Solidarität mit der Wuhli! Der Kampf geht weiter!

Das Bild noch vorgestern: Von der S Bahn Wuhlheide in Berlin führt ein kleiner Trampelpfad an der Straße entlang. Ein Transpi begrüßt Ankommende am Waldweg, der zur angemeldeten Mahnwache führt. Dort gibt es Essen, Menschen machen Pause und unterhalten sich. Etwas weiter hinten steht das Tripod „Vogelnest“, auf dem Menschen in Hängematten schlafen können. Auf einem anderen Weg steht die „Biberburg“, ein zweites Tripod. Auf den Wegen werden Barrikaden gebaut, Plattformen gezimmert und Löcher gebuddelt. Im Wald hängen Baumhäuser, Hängematten und Traversen in Bäumen. Aber, wenn es nach der neuen Berliner Regierung und ihrem Koalitionsvertrag geht, sollen dieser einer Straße weichen. Am Freitag dem 12.5.2023 besetzten Aktivist_Innen darum ein Waldstück in der Wuhlheide. Bis zur gestrigen Räumung befanden sich konstant etwa zwischen 40 und 200 Menschen im Wald und bauten Strukturen auf. Denn von Biesdorf nach Köpenick ist eine 6,4 Kilometer lange Straße geplant.  

Verkehrswende oder Straßenbau?

Erste Pläne für diese Tangentiale-Verbindung-Ost (TVO) gab es schon in DDR-Zeiten. Seit 2020, über 60 Jahre später und allen Versprechen von besserer Klima- und Verkehrspolitik zum Trotz, läuft nun ein Planfeststellungsverfahren. Während die Rot-Grün-Rote Regierung, um dem Straßenbau einen grünen Anstrich zu verleihen, außerdem eine Schienenverbindung und eine Radschnellstraße plante, sollen die 16,4 ha Wald (davon 4,2 ha wertvoller Eichenwald) unter SPD und CDU einer vierspurigen Schnellstraße weichen. In Zeiten, die eine Verkehrswende dringend nötig machen, ist das nicht nur verheerend, weil dafür Wald verschwinden soll und auch die Natur in der Umgebung nachhaltig geschädigt werden wird. Straßen, die zur Entlastung anderer Verkehrswege gebaut werden, sorgen erwiesenermaßen für mehr Lärmbelästigung und bis zu 20% mehr Verkehr, weil die Wege einfacher und die Autos attraktiver werden, damit also auch für mehr CO2 Ausstoß. Besonders ironisch: Berlin hatte das Waldstück eigentlich aufgekauft, um damit in Zukunft die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Eigentlich ist die Wuhli damit durch die Wasserschutzverordnung geschützt. Während also Wasser überall immer knapper wird, soll das Grundwasser unter der Wuhlheide verseucht und versiegelt werden. 

Träumen in Bäumen

Die Aktivist_Innen in der „Wuhli“ möchten sich gegen den Straßenbau stellen und die Bäume mit ihren Körpern schützen. Es finden sich vor allem Personen aus dem anarchistischen Spektrum und vereinzelt aus Teilen der Umweltbewegung. Die Besetzung versteht sich als queerfeministisch, Regeln gibt es fast keine. Doch schon zu Beginn der Besetzung war klar: Wahrscheinlich ist das hier vor allem ein Statement und ein Zuwachs an Kosten, der auf den Straßenbau draufkommt. Denn die Waldbesetzung ist kein Streik oder Massenprotest, sie ist darauf angewiesen, dass die Politik sich kooperationswillig zeigt. Unter Beteiligung der CDU, die schon zur Wahl mit einem „Berlin für Autofahrer“ und einer Politik des Hartdurchgreifens geworben hat, ist das erwartungsgemäß aussichtslos, Gespräche kommen nicht zustande. Trotz Eilklage haben die Bullen gestern Morgen schon mal mit der Räumung losgelegt, ohne diese abzuwarten. Räumpanzer rollen über Barrikaden, Aktivist_Innen harren in Bäumen aus und lassen sich von Klettereinheiten abseilen. Immer wieder kommt es zu Polizeigewalt und fahrlässige Gefährdung von Aktivist_Innen. Völlig überzogen wurden Veranstaltungen in der Nähe der Wuhli bis September verboten. Eine Kundgebung am S-Bahnhof mit etwa 80-100 Menschen, darunter ein paar unserer Genoss_Innen, wurde dann doch noch genehmigt. Mittlerweile wurden alle Strukturen zerstört und einige Aktivist_Innen kamen in die GeSa. Wir stehen in voller Solidarität mit allen Betroffenen gegen die brutale Gewalt, die die Polizei gestern wieder einmal an den Tag legt!

Forderungen und politische Perspektiven

Über den unmittelbaren Kampf um den Wald rücken die konkreten Forderungen der Besetzung etwas in den Hintergrund. Dabei sind diese durchaus sinnvoll und unterstützenswert. Die Aktivist_Innen fordern:

  • den Sofortigen Bau- und Planungsstopp der Tangentialverbindung-Ost und der A100
  • den Schutz und Erhalt aller Wälder
  • die Umwandlung von Straßen in sichere Fuß- und Fahrradinfrastruktur
  • einen kostenlosen und flächendeckenden öffentlichen Personennahverkehr
  • Klimagerechtigkeit und das gute Leben für alle weltweit
  • Stadt für alle, anstatt für Autos. Das heißt eine klimagerechte und ökologische Stadt, die niemanden ausgrenzt
    • selbstverwalteter Wohnraum
    • Inklusive Stadtplanung

    • Wohnraum für alle

Diese Forderungen unterstützen wir, haben aber keinerlei Illusionen, dass der bürgerliche Staat irgendein Interesse daran hätte, sie umzusetzen. Die Besetzung und der darum bestehende, leider vorwiegend auf „die Szene“ beschränkte Protest stellen für die Stadt zwar ein Hindernis dar aber keineswegs ein unüberwindbares, wie der gestrige Tag schmerzhaft beweist.

Dass der Staat nicht vor einer gewaltsamen Räumung zurückschreckt, lässt sich damit erklären, dass er im Interesse des Großkapitals handelt, das sich in Deutschland zu großen Teilen in der Automobilindustrie befindet. Unter den 10 größten Unternehmen Deutschlands finden sich gleich drei Automobilhersteller (Volkswagen Vz., Mercedes-Benz Group und BMW). Das deutsche Kapital und als sein allgemeinter Interessenerhalter, der deutsche Staat, haben also keinerlei Interesse an einer Verkehrswende, schon gar nicht einer sozialen. Von ihnen ist keine reale und ausreichende Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel zu erwarten, ganz im Gegenteil.

Genau darauf ist die Besetzung aber angewiesen. Denn sie genügt nicht dem Anspruch, die Forderungen selbst umzusetzen, die Politik selbst in die Hand zu nehmen, sondern kann nur die bestehende Politik und den Staat etwas unter Druck setzen. Eine wirkliche Verkehrswende kann aber nur unabhängig von Kapitalinteressen, also demokratisch von den Beschäftigten kontrolliert stattfinden. Stell dir vor es ist Schnellstraßenbau und keine_R geht hin: Es braucht flächendeckende, politische Streiks, besonders im Verkehrssektor, um die Zerstörung unseres Planeten aufzuhalten. Für die Klimabewegung bedeutet das, sich Schulter an Schulter mit den Arbeiter_Innen in gemeinsamen Kämpfen zu stellen. Forderungen aufzustellen, die den Arbeiter_Innen die Kontrolle über ihre eigene Arbeit geben und eine Politik zu verfolgen, die Arbeiter_Innen, auch in umweltschädlichen Sektoren, nicht nur eine Zukunftsperspektive bereithält, sondern ihnen die Zukunft in die Hände legt.

Darum möchten wir zu den Forderungen der Besetzung hinzufügen:

  • Umwandlung der Verkehrspolitik, Ausbau des Nahverkehrs und Verwaltung von Wohnraum unter Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Umschulung für in der Autoindustrie und Straßenbau Beschäftigten hin zu nachhaltigem, öffentlichen Personentransport bei vollem Lohnausgleich!
  • Enteignung von VW und Co. sowie Straßenbaufirmen unter Arbeiter_Innenkontrolle!



Gegen die Angriffe auf die Versammlungsfreiheit – Solidarität mit der palästinensischen Befreiungsbewegung

Von Clay Ikarus, Mai 2023

Bereits im letzten Jahr wurden sämtliche Aktionen rund um den Mord an Shireen Abu Akleh und dem Nakba-Tag von der RGR-Regierung in Berlin verboten. Dies stellte einen massiven Angriff auf die Versammlungsfreiheit dar. Getroffen wird die palästinensische Community, die so auch hierzulande in ihrem Kampf gegen ihre Unterdrückung kriminalisiert, verfolgt und zum Schweigen gebracht wird. Dagegen müssen wir geschlossen vorgehen, nicht nur weil der Befreiungskampf der Palästinenser_Innen die internationale Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten bedarf, sondern auch, weil diese Eingriffe in unsere Versammlungsfreiheit alle treffen können. Wir hatten bereits im letzten Jahr über die Verbote berichtet und gemeinsam mit anderen Organisationen versucht dagegen vorzugehen. Auch in diesem Jahr gehen die Angriffe des Berliner Senates aus SPD und CDU weiter. Einige Veranstaltungen wurden bereits verboten, sowie alle Ersatzveranstaltungen zwischen dem 13. und 15. Mai. Zudem sind weitere bereits angemeldete Pro-Palästinensische Veranstaltungen in der Versammlungsbehörde nicht aufgelistet, weshalb wir Sorge haben, dass auch diese verboten werden.

Wieso ist der Nakba-Tag so wichtig?

Nakba bedeutet Katastrophe auf Arabisch. Der Tag ist ein internationaler Gedenk- und Kampftag und beschreibt die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem historischen Gebiet Palästina mit der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948. So wurde die zionistische Idee von Theodor Herzl, einen mehrheitlich jüdischen Nationalstaat zu errichten, mit Gewalt umgesetzt. Palästina befand sich vorab unter kolonialistischer Verwaltung Großbritanniens (1929-1948), welches den Zionismus unterstützte. Die Lage hat sich im historischen Gebiet Palästina seitdem natürlich verändert. Die verbreitete Idee der Zweistaatenlösung, also dass ein palästinensischer und ein israelischer Staat koexistieren sollen, scheitert zunehmend. Heute gibt es isolierte und mehr oder weniger „autonome“ palästinensische Gebiete, also der Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem. Doch auch die werden immer weiter verdrängt durch die Siedlungspolitik und militärischen Angriffe Israels. Gegen die Vertreibung von bis jetzt ca. 5 Millionen Palästinenser_Innen und die Kolonialpolitik Israels gab es zwei große Volksaufstände (Intifadas).

Aktuelle Lage

Allein im letzten Jahr sind 167 Palästinenser_Innen ermordet worden und in den ersten 4 Monaten dieses Jahres sind es bereits 83 Tote. Amnesty International attestiert Israel die Klassifizierung als Apartheidsstaat nach UN-Recht, weil es de facto zwei Klassen an Staatsbürger_Innen gibt und die palästinensische Bevölkerung rassistisch weitgehend entrechtet ist. Ihr Leben wird oft mit einem Leben in einem Freiluftgefängnis verglichen, sie sind ständiger Gefahr von Schikane, Vertreibung, Gefangenschaft und Ermordung ausgesetzt. Während in Palästina der Widerstand gegen die israelische Apartheid hochkocht und sich auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nicht mehr kontrollieren lässt, demonstrieren gleichzeitig über 100.000 Menschen allein in Tel Aviv gegen die demokratiefeindlichen Reformen der Regierung Netanjahus. Eine Verbindung der Kämpfe bleibt jedoch aus – nicht zuletzt, weil die Bewegung gegen die reaktionäre Regierung selbst den Kampf für die demokratischen Rechte der Palästinenser_Innen letztlich ablehnt. Doch genau dies wäre nötig, um das zionistische Regime zu überwinden und zu einer friedlichen Lösung im Nahen Osten zu kommen: Ein gemeinsamer Kampf gegen den rassistischen und kapitalistischen Apartheidsstaat, für einen säkularen sozialistischen Staat unter Kontrolle der Menschen, die heute im Gebiet des historischen Palästinas leben!

Wieso das Verbot? Wieso dagegen kämpfen?

Hier im ach so demokratischen Deutschland wäre so ein gemeinsamer Kampf zwischen palästinensischen und israelischen Ausgebeuteten und Unterdrückten gegen den zionistischen Staat leicht umzusetzen und findet in Ansätzen bereits statt. So wurden in der Vergangenheit Pro-Palästinensische Veranstaltungen auch von jüdischen Aktivist_Innen und Organisationen unterstützt. Immer wieder stellen Veranstalter_Innen klar, dass sie nicht gegen die Jüd_Innen kämpfen, sondern gegen den Zionismus und sprechen sich deutlich gegen jeden Antisemitismus aus. Doch es gibt auch Gegenwind seitens zionistischer Pro-Israelischer Kräfte sowie der Bundesregierung Deutschlands, die jede Kritik an Israel gerne mit Antisemitismus gleichsetzen, während sie die eigentliche Gefahr durch Verschwörungstheoretiker_Innen und rechte bis faschistische Netzwerke bis in Polizei und Bundeswehr ignorieren. Auch selbsternannte Linke, die den israelischen Staat trotz der reaktionären Politik verteidigen, stellen sich gegen palästinensische Organisationen, hetzen mit pauschalen Antisemitismusvorwürfen gegen sie und versuchen, sie aus den wenigen linken Räumen zu verdrängen. Tragischerweise bewegen sich innerhalb des palästinensischen Widerstands teilweise auch antisemitische Kräfte, die den Kampf gegen Israel zu einem Kampf gegen Jüd_Innen erklären wollen. Diese müssen zum einen isoliert werden, zum anderen dürfen sie keinen Vorwand für eine Pauschalisierung von Palästinasolidarität darstellen! Der größte Teil der palästinensischen Befreiungsbewegung bekämpft Israel aus der puren Not und nicht aus Antisemitismus. Für uns ist klar: Antisemitismus können wir nur für immer beenden, wenn wir das kapitalistische krisenhafte System überwinden und bis dahin müssen wir immer und überall sowohl gegen Antisemitismus als auch Zionismus kämpfen.

So gibt es in der Bewegung nicht erwünschte Personengruppen, die antisemitische Äußerungen von sich geben, so auch in Berlin, wo auf einer Pro-Palästinensischen Aktion eine Person „Tod Israel! Tod den Juden!“ gerufen hat. Während von Lautsprecherwagen und Ordner_Innen klar gegen diese Personen vorgegangen wird und die Menschen aus den Aktionen dauerhaft ausgeschlossen werden, nutzt die Berliner Regierung dies, um die komplette palästinensische Bewegung zu kriminalisieren und in ihrer Versammlungsfreiheit einzuschränken. Das Argument ist, dass es zu möglichen volksverhetzenden Straftaten kommen kann. Wir erinnern uns, dass 40.000 Coronaleugner_Innen mit gelben Sternen, Reichskriegsflaggen und Hitlergrüßen, sich mit den schrecklichen Schicksalen von Jüd_Innen in Konzentrationslagern vergleichend von der Polizei begleitet durch die Straßen geleitet wurden und das ohne eine genehmigte Anmeldung der Demonstration. Dies zeigt erneut auf, auf wessen Seite der deutsche Imperialismus steht. Es geht um die außenpolitischen Interessen und nicht um die Bekämpfung von Antisemitismus.

Es ist nun das 2. Jahr in Folge, dass die Verbote durchgesetzt werden. Ohne einen entschlossenen Kampf in den Schulen, Unis und Betrieben sowie auf der Straße gegen die Einschränkungen unserer Versammlungsfreiheit werden weitere dieser Angriffe stattfinden. Daher lasst uns gemeinsam dagegen organisieren und uns nicht nur verteidigen, sondern auch in die Offensive übergehen!

Wir fordern:

  • Sofortige Rücknahme der Versammlungsverbote für Palästinenser_Innen jetzt und auch in Zukunft!
  • Solidarität mit der palästinensischen Befreiungsbewegung, hier und international! Für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina!
  • Freiheit für alle politischen Gefangenen! Schluss mit der Kriminalisierung palästinensischer und kurdischer Organisationen!
  • Offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für Alle!



EndFossil:Occupy – Besetzen gegen die Klimakrise!

Von Lia Malinovski, Mai 2023

Seit dem 2. Mai sind deutschlandweit mehrere Besetzungen an Schulen und Unis im Gange oder geplant. In Berlin startete End Fossil: Occupy! am Dienstag, den 2. Mai, der Emil Fischer Hörsaal der Humboldt Universität wurde besetzt! Mittlerweile wurde sich dort entschlossen, die Besetzung zu beenden. In Hamburg begann die Besetzung des Hörsaals am Von-Melle-Park 9 (VMP9) der Universität Hamburg am Mittwoch und hält bis heute an. Seitens des Präsidiums der Uni war die Besetzung zunächst bis Montag den 8. Mai geduldet. Wie lange die Besetzung nun noch durchhält, ist von mehreren Faktoren abhängig. Darunter die Motivation der Besetzenden und deren Errungenschaften. Die aktuelle Besetzungswelle ist aber nicht nur in Deutschland, sondern international: Neben Besetzungen in Spanien und Italien finden auch Aktionen in Portugal und Tschechien statt.

EndFossil: Occupy! (EFO) wirft mit seinen Besetzungen erneut die Frage nach der Strategie und der Neuaufstellung der Umweltbewegung in Deutschland und international auf. Mit Antikapitalismus und der Aktionsform der Besetzung sollen neue Gruppen angesprochen werden und die Stagnation der Umweltbewegung, die sich besonders an FFF zeigt, überwunden werden. Damit ist EFO nicht alleine: Ende Gelände, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation versuchen das ebenfalls, jeweils ihre andere Art und Weise und mal mehr, mal weniger erfolgreich. Alle EFO haben aber eine Problematik gemeinsam: Obwohl in Teilen ein gewisser Antikapitalismus vertreten ist, gibt es keine Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus. Es wird an die Politik appelliert oder schlicht zur Organisierung und „Überwindung der Verhältnisse“ aufgerufen, ohne dabei ein klares Ziel oder Weg dorthin zu formulieren. Um das zu verdeutlichen, wollen wir hier auf einige Forderungen von EFO Bundesweit eingehen: „Energieproduktion vergesellschaften!“. Im Erklärungstext zu der Forderung sieht EFO, dass die Konzerne den kurzfristigen Profit an erster Stelle sieht, auch wenn dabei die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört werden.

Sie erkennen richtig, dass die Produktion in den Händen von einzelnen Konzernen und deren Bossen nicht im Interesse der Mehrheit, besonders der Arbeiter_Innen ist. Aber geht es darum, das zu verändern, schließen sie sich der Forderung „RWE&Co. Enteignen“ an. Dabei ersetzen sie den Begriff Enteignung durch Vergesellschaftung, klären aber nicht die Frage der Kontrolle. In den Händen des Staates wird die Energieproduktion nicht im Interesse der Mehrheit, dem Proletariat, organisiert, sondern zur Sicherung der Profite anderer Wirtschaftsbranchen, siehe hier Vattenfall. Damit ist es auch keine Forderung, die im Interesse der Umweltbewegung ist: Denn Profite für wenige gehen immer auf Kosten der Mehrheit, ohne Rücksichtnahme auf die Umwelt. Die Forderung muss also durch die Frage der Kontrolle über die (Energie) Produktion ergänzt werden. Wir schlagen hier vor, dass Konzerne wie RWE und Co unter demokratische Kontrolle der Beschäftigten enteignet wird, realisiert durch die Organisierung der Arbeiter_Innen in Betriebskomitees.

Auch wenn wir Kritik an den Forderungen haben, die nicht weit genug gehen, sind sie ein großer Schritt in die richtige Richtung: Denn während FFF und die Letzte Generation an die Politik auffordern, geht EFO den Schritt weiter zu sagen,, dass reines Appellieren nicht reicht! Sie machen deutlich, dass es Selbstorganisierung braucht in Form von Streiks und Besetzungen, an Schulen und Unis und langfristig auch im Betrieb!

Wie muss es mit den Besetzungen weitergehen?

Die Berliner Besetzung hat sich mittlerweile aufgelöst, die Hamburger Besetzung geht in die Verhandlungen und Besetzungen in anderen Städten beginnen erst jetzt. Optimalerweise hätten sich die Städte konsequent abgesprochen sollen, dass alle Besetzungen gleichzeitig starten, aber das ist bei einer jungen Bewegung nicht immer leicht. Es hätte jedoch eine bundesweite Planung gebraucht, die das gesamte Geschehen koordiniert und in Verhandlungen nicht nur als absprechende Position, sondern auch als leitende fungiert. Damit könnte die Einhaltung der Forderungen kontrolliert, und die Aufmerksamkeit für die Besetzungen entscheidend erhöht werden.

Für die Berliner Besetzung gilt einerseits, dass sich das Bündnis ausweiten sollte und auf erneute Besetzungen vorbereiten muss, bis die Forderungen erfüllt sind. Für Hamburg und die jetzt Startenden gilt andererseits, dass sie sich vor der Uni nicht klein machen dürfen, sondern auf ihren Forderungen beharren müssen! Aber sie müssen sich auch mit den studentisch Beschäftigten vereinen, denn wenn die anstehenden Streiks noch mit den Besetzungen verbunden werden, kann die Uni nicht länger wegsehen oder die Besetzung isolieren! So können die Verhandlungen rund um TV Stud eine Möglichkeit sein sich aktiv mit den Beschäftigten, zunächst denen an der eigenen Uni, zu solidarisieren und gemeinsam zu kämpfen! Deren Forderungen durch Besetzungen zu untermauern und sie gleichzeitig als Verbündete im Kampf für Klimagerechtigkeit zu gewinnen! Außerdem ist es zentral sich auch mit Arbeiter_innen aus anderen Bereichen in Verbindung zu setzen, wie es zwischen den ÖPNV-Streikenden und linken Ortsgruppen von Fridays for Future bereits geschehen ist! Denn nur gemeinsam mit den Arbeiter_innen ist es möglich die Kraft zu erlangen, die es braucht, um Klimagerechtigkeit durchzusetzen!

Richtigerweise fordert EFO auch einen Klimageneralstreik. Streiks und Besetzungen müssen bis zu einem Generalstreik geführt werden, der die Macht des fossilen Kapitalismus bricht und eine ökologische Transformation unter Kontrolle der Arbeiter_innen und Jugendlichen ermöglicht!




Die Edelweißpiraten: proletarische Jugendkultur gegen den Hitler-Faschismus

Von Yorick F., Mai 2023

Heute ist der Tag der Befreiung, der 78. Jahrestag der Bedingungslosen Kapitulation des Faschistischen Deutschlands und damit des Endes des 2. Weltkriegs in Europa. Dieser Tag hat auch heute noch zurecht eine deutliche Symbolkraft, als Tag zur Erinnerung an die Befreiung Deutschlands vom Faschismus durch die Alliierten, allen voran der Roten Armee, zeigt er auf wie wichtig konsequenter Antifaschismus ist. Zumindest sollte man dies meinen, oder zumindest erwarten; die heutige vor allem Westlich geprägte Erinnerungskultur zeichnet jedoch ein anderes Bild. Denn um sich am 8. Mai glaubhaft Antifaschistisch zu präsentieren braucht es die Besinnung auf antifaschistischen Widerstand in Deutschland, nicht nur zeigten diese mutigen Widerstandskämpfer_Innen eine bedingungslose Entschlossenheit welche für uns heute noch beispielhaft sein sollte, sie zeigen auch auf welchen Charakter Antifaschismus haben muss.

Wer waren die Edelweißpiraten?

Die Edelweißpiraten, zu deren Umfeld die Gestapo um die 3000 Jugendliche zählte, setzten sich zunächst zusammen aus unangepassten Jugendlichen, welche aktiv nicht in die Hitlerjugend eintraten. Diese hatten erst einmal keine geeinten ideologischen Hintergründe, waren aber fast ausschließlich proletarische Jugendliche. Ihren Namen gaben sie sich nach einem Schmähbegriff der Gestapo für Unangepasste Jugendliche der 1936 verbotenen bündischen Jugend, welche u.a. Edelweißblüten als Erkennungssymbol trugen. Das Edelweiß symbolisierte zusätzlich die Naturverbundenheit vor allem in der Anfangszeit, als die Edelweißpiraten eine noch recht lose Gruppe waren die vor allem einen Ausweg und Freiräume im faschistischen Staat suchten und regelmäßig Ausflüge in die Umliegende Natur, in Wälder und an Seen unternahmen.

Als Gruppe aus proletarischen Jugendlichen abseits der Kontrolle durch HJ oder BDM wurden die Edelweißpiraten schnell von der Gestapo als Gefahr angesehen. Immer wieder gab es angriffe durch die HJ auf Fahrten der Gruppe. Die ständigen Angriffe der HJ sowie der Gestapo, die Hintergründe einiger Mitglieder welche im Rotfrontkämpferbund oder der SPD nahen Naturfreundejugend organisiert waren sowie der Kontakt zu Widerstandskämpfer_Innen und Sozialist_Innen im Exil in Paris, welcher durch Michael Jovi zustande kam welcher auch eine gemeinsame Fahrt nach Paris organisierte, gaben den Edelweißpiraten recht schnell eine klare politische Haltung: klar Antifaschistisch mit der HJ als expliziteres Feindbild und deutlich sozialistisch geprägt. Zunächst drückte sich dies vor allem durch auf den Ausflügen gesungene Lieder aus, welche häufig aus dem Repertoire der Bündischen Jugend stammten. Diese wurden umgedichtet und bekamen einen politischen Charakter, man traf sich zwar weiterhin in der Natur, jedoch zunehmend geheimer aus Angst vor noch stärkerer Verfolgung.

Widerstand gegen den Hitler-Faschismus

Recht schnell sahen einige Edelweißpaten die Notwendigkeit, aktiv Widerstand gegen den Faschismus zu leisten, auch wenn dies bedeutete sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Neben gezielten Überfällen auf HJ Streifendienste, stahlen die Edelweißpiraten, welche zu Großteilen durch die Repression des faschistischen Staates keinen gesicherten Zugang zu Lebensmitteln hatten, regelmäßig Große Mengen an Lebensmitteln, welche zu großen Teilen etwa über Zäune oder vergitterte Fenster zu vor allem Sowjetischen und Jüdischen gefangenen geschmuggelt wurden. Auch wurden geflohene Kriegsgefangene und Jüd_Innen in zumeist heimlich bewohnten Wohnungen versteckt und mitversorgt. Mehrere Gruppen der Edelweißpiraten, welche vor allem im Rheinland und im Ruhrgebiet aktiv waren, verteilten auch Flugblätter und schrieben antifaschistische Parolen an Gebäude und Güterzüge.

Eine der Bekanntesten Gruppen aus Edelweißpiraten war die sog. Ehrenfelder Gruppe in Köln. Diese traf sich in einem verlassenen Bunker, welcher schnell zur Anlaufstelle für im Untergrund Lebende Jüd_Innen, Kriegsgefangene und Antifaschist_Innen wurde. Sie lagerten auch Waffen und verübten einzelne Anschläge, etwa am 20.04.1944 an den Gleisen eines Güterzuges, welcher entgleiste und die wichtige Industriestrecke mehrere Tage lahmlegte. Sie lieferten sich zudem Regelmäßig Schießereien mit Nazis. Viele Edelweißpiraten wurden gefangengenommen. Auch viele Mitglieder der Ehrenfelder Gruppe, bei einem Überfall auf ein Munitionsdepot um einen geplanten Bombenanschlag auszuführen. Am prominentesten ist hier wohl das Schicksal des damals 16 Jährigen Bartholomäus Schink welcher mehrere Monate in Gefangenschaft gefoltert wurde und am 10.11.1944 gemeinsam mit einigen Mitstreitern ermordet wurde.

Obwohl die Edelweißpiraten ihre Leben riskierten und teilweise verloren, um sich gegen die Nazis aufzulehnen und zu versuchen den Faschismus zu stürzen und damit einen durchaus mehr als bewundernswerten und relevanten Beitrag leisteten, finden sie in der Deutschen Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur nur wenig Erwähnung. Wenn überhaupt werden sie neben Namen wie der Weißen Rose oder Claus Schenk Graf von Stauffenberg genannt und dann höchstens als alternative naturverbundene Jugendbewegung abseits der HJ dargestellt; ihr Antifaschismus und ihr Ziel nicht nur den Faschismus zu stürzen, sondern auf seinen Trümmern eine Räterepublik zu bauen, werden ausgelassen, oft ebenso, dass sie tatsächlich aktiv widerstand leisteten. Die Edelweißpiraten bilden hier jedoch keinen Einzelfall: Auch andere sich aus proletarischen Jugendlichen zusammensetzende antifaschistische und klar Sozialdemokratische bis Sozialistische Gruppen wie die Leipziger Meuten oder dezidiert Kommunistische Widerstandskämpfer wie Georg Elser werden wenig bis gar nicht erwähnt. Und das nicht ohne Grund: die Weiße Rose rund um Sophie und Hans Scholl mögen großen Mut an den Tag gelegt haben, kämpften aber im Endeffekt vor allem gegen den Kurs Hitlers und seinem Kabinett und für eine Art gemäßigten Bonapartismus. Noch skuriler: Stauffenberg kämpfte nicht einmal gegen den Faschismus, verstand sich im Gegenteil selbst als explizit Deutsch- Nationalistisch und erhoffte sich mit seinem Attentat auf Hitler einen Kurswechsel des Faschismus, nicht jedoch seine Beendigung. Diese beiden Beispiele erfahren vor allem deshalb eine Überbetonung, da sie, als mehr oder weniger Einzelpersonen ohne Kommunistische oder Proletarischen Hintergrund, in der Geschichte des Widerstands gegen das NS-Regime eine absolute Ausnahme darstellen, noch dazu eine recht bequeme. Sie stellen vor allem die dem Faschismus zugrundeliegende Klassenstruktur nicht in Frage. Die Würdigung von antifaschistischem Widerstand, wie dem der Edelweißpiraten, widerstrebt den Herrschenden sowie den bürgerlichen Geschichtsschreiber_Innen. Denn wenn sie das tun würden, müssten sie Personen ehren, welche explizit auch ihre Herrschaft in Frage stellten. Für uns ist klar, dass der Faschismus nur Endgültig mit der Überwindung des Kapitalismus geschlagen werden kann. Deshalb halten wir es für Notwendig antifaschistischen und kommunistisch geprägten Jugendorganisationen wie den Edelweißpiraten zu erinnern, ihre Taten zu würdigen und von ihnen und ihrer Entschlossenheit zu lernen. Denn sie zeigen diese Erkenntnis deutlich auf.

Kultur

Wir möchten hier noch ein paar kulturelle Empfehlungen geben, die sich mit den Edelweißpiraten beschäftigen: Zum einen das Lied „An Rhein und Ruhr marschieren wir“, in dem der Widerstand der Edelweißpiraten gezeichnet wird, und auch die Erkenntnis, dass der Faschismus nur endgültig mit dem Ende der Klassengesellschaft geschlagen werden kann. Zum anderen ein eher unbekanntes Lied, namens „Edelweißpiraten“, in dem nicht nur die teils tragische Geschichte, sondern auch ihre Heldentaten erzählt werden und auch die Kontinuität der Faschist_Innen in der deutschen Geschichte problematisiert wird.




Die Türkei vor den Wahlen: ein Land vor neuen Entscheidungen?

Dilara Lorin, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Mai 2023

Am 14. Mai stehen nun die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei an. Und sie könnten auch zu einer Entscheidung über die Zukunft des Regimes Erdogan werden.

Zweifellos spekulierten der Präsident und die regierende Koalition um die AKP beim Ansetzen des Wahltermins auf eine zumindest vorübergehende Erholung der Wirtschaft. Doch die blieb aus. Im Gegenteil: Die hohe Inflationsrate sowie eine hohe Verschuldung, aber auch die Covid-19-Pandemie haben die Ökonomie stark beeinträchtigt.

Das verheerende Erdbeben vom 6. Februar hat noch einmal für ein großes Loch bei Hunderttausenden Menschen gesorgt, aber auch die miserable Politik im Interesse des Kapitals und der Günstlinge von Erdogan hat nicht nur tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch die über Jahre andauernde Korruption dieses Regimes aufgezeigt. Diese Politik hat nicht nur Millionen in Armut gestürzt, sondern auch Tausenden Menschen das Leben gekostet.

Leidtragende sind vor allem die Arbeiter:innenklasse sowie die unterdrückten Minderheiten des Landes, denn sie müssen die Lasten der Wirtschaftskrise schultern. Aber selbst die Mittelschichten und das Kleinbürger:innentum zweifeln mittlerweile am Regime.

Erdogans Wahlantritt

Dabei zeigt schon die Tatsache, dass Erdogan überhaupt ein weiteres Mal antreten darf, wie biegsam die türkische „Demokratie“ ist. Eigentlich darf ein Präsident gemäß der Verfassung nur zwei Amtszeiten regieren. Erdogan steht aber mittlerweile 20 Jahre an der Spitze des Staates. Wie ist das „legal“ möglich?

Mit dem Referendum 2018 wurde zugleich die bonapartistische Herrschaft, die er ausübt, verstärkt und per Plebiszit legitimiert. Die Abstimmung zog eine Verfassungsänderung nach sich, die es gestattet, dass der/die Staatspräsident:in gleichzeitig auch das Amt des/r Regierungschef:in ausübt. Das Referendum erlaubt es Erdogan außerdem, im Jahr 2023 ein weiteres Mal als Präsident zu kandidieren. So wurde per Plebiszit zwar festgelegt, dass man lediglich zwei Amtszeiten regieren darf – aber jene vor 2018 werden nicht mitgezählt.

Mit dem Vorverlegen der Wahl auf Mitte Mai kann Erdogan außerdem sogar bei der nächsten Wahl dafür plädieren, wieder kandidieren zu dürfen. Denn eigentlich darf man nur zwei Perioden als Präsident:in regieren, was bedeuten würde, dass die kommende Amtszeit seine letzte wäre. Aber Erdogan und die AKP können behaupten, dass dadurch, dass die Wahl aktuell vorgezogen wurde, die Zeit von 2018 bis 2023 nicht als komplette Amtszeit gilt.

Dennoch könnte es eng werden. Sollte kein/e Kandidat:in bei den Präsidentschaftswahlen im ersten Wahlgang eine Mehrheit erhalten (was sehr durchaus wahrscheinlich ist), so soll zwei Wochen später eine Stichwahl abgehalten werden.

Bei den Parlamentswahlen werden 600 Abgeordnete für die Große Nationalversammlung der Türkei bestimmt. Diese Sitze werden auf die 81 Provinzen des Landes aufgeteilt, wobei jede durch eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten vertreten wird. Wie viele eine Provinz wiederum erhält, wird durch die Proportion zu ihrer Bevölkerungszahl festgelegt. Damit eine Partei ins Parlament einziehen kann, muss sie aber bei den Wahlen die undemokratische 10 %-Hürde überschreiten.

Wie sieht die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung aus?

Die Regierung wird aktuell durch eine Koalition aus AKP und MHP gebildet. Dabei ist das Regime der AKP schon in den letzten Jahren nicht nur durch Autoritarismus, Repression, regionale Machtambitionen und einen permanenten Krieg vor allem gegen die Kurd:innen im eigenen Land und in Rojava geprägt. Die AKP ist auch immer wieder von Konflikten zerrissen, infolge derer einige Abgeordnete und Mitglieder die Partei verließen.

Gleichzeitig findet eine weitere Stärkung des autoritären, bonapartistischen, auf die Person Erdogans zugeschnittenen Regimes auch innerhalb der AKP statt. Der Präsident wurde immer mehr zur einzigen führenden Figur entwickelt, um seine Kontrolle innerhalb der Partei weiter zu stärken. Kritiker:innen wurden in gleichem Zuge ausgeschlossen oder verließen die Reihen. Damit hält die Person Erdogan faktisch immer mehr Partei wie Regime zusammen. Daher ist die Verlängerung seiner Vorherrschaft nicht nur ein Zeichen seiner Stärke, sondern unfreiwillig auch der Schwäche eines auf einen mittlerweile recht kranken „starken Mann“ zugeschnittenen Regimes.

Nach den letzten Wahlen 2018 musste die AKP eine Koalition mit der MHP eingehen, weil sie alleine nicht die absolute Mehrheit gewinnen konnte. Die MHP ist eine extrem rechtsnationale Partei, die mit den faschistischen und militant organisierten Grauen Wölfen eng verbunden ist. Sie gelten wie andere protofaschistische und extrem reaktionäre Kräfte als Reserven eines bonapartistischen Regimes, das sich aber vor allem auf die Kontrolle des Staatsapparates, der Medien, eine Wahlmaschinerie, Teile des Kapitals, große Schichten des Kleinbürger:innentums, der konservativen Mittelschichten, aber selbst rückständige, nationalistische Schichten der Lohnabhängigen und Armen stützt. Chauvinismus, Nationalismus und die ideologische Wiederbelegung des „Osmanismus“, die eine regionale Führungsrolle begründen sollen, sind ebenso ein Bindeglied dieser Allianz wie Erdogan als übergroße Führungsfigur, die die Einheit durchaus heterogenerer Kräfte repräsentiert.

Doch große Teile der Bevölkerung wenden sich auch ab. Sie wollen dem AKP- und MHP-Regime nicht mehr folgen. Die Inflation sowie der stetige Fall der Lira drücken die Mittelschicht der Türkei, die unter den Anfangsjahren der AKP-Regierung noch aufblühte, immer mehr an den Rand. Sie steht zum Teil ablehnender als vorher zur Regierung. Das Erdbeben und die damit immer deutlicher werdenden Missstände, Vetternwirtschaft sowie Korruptionsskandale haben die Regierung weiter diskreditiert.

Wachsende Teile dieser Schichten setzen nun bei der kommenden Wahl ihre Hoffnung in Kemal Kılıçdaroğlu, den Vorsitzenden der kemalistisch-sozialdemokratischen Partei CHP. In den Umfragen liegt sie oft nur einige Prozentpunkte hinter der AKP und hat im Vergleich zu den Wahlen von 2018 einen Gewinn von bis zu 5 % zu verzeichnen, wobei die AKP einen Verlust von ganzen 11,5 % erlitt. In den aktuellen Umfragen liegen je nach Meinungsforschungsinstitut der Regierungs- oder der Oppositionsblock vorne. In jedem Fall hat die CHP geführte Oppositionsallianz eine realistische Chance auf einen Wahlsieg bei den Präsidentschafts- wie Parlamentswahlen.

Die Sechser-Opposition

Die Unzufriedenheit mit dem AKP/MHP-Regime bildet auch den größten Pluspunkt der Opposition. Sie pocht darauf, dass alles besser werde, wenn Erdogan und die AKP nicht mehr an der Macht seien.

Inhaltlich und programmatisch hält sich die bürgerlich-nationalistische Oppositionsallianz allerdings bedeckt. Wie sie Inflation und Armut bekämpfen will, welche Politik sie gegenüber den unterdrückten Nationalitäten und von allem den Kurd:innen verfolgt, das lässt sie bestenfalls (!) offen. Ein Rückzug aus Syrien, eine Aufgabe der geopolitischen Ambitionen der Türkei sind natürlich auch unter der CHP nicht zu erwarten, wohl aber ist es eine zumindest verbale Verbesserung der Haltung zur NATO und zum Westen.

Um die Mehrheit der AKP und Erdogans zu brechen, hat die nationalistische CHP, die sich zwar „sozialdemokratisch“ nennt, jedoch immer eine offen bürgerliche Partei war, eine Allianz mit fünf anderen bürgerlichen Teilen der rechten bzw. extrem nationalistischen und islamistischen Oppositionsparteien gebildet – eine Allianz des Grauens, die in vielem fast schon ein Spiegelbild des AKP-MHP-Bündnisses darstellt. Dass sie von der Bevölkerung als mögliche Alternative und zumindest als kleineres Übel akzeptiert und wahrgenommen wird, zeigt deutlich, dass sich die Stimmung weit weniger stark auf Erdogan fixiert als im Jahr 2015/2016. Um wenigstens ihn loszuwerden, setzen viele – auch linke und progressive – Menschen ihre Hoffnungen auf sie. Angesichts von 20 Jahren AKP-Regime ist es sicher verständlich, dass viele Linke, Unterdrückte, Frauen und große Teile der LGBTIAQ-Community sehnsüchtig auf den Sturz eines Tyrannen hoffen. Und natürlich wollen auch alle klassenkämpferischen, ja alle demokratischen Kräfte ihn und die reaktionäre AKP fallen sehen. Aber ein Sieg der CHP-geführten Opposition wird keine echte Freiheit, Frieden oder eine Verbesserung für Unterdrückte und Lohnabhängige bringen.

Im Gegenteil: Sie würde letztlich das kapitalistische, autoritäre Regime nur unter anderen Vorzeichen weiterzuführen versuchen. Die kemalistische CHP tritt bei dieser Wahl mit einem Wahlbündnis an, welches insgesamt aus 6 Parteien besteht. Dieses Bündnis wird von den Medien auch „Altılı Masa“, Sechsertisch, genannt. Neben der CHP beteiligen sich daran İYİ Parti, Saadet Partisi, Demokratik Parti, Gelecek Partisi und die Demokrasi ve Atılım Partisi. Dabei traten vier der sechs Parteien schon 2018 als „Nationale Allianz“ an. Die İYİ-Partei, eine nationalistische Abspaltung von der MHP, ist in den letzten Jahren auf ca. 10 % bei den Wahlen gekommen und wird darum auch am Sechsertisch als zweitstärkste Kraft nach der CHP gesehen. Dass die HDP keinen Sitzplatz erhielt, liegt vor allem an der İYİ Parti, die extrem chauvinistisch ist und die Unterdrückung der HDP und andere kurdischer Organisationen als „terroristischer“ fordert. Die CHP und die anderen Parteien am „Sechsertisch“ folgten diesen Bedingungen ohne große Diskussion.

Die größten Konflikte in der instabilen Allianz gab es um die Frage des/r Spitzenkandidat:in und die Verteilung des zukünftigen Einflusses, sollten die Wahlen gewonnen werden. Wie kaum eine Regierung davor wird eine mögliche CHP-geführte von großen inneren Widersprüchen geprägt sein, wahrscheinlich von größeren als die aktuelle Regierung. Falls sie gewinnen sollte, werden früher oder später die unterschiedlichen Interessen von rechten, ultrakonservativen, nationalistischen, islamischen bis hin zu liberal-reformerischen Strömungen aufbrechen.

Keine Stimme für die CHP und Kılıçdaroğlu!

Auch wenn die CHP und der Sechsertisch vielen als geringeres Übel erscheinen mögen, so sollten ihnen Arbeiter:innen, Linke, unterdrückte Minderheiten, die Frauen- und Umweltbewegung kein Vertrauen schenken und keine Stimme geben.

In Wirklichkeit würde das nur eine kapitalistische Alternative zu Erdogan, eine alternative bürgerlich-nationalistische Koalition stärken, die in allen grundlegenden ökonomischen, geopolitischen und auch demokratischen Fragen letztlich der AKP näher steht als den Arbeiter:innen und Unterdrückten. Auch sie würde eine Wirtschaftspolitik im Interesse des türkischen Kapitals vertreten. Sie mag zwar –ähnlich wie Erdogan – ein paar Verbesserungen für die Armen versprechen, letztlich sollen aber die Massen über Preissteigerungen, Kürzungen, Angriffe auf Arbeits- und Gewerkschaftsrechte die Kosten der Krise zahlen, die sie mit einem Austeritätsprogramm und Privatisierung überwinden will. Eine Aufhebung gewerkschaftsfeindlicher Gesetze lehnt die Opposition ab. Für die unterdrückten Minderheiten, allen voran für das kurdische Volk, wird es auch unter der CHP keine Selbstbestimmung geben, ja nicht einmal die politischen Gefangenen werden freikommen. Sie wird Rojava ebenso wie die PKK weiter bekämpfen. Sie wird weiter gegen Geflüchtete vorgehen. So verspricht sie, in den nächsten zwei Jahren einen Großteil aller Geflüchteten abzuschieben. Die türkische Armee wird weiter in Syrien ihr Unwesen treiben. Das Regime wird, ebenso wie Erdogan, gegen die Geflüchteten vorgehen und seine geostrategischen Interessen verfolgen.

Angesichts der tiefen Widersprüche am Sechsertisch, der Wirtschaftskrise und der vom Standpunkt der Herrschenden notwendigen Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse wird auch ein Präsident Kılıçdaroğlu auf jene bonapartischen Machtbefugnisse zurückgreifen, die Erdogan eingeführt hat. Auch seine Herrschaft wird sich auf den bestehenden Staats- und Militärapparat stützen müssen, was ein Übereinkommen mit den Leuten beinhaltet, die von der AKP an die Spitze der Institutionen gesetzt wurden.

Würde Erdogan eine Niederlage akzeptieren?

Dies wird umso wahrscheinlicher, als es keineswegs sicher ist, dass Erdogan und die AKP eine etwaige Wahlniederlage akzeptieren würden. Schon Trump und Bolsonaro brachten es fertig, von Wahlbetrug zu sprechen, als sie selbst an der Macht waren. Erdogan und die AKP verfügen zweifellos über weit stärkere Stützen in der türkischen Gesellschaft und Elite als Trump in den USA und Bolsonaro in Brasilien. Andererseits würde ein Putschversuch das Land weiter destabilisieren. Daher ist es auch fraglich, ob die AKP insgesamt, die MHP, das Militär einen Putsch inszenieren würden.

In jedem Fall besteht die Gefahr. So sprechen einige von der Ruhe vorm Sturm, wenn es um die AKP und Erdogan geht. Dieser scheint derzeit eher ruhiger in der Politik zu agieren, wenn man seine aktuelle Wahlpropaganda mit der vor den letzten 2 Wahlen vergleicht. Viele Menschen bezeichnen den Urnengang am 14. Mai als Schicksalswahl zwischen Demokratie und Autokratie.

Die Frage „Was kommt?“ teilt sich dabei in die Phase vor und nach der Wahl. Vor der Wahl ist noch immer ungeklärt, wie die bis zu 3,7 Millionen Menschen aus den vom Erdbeben betroffenen Gebieten wählen können. Viele sind nicht in der Lage, ihre Dörfer zu verlassen, um in den Städten zu wählen, viele befinden sich außerhalb ihrer Heimatstädte und haben keine Ahnung, wie sie ihre Stimme nutzen können. Und auch die Wahlbehörde hat sich dazu bis dato nicht geäußert. Das Erdogan Wahlmanipulation und -betrug durchführt und weiter durchführen wird, ist kein Geheimnis. Beobachter:innen gehen davon aus, dass alleine im Referendum zur Verfassungsänderung bis zu 2 Millionen Stimmen gefälscht wurden.

Dass kurdische, linke Politiker:innen, kritische Journalist:innen mit Repression überschüttet werden, wundert auch nicht. Alleine bei der Eröffnung der Wahlbüros für die YSP (Yeşil Sol Parti; Grüne Linke Partei) wurden etliche Menschen, die sich in Solidarität mit ihr versammelt hatten, in mehreren Städten und Gemeinden festgenommen. Dass vor allem den Minderheiten erschwert wird, bei Wahlen anzutreten, konnten wir schon 2018 beobachten und dies scheint sich auch dieses Mal nicht zu bessern, sondern zu verschärfen.

Die Linke

Um ein durchaus mögliches Parteiverbot kurz vor den Wahlen zu umgehen, treten die Kandidat:innen der HDP diesmal in Form der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti; YSP) an. Zusammen mit anderen linken Parteien bildet sie das „Bündnis für Arbeit und Freiheit“.

In diesem Rahmen stellt die HDP (Halkların Demokratik Partisi) für viele Linke, Gewerkschafter:innen, die LGBTIAQ-Community und Teile der kurdischen Minderheit die wichtigste Kraft dar. Die Repression gegenüber den Abgeordneten und Mitgliedern der Partei ist immens. Im Mai 2016 entzog die AKP-Regierung 138 Abgeordneten ihre Immunität. Die Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sitzen seither (!) in Untersuchungshaft und mit ihnen etliche weitere Abgeordnete.

Bei diesem schmutzigen Vorgehen spielte auch die CHP eine wichtige Schlüsselrolle, denn erst mit ihren Stimmen konnte die nötigen Zweidrittelmehrheit im Parlament erreicht und damit die Aufhebung der Immunität durchgesetzt werden. Nach den Kommunalwahlen 2019 setzte die Regierung 47 der 65 gewählten HDP-Bürgermeister:innen ab und ihre eigenen Leute als Zwangsverwalter:innen ein. Der türkische Generalstaatsanwalt Bekir Şahin reichte am 17. März 2021 einen Verbotsantrag gegen die HDP beim Verfassungsgericht ein. Dass die HDP und ihre Strukturen systematisch angegriffen und immer wieder zerschlagen werden, ist nichts Neues und die Verhaftungs- sowie Verleumdungswellen haben in den letzten Jahren nicht nachgelassen. 

Die TIP, die türkische Arbeiter:innenpartei, stellt im Bündnis die zweitstärkste Kraft dar. Außerdem sind die EMEP (Partei der Arbeit), die EHP (Partei der Arbeiter:innenbewegung), SMF (Föderation der sozialistischen Räte) und die TÖP (Soziale Freiheitspartei) beteiligt. Außerdem rufen die meisten linken Gewerkschaften für die HDP bzw. die YSP bei den Parlamentswahlen auf.

Die sechs Parteien kandidieren auf einer gemeinsamen Liste bei der Wahl, aber alle Mitgliedsparteien können auch mit ihren eigenen Namen und Listen antreten. Dies wurde als Kompromiss durchgesetzt, da zuvor vor allem die TIP darauf bestand, sich mit eigenen Kandidatenlisten und eigenem Logo zur Wahl aufzustellen an den Orten, wo sie regionale Schwerpunkte hat.

Dass die TIP und die HDP auch Menschen aus der LGBTIAQ-Community sowie aus den unterschiedlichen Minderheiten des Landes als Kandidat:innen aufstellen lassen, stellt einen Fortschritt gegenüber den anderen Parteien dar. Das Nichtaufstellen eines/r Präsidentschaftskandidat:in seitens des „Bündnisses für Arbeit und Freiheit“ ist ein großer Fehler und zeigt auch dessen politische Schwächen deutlich. Mehr oder weniger offen wird zumindest im zweiten Wahlgang für Kılıçdaroğlu aufgerufen.

Auch wenn sich die CHP auf einer Pressekonferenz unverbindlich dafür ausgesprochen hat, die Anliegen der HDP, die Frage der Kurd:innen usw. weiterzutragen, wissen wir aus der Geschichte, aber auch durch die Einschätzung des Sechsertisches, dass dies eine blanke Lüge ist.

Während der Wahl gibt es eigentlich drei bis vier Themen, bei welchen sich die Linke von den reaktionären und offen bürgerlichen Kräften für alle deutlich wahrnehmbar unterscheidet: die Frage der Geflüchteten in der Türkei, der Rechte der Kurd:innen und aller unterdrückten Minderheiten, die Aufarbeitung des Erdbebens und vpn dessen Folgen und, wie die wirtschaftliche Krise sowie die miserable Lage der Arbeiter:innenklasse verbessert werden können, ohne dies den Lohnabhängigen aufzuschultern. Und zum wiederholten Mal zeigt sich dabei die reaktionäre Ader der CHP. So stach in den letzten Jahren und Monaten immer brisanter hervor, wie ihre Abgeordneten im Parlament und in öffentlichen Reden gegen Geflüchtete hetzen.

Das „Bündnis für Arbeit und Freiheit“ stellt zwar eine linke Bündniskandidatur, aber keine revolutionäre Kraft dar, die sich auf ein klares antikapitalistisches Programm der sozialistischen Revolution beruft. Es handelt sich vielmehr um eine Allianz mit einer kleinbürgerlich-nationalistischen Kraft, der HPD, die sich vor allem auf kurdische, Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen, aber auch Kleinbürger:innen und kleine Unternehmer:innen stützt. Auch wenn sie sich in den letzten Jahren mehr in Richtung Gewerkschaften entwickelt hat und z. B. über einen wichtigen Einfluss bzw. Verbindungen zur DISK verfügt, so ist sie keine bürgerliche Arbeiter:innenpartei, sondern eher ein Hybrid aus kleinbürgerlichem Nationalismus, Stalinismus, Populismus und Linksreformismus.

Die anderen Parteien in der Koalition sind durchweg reformistische Arbeiter:innenparteien, oft mit stalinistischer Ausrichtung oder solchen Wurzeln, die jedoch in einzelnen Regionen und Sektoren eine gewisse Verankerung in der Arbeiter:innenklasse aufweisen.

Bei den Parlamentswahlen rufen wir zur kritischen Unterstützung des „Bündnisses für Arbeit und Freiheit“ auf.

Es handelt sich dabei um die einzige Kraft mit einer Massenunterstützung aus der Arbeiter:innenklasse und seitens der unterdrückten Kurd:innen, die eine fortschrittliche Alternative gegenüber beiden bürgerlich-reaktionären Blöcken aus AKP/MHP einerseits und CHP/Sechsertisch andererseits verkörpert.

Zugleich kritisieren wir jedoch das Programm des Wahlblocks. Auch wenn viele der sozialen und demokratischen Versprechungen selbst unterstützenswert sind wie, sich für die Arbeitenden, die Gewerkschaften, die demokratischen Rechte der Kurd:innen und anderer nationaler Minderheiten einzusetzen, so geht es über demokratisch-reformistische Reformversprechungen nicht hinaus. Allenfalls wird es mit dem Gedanken an eine sozialistischen Zukunft verknüpft, aber ohne die aktuellen Reformforderungen mit konkreten Übergangslosungen zu verbinden.

Zweitens verhält sich das Bündnis gegenüber der CHP, dem Sechsertisch und Kılıçdaroğlu opportunistisch. Ihre Politik wird nicht offen als bürgerlich und arbeiter:innenfeindlich kritisiert, sondern als kleineres Übel gegenüber Erdogan beschönigt. Damit unterlässt es, die Arbeiter:innen, die städtische Armut und die Unterdrückten auf die Angriffe einer möglichen CHP-geführten Regierung schon jetzt vorzubereiten und den Widerstand gegen jede kommende aufzubauen. Natürlich würde das auch einschließen, gegen einen möglichen Putschversuch Erdogans auf die Straße zu gehen, sollte er die Wahl verlieren. Aber es bedeutet vor allem auch, die Massen auf jede Form des Kampfes gegen die nächste Regierung vorzubereiten.

Dennoch wäre es ein wichtiges Zeichen für alle Unterdrückten, Arbeiter:innen und Armen, wenn die Liste über die 10 %-Hürde käme. Aber zugleich müssen Revolutionär:innen in der Türkei in diese Wahlen mit zwei zentralen Stoßrichtungen eingreifen. Erstens müssen sie von allen Kräfte des „Bündnisses für Arbeit und Freiheit“ fordern, eine Einheitsfront aller Arbeiter:innenorganisationen, der HPD, der Gewerkschaften, der Umwelt-, der Frauenbewegung gegen die Angriffe der nächsten Regierung aufzubauen. Das 10-jährige Jubiläum der Gezi-Proteste am 24. Mai könnte dazu einen wichtigen ersten Mobilisierungschwerpunkt bilden und damit auch soziale Sprengkraft entfalten.

Zweitens müssen Revolutionär:innen dafür eintreten, dass im Bündnis selbst offen die Frage diskutiert wird, welche Partei die Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten in der Türkei brauchen. Eine wirkliche, revolutionären Arbeiter:innenpartei ist unserer Meinung nach nötig – und das erfordert, mit dem Schwanken zwischen linkem kleinbürgerlichen Nationalismus und „linken“ Parteiprojekten ohne klare klassenpolitische Ausrichtung ebenso zu brechen wie mit stalinistischen und linksreformistischen Traditionen.

Eine solche Partei kann entstehen, aber nur, wenn der gemeinsame Kampf verbunden wird mit einem politisch-programmatischen Bruch hin zu eine Arbeiter:innenpartei, das sich auf ein Program von Übergangsforderungen stützt, um die Lohnabhängigen und Unterdrückten zur sozialistischen Revolution zu führen. Dies ist keine Frage einer fernen Zukunft, sondern stellt sich im Klassenkampf. Die wirtschaftliche Lage lässt sich nicht mit einigen Reformen wieder geradebiegen. Dies kann alleine die Arbeiter:innenklasse, indem sie für die Enteignung der Betriebe und Konzerne unter ihrer Kontrolle, für ein Notprogramm für die Opfer der Erdbebenkatastrophe eintritt, dafür, die Wirtschaft gemäß einem demokratischen Plan im Interesse der Massen neu zu organisieren.

Drittens müssen wir die Möglichkeit ernst nehmen, dass Erdogan und die AKP entweder versuchen könnten, die Wahl offenkundig zu stehlen oder sich an der Macht zu halten, indem sie sich auf Wahlbetrug berufen. Obwohl die Arbeiterklasse und alle fortschrittlichen Kräfte keine Illusionen in die CHP-Opposition haben sollten, sollten sie sofort die Gewerkschaften, die fortschrittlichen Parteien, die Frauenbewegungen und die national Unterdrückten zu einem Generalstreik mobilisieren, um Erdogans Festhalten an der Macht zu stoppen. Sollte dieser haben, wäre Erdogans Unterdrückung wahrscheinlich noch schlimmer als nach dem gescheiterten Putsch vom 16. Juli 2016.

Aber das Ziel, ihn zu besiegen, sollte mehr als ein negatives sein. Die Bewegung sollte die Wahl einer souveränen verfassungsgebenden Versammlung fordern, um das gesamte bonapartistische System hinwegzufegen und die sozialen und politischen Forderungen der Arbeiter, der städtischen und ländlichen Bevölkerung, der unterdrückten Nationalitäten, insbesondere des kurdischen Volkes, zu erfüllen.

Solche und andere grundlegende Maßnahmen können nicht mit dem bestehenden kapitalistischen Staatsapparat umgesetzt werden. Sie können nur durch eine Bewegung der Arbeiter:innen und Unterdrückten, durch landesweite Massenstreiks, durch Besetzungen der Betriebe, durch die Errichtung von Räten und Selbstverteidigungsorgane der Massen in allen Regionen durchgesetzt werden, durch eine Kraft, die den bonapartistischen, autoritären Staatsapparat hinwegfegen und eine Regierung der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen stattdessen an die Macht bringen kann.




205 Jahre Karl Marx – Warum beziehen wir uns heute noch auf ihn?!

von Leonie Schmidt, Mai 2023

Obwohl Karl Marx dieses Jahr seinen 205. Geburtstag feiert, haben seine Schriften und Werke doch nicht an Relevanz eingebüßt. Ständig nimmt irgendwer Bezug auf ihn, seien es wir Kommunist_Innen, Sozialdemokrat_Innen, die bürgerlichen Medien oder gar Konservative. Was aber sind seine Errungenschaften, was besagen seine Theorien? Das wollen wir uns hier näher anschauen.

Marx kämpfte zeitlebens für den Kommunismus und hat in der Arbeiter_Innenbewegung eine wichtige Rolle gespielt. Er gründete zusammen mit Friedrich Engels 1848 die Kommunistische Partei und verfasste zahlreiche Schriften, die die Ideen des Kommunismus verbreiteten und zur Organiserung der Arbeiter_Innenklasse beitrugen. Er betonte die Bedeutung der revolutionären Praxis und des Kampfes gegen die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse im kapitalistischen System. Ebenso diagnostizierte er dem Kapitalismus tiefgreifendende, wiederkehrende Krisen, die zur Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution führen würden. In seiner Arbeit als Journalist und politischer Aktivist unterstützte Marx die Streiks und Demonstrationen der Arbeiter_Innenklasse und forderte bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und die Überwindung der Klassengesellschaft. Obwohl Marx die Durchführung der Oktoberrevolution 1917 im zaristischen Russland nicht mehr erlebte, beeinflusste er die politische und intellektuelle Landschaft in Europa und der Welt und seine Ideen waren maßgeblich für die Entstehung der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

Die 1. Internationale

Die 1. Internationale, auch bekannt als die Internationale Arbeiterassoziation, wurde 1864 in London gegründet und war eine Organisation, die sich für die Interessen der Arbeiter_Innenklasse einsetzte. Marx spielte eine wichtige Rolle in dieser Organisation und war maßgeblich an ihrer Gründung beteiligt. Die 1. Internationale hatte das Ziel, die Arbeiter_Innenbewegung weltweit zu organisieren und den Kampf für die Rechte der Arbeiter_Innenklasse zu vereinen. In der 1. Internationale betonte Marx die Bedeutung der Solidarität und der Zusammenarbeit der Arbeiter_Innenklasse, um ihre Forderungen gegenüber der Bourgeoisie durchzusetzen. An dieser Stelle legte er auch einen wichtigen Grundstein für den bis heute fortbestehenden Internationalismus der kommunistischen Strömungen. Die 1. Internationale zerfiel schließlich aufgrund von inneren Konflikten und politischen Differenzen, aber sie hinterließ ein bedeutendes Erbe für die Arbeiter_Innenbewegung und die Geschichte des Sozialismus und Kommunismus.

Das kommunistische Manifest

Das vermutlich bekannteste Werk, welches auch vielen zum Einstieg in die kommunistische Theorie empfohlen wird, ist das 1848 erschienene kommunistische Manifest. In diesem legt Marx zusammen mit Friedrich Engels die These dar, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft (…) die Geschichte von Klassenkämpfen (ist)“, eine grundlegende These des historischen Materialismus.  Dieser besagt außerdem, dass die wirtschaftlichen und materiellen Bedingungen eines Gesellschaftssystems bestimmen, wie sich die Gesellschaft organisiert und entwickelt. Von Bedeutung ist ebenso die Frage danach, in wessen Besitz die Produktionsmittel sind. Als Lösungsvorschlag zur Bekämpfung der Unterdrückung des Proletariats durch die Bourgeoisie im Kapitalismus, nennen Marx und Engels die Überwindung von diesem durch die Diktatur des Proletariats. Das Konzept der Diktatur des Proletariats besagt, dass die Arbeiter_Innenklasse die politische Macht ergreifen und die Herrschaft über die Bourgeoisie ausüben sollte. Dieser Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft ist notwendig, um die alten gesellschaftlichen Beziehungen abzuschaffen und den Weg für den Kommunismus zu ebnen. Marx betrachtete diese Diktatur als eine demokratische Herrschaft der Arbeiter_Innenklasse, die auf der Abschaffung der Ausbeutung und der Enteignung der Produktionsmittel, sowie auf demokratischer Organisierung in Räten beruht.  Auch wenn sich der Kapitalismus seit 1848 weiter entwickelt hat und sich manche Annahmen im kommunistischen Manifest so nicht bestätigt haben, so ist es doch ein grundlegender Text, der,  erstmals für Arbeiter_Innen verständlich, die Ideen des Kommunismus formuliert.

Das Kapital

Das Kapital ist das Hauptwerk von Karl Marx und beschäftigt sich mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus. Es umfasst eine Analyse der Entstehung und Funktionsweise des Kapitalismus, sowie eine Kritik an den Auswirkungen dieser Wirtschaftsform auf die Gesellschaft. Marx untersucht die Rolle der Arbeit und des Mehrwerts in der Produktion und zeigt auf, wie der Kapitalismus auf der Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse basiert, indem sich die Bourgeoise den gesellschaftlich produzierten Mehrwert aneignet. Er beschreibt auch den Zusammenhang zwischen Warenfetischismus und Geldform und analysiert die Rolle des Staates im kapitalistischen System. Marx zeigt, wie die Kapitalakkumulation zur Entfremdung des Individuums führt und wie sich das kapitalistische System selbst in Krisen stürzt. Er betont, dass der Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche zusammenbrechen wird und dass die Arbeiter_Innenklasse die Revolution führen und eine klassenlose Gesellschaft schaffen wird. Ein Aspekt, der viel zu oft unterschlagen wird, aber aus unserer Sicht besonders wichtig ist, stammt aus Band 3 des Kapitals: der tendenzielle Fall der Profitrate. Dieser besagt, dass im Laufe der Zeit die Profitrate im Kapitalismus aufgrund verschiedener Faktoren fallen wird. Diese Faktoren umfassen die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, den Konkurrenzdruck zwischen den Kapitalist_Innen, die Ausdehnung der Märkte und die sinkende Arbeitsproduktivität. Die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals bedeutet, dass immer mehr Kapital in Maschinen und Technologie investiert wird, was zu einem Rückgang des Anteils des investierten Kapitals, das in Form von Lohn ausgezahlt wird, führt. Dies führt zu einem Rückgang des Profits pro investiertem Kapital und somit zur sinkenden Profitrate. Es ist also ein zentraler Widerspruch des Kapitalismus, Profit generieren zu müssen, in diesem Prozess aber notwendigerweise gesamtgesellschaftlich Profit einzubüßen.

Materialistische Philosophie

Gegenteilig der Annahme, Marx wäre nur Ökonom gewesen, hat er sich auch mit der philosophischen Ausrichtung des wissenschaftlichen Sozialismus beschäftigt. So kritisierte er besonders Hegel dafür, dass seine Philosophie idealistisch war und sich auf abstrakte Ideen und Konzepte konzentrierte, anstatt auf die reale Welt. So argumentiert er, dass Hegel die Rolle der materiellen Bedingungen und der wirtschaftlichen Strukturen in der Gesellschaft nicht angemessen berücksichtigte. Außerdem betrachtete er ihn auch als Verteidiger des Staates und der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Des weiteren kritisierte Marx Hegels Idee des „absoluten Geistes“, die er als metaphysisch (jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Welt) und undurchführbar betrachtete.

Des Weiteren richtet er seine Kritik gegen den Philosophen Feuerbach in seinem Werk „Die Thesen über Feuerbach“: er kritisiert in diesem Text die bisherigen Philosophen, die sich nur auf die Interpretation der Welt konzentrierten, anstatt sie zu verändern und betont somit die Bedeutung der praktischen Handlung und der Veränderung der materiellen Bedingungen in der Gesellschaft. Marx forderte eine Verlagerung des Schwerpunkts von der idealistischen Philosophie hin zur materiellen Wirklichkeit. Er kritisierte Feuerbach für seine Vorstellung, dass der Mensch allein für die Schaffung der Wirklichkeit verantwortlich sei und betonte stattdessen, dass die materiellen Bedingungen und Kräfte eine entscheidende Rolle bei der Formung der menschlichen Geschichte spielen. Schließlich forderte Marx eine Umkehrung der traditionellen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, indem er betonte, dass nicht das Bewusstsein das Sein bestimmt, sondern das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein.

Marx hat den Kapitalismus als eine auf Ausbeutung basierende Gesellschaftsordnung analysiert und hat gezeigt, dass die Arbeiter_Innenklasse als revolutionäre Klasse die Macht ergreifen muss, um eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen. Seine Theorie der Entfremdung und die Bedeutung der Klassenkämpfe sind auch heute noch relevant, da wir uns gegen die Ausbeutung und Unterdrückung durch die herrschende Klasse organisieren müssen. Lasst uns daher Marx als einen wichtigen Vordenker und Kämpfer für die Arbeiter_Innenbewegung würdigen und seine Ideen nutzen, um den revolutionären Kampf für die Befreiung der Arbeiter_Innenklasse fortzusetzen!

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

Karl Marx, Thesen über Feuerbach

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*Berlin, Dresden, Leipzig, Hamburg, Dortmund, Stuttgart, München (Ort auf Anfrage)




Stellungnahme: FFF schmeißt REVO raus – Sind Antikapitalismus und die Klimabewegung unvereinbar?

Die Katze ist aus dem Sack: Pünktlich zum Ersten Mai hat uns die Nachricht erreicht, dass nun tatsächlich ein Antrag durchgekommen ist, der eine Unvereinbarkeit von Fridays For Future (FFF) Deutschland mit REVO beschließen soll. Unser Name prangt nun im Hufeisen neben AFD, NPD, MLPD und dem III. Weg im offiziellen Strukturpapier. Dass hier linke und faschistische Gruppen so nebeneinander genannt werden, müsste schon für Empörung sorgen. Anfang April wurde auf bundesweiter Ebene von FFF entsprechender Antrag gestellt. Dieser ist so weit FFF-intern zu behandeln, weswegen wir nicht auf Details der Erklärung eingehen können. Wir möchten dennoch zumindest im Groben einige der Lügen und Vorwürfe hier einordnen, damit die Debatte einem breiteren Kreis von Aktivist_innen zugänglich wird.

Im Antrag werden wir als isolierte Organisation dargestellt, deren ausschließliche Politik ein parasitäres und hinterhältiges Unterwandern anderer linker Kräfte sei. Angeblich schrecken wir dabei so wenig vor Druckausübung bis hin zu unmittelbarer Gewalt zurück, dass allen Aktivisti angst und bange werden müsste. Untermalt wird dies mit dem Vorwurf, dass wir ein unkritisches Verhältnis zur DDR oder der RAF hätten. Für all diese Vorwürfe hätte ein fünfminütiger Besuch unserer Insta- oder Webseite ausgereicht, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Man hätte dort beispielsweise gesehen, dass wir tatkräftig in der Umweltbewegung aktiv sind, aktionistische Basisarbeit an Schulen leisten, solidarisch in diversen Bündnissen mitwirken und himmelweit davon entfernt sind, mordlustige Monster zu sein. Und wenn wir schon bei der schlechten Informationslage sind: Die Gruppe Arbeiter:innenmacht wurde auch direkt als unsere „Dachorganisation“ ausgeschlossen, während wir in Wahrheit von dieser unabhängig sind.

Die politische Herkunft derjenigen, die uns hier als „Parasiten“ bezeichnen, hat dabei schon eine gewisse Ironie: Eine Führung, in welche Millionen Schüler_innen ihre Hoffnung gesetzt haben, welche aber gleichzeitig keine politischen Erfolge gegen die Regierung durchsetzen konnte und stattdessen mit den Grünen und den NGOs im Rücken ein paar ansehnliche Posten gefunden hat, sollte mit diesem Wort vorsichtiger umgehen gegenüber einer kleinen, aktivistischen Gruppe von Jugendlichen. Angesichts der immer größeren Dringlichkeit der Klimakatastrophe, der Mobilisierungsschwäche unserer Bewegung und der Antwort der Ampel-Regierung, die in Lützerath knochenbrechende Bullen auf uns los gehetzt hat und nun mehr und mehr Aktivist_innen einknastet (von LG z. B. ), wäre es rühmlicher, wenn die Führung der Bewegung eine allgemeine Debatte darüber anstieße, wie wir in die Offensive übergehen können, anstatt diejenigen, die es auf eigene Initiative versuchen, auszuschließen.

Im Konkreten beziehen sich die gegen uns erhobenen Vorwürfe zum allergrößten Teil auf angebliche Handlungen eines unserer Genoss_innen. Mensch hat sich 2019 als Schüler_in in FFF politisiert, sich davon wegradikalisiert und ist vor circa einem Jahr bei uns gelandet. Dennoch hat sich Mensch bis zum Schluss als Teil von FFF verstanden und noch schwindende Hoffnungen reingesteckt, dass auch die Bewegung die offensichtlichen Widersprüche erkennt, in denen sich eine bürgerliche Umweltbewegung befindet. Hierbei war Mensch unter Anderem im linken Flügel von FFF aktiv und zwar weitestgehend eigenständig und unabgesprochen mit uns als REVO.

Erst recht haben wir den linken Flügel nicht geheim orchestriert. Dennoch wird uns genau dies vorgeworfen, wobei unerheblich ist, ob bestimmte Geschichten stattfanden, bevor besagte Person überhaupt bei uns war und welchen Anteil sie selbst daran geleistet hat. Wir werden dabei für ein Großteil der jüngeren linken Oppositionsarbeit verantwortlich gemacht, als könnte so etwas nicht auch spontan in FFF passieren.

Uns erscheint es so, als seien alle halbgaren Infos und Vorwürfe zusammengekratzt worden, die gefunden werden konnten, um unsere Positionen aus den Prozessen in FFF auszuschließen. Das andere sich an bestimmten Verhaltensweisen gestört haben, ist sicherlich nachvollziehbar. Aber dass für eine relativ kleine Orga direkt der große Hammer „Unvereinbarkeit“ rausgeholt wird, wirft schon Fragen auf.

Was ist der politische Hintergrund?

Millionen von Aktivisti haben sich der Bewegung angeschlossen, haben Gegenwind geerntet und viel Energie in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose Konferenzen und eine Menge heißer Luft. Dies führte dazu, dass der Abstand zwischen unseren Aktionen größer und die Aktionen selbst kleiner wurden, sich viele von uns frustriert von der Bewegung zurückgezogen haben. Die Bewegung hat sich polarisiert in diejenigen, die für die Grünen im Bundestag sitzen, während wir uns wie viele andere von den Bullen aus dem Danni oder Lützi prügeln lassen.

In unserem Strategiepapier zur Krise der Klimabewegung haben wir ausführlich dargelegt, welche Schritte wir als nächstes gemeinsam gehen müssen, wenn wir die Bewegung retten und diesen Planeten erhalten wollen. Wir müssen die Basis unserer Bewegung erweitern. Es kann nicht sein, dass wir hauptsächlich aus Schülis und Studis bestehen. Wir müssen auf die Beschäftigten in den für das Klima relevanten strategischen Wirtschaftssektoren zugehen und uns zusammen organisieren. Inhaltlich müssen wir unsere Forderungen daran ausrichten, die Klimafrage mit der Sozialen Frage zu verbinden. Andernfalls werden die Rechten diese Lücke füllen und ihre Klimaleugnerei als Sozialpolitik verkaufen. Wir brauchen Klimaforderungen, die zugleich soziale Verbesserungen für alle mit sich bringen, statt Verbote, Entlassungen und Green Washing. Gleichzeitig müssen wir anfangen unsere Forderungen auch dort an die Leute zu bringen, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit zum Klimaproblem machen und diese mit den sozialen Problemen vor Ort verknüpfen.

Innerhalb von FFF rumort es und immer mehr Antikapitalist_innen fangen an, die Politik der Führung von FFF in Frage zu stellen. Als Organisation sind wir dabei ein leichtes Ziel, für diejenigen, die das verhindern wollen. Weil wir offen und unangepasst auftreten und dadurch vielleicht nicht zu den Allerbeliebtesten gehören, und darauf sind wir stolz. Den verbliebenen linken Kräften innerhalb von FFF sollte klar sein: Wenn man mit solchen Vorwürfen durchkommt, erhöht das den Anpassungsdruck auf alle anderen antikapitalistischen Kräfte und schwächt deren Position massiv. Das sollte eben diese Kräfte zum Nachdenken anregen, welche Rolle FFF noch spielen kann. Es gibt eine große Kluft zwischen einigen Ortsgruppen und der Bundesorga und die politische Perspektivlosigkeit, dass man durch Appelle ein Einlenken der Regierung erreichen will, hat sich ein ums andere Mal gezeigt. Wir wollen FFF zugutehalten, dass sie die Klimakrise auf die Tagesordnung gesetzt haben. Aber zur Bewältigung brauchen wir kämpferische und antikapitalistische Antworten.

Wir schlagen vor, gemeinsam mit linken Kräften der Umweltbewegung eine antikapitalistische Klimakonferenz zu organisieren, um Forderungen und Aktionsformen zu entwickeln, die diese Antworten leisten. Die Wähl- und Abwählbarkeit ist hierbei zentral, um die Verselbstständigung von Führungspersonen zu verhindern und eine basisdemokratische Kontrolle von unten zu gewährleisten. Außerdem müssen wir dafür Sorge tragen, dass an diesen Debatten und Auseinandersetzungen sowohl Arbeiter_innen als auch marginalisierte Gruppen teilnehmen können und gehört werden. Der Charakter einer solchen Konferenz sollte darauf ausgerichtet sein, ein gemeinsames antikapitalistisches Klima-Aktionsprogramm zu verabschieden, in dem wir uns auf gemeinsame Forderungen und Aktionen einigen.

Der Widerstand gegen die Klimakrise geht also weiter und wir lassen uns nicht unterkriegen! Kämpfen wir zusammen in den Schulen, Unis, Betrieben, Gruben, Wäldern und auf der Straße!

Falls ihr eure Solidarität zeigen wollt, könnt ihr den Beitrag gerne teilen!




Gewerkschaften und die sozialistische Revolution

Lukas Müller, Rede vom 1. Mai 2023 in Leipzig

Ich bin Lukas, ich bin Sozialpädagoge in der Jugendhilfe, bei ver.di und aktiv in der Gruppe Arbeiter:innenmacht, sowie der Jugendorganisation REVOLUTION

Aktuell arbeiten wir als Gruppe auch im Bündnis „wir-fahren-zusammen“ mit, welches hier in Leipzig versucht eine Brücke zwischen der Umwelt- und der Gewerkschaftsbewegung zu schlagen und in beide eine antikapitalistische Perspektive zu tragen.

Der Lebensstandard von Lohnabhängigen in Deutschland ist seit Corona und Inflation immer weiter gesunken, während die Konzerne gleichzeitig an die Aktionär:innen für das vergangene Jahr Gewinne in Rekordhöhen auszahlen wollen. Die 100 größten Unternehmen sollen zusammen ca. 62 Milliarden an Dividenden an ihre Anteileigner ausschütten. Und diese Anteileigner sind in erster Linie natürlich eine Handvoll Kapitalist:innen. Die Konzerne konnten ihre Gewinne um mehr als 10 % im Vergleich zum vergangenen Jahr steigern, aller Krisen zum Trotz. Gewinne, die durch die Arbeitskraft von uns Lohnabhängigen erwirtschaftet werden. Und wie immer wird natürlich das Märchen verbreitet, es sei nicht genug für Lohnerhöhungen da. Es sind die üblichen dreisten Lügen unser Klassenfeinde.

Als Antwort darauf sehen wir aber auch einen Aufschwung von Arbeitskämpfen und Streiks seit vergangenem Jahr. Auch die Lohnforderungen der Gewerkschaftsführungen sind dieses Jahr deutlich höher ausgefallen als üblich. Beschäftigte strömen entgegen des vorherigen jahrzehntelangen Trends wieder in die Gewerkschaften und organisieren sich in ihrem Betrieb. Zehntausende haben sich alleine bei ver.di seit Anfang des Jahres neu organisiert. In vielen Betrieben ist die Organisierung sprunghaft angestiegen. Eine halbe Millionen haben sich an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst beteiligt. Beim gemeinsamen Streik von ver.di und EVG, an dem sich Busse, Straßenbahnen, U- und S- Bahnen, Fernzüge, Flughäfen und Hafenarbeiter:innen beteiligt haben, wurde ganz Deutschland lahngelegt. Das hat es seit ca. 20 Jahren nicht mehr gegeben.

Der zunehmende Grad der Organisierung und Kampfbereitschaft der Belegschaften spiegelt sich allerdings wenig bis gar nicht in den Tarifabschlüssen wieder. Bei der Post hat sich die Gewerkschaftsführung auf einen von Konzernseite in letzter Sekunde vorgelegten Vorschlag eingelassen, während die Urabstimmung zum Streik schon längst gelaufen war und sich gezeigt hat, dass über 85 % der Beschäftigten kampfbereit für einen unbefristet Streik sind. Der Abschluss ist eine Katastrophe und bedeutet abermals massive Reallohnverluste für die Beschäftigten, während der Konzern im vergangen Jahr einen neuen Rekordgewinn von 8,4 Milliarden eingefahren hat. Das Ergebnis im TVöD fällt zwar nicht ganz so katastrophal aus, bleibt mit seinen 24 Monaten Laufzeit aber auch weit hinter den Forderungen zurück und geht kaum über den faulen Schlichtungskompromiss hinaus.

Das sind keine Einzelfälle, sondern das hat System. Wenn wir uns die Struktur der Gewerkschaften im Allgemeinen und der Tarifkommissionen im Besonderen anschauen, dann fällt schnell auf, dass es ein massives Machtgefälle zwischen der Basis und dem Apparat aus hauptamtlichen Funktionär:innen, der Bürokratie, gibt. In den Tarifverhandlungen geben nicht Vertreter:innen aus den Belegschaften selbst den Ton an, sondern die Funktionär:innen, die vom Ergebnis gar nicht betroffen sind. Die Richtlinien der Tarifkommissionen werden nicht in der Satzung geregelt, sodass diese nicht von der Basis auf dem Gewerkschaftstag mitbestimmt werden können, sie werden vom Vorstand oder Beirat festgelegt. Es gibt eine Pflicht zur Verschwiegenheit über die Verhandlungen. Die Gewerkschaftsbürokratie verheimlicht also gegenüber den Belegschaften was genau diskutiert wurde, ob es Gegenvorschläge gab und wer wie abgestimmt hat. Und am Ende haben die Beschäftigten keinerlei Einfluss darauf, ob das Verhandlungsergebnis angenommen wird oder nicht, denn die Befragungen sind nicht mehr als ein Stimmungsbild, ohne bindende Kraft. Die Bürokratie entzieht sich weitestgehend der Kontrolle der Basis. Bis auf einige Funktionäre als Mitglieder eines Gremiums, sind die Hauptamtlichen für die Basis weder wähle- geschweige denn abwählbar.

Gewerkschaftsfunktionär:innen verdienen Gehälter, die jene der Beschäftigten um ein Vielfaches übersteigen, von den Gewerkschaftsbossen mit ihren Jahresgehältern in Höhe von teilweise mehreren 100.000 € ganz zu schweigen. Die Bürokratie hat ihren Frieden mit dem Kapitalismus und der Ausbeutung der Lohnarbeit längst geschlossen. Die Gewerkschaftsbosse sitzen mit den Kapitalist:innen in den großen Aufsichtsräten und betrachten sich als Mitverwalter der Konzerne. So saß der Ver.di Chef Frank Werneke bis letztes Jahr z.B. im Aufsichtsrat von RWE und der deutschen Bank. Die Bürokratie hat ihre eigene soziale Frage vorerst gelöst. Dadurch hat sie ein ganz eigenes soziales Interesse: Sie will die Arbeiter:innenklasse mit den Konzernen im Sinne der sogenannten „Sozialpartnerschaft“ und des „Interessensausgleich“  versöhnen. Aber mit den Kapitalist:innen und ihrem System der Ausbeutung kann es keine Versöhnung geben!

Das Bestehen einer versöhnlerischen Bürokratie ist keineswegs eine neuere Entwicklung der heutigen Gewerkschaften. Bereits zurzeit von Rosa Luxemburg und Lenin war dies der Fall. Lenin bezeichnet die Gewerkschaftsführungen in seiner wichtigen Schrift „Der linke Radikalismus“ als reaktionär, als Agenten der Kapitalist:innen innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Und auch Rosa Luxemburg lieferte sich mit den deutschen Gewerkschaftsspitzen einen heftigen Schlagabtausch und verfasste im Zuge dessen ihr viel beachtetes Buch „Massenstreik, Partei und Gewerkschaft“. Heißt das also, dass sich Lenin und Luxemburg gegen die Gewerkschaften richteten? Im Gegenteil. Beide erklärten es für ein zentrales Ziel von Marxist:innen innerhalb der Gewerkschaften aktiv zu sein, dort ihre Ideen zu verbreiten und die Kontrolle über die Gewerkschaften in die Hände der Arbeiter:innenklasse selbst zu legen. Kräfte, die die Arbeit in den Gewerkschaften ablehnten, überzog Lenin in besagter Schrift mit beißendem Spott.

Historisch gesehen sind die Gewerkschaften spontan aus dem Kampf heraus entstanden, aus der bitteren Notwendigkeit sich gegen die unmittelbarsten Angriffe der Kapitalist:innen verteidigen zu setzen. Und auch heute noch treten Lohnabhängige unabhängig von ihrer politischen Vorerfahrung oder ihren politischen Ansichten in die Gewerkschaften ein, um sich zur Wehr zu setzen. Sie sind die ersten Sammelpunkte des Widerstandes, wie Friedrich Engels schrieb, sie sind eine Schule des Klassenbewusstseins und bilden die Grundlage für die Vereinigung der gesamten Arbeiter:innenklasse. Über 5 Millionen Arbeiter:innen sind in den Gewerkschaften des DGB in Deutschland organisiert. Es sind jene Teile der Klasse, die bereits jetzt ein rudimentäres Klassenbewusstsein besitzen. Nicht in den Gewerkschaften arbeiten zu wollen, würde bedeuten den Kampf gegen die Bürokratie aufzugeben und diese ersten Sammelpunkte des Widerstand mit ihren aktuell 5 Millionen fortschrittliche Arbeiter:innen der Bürokratie kampflos zu überlassen.  Das ist genauso falsch, wie sich der Bürokratie und ihrer Sozialpartnerschaft kritiklos unterzuordnen.

 Für Marxist:innen ist es eine zentrale Aufgabe innerhalb der Gewerkschaften und der von ihr geführten Tarifkämpfe an vorderster Front mitzukämpfen. Die Tarifkämpfe sind ein wichtiger Ansatzpunkt um Kämpfe zuzuspitzen und ökonomische mit politischen Fragen zu verbinden. Sie sind ein Ansatzpunkt der Selbstermächtigung und Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse und damit auch ein Ansatzpunkt die Macht der Bürokratie zu zerbrechen. Marxist:innen sollten innerhalb der Gewerkschaften offen als solche auftreten und ehrlich darlegen für welche politischen Positionen und Taktiken sie stehen. Wir sollten zu Wahlen in den Gewerkschaften und den Betrieben antreten. Wir müssen für das Recht eintreten, dass innerhalb der Gewerkschaften jede/r die Möglichkeit hat mit Flugblättern, Zeitungen, Veranstaltungen usw. um Positionen zu kämpfen, was sich nach wie vor die Bürokratie vorbehält. Um die Macht aus den Händen der Bürokratie zu nehmen ist es zentral, lokale Komitees in den Fabriken aufzubauen, in denen die ArbeiterInnen ihre Kämpfe selbst organisieren und Perspektiven diskutieren. Weiter müssen wir für die Demokratisierung des Gewerkschaftsapparats unter Kontrolle der Basis kämpfen. Dieser Kampf bedeutet, dass sämtliche politischen FunktionärInnen auf lokalen, regionalen oder bundesweiten Versammlungen gewählt und jederzeit wieder abgewählt werden können. Es bedeutet, dass Entscheidungen über Streiks von der Basis mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Es bedeutet, dass der Rahmen in dem Tarifverhandlungen geführt werden vorher von den ArbeiterInnen abgesteckt wird und das Ergebnis zustimmungsbedürftig ist. Außerdem sollten wir dafür kämpfen, dass die Gehälter der FunktionärInnen den durchschnittlichen Lohn eines/r FacharbeiterIn nicht übersteigen.

Für all das ist eine organisierte Basisopposition mit eigenen Strukturen in den Gewerkschaften nötig. Gemeinsam mit einer Reihe andere Marxistischen Gruppen, wie der DKP, Klasse gegen Klasse, SAV, Sol und weitere haben wir vor ca. 3 Jahren die VKG Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften gegründet, an deren Gründungskongress ich beteiligt war. Die VKG kann die Keimzelle einer solchen organisierten Basisopposition sein, wenn wir sie als solche gemeinsamen weiter aufbauen. Die Klasse für sich gewinnen können wir Marxist:innen nur, wenn sie lernen „im Wirtschaftskampf nicht nur Verkünder der Ideen des Kommunismus zu sein, sondern die entschlossensten Führer des Wirtschaftskampfes und der Gewerkschaften zu werden. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, aus den Gewerkschaften die opportunistischen Führer zu entfernen. Nur auf diese Weise können die Kommunisten an die Spitze der Gewerkschaftsbewegung treten und sie zu einem Organ des revolutionären Kampfes für den Kommunismus machen.“ (2. Kongress KI 1920)

Wenn euch das Thema interessiert, dann kommt zu unserer Veranstaltung am kommenden Donnerstag um 19 Uhr in der Bäckerei, Josephstraße 12, in Lindenau.

Dankeschön!




Schüler_Innen und Lehrer_Innen zusammen: Gemeinsamer Streik für kleinere Klassen!

April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Besser lernen in kleinen Klassen

Seit über einem Jahr kämpfen die Berliner Lehrer_Innen der Lehrer_Innengewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ (kurz GEW) in bisher 11 Warnstreiktagen dafür, dass kleinere Klassen in einem Tarifvertrag festgeschrieben werden (Tarifvertrag Gesundheit: kurz TV-G). Noch immer gibt es nicht einmal ein Gesprächsangebot seitens des grünen Berliner Finanzsenators Daniel Wesener. Dabei heißt eine Verkleinerung der Klassengrößen für Lehrkräfte: weniger Stress und Arbeitsbelastung. Für uns heißt das: besser Lernen, mehr Zeit und weniger genervte Burn-Out-Mathelehrer. In kleineren Klassen erleben wir weniger Konkurrenzdruck und bekommen mehr Übungszeit, mehr Ruhe und mehr Aufmerksamkeit. Wer kennt nicht diese krasse Angst vor über 30 Leuten in der Klasse zu sprechen und kann sich vorstellen, wie viel entspannter es sein könnte, wenn da nur die Hälfte sitzt? Viele von uns erinnern sich noch daran, wie angenehm es während der Phase des Wechselunterrichts im Corona-Lockdown war, nur mit der halben Lerngruppe unterrichtet zu werden.

Zuletzt hat die GEW Berlin deshalb 4000 Lehrer_Innen 2 Tage lang auf die Straße gebracht, viele Schulen waren dicht. Schüler_Innen, die bei uns organisiert sind, haben diese Gelegenheit genutzt. Wir sind auf die Streikversammlungen gegangen und haben mit den streikenden Lehrer_Innen über die Perspektive ihres Tarifkampfes und wie wir gemeinsam kämpfen können, diskutiert. Wir haben dazu auch eine Rede auf der Streikdemonstration gehalten. Einige von uns haben auch ein kleines Solidaritätsflugblatt geschrieben und es den Lehrer_Innen ins Fach gelegt. An einer Schule haben wir auf einer Sitzung der Schüler_Innenvertretung eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, dass der Lehrer_Innenstreik von uns Schüler_Innen unterstützt wird. Es gibt also viele Wege, wie wir uns solidarisch zeigen können.

Es geht um mehr!

Bald stehen in Berlin die Abiturprüfungen an und diese drohen die Streikbewegung massiv zu schwächen, denn viele streikende Lehrer_Innen halten dem moralischen Druck nicht stand, „ihre Schülis im Stich zu lassen“. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen zeigen: Macht weiter! Die paar ausgefallenen Stunden sind Nichts im Vergleich zu dieser katastrophalen Situation, die von den Politiker_Innen „Unterricht“ genannt wird und Prüfungen lassen sich auch immer verschieben. Es geht hier um mehr als um einen Tarifvertrag. In ganz Deutschland herrscht ein riesengroßer Personalmangel an den Schulen. Bis 2030 sind über 100.000 Lehrer_Innenstellen unbesetzt. Nun stellt sich die Frage, wer diesen Mangel ausgleichen muss. Ist es der Staat, der endlich mal Geld für Bildung statt für Rüstung in die Hand nimmt und mehr Lehramtsstudiumsplätze schafft, den NC dafür abschafft und die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessert? Oder sind es wir und die Lehrer_Innen, die im Falle der Lehrer_Innen mehr belastet werden und in unserem Fall eine schlechtere (und ungerechtere) Bildung erhalten? Die KMK (die Konferenz der Bildungsminister_Innen aller 16 Bundesländer) fordert zur Bekämpfung des Lehrer_Innenmangels die Klassen zu vergrößern, das wöchentliche Stundendeputat der Lehrer_Innen zu erhöhen, pensionierte Lehrer_Innen aus dem Ruhestand zurückzuhalten und mehr Online-Unterricht einzuführen, damit eine Lehrkraft mehrere Klassen gleichzeitig unterrichten kann. In Sachsen-Anhalt wurden bereits Teile davon umgesetzt. Hier müssen die Lehrer_Innen 1 Unterrichtsstunde mehr unterrichten und der Freitag findet bereits online statt. Auch wird diskutiert, ein paar „unwichtige“ Fächer wie Kunst, Musik, Sport, Politik, Geschichte oder Ethik einfach wegzusparen.

Wie in jedem Tarifkampf geht es also darum, ob sich die Interessen des Kapitals oder der Beschäftigten durchsetzen. Der Widerspruch zwischen den Klasseninteressen wird dabei umso größer, je mehr sich die globale Krise verschärft. Angesichts des Krieges und der Wirtschaftskrise holt das Kapital also überall auf der Welt zum Angriff gegen uns Jugendliche und Lohnabhängige aus. Erst kamen die unzureichenden Einmalzahlungen statt Lohnerhöhungen in der Metall- und Elektroindustrie, dann Lauterbachs miese Krankenhausreform im Gesundheitssektor, dann wird über die Einschränkung des Streikrechts diskutiert und nun kommt die KMK und will, dass Lehrer_Innen und Schüler_Innen die jahrzehntelange Unterfinanzierung des Bildungssystems ausbaden. Es geht bei dem Kampf um den TV-G also zum einen darum, unsere Lernbedingungen ganz konkret zu verbessern, zum anderen aber auch darum, sich der schrittweisen Angriffswelle des Kapitals auf das Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen zu widersetzen.

Vom Warnstreik zum Erzwingungsstreik zur bundesweiten Streikwelle!

Bisher hat der Berliner Finanzsenator die Forderungen der GEW einfach ignoriert. Auch wenn die Gewerkschaft die Anzahl der Warnstreiktage nun auf 2 hintereinander folgende Tage erhöht hat, wird das noch nicht den nötigen Druck erzeugen, den es braucht, um einen Tarifvertrag zu erkämpfen. Es gibt nur einen Weg zum Erfolg und das ist ein unbefristeter Erzwingungsstreik, so wie es die junge GEW Berlin fordert. Das ist ein Streik, der nicht nur auf einen Tag angelegt ist, sondern so lange dauert, bis das Ziel erreicht ist. Diese Forderung muss in die Streikversammlungen hineingetragen werden, sodass die Gewerkschaftsführung gar nicht mehr anders kann, als eine Urabstimmung über den Erzwingungsstreik einzuleiten. Gleichzeitig muss die GEW, die nicht nur Lehrer_Innen, sondern auch Erzieher_Innen organisiert, auch die Kitabeschäftigten und Sozialarbeiter_Innen zum Streik aufrufen. In ihren Einrichtungen sieht der Betreuungsschlüssel oft noch katastrophaler als in den Schulen aus und sie bekommen sogar noch viel weniger Geld für ihre harte Arbeit. Gemeinsam wird der Druck auf den Berliner Senat unerträglich hoch werden, wenn nicht nur die Schulen, sondern auch Kitas und Jugendclubs dicht sind. Ebenso streikt gerade nicht nur die GEW, sondern es finden auch die Streiks im Öffentlichen Dienst (TV-ÖD) statt. Die Basis der Streikbewegungen muss für gemeinsame Streiktage eintreten.

Doch auch außerhalb Berlins sieht die Situation ähnlich oder sogar noch schlimmer aus. Der Kampf für kleinere Klassen muss deshalb über die Berliner Stadtgrenzen hinausgetragen werden. Außerdem kann der Arbeitgeber_Innenverband der Lehrer_Innen (die „Tarifgemeinschaft der Länder“) dann auch nicht mehr damit drohen, Berlin rauszuschmeißen, wenn auch in anderen Bundesländern gestreikt wird. In Hamburg und Baden-Württemberg haben wir bereits erste Initiativen für Tarifverträge für kleinere Klassen angestoßen. Wenn es im September zur Tarifrunde der Länder (TV-L) kommt, gilt es, die Forderungen nach kleinen Klassen und einem tarifvertraglich geregelten Betreuungs- und Pflegeschlüssel mit in den Tarifvertrag aufzunehmen. Fragt eure Lehrer_Innen, ob sie in der GEW sind, ob sie schon etwas von den 11 Streiks für kleinere Klassen in Berlin gehört haben und ob sie diese Idee nicht auch mal in ihren GEW-Kreis oder -bezirksverband tragen wollen. Diskutiert mit euren Mitschüler_Innen und tragt die Forderung nach kleineren Klassen in eure Schulen!




Rätedemokratie – was ist das?

Von Stephie Murcatto

Die Klimagerechtigkeitsorganisation „Letzte Generation“ fordert „Gesellschaftsräte“, die aus gelosten Vertreter_Innen aus allen Bevölkerungsschichten bestehen und der Bundesregierung Empfehlungen aussprechen soll. Die Räte hätten dann aber keine gesellschaftliche Macht. Wir wollen hier unser Verständnis was Rätedemokratie ist und wie das funktioniert, als wesentlich demokratischere Alternative zur parlamentarischen Demokratie, wieder auflegen. Die Rolle der Rätedemokratie wäre dann auch nicht nur Maßnahmen gegen den Klimawandel auszuarbeiten, sondern die Räte würden beschließendes und ausführendes Organ zugleich sein. Dazu kommt auch noch, dass ein Rätesystem nicht nur aus zufällig gewählten Durchschnitten der Gesellschaft bestehen würde, sondern tatsächlich aus der ganzen Gesellschaft, damit diese dann auch als Gesamtes Entscheidungen treffen kann.

Wie ist eine Rätedemokratie aufgebaut?

Rätesysteme sind ein Stufenhaft aufgebautes System, in dem die Repräsentant_Innen direkt an die Wähler_Innen gebunden sind und als koordinierendes und ausführendes Organ dienen, also Entscheidungen treffen und diese durchsetzen. Dabei ist wichtig, dass gewählte Repräsentant_Innen also immer rechenschaftspflichtig und jederzeit wähl- und wieder abwählbar gegenüber ihrer Basis sind. Es gibt verschiedene Ebenen: In einzelnen Betrieben und Fabriken, in Branchen, auf Regional- und Stadtebene, auf Landesebene und Internationale Räte, die alle auf einander aufbauen.

Das heißt jetzt konkret, dass sich zum Beispiel eine Fabrik einen Rat gewählt hat, der die Interessen der Arbeiter_Innen dieser Fabrik vertritt. Die Mitglieder dieses Rates kommen aus der Arbeiter_Innenschaft dieser Fabrik und sind zuständig dafür zu sorgen, das alles innerhalb der Fabrik gut läuft. Wenn die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern können sie z.B. auch Streiks organisieren, um sie wieder zu verbessern, sollten sie die Arbeitsbedingungen nicht eh kontrollieren.

Dann gibt es die nächste Stufe der Räte, die Stadt- und Regionalräte. Das wäre dann ein Rat, der aus Repräsentant_Innen all der verschiedenen Räte, die es innerhalb einer Stadt oder Region gibt zusammengesetzt werden würde. Also aus Repräsentant_Innen der Fabriken, der Büros, der Krankenhäuser, der Schulen, der Unis,… und allen anderen Räten innerhalb einer Stadt. Dieser Rat kann dann z.B. Stadtweise Entscheidungen mit den verschiedenen Räten organisieren und umsetzen wie die Reparatur von Straßen mit einem Rat von Bauarbeiter_Innen oder die Reparatur von Stromnetzen mit Elektroniker_Innen. Außerdem organisieren sie auch die Arbeiter_Innenmilizen, die dem Schutz der neuen Ordnung dienen, also die kapitalistischen Konterrevolutionsversuche abwehren, aber auch die Menschen schützen, z.B. vor sexistischen, rassistischen oder faschistischen Übergriffen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Polizei werden auch sie gewählt, sind rechenschaftspflichtig und rekrutieren sich jeweils aus der Stadtbevölkerung. Besonders während der Revolution kommt natürlich auch das Organisieren stadtweiter Streiks zum umsetzen von politischen Forderungen, die dem Interesse der Arbeiter_Innenklasse dienen, dazu. Auf dem Land passiert das gleiche mit Regionalräten, die einige Dörfer bzw. Kleinstädte umfassen.

Eine Stufe nach oben gibt es landesweite Räte, wo Repräsentant_Innen, von jeder Stadt und jedem Regionalrat repräsentiert sind und somit Repräsentant_Innen von der gesamten Arbeiter_Innenschaft landesweit. Dieser Rat organisiert dann Entscheidungen auf einer landesweiten Ebene, wie zum Beispiel den Ausbau von öffentlichem Personenverkehr mit den verschieden Räten dieser Gebiete oder auch logistische Angelegenheiten, wie die Verteilung von den produzierten Gütern mit den Räten der Bahn. Zudem bestimmt er, was eigentlich produziert werden soll, durch demokratische Bestimmung mit allen Räten und über Umfragen in der Bevölkerung, was eigentlich gebraucht wird. Zusätzlich organisieren sich Arbeiter_Innen einer bestimmten Berufsgruppe in einem landesweiten Rat, der mitentscheidet und diese Entscheidung umsetzt. Das ist Sinnvoll, aus dem Grund dass diese Räte die Expert_Innen in den jeweiligen Themengebieten sind.

Aber es gibt auch noch die nicht weniger relevante Internationale Stufe, wo Repräsentant_Innen der Arbeiter_Innenklasse von jedem Land zusammenkommen, um auf internationaler Ebene Entscheidungen zu koordinieren. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, bei allen nationalen Eigenheiten, immer noch das Gesamtinteresse des internationalen Proletariats zu vertreten. Sie kümmern sich z.B. um den Transport von Produkten auf einer internationalen Ebene, damit alle Fabriken das haben, was sie brauchen zum Produzieren. Außerdem verwalten sie auch international die Umsetzung der demokratischen Planwirtschaft, damit international alles verfügbar ist was gebraucht wird und es keine Unter- oder Überproduktion gibt. Außerdem müssen sie das Ziel der Weltrevolution immer im Fokus behalten, um den Rest der Klassengesellschaft abzuschaffen.

Bei all diesen Punkten ist es wichtig in Erinnerung zu behalten, dass die Repräsentant_Innen direkt aus der Arbeiter_Innenschaft kommen und deren einzige Aufgabe darin besteht, zu verwalten, zu organisieren und umzusetzen, was demokratisch bestimmt wird. Dabei verdienen sie nicht mehr als den durchschnittlichen Arbeiter_Innenlohn und sind jederzeit wählbar und abwählbar, sodass die Repräsentant_Innen die Interessen der Arbeiter_Innenklasse vertreten müssen und die vollständige Demokratie in diesem System erst entstehen kann.

Wie entstehen Räte und wie kommen sie an die macht?

Historisch gibt es verschiedene Beispiele von Räten als Parallelstruktur zum bürgerlichen Staat und davon, dass die Räte zur Regierungsform geworden sind. Zum Beispiel die Pariser Kommune, die Münchner Räterepublik oder die ungarische Räterepublik. Das nennenswerteste Beispiel sind jedoch die Sowjets (russisch für Rat) zur Zeit der Oktoberrevolution 1917 im ehemaligem Zarenreich, wo es überall im Land (aber hauptsächlich in den Städten) Sowjets gab, die parallel zur Zarenherrschaft mit dem Scheinparlament Duma und nach dessen Sturz parallel zur bürgerlichen provisorischen Regierung von Kerenski existiert haben. Aber zu diesem Zeitpunkt konnten sie noch keine richtige Macht ausüben.

Die Bolschewistische Partei hatte die Perspektive, die Sowjets an die Macht zu bringen, die ihren Kampf mit der Parole „Alle Macht den Sowjets“ führte und auch durch eine Revolution gemeinsam mit den Räten diese Parole konkret umsetzen konnte. Aber die Bolschewiki wollten nicht nur die Sowjets an die Macht bringen, sondern nutzen die Sowjets auch, um sich selbst an die Macht zu bringen, also quasi als Revolutionsorgan und als Möglichkeit ihre Perspektiven und Meinungen in die Arbeiter_Innenklasse zu bringen. Als dann unter Führung der Arbeiter_Innenklasse mit der Bäuer_Innenklasse zusammen die sozialistische Revolution in Russland ausbrach, wurde die Parole zur Tatsache und die Sowjets wurden zum Herrschaftsorgan der Arbeiter_Innenklasse und es gründete sich die Sowjetunion.

Das ist natürlich alles schön und gut aber heute haben wir solche Parallelstrukturen zum bürgerlichen Staat leider nicht. Die gehören aber aufgebaut! Dies kann meistens innerhalb von starken Bewegungen innerhalb der Arbeiter_Innenklasse passieren, wie zum Beispiel in der Klimabewegung. Bei Streiks können mit Streikposten und -komitees eine Grundlage für Räte gebildet werden. Damals in Russland entstanden die Sowjets zwischen 1905-1907 in der ersten russischen Revolution, die auch eine starke Arbeiter_Innenbewegung und große Massenstreiks beinhaltete, jedoch nicht zur Machtübernahme durch die Sowjets schritt. Die Bildung dieser Räte geschah auch da nicht von alleine, sondern musste unterstützt werden. Das ist, was wir als Revolutionär_Innen heute machen müssen. Wir müssen die Bildung von Parallelstrukturen zur bürgerlichen Regierung aktiv unterstützen, damit eine sozialistische Revolution überhaupt irgendeine Chance hat.