Warum Flüchtlingspolitik politische Klarheit bedarf

Ein Beitrag von REVOLUTION Freiburg zur Debatte mit der Linksjugend [’solid] Freiburg.

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Mit diesem Schreiben wollen wir von REVOLUTION Freiburg zu allererst der Linksjugend [’solid] Freiburg für ihre Antwort (1) auf unsere Stellungnahme (2) danken. Wir begrüßen die allgemeinen Bemühungen sich einer politischen Debatte zu widmen, anstatt sich vor dieser zu scheuen. Auch deuten wir das Antwortschreiben von solid dahingehend, dass es durchaus Diskussionsbedarf darüber gibt, wie sich die deutsche Linke der Flüchtlingsthematik politisch nähert und welche Art Bündnispolitik hier angebracht ist.

Wir wollen dieses Schreiben jedoch auch dazu nutzen, um Punkte richtigzustellen bzw. unsere Kritikpunkte an der Entscheidung des Bündnisses, sowie der angewandten Bündnispolitik solid Freiburgs genauer auszuformulieren.

In den Diskussionen nach der Veröffentlichung unserer Stellungnahme auf Facebook sowie in der offiziellen Stellungnahme solid Freiburgs, wurde uns mehrmals indirekt vorgeworfen, wir würden die Lage der Flüchtlinge für unsere politischen Zwecke missbrauchen und sie dadurch instrumentalisieren.

„Menschen gehen vor Klassenpolemik. Oder: Warum machen wir ein offenes Bündnis?”

Diese Vorwürfen möchten wir zuerst von uns weisen und deutlich hervorheben, dass wir nichts dagegen haben, Flüchtlinge auf der Kundgebung zu Wort kommen zu lassen und ihnen einerseits ein Gesicht und zum anderen die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichten und politischen Forderungen zu artikulieren. Dass wir dies nicht nur in Worten bekunden, sondern auch in der Praxis tun, haben wir bei den Berliner Refugeeschul- und Unistreiks gezeigt, welche von unseren Berliner Genoss_innen, sowie von RedBrain initiiert und maßgeblich vom Refugeeschul- und Unistreikbündnis (RSUS) organisiert und getragen wurden. Unsere Praxis zeigt dadurch, dass hier ein schwarz-weiß Denken wie von solid Freiburg zelebriert (wie auch von weiteren Teilen der deutschen Linken) unangebracht ist. Wenn wir vorschlagen, auf politische Klarheit zu setzen und Vertreter_innen politischer Organisationen die Möglichkeit geben wollen ihre Lösungsansätze in Reden vorzustellen, heißt dies noch lange nicht, dass somit Refugees bevormundet und instrumentalisiert werden. Die Refugeeschul- und Unistreiks in Berlin haben uns gezeigt, dass gerade Refugees besonders daran interessiert sind, was für politische Lösungen ihnen die politischen Organisationen in Deutschland bieten. Wissen die Refugees (trotz allem persönlichen Leid) sehr wohl, dass es sich bei ihrem Schicksal um ein gesellschaftliches und somit politisches Problem handelt, welches nach politischen Antworten verlangt. Zusätzlich sprechen unsere Erfahrungen in Berlin klar gegen das Argument von solid Freiburg, dass nur mit breiten und politisch unklaren Bündnissen politisch unorganisierte Personen zu Aktionen mobilisiert werden können.

„Wir wollen Menschen dazu bringen über das Thema zu reflektieren, die nicht schon eine Position haben wegen der sie auf den häufigen „Refugees Welcome“ Demos in Freiburg mitlaufen. Sprich ganz klassisch in die Gesellschaft hineinwirken.“

Die oben genannten Schul- und Unistreikaktionen hatten in Berlin bis zu 6.000 Schüler_innen für die Belange von Refugees auf die Straße gebracht und das mit politisch klaren Forderungen und Aussagen. Wichtig hierbei anzumerken ist auch, dass unter den mobilisierten Schüler_innen auch eine nicht zu vernachlässigende Zahl an Schüler_innen mit Migrations- sowie Fluchthintergrund, wie z.B. palästinensischen oder syrischen Jugendlichen, anwesend waren.

Um der politischen Bevormundung jedoch effektiv entgegenzuwirken, reicht es nicht aus, Refugees ab und an mal Reden halten zu lassen. Wir fordern daher schon seit Beginn der Refugee-Bewegung, dass die Organisationen der deutschen sowie europäischen Arbeiter_innenbewegung den Refugees das Recht einräumen sollten sich in ihnen zu organisieren und die Politik der Organisationen mitzugestalten. Nur so kann wirklich verhindert werden, dass Parteien oder Organisationen die Lage der Refugees für Stimmenfang missbrauchen. Davon ist jedoch von Seiten solid Freiburgs nichts zu hören. Sie begnügen sich lieber damit ein breites, politisch ausdrucksloses Bündnis aufzubauen, welches darüber hinaus denjenigen Parteien die Möglichkeit gibt sich den Mantel der Fürsorglichkeit überzuwerfen, deren Politik maßgeblich Schuld an den Fluchtgründen vieler Refugees ist. Stattdessen sollte ihnen, sowie den Refugees klar vermittelt werden, dass die Politik der bürgerlichen Parteien Schuld an der derzeitigen Situation trägt. Dies war auch der Grund, weswegen wir uns gegen die Beteiligung der FDP am Bündnis ausgesprochen haben, sowie das Streichen der Fluchtgründe aus dem Aufruf kritisierten. Solid Freiburg rechtfertigt dies dadurch, dass der Aufruf als weniger wichtig eingestuft wurde, als die Aktion selber. Die Beteiligung der FDP würde der Aktion mehr Öffentlichkeit geben und somit könnten mehr Menschen erreicht werden als von einem linken Bündnis.

Erneut zeigen unsere Erfahrungen in Berlin, dass auch ohne bürgerliche Parteien und mit einem klaren politischen Aufruf viele Menschen und vor allen Dingen Jugendliche erreicht werden können. Durch eine klare Bündnispolitik und einer gemeinsamen aktiven Mobilisierung, können durchaus viele Menschen erreicht und für linke Perspektiven, welche sich auf die arbeitende Bevölkerung fokusieren, mobilisiert werden. Der Aufbau von Streikkomitees an Berliner Schulen im Vorfeld der Refugeeschul- und Unistreiks erwiesen sich als gutes und erfolgreiches Mittel. Diese Streikkomitees hatten im Vorfeld Mobilisierungsveranstaltungen, Diskussionsveranstaltungen und Schulvollversammlungen abgehalten um die politischen Anliegen der Demonstrationen zu diskutiert.

In ihrem Antwortschreiben, versucht solid uns aber nicht nur dahingehend in die Ecke zu drängen, wir würden Flüchtlinge für unsere Politik vereinnahmen, sondern auch, dass wir Konkurrenzveranstaltungen zu schon existierenden radikalen Strukturen aufbauen wollen:

„Eine radikale Systemkritik wird gerade von „NoLager“ (3) in Freiburg geäußert, wo auch wir uns beteiligen. Unsere Anstrengungen welche in die selbe Richtung gehen, stecken wir lieber in die bestehenden autonomen Strukturen, statt als weitere Organisation Parallelveranstaltungen zu machen.“

Dieser Abschnitt wirft für uns unterschiedliche Fragen in Bezug zum ersten Teil des Textes auf. Während uns solid Freiburg eine Instrumentalisierung der Flüchtlinge für radikale Politik vorwirft, hat sie gleichzeitig kein Problem damit, radikale Proteste von „NoLager“ aktiv zu unterstützen. Wieso nun unsere Politik vereinnahmend und instrumentalisierend sein soll, die von „NoLager“ aber nicht, darüber lassen uns die solid Genoss_innen im Dunkeln tapsen.

Entweder ist den Genoss_innen von solid Freiburg beim Verfassen des Textes ein Fehler unterlaufen oder sie weisen hier ein unklares Verständnis von Bündnispolitik auf. Solch ein Verständnis würde darin bestehen, radikale Proteste von gemäßigten, bürgerlichen Protesten zu trennen, was wiederum die Auswirkung hätte, radikale politische Alternativen nur für die Szene zu betreiben, anstatt in die Gesellschaft zu wirken. Da dies im Laufe des Textes sehr wohl von solid gefordert wird, hoffen wir, dass den Genoss_innen eher ein Fehler unterlaufen ist. Ansonsten würden sie sich in ihrer Praxis selbst wiedersprechen, entgegenarbeiten nur um sich ein radikales Mäntelchen umzulegen.

Unser Vorschlag ein großes linkes Bündnis mit klaren politischen Forderungen aufzubauen, hatte nicht die Intention eine Parallelveranstaltung zu „NoLager“ zu bilden, sondern eine Aktion zu organisieren, welche eine Brücke schlagen könnte zwischen der Politik, die „NoLager“ propagiert und Teilen der Freiburger Bevölkerung außerhalb der linksradikalen Szene. Durch das Einladen und das Akzeptieren der Bedingungen der FDP auf dem Bündnistreffen hat jedoch solid Freiburg (wie auch die anderen Gruppen die dafür stimmten) diese Brücke niedergerissen. NoLager wird sich vermutlich kaum an einer Kundgebung beteiligen, bei welcher die Grünen (ganz zu schweigen von der FDP) mitwirken. Sind die regierenden Grünen im Freiburger Rathaus rund um Salomon für etliche Abschiebungen aus Freiburg sowie der Räumung der Welcome-Zelte vor einigen Tagen in Freiburg verantwortlich. Die angepeilte Strategie von solid, linke Positionen einer breiteren Schicht zu öffnen, wurde somit verfehlt. Einerseits, da sie durch ihre Bündnispolitik und das Beschneiden des Aufrufes der Kundgebung politischen Inhalt raubten und andererseits da sie die Spaltung zwischen „linksradikaler“ Politik und „gemäßigter“ Politik bedienen.

Für uns kann der Kampf in Solidarität mit Flüchtlingen nur ein politischer sein. Auch wenn humanitäre Hilfe angebracht und von Nöten sind, kann sich die deutsche Linke nicht davor verstecken,Lösungsansätze für die Flüchtlingsthematik zu entwickeln und zwar auf gesellschaftlicher wie auch auf politischer Ebene. Eine solche politische Frage kann in einer Klassengesellschaft wie dem Kapitalismus nur von einem klaren Klassenstandpunkt – für uns den der lohnabhängigen Bevölkerung – aus beantwortet werden. Entgegen ihrer Ansprüche keinen Wahlkampf durch die geplante Kundgebung aufkommen zu lassen, spielt die Taktik der Linksjugend [’solid] Freiburg jedoch jeder beteiligten Partei in die Hände und bezieht keinerlei Klassenstandpunkt. Der FDP, und den Grünen dient es, weil sie sich einen humanen Anstrich geben und in die „Willkommenskultur“ miteinstimmen dürfen. Auf der
anderen Seite hilft es der Linken sowie der SPD, da diese sich davor drücken können politische Lösungen im Sinne der Geflüchteten sowie der deutschen und europäischen Lohnabhängigen vorzuschlagen. Ein Schelm, wer hier an Instrumentalisierung von Geflüchteten denkt.

REVOLUTION Freiburg

(1) https://www.facebook.com/groups/27708317552/permalink/10153009022622553/?comment_id=10153012401612553&offset=0&total_comments=30&comment_tracking={%22tn%22%3A%22R%22}&__mref=message_bubble
(2) http://www.onesolutionrevolution.de/allgemein/freiburger-linke-klassenkollaboration-statt-linke-einheit/
(3) http://nolagerfreiburg.blogsport.eu/