihre Beteiligung an der Regierung über ihr Programm stellte.

Im Jahr 2021 war die Wohnungsfrage noch das zentrale Thema der Wahl. Das aktuelle Ergebnis könnte vermutlich der letzte parlamentarische Todesstoß für den Volksentscheid von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sein, solange dessen strategische Orientierung weiterhin auf parlamentarische Mehrheiten ausgerichtet ist statt des Aufbaus einer klassenkämpferischen Mieter_Innenbewegung in den Häusern, auf den Straßen und in den Betrieben. Inwiefern die möglichen Handlungsempfehlungen der Verschleppungskommission (offiziell: Expert_Innenkommission) noch im Senat Zustimmung finden werden, steht in selbigem fragwürdigen Licht. Und das obwohl Kai Wegner (CDU-Spitzenkandidat) deutlich als Feind der Mieter_Innen hätte demaskiert werden können. Er war damals im Bundestag einer von denen, die gegen den Berliner Mietendeckel geklagt haben. Die Berliner CDU wurde in den vergangenen Jahren massiv durch Parteispenden von der Immobilienlobby unterstützt.

Doch, wie es in der Presse so oft heißt, bleibt unklar, ob Wegner nicht ein „König ohne Land“ bleibt, also keine_n Koalitionspartner_In finden könnte, da sowohl SPD als auch Grüne sich für die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot ausgesprochen haben. Außerdem fürchten diese zu Recht, dass sie unter CDU-Führung zum Anhängsel der Konservativen würden.

Die Sondierungsgespräche, die SPD und Grüne nun mit der Union führen werden, könnten beide zur Durchsetzung ihrer Ziele in einer Drei-Parteien-Koalition verwendet werden. Eine schwarz-grüne Koalition scheint zwar am unwahrscheinlichsten, wenn man sich die konträren Wahlkampfthemen und die beidseitige Rhetorik anschaut, hätte aber eine starke Wirkung auf die Bundespolitik und könnte ein etwaiges Scheitern der Ampel vorbereiten, in der sich die Grünen und nicht die FDP als verlässlichere Partner_Innen für eine etwaige CDU-geführte Regierung präsentieren.

Und die LINKE?

Auch sie hat verloren. Einerseits zwei von sechs Direktmandaten, die jeweils an die CDU verlorengingen. Generell hat die CDU bis auf zwei Wahlkreise der AfD alle Außenbezirke gewonnen, während die Innenstadt grün ist (Zweitstimmen). Vergleichbar ist es auch bei der Altersstruktur. Die Grünen sind die stärkste Kraft unter 35 Jahren und die CDU bei den über 45-Jährigen. Die Lützerath-Räumung, die die Grünen mitverantworten, hat hier also keinen signifikanten Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Die LINKE sieht sich somit einer Verringerung ihres Einflusses gegenüber. Auch wenn sie in allen Bezirken verloren hat, lässt sich ein deutlicherer Stimmrückgang in ihren alten Ostberliner Stimmbezirken verbuchen, während sie sich im Stadtzentrum relativ gefestigt hat. Am deutlichsten zeigt sich dies im sonst so roten Köpenick, das nun tiefschwarz überzogen ist. Im Verhältnis zum Bundestrend bleibt Berlin jedoch eine Hochburg der LINKEN. Dass die verschiedenen brennenden sozialen Fragen wenig im Zentrum standen und die LINKE dies nicht auffangen konnte, wird deutlich, wenn wir sehen, dass die Partei seit 2001 an der Landesregierung ist, mit einer Ausnahme von 2011 bis 2016.

Katja Kipping warb bereits wenige Minuten nach den ersten amtlichen Hochrechnungen für eine Fortführung von Rot-Grün-Rot und war damit vermutlich die erste öffentliche Fürsprecherin. Es bleibt abzuschätzen, wie stark das Lager gegen die Regierungsbeteiligung sein wird. Angesichts dessen, dass beispielsweise die oppositionelleren Bezirke wie Neukölln und Mitte verhältnismäßig gute Ergebnisse erzielten, sind die Möglichkeiten dafür verbessert, wie die Basis für die Nebelkerze des „rebellischen Regierens“ sichtbar geschwächt ist. Andererseits konnte dieses Doppelspiel, einerseits Teil der Regierung zu sein, sich andererseits auf die Seite des Sozialprotests zu stellen, in keiner gesteigerten Unterstützung münden – zwei Wege, die sich offensichtlich entgegenstehen.

Nach der Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2021 war das größte Schreckgespenst in den Reihen der LINKEN die Möglichkeit einer Ampelkoalition auf Berliner Ebene. Mit diesem Argument wurden weite Teile des Programms in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben. Es droht, dass mit selbigem erneut in Koalitionsverhandlungen eingestiegen werden soll.

Natürlich wäre es leichfertig, ja albern zu sagen, dass eine CDU-geführte Regierung überhaupt keinen Unterschied für die Bevölkerung ausmachen würde. Zweifellos würden Wegner und Co. eine solche Situation nutzen, um ihr Law-and-Order-Programm durchzuziehen, wenn auch vielleicht mit etwas grüner oder sozialer Tünche für eine jeweilige Koalitionspartnerin.

Doch das würde nur einen weiteren Zerfallsprozess befördern. DIE LINKE würde sich an einer solchen Regierung ebenso wie die Restbestände des linken SPD-Flügels einfach selbst überflüssig machen und eine CDU-Regierungsübernahme bloß hinauszögern.

Zudem zeigt die Erfahrung mit dem RGR-Senat (wie vordem mit den rot-roten Senaten), dass diese selbst zur Verschleppung und Sabotage demokratischer Entscheidungen wie der Enteignung der großen Immobilienhaie bereit sind. Nachdem DIE LINKE den Volksentscheid schon in der letzten Koalition nicht durchsetzen konnte, ist natürlich kindisch zu denken, dass eine geschwächte Partei und ein geschwächter Senat ausgerechnet jetzt die Konfrontation mit dem Kapital suchen werden.

Daher müssen aber auch die Gegner_Innen eine Regierungsbeteiligung in der LINKEN jetzt aufstehen. Schließlich haben sie sich in der letzten Legislaturperiode auch nicht mit Ruhm  bekleckert, sondern nur so getan, als hätten sie mit dem Senat nichts zu tun – und haben doch umgekehrt „ihrer“ Partei keine Steine beim Regieren in den Weg gelegt.

Gerade die linken Bezirke wie Neukölln und Mitte sowie alle anderen Gegner_Innen einer weiteren Regierungsbeteiligung müssen sich jetzt offen gegen die Regierungssozialist_Innen, gegen die Giffey-Freund_Innen um Schubert, Lederer und Kipping formieren. Ein erster Ausgangspunkt dessen könnte eine Einberufung einer öffentlichen Konferenz des linken Flügels der Partei sein. Bereits als Folge der letzten Sondierungen gab es erste Ansätze zum Aufbau einer solchen Opposition, jedoch verpuffte die Organisierung dieser Ansammlung von Parteimitgliedern, sobald die Abstimmung für die Beteiligung an der Koalition innerhalb der LINKEN vorüberging.

Die Linken in der LINKEN stehen vor der Aufgabe, den Widerstand gegen die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot zu organisieren und um die Ausrichtung der Partei zu kämpfen. Angesichts ihrer bundesweiten Krise dürfen sie dabei vor einem organisierten Kampf nicht weiter zurückschrecken – und das heißt auch nicht vor einem kommenden, im Grunde unvermeidlichen organisierten Bruch mit ihr.




Wahlen in Griechenland – Troika-Diktat oder Arbeiterregierung?

Sririzy Kandidat Tsipras hofft auf einen Sieg bei den Wahlen, der Sieg der Arbeiterklasse kann aber nur durch den Kampf auf der Straße entschieden werden.

Die Wahl in Griechenland wird zu einem Referendum über die Fortsetzung des EU-Kurses mit seinen Spardiktaten – oder für eine linke Regierung gegen das Spardiktat, wie es SYRIZA verspricht. Die Radikalisierung der Arbeiterklasse und die gesellschaftliche Polarisierung, die den massiven Zuwachs von SYRIZA auf 16,7% im Mai erklären, werden sich weiter zuspitzen.

Der massive Zulauf für SYRIZA bei den Wahlen, wo sie ihren Stimmanteil fast vervierfachen konnte, drückt eine Radikalisierung und Polarisierung aus. Alle Umfragen sehen eine Zunahme von SYRIZA einerseits voraus, andererseits auch eine Zunahme der rechts-konservativen Nea Demokratia.

Der Zulauf für SYRIZA, die selbst eine Allianz von reformistischen Parteien wie Synaspismos, die Teil der europäischen Linkspartei ist, und kleineren, radikaleren Parteien und Gruppierungen (z.B. die maoistische KOE) ist, ist daher leicht zu erklären. SYRIZA und Tsipras haben den Massen eine Machtalternative versprochen, die ihnen in dieser Situation unbedingt notwendig und auch realistisch erscheint. Die anderen linken Kräfte sind zu wankelmütig-opportunistisch wie DIMAR, eine Rechtsabspaltung von SYRIZA von 2010. Die KKE wiederum lehnt eine „linke Regierung“ ab – und vertröstet die Massen damit, dass eine „echte Volksregierung“ nur unter ihrer Führung zu Stande kommen könne. Da diese in weiter Ferne ist, ziehen die Massen die Wahl einer Partei vor, die heute eine „andere Politik“ verspricht. Antarsya, eine Koalition kleinerer Gruppierungen mit revolutionärem Anspruch, ist zu klein und isoliert, um eine unmittelbare Alternative für die Massen bieten zu können.

Die griechische Jugend und Arbeiterklasse sind zum revolutionären Kampf, der über eine historische Niederlage oder einen historischen Sieg entscheiden wird, gezwungen,...

Der Aufstieg von SYRIZA ist jedoch keineswegs das Resultat des besonderen politischen Geschicks von Tsipras – und erst recht nicht seiner „hemmungslosen Demagogie, welche die FAZ als „gemeingefährlich“ ansieht.

Er ist Resultat einer revolutionären Krise, der politischen Zuspitzung des Klassenkampfes. Seit Jahren haben die griechische Arbeiterklasse und die Jugend, ja auch große Teile der städtischen Mittelschichten und des Kleinbürgertums versucht, die Angriffe der Regierungen zu stoppen: durch eine Reihe befristeter Generalstreiks, durch die Besetzungen des Syntagma-Platzes (des zentralen Platzes von Athen), durch eine wachsende Zahl von längeren Streiks und Betriebsbesetzungen inklusive der Fortführung einzelner Unternehmen unter Arbeiterkontrolle.

Das Programm von SYRIZA

Im Wahlkampf nimmt der Zulauf zu SYRIZA weiter massiv zu – und nicht nur zur Partei. Die „Volksversammlungen“, die als eine Mischung aus Wahlveranstaltung, Stadtteilversammlung und Ortsgruppentreffen von SYRIZA stattfinden, ziehen regelmäßig hunderte, wenn nicht tausende Menschen an.

In dieser Situation stellt SYRIZA einen „Sofortplan“ von fünf Punkten ins Zentrum der Wahlagitation:

  1. Beseitigung der „Memoranden“, aller Sparmaßnahmen und der Gegenreformen im Arbeitsrecht, die das Land zerstören
  2. Nationalisierung der Banken, an die mit den öffentlichen Hilfeleistungen viel gezahlt worden ist
  3. Moratorium der Schuldenzahlung und ein Audit, das es ermöglichen wird, die illegitimen Schulden anzuprangern und zu streichen
  4. Abschaffung der Immunität der MinisterInnen
  5. Abänderung des Wahlrechts, durch das es Pasok und Nea Dimokratia möglich war, zum Schaden der griechischen Bevölkerung zu regieren und das Land in die Krise zu stürzen.

Dieser „Sofortplan“ – und auch das längere und radikalere 40-Punkte Programm für die Wahlen – ist ein reformistisches Programm. Es bleibt auf dem Boden der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, es stellt weder diese noch den bürgerlichen Staat in Frage.

...auf den sich die griechische Polizei...

Für die griechische und europäische Bourgeoisie ist es jedoch eine Kriegserklärung. Denn selbst die Umsetzung dieser Forderungen ist nur möglich, wenn SYRIZA an der Regierung weiter ginge, als ihrer Führung lieb ist. Die Vorstellung von Tsipras, dass sich die EU, der IWF, die EBZ, die deutsche Regierung durch die Drohung katastrophischer Auswirkungen eines griechischen Bankrotts zu „Neuverhandlungen“ und weiteren Finanzspritzen für das Land dauerhaft zwingen ließen, ist eine Illusion.

Im Gegenteil: Die Imperialisten würden offen oder verdeckt an der Destabilisierung und dem Sturz einer solchen Regierung arbeiten – bis hin zum Mittel, eine offen autoritäre Regierung zu schaffen, die sich auf Militär, Ausnahmezustand und faschistische Banden stützt.

...die Faschisten...

Revolutionäre KommunistInnen müssen daher vor den Illusionen warnen, die SYRIZA und Tsipras verbreiten und die Arbeiterklasse, ihre Avantgarde, die Masse der Bevölkerung darauf vorbereiten, weiter zu gehen, als ihre aktuellen, reformistischen FührerInnen es wollen.

Wir rufen zur kritischen Unterstützung von SYRIZA auf. Im Falle eines Wahlsieges – sei es eines absoluten wie auch einer relativen Mehrheit – fordern wir von SYRIZA, von DIMAR, KKE und den Gewerkschaften: Brecht mit der Bourgeoisie! Kämpft für die Bildung einer Arbeiterregierung!

...und die internationale Bourgeoisie mit Institutionen wie der Troika, vorbereiten.

Die Bewegung kann und muss diese – im Grunde bürgerliche Arbeiterregierung – bei allen fortschrittlichen Maßnahmen, gegen die unvermeidlichen Sabotageakte des Imperialismus und der Reaktion verteidigen. Dazu müssen umgekehrt von einer solchen Regierung die Entwaffnung der Konterrevolution und die Legalisierung von Arbeiterkontrolle, Enteignung und die Bewaffnung von Selbstverteidigungsorganen der Klasse gefordert werden.

Dieser Kurs muss mit der Propaganda und Agitation für ein Programm von Übergangsforderungen verbunden werden, das zum Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie führt, zur Errichtung der Macht der Arbeiterklasse, zur Diktatur des Proletariats, wie es Marx nannte.

Ein unerlässlicher Teil dabei ist die Schaffung von proletarischen Kampf- und potentiellen Machtorganen, auf die sich eine solche revolutionäre Übernahme der Macht stützen könnten: von Räten und Milizen.

Forderungen

Die Stadtteilversammlungen, die Versammlungen in besetzten Betrieben können zu Räten, zu Organen einer zukünftigen Staatsmacht werden. Diese sollten auf regionaler und landesweiter Ebene in Form eines Rätekongresses zentralisiert werden, der von den Arbeiterparteien die Umsetzung eines Aktionsprogramms gegen die Krise fordert:

  • Streichung der Schulden, Stopp des IWF/EU-Diktats! Entschuldung der Kommunen! Einführung eines Außenhandelsmonopols!
  • Aufhebung aller arbeiterfeindlichen Gesetze wie der Abschaffung des Tarifrechts, der Absenkung des Mindestlohns, der Erhöhung von Massensteuern und von Entlassungen!
  • Öffnung der Geschäftsbücher, Verträge und Transaktionen der Banken und des Staates! Progressive Besteuerung der Reichen und Vermögensbesitzer, Abschaffung der Massensteuern!
  • Preiskontrollkomitees für Nahrungsmittel, Wohnungen usw., um der Preissteigerung zu begegnen sowie eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen (Arbeitslosengeld, Renten …)!
  • Mindestlohn, Mindestrenten, freier Zugang zu Bildung, Schulen, Unis und das Gesundheitswesen!
  • Maßnahmen, um Kleinbürgertum, Bauern und Fischer vor dem Ruin zu bewahren – einschließlich günstiger Kredite bei gleichzeitiger
    Sicherung der Arbeiterrechte in allen privaten und öffentlichen Unternehmen!
  • Entschädigungslose Enteignung der Banken, imperialistischen Investoren, der Großindustrie und Großgrundbesitzer! Verstaatlichung aller geschlossenen Betriebe und Wiedereinstellung der Entlassenen unter Arbeiterkontrolle!
  • Zentralbank unter Arbeiterkontrolle! Demokratische Planung der Großindustrie und ein öffentliches Beschäftigungsprogramm unter Arbeiterkontrolle, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen sowie Aufteilung der Arbeit auf alle Hände, um die Arbeitslosigkeit abzuschaffen!

Eine wirkliche Arbeiterregierung müsste sich auf ein solches Programm, auf Räte und Milizen stützen. Sie müsste die Kontrolle des Oberkommandos über die Armee durch Soldatenräte brechen und die Arbeiterklasse und die Massen durch Bildung einer Arbeiter- und Volksmiliz bewaffnen.

Dem kann nur eine Arbeiterregierung etwas entgegensetzen. Syriza, KKE, Dima und Antarsya müssen aufgerufen werden für eine solche unter oben genannten Forderungen zu kämpfen. Letztlich kann die Revolution jedoch nur durch eine revolutionäre geführte Arbeiterregierung - die Diktatur des Proletariats - wirklich erfolgreich sein. Dafür bedarf es dringend einer revolutionären internationalistischen Partei!

Es wäre aber eine Utopie, von SYRIZA, KKE oder anderen Massenparteien in Griechenland eine konsequente Umsetzung eines solchen Programms zu erwarten. Das kann nur eine genuin revolutionäre Arbeiterpartei leisten. Doch eine solche wird nur geschaffen werden können, wenn es die fortgeschrittensten Kräfte der Arbeiterbewegung, jene radikalen Linken und AktivistInnen, die heute v.a. in SYRIZA und wahrscheinlich zu einem geringeren Teil in Antarsya wirken, vermögen, die Avantgarde und diese die Masse der Arbeiterklasse zu gewinnen, die sich heute SYRIZA zuwendet.

Der gemeinsame Kampf mit den reformistischen ArbeiterInnen, die Schaffung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse ist dafür eine Grundvoraussetzung. Nur so – in der praktischen Erfahrung werden sie lernen können, dass wie weiter gehen müssen, als es ihren reformistischen oder auch zentristischen Führungen lieb ist.

Der Kampf für eine Arbeiterregierung ist daher heute eine, wenn nicht die aktuellste, Schlüsselfrage der griechischen Revolution.

Martin Suchanek, übernommen aus der Arbeitermacht Publikation „Neue Internationale“ 170, Juni 2012