Woher kommen eigentlich Verschwörungsideologien?

von J.J.Wendehals

Bei den “Querdenker”-Demos kommen aktuell so viele Leute auf die Straße wie sogar die Rassist_Innen von Pegida selbst zu ihren Hochzeiten nur hätten träumen können. Dabei handelt es sich zwar keineswegs um eine einheitliche Masse aus knallharten Faschist_Innen, aber es gibt doch ein ideologisches Dach, unter dem alle diese verschiedenen Leute (auf eine infektionspolitisch nicht vertretbare Nähe) zusammenkommen: Es handelt sich um (mal mehr und mal weniger) wilde Theorien darüber wie mystische Kräfte oder Personen die Geschicke der Welt lenken und sie gegen den “kleinen Mann” lenken, der sein einfaches Leben unterhalten will. Wir nennen diese Verschwörungsideologien.

Woran glaubt ein_e Verschwörungsideolog_In?

Typischer Weise richten sie sich gegen tatsächlich relativ einflussreiche Personen wie Konzernchefs (Bill Gates) oder Regierungsangehörige (Merkel, Obama) aber es gibt auch weitaus phantastischere Ziele (Echsen, außer- oder überirdische Wesen) und offen rassistische (Juden und Jüdinnen, Geflüchtete). In den einzelnen Theorien sind dann diese verschiedenen Feindbilder oft miteinander kombiniert und verflochten wie z.B. im Fall von antisemitischen Verleumdungen des George Soros (ein Investor jüdischer Abstammung, der sein Vermögen auch für Bildungs- und bürgerrechtliche Zwecke einsetzt) oder wenn behauptet wird Bill Gates (eigentlich ein getarntes Echsenwesen) stehe hinter der Coronapandemie, um damit Geld in die Taschen der Pharmakonzerne zu lenken, an denen er beteiligt ist. So absurd und lächerlich diese Theorien einstweilen wirken, so real sind aber offenbar doch ihre Auswirkungen und Hintergründe, dafür sind die Mobilisierungen in Berlin nur der aktuellste von vielen Belegen. Schon der Hitlerfaschismus verband seinen Antikommunismus mit antisemitischen Motiven, wenn er die Gefahr einer “bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung” an die Wand malte und hatte am Ende den unfassbaren Terror von Zweitem Weltkrieg und Shoah zur Folge. Wir wollen also in diesem Text das Phänomen ein wenig analysieren.

Was ist die ideologische Struktur der Verschwörungstheorien?

Auch wenn Bebel sagte, Antisemitismus sei der “Sozialismus der dummen Kerls”, beschränken Verschwörungsideologien sich nicht darauf Hirngespinste “dummer” Menschen zu sein. Als Ausgangspunkt haben sie tatsächlich oft eine reale Ungerechtigkeit der kapitalistischen Verhältnisse, so z.B. die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich, die Profitmacherei in der Pharmaindustrie, Arbeitslosigkeit oder das zu Grunde gehen von kleinen Unternehmen. Jedoch bleiben sie unfähig die systematischen Ursachen dieser Missstände in der Struktur des Kapitalismus’ zu erkennen. Stattdessen greifen sie zu vereinfachten Modellen, die allerdings jene mystischen Elemente benötigen, um eine lückenlose “Argumentation” bilden zu können. Wenn beispielsweise nicht erkannt wird, dass die kapitalistische Konkurrenz die Kapitalist_Innenklasse dazu zwingt, ihre Profite immer weiter zu maximieren oder unterzugehen, dann muss das Verhalten der Konzerne in dem bösartigen Charakter liegen, den gewisse Personen haben sollen, die für diese Konzerne verantwortlich gemacht werden. Oder eben darin, dass diese Personen von Echsen kontrolliert werden usw. usf. Dies ist auch oft ein Punkt, an dem Antisemitismus Einzug erhält in jene Ideologien, da das Bild vom “gierigen Juden”, der für seine eigenen Ziele bereit ist “die ganze Gemeinschaft” zu betrügen, schon seit vielen hundert Jahren genutzt wird, um die verschiedenen Formen des Judenhass’ zu begründen, die über die Geschichte aufgetreten sind. So auch die Nationalsozialist_Innen, die unterschieden zwischen einem “schaffenden” Kapital und einem (jüdischen) “raffenden” Kapital, das für die kapitalistischen Missstände wie Arbeitslosigkeit und insbesondere die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er verantwortlich sei. Seitdem sind Wirtschaftskrisen, die die kapitalistischen Widersprüche auf die Spitze treiben, immer wieder ein fruchtbarer Nährboden für Verschwörungsideologien gewesen, der seine Wirksamkeit besonders dann entfalten kann, wenn durch Schwäche und Niederlagen der Linken Raum dafür gemacht wird (Was hat eigentlich die Linkspartei zum Coronamanagement der Bundesregierung zu sagen?).

Es sei an sich durchaus möglich, so ist das Fazit dieser Theorien, ein gutes Leben im Kapitalismus zu führen, wenn nicht gewisse böse Elemente vorhanden wären, die dem immer wieder entgegen wirken, entweder durch Zersetzung von innen oder Fernsteuerung von außen. Demnach ist die logische Konsequenz auch nie der vollständige Umsturz des kapitalistischen Systems, sondern immer nur die Beseitigung dieses oder jenes spezifischen Phänomens, das für alles Übel verantwortlich sei, wie einzelne Kapitalist_Innen, die Jüdinnen und Juden oder Geflüchteten. Um das zu erreichen werden Appelle an den Staat gerichtet (z.B. Merkel und Spahn sollen vor Gericht) und im schlimmsten Fall wird zu „Selbstjustiz“ gegriffen wie bei dem Anschlag in Halle.

Welches Sein steht hinter diesem falschen Bewusstsein?

Als Marxist_Innen spielen für uns jedoch nicht nur die ideologischen Merkmale einer Bewegung eine Rolle, sondern vor allem auch die Frage, wer vertritt diese Ideologie und in welchem Zusammenhang steht sie zu den materiellen Verhältnissen, mit einem Wort was ist ihr Klassencharakter? Zwar ist die Soziologie der “Hygienedemos” noch wenig erforscht, allerdings zeichnet sich eine Tendenz ab, die auch bei NSDAP und gewissen Teilen der AfD zu beobachten ist. Neben besonders prekarisierten Teilen der Arbeiter_Innenklasse wird der hauptsächliche Anteil durch das Kleinbürger_Innentum ausgemacht, also z.B. Besitzer_Innen von kleinen Läden oder Betrieben aber auch Selbstständige im Handwerk, in der Gastro- oder Kulturbranche. Das Kleinbürger_Innentum steht im Kapitalismus zwischen den Fronten der beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. Es kann daher auch kein konsistentes Klasseninteresse entwickeln, sondern schwankt vielmehr die ganze Zeit zwischen den beiden Polen von Bourgeoisie und Proletariat. Wenn sich ihm auch immer wieder kleine Nischen öffnen, in die das große Kapital (noch) nicht vorgedrungen ist (Beispiele sind bei Start-Ups oder im Dienstleistungssektor zu finden), so ist es doch der Konkurrenz eines großen Konzerns niemals gewachsen. Insbesondere in Krisenzeiten ist es anfällig, es fehlen ihm Verteidigungsmittel wie Rücklagen und viele werden zerrieben und in das Proletariat hinabgedrückt.

Möglich ist dann, dass Teile von ihm sich der Arbeiter_Innenbewegung anschließen, die gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Bevölkerung ankämpft. Da das Kleinbürger_Innentum nämlich nicht nicht nur Produktionsmittel besitzt, sondern sich gleichzeitig auch selber ausbeuten muss, kann ihre Situation nur so positiv aufgelöst werden. Aber diese Möglichkeit besteht natürlich auch nur, falls so eine Bewegung überhaupt existiert und es schafft ein revolutionäres Programm aufzuwerfen. Andernfalls können daraus große reaktionäre Bewegungen werden, die gefährlich sind für die Arbeiter_Innenklasse und alle anderen unterdrückten Gruppen.

Keinen Boden, keine Straße den Rechten!

Als Revolutionär_Innen ist es also unsere Aufgabe für die Entstehung jener linken Bewegung einzutreten. Wir müssen die Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien unter Druck setzen, dass sie linke Antworten auf die Angriffe der Herrschenden formulieren und für diese auf die Straße gehen sollen, anstatt sich klein zu machen und die Interessen der eigenen Basis zum Teilbedürfnis der Konzerne zu pervertieren, wie es die IG Metall vormacht, wenn sie sich für die unsägliche Abwrackprämie einsetzt.

Jenen Verschwörungsideologien muss aber eine Bewegung der Arbeiter_Innenklasse eine unmissverständliche Absage erteilen. Den Rechten und Verwirrten sollten wir jetzt vor allem keinen Raum auf der Straße lassen. Blockieren wir sie, wo sie mobilisieren und bauen wir dabei eine Gegenbewegung auf, die die Fragen der Krise von links beantwortet!

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