Vom kostenlosen Nahverkehr bis zum Sozialismus – Wie geht das?

Lars Keller

Abfahrt: Dieser Artikel entspricht einer 7-minütigen Busfahrt (auch wenn ihr in Zeiten von Corona vermutlich zu Hause seid)

Viele in Fridays for Future wünschen ihn sich, manche Gewerkschaftler_Innen überlegen ihn sich und Luxemburg hat ihn sich gegönnt – den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr mit Bahn und Bus. Auch wir als kommunistische Jugendorganisation haben ihn in unserem Programm stehen. Aber warum eigentlich? Ist der kostenlose Nahverkehr etwa schon der Kommunismus?

Die kurze Antwort: Nein. Offensichtlich ist es in Luxemburg trotz kostenlosem Nahverkehr nicht zur Enteignung der Kapitalist_Innen und klassenlosen Gesellschaft gekommen. Allerdings kann uns die Forderung nach kostenlosem Nahverkehr ein paar Bahnstationen näher zum Sozialismus bringen…

Station 1: Minimalforderung

Der kostenlose Nahverkehr ist für uns eine sogenannte Minimalforderung. Das bedeutet, dass es zumindest möglich ist, ihn schon im Kapitalismus zu verwirklichen. Finanziert werden muss er dann natürlich trotzdem und zwar durch den Staat – klingt doch super oder? Nicht wirklich, denn der Staat finanziert sich aus Steuereinnahmen und die kommen zum allergrößten Teil von Arbeiter_Innen und deren Familien in Form von Lohnsteuer und Mehrwertsteuer. Am Ende würden Bus & Bahn also doch von denen bezahlt werden, die täglich auf sie angewiesen sind, auch wenn sie kein Ticket mehr brauchen.

Aber halt! Das muss nicht sein! Wäre es nicht vielleicht möglich, dass diejenigen für einen Ausbau des Nahverkehrs zahlen, die gigantisch viel Kohle mit der Zerstörung der Umwelt gemacht haben – also z.B. Autokonzerne?

Die deutschen Autohersteller_Innen sind die größten Gegner_Innen eines kostenlosen Nahverkehrs in Deutschland, denn sie würden dadurch weniger Autos verkaufen und Profit verlieren. Sie werden uns deshalb auch nicht freiwillig das Cash geben, um mehr Züge zu kaufen, noch werden sie sagen: „Gut, bauen wir halt nur noch Busse.“ – denn das wirft zu wenig Gewinn ab. Also müssen wir uns eben als Jugendliche und Arbeiter_Innen das Geld von VW und Co. nehmen und selbst die Produktion umstellen.

Station 2: Gewerkschaften

Es ist also klar, dass hier Arbeiter_Innen unmittelbar gegen die Interessen der Kapitalist_Innen kämpfen – und dafür auch erst mal begeistert werden müssten. Das Werkzeug, mit dem Arbeiter_Innen die direktesten Interessen gegen ihre Bosse durchzusetzen versuchen, sind Gewerkschaften. Sie organisieren Arbeitskämpfe und Streiks, um z.B. einen höheren Lohn durchzusetzen – soweit nichts Neues.

Die Beschäftigten des Nahverkehrs sind in Deutschland in 3 unterschiedlichen Gewerkschaften organisiert: EVG (Eisenbahn-und Verkehrsgewerkschaft), GdL (Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer) und ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft). Alle drei treten derzeit für einen besser ausgebauten Nahverkehr mit mehr Personal und zu besseren Löhnen ein, auch wollen sie, dass Nahverkehr billiger wird und so mehr Leute Bus und Bahn nutzen – kurz die Gewerkschaften sind richtigerweise auf den Umweltzug aufgesprungen. Demgegenüber vertritt die IG Metall zum allergrößten Teil Beschäftigte der Autobranche – und stellt sich stramm hinter das Auto.

Leider ist es so, dass alle großen Gewerkschaftsführungen in Deutschland den Bossen viel näher stehen als den Beschäftigten. Sie sichern so ihre privilegierte Stellung innerhalb des Kapitalismus (ob aus gutem Glauben ans System, aus Boshaftigkeit oder aus der Dummheit, den Kampf diplomatisch statt offensiv führen zu wollen). Sie kontrollieren Arbeitskämpfe von oben herab und würden es schon gar nicht zulassen, dass Arbeiter_Innen mal eben selbst VW übernehmen und für die Verkehrswende blechen lassen. Aber genau hier gibt es einen möglichen Bruchpunkt zwischen Gewerkschaftsführungen und Basismitgliedern.

Station 3: Übergangsforderungen

Diesen Bruchpunkt zu provozieren, das ist die Aufgabe von revolutionären Jugendlichen und Arbeiter_Innen, die von der Gewerkschaftsführung abgefuckt sind, weil sie z.B. Arbeitskämpfe verraten oder wie jetzt in Zeiten von Corona den Lohnverzicht mitgestalten.

Um diesen Bruchpunkt nun aber zu provozieren und die politische Selbstständigkeit von Arbeiter_Innen zu erhöhen, müssen die richtigen Forderungen vorgeschlagen werden.

Beispiele:

– Die Gewerkschaftsführungen wollen den Streik im Nahverkehr abwürgen? – Nix da, die Beschäftigten sollten sich in Streikkomitees selbst ihre Führung wählen und demokratisch entscheiden, für was wie lange gestreikt wird und selbst die Kampfaktionen bestimmen und umsetzen!

– Die Gewerkschaftschaftsführung sagt, die klimaschädliche Kohleproduktion hat nichts mit dem Nahverkehr zu tun? – Von wegen! Die branchenspezifische und nationalstaatliche Aufsplittung der Gewerkschaften ist ein Hindernis im gemeinsamen Kampf. Hinter der Verkehrswende stehen jedoch nicht nur die Verkehrswege sondern auch die Produktion der Fahrzeuge, der von ihnen benötigten Energie als auch grundlegende Fragen wie die Nutzung des öffentlichen urbanen Raumes oder der Gegensatz von Stadt und Land. Auch sind die Verkehrsnetze europaweit und international bereits so stark miteinander verknüpft, dass wir dem Nationalismus der Gewerkschaftsfunktionäre unsere internationale Solidarität entgegensetzen müssen. Was heißt das? Zum Beispiel Solidaritätskundgebungen mit Arbeitskämpfen in anderen Ländern durchzuführen und internationale Produktions- und Arbeitsstandards sowie kostenlose Umschulungsmaßnahmen in klimaschädlichen Wirtschaftszeigen durch Organe der Arbeiter_Innenbewegung festzulegen und zu kontrollieren.

– Die Autoindustrie ist in der Krise und streicht Jobs? – Nix da, mit einem von den Arbeiter_Innen organisierten Streik soll erkämpft werden, dass niemand entlassen wird, alle denselben höchstmöglichen Lohn kriegen, die vorhandene Arbeit auf alle aufgeteilt wird (Arbeitszeitverkürzung) und eine Umstellung der Produktion weg vom Auto unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten passiert – und zwar schön auf den Nacken der Bosse und Aktionär_Innen. Ach, das wollen die nicht? Gut, dann wird der Laden eben entschädigungslos enteignet und durch die Arbeiter_Innenkontrolle weitergeführt.

Diese Forderungen wirken also eskalierend im Klassenkampf zwischen Arbeiter_Innen und Kapitalist_Innen. Sie sollen das politische Bewusstsein, Organisation und Kampfstärke der Arbeiter_Innen erhöhen und sie darauf vorbereiten, selbst die gesellschaftliche Macht zu übernehmen. Übergangsforderungen heißen solche, die bei ihrer Umsetzung einen dauerhaften Konflikt mit dem Kapitalismus hervorrufen. Für die Bosse ist es unhaltbar, dass die Beschäftigten ein Vetorecht über die Produktion und damit über den Profit bekommen. Dieser Konflikt wird sich nur dadurch lösen, dass die Arbeiter_Innen und Unterdrückten (dazu gehört auch die Jugend) entweder von den Bossen und der Polizei besiegt werden – also die Arbeiter_Innenkontrolle zerbrochen wird – oder die Arbeiter_Innen weitergehen und die politische Macht übernehmen.

Station 4: Revolution

Hier kämen wir dann zur Frage der Revolution. Haben sich Jugendliche, Arbeiter_Innen und Unterdrückte zumindest in den großen Industrien und Städten – nicht zuletzt auch im Verkehrssektor, da hatten wir ja begonnen – selbst organisiert? Sind aus Streikkomitees und Arbeiter_Innenkontrolle Räte erwachsen und in einem Zentralrat vereinheitlicht? Hat diese Struktur eine eigene Verteidigung, eine demokratische Miliz? Und wissen obendrein die Bosse und Regierung nicht mehr weiter, sind sie unfähig die grundlegendsten Bedürfnisse der Gesellschaft zu stillen und sind wir deshalb sowieso schon gezwungen, unsere eigene Versorgung selbst zu sichern? Dann stellt sich ganz offen die Machtfrage. Dann ist die Zeit reif, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen, die Bosse umfassend zu enteignen und die demokratischen Strukturen der Arbeiter_Innen als alleinige Macht zu etablieren. Diese Arbeiter_Innenregierung müsste dazu übergehen, eine demokratische Planwirtschaft aufzubauen, wozu eben auch gehören würde, den Autoverkehr zurückzudrängen, den Nahverkehr bestimmt durch Pendler_Innen, Verkehrsarbeiter_Innen und Jugendlichen auszubauen und ihn natürlich auch kostenlos zu machen (wenn wir das nicht schon früher erreicht haben…)!

Ankunft: Anschluss verpasst? Der Zug, die Umwelt zu retten, ist noch nicht abgefahren! Den Fahrplan findest du auf onesolutionrevolution.de/programm

image_pdfimage_print

Related Posts

One thought on “Vom kostenlosen Nahverkehr bis zum Sozialismus – Wie geht das?”

  1. Mimo Tischer sagt:

    Sehr guter Artikel!
    Ich finde es toll das ihr euch für Kostenlosen Nahverkehr einsetzt. Nir mit einem Kostenlosen Nahverkehr kann das Klima gerettet werden! Wichtig ist auch bneim Ausbau des Nahverkehrs den ländlichen raum nicht zu Vergessen.

Schreibe einen Kommentar zu Mimo Tischer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 16 = 24

Besuch uns auch auf

Unser Programm

Neueste Zeitung

Zeitung Februar 2024

Archiv