Wehret den Zuständen! Aktiv gegen Nazis in Kassel und überall!

Gemeinsamer Aufruf von REVOLUTION Kassel, Arbeitermacht Kassel, SDS Kassel, SDAJ Kassel und DKP Kassel zur antifaschistischen Demonstration am 17. September 2011 in Kassel. Der Aufruf ist eine alternative zum Aufruf des „Bündnis gegen Rechts“ Kassel 

In den letzten Monaten ist es in Kassel, unter anderem in der Nordstadt und am Königsplatz, zu vermehrten öffentlichen Auftritten und Bedrohungen von Passant*Innen durch Neonazis gekommen. Es gab sowohl verbale als auch körperliche Einschüchterungsversuche und Attacken gegen vermeintliche Migrant*Innen und Linke und andere Personen.

Die Präsenz von Neonazis in Kassel nimmt merklich zu. Das werden wir nicht dulden.

Deshalb hat sich ein Aktionsbündnis gegen rechts konstituiert, das mit einer Demonstration am 17. September 2011 ein Zeichen gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus setzen will und damit die Tradition des z.T. militanten Widerstandes, den es in Kassel seit Ende der 60er Jahre gegen Nazis gibt, fortführt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Nazis versuchen, sich hier zu etablieren und dass entschiedener Widerstand dieses verhindert.

Um wen geht es? Bei den Tätern handelt es sich um eine ca. 10 bis 15 Personen starke Gruppe, die sich  „Sturm18″ nennt. Die Zahl 18 steht hierbei für den 1. und 8. Buchstaben im Alphabet, also für A.H. =Adolf Hitler, womit auch klar ist, in wessen Tradition diese Gruppe sich stellt.

Ihr geistiger Anführer ist der 36-jährige Bernd Tödter, Gründer der gleichnamigen Kameradschaft in Nordhessen und eines rechtsradikalen Internetforums. Der aus Bad Segeberg stammende Tödter ist seit Langem als militanter Neonazi aktiv. Bereits 1993 wurde er wegen Totschlags an einem Obdachlosen verurteilt, vor Kurzem lief gegen ihn der Prozess wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung an einer 17-Jährigen. Außerdem gab es Hausdurchsuchungen, bei denen u.a. Waffen und Munition gefunden wurden.

Zwischenzeitlich versuchte Tödter sich als Aussteiger zu generieren und übernahm 2006 einen öffentlich unterstützten Vereins für Förderung eines internationalen Treffpunktes in Kassel. Nach Protest dagegen und der Auflösung des Vereins machte Tödter keinen Hehl daraus, dass er nach wie vor Neonazi ist.

Ein weiterer angeblicher Aussteiger ist der wegen Nazi-Vorwürfen im Mai diesen Jahres zurückgetretene Chef der Freiwilligen Feuerwehr Bettenhausen-Forstfeld Christian Wenzel. Er war in den 90er Jahren Aktivist von Blood and Honour und wurde wegen eines Angriffs auf einen Migranten verurteilt. Das hr-Magazin defacto hat aufgedeckt, dass der 33-Jährige, der angeblich seit 2003 aus der Szene ausgestiegen ist, bis 2009 weiterhin Inhaber der Domain des Freien Widerstands Kassel war. Außerdem tummelte sich auf dem diesjährigen Feuerwehr-Sommerfest die Kerntruppe des Freien Widerstands Kassel, zudem war der bekannte Nazischläger Marcus E. auf diesem Fest als Security-Mann angeheuert. Unumwunden gab Christian W. zu, dass er weiterhin Kontakt zu den alten Kameraden hat.

Der Freie Widerstand Kassel ist in der Öffentlichkeit weniger präsent. Die Gruppe beschränkt sich auf die obligatorische, jährliche Fahrt nach Bad Nenndorf oder nach Dresden, zu einem der größten Nazi-Aufmärsche Europas, auf diverse andere Nazi-Aufmärsche, auf das Kleben von Aufklebern menschenverachtenden Inhalts oder Internetaktivität.

Zu unterschätzen sind diese Nazi-Umtriebe jedoch nicht: Erinnert sei an den äußerst brutalen Überfall von Kevin Schnippkoweit, eines bekannten Neonazis, auf ein Solid-Zeltlager am Neunhainer-See im Juli 2008 oder die Angriffe auf das Heim der „Falken“ in Berlin, die DGB-Kundgebung am 1. Mai in Dortmund und die aus Dresden heimkehrenden DGB-Busse 2009, wo bei Letzterem ein Antifaschist ebenfalls lebensgefährlich verletzt wurde. Die Nazis sind bestrebt die organisierte Arbeiter*Innenbewegung zu zerschlagen, ihr rassistisches, sexistisches, überwiegend homophobes und antisemitisches Weltbild gewalttätig in die Tat umzusetzen – und dies mit bedrohlich steigender Tendenz.

Doch diese offensichtlichen neofaschistischen Umtriebe sind nur die Spitze des Eisbergs. Mit der sich vertiefenden Krise des kapitalistischen Systems bedarf es zur Festigung von Herrschaft bekannterweise der Palette ausgrenzender Konstruktionen. Dort schließt die Ideologie der Neo- und Altnazis an. Die braunen Schläger beziehen ihre Selbstlegitimation aus dem alltäglichen strukturellen Rassismus und aus dem Rassismus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Gibt es gegen die ewig Gestrigen und die Neonazis noch eine breite gesellschaftliche Mehrheit, stimmen jedoch manchen ihrer Aussagen immer mehr gesellschaftliche Gruppen hinter vorgehaltener Hand und seit Sarrazin auch offener und dreister zu, fallen Chauvinismus, Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus auf immer fruchtbareren Boden.

Sarrazin, Ex-Bundesbankvorstand und SPD-Mitglied, lieferte mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ein Musterbeispiel für sozial-rassistische Hetze mit all ihren instrumentellen Funktionen. Die mediale Inszenierung, trotz zur Schau gestellter Empörung, war Anknüpfungspunkt für einen Diskurs über „Rassenlehre“, „Sozialgenetik“ und Islamhetze, über Faulheit, Unfähigkeit und Integrationsverweigerung. Ein Diskurs, der bestens geeignet war, die verordneten Sparpakete, die Abwälzung der Krisenlasten auf sozial benachteiligte Gruppen ohne effektiven Widerstand durchzusetzen und nebenbei die Schleusen für Hetze gegen Arbeitslose, Migrant*innen und Muslime quer durch die Republik zu öffnen. Mit dem Ergebnis, dass sich alte und neue Nazis wieder einmal als die konsequente Fortsetzung der Meinung der Gesellschaft präsentieren können.
Auch Kriege im Namen von Demokratie und Menschenrechten, Waffenlieferungen selbst an zutiefst menschenverachtende und reaktionäre Regime, führen diese Logik fort. Dort setzen die Nazis mit ihren verlogenen Antikriegsparolen und vorgeblichem Antikapitalismus an. Sind jedoch durchaus bereit, deutsches Blut für die Interessen des deutschen Imperialismus zu vergießen. Ihr proklamierter Antikapitalismus reduziert sich auf die Trennung in gutes, deutsches, schaffendes und kosmopolitisches, „jüdisches“, raffendes Kapital. Ganz ähnlich der Logik gesellschaftlich anerkannter oder selbsternannter Krisenkenner, die die kapitalistische Verwertungskrise der Gier der Manager und Banker oder den Ratingagenturen in die Schuhe schieben und so ebenso von Ursache und Wirkung ablenken.
Die kapitalistische Verwertungslogik drückt sich in einer rassistischen Asyl- und Ausländer*Innenpolitik aus. Flüchtlinge werden an den Grenzzäunen der Festung Europa abgewiesen, Tausende Menschen sterben jährlich bei dem Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Wer es trotzdem bis nach Deutschland schafft, doch dem deutschen Kapital nicht nutzt, wird in Abschiebeknästen, Lagern und Ausländer*Innenheimen unter unmenschlichen Bedingungen kaserniert oder sofort wieder abgeschoben. So scheint es für die Nazis nur logisch, Flüchtlinge vom „deutschen Boden“ fernhalten zu wollen. Das Motto „Die Nazis morden, der Staat schiebt ab …“ hat erschreckende Immanenz.
Also: Wer vom Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen. Faschismus ist kein „Betriebsunfall“, keine „Entgleisung“, er ist auch nicht einfach ein „Verbrechen“, das mit moralischer Bewertung entsorgt werden kann. Faschismus ist eine politische Bewegung, die aus der Krise des Kapitalismus selbst erwächst und dazu des Versagens der Führung der Arbeiter*Innenbewegung bedarf. Seine Funktion für den Kapitalismus besteht vor allem in der Zerschlagung der organisierten Arbeiter*Innenbewegung. Er ist eine reaktionäre Massenbewegung, die das wild gewordene Kleinbürgertum unter tatkräftiger Mithilfe des Lumpenproletariats bis hin zu den rückständigsten Schichten der Lohnabhängigen zum massenhaften Terror gegen die Arbeiter*Innenbewegung mobilisiert. Die Arbeiter*Innenorganisationen müssen bei Strafe ihrer Existenz die braune Gefahr durch ihre eigenen Selbstverteidigungsorgane zurückschlagen, über alle Partei- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg. Das ist Sinn und Wesen der Arbeitereinheitsfront.
Es kann und darf von uns dabei nie Vertrauen in den bürgerlichen Staat geben, dessen Polizeiapparat Faschisten schützt und den Widerstand bekämpft. Auf den bürgerlichen Staat und seine Exekutive sowie Rechtsprechung zu vertrauen,  ja ihn zum Verbot der Faschisten aufzufordern, kommt nicht in Frage. Eher nutzt er solche Appelle auf der Totalitarismusschiene und unterdrückt linke Organisationen. Der Faschismus wird nicht durch Verbote bekämpft, sondern allein durch Taten. Der bürgerliche Staat hält sich die Faschisten als strategische Reserve. Es ist zu befürchten, dass diese bei Bedarf als Fußtruppe gegen die Arbeiter*Innenklasse eingesetzt werden, dazu bieten sich die Faschisten an. Zudem beschäftigen sie permanent linke Zusammenhänge und Jugendliche und lenken damit von der Politik des Kapitals ab.
Wir können uns nur auf uns selbst verlassen und organisieren den antifaschistischen Widerstand aus der Einheit der Arbeiter*Innen, Arbeitslosen und Immigrant*Innen, der Schüler*Innen und Student*Innen mit dem Ziel, Umtriebe, Aufmärsche, Versammlungen und Aktionen von Nazis zu verhindern, ihr Selbstbewusstsein zu brechen und um die Angriffe der Faschisten gegen die Massen abzuwehren. Dies kann nur durch eine Einheitsfront aus allen antifaschistischen Kräften gelingen. Wir fordern die Führung der Arbeiter*Innenbewegung, den DGB, die SPD und die Linke
auf, sich mit ihrer Basis aktiv zu beteiligen. Organisieren wir demokratisch legitimierten Demonstrationsschutz gegen Angriffe von außen und Provokateure von innen. Planen wir militante Kundgebungen. Konstituieren wir ein Bündnis, dass eine strategische Planung entwickelt, die das Ziel verfolgt, mit handlungsfähigen Strukturen die Nazis jederzeit an Versammlungen zu hindern.
Begehen wir nicht die Fehler der radikalen Linken, die glaubt, ihre spezifische Form des Antifaschismus und Antikapitalismus durch besonders radikale Aufrufe verwirklichen zu können. Spezielle Vorgaben darin bewirken, nur diejenigen an Bord zu haben, die diesen expliziten Aufruf teilen. Appelle und Forderungen an die Klasse der Lohnabhängigen oder ihre Leitungsorgane kommen darin nicht vor. Diese, wenn auch in Teilen, verständliche Ablehnung ist in der Konsequenz ein großer Fehler. Die Reformisten nicht in Boot zu holen, heißt die Massen nicht mit ins Boot zu holen. Die Organisation von Selbstverteidigungsorganen, Demoleitungsstrukturen, gewählten Stuarts, die nach innen und nach außen, also auch gegen Provokateure, zu agieren imstande sind, die strategisch entscheiden können, wann es Sinn macht, Polizeiketten zu durchbrechen und dazu auch den notwendigen Rückhalt der Basis haben, das muss unser aller Ziel sein. Diese Sachen müssen klar sein. Diese Aufgabe haben sich viele radikale Teile der Bewegung nicht gestellt. Statt dessen sind sie oft versucht, durch radikale Formulierungen Aufrufe platzen zu lassen, sich im anderen Extremfall ohne eigene Aufrufe und eigenes Profil den Vorgaben anderer Organisationen unterzuordnen, oder ganz libertär, ein eigenes Süppchen zu kochen.
Wirksame Aktion braucht die überwältigende Mehrheit der Lohnabhängigen, deren Organisationen und vitale Interessen die Nazis angreifen. DGB, SPD, Linke, Sozialverbände müssen auf die Straße. Dazu müssen militante Antifaschist*’Innen aufrufen! Das müssen wir ihnen abverlangen. Und wir brauchen organisierte Gegenwehr mit demokratischer Struktur. Antiautoritärer Klamauk taugt nicht. Wachsende Teile der Nazis sind organisiert und damit im Vorteil. Wer sich jetzt noch damit zufriedengibt, sich unter dem Deckmantel der individuellen Freiheit auf die Szene zurückzuziehen und sich womöglich noch in ihr wohl zu fühlen, unfähig der Organisation und unfähig, Massenkräfte ins Boot zu ziehen, der riskiert bei Strafe seines Untergangs im mittleren Zeitabschnitt gegenüber den Faschisten hoffnungslos in der Minderheit zu sein. Wer diese Erkenntnisse nicht wahrnimmt, nimmt zwangsläufig in Kauf, den Nazis das Terrain zu überlassen.
Um uns gegen Nazis effektiv verteidigen zu können, brauchen wir Arbeitermilizen, d. h. Selbstschutzverbände aus Gewerkschafter*Innen, SPDler*Innen, Linken, Migrant*Innen, Student*Innen, der Jugend und der radikalen Linken. Gelingt es den organisierten Kräften, die Faschisten in ihre Schranken zurückzuweisen, ihre Strukturen zu zerschlagen, dann wird umso leichterer der Weg geöffnet für den strategischen Sieg über das Kapital.

Alle Macht den Räten.
Wehret den Zuständen!

Kommt zur Demo:  17. September 2011, 14 Uhr am Hbf Kassel

EA-Nr.: 0151 181 48 077