Militärputsch in Myanmar – vom Widerstand zur Revolution

Liga für die Fünfte Internationale, 9.2.2021, Infomail 1138, 11. Februar 2021

zuerst veröffentlicht unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/02/11/militaerputsch-in-myanmar-vom-widerstand-zur-revolution/

Seit einigen Tagen füllen Hunderttausende von Demonstrant_Innen die Straßen der größten Stadt Myanmars, Rangun, der zweitgrössten Stadt, Mandalay, der Hauptstadt Naypyidaw und vieler anderer Städte und Ortschaften. Sie skandieren „Military dictator, fail, fail; Democracy, win, win“ („Militärdiktator, scheitern, scheitern; Demokratie, siegen, siegen“) und fordern ein Ende des Putsches, der von der Junta unter dem Oberbefehlshaber der Armee, Min Aung Hlaing, durchgeführt wurde. In der Stadt Bago setzte die Polizei Wasserwerfer ein, schaffte es aber nicht, die Menschenmenge zu zerstreuen. In der Hauptstadt, wo sich das militärische Oberkommando befindet, wurden Gummigeschosse abgefeuert.

Das Militär, bekannt als Tatmadaw, startete den Coup vom 1. Februar, weil es zutiefst beunruhigt war über das Ausmaß des Sieges der Nationalen Liga für Demokratie (National League for Democracy; NLD) der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in den Novemberwahlen, die 396 von 476 Sitzen im Parlament gewann. Ihre eigene Marionette, die Union Solidarity and Development Party (Partei für Einheit, Solidarität und Entwicklung), erlitt eine vernichtende Demütigung und erhielt nur 33 Sitze. Infolgedessen stehen Staatsrätin Suu Kyi und der Präsident der NLD, Win Myint, unter Hausarrest.

Das Militär behauptet, ohne jeglichen Beweis, dass die Wahlergebnisse vom November gefälscht waren. In Wirklichkeit hatte es Angst, dass eine weitere NLD-Regierung mit einer so großen Mehrheit im Parlament versucht sein könnte, die Verfassung von 2008 zu ändern. Diese verlieh den Streitkräften enorme Privilegien, einschließlich 25 Prozent der Sitze im Parlament, und die Kontrolle über wichtige Sicherheitsministerien. Sie schützt auch die Kontrolle der Militärelite über große Teile der Wirtschaft des Landes.

Bewegung

Student_Innen, Beamt_Innen, Ärzt_Innen, Lehrer_Innen und Fabrikarbeiter:Innen, viele aus Firmen, die mit dem Militär verbunden sind, haben Streiks und Arbeitsniederlegungen begonnen. Um die Demonstrationen zu unterbinden, blockierten die Militärs sofort Facebook, Twitter und Instagram, und dann wurde die Verbindung zum gesamten Internet auf nur 16 Prozent der normalen Rate gedrosselt. Dennoch ist es ihnen nicht gelungen, die Demonstrationen zu unterdrücken, die am Wochenende des 6. und 7. Februar massenhafte Ausmaße annahmen.

Am dritten Tag der Mobilisierung wurden weit verbreitete Rufe nach einem Generalstreik laut. Trotz der Schließung der Social-Media-Kanäle haben die Mobilisierungen ihre eigenen Mittel zur Verbreitung der Aktionsaufrufe hervorgebracht. Von einem Ende des Landes zum anderen wird immer deutlicher, dass sich eine Revolution entwickelt, die nur mit brutalstem Vorgehen niedergeschlagen werden könnte.

Die Generäle haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie durchaus bereit sind, zu massiver Gewalt zu greifen. Tausende wurden getötet, als sie 1988 den Volksmacht-Aufstand niederschlugen, und erneut 2007, als die Armee die „Safran-Revolution“ zermalmte, die so genannt wurde, weil so viele buddhistische Mönche an den Demonstrationen beteiligt waren. Seitdem haben jedoch zehn Jahre einer „demokratischen Öffnung“ und die Nutzung sozialer Medien den Mut und das Selbstvertrauen einer großen Zahl junger Menschen gestärkt.

Bis jetzt scheint die Junta zu zögern, vielleicht aus Angst, die Moral ihrer Truppen zu testen, sollten sie aufgefordert werden, auf eine so extrem populäre Bewegung zu schießen. Stattdessen haben sie Pro-Armee-Gruppen mobilisiert, um gegen die DemonstrantInnen aufzumarschieren. Es ist klar, dass diese Krise nicht unendlich weitergehen kann. Zwei Hauptakteur_Innen, die Arbeiter_Innenklasse und die einfachen Soldat_Innen werden bestimmen, wie sie sich weiterentwickelt. Wird ein umfassender Generalstreik das Land lahmlegen? Kann man sich auf die Soldat_Innen verlassen, dass sie das Feuer auf ihre Landsleute eröffnen?

Führung

Das Problem, mit dem die Bewegung konfrontiert ist, ist das gleiche wie bei früheren Revolten, nämlich das Fehlen einer Führung, die organisch in den Massen verwurzelt ist. Von der NLD, deren rote Banner und Hemden überall zu sehen sind, wird nicht berichtet, dass sie die organisierende Kraft ist. Sie konzentriert sich ganz auf den Kult um ihre Führerin, Aung Sang Suu Kyi, die zuvor 15 Jahre in Haft verbracht hatte und ein unvergleichliches Prestige besitzt. Ihr Vater (Bogyoke) Aung Sang (1915–1947) war der Gründer der damaligen burmesischen Streitkräfte und trägt den Titel „Vater der Nation“.

Im Ausland wurde ihr Ruf jedoch durch die schändliche Art und Weise befleckt, wie sie 2017 die ethnische Säuberung und den versuchten Völkermord am Volk der Rohingya deckte, als 740.000 zur Flucht nach Bangladesch gezwungen wurden, wo sie in Lagern unter entsetzlichen Bedingungen leben. Trotz ihres Versagens, die Rechte der Minderheitsnationalitäten Myanmars, etwa 32 % der Bevölkerung, zu unterstützen, was ein Ergebnis ihres burmesischen (Bamar-)Nationalismus ist, ist sie immer noch enorm beliebt bei der Masse. Sollten die Dinge für die Generäle schlecht laufen, könnten sie sogar auf einen Deal mit ihr zurückgreifen, um eine revolutionäre Bewegung zu befrieden. In Anbetracht ihres bisherigen Verhaltens könnte sie dies durchaus akzeptieren.

Um das Fortschreiten des Putsches aufzuhalten, sind drei Dinge notwendig: die Fortsetzung der Massendemonstrationen, die Einleitung eines umfassenden unbefristeten Generalstreiks, der das Land zum Stillstand bringen wird, und dabei das Brechen der einfachen Soldaten der Streitkräfte und der unteren Ränge der Polizei von ihren Befehlshabern und ihre Gewinnung für die Bewegung.

Im Zuge eines solchen Generalstreiks sollten in allen Betrieben und
Bildungsstätten Aktionsräte als Führung der Revolution gewählt werden.
Aus diesen Mobilisierungen heraus sollten Verteidigungsgruppen von
ArbeiterInnen, Jugendlichen, SoldatInnen, Bauern und Bäuerinnen gebildet
werden. Wenn die SoldatInnen zur Revolution übergehen, müssen auch sie
ihre eigenen Räte organisieren und die OffizierInnen und KommandantInnen
durch gewählte, den Massen ergebene ersetzen.

Allein die Tatsache, dass die Generäle trotz eines Jahrzehnts „demokratischer Öffnung“ und der Präsenz der NLD in der Regierung seit 2015 immer noch an der wirklichen Macht, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch, festhielten, zeigt einfach, dass ihre Diktatur hinter einer Fassade der zivilen Herrschaft versteckt war.

Die Lehre aus den Revolutionen des Arabischen Frühlings von 2011 ist, dass ohne eine politische Partei der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend die Revolution entweder zerschlagen wird oder die Massen durch eine Umgruppierung der Generäle und der Politiker_Innen an der Spitze getäuscht werden. Eine konterrevolutionäre Führung von oben wird ein Vakuum füllen, das durch das Fehlen einer revolutionären Führung von unten entsteht. So ist heute, in Ägypten, Abd al-Fattah as-Sisi trotz der Mobilisierungen auf dem Tahrir-Platz ein noch brutalerer Diktator als Hosni Mubarak, der durch diese Demonstrationen gestürzt wurde.

Permanente Revolution

Nur eine durchgreifende demokratische politische Revolution, angeführt von der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend, die sich zu einer sozialen Revolution weiterentwickelt, kann diese Situation grundlegend verändern. Es muss eine Revolution sein, die die Macht der Kaste der Generäle vollständig auflöst und die Repressionsmaschinerie des Staates endgültig zerschlägt. Sie muss auch ihre ökonomische Macht beenden, ihre unrechtmäßigen Gewinne beschlagnahmen, die Arbeiter_Innenkontrolle in den Fabriken und Büros, den Schulen, Krankenhäusern und anderen Arbeitsstätten etablieren. Auf dem Lande müssen die Bauern und Bäuerinnen ihre eigenen Räte organisieren. Eine solche Revolution sollte die Militärregierung vertreiben und eine Regierung der Arbeiter_Innen und Bauern sowie Bäuerinnen an die Macht bringen.

Angesichts der demokratischen Hoffnungen und Bestrebungen des Volkes nach so vielen Jahrzehnten der Diktatur wird es sehr wahrscheinlich notwendig sein, die Forderung nach Wahlen zu einer völlig souveränen verfassunggebenden Versammlung zu erheben und nicht einfach eine weitere NLD-Regierung zu installieren, die bereit ist, einen Deal mit der Tatmadaw einzugehen. Diese Wahlen sollten unter der Kontrolle von Komitees und Räten der Arbeiter_Innen, der Jugend, von Bauern und Bäuerinnen durchgeführt und von deren Verteidigungsorganisationen bewacht werden. Die Versammlung sollte nicht nur die Rechte der burmesischen Mehrheitsethnie berücksichtigen, sondern auch das auf Selbstbestimmung aller nationalen Minderheiten des Landes, einschließlich der Rückkehr der Rohingya-Flüchtlinge.

Nicht zuletzt muss im Verlauf der Revolution eine revolutionäre Partei der Arbeiter_Innenklasse gebildet werden, die alle Versuche Suu Kyis und der NLD, erneut Kompromisse mit dem Militär einzugehen und das Land für ausländisches Kapital, ob aus dem Westen oder aus China, zu öffnen, herausfordern kann.

Schließlich sollten die Kommunist_Innen dafür kämpfen, dass eine konstituierende Versammlung alle ausländischen und einheimischen Großkapitalist_Innen enteignet und das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln einführt. Obwohl die Revolution in Myanmar also als eine Revolution für Demokratie beginnt, muss sie sich, um diese vollständig zu erreichen, zu einer Revolution für Arbeiter_Innenmacht und Sozialismus entwickeln.

Unterstützung und Solidarität – von wem?

Zwei imperialistische „Lager“ verfolgen die Krise in Myanmar: zum
einen die USA und ihre westlichen Verbündeten, zum anderen China und in
geringerem Maße Russland. Die NLD, seit 2015 an der Regierung, hat
versucht, Myanmar für den Westen zu öffnen. Trump zeigte wenig
Interesse, aber der neue US-Präsident forderte die Generäle schnell auf,
die Demokratie wiederherzustellen.

Sein nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, hat gesagt, das Weiße Haus prüfe „spezifische gezielte Sanktionen sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen vom Militär kontrollierte Einrichtungen, die es bereichern“. Diese „gezielten Sanktionen“, wie sie gegen Russland oder Venezuela gerichtet sind, werden der Sache der arbeitenden Menschen und der Jugend dieser Länder nicht ein Jota helfen.

Sie werden ebenso wenig ändern wie Erklärungen des UN-Sicherheitsrates, der lediglich „tiefe Besorgnis“ über die willkürliche Inhaftierung von Mitgliedern der Regierung Myanmars zum Ausdruck brachte und ihre sofortige Freilassung forderte. Natürlich war dieser Entwurf einer Erklärung verwässert worden, um ein Veto Russlands und Chinas zu verhindern. China bleibt jedoch vorsichtig, um zu sehen, wer sich durchsetzen wird. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, erklärte, dass Peking immer noch versuche, die Situation in Myanmar zu verstehen“, während er gleichzeitig betonte, dass China „Myanmars freundlicher Nachbar“ sei und die Regierung hoffe, dass „alle Parteien in Myanmar ihre Streitigkeiten beilegen und die soziale und politische Stabilität aufrechterhalten können, indem sie die Verfassung und die Gesetze anwenden“. Chinas Außenminister, Wang Yi, hatte das Land Mitte Januar besucht und sowohl Aung Sang Suu Kyi als auch Min Aung Hlaing getroffen.

China hat große strategische und wirtschaftliche Interessen in Myanmar. Es ist ein wichtiges Glied im berühmten „one belt, one road“-Projekt, das chinesischen Händler_Innen direkten Zugang zum Indischen Ozean verschafft. Aber wie in anderen Ländern auch gab es in letzter Zeit Reibereien zwischen dem Militär und China wegen eines Wasserkraftprojektes und den Praktiken chinesischer Firmen bei großen Infrastrukturplänen. Wenn der Westen ernsthafte Maßnahmen ergreift, um Myanmar zu isolieren, wird er das Land mit Sicherheit in das Lager Pekings treiben, und das könnte seine Hand draufhalten.

Eines ist sicher, keine dieser Gruppen rivalisierender imperialistischer Mächte ist wirklich an den demokratischen Rechten oder der Souveränität Myanmars und seiner Völker interessiert, geschweige denn an der Unterstützung der Kämpfe der Arbeiter_Innen und der Jugend Myanmars.

In den letzten Jahren ist das Land zum Ziel für immer mehr ausländisches Kapital geworden. Chinesische Bekleidungshersteller_Innen gehören zu denjenigen, die sich im Land niedergelassen haben. Mittlerweile gibt es 350 große Fabriken, die 240.000 Arbeiter_Innen beschäftigen, von denen über 90 Prozent Frauen sind. Die meisten ausländischen Direktinvestitionen kommen jedoch immer noch aus der südostasiatischen Region und hatten im Steuerjahr 2020 einen Wert von 5,5 Mrd. US-Dollar (4 Mrd. Britische Pfund). Singapur war der größte ausländische Investor mit einem Anteil von 34 Prozent an den gesamten genehmigten Investitionen. Hongkong war der zweitgrößte, mit 26 Prozent. Auf Immobilien und die verarbeitende Industrie entfielen jeweils etwa 20 Prozent.

Dennoch geht ein Großteil der Produktion der Fabriken des Landes nach Europa. Deutschland, Spanien und Großbritannien führen die Liste der Importeur_Innen von Produkten der Bekleidungs- und Schuhindustrie Myanmars an. Die großen Textilketten wie H&M könnten ein Ziel für Streikposten und Proteste in Solidarität mit den Arbeiter_Innen und Jugendlichen des Landes werden.

Die westlichen imperialistischen Demokratien werden wie bisher nichts tun, um den Massen in Myanmar zu helfen, während vor allem China weiterhin die Generäle unterstützen wird. Es ist die Arbeiter_Innenklasse auf der ganzen Welt, die ihre Solidarität mit einem Generalstreik und dem Widerstand ausdrücken sollte, falls das Militär zum Blutvergießen greift. SozialistInnen und KommunistInnen sollten ihre volle Unterstützung für den Widerstand gegen die Militärherrschaft in Myanmar erklären und einen ArbeiterInnenboykott als Zeichen unserer Solidarität verhängen.

  • Nieder mit der Militärjunta!
  • Solidarität mit dem Widerstand!
  • Vorwärts zu einer demokratischen und sozialen Revolution in Myanmar!



1 Jahr Hanau- Wie Rassismus effektiv bekämpfen?

Von Leila Cheng

Dieses Jahr am 19./20. Februar jährt sich der rassistische Anschlag in Hanau, der zehn Menschen das Leben kostete. Ihre Namen sind inzwischen Deutschland weit bekannt: Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu, Gabriele Rathjen. Was aber auch inzwischen jedem bekannt sein sollte ist, dass es sich bei Hanau um keinen Einzelfall handelte. Die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen August 1992 gegen Asylbewerber_Innen und vietnamesische Vertragsarbeiter_Innen, der NSU und seine Attentate an migrantischen Ladenbesitzer_Innen, der Anschlag auf eine Synagoge letztes Jahr in Halle und die zahlreichen Brandanschläge auf Asylheime, wo es allein 2015 mehr als 1000 Stück in Deutschland gab. Dies sind nur einige Beispiele einer Mordserie gegen Migrant_Innen, gesellschaftlich Unterdrückte, aber auch Linke seit dem 2. Weltkrieg in der BRD. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Polizei, Gerichte und der Verfassungsschutz. Zum Beispiel bei der Verbrennung Oury Jallohs 2005 durch die Polizei selbst, beim NSU 2.0, dessen Drohnachrichten von Polizeicomputern kamen, bei der Ermordung Jorge Gomondais, als gerichtliche und polizeiliche Daten einfach verschwanden oder auch bei den NSU Morden, bei denen V-Männer teilweise anwesend waren oder Informationen nicht rausgegeben wurden. Aber auch die Ermordung von Migrant_Innen an den Außengrenzen Europas, dass sie in Lagern wie das auf Moria gesperrt und menschenunwürdig behandelt werden, ist ein Teil dieser Mordserie.

Doch was müssen wir tun, damit dies endet?

Zuerst einmal ist es
wichtig den Zusammenhang nicht nur zwischen dem bürgerlichen Staat
und Rassismus, sondern auch der kapitalistischen Wirtschaftsweise und
dem Rassismus zu verstehen.

Rassismus hat seine
Wurzeln im kapitalistischen Nationalstaat: Mit der kapitalistischen
Wirtschaftsweise und der Ersetzung der feudalen durch die
industrielle Gesellschaft, mit der Ersetzung der Adelsherrschaft
durch die Bürgerliche entstanden neue Formen der Unterdrückung. Der
bürgerlich kapitalistische Staat steht stets in Konkurrenz mit
anderen Nationalstaaten um den größten Profit. Er vertritt dabei
das Gesamtinteresse der Kapitalist_Innen auf nationaler Ebene. Mit
der Kolonialisierung entstanden große imperialistische Mächte, wie
Deutschland, die USA oder Frankreich und ausgebeutete
Kolonialstaaten. Heute sind die meisten dieser Staaten zwar formal
selbstständig, aber politisch und wirtschaftlich immer noch
abhängig, weshalb wir sie Halbkolonien nennen. Die Kapitalist_innen
in den imperialistischen Staaten sammeln in ihrer Konkurrenz immer
mehr Kapital an, sodass die Anlagemöglichkeiten im eigenen Land
nicht mehr ausreichen. Deswegen müssen sie Ihr
Kapital auslagern. Viele investieren in
Halbkolonien, kaufen Fabriken, Land und Infrastruktur dort auf, wo
sie hohe Profite einfahren, Mensch und
Natur unter unwürdigen Bedingungen ausbeuten können. Dieses
Vorgehen muss mit diplomatischer, wirtschaftlicher oder mit
militärischer Gewalt durchgesetzt werden, wobei der bewaffnete Krieg
der krasseste Auswuchs ist. Rassismus legitimiert sowohl
Unterdrückung als auch ihre Durchsetzung,
indem er Menschen in rassische Kategorien einteilt, bei denen alle
nicht-weiße unzulänglich und damit zurecht benachteiligt oder
beherrscht sind. Aber er legitimiert damit auch die Ausbeutung
von z.B. Leiharbeiter_Innen im eigenen Land. Da er in die gesamte
Gesellschaft vordringt, also auch die Arbeiter_Innenklasse, sorgt er
für ihre Spaltung in Nationalitäten, den Ausschluss von
Migrant_Innen aus Gewerkschaften und sozialchauvinistische Ideologien
und verhindert somit einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten.
Das kommt der herrschenden Klasse sehr gelegen.

Im imperialistische
Weltsystem rechtfertigt der Rassismus die Überausbeutung großer
Teile der Welt, die
Entsolidarisierung weiter Teile der Arbeiter_Innenklasse in
imperialistischen Nationen, sowie Kriege um Ressourcen
und Vorherrschaft.

Um Rassismus zu bekämpfen, müssen wir
daher auch den Kapitalismus bekämpfen. Dafür haben wir drei
wichtige antirassistische Forderungen aufgestellt, die erklären, wie
man vorgehen sollte.

  1. Offene
    Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für Alle!

An den Grenzen Europas werden derzeit
tausende Menschen ermordet. Sie ertrinken im Mittelmeer, sterben in
Lagern oder werden von rassistischen Milizen oder der Grenzpolizei
selbst angegriffen. Wir müssen diesen Morden ein Ende setzen, genau
wie dem EU-Imperialismus. Deswegen fordern wir die Zerschlagung von
Frontex oder ähnlichen Grenzpolizeieinheiten, genau wie die
Auflösung aller Lager an den europäischen Außengrenzen und die
uneingeschränkte Aufnahme der Geflüchteten in Europa. Um dies zu
ermöglichen brauchen wir eine
europaweite Vernetzung der antirassistischen und
Arbeiter_Innenbewegung. Aber warum gerade die Arbeiter_Innen? Bei
ihnen kommen einige wichtige Aspekte zusammen: Erstens sind sie keine
Nutznießer des Rassismus, ganz im Gegenteil, wie schon gesagt,
werden sie dadurch eher gespalten und gegeneinander ausgespielt,
während sie genau denen gegenüberstehen, die vom Imperialismus und
Rassismus profitieren, nämlich den Kapitalist_Innen. Zweitens haben
sie sehr mächtige Kampfmethoden, um Forderungen umzusetzen, nämlich
Streiks und Besetzungen von Betrieben, welche großen
wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Drittens und am
wichtigsten schlummert in den Arbeiter_Innen die Grundlage für eine
solidarische Gesellschaft, da sie im Stande sind, eine Produktion
fernab von Profitzwang und Ausbeutung aufzubauen, sobald die Mittel
dazu aus den Händen der Kapitalist_Innen gerissen wurden. Die
Arbeiter_Innenbewegung muss sich dessen bewusst werden und sich aus
internationaler Solidarität für offenen Grenzen einsetzen!

Aber
auch die Menschen, die hier herkommen, werden noch ungleich
behandelt. Der staatliche Rassismus in Deutschland spiegelt sich
nicht nur darin wider, dass es rassistische Polizeikontrollen gibt,
oder Menschen bei der kleinsten Straftat, wie einem Ladendiebstahl,
abgeschoben werden können. Es gelten unter anderem auch
Arbeitsverbote für Migrant_Innen, die noch keine
Staatsbürger_Innenschaft haben. Nun ist Lohnarbeit natürlich
Ausbeutung und es gilt diese zu überwinden, aber innerhalb des
Kapitalismus sind alle Arbeiter_Innen abhängig von ihr. Viele
Migrant_Innen bleiben direkt abhängig vom Staat und dürfen nicht
arbeiten. Das verbreitet und reproduziert wieder rassistische
Klischees in der Arbeiter_Innenklasse und im Kleinbürger_Innentum
von den angeblich so „faulen“ Migrant_Innen. Außerdem drängt es
viele Migrant_Innen in die unterbezahlte Schwarzarbeit oder in
bestimmte Formen der Gang- und Drogenkriminalität. Deswegen ist es
mehr als nötig die Abschaffung jeder rechtlichen Benachteiligung von
Migrant_Innen und insbesondere der Arbeitsverbote zu fordern. Zudem
ist auch die Isolation in Sammelunterkünften ein großes Problem,
weil Geflüchtete dadurch kein selbstbestimmtes Leben führen können
und nur schwierig am öffentlichen Leben teilnehmen können. Her mit
der dezentralen Unterbringung durch Enteignung des leerstehenden
Wohnraumes, Spekulationsobjekte und Hotels!

Menschen sind oft aus bestimmten Gründen auf der Flucht. Viele fliehen vor Armut, Umweltkatastrophen oder Kriegen. Deutschland spielt dabei mit der Beteiligung in der NATO und mit massiven Waffenexporten, aber auch als führender Imperialist in der EU bei der Ausbeutung von afrikanischen Wirtschaften, eine zentrale Rolle. Deswegen müssen wir hier anfangen, um Fluchtursachen ein Ende zu setzen! Eine weitere zentrale Forderung ist die Vergesellschaftung von Rüstungskonzernen und allen weiteren Konzernen/ Unternehmen, die von Krieg, Flucht und dem rassistischen Lagersystem profitieren. Sie müssen unter Kontrolle der Belegschafteb zu einer Produktion umgebaut werden, die unsere Bedürfnisse befriedigen, statt nur für Krieg und Leid zu sorgen! Zudem müssen die NATO und andere imperialistische Militärbündnisse zerschlagen werden, denn sie stehen für ständiges Aufrüsten zwischen imperialistischen Machtblöcken, Kriege um Ressourcen, Einfluss und weltweite Durchsetzung von Unterdrückung.

2. Schluss mit Angriffen und Terrorismus Migrant_Innen und Linke!

Hanau, Halle, Rostock-Lichtenhagen.
Jorge Gomondai, Silvio Meier, Amadeu Antonio Kiowa. Rassistische
Angriffe und Terrorismus gegen Linke und Migrant_Innen sind in der
BRD Alltag. Im Kampf dagegen können wir uns auf Staat und Justiz
nicht verlassen. Stattdessen müssen wir uns dagegen organisieren.
Wir brauchen
Arbeiter_Innenmilizen
zur Selbstverteidigung. Diese müssen kollektiv, massenhaft
organisiert und vor allem wähl und abwählbar sein. Sie sind
notwendig, wenn wir uns effektiv gegen neonazistische Angriffe wehren
wollen.

Weiterhin muss der Verfassungsschutz
zerschlagen werden, denn er hat unfassbar viele Agenten in den Reihen
von Neonazi-Gruppen. Das Problem ist, dass dies auch Doppelagenten
der Neonazis sein könnten und es oft schon waren. Außerdem schützt
der Verfassungsschutz seine Agenten/Ansprechpartner so sehr, dass
selbst der Tod anderer Menschen in Kauf genommen wird. Bei den
NSU-Morden hatte der Verfassungsschutz viele Infos, die über Jahre
einfach nicht herausgegeben wurden. Bei einem der letzten Morde war
ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter anwesend und wollte angeblich
nichts gesehen haben. Dieser wurde wegen Zeugenschutz nie verurteilt.

Lasst uns den antirassistischen mit dem antikapitalistischen Kampf verbinden, denn die massenhafte Unsicherheit und Angst gerade in kapitalistischen Krisen sind Anknüpfungspunkte für die rücksichtslosen Ideen faschistischer Ideologien. Da es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen kommt, müssen wir den Kapitalismus selbst überwinden und dafür sorgen, dass kein Mensch mehr in Angst oder Unsicherheit leben muss! Da die Arbeiter_Innenklasse die Kraft ist, die diese neue Gesellschaft aufbauen kann, müssen ihr Organe auch alle rassistisch Unterdrückte sowie deren Organisationen ansprechen, indem ihnen alle nötigen Rechte darin zugestanden werden und der gemeinsame Kampf zwischen weiße und nicht-weiße Arbeiter_Innen den Rassismus dahingehend überwindet, dass der eigentliche Gegner Kapitalismus heißt! Wir wollen den Aufbau einer internationalen Antikrisenbewegung angehen, die sich gegen Militarismus, Rassismus, imperialistische Kriege und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter_Innenklasse und Halbkolonien einsetzt. Wir müssen dafür vor allem auf die Führung von Linkspartei und SPD Druck ausüben, und deren Basis selbst ein solides revolutionäres Programm vorschlagen, für dass wir in den Gewerkschaften und auf der Straße eintreten.

3. Abschaffung von rassistischer Polizei und Gerichten!

Polizei, Gerichte, aber auch die
staatliche Gesetzgebung sind die nationale Vertretung des Kapitals.
Sie sind es auch, die strukturell rassistisch sind. Das liegt nicht
daran, dass dort nur rechte Menschen arbeiten würden. Vielmehr ist
es so, dass sie das nationale Interesse des Kapitals zuerst vertreten
müssen. So werden Waffenexporte abgesichert, Migrant_Innen als
„Kostenfaktor“ abgeschoben, die Ausbeutung von billigen
Leiharbeiter_Innen legitimiert
und so weiter. Dies alles führt, neben der allgemeinen
Sozialisierung in der bürgerlichen Gesellschaft, zu einem
chauvinistischen und rassistischen Weltbild.

Deswegen fordern wir die Abschaffung/
Zerschlagung von der Polizei und ihre Ersetzung durch kollektive,
demokratische, organisierte Selbstverteidigung
(Arbeiter_Innenmilizen). Auch Gerichte schützen allzu oft
rassistische Gesetze und bürgerliche Eigentumsverhältnisse und sind
nicht demokratisch legitimiert, obwohl sie viel Macht haben. Deswegen
wollen wir sie durch gewählte
(und abwählbare) sowie rechenschaftspflichtige Tribunalen ersetzen,
die im Sinne unserer internationalen Klasse entscheiden. Dahingehend
soll ein Sofortprogramm der Arbeiter_Innenklasse unter Kontrolle von
Gewerkschaften, Komitees und Räten erarbeitet werden.

Da bürgerliche Staaten im Kapitalismus
sich immer durch strukturellen Rassismus auszeichnen, müssen wir sie
durch einen revolutionären Umsturz abschaffen und durch eine
international vernetzte Rätedemokratie ersetzten. Dafür müssen
alle internationalen Kernindustrien enteignet und unter
Arbeiter_Innenkontrolle vergesellschaftet werden. Denn die politische
und militärische Macht ist immer ein Resultat der ökonomischen
Bedingungen. Eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus würde eine
demokratische Planung der Wirtschaft nach Bedürfnissen statt Profit
umsetzen. Dies wird die Überausbeutung der halbkolonialen Länder
abschaffen, weil sich das Kapital nicht mehr in den Händen weniger
Großkonzerne in imperialistischen Staaten konzentrieren würden und
weil die Wirtschaft nicht mehr auf Profit ausgelegt wäre. Dem
Rassismus wäre seine Grundlage entzogen, denn seine unmittelbaren
Ursachen wären abgeschafft!




Polen: Der Kampf um Abtreibung und Selbstbestimmung

Von Melli Vogt

In Polen wurde letzten Herbst das Abtreibungsrecht durch das Verfassungsgericht weiter verschärft. Während Abtreibungen seit 1993 erlaubt waren, wenn Schädigungen am Fötus vorhanden sind und dieser krank oder schwer behindert ist, oder wenn das Leben von Mutter und ungeborenem Kind in Gefahr ist, hat das Verfassungsgericht dieses Gesetz nun für “verfassungswidrig“ erklärt und Abtreibungen komplett verboten- außer bei Schwangerschaften, die durch Vergewaltigung entstanden sind. Dahinter steckt auch die polnische Regierungspartei PiS, welche extrem homo- und transphob und im Zuge des Rechtsrucks aufgestiegen ist. Die Verschärfung des Abtreibungsrechts ist nicht die einzige sexistische Regelung die durch die PiS-Partei entschieden wurde: So richtete die Partei LGBTIA+- freie Zonen in Polen ein und verbot Sexualkundeunterricht, weil sie der Meinung sind, dieser „verführe die Jugend.“ Für die Frauen in Polen und auch generell ist die Verschärfung des Abtreibungsrechts katastrophal. Sie sind nun gezwungen, selbst Kinder zur Welt zu bringen, die krank sind oder schwere Behinderungen haben. Dies führt dazu, dass Frauen aus Verzweiflung versuchen werden, Abtreibungen heimlich selbst durchzuführen, was schwere Verletzungen oder sogar den Tod von Mutter und ungeborenem Kind bedeuten kann. Alternativ können diese im Ausland durchgeführt werden, was für die Frauen sehr unsicher und teuer ist, unter schlechten Bedingungen stattfindet und ein hohes Gesundheitsrisiko darstellt. Für die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper und ihr Leben ist das verschärfte Abtreibungsrecht ein katastrophaler Rückschritt, der die minimalen Erfolge, die schon erreicht wurden, wieder auf null setzt. Dass diese Verschärfung gerade jetzt in Zeiten von erstarkendem Rechtsruck und Coronakrise passiert, in welcher die Lage für Frauen sowieso verstärkt schwer ist und sie noch mehr von Unterdrückung, Gewalt und Reproduktionsarbeit betroffen sind, ist kein Zufall. Dass die Reproduktionsarbeit, also die unbezahlte Hausarbeit und Kindererziehung, die meist Frauen leisten müssen, durch die Coronakrise und das bürgerliche, patriarchale System derzeit zunimmt, ist ebenso wie das Abtreibungsverbot im Interesse des Kapitalismus und nützlich für die herrschende Klasse. Kapitalist_Innen profitieren davon, wenn Arbeiterinnen nicht abtreiben, da sie immer neue Arbeitskräfte für den Markt brauchen, die sie billig ausbeuten können. Aber auch in Familien der herrschenden Klasse ist Abtreibung kein objektives Interesse, denn die Kapitalist_Innen müssen ihr Eigentum an Nachkommen vererben, um ihre Familie in der herrschende Klasse zu halten. Daher schadet es der herrschenden Klasse, wenn Frauen abtreiben. Das Abtreibungsverbot ist also eine weitere Auswirkung des Kapitalismus, die nochmal deutlich macht, dass dieses kapitalistische, patriarchale und sexistische System endlich überwunden werden muss.

Als Reaktion auf das verschärfte Abtreibungsrecht gab es in Polen Massenproteste mit mehreren zehntausend Menschen. In Warschau hatte die Organisation “allpolnischer Frauenstreik“ zu einer Demonstration durch Warschau aufgerufen, welche der Höhepunkt der Proteste und Demonstrationen sein sollte. Insgesamt wurde täglich in mehr als 100 Städten des Landes protestiert. Auch zu einem Generalstreik hatten Frauen in Polen aufgerufen. Daran beteiligten sich unter anderem viele junge Frauen im Gesundheitswesen, Landarbeiter_Innen, weitere Berufsgruppen und auch Schüler_Innen. Wir begrüßen diese Initiative, sehen aber auch, dass man hier einen stärkeren Schulterschluss mit den Gewerkschaften hätte suchen müssen, um wirklich Massen in diesen politischen Streik zu mobilisieren. Aufgrund der vielen Proteste und Streiks wurde das Gesetz zwischenzeitlich erstmal ausgesetzt. Trotzdem gingen die Proteste weiter und brachen im Dezember 2020 wieder aus, wo erneut tausende Menschen auf die Straße gingen. Somit halten die Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz nun schon seit Oktober an. Trotz der monatelangen Massenproteste ist das verschärfte Abtreibungsgesetz jetzt, drei Monate nach der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, rechtskräftig und somit in Kraft getreten. Damit sind Schwangerschaftsabbrüche zukünftig in fast allen Fällen verboten, auch Abtreibungen bei schweren Fehlbildungen. Laut dem obersten Gericht von Polen ist Abtreibung bei Fehlbildungen “unvereinbar“ mit der Verfassung. Als Reaktion darauf brachen im ganzen Land erneut Proteste aus, unter anderem bildeten sich in den letzten Tagen spontane Protestzüge vor dem Sitz des Verfassungsgerichts und in vielen polnischen Städten.

Der Ursprung des Abtreibungsverbots in
Polen ist der Kapitalismus, welcher überwunden werden muss. Um
Kapitalismus und somit auch Sexismus und Rechtsruck zu überwinden,
braucht es einen gemeinsamen Kampf und die Verknüpfung von Frauen-
und LGBTIA- Rechten mit dem Kampf gegen Kapitalismus, Generalstreiks
und Massenproteste, die Einbindung von Arbeiter_Innen durch
Gewerkschaften und eine internationale Antikrisenbewegung. Das liegt
daran, dass gerade jetzt in der Krise Frauen- und
Arbeiter_Innenrechte besonders angegriffen werden. Nur wenn der
Kapitalismus überwunden wird, können Sexismus und jede
Unterdrückung der Frau bekämpft werden. Im kapitalistischen System
ist dies nicht möglich.

Daher fordern wir:

  • Frei zugängliche, sichere und
    kostenlose Abtreibungen für alle Frauen, unter allen Umständen!

  • Auflösung der LGBTIA-freien Zonen
    in Polen!
  • Aufhebung des Verbots von
    öffentlichem Sexualkundeunterricht!
  • Freien
    und kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und Beratungsstellen
    für alle Frauen!
  • Aufbau
    eines internationalen Antikrisenbündnisses aus Arbeiter_Innen zur
    Überwindung des Kapitalismus!



Dürfen Linke Forderungen an den Staat stellen? (#ZeroCovid)

Guter Artikel unseres Genossen Wilhelm Schulz, zuerst veröffentlicht in Neue Internationale 253, Februar 2021

#ZeroCovid stellt den ersten linken Vorstoß mit potenziellem Massencharakter der, der sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie stellt und die Auseinandersetzung in die Betriebe tragen möchte. Es stellt eine zentrale Aufgabe auch der subjektiv revolutionären Linken dar, die Initiative und ihren Erfolg nach Kräften zu stärken und sie politisch zu prägen. Daher unterstützen wir sie kritisch und fordern alle linken und proletarischen Kräfte auf, es uns nachzutun.

Während an die 100.000 den Aufruf unterschrieben haben, bleibt die
Reaktion unter sozialistischen Linken bislang recht verhalten. Die SAV
unterstützt die Kampagne nicht, weil sie es nicht für mehrheitsfähig in
der Klasse hält, einen Shutdown auch auf die Wirtschaft auszuweiten. Der
Funke (IMT) verweigert sich, weil der Aufruf die Methoden des
Klassenkampfes nicht anwende, sondern  den Staat als Subjekt der
Veränderung sieht und damit Illusionen in eben jenen schüre.

In verschiedenen Stellungnahmen aus linken Organisationen, Parteien
und Plattformen können wir in den letzten Tagen eine relative Paralyse
gegenüber der Forderung nach einschränkenden Maßnahmen zur Bekämpfung
der Pandemie beobachten. Forderungen an den Staat erscheinen manchen
prinzipiell, also unabhängig von ihrem Inhalt, als Teufelszeug.

Staat und Reformen

Bevor wir auf die Frage näher eingehen, wollen wir kurz fünf Forderungsblöcke von #Zero-Covid darlegen:

„1. Wir schränken unsere Kontakte auf ein Minimum ein – auch am
Arbeitsplatz. Wir müssen alle nicht gesellschaftlich notwendigen
Bereiche der Wirtschaft für eine Zeit stilllegen.

2. Niemand darf zurückbleiben: Menschen können nur zu Hause bleiben,
wenn sie finanziell abgesichert sind. Deshalb ist ein umfassendes
Rettungspaket für alle nötig.

3. Der Markt hat nichts geregelt. Der Gesundheits- und Pflegebereich
muss sofort ausgebaut werden. Das heißt auch: Löhne rauf und weg mit dem
schädlichen Profitprinzip im Gesundheitswesen.

4. Eine globale Pandemie lässt sich nur global besiegen: Impfstoffe
dürfen nicht den Profiten von Unternehmen dienen, sondern müssen allen
Menschen überall zur Verfügung stehen.

5. Die nötigen Maßnahmen kosten Geld. Deshalb brauchen wir
europaweite Covid-Solidaritätsabgaben auf hohe Vermögen,
Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen.“

Diese fünf Forderungen könnten natürlich noch deutlicher und
konkreter gefasst werden. Das ist hier aber nicht das Wesentliche. Alle
zielen auf den Gesundheitsschutz, die soziale Verbesserung der Lage der
Lohnabhängigen, von Selbstständigen, unabhängig von Alter, Nationalität,
Geschlecht sowie auf die Finanzierung dieser Maßnahmen durch
Umverteilung von oben nach unten.

Forderungen im Kapitalismus

Solange wir den Kapitalismus noch nicht gestürzt haben, richten sich
solche Forderungen nach sozialen und politischen Verbesserungen oder
Reformen immer notwendigerweise an den Staat. Das trifft z. B. auch auf
die Forderungen nach einer gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung, nach
einem Mindestlohn, nach Enteignungen großer Konzerne, nach dem Ausbau
demokratischer Rechte zu.

Würden die VertreterInnen einer solchen Kritik ihre eigenen Argumente
ernst nehmen, so müssten sie jede Bewegung, jeden Kampf für politische
und soziale Reformen kategorisch ablehnen und, ähnlich wie die
„antiautoritären“ und anarchistischen KritikerInnen von Marx und Engels
in der Ersten Internationale, den Weg des politischen Abstentionismus
beschreiten, also der Enthaltung vom und Ablehnung des politischen
Klassenkampf/es für Verbesserungen im bestehenden System.

Die Geschichte lehrt hingegen, dass der Kampf um solche Reformen als
Mittel genutzt werden muss, um die ArbeiterInnenklasse zu organisieren
und in Bewegung zu bringen. Schließlich hat der bürgerliche Staat als
Sachwalter des Kapitals nichts zu verschenken. Und jede/r weiß, dass die
Ziele von #ZeroCovid nur durch massive Mobilisierungen erzwungen werden
können, um diese gegen den Widerstand von Kapital, bürgerlichen
Parteien und Regierung zu erzwingen.

Nur wenn die Forderungen mit weiterführenden Kampfmaßnahmen wie
Demonstrationen, Streiks und Besetzungen verbunden werden, kann die
Klasse Zugeständnisse erzwingen und im Zuge ihrer dafür notwendigen
Selbstorganisation die Umsetzung kontrollieren. Im Nachfolgenden wollen
wir also die Frage, ob und inwiefern wir Forderungen an den Staat
stellen sollten, weiter beleuchten.

Was ist der bürgerliche Staat?

Der bürgerliche Nationalstaat ist in erster Linie ein Instrument zur
Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung und Eigentumsverhältnisse –
er ist ein kapitalistischer Klassenstaat. Er fungiert als ideeller
Gesamtkapitalist, d. h. er muss die allgemeinen Produktionsbedingungen
aufrechterhalten und auch als Sachwalter des Gesamtinteresses der
herrschenden Klasse dienen. Dieses darf jedoch nicht als Addition der
Interessen der konkurrierenden Einzelkapitale verstanden werden.
Vielmehr muss er auch die Konkurrenzbedingungen unabhängig von diesen
garantieren, was auch zu einzelnen Konflikten führt. Dieser Gegensatz
zeigt sich aktuell auch durch die Schließung von Restaurants und
Freizeiteinrichtungen, während die für die Mehrwertproduktion
„essentiellen“ Konzerne um jeden Preis offen gehalten werden.

Zweitens verkörpert der Staat im Kapitalismus das gesellschaftlich
Allgemeine, wenn auch das „falsche Allgemeine“, weil seine proklamierte
„Neutralität“ und formale Gleichheit der BürgerInnen nur den Überbau
bilden können, auf dessen ökonomischer Grundlage sich die Klassen
reproduzieren. Damit die Sicherung dieser gesellschaftlich grundlegenden
Verhältnisses gelingt, muss die bürokratische Staatsmaschinerie
(Parlamente, Repressionsapparat, Verwaltung, Justiz, …) strukturell an
die herrschende Klasse gebunden sein.

Daher kann der Staat nicht einfach übernommen, transformiert oder
demokratisiert werden. So sind die Staatsbediensteten materiell und
ideologisch an ebendiesen Staat gebunden. Auch ist der Großteil des
Staates eben nicht demokratisch wählbar, was im Besonderen für die
exekutiven Organe (Polizei, Militär, Geheimdienste) gilt.

Zugleich aber bildet der Kampf um politische und soziale Reformen
einen Ort des Klassenkampfes in der bürgerlichen Gesellschaft. Unsere
Politik muss daher notwendig zwei Aspekte berücksichtigen. Erstens geht
es darum, die Klasse durch Forderungen wie jene nach einem Shutdown der
Wirtschaft zusammenzuschließen und zu einer politischen Bewegung zu
formieren, die nicht nur an einzelne UnternehmerInnen Forderungen nach
Durchsetzung gesundheitlicher Unversehrtheit richtet, sondern diese als
allgemeine politische erhebt. Als Zweites zielen diese Forderungen
darauf ab, Illusionen in den Klassenstaat zu brechen, um dabei eine
Perspektive zu weisen, die von den bestehenden Problemen aus die
Notwendigkeit der Selbstorganisation und schlussendlich den Bruch mit
dem Privateigentum aufzeigt.

Kann man also Forderungen an den Staat stellen?

Die zentrale Zielsetzung unserer Forderungen besteht nicht in
Erreichung kleiner Teilerfolge, sondern sie muss darauf abzielen, einen
unversöhnlichen Klassenstandpunkt aufzuzeigen und zu popularisieren
(vergl. Luxemburg: Sozialreform oder Revolution). Damit sind wir an
einem Punkt angelangt, an dem der Vorstoß von #ZeroCovid eine gewisse
Doppeldeutigkeit annimmt, konkret an der Frage, wie die aufgestellten
Forderungen umgesetzt werden können. Der Adressat der Online-Petition
sind die „Deutsche Bundesregierung, Schweizer Bundesregierung,
Österreichische Bundesregierung, Europäische EntscheidungsträgerInnen“
(siehe Petitionstext), während im Aufruf die Gewerkschaften aufgefordert
werden, den Shutdown im Betrieb zu organisieren. Was von manchen somit
als Appell an den Staat bezeichnet wird, ist unter Bedingungen einer
klassenkämpferischen Bewegung in den Gewerkschaften und Betrieben ein
Erzwingen zur Umsetzung der Maßnahmen gegenüber dem Staat.

Besonders interessant wird die verkürzte Darstellung von Forderungen
an den Staat als rein appellierende Haltung, wenn wir uns andere soziale
Bewegungen anschauen, allen voran Fridays for Future – eine Bewegung,
die die meisten der ach so konsequenten linken Gruppen vermutlich
(kritisch) unterstützen werden. Die Hauptforderung von FFF ist die
Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, womit sie sich direkt auf den
Staat bezieht, sogar ganz ohne Bezugnahme auf Gewerkschaften. Hier
wiederum kämpfen viele der SozialistInnen in und um FFF für ein
Klassenprogramm. Eine kurze Frage an die SAV an der Stelle: Ist die
Umsetzung der Forderungen der Umweltbewegung denn in der
ArbeiterInnenklasse aktuell mehrheitsfähig? Eventuell ist die Sorge auch
eher, dass dies in der Linkspartei schwer mehrheitsfähig ist bzw. einen
politischen Kampf mit sich brächte.

Um die Notwendigkeit, Forderungen an den Staat zu stellen, zu
verstehen, müssen wir uns kurz mit den drei Dimensionen des
Klassenkampfes befassen, dem ökonomischen, politischen und ideologischen
Klassenkampf (vgl. Lenin: Was tun?). Verkürzt gesagt, umrahmen sie
idealtypisch folgendes Feld: Der ökonomische Klassenkampf bezieht sich
auf die Verbesserungen des Verhältnisses bezahlter zu ausgebeuteter
Lohnarbeit, der ideologische hingegen ist der Kampf um die Köpfe, besser
um die Entwicklung von der Klasse an sich zur Klasse für sich, und im
politischen Klassenkampf – um den es im Kern an dieser Stelle geht –
richtet sich die ArbeiterInnenbewegung schlussendlich gegen das
politische wie soziale System des Kapitalismus als Ganzes. Ziel ist es,
die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen, somit auch ihren Staat zu
schwächen, gar zu entmachten.

Charakter des „Autoritarismus“

Weiter oben haben wir verdeutlicht, dass die Forderung an den Staat
mit der Mobilisierung der Klasse verbunden werden muss. Aus dem oben
Gezeigten lässt sich auch leicht die Antwort auf eine Frage finden, die
viele Linke anscheinend umtreibt: Führen Forderungen an den Staat denn
automatisch zum Autoritarismus? Im Allgemeinen lässt sich sagen: Nein!
Es hängt vielmehr jeweils davon ab, wessen Klasseninteressen, welche
Anliegen sie zum Ausdruck bringen, nicht ob sie „autoritär“ sind oder
nicht.

Bestünde ein solcher Automatismus hingegen, müsste jede Forderung
nach sozialer Absicherung den Staat ein Quäntchen autoritärer machen,
beispielsweise die Erhöhung des Mindestlohns. Auch bei #ZeroCovid geht
es nicht um irgendwelche Forderungen an den Staat, sondern um die
Forderung nach einem Shutdown des Gesamtkapitals.

Es ist kein Zufall, dass die Regierung bereit ist, einzelne, für die
Mehrwertproduktion weniger wichtige Branchen zu schließen. Im Falle der
Großindustrie setzt der reale Staat jedoch seine Macht ein, um solche
Maßnahmen zu verhindern. Er sichert die Profite der Konzerne auf Kosten
unserer Gesundheit. Die konkreten Maßnahmen, die #ZeroCovid vorschlägt,
werden daher nur durch eine Bewegung erzwungen werden können. Selbst
wenn sich der Staat genötigt sähe, diesem Druck vorübergehend
nachzugeben, würden viele BürokratInnen und UnternehmerInnen kreativ
nach Schlupflöchern suchen – ganz so wie wir das von der „autoritären“
Besteuerung der Unternehmen oder „autoritären“ Hygienevorschriften in
Schlachtereien kennen. Große Konzerne würden versuchen, sich den
Shutdown vergolden zu lassen. D. h. hier zeigt sich, dass die Frage der
Erzwingung dieser Maßnahmen mit jener der Kontrolle durch die
ArbeiterInnenklasse in den Betrieben und Stadtteilen verbunden werden
muss.

Welche Forderung in wessen Interesse?

Vom Standpunkt der KapitalistInnenklasse und des
KleinunternehmerInnentums sind staatliche Arbeitszeitbeschränkungen,
Kündigungsschutz oder Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz natürlich
„autoritär“. Vom Standpunkt der ArbeiterInnenklasse aus betrachtet
hingegen oft löchrig wie Schweizer Käse. Für das Kapital wirkte sich die
Kontrolle durch die Lohnabhängigen noch viel autoritärer aus als jene
des Staates. Daher muss jede Kritik am „Autoritarismus“ auf ihren
Klassencharakter hin überprüft werden. Der abstrakte, vom politischen
und sozialen Inhalt einer Forderung abstrahierende „Antiautoritarismus“
entpuppt sich nämlich bei näherer Betrachtung als bürgerliche,
arbeiterInnenfeindliche Ideologie.

Ist es denn kleinbürgerlich-moralisierend, Forderungen an den Staat
zu stellen? Wie bereits verdeutlicht: Nein, nicht prinzipiell! Die
Aufgabe ist es, die Forderungen, die in der Online-Petition formuliert
werden, mit weiterführenden Kampfmaßnahmen zu füllen. Die Darstellung
deren als kleinbürgerlich und staatsbejahend ignoriert vollkommen die
Aufgabe von RevolutionärInnen, die Wirklichkeit dem Gedanken anzunähern
und hat ausschließlich den praktischen Nutzen, im Nachhinein die eigene
Passivität zu legitimieren. Eine solche Haltung tut in der Situation der
Paralyse nichts anderes als dem vorherrschenden Bewusstsein in der
Klasse, somit einem bürgerlichen, hinterherzulaufen. Deshalb: Nicht
meckern, machen! Kämpft mit und in #ZeroCovid für eine proletarische
Aktionsplattform im Kampf gegen Pandemie und Krise!




Von Abstürzen und Höhenflügen – was uns die Geschehnisse rund um „GameStop“ und AMC sagen

Von Christian Mayer

In der letzten Woche war ganz schön was geboten an der Wall Street: Wir konnten dort sehen, dass die Aktien der Game- und Hardwarehandelskette „GameStop“ und von der US-Kinokette „AMC“ sich in einen plötzlichen Höhenrausch katapultierten und für massiv Aufregung an der Börse sowie für Stirnrunzeln im US-Finanzministerium sorgten. Doch was war da jetzt eigentlich los und was wirft es für eine Perspektive auf? Aber immer der Reihe nach.

Kleinanleger_Innen vs. Hedgefonds.
Oder: David gegen Goliath

In der Vergangenheit war es so, dass
Hedgefonds immer wieder durch spektakuläre Wetten auf fallende
Börsenkurse von sich reden machten. Es gibt verschiedene Arten, das
zu machen, aber meistens läuft es darauf hinaus, dass die Hedgefonds
mit den (meist vielen kleinen und unerfahreneren) Käufer_Innen den
Vertrag abschließen, dass sie ihnen in Zukunft Wertpapiere für
einen aus jetziger Sicht niedrigen Preis verkaufen werden. Das Kalkül
ist, dass jedoch der Preis sogar unter den abgemachten Preis fällt
und die Hedgefonds, die zum Vertragsabschluss gar nicht die
versprochenen Aktien besaßen, erst kurz vor dem Auslaufen des
Vertrags günstig einkaufen und die Differenz als Profit
einstreichen. Dazu kommt auch noch, dass die Hedgefonds durch ihre
Größe und Einfluss auf den Preis Einfluss nehmen können. Meistens
bedeutet allein schon das Verkünden dieser Aktion das Aus für den
Kurs die Aktie.

Besonders auffällig war dies im Zuge
der Finanzkrise 2007/08, als Hedgefonds-Manager David Einhorn auf
eine Pleite der Bank „Lehman Brothers“ wettete und dadurch für
einen Kurssturz der Aktien dieser Bank sorgte. In der Folge brach
nicht nur die Bank zusammen, sondern es platzte auch die
Immobilienblase, da Kredite, welche Lehman Brothers vergeben hatte,
nicht mehr bedient werden konnten. Shit happens, könnte man da
denken, wären die Folgen nicht verheerend vor allem für Jugendliche
und die Arbeiter_Innenklasse gewesen, die aufgrund ausbleibender
Ratenzahlungen aus ihren Häusern geworfen wurden und zusätzlich
noch ihre Jobs verloren oder nach der Schule keine fanden. Und durch
die Verschränkung der gesamten Wirtschaft und der angewachsenen
Überproduktion stürzten die USA und große Teile der Welt in eine
jahrelange Wirtschaftskrise, die bis heute nachhallt.

Diesmal sah die Sache aber etwas anders
aus: Inzwischen können sich viele Kleinanleger_Innen über
sogenannte „Social Trading Apps“ wie z.B. Robinhood und dank der
Hilfe von YouTube-Tutorials deutlich unkomplizierter selbst an der
Börse versuchen. Was wir nun also gesehen haben, war eigentlich
nichts anderes, als dass sich Ende 2020 zunächst bloß eine Handvoll
Leute in einem reddit-Forum zusammengeschlossen haben und gegen einen
Hedgefonds (Melvin Capital) und seine Wette auf die Pleite von
„GameStop“ und „AMC“ dagegengehalten haben. Dies zog
zunehmend weitere Kreise und die Preise stiegen an, bei GameStop
ungefähr von 4$ auf 15$ bis Mitte Dezember. In diesem Moment
erkannte der große Hedgefonds, dass er selbst anfangen muss, Aktien
für diesen hohen Preis zu kaufen, bevor er noch weiter steigt. Sie
müssen ja ihre versprochenen Käufe bedienen! Doch das schob den
Kurs wiederum und das Übel nahm seinen Lauf: Der Kurs dieser beiden
Aktien explodierte regelrecht und schoss durch die Decke. Zusätzlich
hatte dann auch noch „Mr. Tesla“, Elon Musk, die ganze Aktion via
Twitter gepusht, was für zusätzlichen Wirbel sorgte. „Gamestop“
liegt jetzt seit Tagen stabil bei über 300$. Durch die Aktion wurde
besagte Gruppe plötzlich reich, auch wenn zumindest die überzeugten
Kleinanleger_Innen weiterhin ihre Anteile halten und damit das Geld
nur auf dem Papier haben. Melvin Capital muss hingegen einen riesigen
Verlust in Höhe von 19 Milliarden (!)$ hinnehmen und wäre fast
pleite gegangen, wenn sie nicht Hilfe durch andere Unternehmen
bekämen.

Konsequenzen

Neben dem Aussetzen des Aktienhandels hatte die Börsenaufsicht SEC (United States Securities and Exchange Comitee) angekündigt, die Vorfälle zu untersuchen. Dies geschah auf Anweisung des US-Finanzministeriums, zu dem die SEC gehört, da man dort befürchtet, dass das Verhalten der Beteiligten den „guten Ruf“ der Börse, den man sich in den Jahren seit 2008/09 „hart erkämpft“ hatte, ruinieren würde. Eigentlich ein absoluter Witz, wenn man bedenkt, dass solche Dinge wie das, was die vielen „kleinen Fische“ nun durch eine koordinierte Aktion gemacht haben, tagtäglich an den Finanzmärkten durch den Klick einzelner „großer Haie“ passiert. Was nun genau auf die Kleinanleger_Innen zukommt, ist bisher noch unklar. Doch der Vorwurf wiegt schwer: Es geht um „Marktmanipulation“, da sie sich, im Gegensatz zum Manager in seinem stillen Büro, für alle sichtbar auf Reddit zur Preissteigerung durch künstliche Erhöhung der Nachfrage verabredet haben. Wahrscheinlich wird diese Aktion Schadensersatzklagen im Millionenbereich nach sich ziehen, denn wenn man sich auf eins im bürgerlichen Justizsystem verlassen kann, dann auf die Tatsache, dass es ein entscheidender Vorteil ist, zu den Kapitalist_Innen zu gehören. Nicht nur weil sie sich die teureren Anwälte leisten können.

Letztlich geht es in diesem Fall darum,
dass die Profitinteressen von Seiten der Vertreter_Innen des
Finanzkapitals vor Gericht ihre entgangenen Profite erstreiten können
und dies auch tun werden, egal ob das die Kleinanleger_Innen
finanziell ruiniert oder nicht. Die koordinierte Aktion der
reddit-user ist nämlich eine echte Bedrohung für das Finanzsystem,
denn es ist ein schwer einzuschätzender Faktor auf dem Markt und das
Geld fließt ausnahmsweise mal von den großen Gewinner_Innen ab. Das
muss selbstverständlich unterbunden werden, da das Justizsystem eine
Klassenjustiz widerspiegelt, die immer im Interesse der herrschenden
Klasse urteilen wird und in diesem Fall wäre dies dann zugunsten des
Hedgefonds. Außerdem kann man es in einer dermaßen heiklen
Situation wie einer aufziehenden Krise und Pandemie in vollem Gange
nicht gebrauchen, dass die Märkte weiter destabilisiert werden.
Dementsprechend werden die Ministerien und Parlamente nötige
Schritte einleiten, dass es sich nicht wiederholt und man zum
„business as usual“ zurückkehren kann.

Was können wir daraus mitnehmen?

Zunächst ist es erstmal ein Schlag ins
Gesicht der großen Player an den Finanzmärkten, der einem das
Gefühl von Genugtuung bereitet. Vor Allem ist es interessant, dass
es dadurch passiert ist, dass sich mal die ganzen „kleinen Fische“
koordiniert haben. Und es ist gut, dass dadurch medial mal wieder der
Blick auf die Finanzmärkte gerichtet wird. Doch viel mehr hat es für
eine revolutionäre Perspektive nicht zu bedeuten. Die Aktion rüttelt
gar nichts daran, dass Börsen, egal ob die Wall Street, in Frankfurt
oder welche Börse auch immer auf der Welt, Orte sind, an denen fast
immer nur die Haie Schnapp machen, sich der Reichtum in einer
wahnsinnigen Geschwindigkeit zentralisiert und von der eine
entscheidende Macht für Wirtschaft und Politik ausgeht.

Die Aktion und der Umgang damit führen uns diese Ungerechtigkeit nun vor Augen, doch die Entstehung und die wachsende Bedeutung der Finanzmärkte ist eine notwendige Folge aus dem Kapitalismus, gerade in seinem imperialistischen Stadium. Klar ist, dass zeitweilige, begrenzte und ungeplante Umverteilung durch „cleveres Mitmachen“ das Problem nicht lösen wird. Für uns kann daher das Ziel nur darin bestehen, die Börsen abzuschaffen, die Hedgefonds zu zerschlagen und das angelegte Kapital (wir sprechen hier immer hin von mehreren Billionen Euro bzw. Dollar) zu enteignen und unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter_Innen, Kontoinhaber_Innen und der einfachen Bankangestellten zu verwalten, sodass die Verwendung wirtschaftlichen Potentials nicht dem Profit einiger Manager_Innen, sondern den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft folgt.




Über Islamophobie und die Frage, ob es eine religiöse Revolutionärin geben kann

von Dilara Lorin

Antimuslimischer Rassismus, sogenannte Islamophobie ist in den letzten Jahren so dauerpräsent geworden, dass man irgendwie das Gefühl hat, er gehöre zum „guten Ton“ der spätkapitalistischen Gesellschaft. Gerade aktuell ist in den Medien die Debatte wieder aufgeflammt: „Ist der Islam an sich rückschrittlich?“. Wir wollen daher die Gelegenheit nutzen, um mit diesem, wie mit anderen Mythen mal wieder ein wenig aufzuräumen.

Vorab
sei bemerkt, dass bei der Betrachtung von antimuslimischem Rassismus
auch die Frage, was eigentlich „Islamismus“ sei, eine große
Rolle spielt, der wir jedoch in dieser Zeitung nicht den angemessenen
Platz einräumen können und die wir daher in der nächsten Ausgabe
behandeln wollen.

Was
ist Islamophobie?

Islamophobie ist laut Wörterbucheintrag die Abneigung gegen den Islam (und seine Anhänger_Innen) und die negative, feindliche Einstellung gegenüber Muslim_Innen. Politisch diente das Schüren von Islamophobie dazu jedes imperialistische Eingreifen und sogar Besetzung und Kriege in der muslimischen Welt zu rechtfertigen, ebenso wie den staatlichen Rassismus im eigenen Land, d.h. repressive Gesetze und sonstige Unterdrückung gegen nationale oder religiöse Minderheiten. Antimuslimischer Rassismus ist im Spätkapitalismus ein Hauptbestandteil imperialistischer Ideologie geworden. Ihm bedienen sich auch rechtspopulistische Kräfte wie AfD, Marine Le Pen, FPÖ und andere, die ihn nutzen um ihre rassistischen Propaganda darauf aufzubauen. Auch wenn Islamophobie als relativ neues Phänomen erscheint, wurzeln viele der heute präsenten Bilder tief in der europäischen Geschichte. Darstellungen des Orients als primitiv, rückständig und despotisch im Vergleich zum modernen und aufgeklärten Westen oder das in Europa verbreitete Schreckbild des expandierenden Osmanischen Reiches als Bedrohung des christlichen Abendlands haben eine lange Geschichte und werden im modernen antimuslimischen Rassismus oftmals wieder aufgegriffen und auf die „Rasse“, „Natur“ oder „Kultur“ der Betroffenen zurückgeführt. In Westeuropa und Nordamerika führt er zu rassistischer Agitation gegen Immgirant_Innen aus dem Nahen Osten, dem indischen Subkontinent und Ostafrika geworden.

Er
führt dazu, dass Grenzen geschlossen werden, Überwachung der
Bevölkerung zunimmt, Attentate auf Migrant_Innen zunehmen und vieles
mehr.

Wie
auch andere Spielarten von Rassismus hat Islamophobie in
imperialistischen Ländern die Funktion, dass ein Teil der
Arbeiter_Innenklasse noch schlechter bezahlt wird als die anderen und
daher als Lohndrücker_Innen wirkt. Darüber hinaus werden die
Arbeiter_Innen gegeneinander ausgespielt, anstatt gemeinsam für ihre
Interessen einzustehen.

Hintergrund
in den Weltordnung

Schauen
wir uns die heutigen Staaten im Nahen/Mittleren Osten an, erkennen
wir schnell, dass sie von westlichen Medien als zurückgeblieben,
barbarisch angesehen werden und diese Zuschreibung auch immer
einhergeht mit einer islamfeindlichen Anschauung. So als würde
gerade der Islam diese Zurückgebliebenheit der Regionen verursachen.
Dabei sind diese Staaten, weil sie Halbkolonien sind, wirtschaftlich
künstlich unterentwickelt, d.h. die imperialistischen Staaten, von
denen sie abhängen, wollen erst gar nicht, dass sie sich weiter
entwickeln und am Ende noch wirtschaftlich unabhängig machen. Mit
der wirtschaftlichen Abhängigkeit, können auch die Staaten gar
nicht selber entscheiden worin sie investieren, wird die Korruption
erhöht und vor allem die Arbeiter_Innen, Jugendliche und Frauen
leiden darunter und müssen unter unmenschlichen Lebensbedingungen
leben und arbeiten und werden dabei systematisch ausgebeutet. Diese
Perspektivlosigkeit, diese künstlich unterentwickelte Wirtschaft hat
dabei nichts mit dem Islam zu tun, so wie es viele konservative,
Rechte aber auch Bürgerliche behaupten, sondern schlicht und einfach
mit der wirtschaftlichen Ausbeutung und dem imperialistischen
Machtgefüge.

Es
ist daneben kein Zufall, dass das Aufleben der Islamophobie im 21.
Jahrhundert zeitlich mit der Intervention der USA in ölreiche aber
muslimisch geprägte Regionen wie z.B. der Irak zusammenfällt. Die
traditionelle islamische Kultur wurde so ein Brennpunkt
US-imperialistischer Kritik – mit arroganten Aufforderungen, sich
selbst zu modernisieren, d.h. zu verwestlichen. Doch genau das ist
ein überhebliches, ekliges und unmögliches Verfangen. Denn Staaten
die der Imperialismus von sich abhängig macht, können sich nicht
aus den Fesseln befreien, unabhängig werden und entwickeln um
„westlichen“ Standards zu entsprechen.

Religion
nur Opium fürs Volk?

Wenn
man sich vor Augen führt wie die Mehrheit der Menschen auf dieser
Welt leben, meist ohne eine Zukunft, mit Krieg, Armut, Unterdrückung
und Leid als ständigen Begleiter ist, steht für viele von Ihnen der
Glaube an eine höhere Macht, an Gerechtigkeit und an ein besseres
Leben nach dem Tod nicht weit. Es ist diese Hoffnung und die Kraft,
die es ihnen ermöglicht das Leid zu ertragen. Darum dürfen wir als
Revolutionär_Innen den religiösen, an einem Gott/Allah glaubenden
Teilen der Arbeiter_Innenklasse nicht uninteressiert entgegenstehen.

Als
Kommunist_Innen ist gleichzeitig der dialektische Materialismus
unsere philosophische Grundlage, die daher im Widerspruch zu allen
religiös-idealistischen Erklärungsansätzen steht. Das heißt
jedoch nicht, dass nicht auch ein_e ehrliche_r Revolutionär_In sich
rekreativ religiösen Ritualen widmen kann, wenn er_sie daraus Kraft
schöpft. Religion bleibt also Privatsache, und wir sollten keine_n
entschlossene_n Klassenkämpfer_In wegen seiner religiösen
Vorstellungen zurückweisen.

Wofür
wir aber einstehen und kämpfen müssen,

ist
die unbedingte Trennung von Religion und Staat, egal ob man
Atheist_In, oder religiös ist, das heißt: keine
religiös inspirierten Gesetze, keine Finanzierung von religiösen
Schulen, kein verpflichtender Religionsunterricht, keine
Zurschaustellung religiöser Symbole durch öffentliche Einrichtungen
(wie zum Beispiel Kreuze in Schulen) und die Offenlegung aller
Finanzquellen von religiösen Institutionen. Trotz freier
Religionsausübung darf niemand in seinen demokratischen Rechten
eingeschränkt werden. Wir verteidigen jede Person, die auf Grund
ihrer Religion diskriminiert wird und stellen uns gegen jede
Diskriminierung, die mit religiöser Überzeugung gerechtfertigt
wird.

Wir
verteidigen das Recht von Muslim_Innen, ihre Religion auszuüben und
Moscheen zu erbauen. Ebenso haben Frauen das Recht, sich zu
verschleiern, auch mit einer Burka, wenn sie es wollen. Dass wir für
diese Freiheit zur Ausübung ihres Glaubens eintreten, geht für uns
darüberhinaus Hand in Hand damit, gegen den Zwang zu kämpfen, dass
sich Frauen und Jugendliche diesen oder jenen religiösen
Vorstellungen wider eigenen Willens unterwerfen müssen.

In
unserem Kampf, den wir gemeinsam führen, verfallen wir nicht
islamfeindlichen Gedanken, sondern rufen die Arbeiter_Innenbewegung
dazu auf ihren muslimischen Geschwistern beizustehen, wo sie
unterdrückt werden. Auf diese Weise kann die Arbeiter_Innenbewegung
den Einwander_Innen und religiösen Minderheiten in den
imperialistischen Ländern demonstrieren, dass sie die
demokratischste und fortschrittlichste Kraft ist und kann dadurch
auch dem Islam seine Führungsrolle streitig machen.




Atomwaffenverbotsvertrag: Ende des Schreckens?

Von Flo Schwerdtfeger

Jedes Wort über Frieden
in der Welt von den imperialistischen Staaten der Welt ist eine Lüge,
wenn man nicht nur die Aufrüstung der letzten Jahre verfolgt,
sondern auch einen Blick auf die bestehenden Arsenale von Atomwaffen
wirft. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut schätzt, dass die
Atommächte derzeit rund 13.400 Nuklearwaffen besitzen. 6000 davon
sind jeweils bei den USA und Russland zu verbuchen. 4.000 davon
jederzeit einsetzbar und 1.800 in höchster Alarmbereitschaft. Damit
sind es zwar um das Fünffache weniger, als während der heißesten
Phase des kalten Krieges, allerdings sind es immer noch genug um den
Planeten in Schutt und Asche zu legen.

Neben den beiden
genannten Staaten gehören noch Frankreich, Großbritannien und China
zu den Staaten, die innerhalb des Atomwaffensperrvertrags liegen.
Außerhalb dieses Vertrages sind Indien, Pakistan, Nordkorea und
Israel. Bei diesen vier Staaten ist bekannt gegenwärtig Waffen zu
besitzen und zu produzieren.

Nach dem Einsatz der zwei
Atombomben in Hiroshima und Nagasaki sah man zum Glück von weiteren
kriegerischen Einsätzen ab. Allerdings hinderte es die Staaten nicht
daran jahrzehntelang weiterentwickelte Bomben zu testen und dafür,
wie im Falle der USA, Einheimische entschädigungslos von ihren
Inseln zu vertreiben, um diese als Testgelände zu nutzen.

In der jüngeren
Geschichte wurden im Kosovokrieg und Irak normale Geschosse und
Bomben mit Uranummantelung eingesetzt, da sie dadurch härter und
durchschlagskräftiger wurden. Auch wenn dies keine Atomwaffen mit
Kernspaltung sind, kam es dazu, dass das Grundwasser in vielen Fällen
verschmutzt wurde und nicht nur Soldat_Innen, sondern auch
Zivilist_Innen an Strahlenkrankheiten erkrankten, da Uran beim
Einschlag frei wurde.

Die moderne Doktrin für
den Einsatz von Atomwaffen sieht vor schnell und gezielt agieren zu
können. Nicht mehr mit städtevernichtenden Bomben, sondern mit
gelenkten und kleinen Geschossen, die Bunker durchbrechen sollen und
nur kleinräumig Schaden anrichten. Trotzdem kann sich daraus eine
Eskalationsspirale entwickeln, die dann doch wieder in einem
Atomkrieg endet.

Verträge gegen
Kriege?

Dies zu verhindern
versuchen mehrere Verträge, die den Einsatz, die Forschung oder den
Verkauf von Atomwaffen zumindest beschränken oder in Teilen
verbieten. Hinzu kommen Verträge, die das teilweise Abrüsten der
USA und Russland garantieren sollten. Letzterer ist allerdings 2019
ausgelaufen, da beide Staaten sich immer wieder Vorwürfe über
Vertragsverletzungen machten.

Derzeit ist die
Aufmerksamkeit aber auch auf den Atomwaffenverbotsvertrag gerichtet,
der am 22. Januar 2021 in Kraft treten soll. Dieser beinhaltet ein
allumfassendes Verbot des Besitzes, der Erforschung, Verbreitung und
des Einsatzes von Atomwaffen aller Art. Die vorigen Verträge bezogen
sich meist auf spezielle Gattungen, wie z.B. nur landgestützte
Mittelstreckenraketen. Des Weiteren sichert es den Staaten aber auch
die zivile Nutzung von nuklearem Material zu, z.B. für die
Stromerzeugung durch Atomenergie. Die Unterzeichnenden verpflichten
sich ebenfalls dazu das erlebte Leid der Hibakusha (Überlebende von
Hiroshima und Nagasaki) und der Vertriebenen durch die Tests
anzuerkennen und ihnen psychologische Hilfe zu gewähren, als auch
wirtschaftliche Hilfe beim Wiederaufbau und der Dekontaminierung der
Gebiete zu bieten.

Unterzeichner dieses
Vertrages sind vor allem halbkoloniale Länder des globalen Südens,
aber auch Länder ohne oder mit aufgegebenen Nuklearwaffenprogramm.
Keine Atommacht oder Verbündeter dieser unterschrieb diesen Vertrag.

Entstanden ist der
Verbotsvertrag als Folge aus dem bereits bestehenden Nuklearen
Nichtverbreitungsvertrag (NVV). Dieser wird dafür kritisiert nicht
genügend Mittel zu haben seine Ziele umzusetzen und Fehlverhalten zu
sanktionieren. Beispielsweise ist die schrittweise Abrüstung als
Friedensbestreben der Atommächte dort deklariert, dass jedoch weder
entscheidend kontrolliert werden kann und auch kaum stattfindet.

Das größte Problem ist
jedoch, dass es auf freiwilliger Basis ist. Die Beschränkungen
gelten also nur für die Unterzeichnerstaaten, was teilweise witzlos
ist, da diese ja meist gar keine Atomwaffen besitzen. Ziel ist es
aber auch durch den Vertrag Druck auf die Atommächte auszuüben,
diesem beizutreten. Allerdings boykottieren diese den Vertrag schon
seit Jahren.

Den Vertrag innerhalb der
UN und des Sicherheitsrates durchzusetzen und so rechtlich bindende
Konditionen zu schaffen, erscheint ebenfalls unmöglich, da die
offiziellen Atommächte (USA, RU, CH, UK, FR) diejenigen Mitglieder
dort sind, die auch einen ständigen Sitz samt Veto-Recht inne haben.
Ein Veto eines der 5 Staaten kann einen Antrag des Sicherheitsrates
blockieren. Damit kann die Arbeit der 10 weiteren zweijährig
wechselnden Mitgliedsstaaten zum Halten gebracht werden. Diese
Erfahrung zeigt, dass die UN eine imperialistische Institution ist,
auf die die Anti-Kriegsbewegung keine Hoffnung zu setzen braucht!

Kein Ende ohne
Arbeiter_Innenklasse

Was in den Verträgen
versucht wird festzuschreiben, ist zahnlos gegenüber den
herrschenden Verhältnissen. Friedensverträge sind in der
Vergangenheit entweder Ergebnisse eines Krieges gewesen, die den Sieg
über den Besiegten, also die militärischen Machtverhältnisse
politisch festschrieben oder aber sie wurden zur Verhinderung eines
Krieges geschlossen. Wer in die Geschichte schaut, weiß: Oft waren
Friedensverträge nur Vorboten des Krieges. Beim ersten wie dem
zweiten Weltkrieg gingen zahlreiche Verträge dem Morden voraus.

Kriege sind die
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Alle Nationen stehen in
Konkurrenz zueinander, denn: Politik wiederum ist die Fortsetzung
wirtschaftlicher Konkurrenz mit anderen Mitteln. Kapitalistische
Staaten werden sich immer wieder um eine Aufteilung von Ressourcen,
Absatzmärkten, Einflussgebieten usw. bekriegen müssen.

Deswegen: Echter
Antimilitarismus geht nur antikapitalistisch.

Was bedeutet:

  • Für die
    entschädigungslose Enteignung der Rüstungsindustrien unter
    Arbeiter_Innenkontrolle
  • Für die
    Zerschlagung sämtlicher bürgerlicher Armeen und imperialistischer
    Institutionen und Bündnisse (NATO, OVKS, Sicherheitspolitik der EU
    („Vertrag von Lissabon“), …)
  • Für eine
    demokratische Arbeiter_Innenmiliz sowie die Rätemacht von
    Arbeiter_Innen und einfachen Soldat_Innen

  • Gegen alle
    „Friedensverträge“, die doch nur die Unterdrückung der
    halbkolonialen Welt sichern oder den nächsten Krieg vorbereiten
  • Für die
    Zerschlagung der UN – Ersetzung durch einen wähl- und abwählbaren
    Welt-Arbeiter_Innenrat als höchste Instanz
  • Für die Abrüstung
    jeglicher nuklearer Bewaffnungssysteme durch demokratisch
    kontrollierte Komitees der Arbeiter_Innenklasse
  • Keine zivile Nutzung
    von spaltbarem Material – Atomkraft ist keine nachhaltige
    Zukunftstechnologie



Die Radikalisierung der Querdenkenbewegung.

von Felix Ruga

Kannst du dich erinnern? Vergangenen
März, bald ein Jahr ist es her, gab es in einigen Städten
sogenannte „Hygiene-Demos“, bei denen sich meist kaum hundert
Leute versammelt haben. Es ging vor allem darum, sich gegen die
Einschränkung der Versammlungsfreiheit genau diese zu nehmen.
„Hygiene“ hieß damals, dass man dabei Abstand hielt, nur in
kleinen Gruppen war und später dann auch Maske trug, weil man sich
über die Ansteckungsgefahr bewusst sei, jedoch trotzdem
demonstrieren wolle. Auch schon damals war es ein Sammelbecken
verschiedenster Strömungen, zunächst vor allem
Menschenrechtler_Innen und Verschwörungsideolog_Innen, später kamen
dann auch Nazis dazu und verdrängten dabei Stück für Stück alle,
die ein Problem mit ihnen haben könnten.

Seit einigen Monaten zeichnet sich ein
grundlegend anderes Bild: Neben einigen ursprünglichen Symboliken
wie Regenbogen, Frieden und Grundgesetz, gibt es jetzt zunehmend
Reichsflaggen, Nazi-Ordner, militantere Ausschreitungen wie in
Leipzig Anfang November, Ablehnung von Hygienekonzepten und eine
klare Verschiebung des Inhalts zu: Corona-Lüge – Neue Weltordnung
– Lügenpresse – Coronadiktatur – BRD-GmbH – Illuminaten –
Trump – Deutschland – Volk. Die Radikalisierung nach rechts ist
unübersehbar, doch woher kommt sie? Wer treibt sie nach rechts? Und
was können wir tun, damit die Querdenker_Innen zurückgedrängt
werden?

Querdenken driftet zwar nach rechts,
bleibt aber heterogen

Zunächst ist es wichtig, anzuerkennen,
dass die gesamte „Querdenken-Bewegung“ und alles, was sich darum
gruppiert, weiterhin heterogen ist und sich darin viele Menschen
tummeln, die politisch eigentlich normalerweise nichts miteinander zu
tun haben. Diese Gegensätzlichkeiten werden zumindest während der
großen Aktionen hintangestellt. Doch das heißt keineswegs, dass
diese Strömungen wie in Stein gemeißelt und voneinander isoliert
sind. Es gibt weiterhin Machtkämpfe darum, wie klar man z.B. eine
rechte Ausrichtung nach außen trägt, nachdem es jetzt schon mal
klar ist, dass man Nazis mitlaufen lässt. Rechte versuchen ständig,
Menschen auf ihre Seite zu ziehen, indem sie großflächig in der
Bewegung intervenieren: Auf Aktionen halten sie Reden, verteilen
Flyer, moderieren auf der Bühne, machen sich durch ihre Mitarbeit zu
unerlässlichen Partner_Innen, in den vielen Chat-Kanälen machen sie
Stimmung und verbreiten ihr Gedankengut. Weniger nationalistische
Kräfte, die sich vielleicht mehr auf das Grundgesetz als auf
Deutschland beziehen, versuchen, ihre Sicht der Dinge zu verteidigen,
geben dabei in Rhetorik und Argumentation aber auch oftmals nach. Das
Gesamtbild ist zwar noch recht heterogen, doch es gibt diverse
Punkte, die Querdenken anschlussfähig für rechte Ideologien machen
und ein Einfalltor dafür darstellen.

Ein wichtiger Aspekt für
Radikalisierung ist es, dass zunächst verhältnismäßig moderate
Einstellungen bestimmte Fragen aufwerfen, die man eigentlich zu
beantworten hat, wenn man ein geschlossenes Weltbild haben möchte.
In dem Fall ist diese zunächst die Aussage: Corona ist eigentlich
gar nicht so schlimm und die Regierung verhält sich da komplett
übertrieben. Darauf folgt die Frage: Ok, aber warum macht die
Regierung das, wenn es doch eigentlich gebildete Leute sind? Dazu
könnten die Leute sich jetzt auf parlamentarische und
gesellschaftliche Komplexitäten beziehen, aber viel öfter wird es
deutlich einfacher beantwortet: Die Regierung, Presse und sonstige
Eliten lügen uns mit Absicht an, weil sie damit einen großen Plan
verfolgen, zum Beispiel eine „Corona-Diktatur“ einzuführen oder
mit Zwangsimpfungen Bill Gates reich zu machen oder sowas. Damit
landet man relativ schnell schon bei verschwörungsideologischen
Inhalten.

Es wächst zusammen, was
zusammengehört: Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus

Verschwörungsideologien sind meist auf
eine Art und Weise gestrickt, dass einige zentrale Charakteristika
mit rechtsextremen Ideologien gut zusammenpassen. Zuerst wäre dabei
der gesellschaftliche Grundwiderspruch gleich: Es ist das (deutsche)
Volk, was gegen den Staat und die Eliten aufbegehren muss, weil diese
lügnerisch, unanständig oder fremdgesteuert sind. Wer dieser Elite
nun konkret angehört, wird passend konstruiert und unterscheidet
sich teils deutlich je nach dem, wen du fragst. Manchmal sind es
politische Mächte wie die „linksgrünen Meinungsdiktator_Innen“
oder „undeutsche“ Politiker_Innen, aber meistens eher versteckt
handelnde Intrigant_Innen wie die Rothschilds, Freimaurer_Innen,
Illuminat_Innen, die Besatzungsmacht in der BRD-GmbH oder
irgendwelche bösen Einzelpersonen wie Bill Gates oder Georg Soros.
Zwar sind hiervon einige Jüd_Innen, aber selten wird offen gesagt,
dass es hierbei um Jüd_Innen im Allgemeinen ginge. Es ähnelt dem
Antisemitismus jedoch in dem Aspekt sehr stark, dass wir angeblich
eine eigentlich intakte (deutsche) Gesellschaft haben, diese jedoch
durch eine außenstehende Kraft vergiftet werde, die wir nur
ausmerzen müssten, dann sei wieder alles ok.

Wer zu der „Elite“ oder zum „Volk“
gehört, wird weder bei Rechten noch bei klassischen
Verschwörungsideolog_Innen an die Klassenzugehörigkeit gebunden.
Das ist ein typisches Merkmal für kleinbürgerliche Bewegungen, also
jenem Teil der Gesellschaft, der zwischen den Hauptklassen
(Arbeiter_Innen und Kapitalist_Innen) steht, z.B. kleine
Solo-Selbstständige, Laden- oder Restaurantbesitzer_Innen. Den
Standpunkt, den man vertritt, wird auch nicht als Teil einer Klasse
dargestellt, sondern als die Interessen „der Deutschen“ oder „der
Menschen“, weil man als Zwischenklasse Schwierigkeiten hat, eine
eigenständige Position zu finden. Beispiel: Auf der einen Seite will
man nach unten seinen Reichtum verteidigen, auf der anderen Seite
nicht von oben durch anderen Reichtum verdrängt werden. Wie soll man
da Klarheit zum Schutz von Eigentum finden? Also spricht man lieber
nicht drüber. Trotzdem scheint es bei Querdenken oft durch, wessen
wirtschaftliche Notlage ein besonderes Problem ist: Gegen die
Schließung der kleinen Betriebe wird die Aufhebung des Lockdowns
gefordert. Über Massenentlassungen bei Galeria oder Lufthansa oder
gar über die Kurzarbeit wird selten gesprochen.

Eine Sache, die die Rechten aber den
klassischen Verschwörungsideolog_Innen voraushaben, ist es, dass sie
direkt noch eine politische Perspektive parat haben, wie man die
Bewegung zum Sieg führt: Wir befinden uns schon seit Jahren in einem
Rechtsruck und es gibt einige Parteien und Personen im rechten Lager,
die Öffentlichkeit haben und die man jetzt nur weiter pushen muss,
damit sie der Corona-Politik ein Ende setzen. Neben dem
parlamentarischen Weg z.B. durch die AfD, gäbe es natürlich noch
das „Führer-Prinzip“, in dem ein starker Mann jetzt dafür
sorgen solle, dass die Ordnung wiederhergestellt werde. Durch diese
Perspektive können sie die Bewegung als Ganzes immer weiter nach
rechts treiben. Doch wer treibt da genau nach rechts? Eine kleine
Auswahl der wichtigsten rechten Kräfte folgt im nächsten Kapitel.

Who Is Who der rechten
Querdenker_Innen

AfD: Nachdem die
Euro- und Geflüchtetenthematik etwas an Zugkraft verloren haben,
versuchen nun Teile der AfD bei den Corona-Skeptiker_Innen zu landen.
Wobei sich diese Haltung
erst im Laufe des Jahres ergab. Zu Beginn der Pandemie rief man, nur
um die Regierung als unfähig dastehen zu lassen, noch nach
schärferen Maßnahmen und schnellerem Eingreifen. Bei allem,
was die AfD so macht, lässt sich immer wieder das gleiche Muster
finden: Sie präsentieren ihre Meinung durch unbequemes Auftreten als
besonders antielitär, vertreten dabei eigentlich aber nur in einem
aggressiven Ton einen Teil des Kapitals. Nun vertreten sie eben das
Kapital, das gerade sehr unter den Maßnahmen ächzt, aber eigentlich
genauso wenig das Interesse der Massen im Sinn hat wie jenes, das
diese Maßnahmen noch ok findet. Funktioniert bislang nur mäßig,
die Partei ist tief zerstritten.

Faschist_Innen: Hier
gibt es einige Kräfte (III.Weg, NPD, Reichsbürger_Innen, kleinere
Gruppen…), die sich teilweise in der Bewegung befinden, teilweise
jedoch das friedliche Auftreten von Querdenken ablehnen und eine
Spaltung suchen. Sie reden zwar auch von Frieden und Freiheit, aber
eher in dem Sinne, dass sie Freiheit für Deutschland (vom äußeren
Feind, s.o.), vielleicht auch durch Abschaffung der parlamentarischen
Demokratie, fordern und dass es dann erst Frieden für das deutsche
Volk gäbe. Die Faschist_Innen sind meist auch jene, die die
Reichsflaggen mitschleppen, um sich positiv auf das „freie
Deutschland“ in Form des Kaiserreichs zu beziehen.

QAnon: Da es sich
hierbei eher um eine US-amerikanische Internetbewegung handelt, ist
es schwierig, den Einfluss auf Deutschland einzuschätzen, aber man
sieht auf Querdenken-Protesten viel Symbolik: ein simples Q oder die
Abkürzung WWG1WGA („Where We Go One We Go All“; so viel wie
„alle für einen, einer für alle“) oder die Glorifizierung von
Trump. Es ist eine Art „Verschwörungsideologie zum Mitmachen“,
bei der eine angebliche Person aus dem Elitenkreis auf Reddit oder
4Chan kryptische Fragen stellt und die Leute sollen selbst im
Internet auf die Suche nach den Antworten gehen. Ergebnis dieser
Suche ist es, dass praktisch alle bekannteren Personen Satanist_Innen
seien, die sich durch das Essen von Kindern ewiges Leben verschaffen
wollen. Diese stecken alle unter einer Decke und kontrollieren das
Weltgeschehen. Und um nun auch die Menschen zu kontrollieren, soll
durch 5G und Chips, die beim Impfen eingepflanzt werden,
Gedankenkontrolle möglich werden. Vorkämpfer gegen die
satanistischen Eliten ist Donald Trump, der uns wieder in eine
anständige und gottesfürchtige Gesellschaft führen soll. Die
Wesensähnlichkeiten zum Faschismus (Antisemitismus, konservatives
Gesellschaftsideal, Führer-Prinzip, Bewegungscharakter…) sind
nicht zu übersehen.

und was machen wir jetzt?

Spätestens seitdem sich im großen
Stil Rechte unter die Querdenker_Innen gemischt haben, werden die
Aktionen auch immer von antifaschistischen Gegenprotesten begleitet.
Und das ist gut so, sie sollen wissen, dass wir sie nicht wollen und
wir müssen uns dagegen organisieren und vernetzen! Doch wird das
wohl allein nicht ausreichen. Der gesellschaftliche Nährboden von
Querdenken ist massenhafte Unzufriedenheit von Arbeitslosen,
Kurzarbeiter_Innen, vom Abstieg Bedrohten, während der Krise
Alleingelassenen. Querdenken ist dabei der einzige Pol, in dem sich
diese Unzufriedenheit entladen kann, obwohl es ihnen kaum mehr als
eine „Rückkehr zur Normalität“ versprechen kann, die wegen der
Wirtschaftskrise sicherlich nicht durch ein Ende des Lockdowns zu
erreichen ist, denn die Krise wird weitergehen, mit oder ohne Corona!

Wir müssen eine eigenständige
Antikrisenbewegung aufbauen, die dazu im Stande ist, eigene
Forderungen aufzuwerfen und durchzusetzen. Diese muss es sich zum
Ziel machen, dass die Lebensumstände aller Menschen gesichert sind
und zwar durch ein Verbot von Jobstreichungen und hohe
Sozialleistungen auf Kosten der Reichen und Krisengewinner_Innen! Um
die Versorgung und Pflege der Menschen abzusichern, muss der
Gesundheitssektor und die Pharmaindustrie enteignet werden. Corona
muss entschlossen und nachvollziehbar angegangen werden, ohne dabei
nur einseitig unsere Freizeit einzuschränken, aber keine Hand an die
Wirtschaft zu legen! Diese und weitere wichtigen Forderungen findet
ihr unserem Corona-Programm! Wenn wir statt Verschwörungsideologien
und leeren Versprechen der Normalität eine sichtbare Perspektive auf
ein gutes Leben aufwerfen, können wir Querdenken und all die Rechten
mit ihnen hinwegfegen!




Let’s talk about sex: Über Konsens reden – aber wie?

Von JK Singh

Im Sexualkundeunterricht in der Schule
wird uns nicht viel beigebracht. Zwar können wir uns glücklich
schätzen, dass wir lernen, wie wir Kondome über Bananen stülpen
und wir auch mal einen seitlichen Anschnitt einer Vagina sehen oder
bekommen ’nen Tampon in die Hand gedrückt. Aber so wirklich
hilfreich ist’s dann auch nicht, wenn man versucht Sex zu haben. Im
Unterricht liegt der Fokus auf Genitalien, wobei die weiblichen an
der Stelle oftmals falsch dargestellt werden, (So ist beispielsweise
die Klitoris kein kleiner Punkt, der gaaaanz schwer zu finden ist),
Homo-, Bi- und Asexualität werden nicht wirklich angerissen und über
Intimität, Verantwortung oder Gefühle wird so gut wie nie geredet.
Stattdessen können wir dann auf die breite Palette der verzerrten
Darstellung von Intimität und Sexualität in der bürgerlichen
Gesellschaft zurückgreifen.

Ähm, was?

Ob in Filmen oder Serien: Intimität
wird in Extremen dargestellt. Entweder ist die Grundlage Liebe bis
ans Ende des unendlichen Universums, oder es geht darum seinen
eigenen Wert zu beweisen, in dem man Jemanden ins Bett bekommt.
Dazwischen gibt’s nicht viel zu finden. Voll romantisch und so.
Meist weiß der Mann auch natürlich, was die Frau braucht. Ohne zu
fragen, kann er einfach fühlen, dass die Frau jetzt geküsst werden
will und per Gedankentelekinese fügt sich alles nahtlos in einander
bis man auf einmal nackt ist –und die Frau durch reine Penetration
einen Orgasmus bekommt. Das ist noch die nette Variante, schließlich
gibt’s noch genügend Momente, wo die Frau auch Nein sagt, aber der
Mann natürlich ganz genau weiß, dass das nur ein geheimes Codewort
für „Fick‘ mich“ ist. Dementsprechend wird auch gehandelt und
als Zuschauer_In weiß man nicht, was man nun mit der Form der
sexuellen Gewalt, die man gerade gesehen hat, anfangen soll.

Was kann dadurch passieren?

Zusammengefasst hört sich das eher
ungeil an. Ist es auch. Die Idee, dass man sein Gegenüber erobern
muss, führt in der Praxis zu vielen Problemen. So kommt es zum
Überschreiten von sexuellen Grenzen und zu Übergriffen. Das kann
bewusster passieren, beispielsweise wenn man ein „Nein“ nicht als
„Nein“ wertet, weil man glaubt, man(n) muss die andere Person
überzeugen. Oder unbewusster, wenn man es einfach macht, weil man
glaubt, dass Nachfragen ein Zeichen des Unwissens und von Schwäche,
ist. Ebenso fühlt man sich selber unter Druck gesetzt, weil man
versucht einem Idealtyp zu entsprechen, den es so gar nicht gibt.
Sexualität verkommt also vielmehr zu einer Einzelleistung bei der
man auf magische Art und Weise weiß, was der Andere denkt und sich
selber „beweisen“ muss.

Aber warum ist das so?

Das liegt vor allem daran, dass in der
bürgerlichen Gesellschaft Sex in erster Linie dazu da ist, die
Fortpflanzung zu sichern. Für die herrschende Klasse Nachkommen, an
die sie ihren Besitz vererben (diese Vererbung findet meist über die
männliche Linie statt). Für die Arbeiter_Innenklasse wird so die
Existenz der Familie weiter gesichert, die unter anderem auch der Ort
ist an dem man sich selber erholen kann und die eigene Arbeitskraft
reproduzieren kann. Das hört sich jetzt stark veraltet an, ist aber
die Grundlage auf der sich heute viel abspielt. Das liegt daran, dass
im Kapitalismus 1. Immer bürgerliche Staaten und Großkonzerne in
wirtschaftlicher Konkurrenz stehen und daher möglichst viele neue
Arbeitskräfte auf dem Markt benötigen. Und 2. Insbesondere bei der
Unterdrückung von Frauen, dass diese in die unbezahlte Hausarbeit
und das Rollenklischee der Erzieherin gedrängt werden müssen, damit
die Kapitalist_Innen möglichst wenig aufbringen müssen für die
Reproduktionsarbeit, denn sonst würden sie ja weniger Profit machen.
So wird diese ins Private verdrängt. Sowohl die patriarchale
Vererbung, als auch die private Reproduktionsarbeit sorgen dafür,
dass sich Frauen in die typisch bürgerliche Familie einordnen
sollen, denn nur so kann der Mann sein Eigentum auch an „seine
Kinder“ vererben und hat in der Arbeiter_Innenklasse einen
Rückzugsort zur Erholung. Die Frauen werden zu reinen Geburten- und
Erziehungsmaschinen degradiert, die an Sex keinen Spaß haben müssen.
Sie sollen sich nur auf einen Mann fixieren, den sie ein Leben lang
lieben, und um zu rechtfertigen, dass sie nun auch noch den Großteil
der Hausarbeit (neben ihrer Arbeit) unbezahlt leisten müssen, werden
sie als weniger wert und dümmer dargestellt. All dies spiegelt sich
also in unserer Gesellschaft wider. Auch das Thema Sex, wie die
Hausarbeit, wird weiter ins Private verdrängt. Die 68er-Bewegung hat
für viele Errungenschaften in Bezug auf die Zurückdrängung von
veralteter Sexualmoral eine wichtige Rolle gespielt, trotzdem konnte
sie das Grundproblem nicht aufbrechen. So kommt es dazu, dass wir nun
an vielen Stellen einen offeneren Umgang mit Sexualität haben, aber
im Zuge dessen auch eine Liberalisierung des Sexualmarktes mit all
seinen negativen Facetten.

Das heißt: Sexualität im Kapitalismus
hat gar nicht den Zweck der eigenen Entfaltung. Auch wenn es so
scheint, dass man als Individuum unbegrenzte Freiheiten genießen
kann, geht es darum gar nicht. Vielmehr ist Sexualität stark davon
geprägt, dass existierende Unterdrückungsmuster wie Rassismus,
Sexismus und LGBTIA+ Diskriminierung mitreproduziert werden, die
aktiv verhindern, dass wir uns frei entfalten und Vorurteile wieder
spiegeln. So kommt es beispielsweise auch dazu, dass nicht-weiße
Frauen stark exotisiert werden oder es allgemein eine sehr starke
Fokussierung auf den Mann als Initiator gibt, während die Frau
oftmals stummes Beiwerk ist. Unser Sex-Leben ist also auch immer eine
Frage unserer Sozialisierung und kann nicht getrennt von der
Gesellschaft betrachtet werden.

Was hilft dagegen?

Die feministische Bewegung hat in
diesem Rahmen zwei Konzepte erarbeitet. Zum einen gibt es das „Nein
heißt Nein!“-Konzept. Das basiert darauf, ein Nein als solches
anzuerkennen, ohne nochmal Nachfragen zu stellen, die Druck aufbauen
können (Bist du dir sicher? Willst du nicht noch mehr trinken? Etc.)
und die Grenzen des Gegenübers zu akzeptieren. Das sollte eigentlich
recht klar sein, ist es aber vielerorts nicht. Allerdings klammert
dieses Konzept auch ein paar wichtige Dinge aus. So werden wir in
dieser Gesellschaft mit bestimmten Rollenbildern sozialisiert. Nicht
Jede_R hat die Möglichkeit aus sich heraus „Nein“ zu sagen.
Hinzu kommt, dass man erst wenn’s zu spät ist Feedback bekommt –
also, wenn man dabei ist eine Grenze zu überschreiten. Deswegen
wurde das Zustimmungskonzept „Ja heißt Ja“ entwickelt. Durch
aktives Nachfragen soll eine Verletzung der Grenzen vermieden werden,
damit sexuelle Handlungen nicht nur eine Einbahnstraße sind.

Das sagt sich so einfach, oder doch
nicht?

Wir wollen ehrlich sein: Aktiv
nachzufragen ist verdammt schwer. Das allgemein existierende Bild von
Sex in unserer Ecke der Gesellschaft gibt uns zu verstehen: Sex ist
immer toll und super heiß, dein eigener Wert wird dadurch bestimmt,
dass du ohne zu reden dein Gegenüber zum Orgasmus bringst und
einfach so total geile Sachen machst. Sex wird dadurch mehr zur
individuellen Leistung und nicht etwas, dass man gemeinsam hat. Oben
drauf kommen die stereotyphaften Erwartungen. Bei der männlichen
Sozialisierung gilt Nachfragen als schwach – schließlich nimmt
sich ein richtiger Mann, was er haben will und zeigt so seine Stärke.
Die weibliche Sozialisierung zeichnet sich dadurch aus, Sachen
hinzunehmen, schließlich muss man dem Typen auch gefallen.

Davon abgesehen, mischen sich je nach
Situation noch Versagensängste und die Angst aufgrund der eigenen
Bedürfnisse verurteilt zu werden rein. Insgesamt ergibt das also
eher einen Cocktail voller Zweifel, den man nicht so einfach
heruntergeschluckt bekommt. Also nein. Aktiv nachzufragen oder über
die eigenen sexuellen Wünsche zu reden, fällt vielen von uns
verdammt schwer. Es ist unangenehm, peinlich und man hat Angst. Aber
es lohnt sich. Die Frage ist nur:

Wo fängt man überhaupt an?

Auseinandersetzung mit sich selbst?

Sexuellen Konsens zu lernen, klappt
nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess. Dabei lohnt es sich,
sich erst mal mit sich selber auseinander zu setzen. Mit den eigenen
Bedürfnissen, den eigenen Wünschen, den eigenen Grenzen. Wer das
noch nie gemacht hat, dem fällt das wahrscheinlich ganz schön
schwer. Weibliche Sozialisierung und auch manche psychischen
Krankheiten erschweren die Auseinandersetzung damit. Praktisch kann
das dann so aussehen, dass man sich selber Fragen stellt und diese
nach und nach beantwortet. Beispielsweise: Kann ich gut „Nein“
und „Ja“ sagen? Kann ich mich selber akzeptieren? Worauf habe ich
eigentlich Lust, was will ich erleben? Habe ich Angst vor
Zurückweisungen? Wenn ja, was macht das mit mir? Daneben kann es
helfen, sich mit seinem Körper auseinanderzusetzen.
Gesellschaftliche Schönheitsideale können einen riesigen Druck
ausüben – ob zu große Brüste, ein zu kleiner Penis letzten Endes
wird dafür gesorgt, dass sich 99% aller Menschen nicht wohl in ihrer
Haut fühlen. Das hat auch automatisch Auswirkungen darauf, wie wir
uns vor anderen fühlen. Dessen sollte man sich bewusst sein und
anfangen, existierende Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen.

Und zuletzt: Redet ernsthaft mit
Freund_Innen über Sexualität. Hört sich komisch an mit Menschen
mit denen man nicht intim werden will drüber zu reden, aber der
Austausch mit anderen kann einen aufzeigen, wie Grenzen bei Anderen
aussehen oder man vielleicht gar nicht alleine mit seinen Ängsten
und Schwierigkeiten ist. Das ist gerade in männlichen
Freundeskreisen schwer, da es eine große Hemmschwelle gibt über
Gefühle zu reden und gerade in der Schule Sexualität was ist, mit
dem sich profiliert wird. Aber auch das kann angegangen werden. Dort
hilft es vielleicht, so etwas nicht gleich in einer Gruppe, sondern
im Zwiegespräch mit einem besonders guten Freund, zu besprechen.
Wenn es keine Möglichkeit gibt mit Freunden darüber zu reden, kann
man sich natürlich auch noch andere Wege suchen. Wenn man z.B.
relativ offene Eltern hat oder, wenn gar nichts mehr geht, kann man
auch versuchen eine Psychologin/ einen Psychologen auf zu suchen. Im
Gegenteil zu gängigen Klischees, sind diese nicht nur für
psychische Krankheiten, sondern auch einfache psychische Probleme da.

Auch wenn sich das anstrengend anhört,
lohnt es sich diese Schritte auszuprobieren und sich daran
weiterzuentwickeln. Seine eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Wünsche
herauszufinden – und dann auch aussprechen zu können, ist eine
gute Grundlage, um das Gespräch mit Anderen zu suchen.

Wo fängt man zu zweit an?

In Realität schlägt das Herz wie wild
und man ist sich nicht so ganz sicher was gerade passiert und
irgendwie küsst man sich dann. Oder man ist betrunken auf ’ner
Party. Oder, oder, oder. Aber selten hat man sich vorher mal die
Zeit genommen, zu fragen, was das Gegenüber will. Hat man ja auch
nicht gelernt. Dabei ist das recht leicht. Ein guter Einstieg ist es
am Anfang zu fragen, wie gut sie/ er die eigenen Bedürfnisse und
Grenzen äußern kann. Also: Wie leicht fällt es einem überhaupt
„Nein“ in konkreten Momenten zu sagen? Klappt das einfach oder
wäre ein Handzeichen besser? Woran merke ich, was der anderen Person
gefällt? Wie kommt man aus unangenehmen Situationen raus? Was gibt
Sicherheit? Was macht Angst? Was ist einem verdammt peinlich?

Die Fragenliste kann man noch um ein
paar mehr erweitern. Dabei gilt die Regel: Statt anzunehmen, dass man
weiß, was man macht, fragt man einfach mal nach. Auf Basis dessen
können dann Vereinbarungen untereinander entstehen, wie
beispielsweise non-verbale Kommunikation. Oder einem fällt es schwer
die Initiative zu ergreifen und man findet es gut, dass der andere
sie ergreift und das auch praktisch machen soll. Aber nicht einfach
aus dem Nichts heraus.
Gleichzeitig sollte man sich bewusst sein,
dass es auch Machtverhältnisse gibt, die die Antworten verzerren
können und die einem Umgang auf Augenhöhe im Weg stehen können.
Diese gehen oftmals mit existierenden Unterdrückungsmechanismen, wie
Sexismus oder Rassismus einher, wie beispielsweise die typisch
weibliche Sozialisierung, die dafür sorgt, dass man eher hinnimmt,
was die andere Person macht. Aber auch andere Dynamiken wie
Wissenshierachien/ Erfahrungshorizont, Drogenkonsum,
Abhängigkeitsverhältnisse (finanzielle beispielsweise) oder ein zu
großer Altersunterschied können beispielsweise dazu führen kann,
dass dem einem Gegenüber mehr Bewusstsein zugeschrieben wird, als da
ist und die eine Person sich einfach unterordnet.

Das bedeutet auch, sich bewusst zu
sein, Konsens nicht immer dafür sorgt, dass Alles gut geht. Das
Zustimmungsprinzip Ja heißt Ja ist an der Stelle kein abstraktes,
starres Regelwerk. Manche Sachen sind klar, wie „Nein heißt Nein“.
Aber sexueller Konsens beschreibt eigentlich ein Verhältnis zwischen
den Menschen, die miteinander intim werden und kann deswegen sehr
unterschiedlich praktiziert und ausgeübt werden. Es geht darum, zu
versuchen keine Gewalt zu reproduzieren und sein eigenes Bedürfnis
nicht einfach so durchzusetzen, sondern gemeinsam das zu machen, was
einander Spaß macht. In dem Wissen und unter Berücksichtigung, dass
es Sozialisierung und gesellschaftliche Unterdrückungsmuster gibt,
die dabei im Weg stehen können bzw. den Zugang dazu erschweren.
Manchmal merkt man erst im Nachhinein, dass die Situation gar nicht
so abgelaufen ist, wie man es gewollt hat. Das kann passieren, auch
wenn man sich Mühe gibt. Sexualität ist von Natur aus ein
Spannungsfeld und gleichzeitig gibt es in unserer Gesellschaft
unfassbar viele Unterdrückungsmomente. Deswegen gehört auch dazu,
dass man im Nachhinein bereit ist, über das Erlebte zu reden, Kritik
anzunehmen oder Sachen, bei denen man sich unsicher war, selber aktiv
anzusprechen. Sex ist also unmöglich wirklich angenehm und schön
für beide, ohne Zusammenarbeit und gegenseitige Rücksichtnahme und
Vertrauen.

Das hört sich alles anstrengend und
0 romantisch an!

Für Manche ist’s anstrengend, sich mit
sich und den Bedürfnissen anderer auseinander zu setzen. Wenn du
aber nicht gerade darauf stehst, andere zu verletzen (was, wenn es im
konsensualen Rahmen passiert, wiederum voll ok ist) und dein eigenes
Bedürfnis über Andere zu stellen, dann merkst du, dass das der
praktikabelste Weg ist. Die Idee von Romantik, die uns in Filmen und
Serien beigebracht wird, basiert darauf, dass sie grenzüberschreitend
ist. Und was ist daran bitte romantisch? Es scheint nur oftmals
leichter, weil man sich der Gefahr entzieht einen Korb zu bekommen.
Solche Aussagen sind an der Stelle nur Aussagen mit der man sich aus
der Verantwortung ziehen möchte.

Also machen wir das alle so und wir
haben eine befreite Gesellschaft?

Nein. Leider ist dem nicht so. Es gibt
es Leute, die von der aktuellen Gesellschaftsdynamik profitieren.
Diese haben gar kein Interesse Etwas zu ändern, denn um die
Grundlage dieser Unterdrückungsformen zu beenden, müssten diese
Menschen ihren Besitz und ihre Privilegien aufgeben. Dementsprechend
kann die Grundlage, die das Bewusstsein erzeugt, dass es in Ordnung
ist, einfach so mit Leuten zu schlafen, ohne zu Fragen nicht einfach
so verschwinden und wird weiter reproduziert. Es ist also gar nicht
möglich, dass alle Menschen das einfach so machen. Schließlich
wurden die Meisten anders sozialisiert. Wir müssen also erst eine
Grundlage dafür schaffen.

Also können wir es auch gleich
lassen?

Auch nein. Als Revolutionär_Innen
wissen wir zwar, dass wir in der bürgerlichen Gesellschaft nicht
einfach so befreit leben können. Schließlich sind wir uns den
Zwängen, wie beispielsweise dem Zwang unsere Arbeitskraft verkaufen
zu müssen, nicht einfach so entledigen. Oder einfach so die Art und
Weise, wie wir sozialisiert wurden, abwaschen und neu anfangen. Aber
wir können uns den Mechanismen innerhalb der bürgerlichen
Gesellschaft bewusst sein. Wir können, aber müssen auch
gleichzeitig. Schließlich kämpfen wir für eine befreite
Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Das klappt am
besten, wenn wir schon im Hier und Jetzt für Verbesserungen kämpfen
und versuchen mit gesellschaftlichen Diskriminierungen einen Umgang
zu finden, statt das Ganze auf die Zeit „nach der Revolution“ zu
verschieben. Deswegen fordern wir beispielsweise: die
Vergesellschaftung der Hausarbeit, weil sie eine Grundlage des
Sexismus in der bürgerlichen Gesellschaft angreift, und eine enorme
Entlastung für die Arbeiter_Innenklasse wäre. Zudem haben wir uns
als Organisation dazu entschieden, aktiv sexuellen Konsens als
Bestandteil in unserer Debattenpraxis aufzunehmen. Erfolgreich kann
das Ganze aber nur sein, wenn wir dem System die Grundlage entziehen,
indem wir die bürgerliche Familie und die geschlechtlichen
Stereotype auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen! Dies können
wir aber erst in einem System ohne Lohnarbeit machen, wo die
Entscheidung nicht mehr in den Händen der (meist männlichen)
herrschenden Klasse liegt. Deswegen müssen wir kollektiv die
Produktion in unseren Besitz nehmen, die Kernindustrien enteignen und
unter demokratische Planung der Arbeiter_Innenklasse stellen. Erst
dadurch können wir auch die Reproduktion der Arbeitskraft kollektiv
bestimmen und damit der doppelten Ausbeutung der Frau, Sexismus und
Rollenklischees den Boden entziehen. So wird sich auch die
Sozialisierung und das Recht auf guten Sex für alle, der nicht ins
Privatgespräch gedrängt wird, verändern.




Cardi B & Co. – Sex Sells oder sexuelle Befreiung?

Von Sani Meier

Einer der erfolgreichsten Hip-Hop-Songs
im Jahre 2020 war auch einer der am meist diskutierten, sodass, als
letzten August “WAP” (“Wet Ass Pussy“) von Cardi B &
Megan Thee Stallion erschien, die Welt der Popkultur kurz stillstand.
Während der Song in sozialen Medien wie TikTok direkt viral ging und
sich wochenlang an der Spitze der internationalen Charts hielt, löste
die explizite, sexpositive (= Bejahung einvernehmlicher Sexualität
in all ihren Formen) Message innerhalb der Hiphop-Szene und der
US-amerikanischen Politik eine hitzige Debatte aus. Gestritten wird
darüber, ab wann offene, weibliche Sexualität vulgär und moralisch
verwerflich ist. Wir gehen in diesem Artikel der Frage nach, warum
diese Thematik überhaupt so kontrovers ist und welche Perspektiven
Künstlerinnen wie Cardi B & Co. für eine befreite Sexualität
von Frauen bieten.

„WAP“ ist sicherlich nicht der
erste Song seiner Art, sondern steht in einer Tradition sexpositiven
weiblichen Hiphops von Künstlerinnen wie u.a. Lil Kim, Missy
Elliott, Trina oder Nicky Minaj. Ihre Songs stehen dafür, dass
Frauen Sex haben können, wann und wie sie wollen und dabei ihr
eigenes Vergnügen im Zentrum steht. Eine Perspektive, die in unserer
patriarchalen Gesellschaft üblicherweise tabuisiert und beschämt
wird, vor allem wenn sie von Frauen selbst aufgeworfen und gelebt
wird. Das wird vor allem daran deutlich, dass männliche Künstler
völlig ungehemmt über ihre Sexualität reden können, selbst wenn
ihre Inhalte dabei Gewalt gegen Frauen verherrlichen. Deutschrapper
wie die „187 Straßenbande“ beispielsweise sprechen in ihren
Texten davon, Frauen mit K.O.-Tropfen zu betäuben, um sie später zu
vergewaltigen und werden dafür höchstens aus feministischen Kreisen
kritisiert. Währenddessen brechen sie Spotify-Rekorde und
profitieren somit materiell von der sexuellen Unterdrückung von
Frauen. Es macht also offensichtlich einen Unterschied, wer über
Sexualität sprechen darf- Warum ist das so?

Weibliche Sexualität wird in unserer
Gesellschaft stark reglementiert und unsichtbar gemacht. Um zu
verstehen, warum das so ist und wer davon profitiert, müssen wir zu
den Ursprüngen des Patriarchats zurückgehen. Kurz zusammengefasst
lässt sich historisch eine gesellschaftliche Ungleichbehandlung von
Frauen ab dem Zeitpunkt nachweisen, an dem Menschen anfingen,
sesshaft zu werden und Privateigentum zu besitzen. Ab diesem
Zeitpunkt spielte also auch die Vererbung genau dieses Eigentums eine
wichtige Rolle und dies geschah meist über die Erblinie des Vaters.
Um eine korrekte Vererbung zu gewährleisten, musste also eindeutig
nachweisbar sein, welche Kinder zu welchem Vater gehörten. Ohne
moderne Techniken der Vaterschaftstests oder ähnlichem bedeutete
dies die Einführung der Monogamie- für Frauen. Nur wenn es sicher
war, dass Frauen nur mit ihren Männern Sex hatten, war eine
Vaterschaft eindeutig nachweisbar. Was ihre Männer währenddessen
machten, wurde erst deutlich später relevant. Es gab also eine
materielle Notwendigkeit dafür, dass Frauen ihre Sexualität nicht
mehr frei auslebten, sondern einzig auf ihren Partner oder Ehemann
beschränkten. Dass ihre Bedürfnisse möglicherweise ganz andere
waren, musste negiert und unterdrückt werden. Die Auswirkungen
dessen spüren wir noch heute: Weibliche Körper werden von klein auf
durch Politik, Gesetze und kulturelle oder religiöse Vorstellungen
fremdbestimmt. Frauen wird anerzogen, sich für ihre Sexualität und
Körper zu schämen, ihre „Reize“ zu zügeln. Abweichendes
Verhalten wird moralisch abgewertet, was sich unter anderem daran
zeigt, dass ein Großteil aller sexistischen Beleidigungen für
Frauen auf ihre ungehemmte Sexualität abzielt. Diese Vorstellungen
sind oft so verinnerlicht, dass sich Frauen dahingehend selbst und
gegenseitig überwachen.

Aber nicht nur vor einigen
Jahrtausenden, sondern auch heute noch ist genau diese Kontrolle im
Interesse des kapitalistischen Systems: Indem aus Frauen sexuell
passive Wesen gemacht werden, lassen sie sich besser kontrollieren
und fügen sich einfacher in ihre zugeteilte gesellschaftliche
Funktion der Reproduktion ein. Im Rahmen der bürgerlichen
Kleinfamilie sollen sie im besten Fall möglichst viele Kinder
kriegen und Fürsorge für andere leisten. Für sexuelle
Selbstverwirklichung bleibt da kein Platz. Sex wird als Aktivität
erlebt, die den eigenen Körper zwar involviert, aber dem eigenen
Vergnügen wenig bis keinen Stellenwert einräumt. An der aktuellen
Kontroverse zeigen sich zusätzlich auch rassistische Aspekte, denn
vor allem schwarze Frauen sind stark eingeschränkt in den
Möglichkeiten ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Besonders ihre
Darstellung in pornographischen Filmen hat einen Stereotyp der
„ungezügelten & wilden schwarzen Sexualität“ erschaffen,
den es zu „zähmen“ gelte.

Vor diesem Hintergrund ist es also
nicht mehr überraschend, dass Künstlerinnen wie Cardi B & Megan
Thee Stallion vor allem in Zeiten von Krise und sexistischen
Rollbacks Wut ernten, denn ihre Texte fordern die Kontrolle über
sexuelle Narrative und ihre Körper zurück. Dies ist ein großer
Fortschritt hinsichtlich der Frage, wer über weibliche Sexualität
sprechen und von ihr profitieren darf, allerdings muss es bis zu
einem bestimmten Punkt auch als das bewertet werden, was es ist: Ein
Produkt auf dem kapitalistischen Markt, welches möglichst viel
Profit einbringen muss. So ist es zwar sicherlich relevant, dass die
Künstlerinnen zwei Women of Colour sind, die ihre Sexualität und
Körper in ihrer Musik thematisieren, anstelle von männlichen
Künstlern, die diese Themen lediglich für ihren Profit nutzen,
indem Frauen als Accessoires in ihren Musikvideos auftauchen.
Allerdings stehen auch sie unter dem Druck, sich selbst möglichst
erfolgreich zu vermarkten, was in unserer Gesellschaft leider am
effektivsten über „sex sells“ funktioniert. Der Text ist auch
ziemlich auf sexuelle und Schönheitsklischees der bürgerlichen
Gesellschaft ausgelegt (Frauen mit enger Scheide, und Männer mit
großem Penis), und so dürfte ihr Erfolg auch zum Teil durch die
damit erreichte Provokation zu erklären sein. Wie bereits vorher
ausgeführt, liegt der Ursprung der sexuellen Unterdrückung der Frau
im Kapitalismus selbst und kann deshalb auch nur im Kampf gegen
diesen überwunden werden. Empowernde Texte können diesen vielleicht
unterstützen, indem sie das Bewusstsein der Konsument_Innen
beeinflussen, sie können ihn aber nicht ersetzen. Im Gegenteil kann
es bei sehr sexistisch eingestellten Menschen und insbesondere
mackerhaften Männern, auch zu einer vermehrten Ablehnung oder noch
vermehrten Objektivierung des weiblichen Körpers führen, während
es insbesondere Frauen natürlich auch ermutigen kann. Dennoch wird
es die sexistische Unterdrückung nicht beenden, weil es ihre Ursache
nicht angreift. Es braucht also eine revolutionäre Perspektive, die
die materielle Grundlage dieser Gesellschaft als Ganzes verändert
und nicht nur die Musik, die höchstens die Reproduktion dieser
verhindern kann.

Trotzdem lassen sich einige positive
Effekte festhalten: So ist das klare Aussprechen sexueller Wünsche
auch ein wichtiger Bestandteil von sexuellem Konsens und Texte, dies
das thematisieren, könnten dabei helfen, einen offenen Umgang damit
zu normalisieren. Wenn du noch mehr zum Thema Konsens wissen willst,
haben wir in dieser Zeitung auch einen ganzen Artikel dazu
geschrieben:„Let’s talk about Sex: über Konsens reden – Aber
wie?“
. Weiterhin brechen sie mit dem Anspruch, dass alle von
der Sexualität von Frauen profitieren können, außer sie selbst und
machen weibliche Perspektiven, Wünsche und Fantasien sichtbar. In
einer Gesellschaft, in der sich sexuelle Medien wie Musik und
Pornographie vor allem an ein männliches Publikum richten, bieten
sie Identifikationsfläche für viele junge Frauen und erschaffen
Narrative, in denen sie nicht nur passive Teilnehmerinnen sind,
sondern selbst aktiv ihre Lust in den Fokus stellen.