Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen! – Interview mit Raquel Silva (Liga Socialista Brasilen)

Rachel Silva ist Gründungsmitglied der „Liga Socialista“ (LS, https://www.ligasocialista.com/), der brasilianischen Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, und langjährige Aktivistin der LehrerInnengewerkschaft in Juiz de Fora. Sie beteiligt sich gemeinsam mit den GenossInnen der LS an der Vorbereitung der Demonstration zum 8. März und am Aufbau eines Komitees gegen die sog. „Rentenreform“ der Regierung Bolsonaro.

Frage: Wie hat sich der Putsch gegen Dilma auf die Lage der Frauen und sexuell Unterdrückten ausgewirkt?

Seit dem Staatsstreich 2016 haben die Angriffe auf Frauen und LGBTs zugenommen, als die Anti-PT-Welle zum Sturz von Präsidentin Dilma einsetzte. Dilma Rousseff selbst hat während ihrer Amtszeit viele machistische Angriffe erlitten, von einschlägigen Schmährufen im Maracanã-Stadion zur Eröffnung der FIFA-Weltmeisterschaft 2014 bis hin zu den berüchtigten pornografischen Aufklebern für Autos, die allgemein die Frauenwürde trafen.

Nach dem Putsch nahm die konservative, Anti-PT-Welle (PT: Arbeiterinnenpartei, Ex-Regierungspartei) zu. Der moralische Konservatismus gewann viel an Bedeutung, vor allem, als das Magazin „Veja”, eine der größten Zeitschriften des Landes, Vertreterin der Bourgeoisie und Organisatorin des Putsches, einen Artikel mit der neuen First Lady Marcela Temer (Ehefrau des damaligen Präsidenten Michel Temer) veröffentlichte, in dem die Eigenschaften von „schön, bescheiden und häuslich“ hervorgehoben wurden.

Während seiner Regierung wurde das Nationale Sekretariat für Frauenpolitik in das Ministerium für Menschenrechte übertragen und aus der Gruppe der Regierungsstellen entfernt. Dies war bereits ein Angriff, da es eine Errungenschaft auflöste, die eine Eroberung des Frauenkampfes vor dem Putsch 2016 darstellte.

Frage: Welche Rolle spielen dabei die konservative Rechte und Kirchen? Welche Rolle spielte Sexismus im Wahlkampf und welchen Widerstand gab es?

Diese konservative Welle, die von den evangelikalen Kirchen sehr stark angenommen und verbreitet wurde, gewann während des Wahlkampfes um den Präsidenten der Republik mehr Raum. Die Angriffe richteten sich gegen öffentliche Schulen und LehrerInnen, denen „Ideologentum“, Linkssein und sogar Pädophilie vorgeworfen wurden. Um die PT zu schlagen, wurden gefälschte Nachrichten über ideologische Indoktrination erstellt und verbreitet, wobei der Begriff „Gender-Ideologie“ entstand, und man die Bildungspolitik der PT-Regierung als einen Versuch denunzierte, die Kinder zu lehren, „schwul“ zu sein. Lügen über Schwulenkostüme in Schulen wurden durch soziale Netzwerke und WhatsApp verbreitet. Der Konservatismus hat einen heftigen homophoben Diskurs begonnen.

Im Kampf gegen diesen Angriff, gegen die Kandidatur von Bolsonaro brachte die auf einer Facebook-Seite gestartete Bewegung #elenão („er nicht“) feministische Kämpferinnen, Unabhängige, Hausfrauen, Männer in Brasilien und in der Welt zusammen. Millionen von Menschen sind auf die Straße gegangen, um #elenão zu sagen! Es war die größte Frauenbewegung in der Geschichte Brasiliens. Die Reaktion auf die Bewegung war eine Reihe von neuen Angriffen auf FeministInnen. Gewalttaten gegen Militante, Frauen und Schwule nahmen während der Wahlperiode zu, insbesondere zwischen den Wahlgängen.

Frage: Welche Verschlechterungen, welche Angriffe drohen unter Bolsonaro auf die Frauen und LGBT+-Menschen gegenüber der bisherigen Situation?

 Nach seinem Amtsantritt im Januar 2019 ernannte Jair Bolsonaro in der Mehrheit Männer zu Ministern. Von den 22 Ministerien stehen nur zwei unter der Leitung von Frauen: die Landwirtschaft, angeführt von einer rechtsextremen Vertreterin des Agrobusiness, aus der DEM-Partei (Democratas, Demokratinnen), und das neu gegründete Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte, dessen evangelikale Ministerin einen fundamentalistischen Diskurs gegen Abtreibung führt und in der politischen Szene mit absurden Aussagen, vor allem gegen Schulen und LehrerInnen, für große Kontroversen sorgt.

Mit einem Diskurs, der an Wahnsinn grenzt, setzt sie reaktionäre und ultra-konservative Ausrufezeichen, akzeptiert keine Geschlechterfragen und will Sara Winter dem Frauensekretariat voranstellen. Sara Winter, die sagt, sie sei ex-feministisch, brach mit dem Feminismus und gründete die Gruppe FEMEN in Brasilien, die von der sonstigen Frauenbewegung abgesondert agierte. Sie führte harte Angriffe auf feministische Bewegungen mit haltlosen Beschuldigungen und verteidigt ultrakonservative Positionen in der Frauenpolitik.

Wir leben in einem Moment der Angriffe an mehreren Fronten. Im Kongress werden wir durch Versuche, Rechte wie die seit 1945 garantierte Abtreibung in Fällen von Anenzephalie, Vergewaltigung und unsicheren Schwangerschaften zu beseitigen, attackiert. Schon früher wurden wir immer wieder in Alarmbereitschaft versetzt wie im Falle eines Gesetzentwurfs des ehemaligen Abgeordneten Eduardo Cunha (PdMDB, Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens).

Anfang Februar dieses Jahres präsentierte der Kongressabgeordnete Marcio Lambre von der PSL (Sozialliberale Partei Bolsonaros) zwei Gesetze, die unsere Rechte direkt angreifen. Ein Gesetzentwurf sieht ein Abtreibungsverbot unter allen Umständen und während der gesamten Schwangerschaft vor, außer wenn ein hohes Risiko für die schwangere Frau besteht, wobei die Bestrafung von ÄrztInnen einschließlich der Aberkennung ihrer Approbation vorgesehen ist. Das andere Projekt sieht das Verbot der Vermarktung und des Vertriebs von Verhütungsmitteln, der Pille am nächsten Tag, der Spirale mit Strafe für AnwenderInnen und Herstellerfirmen vor. Nach harter Kritik zog der Abgeordnete das Verhütungsprojekt zurück und wurde darüber informiert, dass Abtreibung wegen Vergewaltigung, Todesgefahr und Anenzephalie im Strafgesetzbuch durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vorgesehen ist. Er werde den Vorschlag entsprechend ändern, es bliebe aber sein Ziel, das Voranschreiten der Möglichkeiten der Abtreibung in Brasilien zurückzudrehen.

Die Regierung Bolsonaro hat außerdem gerade dem Kongress den Vorschlag zur „Reform der sozialen Sicherheit“ (des Versicherungssystems der Sozialrenten) übermittelt. Dieser Vorschlag ist nicht nur ein harter Angriff auf die Arbeit„nehmer“Innen im Allgemeinen, sondern bedeutet auch größere Verluste für Frauen, insbesondere für Landarbeiterinnen.

Frage: Hat Gewalt gegen Frauen weiter zugenommen?

Die Gewalt gegen Frauen in Brasilien erreicht absurd hohe Zahlen: 606 Überfälle, 135 Vergewaltigungen und 12 Morde pro Tag. Alle 2 Minuten werden in Brasilien 5 Frauen geschlagen. Das sind aktuelle Zahlen, aber sie zeigen nicht die Realität, weil viele Frauen Gewalt nicht anprangern.

In Brasilien, einem Land mit hohem Macho-Anteil, haben wir jetzt einen semifaschistischen Präsidenten, der immer gewalttätige Reden gegen Frauen gehalten, sie als minderwertig eingestuft hat und argumentiert, dass Frauen weniger verdienen sollten als Männer, weil er sagt, „sie werden schwanger“. Bolsonaro wurde verurteilt, um Entschädigung an die Kongressabgeordnete Maria do Rosário Nunes der PT zu zahlen, weil er sie in den Gängen des Repräsentantenhauses verbal angegriffen hat. Er sagte dort, er würde sie nicht vergewaltigen, weil sie es nicht verdient hätte, da sie zu hässlich sei.

Frage: Wie entwickelte sich die Frauenbewegung in den letzten Jahren?

Die Frauenbewegung wuchs während der PT-Regierungen. Kollektive im Zusammenhang mit dem „Weltweiten Marsch der Frauen“, dem Marsch der Margeriten – Bewegung der Bäuerinnen (Landfrauen der Felder, Wälder und Gewässer) –, Kollektive linker Parteien wie PSTU (Vereinigte Sozialistische Arbeiterinnenpartei), PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit), PCB (Brasilianische Kommunistische Partei; moskautreu auch nach 1956).  Dies erweiterte auch die Diskussion und Organisation von Frauen in CUT und PT. Kampagnen zur Verteidigung der Legalisierung von Abtreibungen haben Unterstützung von männlichen Sektoren erhalten. Der Feminismus gewann an Stärke und wuchs auf den Straßen. Mit der Wahl von Trump folgte die feministische Bewegung in Brasilien dem weltweiten Aufruf, der im Marsch gegen Trump gestartet wurde. Gewerkschaftliche Agenden wurden in die 8.-März-Tage aufgenommen. Die Frauenbewegung und -organisation ist zu einem Hindernis für Konservative geworden und belästigt die Macho-Gesellschaft.

Die Frauenbewegung begann mit dem Putsch, der Dilma Rousseff stürzte, unsicherer zu werden. Die Angriffe wuchsen, der Diskurs gegen den Feminismus gewann die sozialen Netzwerke und die evangelikalen Gruppen zusammen mit den Kirchen trugen noch mehr zu diesem Angriff bei.

Frage: Wie kann Widerstand erfolgreich sein? Welche Politik ist dazu nötig?

Was die Kämpfe der Frauen gegen diese Angriffe betrifft, so haben wir seit den Wahlen noch nicht viel Mobilisierung erlebt. Die Erwartung ist, dass nach dem Karneval die Bewegung wächst. Der Internationale Frauenstreik, der hier von mehreren Gruppen gegen die Reform des Sozialversicherungssystems gewendet wurde, wird für den 8. März vorbereitet. Die Mobilisierung in unserer Region ist allerdings schwach. Der 8. März fällt mit der Karnevalswoche zusammen, was es sehr schwierig macht, zu handeln.  Hier in Juiz de Fora kamen die Kollektive zusammen, um die 8M-Kämpfe zu organisieren, aber es gab einen Bruch. PCB, PSOL und PSTU brachen mit den Kollektiven, die mit dem „Weltweiten Marsch der Frauen“ und der PT verbunden waren. Sie machen getrennte Aktionen.

In diesem Moment schwerer Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, insbesondere auf Frauen, müssen wir uns mit einer antisexistischen und klassenorientierten Agenda organisieren, um die Aktionen gegen die Reform der sozialen Sicherheit zu verstärken und dieser illegitimen und semifaschistischen Regierung zu begegnen.

Wir werden weiterhin für unsere Rechte kämpfen, gegen die Reform der sozialen Sicherheit, für die Entkriminalisierung der Abtreibung, für ein Ende von Gewalt und Frauenmord!