Warum wir jetzt anfangen müssen, eine globale Antikrisenbewegung aufzubauen

Marvin Schutt

Kein Thema
hat in letzter Zeit unsere Gespräche, Gedanken und Social Media Feeds so
geprägt wie das neuartige Coronavirus / Sars-CoV-2, kurz: Corona. Der von
vielen Politiker_Innen proklamierte „Weg in eine neue Normalität nach Corona“ hat
die Weltwirtschaft aufatmen lassen. Jedoch liefern die vielen Neuninfektionen
für uns keinen Grund zum Aufatmen sondern eher für Schnappatmung! Wie unsere
Gesundheit für die Profite der Konzerne auf‘s Spiel gesetzt wird, zeigt nicht
zuletzt der massive Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies. Dabei sind
bereits eine halbe Millionen Menschen weltweit an oder mit Covid19 gestorben. Die
Öffnungs- und Lockerungspolitik, die viele Länder auf Druck der Wirtschaft und
der internationalen Konkurrenz durchgeführt haben, lässt eine 2. globale
Infektionswelle nun immer näher kommen. So brechen neue Infektionsherde in
China oder Lateinamerika aus und die Neuinfektionszahlen schnellen weltweit
rasant an.

Marktwirtschaft
failed

Die
Corona-Krise ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie die freie Marktwirtschaft
nicht dazu in der Lage ist, die dringendsten Bedürfnisse der Menschheit (wie
zum Beispiel nicht einer Covid19-Infektion zu sterben) zu befriedigen. Die
Pandemie ist dabei jedoch nur der Auslöser und nicht die Ursache der Krise.
Diese liegt weitaus tiefer in der kapitalistischen Produktionsweise selber.
2007/2008 ist sie in eine tiefe Absatzkrise geraten, sodass die Produktivität
und die Investitionen massiv gesunken sind. Diese Krisenursachen wurden jedoch
nicht behoben, sondern nur durch Niedrigzinspolitik und riesige
Bankenrettungspakete abgefedert. Das Coronavirus ist nun die Nadel, die die
riesige Blase gerade zum Platzen bringt. Weitere Fabrikschließungen,
Massenentlassungen und Sparmaßnahmen werden bald international auf der
Tagesordnung stehen.

Obwohl alle gerade
von Solidarität reden, können wir eigentlich nur nationale Abschottung
beobachten. Wer nur national beschränkte medizinische Krisenmaßnahmen ergreift,
aber sich nicht für 20.000 von Corona bedrohte, auf der griechischen Insel
Lesbos eingeschlossene und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen lebende
Geflüchtete interessiert, braucht uns nichts von Solidarität zu erzählen. Da
eine Pandemie nicht vor Nationalstaatsgrenzen halt macht, bedeutet nationale
Abschottung darüber hinaus auch immer eine Behinderung von wirksamen
internationalen Schutzmaßnahmen oder der Entwicklung eines Impfstoffes. Und
nicht nur das, nationale Abschottung bedeutet auch, dass die reichen
imperialistischen Länder die ärmeren Ländern mit ihren schlechter
ausgestatteten Gesundheitssystemen alleine lassen und somit eine weitere
Ausbreitung der Infektionen in Kauf nehmen, solange es nicht auf dem eigenen Staatsgebiet
passiert. Dabei wirkt es so, als wären die imperialistischen Länder nicht dafür
verantwortlich, dass die Gesundheitssysteme in den ärmeren Ländern so schlecht
ausgebaut sind. Durch Kolonialismus, Ausbeutung und erzwungene Sparmaßnahmen
haben die imperialistischen Länder dem Rest der Welt jedoch die Möglichkeiten
für einen adäquaten medizinischen Kampf gegen das Coronavirus genommen. Zuletzt
stärkt nationale Abschottungspolitik auch immer ausgrenzende, nationalistische
und rassistische Tendenzen im Bewusstsein der Leute, welche ja bekanntermaßen auch
schon vor Corona stark an Fahrtwind dazugewonnen haben.

Nationalismus
failed

Gleichzeitig
feuert die nationalistische Politik auch die Konkurrenz zwischen den führenden
imperialistischen Staaten an. Das sehen wir nicht nur am Wettlauf um die
schnellsten Öffnungen und den wachsenden Spannungen in der EU sondern auch an
einer erneuten Zunahme von militärischen Konflikten. So wird nicht nur der
Polizeistaat nach innen ausgebaut sondern auch die Aggression nach außen
verstärkt, wie zum Beispiel durch den aktuellen Angriffskrieg der Türkei auf
die kurdischen Autonomiegebiete oder der Zuspitzung in Grenzkonflikten wie
zwischen Indien und China sowie zwischen Süd- und Nordkorea.

In
Deutschland konzentriert man sich vor allem darauf, die internationale
Konkurrenz auszubooten, indem man fleißig Konjunkturpakete schnürt, um so den
Status des „Exportweltmeisters“ aufrechtzuerhalten. Dafür bekamen deutsche
Unternehmen Kredite in Billionenhöhe quasi geschenkt. Ebenso das sogenannte
„Kurzarbeitergeld“, welches eine weitere Millionensubvention für Unternehmen
bedeutete, da die Lebensunterhaltskosten ihrer Belegschaften nun aus
Steuergeldern und nicht aus der Konzernkasse finanziert werden. Für alle
anderen, die leider keine Produktionsmittel besitzen, heißt es nun den Gürtel
enger zu schnallen. Wer hier gerettet wird und wer dafür zahlen soll ist eine
eindeutige Klassenfrage: Die Armen zahlen, damit die Reichen gerettet werden. Dies
stellt eine massive Umverteilung von Steuergeldern von unten nach oben dar,
sodass die Corona-Pandemie die ohnehin massive soziale Ungleichheit zusätzlich
verstärkt hat. Dabei fragen wir uns, wo dieses ganze Geld auf einmal herkommt.
Seit Jahrzehnten erzählen uns Finanzminister_Innen, dass Deutschland seine
Staatsschulden abbauen müsse. Etliche Sozialkürzungsmaßnahmen, Bildungsabbau
und Sparprogramme wurden mit dem Argument gerechtfertigt, die Neuverschuldung
möglichst gering halten zu müssen. Die Corona-Krise veranlasste die
Bundesregierung nun zu einer 180 Grad-Wende: Plötzlich ist massig Geld da und
die Milliardenkredite sprudeln aus der Staatskasse. Allerdings fließen diese
nicht in öffentliche Dienstleistungen oder Sozialhilfe sondern in die
Privatwirtschaft. Geld scheint also eigentlich da zu sein, wenn es einen
politischen Willen dafür gibt.

Wir sind
keine Risikogruppe und trotzdem Opfer der Pandemie!

Trotzdem
wird sich die erwartete Rezession so nicht aufhalten lassen.
Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren trotz riesiger Rettungspakete
einen Abfall des BIPs, wie ihn Deutschland seit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges nicht mehr gesehen hat. Dabei werden es wir Frauen, People of Color
und Jugendliche sein, die die wirtschaftlichen Folgen als erste zu spüren
bekommen werden. So sind wir es, die ohnehin schon am wenigsten verdienen und
nun auch als erste entlassen werden. In Deutschland ist die
Jugendarbeitslosigkeit allein im März um 33 % im Vergleich zum Vorjahr
gestiegen. In Österreich sogar um 110 %! Und das obwohl die meisten Unternehmen
ja gerade noch relativ flüssig sind und die große Pleitewelle erst im Herbst
erwartet wird.

In Schule
und Uni stehen nun durch die übereilten Öffnungen die Klassenarbeiten und
Abschlussprüfungen an, die wir nun trotz massiv angestiegener
Bildungsungerechtigkeit überstehen müssen, damit das Bildungssystem fleißig
seiner kapitalistischen Selektionsfunktion nachkommen kann. Wir schreiben alle
die gleichen Prüfungen und werden gleich bewertet, obwohl es große Unterschiede
dahingehend gab, wer zu Hause die Ruhe hatte sich zu konzentrieren, wessen
Eltern unterstützen konnten und wer einen eigenen Computer zur Verfügung hatte.
Zudem kam es mit dem Lockdown auch zu einem Anstieg an häuslicher Gewalt, von
der vor allem wir Jugendlichen und Frauen betroffen sind.

Klassenkampf
statt Nationalismus

Die Linke
und die Gewerkschaften haben verpasst, auf die vielen Probleme des Lockdowns
eine Antwort von links zu formulieren. Stattdessen sind sie auf Kuschelkurs mit
dem Kapital gegangen und haben die „nationale Einheit“ statt Klassenkampf
beschworen. Das hat dazu geführt, dass die Probleme vor allem von rechts
angeprangert und mit einer reaktionären Weltsicht, Rassismus und Esoterik
verbunden wurden. Dabei richten sie sich in ihren sogenannten „Hygienedemos“
vor allem an das kleinbürgerliche Milieu, da kleine Unternehmen und
Selbstständige besonders hart von der Krise betroffen sind, aber kaum vom Staat
gerettet werden.

Wenn wir den
Rechten das Feld nicht überlassen wollen und linke Antworten auf die Fragen der
wirksamen Pandemiebekämpfung und die zu erwartenden sozialen Angriffe finden
wollen, können wir es jedoch nicht nur bei „solidarischer Nachbarschaftshilfe“
und „Kiezarbeit“ belassen. Selbstorganisierung ist zwar ein wichtiger Aspekt,
kann aber nur die Symptome bekämpfen. Wenn wir uns also nicht immer nur gegen
den gesellschaftlichen Mangel selbst organisieren wollen, müssen wir
notwendigerweise die Machtfrage stellen. Also kann ich zwar zum Beispiel für
meine 70-jährige Nachbarin in die Apotheke gehen, aber für die bestmögliche
Bekämpfung der Pandemie müssten wir die gesamte Pharmaindustrie unter
Arbeiter_innenkontrolle stellen.

Mit der
Perspektive, die zentralen von der Pandemie betroffenen gesellschaftlichen
Sektoren wie Gesundheitssystem, Produktion und Bildung unter demokratische
Kontrolle zu bringen und nicht der kapitalistischen Profitlogik zu überlassen,
gibt es jedoch einen Weg, wie wir kollektiv und solidarisch gegen die Krise und
gegen die Pandemie kämpfen können. Lasst und diese sozialistische Perspektive
dem wachsenden Rassismus, Militarismus und Verschwörungstheorien
entgegenstellen!

Wie kann
eine globale Anti-Krisenbewegung aussehen?

Dafür müssen
wir jetzt beginnen, eine Anti-Krisenbewegung aufzubauen. Indem wir uns dort
organisieren, wo wir die Folgen der Krise gerade am ehesten spüren, ob in
Schule, Uni, Krankenhaus oder Betrieb, können wir Widerstand gegen die
Öffnungspolitik und die Entlassungen aufbauen, indem wir Werk- oder
Schulschließungen durch Streiks und Besetzungen erzwingen. An SPD, Linkspartei
und Gewerkschaften kommen wir mit diesem Vorhaben jedoch nicht vorbei, denn ein
Großteil der organisierten Arbeiter_Innenklasse zählt zu ihren Mitgliedern.
Doch um aktiven Widerstand zu leisten, brauchen sie scheinbar einen kräftigen
Arschtritt! Lasst uns gemeinsame Mobilisierungen und Aktionskonferenzen
starten, an denen wir alle gemeinsam über ein Programm und Aktionen
diskutieren, das eine eigene unabhängige Stimme der Lohnabhängigen,
Migrant_Innen und Jugendlichen hörbar macht. Dabei müssen wir den Anschluss an
bestehende internationale Massenproteste wie die aktuelle
Black-Lives-Matter-Bewegung suchen und Themen wie Polizeigewalt und Rassismus
in unser Aktionsprogramm integrieren. Wenn eine Anti-Krisenbewegung nicht
international ist, ist sie gar nicht, denn eine internationale Krise lässt sich
nicht von einem Land aus bekämpfen. Nationale (Schein-)Lösungen bedeuten
letztlich nur, dass andere Länder stärker ausgebeutet werden, um kleine
Verbesserungen vor der eigenen Haustür zu schaffen. Nur mit einer konsequenten
internationalistischen, klassenkämpferischen und antikapitalistischen
Ausrichtung, kann eine solche Anti-Krisenbewegung erfolgreich sein!