Woher kommen eigentlich Verschwörungsideologien?

von
J.J.Wendehals

Bei
den “Querdenker”-Demos kommen aktuell so viele Leute auf die
Straße wie sogar die Rassist_Innen von Pegida selbst zu ihren
Hochzeiten nur hätten träumen können. Dabei handelt es sich zwar
keineswegs um eine einheitliche Masse aus knallharten Faschist_Innen,
aber es gibt doch ein ideologisches Dach, unter dem alle diese
verschiedenen Leute (auf eine infektionspolitisch nicht vertretbare
Nähe) zusammenkommen: Es handelt sich um (mal mehr und mal weniger)
wilde Theorien darüber wie mystische Kräfte oder Personen die
Geschicke der Welt lenken und sie gegen den “kleinen Mann”
lenken, der sein einfaches Leben unterhalten will. Wir nennen diese
Verschwörungsideologien.

Woran glaubt ein_e
Verschwörungsideolog_In?

Typischer
Weise richten sie sich gegen tatsächlich relativ einflussreiche
Personen wie Konzernchefs (Bill Gates) oder Regierungsangehörige
(Merkel, Obama) aber es gibt auch weitaus phantastischere Ziele
(Echsen, außer- oder überirdische Wesen) und offen rassistische
(Juden und Jüdinnen, Geflüchtete). In den einzelnen Theorien sind
dann diese verschiedenen Feindbilder oft miteinander kombiniert und
verflochten wie z.B. im Fall von antisemitischen Verleumdungen des
George Soros (ein Investor jüdischer Abstammung, der sein Vermögen
auch für Bildungs- und bürgerrechtliche Zwecke einsetzt) oder wenn
behauptet wird Bill Gates (eigentlich ein getarntes Echsenwesen)
stehe hinter der Coronapandemie, um damit Geld in die Taschen der
Pharmakonzerne zu lenken, an denen er beteiligt ist. So absurd und
lächerlich diese Theorien einstweilen wirken, so real sind aber
offenbar doch ihre Auswirkungen und Hintergründe, dafür sind die
Mobilisierungen in Berlin nur der aktuellste von vielen Belegen.
Schon der Hitlerfaschismus verband seinen Antikommunismus mit
antisemitischen Motiven, wenn er die Gefahr einer
“bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung” an die Wand malte
und hatte am Ende den unfassbaren Terror von Zweitem Weltkrieg und
Shoah zur Folge. Wir wollen also in diesem Text das Phänomen ein
wenig analysieren.

Was
ist die ideologische Struktur der Verschwörungstheorien?

Auch
wenn Bebel sagte, Antisemitismus sei der “Sozialismus der dummen
Kerls”, beschränken Verschwörungsideologien sich nicht darauf
Hirngespinste “dummer” Menschen zu sein. Als Ausgangspunkt haben
sie tatsächlich oft eine reale Ungerechtigkeit der kapitalistischen
Verhältnisse, so z.B. die sich öffnende Schere zwischen Arm und
Reich, die Profitmacherei in der Pharmaindustrie, Arbeitslosigkeit
oder das zu Grunde gehen von kleinen Unternehmen. Jedoch bleiben sie
unfähig die systematischen Ursachen dieser Missstände in der
Struktur des Kapitalismus’ zu erkennen. Stattdessen greifen sie zu
vereinfachten Modellen, die allerdings jene mystischen Elemente
benötigen, um eine lückenlose “Argumentation” bilden zu können.
Wenn beispielsweise nicht erkannt wird, dass die kapitalistische
Konkurrenz die Kapitalist_Innenklasse dazu zwingt, ihre Profite immer
weiter zu maximieren oder unterzugehen, dann muss das Verhalten der
Konzerne in dem bösartigen Charakter liegen, den gewisse Personen
haben sollen, die für diese Konzerne verantwortlich gemacht werden.
Oder eben darin, dass diese Personen von Echsen kontrolliert werden
usw. usf. Dies ist auch oft ein Punkt, an dem Antisemitismus Einzug
erhält in jene Ideologien, da das Bild vom “gierigen Juden”, der
für seine eigenen Ziele bereit ist “die ganze Gemeinschaft” zu
betrügen, schon seit vielen hundert Jahren genutzt wird, um die
verschiedenen Formen des Judenhass’ zu begründen, die über die
Geschichte aufgetreten sind. So auch die Nationalsozialist_Innen, die
unterschieden zwischen einem “schaffenden” Kapital und einem
(jüdischen) “raffenden” Kapital, das für die kapitalistischen
Missstände wie Arbeitslosigkeit und insbesondere die
Weltwirtschaftskrise Ende der 20er verantwortlich sei. Seitdem sind
Wirtschaftskrisen, die die kapitalistischen Widersprüche auf die
Spitze treiben, immer wieder ein fruchtbarer Nährboden für
Verschwörungsideologien gewesen, der seine Wirksamkeit besonders
dann entfalten kann, wenn durch Schwäche und Niederlagen der Linken
Raum dafür gemacht wird (Was hat eigentlich die Linkspartei zum
Coronamanagement der Bundesregierung zu sagen?).

Es
sei an sich durchaus möglich, so ist das Fazit dieser Theorien, ein
gutes Leben im Kapitalismus zu führen, wenn nicht gewisse böse
Elemente vorhanden wären, die dem immer wieder entgegen wirken,
entweder durch Zersetzung von innen oder Fernsteuerung von außen.
Demnach ist die logische Konsequenz auch nie der vollständige
Umsturz des kapitalistischen Systems, sondern immer nur die
Beseitigung dieses oder jenes spezifischen Phänomens, das für alles
Übel verantwortlich sei, wie einzelne Kapitalist_Innen, die Jüdinnen
und Juden oder Geflüchteten. Um das zu erreichen werden Appelle an
den Staat gerichtet (z.B. Merkel und Spahn sollen vor Gericht) und im
schlimmsten Fall wird zu „Selbstjustiz“ gegriffen wie bei
dem Anschlag in Halle.

Welches
Sein steht hinter diesem falschen Bewusstsein?

Als
Marxist_Innen spielen für uns jedoch nicht nur die ideologischen
Merkmale einer Bewegung eine Rolle, sondern vor allem auch die Frage,
wer vertritt diese Ideologie und in welchem Zusammenhang steht sie zu
den materiellen Verhältnissen, mit einem Wort was ist ihr
Klassencharakter? Zwar ist die Soziologie der “Hygienedemos” noch
wenig erforscht, allerdings zeichnet sich eine Tendenz ab, die auch
bei NSDAP und gewissen Teilen der AfD zu beobachten ist. Neben
besonders prekarisierten Teilen der Arbeiter_Innenklasse wird der
hauptsächliche Anteil durch das Kleinbürger_Innentum ausgemacht,
also z.B. Besitzer_Innen von kleinen Läden oder Betrieben aber auch
Selbstständige im Handwerk, in der Gastro- oder Kulturbranche. Das
Kleinbürger_Innentum steht im Kapitalismus zwischen den Fronten der
beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. Es kann daher auch
kein konsistentes Klasseninteresse entwickeln, sondern schwankt
vielmehr die ganze Zeit zwischen den beiden Polen von Bourgeoisie und
Proletariat. Wenn sich ihm auch immer wieder kleine Nischen öffnen,
in die das große Kapital (noch) nicht vorgedrungen ist (Beispiele
sind bei Start-Ups oder im Dienstleistungssektor zu finden), so ist
es doch der Konkurrenz eines großen Konzerns niemals gewachsen.
Insbesondere in Krisenzeiten ist es anfällig, es fehlen ihm
Verteidigungsmittel wie Rücklagen und viele werden zerrieben und in
das Proletariat hinabgedrückt.

Möglich
ist dann, dass Teile von ihm sich der Arbeiter_Innenbewegung
anschließen, die gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die
Bevölkerung ankämpft. Da das Kleinbürger_Innentum nämlich nicht
nicht nur Produktionsmittel besitzt, sondern sich gleichzeitig auch
selber ausbeuten muss, kann ihre Situation nur so positiv aufgelöst
werden. Aber diese Möglichkeit besteht natürlich auch nur, falls so
eine Bewegung überhaupt existiert und es schafft ein revolutionäres
Programm aufzuwerfen. Andernfalls können daraus große reaktionäre
Bewegungen werden, die gefährlich sind für die Arbeiter_Innenklasse
und alle anderen unterdrückten Gruppen.

Keinen
Boden, keine Straße den Rechten!

Als
Revolutionär_Innen ist es also unsere Aufgabe für die Entstehung
jener linken Bewegung einzutreten. Wir müssen die Gewerkschaften und
Arbeiter_Innenparteien unter Druck setzen, dass sie linke Antworten
auf die Angriffe der Herrschenden formulieren und für diese auf die
Straße gehen sollen, anstatt sich klein zu machen und die Interessen
der eigenen Basis zum Teilbedürfnis der Konzerne zu pervertieren,
wie es die IG Metall vormacht, wenn sie sich für die unsägliche
Abwrackprämie einsetzt.

Jenen
Verschwörungsideologien muss aber eine Bewegung der
Arbeiter_Innenklasse eine unmissverständliche Absage erteilen. Den
Rechten und Verwirrten sollten wir jetzt vor allem keinen Raum auf
der Straße lassen. Blockieren wir sie, wo sie mobilisieren und bauen
wir dabei eine Gegenbewegung auf, die die Fragen der Krise von links
beantwortet!




Was war los bei

Am
Wochenende vom 25.-27. September haben wir uns an der Aktion von EndeGelände im
Rheinland beteiligt. Ziel dieses Bündnis von Klimaaktivist_Innen war es, dort
die Infrastruktur von Europas größtem Braunkohlerevier zu stören. Letztlich
sollte damit gezeigt werden, dass es radikale, antikapitalistische Lösungen
braucht, wenn wir die Folgen des Klimawandels noch lindern wollen.

Revo
am Start!

Am Freitagmorgen reisten Genoss_Innen aus Dortmund und Stuttgart an, die sich
beim Camp von den AntiKohleKidz an Plena und am Aktionstraining beteiligten.
Der Rest aus dem Bundesgebiet erreichte das Camp erst in der Nacht, nachdem sie
sich noch mittags bei den lokalen FridaysForFuture Demonstrationen beteiligten.

Am nächsten Morgen ging es dann um 8:30 los. Trotz der frühen Uhrzeit und
drohendem Regen zeigten sich die ca. 200 Aktivist_Innen des AKK-Fingers bereits
auf dem Weg zur Bahn sehr entschlossen. Es wurden sofort laute Parolen gerufen
und die Gruppe trainierte noch einmal einige Handzeichen. Wir waren mit 14
Personen dabei und waren Teil des Strukturteams.
Die erste Bahn fiel wegen „polizeilicher Ermittlung“ aus. In der zweiten Bahn
hatten wir dann direkt mit der nächsten Bullenrepressionen zu kämpfen, die ohne
Grund den Zug für etwa 20 Minuten stoppten. Trotzdem erreichten wir etwa eine
Stunde später unser erstes Ziel Hochneukirchen, ein Dorf das von RWE abgerissen
werden soll, um mehr Braunkohle abbauen zu können. Dort trafen wir auf die
Anfangskundgebung einer Demonstration, an der sich unter anderem
FridaysForFuture und die Initiative „Alle Dörfer bleiben“ beteiligten. Dort kam
es zur nächsten Schikane von der Seite des Staates. Die genehmigte Route, die
in Blickweite des Tagebaus lag, wurde von der Polizei kurzfristig verboten. Die
Route sollte jetzt viel weiter vom Tagebau entfernt verlaufen. Der Einspruch
der Veranstalter_Innen wurde von der Stadt abgelehnt. Die Zeit, bis wir
weiterlaufen konnten, nutzten wir, um unsere Flyer zu verteilen, Zeitungen zu
verkaufen und mit den Aktivist_Innen ins Gespräch zu kommen.

Danach
beteiligten wir uns gemeinsam mit dem AKK-Finger an der Demonstration. Dort
konnten wir über den Lautsprecherwagen eine Rede halten. Kurz vor Ende der Demo
entschieden wir uns dazu, in Richtung Tagebau zu rennen, wo die Polizei
allerdings bereits auf uns wartete. An der ersten kleineren Polizeikette sind
wir noch vorbeigekommen. Etwa 100 Meter dahinter bildete sich eine zweite
Polizeikette, die nun die letzte vor der Abbruchkante des Tagebaus war. Der
Finger versuchte sich erst wieder zu sammeln. Da die Polizei sich noch nicht
voll organisiert hatte, aber immer mehr wurde, entschieden wir uns
durchzubrechen. Der hintere Teil teilte sich allerdings wieder zur Seite auf.
So hatte die Polizei es leicht, uns zurückzudrängen und letztlich einzukesseln.
Dabei gingen sie sehr gewaltsam, unter anderem mit dem Einsatz von
Schlagstöcken, vor. Auch während des Kessels ging sie sehr repressiv vor und
probierte uns immer enger zusammenzudrücken. Infektionsschutz schien den Polizist_Innen
ziemlich egal zu sein. Einen Abstand von zwei Metern zueinander konnten wir so
nicht mehr einhalten. Wir probierten uns dagegenzustellen, was uns ein wenig
Raum verschaffte. Dies nahm die Polizei wahrscheinlich zum Anlass, um einen Genossen
auf brutalste Weise aus dem Kessel zu ziehen und festzunehmen.
Nach einigen Verhandlungen führte die Polizei uns dann zum anderen Teil des
Fingers, der inzwischen auch eingekesselt war, und lies uns dann etwa 500 Meter
vom Tagebau entwerft frei.
Dort entschloss sich der Großteil des Fingers noch dazu, die 6 km als Demo
zurückzulaufen, anstatt vom Bus abgeholt zu werden. Dies wurde eher zum Feiern
genutzt, wir konnten aber auch noch 2 Reden halten, in denen wir unter anderem
auf die Lage der Geflüchteten, Polizeigewalt und den allgemeinen Rechtsruck
aufmerksam machten.
Was dabei auffiel, war die positive Resonanz der Anwohner_Innen. Die Menschen
standen am Straßenrand oder winkten aus dem Fenster und wirkten insgesamt sehr
dankbar, dass wir da waren, um uns radikal und entschlossen gegen RWE zu
stellen.
Die Rückfahrt blieb dann ohne weitere Repressionen oder sonstige Vorkommnisse,
sodass wir gegen 23 Uhr, durchnässt, erschöpft, aber auch mit neuer Motivation
zum revolutionären Kampf gegen das kapitalistische System, im Camp ankamen.

Mit den
AntiKohleKidz waren wir natürlich nicht die einzigen, die im Rheinischen Revier
versuchten RWE zu blockieren. Insgesamt waren über 3000 Aktivist_Innen dort, um
für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern zu demonstrieren. Dabei wurde
neben Kohle- dieses mal auch Gasinfrastruktur blockiert.

Wie
hätten die Besetzungen länger als ein paar Stunden andauern können?

Dass
EndeGelände es schaffte, so viele Menschen in Zeiten von Corona und super
schlechtem Wetter zu mobilisieren, ist auf jeden Fall positiv zu bemerken.
Außerdem spürten wir während der gesamten Aktion eine sehr große
Entschlossenheit bei den Aktivist_Innen. Alle waren sich einig, dass wir den
Weg zu einer klimagerechten Welt selbst in die Hand nehmen müssen und dieser
Weg uns gegen das kapitalistische System führt. Dabei gab es auch keine
Spaltungsversuche innerhalb der Bewegung, wie es sonst oft auf linken
Demonstrationen der Fall ist.

Generell ist bei EndeGelände auch eine Linksentwicklung zu erkennen.
EndeGelände ist bekannt für den Spruch „System Change not Climate Change“.
Dabei wird der Begriff „Systemwandel“ jedoch sehr schwammig benutzt, ohne klare
Strategie, wie wir das System verändern können und welches System überhaupt.
Wir sagen dagegen ganz klar, dass wir das kapitalistische System, durch eine
Revolution der Arbeiter_Innen und Jugend aller Länder stürzen und den
Kommunismus aufbauen müssen. Ein zentraler Bestandteil dabei ist, dass die
Produktionsmittel, die aktuell in privatem Besitz sind, vergesellschaftet
werden. Diese Forderung, also die Enteignung von RWE und die Vergesellschaftung
der Energieindustrie, hat EndeGelände dieses Jahr mit aufgenommen. Leider
stellen sie nicht die Frage, was sie genau unter Vergesellschaftung verstehen
und wer diese kontrolliert. In unseren Augen bedeutet das nämlich die
Veränderung der Eigentumsverhältnisse durch die demokratische Kontrolle des
Betriebs durch die Beschäftigten. „Kohleausstieg selber machen“ bedeutet für
uns, ihn zusammen mit den Beschäftigten zu planen und zu kontrollieren. Indem
wir die Arbeiter_innenklasse als Subjekt der Veränderung wahrnehmen, ansprechen
und für unseren Kampf gewinnen, können wir die Kapitalist_innen da treffen, wo
es ihnen wirklich weh tut: bei ihren Profiten. Wenn wir die Beschäftigten auf
unserer Seite haben, können wir Besetzungen auch über längere Zeit aufrecht
erhalten und wirklich Druck ausüben, satt nur symbolische Aktionen
durchzuführen.

Ein
weiterer Aspekt, wie die Besetzungen und Blockaden in Zukunft erfolgreich sein
könnten, ist die Frage der Aktions- und Organisationsform der Proteste. Was
EndeGelände gut macht ist, viele Leute anzusprechen und zu mobilisieren.
Allerdings sind die Proteste sehr individualistisch geprägt. Dadurch, dass beim
Durchfließen der Polizeiketten sich die Finger in kleine Gruppen aufteilen,
wird bewusst in Kauf genommen, dass einzelne Personen polizeiliche Repressionen
erwartet. In diesem Moment ist also jede_r, oder vielleicht noch jede
Bezugsgruppe, auf sich allein gestellt.

Dem
individuellen zivilen Ungehorsam stellen wir unsere Methode der kollektiven
Selbstermächtigung entgegen. Massenblockaden bedeuten für uns nicht das
einfache Zusammenspiel verschiedener Bezugsgruppen, sondern dass sich diese
Aktionen auch auf Massenorganisationen stützen müssen. Also zum Beispiel
Gewerkschaften, Räte oder Aktionskomitees. Um dies zu organisieren brauchen wir
wirkliche demokratische Strukturen, wie Basisversammlungen, in denen kollektive
Entscheidungen getroffen und abwählbare, rechenschaftspflichtige Delegierte
gewählt werden. Dieses Modell der Demokratie stellen wir der klandestinen
Geheimhaltungspolitik von Ende Gelände entgegen, in welcher nur ein kleiner
Kreis von Auserwählten weiß, was gespielt wird.

Um das zu erklären, muss die Taktik des zivilen Ungehorsams grundlegend betrachtet
werden. Anders als zum Beispiel Extinction Rebellion sieht EndeGelände die
Polizei zwar als Gegnerin, trotzdem sind Festnahmen fester Bestandteil der
Aktion. Denn es geht nicht in erster Linie darum, Kohleinfrastruktur zu blockieren
und auf lange Zeit besetzt zu halten, sondern darum möglichst viel
Aufmerksamkeit in der Presse und in der Bevölkerung zu bekommen.

Dahinter
steht ein idealistisches Verständnis des bürgerlichen Staates. Angehänger_innen
des zivilen Ungehorsams glauben, dass der Staat vernünftiger handeln würde,
wenn wir ihn nur auf die Probleme der Welt öffentlichkeitswirksam aufmerksam
machen. Der Staat steht im Kapitalismus jedoch nicht über den
Klasseninteressen. Im Gegenteil ist er genau dafür verantwortlich, dass die
Herrschaft des Kapitals mit Gewalt aufrecht erhalten wird und ihre Profite
abgesichert werden. Wo die Profitlogik zählt, ist mit Vernunft leider nicht
viel zu machen. Wenn wir Freiheit und Klimagerechtigkeit wollen, müssen wir
diesen Staat also kaputt machen und dürfen uns nicht mit Bitten an ihn
begnügen.

Aber
wer kann den Kapitalismus stürzen?

Im Kapitalismus gibt es im Grunde 2 Klassen, die sich gegenüberstehen. Die
Kapitalist_Innen, die die Produktionsmittel besitzen, und die Arbeiter_Innen,
die ihre Arbeitskraft besitzen, die sie gezwungen sind zu verkaufen. Mit ihrer
Stellung im Produktionsprozess ist die Arbeiter_Innenklasse in der Lage durch
Produktionskontrolle und gesellschaftliche Planung ökologische und ökonomische
Kreisläufe in Einklang zu bringen bei globalem und sozialem Austausch. EndeGelände
verkennt diese zentrale Rolle der internationalen Arbeiter_innenklasse für eine
ökologische Revolution. Das Bündnis wendet sich abstrakt an die gesamte
Bevölkerung, welche sie als Ansammlung von Individuen verstehen und nicht als
Kollektive mit widerstreitenden Interessen.

Und Wie kann die Arbeiter_Innenklasse das schaffen?

Wie auch EndeGelände stehen wir für Massenmobilisierungen. Allerdings wollen
wir es nicht dabei belassen Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wir müssen die
Klimagerechtigkeit erzwingen, wenn es nicht anders geht. Dabei spielt der
Streik eine entscheidende Rolle, da er das System in seinem Herzen, dem Profit,
trifft. Dabei sollte es aber auch nicht bei rein ökonomischen Forderungen bleiben.
Vielmehr bietet der Streik auch Möglichkeiten sich als Klasse zu organisieren,
Betriebe zu besetzen um letztendlich die Kontrolle über die Produktion zu
übernehmen.

Um da
hinzukommen, ist es wichtig den Klimawandel auch als soziale Frage zu
betrachten und zu erkennen, dass Umweltzerstörung, Rassismus, Sexismus und
Ausbeutung eine gemeinsame Grundlage haben, die Kapitalismus heißt. Diese
Bewegungen müssen sich verbinden, aber auch den Anschluss zur Arbeiter_Innenbewegung
suchen, um erfolgreich zu sein. Was wir brauchen ist deshalb eine
internationale Anti-Krisen-Konferenz, in der unterschiedliche Aktivist_innen
und Organisationen der Arbeiter_innenklasse über einen gemeinsames Programm und
kollektive Aktionen diskutieren, mit denen wir der kapitalistischen Klima-,
Wirtschafts- und Coronakrise einen Strich durch die Rechnung machen!




„Lesbos ist für uns ein Gefängnis!“

„Lesbos ist für uns ein Gefängnis!“Nach dem Brand im Lager Moria: Das vieler Geflüchteter
hat sich trotz hehrer Versprechen weiter verschlechtert. Wir sprachen vor Ort
mit Bahal über die aktuelle Situation auf der griechischen Insel Lesbos.

REVO: Die Lage auf der Insel ist nach dem Brand in Moria besorgniserregend. Aber kannst du zuerst erzählen, wie dein Leben auf der Insel bisher verlaufen ist, ehe wir über die aktuelle Situation sprechen?

Als ich damals mit meiner Familie auf einem Schlauchboot mit
35 weiteren Menschen von der Türkei auf die griechische Insel Lesbos gekommen
bin, war ich 21 Jahre alt. Heute bin ich 25 und ich habe das Gefühl, den
Großteil dieser Zeit allein mit Warten verbracht zu haben: Stundenlanges Warten
in der Essensschlange auf eine Mahlzeit; Warten auf eine freie Toilette;
Warten, dass wieder ein Monat vorbei ist, damit ich die rationierte Dusche
benutzen darf; Warten, dass ich aus der Zelle entlassen werde, in die ich grundlos
inhaftiert wurde; Warten, dass die Nacht vorbei geht, die mich vor Angst nicht
schlafen lässt; Warten bis mein Asylantrag bearbeitet wird.

REVO: Wo hast du in dieser Zeit des Wartens gelebt?

Über mehrere Jahre hinweg haben meine Familie und ich in
einem Zelt in „Moria“, dem größten Camp der Insel, gelebt. Neben mangelnder
Nahrungsversorgung und schlechten Hygienebedingungen hatte ich dort als Frau
zusätzliche Probleme. Sexuelle Gewalt ist nämlich Alltag im Camp: Ob durch
nächtliche Überfalle oder in der Essensschlange. Ich habe mich nicht getraut,
nachts auf die Toilette zu gehen.

REVO: Wo lebst du heute und hat sich deine Situation dort verändert?

Seit 3 Monaten wohnen meine Familie und ich im
selbstorganisierten Camp „PIKPA“. Solidarische Inselbewohner und Geflüchtete
haben das Camp vor einigen Jahren zusammen aufgebaut und für bis zu 100 Menschen
dort einen Ort zum Leben geschaffen. Und mit „Ort zum Leben“ meine ich wirklich
einen Ort, an dem ich mich halbwegs sicher fühle. Dieses Gefühl hatte ich,
seitdem ich in Europa bin, noch nie. Ich konnte viel Kraft aus meiner neuen
Lebenssituation schöpfen. „PIKPA“ bedeutet für mich, dass „Moria“ nicht
alternativlos ist. Das Camp wurde speziell für besonders schutzbedürftige
Menschen wie schwangere Frauen, Menschen mit Behinderung, Familien mit mehreren
kleinen Kindern und Opfer von Folter errichtet.

REVO: Der griechische Migrationsminister Panagiotis Mitarakis hat vor Kurzem verkündet, „PIKPA“ bis zum 31.10.20 räumen zu wollen. Sein Ziel scheint es zu sein, jede menschlichere Alternative zu „Moria 2.0“ aus dem Weg zu räumen. Wie haben du und die anderen Bewohner_innen diese Ankündigung aufgenommen?

Ich würde sagen, dass ich seit einer Woche nur weine, aber
dafür reichen meine Tränen nicht. Seitdem wir davon gehört haben, müssen wir
nun auch hier in Angst und Verzweiflung leben. Unsere Sorge ist groß, dass wir
nun auch im neu errichteten Camp „Moria 2.0“ untergebracht werden. Niemand
sollte in diesem Gefängnis leben müssen und umso gefährlicher ist es dort für
die Leute aus „PIKPA“, die eigentlich besonders schutzbedürftig sind.

REVO: Nachdem das ursprüngliche Massencamp „Moria“ im September dieses Jahres abgebrannt ist, haben die griechischen Behörden mit Hilfe der EU ein neues Camp („Moria 2.0“) auf einem ehemaligen Schießübungsplatz des Militärs errichtet. Über 10 000 Menschen wurden bereits dort untergebracht. Was weißt du über die Situation dort?

Im Gegensatz zum abgebrannten „Moria-Camp“ wurde das
provisorische Zeltlager als eine geschlossene Einrichtung gebaut. Die Bewohner
dürfen es nur mit schriftlicher Ausgangserlaubnis verlassen. Ihre Situation hat
sich deshalb sogar noch verschlimmert. Die ärztliche Versorgung wurde bis auf
ein Team, das für Corona-Tests zuständig ist, quasi eingestellt. Es herrscht
ein großes Chaos und die griechische Polizei agiert sehr respektlos gegenüber
den Bewohnern. Freunde von mir, die nun dort wohnen müssen, durften sich noch
kein einziges Mal duschen. Hinzu kommt, dass es auch sehr wenige Toiletten
gibt, was angesichts der Pandemie-Gefahr ein besonders großes Problem darstellt.
Mittlerweile gibt es mehrere hundert Infizierte im neuen Camp.

REVO: Obwohl die EU und die griechische Regierung den Geflüchteten auf Lesbos nach dem Brand in „Moria“ versprochen haben, die Situation zu verbessern, haben sich eure Lebensbedingungen tatsächlich verschlechtert. Was würdest du den EU-Politiker_innen gerne sagen?

Ich würde mir wünschen, dass diese Leute mal einen einzigen Tag in „Moria 2.0“ verbringen. Vielleicht würde das ihre Meinung ändern. Die ganze Insel Lesbos ist für uns ein Gefängnis. Doch wir haben nichts verbrochen. Niemand hat es deshalb verdient, hier eingesperrt zu werden. Wir haben ein Recht auf Bildung, Arbeit, Sicherheit und ein Dach über dem Kopf. Für alle Geflüchteten auf den griechischen Inseln sollte es die Möglichkeit geben, sicher auf das Festland weiterreisen zu können!

Interview erschien zu erst in der Jungen Welt vom 7.10.2020, Online unter: https://www.jungewelt.de/artikel/387801.festung-europa-lesbos-ist-f%C3%BCr-uns-ein-gef%C3%A4ngnis.html




Dannenröder Forst: Solidarität mit der Besetzung – Autoindustrie enteignen!

Lars Keller

Im sonst gemütlichen Mittelhessen zwischen Gießen und Kassel ist an diesen Tagen einiges los. Umweltaktivist_Innen besetzen seit rund einem Jahr einen Wald in der Nähe des Dorfes Dannenrod, einem Stadtteil von Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis, damit selbiger nicht dem Autobahnbau der A49 weichen muss. Seit dem 1. Oktober spitzt sich der Kampf um den „Danni“ zu. Die Rodungssaison ist eröffnet – der Staat schickte ein Polizeigroßaufgebot, um der Kettensäge sein Geleit zu geben und die Besetzer_Innen von den Bäumen zu holen. Gegen Räumung, Rodung und Raupenbagger fand am 4. Oktober eine Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmer_Innen statt.

Dabei
geht es hier um viel mehr als einen Autobahnbau durch einen
Dauermischwald (hoher Anteil an Buchen und Eichen), der als
Paradebeispiel für nachhaltige Forstwirtschaft in einem sensiblen
Wassergebiet gilt. Die Demos und Besetzungen rund um Homberg (Ohm)
richten sich angesichts der Klimakrise vielmehr gegen den
motorisierten Individual- und Schwerlastverkehr auf der Straße im
Generellen. Eine Verkehrswende zugunsten von Verkehrsträgern wie Rad
oder Schiene wird gefordert.

Die A49

Derzeit
beginnt die Bundesautobahn A49 in Kassel und endet in der Nähe von
Neuental (Schwalm-Eder-Kreis) in der Prärie Nordhessens irgendwo
zwischen Eder und Lahn. Somit bringt diese Autobahn dem Lkw-Verkehr,
dieser heiligen Kuh des deutschen Gütertransports, dem Zögling des
Bundesverkehrsministeriums und der Ausgeburt der deutschen
Industrieperlen Daimler und VW (ja richtig gelesen, dem Konzern
gehören mit MAN und Scania nämlich auch Nutzfahrzeugsparten!) –
nichts! Die Landstraße, in die die A49 zur Zeit mündet, ist für
den Schwerlastverkehr gesperrt.

Somit
quetschen sich die Lkw-Kolonnen von Norddeutschland in Richtung
Schweiz weiter durch den neuralgischen Punkt
Kirchheimer-/Hattenbacher Dreieck, wo mit A 7, A 4 und A 5 die
wichtigsten Nord-Süd- und Ost-West-Achsen des bundesdeutschen
Fernstraßennetzes aufeinandertreffen. Aus der Idee heraus, diesen
Knoten zu entlasten, wurde die A49 geboren. Darin besteht das
eigentliche Motiv des Autobahnbaus. Ein nachrangiges stellt die
schnellere Straßenverbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet,
Gießen/Marburg und Kassel dar. Die Teermaschinen kamen bis Neuental,
1994 war dort erst mal Schluss. Seither gibt es ein langes Zerren um
Umweltschutzmaßnahmen, Finanzierung und Planfeststellung. Seit 2017
hat der Planfeststellungsbeschluss Bestand. Es darf weiter geteert
werden und dank ÖPP (öffentlich-privater-Partnerschaft) kann das
Privatkapital direkt daran mitverdienen.

Vom
gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, macht der
Autobahnausbau freilich keinen Sinn wie überhaupt jeder deutsche
Autobahnausbau. Die Klimakrise verlangt nach einer schnellen
Verkehrswende, die Ressourcenvernutzung und Ineffizienz des
Individual- wie Straßengüterverkehrs ebenso. Mit der
Main-Weser-Bahn gäbe es zudem bereits eine Bahntrasse, die sich
hinsichtlich Kapazität und Einzugsgebiet ausbauen ließe und dann
auch mehr Güter- und Personenverkehr der Region aufnehmen könnte.

Lokal wird das mitunter anders gesehen. Ein Teil der Mittel- und Oberhess_Innen unterstützt die Proteste gegen die Rodung, ein anderer hat ein Interesse am A49-Ausbau. Da wären einerseits die AnliegerInnen der Bundesstraße B3, die ihrerseits vom Schwerlastverkehr betroffen sind und durch die A49 eine Entlastung erfahren würden. Anderseits gibt es eine Reihe lokal angesiedelter Unternehmen wie bspw. Ferrero Stadtallendorf, die sich ebenso wie einige Kommunen einen besseren Anschluss ans Straßennetz wünschen. Die Unterstützer_Innen der Autobahn finden sich in der „JA49“-Initiative wieder. Ihre etwas populistisch gehaltene Website verkauft uns die A49 dann auch als Umweltschutz. Letzteres ist, global wie lokal betrachtet, natürlich Blödsinn. Mehr Autobahn heißt mehr Auto- und Lkw-Verkehr – gerade weil der Weg Kassel – Gießen kürzer würde. Das bestätigt sich statistisch sowohl an vergangenen Autobahnprojekten als auch aus Sicht von Angebot- und Nachfrageprinzipien. Das heißt: mehr Treibhausgasmissionen, Oberflächenversiegelung und Störung eines Wasserreservoirs, von dem sogar Frankfurt/Main zerrt.

„Verkehrswende“ von Landes- und Bundesregierung

Alle,
die vorhaben, 2021 die Grünen in die Regierung zu wählen, sollten
einen genauen Blick auf das kleine Dannenrod in der hessischen
Provinz werfen. Wer glaubt, mit den Grünen sei eine Verkehrswende
zugunsten der Wälder und des Klimas zu haben, wird hier eines
Besseren belehrt. Die hessischen Grünen sitzen nämlich mit der CDU
in der Landesregierung – und halten stoisch an der A49 fest.

Dem Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, fiel auf der Demo am vergangenen Sonntag, den 4. Oktober, auch nichts Besseres ein, als auf bestehende Beschlüsse zum Straßenausbau zu verweisen: Berlin müsse den Bau stoppen, grundsätzlich sei seine Partei ja gegen die Autobahnen … Gelaber und Gewäsch also! Von den hessischen Grünen kommt erst recht keine klare Kante gegen das Projekt. Wer will schon die CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl ärgern? Immer dann, wenn‘s konkret um die (vegane) Wurst – oder besser um den Wald – geht, erweisen sich die Grünen als verlässliche Partner_Innen deutscher Auto- und Energiekonzerne. Der Abholzung des Hambacher Forstes wurde ja auch schon mal zugestimmt.

Derweil
will Bundesverkehrs(auto)minister Andreas Scheuer (CSU) die Lage
erkannt haben und hat vor einigen Monaten – natürlich ohne die A49
in Frage zu stellen – das „Bündnis für unsere Bahn“ mit der
Dachstrategie „Starke Schiene“ ins Leben gerufen. In diesem
Schienenpakt befinden sich neben anderen das Verkehrsministerium,
Schienenindustrien, Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG. Was haben
wir davon zu erwarten? Sage und schreibe 25 % soll der
Schienengüterverkehr am gesamten Warentransport irgendwann (wann ist
unklar) mal ausmachen, heute sind es etwa 18 %. Die Milliarden,
die angeblich für einen nie da gewesenen Rückenwind für die
Eisenbahn sorgen, sind nicht mehr als eine leichte Brise, die den
vorhandenen Investitionsstau im Schienennetz kaum auflösen kann.

Wenn
in der jetzigen Wirtschaftskrise überhaupt jemand dick staatlichen
Rückenwind verspürt, dann ist es der Kernsektor des deutschen
Kapitals. Anstatt die Schiene durchgehend zu elektrifizieren, wird
darüber sinniert, Autobahnen wie bei Darmstadt unter Oberleitung zu
setzen, damit die Vormachtstellung des Lkw einen grünen Anstich
bekommt. Das Konjunkturpaket der Regierung enthält zwar keine
Kaufprämie für reine Verbrennerautos, dafür dann umso mehr für
die ähnlich große ökologische Blödsinnigkeit E-Auto. Soviel zur
„Verkehrswende“ der Regierung und Konzerne.

Und die echte Verkehrswende?

Sowohl das Demobündnis (Danni bleibt) als auch die Besetzer_Innen (Wald statt Asphalt) betonen in ihren Aufrufen die Wichtigkeit einer echten Verkehrswende und einer Verlagerung des Verkehrs zu ressourcen- und emissionsärmeren Fortbewegungsarten. Das teilen wir. „Wald statt Asphalt“ geht noch weiter und nimmt den Kapitalismus ins Visier, fordert einen radikalen Systemwandel und Klimagerechtigkeit. Das teilen wir auch. Das fehlende Salz in der Suppe ist aber unserer Meinung nach, dass ein radikaler Systemwandel konkrete Forderungen und einen konkreten Weg weit über Waldbesetzungen hinaus braucht.

Die Besetzung selbst wird begründet mit: „Für die Form des Widerstands (Besetzung und direkte Aktion) haben wir uns entschieden, weil andere Formen des Widerstands (wie Demos, Petitionen, Klagen & Appelle an politische Entscheidungsträger*innen) den Bau der A49 bisher nicht aufhalten konnten und mit den Rodungen nun Fakten geschaffen werden sollen. Veränderung braucht mutiges und entschlossenes Handeln – deswegen besetzen wir!“ (https://waldstattasphalt.blackblogs.org/besetzung-warum/)

So richtig und wichtig die Demonstration oder Baumbesetzungen auch sind – verglichen mit politischen Massenstreiks der Arbeiter_Innenklasse sind dies nur weitgehend symbolische Aktionsformen. Derzeit erleben wir die größte Wirtschaftskrise zu unser aller Lebzeit. Massive Entlassungen finden statt oder werden kommen. Die ökologische Krise wird durch die Wirtschaftskrise und die brutaler werdende Konkurrenz weiter verschärft werden. Es braucht die Verbindung der Kämpfe und den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen – ja überhaupt das Abwälzen der Krise auf die breite Bevölkerung – eintritt und zugleich ein Notprogramm gegen die Klimakrise einfordert.

Damit ein Generalstreik gegen die Klimakatastrophe nicht nur angekündigt, sondern auch real werden kann, muss die Arbeiter_Innenklasse zur zentralen Kraft der Bewegung werden. Dies bedeutet jedoch keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie eine Veränderung der Aktionsform – es bedeutet vor allem eine Änderung des eigentlichen Ziels: die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft. Nur so kann ein „System Change “ Wirklichkeit werden.

Von einem Generalstreik und Massenstreiks sind wir derzeit noch weit entfernt. Die Arbeiter_Innenklasse tritt in der Umweltbewegung bisher nicht als zentrale Akteurin in Erscheinung. Das liegt aber nicht daran, dass Arbeiter_Innen chronisch passiv wären, dass sie ihre Jobs in der Autoindustrie so lieben oder ihnen das Thema egal ist, zumal es im Nahverkehr eine große Zahl von Beschäftigten gibt, die sich sehr für eine Verkehrswende starkmachen.

Die Passivität breiter Teile der Arbeiter_Innenklasse gegenüber der Umweltbewegung rührt viel eher daher, dass die Sozialpartner_Innenschaft der DGB-Gewerkschaften sie ruhigstellt, andererseits aber auch daher, dass die Umweltbewegung die Lohnabhängigen bisher nicht ansprechen konnte. Um sie zu erreichen, braucht es ein Programm, das klar macht, dass nicht sie für die Verkehrswende zahlen soll – sei es durch Jobverlust oder CO2-Steuer –, sondern die Konzerne und Besitzer_Innen großer Vermögen zur Kasse gebeten werden.

Letzten
Endes heißt die Verkehrswende für uns viel mehr als „weg von der
Straße hin zur Schiene, zu Bussen, zu Füßen und Fahrrädern“.
Sie bedeutet vor allem auch so wenig wie möglich, so viel wie nötig
Verkehr. Das heißt, diesen so zu reorganisieren, dass dort, wo
Menschen leben, weder Lkw noch Güterzüge durch ihre Schlafzimmer
brettern. Das heißt letztlich, Stadt und Land umzukrempeln, dass
Verkehr nicht mehr an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern nach
denen der Menschheit ausgerichtet werden soll.

Konkret
geht‘s um:


Kein A49-Ausbau, sofortiger Stopp aller Autobahnprojekte –
beteiligt Euch an Demonstrationen um Dannenrod, unterstützt die
BesetzerInnen!


Stattdessen: massiver Ausbau der Schienenwege im Kernnetz wie auch in
der Fläche, durchgehende Elektrifizierung, ausschließliche Speisung
aus regenerativen Energien!


Massive Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene! Ausbau von
Gleisanschlüssen zu Fabriken! Beförderungszwang zum Transport auf
der Schiene für Unternehmen ab einer bestimmten Produktionsgröße!
Für einen kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!


Für den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das den Kampf gegen die
Klimakrise mit der Abwehrschlacht gegen soziale Angriffe,
Entlassungen und Kurzarbeit verbindet! Ein Anfang dafür kann die
„Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ sein –
unterstützt diese!


Keine einzige Entlassung in der Transportindustrie wegen
Verkehrswende oder Wirtschaftskrise! Verteilung der Arbeit auf alle!
Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
Schnellstmögliche Umstrukturierung der gesamten Industrie,
demokratisch geplant und kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse!

– Bezahlung der Verkehrswende durch eine massive Steuer auf Profite und große Privatvermögen! Die Kapitalist_Innen haben die Krise zu verantworten, also müssen sie dafür zahlen!

– Enteignung des gesamten Verkehrssektors unter Arbeiter_Innenkontrolle, erkämpft durch Massenstreiks und Fabrikbesetzungen!


Weder B3 noch A49 noch Güterzugtrasse vor der Tür!
Restrukturierung, Aufhebung der Kluft zwischen Stadt und Land, so
dass Lebensräume und Verkehrswege weitgehend voneinander getrennt
sind!

– Entwicklung eines integralen Notfallplanes fürs Klima durch die Arbeiter_Innenklasse, der die Produktion an den Bedürfnissen der breiten Menschheit ausrichtet statt an Profitinteressen – nur so kann so wenig wie möglich Verkehr produziert werden!

Es
ist klar, dass wir mit bloßen Appellen an die Autoindustrie, an
Scheuers Ministerium, ja generell an den bürgerlichen Staat, an die
Grünen, die SPD-Führung und an IG-Metall-Betriebsräte bei VW und
Co. das Klima nicht retten werden. Die BesetzerInnen im Baum wissen
das. Sie wissen auch, dass Baumbesetzungen noch keine umfassende
Verkehrswende bringen. Lasst uns weitergehen und entschlossen
handeln: vom abstrakten „System Change“ hin zu konkretem
Antikapitalismus.




Was ist „Racial Profiling“?

Luisa Muth

Weltweit
werden Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Hautfarbe oder
Religion rassistisch diskriminiert, erfahren Respektlosigkeit,
Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt. Rassismus ist eine
Ideologie, welche die Menschen in verschiedene „Rassen“ einteilt
und diese hierarchisch einstuft. Die Hautfarbe wird als bestimmender
Faktor eines Menschen gesehen und seine Wertigkeit danach
eingeordnet.

„Racism is a social disease.“

Es
durchzieht unsere Gesellschaft und Politik. Bereits im Grundgesetz
finden wir im Artikel 3 das Wort „Rasse“ vor. Die
Auseinandersetzung mit dieser Begriffsschwierigkeit hat im
deutschsprachigen Raum gerade erst begonnen. People of color
(Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß angesehen
werden und Rassismuserfahrungen machen müssen) sind überall von
Rassismus betroffen, ob in den (Berufs-)Schulen, an den
Universitäten, beim Amt, am Arbeitsplatz oder im Alltag. Rassismus
wird auf unterschiedlichste Arten und Weisen sichtbar: Von
herablassenden Blicken, über verbal diskriminierende Sprache bis hin
zu rassistisch motivierter Gewalt und Terroranschlägen wie zuletzt
im Februar in Hanau.

Auch
in staatlichen Strukturen ist Rassismus präsent: Vor allem in der
Polizei, die eigentlich für Sicherheit sorgen und unser
wohlgemeinter „Freund und Helfer“ sein sollte – und zwar für
alle Menschen, die hier leben – unabhängig von ihrer Herkunft oder
Hautfarbe. Dies sieht in der Realität jedoch oft ganz anders aus:
Racial Profiling ist leider ein alltäglicher Vorgang. Ob am Bahnhof,
in den Parks oder sonstigen öffentlichen Plätzen, an denen sich
viele Menschen aufhalten, werden Personen aufgrund ihres Aussehens
scheinbar willkürlich und ohne Grund durchsucht und ihre Personalien
werden aufgenommen. Dies bestätigen viele Aussagen von Betroffenen.
Allein ihre Hautfarbe wird als Anlass genommen, sie zu kontrollieren,
ohne dass sie sich etwas haben zuschulden kommen lassen.

Rassismus hat System

Dies wird auch bei den Vorfällen im Juni in Stuttgart erkennbar. Viele Journalist_Innen und die Polizei machten für die Ausschreitungen vor allem Deutsche mit Migrationshintergrund verantwortlich. Es zeigt uns, dass sie sogleich den Migrationshintergrund als Ursache dieses Verhaltens ausmachten. Wie schon bei anderen Vorfällen auch voreilige, auf Vorurteilen beruhende Reaktionen und Schlussfolgerungen der Polizei getroffen wurden, stellte sich auch dieses Mal dies als eine falsche Information heraus. Nur weniger als die Hälfte der Jugendlichen waren Deutsche mit einem Migrationshintergrund. Nun macht die Polizei die „Party- und Eventszene“ für die Ausschreitungen verantwortlich. Die gravierenden Falschinformationen der Polizei sorgten für starke Kritik.

Justiz
und Innenministerium wollten die Polizei auf rassistische Tendenzen
hin prüfen, welches Seehofer jedoch mit der Aussage „Racial
Profiling sei in der Polizei sowieso verboten und deshalb gäbe es
das dort auch nicht“, verhinderte. Damit ist die auch von der
Bundesregierung vorgeschlagene Studie wieder vom Tisch.

Rassismus
innerhalb der Polizei führt nicht „nur“ zu Racial Profiling und
vermehrter Gewalt gegenüber People of Color, sondern auch zu Mord.
In den USA gehören rassistisch motivierte Polizeigewalt und Morde
zum Alltag. Georg Floyd zählte zu einem der zahlreichen Toten durch
polizeiliche Gewalt. Damit wurde wieder das Leben eines Menschen
aufgrund seiner Hautfarbe sinnlos ausgelöscht.

Aber nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland fanden POC durch Polizeigewalt ihren Tod. Bis heute sind die Umstände des Todes von Oury Jalloh, Amad Ahmad oder Matiullah J. nicht aufgeklärt. Beamte decken Beamte, sogar wenn jemand getötet wurde und der Staat tritt die Gerechtigkeit mit Füßen! Bis heute gibt es keine unabhängige Beschwerdestelle, die in Fällen von Polizeigewalt neutral ermitteln könnte.

Woher kommt Rassismus?

Die
Ideologie des Rassismus war vorherrschend in der Epoche des
europäischen Kolonialismus und Imperialismus bis nach dem zweiten
Weltkrieg. Diese Ideologie diente der Rechtfertigung des
Kolonialismus, der Sklaverei, den Verbrechen der Nazis und der
Apartheid.

Das
Entstehen von Ungleichheiten und Hierarchien im Kapitalismus sollte
auch unter dem Blickwinkel von Rassismus betrachtet werden. Der
Kapitalismus etabliert sich daher über rassistische Hierarchien.
Der
Wille des Kapitals ist es, die Bevölkerung anhand von ethnischen,
religiösen und nationalen Unterschieden zu spalten, indem er
Misstrauen und Hass gegeneinander schürt, um so seine Herrschaft zu
sichern und einen Zusammenschluss aller unterdrückten und
ausgebeuteten Menschen gegen das Kapital zu verhindern und von den
gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Die tatsächliche Teilung
der Gesellschaft auf Grundlagen der ökonomischen Klassen wird somit
auch verschleiert. Um es verständlicher auszudrücken: Eine
entlassene Person wird nicht gegen die Firmenleitung protestieren,
wenn sie für die Entlassung „die Ausländer“ verantwortlich
macht.

In
diesem Sinne sind auch z.B. die Aushebelung des Asylrechts und die
rassistische Hetze durch alle bürgerlichen Parteien zu verstehen.
Die Gesetzesverschärfungen werden mal eben mit der rassistischen
Aussage erklärt, dass man sich damit gegen die Massen von
„Terrorist_Innen“ unter den Flüchtlingen schütze. Mit dieser
rassistischen Lüge lassen sich auch vermehrte Überwachung und
Polizeibefugnisse rechtfertigen. Und mit der islamophoben These, dass
der Islam das Hauptproblem Deutschlands sei, lässt sich auch
insgesamt von den katastrophalen Auswirkungen der kapitalistischen
Politik Deutschlands ablenken und Kriege wie in Afghanistan, Syrien
oder Mali rechtfertigen.

Die
Polizei setzt die rassistische Regierungspolitik in die Tat um. Sie
schließt die Grenzen, greift „illegale“ Migrant_Innen auf und
führt Abschiebungen durch. Sie ist also mit der Aufgabe betraut,
gegen den deklarierten ausländischen Feind vorzugehen. Legitimiert
wird diese Politik mit dem angeblichen Schutz unserer Kultur und dem
Kampf gegen Terrorismus. Die Polizei ist daher einer der maßgeblichen
Ausdrücke dieser Politik.

Im
Kampf gegen den Rassismus und die Repressionen der Polizei fordern
wir:

  • Kein
    Racial Profiling! Hartes Aburteilen von Polizist_Innen, die Racial
    Profiling anwenden!
  • Schränkt den Handlungsraum der Polizei ein: Keine verdachtsunabhängigen Kontrollen, keine Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren, keine Begriffe wie „drohende Gewalt“!
  • Defund the police! Keine Finanzierung der Polizei. Das Geld brauchen wir für Sozialleistungen, Bildung oder sozialen Wohnugsbau!
  • Die Einrichtung unabhängiger Untersuchungsstellen für Vorfälle von (rassistischer) Polizeigewalt und Racial Profiling: Die Polizei darf sich nicht länger selbst überwachen!



Bergkarabach: Krieg droht zum Flächenbrand zu werden

zuerst veröffentlicht unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/10/02/bergkarabach-krieg-droht-zum-flaechenbrand-zu-werden/

Martin Suchanek, Neue Internationale 250, 2. Oktober 2020

Am Morgen des 27. September eskalierte der seit über drei Jahren mal offen ausgetragene, mal vor sich hin schwelende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aserbaidschanische Truppen beschossen Stepanakert, die Hauptstadt von Bergkarabach (Nagorny Karabach), einer armenischen Enklave, die formell zum Staatsgebiet Aserbaidschans gehört, aber seit Mitte der 1990er Jahre faktisch als unabhängige Region mit Armenien eng verbunden ist und um ihre internationale Anerkennung ringt. 2017 erklärte sich Bergkarabach unabhängig unter dem Namen Republik Arzach, wird aber seither international nicht anerkannt.

Reaktionärer Angriff

Die Bombardierung durch die Armee Aserbaidschans stellt eine qualitative Verschärfung der Kampfhandlungen im schwelenden Konflikt dar, der schon seit Juli von beiden Seiten verstärkt bewaffnet ausgetragen wird.

Die Führung Aserbaidschans unter dem autokratischen Präsidenten Alijew steht ihrerseits unter Druck extrem nationalistischer oppositioneller HardlinerInnen, die der Regierung zu große Nachgiebigkeit gegenüber Armenien und Bergkarabach vorwerfen. Eine Mobilisierung gegen den Erzfeind Armenien, militärische Erfolge im umkämpften Grenzgebiet und erst recht die Rückeroberung Bergkarabachs wären für das Regime angesichts einer tiefen Wirtschaftskrise, grassierender Korruption und sinkender Öl- und Gaspreise (und damit der wichtigsten Einnahmequelle des Landes) ein „Befreiungsschlag“. Und wie so oft wird ein nationalistischer Angriff als Selbstverteidigungsaktion legitimiert. Die massiven Artillerieangriffe auf armenische Siedlungen am 27. September wurden vom Verteidigungsministerium Aserbaidschans als „Gegenoffensive“ deklariert, „um Armeniens militärische Aktivitäten zu stoppen und die Sicherheit der Bevölkerung zu schützen“.

In Wirklichkeit ist der Angriff eindeutig reaktionärer Natur. Im Falle eines Erfolges würde die armenische Bevölkerung Bergkarabachs zu einer unterdrückten Nation, ihr Selbstbestimmungsrecht mit Füßen getreten werden. In Aserbaidschan würde die Herrschaft der OligarchInnen und des seit 15 Jahren mit halb-diktatorischen Mitteln regierenden Präsidenten Alijew neue Legitimität erhalten. Nicht nur die Minderheiten, sondern auch die ArbeiterInnenklasse und die Jugend, die als Kanonenfutter im reaktionären Waffengang verheizt werden soll, wären verstärkter, nationalistisch legitimierter Unterdrückung ausgesetzt.

Angesichts dieser Lage gilt unsere Solidarität allen Kräften der Linken, wie der Azerbaijani Leftist Youth (http://www.criticatac.ro/lefteast/anti-war-statement-of-azerbaijani-leftist-youth), die sich dem reaktionären, nationalistischen Treiben widersetzen und ein Ende des Angriffs fordern.

Zweifellos kann die Bevölkerung Bergkarabachs ein legitimes Recht auf Selbstbestimmung (und Selbstverteidigung) für sich reklamieren. RevolutionärInnen, ja alle DemokratInnen sollten ihr Recht anerkennen, selbst zu entscheiden, ob sie einen eigenen Staat gründen oder sich Armenien anschließen wollen.

Wurzeln des Konflikts und Armeniens Rolle

Ginge es nur um Bergkarabach und die Frage von dessen Selbstbestimmungsrecht, so wäre der Charakter des Gesamtkonflikts recht einfach zu bestimmen. Doch im seit über drei Jahrzehnten offen ausgetragenen Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien verhält sich die Sache nicht so unkompliziert.

Gegen Ende der Existenz der Sowjetunion brach der selbst weit zurückliegende Konflikt um Bergkarabach offen aus. In der UdSSR war die Region entgegen dem Willen der armenischen Bevölkerung Aserbaidschan zugeschlagen worden. Mit dem Zerfall der Sowjetunion reklamierte diese erneut  das Recht auf Lostrennung für sich und stieß dabei auf den erbitterten Widerstand Aserbaidschans. Das Land befand sich auf dem Weg in die Unabhängigkeit und die NationalistInnen – ihrerseits ehemalige ParteibürokratInnen und städtische Intellektuelle – wollten nicht auf Bergkarabach verzichten, lehnten sowjetische Vermittlungsversuche ab und suchten eine militärische Lösung.

Am Beginn des von 1992 bis 1994 andauernden offenen Krieges schienen die Streitkräfte Aserbaidschans als Siegerinnen hervorgehen – nicht zuletzt aufgrund ihres brutalen Vorgehens, das tausenden ZivilistInnen das Leben kostete und in barbarischen Massakern ganzer Dörfer gipfelte. Doch das Blatt wendete sich. Die militärischen Verbände Armeniens und Bergkarabachs waren nicht nur in der Lage, die Enklave zu verteidigen, sondern eroberten auch mehrere Provinzen, die Armenien von dieser trennten. Diese mehrheitlich aserbaidschanischen Siedlungsgebiete wurden unter dem Kommando des nicht minder brutal vorgehenden armenischen Nationalismus ethnisch gesäubert. Er beschränkte sich offensichtlich nicht auf die Unterstützung der eigenen Verbündeten, sondern vertrieb hunderttausende AserbaidschanerInnen aus sieben Bezirken, die seit dem Waffenstillstand 1994 von Armenien kontrolliert werden.

Bis 1994 wurden über 1,1 Millionen Menschen aus Aserbaidschan und Armenien vertrieben, also fast 10 % der gesamten Bevölkerung der beiden Staaten. 25.000 bis 50.000 Menschen starben nach unterschiedlichen Schätzungen. Seit damals befinden sich Armenien und Aserbaidschan in Lauerstellung. Nicht nur die Frage Bergkarabachs ist ungelöst. Beide Seiten verweigern die Rückkehr hunderttausender Geflüchteter.

Reaktionärer Nationalismus auf beiden Seiten

Der Nationalismus wurde faktisch zur Staatsdoktrin beider Seiten einschließlich einer oft extremen religiösen und ethnischen Überhöhung. Seit 1994 kam es immer wieder zu begrenzten bewaffneten Konflikten zwischen den beiden Parteien, zuletzt im sog. „Vier-Tage-Krieg“ 2016.

Beide Staaten erlebten zwar einen massiven ökonomischen Einbruch nach dem Zerfall der Sowjetunion, auf deren gesamtstaatliche Arbeitsteilung ihre Wirtschaftsplanung bezogen war. Der Maschinenpark in der Industrie war weitgehend veraltet. Die Einführung der Marktwirtschaft und die Privatisierungen nahmen die Form einer Plünderung, einer Art ursprünglicher Akkumulation durch mafiöse, oligarchische Strukturen an.

Beide Staaten bzw. deren Regime unterhielten weiter enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Dieses fungierte als Moderator zwischen den befeindeten Seiten – sei es auf eigene Rechnung, sei es im Rahmen der sog. Minsker Gruppe, die 1993 zur Vermittlung und Befriedung des Konflikts ins Leben gerufen wurde und neben Russland auch solche Staaten wie Deutschland, Frankreich und die USA umfasst. Im Grunde wurde der Konflikt eingefroren. Die UN verweigert die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes von Bergkarabach. Umgekehrt wurden dessen enge Verbindung mit Armenien und eine Wirtschafts- und Währungsunion ebenso faktisch geduldet wie die armenische Kontrolle über Gebiete mit ehemals aserbaidschanischer Mehrheitsbevölkerung.

Armenien und Aserbaidschan bezogen beide den größten Teil ihrer Waffen aus Russland, wenn auch zu unterschiedlichen Konditionen. So musste das öl- und gasreiche Aserbaidschan zu Weltmarktpreisen kaufen, während die armenische Armee zu günstigeren, russischen „Inlandspreisen“ aufrüsten konnte. Auch Serbien verkaufte an beide „befreundete“ Staaten, während Israel und die Türkei exklusiv an Aserbaidschan lieferten.

Während sich die Regionalmacht Türkei als Schutzpatronin Aserbaidschans ins Zeug legt und extrem aggressive Töne anschlägt, band sich Armenien stärker an Russland und den Iran. Dieser ist der wichtigste Energielieferant des Landes. Russland ist faktisch die Schutzmacht Armeniens, unterhält dort mehrere Militärbasen. Außerdem ist das Land Mitglied in den von Russland dominierten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bündnissen, in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wie auch in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), dem von Russland dominierten Gegenstück zur NATO.

Warum jetzt?

Dass der Konflikt im Juli wieder bewaffnete Formen annahm, inkludiert möglicherweise auch ein zufälliges Element. So ist bis heute umstritten, wie die ersten Kampfhandlungen in den letzten Monaten ausgelöst wurden.

Wir können jedoch drei Faktoren ausmachen, die das Gleichgewicht unterminierten, das seit 1994 zu einem brüchigen Waffenstillstand geführt hatte und von der Minsker Gruppe und insbesondere auch von Russland weiter „vermittelt“ worden war.

Erster besteht in der politischen und wirtschaftlichen Instabilität beider Staaten. Beide sind nicht nur hart von der Weltwirtschaftskrise betroffen, beide Länder werden auch von repressiven, kapitalistischen und anti-demokratischen Regimen geführt, selbst wenn sich der armenische Präsident rühmt, über die samtene Revolution an die Macht gekommen zu sein. Für beide bietet der Nationalismus daher eine Möglichkeit, von inneren Konflikten abzulenken und die „Einheit des Volkes“ zu beschwören.

Zweitens haben sich aber die wirtschaftlichen Gewichte zwischen den Staaten verschoben. Aserbaidschan verfügt, anders als Armenien, über große Öl- und Gasvorkommen und damit Devisenquellen, auch wenn dieser Reichtum vor allem der kapitalistischen Oligarchie und den führenden Schichten im Staatsapparat zugutekommt. Die Rendite aus dem Öl- und Gasexport konnte Aserbaidschan aber auch für Rüstungsausgaben verwenden, die jene Armeniens in den letzten Jahren um das Fünffache übertreffen. Angesichts der Ziele des Regimes (und der nationalistischen Opposition) dürfte es nur zu verlockend sein, die größeren wirtschaftlichen Reserven und die militärische Aufrüstung in Gebietsgewinne praktisch umzumünzen.

Drittens sind es die veränderten geo-strategischen Verhältnisse, die diesen Konflikt befeuerten – insbesondere die wachsende Rivalität zwischen dem russischen Imperialismus und der Regionalmacht Türkei. Diese beiden geraten schließlich nicht nur im Kaukasus, sondern auch in Syrien und Libyen aneinander, was den Konflikt noch explosiver macht.

Auch wenn EU und USA vor allem als VermittlerInnen agieren wollen, wenn beide mit größeren inneren Problemen und anderen Prioritäten konfrontiert sind, so ist es fraglich, dass v. a. die USA abseits stehen werden, falls sich der Konflikt verschärft oder regional ausweitet, also z. B. der Iran hineingezogen wird.

Drohender Flächenbrand

Der Konflikt um Bergkarabach und der drohende Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan droht somit leicht zu etwas Größerem zu werden, so wie die Balkankriege vor 1914 leicht zu einem Weltkrieg hätten werden können.

Beide Seiten, Aserbaidschan und Armenien, lehnen bisher jede Vermittlung ab, beide haben das Kriegsrecht verhängt. Beide beschuldigen andere Mächte mit mehr oder minder viel Recht der Unterstützung der Gegenseite. Während sich die Türkei offen und ganz hinter Aserbaidschan, logistische Hilfe stellt und reaktionäre MilizionärInnen aus dem Syrien-Krieg als „Freiwillige“ schickt, bezichtigt sie den Iran und Russland der Unterstützung Armeniens.

Zur Zeit zieht Russland (und wohl auch China und der größte Teil des Westens) eine „friedliche“ Lösung, also das weitere Einfrieren des Konflikts vor. Das würde Russland enge Verbindungen zu Aserbaidschan und Armenien und eine dominante Rolle erlauben. Eine geostrategische Expansion der Türkei kann es hingegen schwer dulden, weil diese seine Rolle als Ordnungsmacht sowohl in Eurasien als auch im Nahen Osten und im Mittelmeer schwer erschüttern würde.

So würde sich die OVKS als Papiertigerin entpuppen, wenn sie ein in Bedrängnis geratenes Armenien und das von ihm gestützte Bergkarabach nicht einmal gegen aserbaidschanische Kräfte und wachsenden Einfluss der Türkei schützen könnte.

Die Kriegsgefahr ist real. Der Konflikt kann sich leicht zum Flächenbrand ausweiten, selbst wenn das niemand will, denn jede Aktion der einen Seite droht eine Reaktion der anderen hervorzurufen. Selbst wenn die groß-türkische Rhetorik Erdogans teilweise „nur“ leeres Gerede sein mag, so können gerade bonapartistische Regime wie das seinige den Bogen ihrer außenpolitischen Abenteuer leicht überspannen – mit fatalen Konsequenzen.

Welche Perspektive?

Die internationale ArbeiterInnenbewegung und die gesamte Linke müssen der nationalistischen Mobilmachung auf beiden Seiten und jeder Einmischung der Türkei, Russlands und anderer Mächte entschieden entgegentreten. Es gilt, alle Kräfte in Armenien und Aserbaidschan zu unterstützen, die sich einem drohenden Gemetzel widersetzen, und diese durch Aktionen der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten insbesondere in der Türkei und Russland zu stärken.

Ein zentrales Mittel zum Stopp der geo-strategischen Interventionen der Türkei und Russlands (wie anderer Mächte) besteht im Kampf gegen die autokratischen Regime Erdogans und Putins selbst.

Um dem Nationalismus in Armenien und Aserbaidschan eine politische Alternative entgegenzusetzen, braucht es aber auch ein Programm, das eine Lösung der drängenden demokratischen und sozialen Fragen leisten kann.

Das beinhaltet die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes aller Nationen, also auch der Bevölkerung von Bergkarabach. Es beinhaltet ebenso das Recht auf Rückkehr aller Vertriebenen und Geflüchteten des Krieges und die Entscheidung über den weiteren Status der durch die armenischen Streitkräfte besetzten Bezirke durch die Bevölkerung. Das Selbstbestimmungsrecht bildet im Kaukasus – ähnlich wie auf dem Balkan – dabei nur ein Element der Lösung der nationalen Frage. Das andere muss in der Bildung einer freiwilligen Föderation der Staaten des Kaukasus bestehen, um so offene Grenze zwischen den verschiedenen Regionen zu gewährleisten.

Demokratie und Sozialismus

Wie die Geschichte der Sowjetunion, vor allem aber der Restauration des Kapitalismus gezeigt hat, ist eine demokratische Lösung der nationalen Frage untrennbar mit der Klassenfrage verbunden, der Frage, in welchem Interesse die Ökonomie organisiert wird. Auf der Basis von oligarchischem Kapitalismus, neoliberalem Markt, Mangel, Arbeitslosigkeit und Armut werden immer wieder reaktionäre, nationalistische oder rassistische Scheinlösungen von den Herrschenden präsentiert werden.

Der Kampf um das Selbstbestimmungsrecht und eine Föderation der Staaten des Kaukasus muss daher verbunden werden mit dem für revolutionäre Arbeiter- und Bauern-/Bäuerinnenregierungen und die Bildung einer sozialistischen Föderation auf Basis demokratischer Planwirtschaften.




Black Lives Matter – 5 Fragen, 5 Antworten

Leila Cheng, Felix Ruga

In
den USA wird an den momentanen
Black-Lives-Matter-Protesten sichtbar, dass Polizist_Innen eben nicht
unsere Freund_Innen und Helfer_Innen sind. Die Aufgabe der
staatlichen Exekutive ist es, die Herrschaftsverhältnisse, also die
Herrschaft der Kapitalist_Innen und des Staates,
aufrechtzuerhalten und das natürlich auch mit Gewalt. Neben
der Unterdrückung von explizitem Widerstand gegen dieses System
(z.B. Niederschlagung von Demos oder Streiks) geht von den
staatlichen Strukturen auch eine rassistische Gewalt aus.
Das ist einerseits ein Resultat der Konkurrenz zwischen den Staaten
und andererseits ein Mittel der Herrschenden, die
Arbeiter_Innenklasse zu spalten. Hier zeigt sich, was bereits der
afro-amerikanische
Bürgerrechtsaktivist Malcolm X in den 1960ern sagte: „You can’t
have capitalism without racism“ (Es gibt keinen Kapitalismus ohne
Rassismus). In dieser Analyse stellen wir uns 5 Fragen zu den
antirassistischen Protesten in den USA.

Was ist der Auslöser der Proteste?

25. Mai 2020, Minneapolis, Minnesota, die Vereinigte Staaten von Amerika. Ein weißer Police Officer, Derek Chauvin, greift zusammen mit seinen Kollegen Tou Tha, Thomas Lane und J. Alexander Kueng den 46-jährigen Afroamerikaner George Floyd auf. Ein Ladenbesitzer, bei dem Floyd Zigaretten kaufte, hat wegen angeblicher Verwendung von Falschgeld die Polizei angerufen. Die Polizisten, die sich daraufhin auf den Weg machen, gehen wie gewohnt mit einem Afroamerikaner um. Sie bedrohen ihn mit einer Waffe und nehmen ihn gewaltsam fest, indem er gewürgt und ihm die Luft abgedrückt wird. Das Ganze dauert 9 Minuten an. Später wird ein Krankenwagen gerufen, doch Floyd stirbt, bevor sie das Krankenhaus erreichen. Eine alltägliche Situation in den USA wäre das ganze nur nicht als Video in der ganzen Welt publik geworden.

Eine
alltägliche Situation? Ja, dieser Mord ist kein Einzelfall! Man muss
sich nur die rassistischen Morde von Polizist_Innen in den letzten
Jahren anschauen, denn die Liste Schwarzer
Opfer von Polizeigewalt ist lang: 2014 wurde der 18-jährige Schüler
Michael Brown von dem Polizisten Darren Wilson in Missouri (USA)
erschossen, März 2020 wurde Breonna Taylor in Louisville (USA) oder
im Juni 2020, wo der vierfache, afroamerikanische Vater Rayshard
Brooks in Atlanta von Polizist_Innen erschossen wurde. 2019 war es in
den USA zweieinhalb so wahrscheinlich als Afroamerikaner_In
erschossen zu werden als als Weiße_R.

Wie entwickelten sich die Proteste?

Das Video verbreitete sich rasant in den sozialen Medien und die Proteste entzündeten sich schnell und kraftvoll. So mussten die vier beteiligten Polizisten innerhalb kürzester Zeit aus dem Dienst entlassen werden, um die Menschen zu besänftigen. Doch die Proteste wurden über die folgende Woche immer kämpferischer. Diese hatten ihren Höhepunkt in der Nacht vom 28. zum 29. Mai, in der Aktivist_Innen den 3. Polizeibezirk der Stadt niederbrannten. Die Proteste entwickelten sich zu einer Rebellion, die sich mit enormer Geschwindigkeit auf die gesamten USA ausweitete. Momentan ist die Dynamik nicht mehr so umfassend wie anfangs, jedoch gibt es einige Zentren, in denen die Bewegung weiterhin sehr präsent ist und regelmäßig Proteste stattfinden, vor allem Seattle, Portland und Chicago.

Initiiert
und angeführt werden die Proteste von Black Lives Matter (BLM), die
in den vergangenen Jahren zur Speerspitze des Widerstandes gegen
rassistische Polizeigewalt geworden ist. BLM ist selbst heterogen und
dezentral, aber weit verbreitet und bringt immer wieder zehntausende
Menschen auf die Straße. Dazu beteiligen sich linke und
antifaschistische Gruppen, ihr Umfeld, eher unpolitische Menschen und
ein großer Teil der Black Community. Aber auch die Demokratische
Partei solidarisierte sich mit den Protesten. Das ist aber eigentlich
höchst widersprüchlich, hat die Demokratische Partei doch in den
vorherigen Jahren selbst rassistischer Polizeigewalt Vorschub
geleistet (stop-and-frisk, Broken-Windows-Theorie) und lässt auch in
demokratischen Bundesstaaten den größten Teil der Gelder in die
Polizei fließen.

Ein wichtiger Faktor beim Gelingen der Bewegung ist die weltweite Solidarität. Nicht nur in den USA, sondern weltweit schlossen sich Millionen von Menschen der Black Lives Matter-Bewegung an. Hierbei spielten für die Mobilisierung auf Demonstrationen und Kundgebungen auch die sozialen Medien eine wichtige Rolle. All diese Proteste haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich gegen Rassismus in staatlichen Strukturen und Polizeigewalt richten und diesen Fakt international kritisieren. Denn nicht nur amerikanische Polizist_Innen begehen Morde aus rassistischen Hintergründen. So ereignete es sich 2005 in Deutschland, dass der westafrikanische Einwanderer Oury Jalloh in einer Zelle in Dessau verbrannte, wobei der Polizeibeamte freigesprochen wurde. Im Februar dieses Jahres gab es einen furchtbaren Mord an 9 Nichtweißen durch einen Nazi in Hanau.

Was ist die Situation zwischen den Protesten und dem Staat?

In der Gemengelage der Proteste werden einige Forderungen klarer: Die erste ist die Gerechtigkeit für George Floyd in Form einer Anklage gegen alle beteiligten Polizisten wegen Mordes. Die zweite ist das Ende rassistischer Polizeigewalt und rassistischer Morde in den USA. Weitere Forderungen sind unter anderem: Das Ende der Ungleichbehandlung von Afroamerikaner_Innen im Bildungs-, Gesundheitswesen und Beruf oder öffentliche Gelder von der Polizei in die öffentliche Versorgung zu verschieben (#defundthepolice). Einige Forderung deuten auch auf die sich aktuell anbahnende Wirtschaftskrise hin: Die Anzahl der gemeldeten Arbeitslosen stieg seit Ausbruch von Corona sehr stark an und liegen nach leichter Entspannung jetzt bei um die 25 Millionen Menschen. Arbeitslosenzahlen, die es seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre nicht mehr gab, vor einem Jahr waren es nur knapp 1,7 Millionen! Bei den momentan durchgeführten Massenentlassungen wurden Afroamerikaner_Innen und andere People of Colour meist zuerst entlassen. Hier zeigt sich auch, weshalb die Solidarität der Arbeiter_Innenklasse mit der Bewegung so wichtig ist. .

Der
Staat hingegen reagierte sofort mit massiven Repressionen:
Massenhafter Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, Aufmarsch
der Nationalgarde plus die Drohung mit der Armee, Einschränkungen
von Grundrechten in vielen Städten, Gewalt und Verhaftungen
begleitet von Hetze und Diffamierungen durch Präsident Trump und den
Republikaner_Innen. Amnesty International sprach in einem Bericht von
Anfang August von „schweren Menschenrechtsverletzung“ gerade im
Umgang mit friedlichen Protestierenden und Journalist_Innen. So wie
die Unterdrückten von der Krise bedroht sind, so ist es
in anderer Hinsicht auch
die Vormachtstellung der US-amerikanischen Bourgeoisie und das lässt
ihr wenig Spielraum für jegliche soziale Reformen und tatsächlichen
Abbau von Unfreiheit und Ausbeutung. In der wirtschaftlichen
Konkurrenz mit China oder der EU wird die herrschende Klasse nur mit
großem Unwillen auf die Massen an extrem billigen Arbeiter_Innen im
durchökonomisierten Gefängnissystem und die Vorteile einer
Steueroase verzichten wollen. Und da die Krise die Konkurrenz nur
verschärft, ist die einzige Möglichkeit der Herrschenden die
gewaltsame Zerschlagung der Proteste.

Warum wird es keinen Kapitalismus ohne Rassismus geben?

Es
ist unmöglich diese Frage in einem kurzen Absatz zu erklären, aber
wir haben sie ausführlicher in unserem Programm und in anderen
Texten auf unserer Homepage behandelt. Letztendlich
dient Rassismus im Kapitalismus als Rechtfertigung dafür, dass
imperialistische Nationen andere Länder unterdrücken und ausbeuten
oder dass man nichtweißen Arbeiter_Innen einen schlechteren Lohn
zahlt und sie gegen ihre Klassengeschwister ausspielt.

Wie kommt die Bewegung zum Erfolg?

Die Proteste machen auf eine zentrale Form der Unterdrückung aufmerksam und führen gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen zum öffentlichen Druck auf Staat und Kapital. Sie erreichten, dass die Mörder von Floyd entlassen wurden und dass es eine Anklage gegen Chauvin und die anderen Cops gab, die tatenlos danebenstanden. Auch ist das Thema nun politisch sehr präsent. Aber die Frage ist nun, auf welchem Weg man den Kampf gegen Probleme wie den institutionelle Rassismus zum Erfolg führen kann.

Eine
zentrale Frage der Bewegung ist die Gewaltfrage und auch in der
deutschen Linken gibt es seit Beginn der Proteste eine Debatte um
„sinnlose Gewalt“ auf den US-amerikanischen Straßen. Viele
verurteilen diese Gewalt und werben für „friedliche“ Proteste.
Wenn man die Proteste genau betrachtet, fällt auf, dass der größte
Teil der Gewalt aus
den Repressionen durch den US-amerikanischen Staat besteht,
auf die ein großer
Teil der Gewalt durch Demonstrant_Innen erst
eine
Reaktion ist.
Sowieso stehen kleine Plünderungen oder Vandalismus in keiner
Relation zur tagtäglichen Gewalt des Staates und des
kapitalistischen Systems und wir sollten es als legitimen Ausdruck
von Wut und Verzweiflung nicht moralisch verurteilen. Und nicht jede
Gewalt dort ist sinnlos. Beispiele sind die Angriffe auf die
Polizeiwache oder koloniale Denkmäler. Wir wollen aber über die
individuellen und oftmals ziellosen Aktionen hinaus und stattdessen
demokratisch wähl- und abwählbare, bewaffnete
(Selbstverteidigungs-)Milizen aus Arbeiter_Innen, Schwarzen
und anderen in der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückten Gruppen
aufbauen, um dabei eine rechenschaftspflichtige und taktische Kraft
zu kreieren. Dafür sind die existierenden Ansätze von
Selbstverwaltung und massenhafter Militanz gute Möglichkeiten.

Doch um sich effektiv gegen die Gefahr der Zerschlagung durch Staat und faschistische Milizen zu wehren und die oben besprochene kapitalistische Grundlage des Rassismus‘ zu überwinden, braucht es auch eine klare antikapitalistische Perspektive, also auch die klare Ablehnung des bürgerlichen Staates an sich. Stattdessen setzen bislang viele Demonstrant_Innen auf Reformen innerhalb von Polizei und Justiz, die aber zu kritisieren sind. Reformen können erstens immer wieder abgeschafft werden und zweitens greifen sie die objektive Grundlage, den Privatbesitz an den Produktionsmitteln und eine Wirtschaft, die auf Tausch und Leistung beruht (Kapitalismus), nicht an. Die kürzlich vorgebrachten Reformpakete sowohl von den Demokrat_Innen aber erst recht von den Republikaner_Innen sind mehr als unzureichend und sind eher Kaschierung des Problems, indem sie meinen, das Problem sei die Praxis des Würgegriffs an sich und ist sie erstmal eingeschränkt, sei es halb so wild.

Es
gibt jedoch auch Teile der Bewegung, die sehr wohl offen die Polizei
und den Staat zerschlagen wollen und diese müssen dafür nun ein
klares Bild zeichnen, wie das geht: Wir brauchen eine Bewegung, die
sich auf weitere Teile der Gesellschaft und damit auch auf weitere
Themen ausbreitet, sodass ein Kampf aller Unterdrückten unter
Führung der Arbeiter_Innen gegen die Krise und das gesamte System
geführt wird. Forderungen wie bedingungsloses Recht auf Wohnraum,
Krankenversorgung, Arbeit und kollektiven Selbstschutz müssen
aufgestellt werden und größere Organisationen wie Gewerkschaften
und progressive Bewegungen offen dazu aufgerufen werden, sich an den
Kämpfen zu beteiligen. Darum braucht es auch eine solidarisch und
zielstrebig geführte Debatte innerhalb der BLM-Bewegung, die sich in
einer demokratischen Konferenz konstituiert und damit wehrhafter und
taktischer vorgehen kann und es einen Raum gibt, in dem sich die
wirklich radikalen Forderungen beweisen können. Mit einer größeren
gesellschaftlichen Basis sind neben Demonstrationen auch weitere
massenhaften Widerstandsformen wie der politische Streik oder
Betriebsbesetzungen verteidigt durch die demokratischen
Selbstverteidungsstruktuen möglich, mit denen man die herrschende
Klasse dazu zwingen kann, unsere bitternötigen Forderungen
umzusetzen und eben Platz zu machen für eine antirassistische,
solidarische und soziale Gesellschaft!

Daher
treten wir ein für:

  • Aufbau
    von demokratisch
    kontrollierten antirassistischen Milizen
    aus Arbeiter_Innen, Schwarzen
    und anderen in der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückten Gruppen
    gegen Rassist_Innen und Faschist_Innen auf der Straße ob
    mit oder ohne Uniform!
  • Wahl
    von Volkstribunalen, um kein Vertrauen in bürgerliche Gerichte
    setzten zu müssen
  • Die
    Gewerkschaften sollen sich der Bewegung anschließen! Setzt die
    reformistischen Führungen unter Druck! Gegen
    die Spaltung von weißen und nichtweißen Arbeiter_Innen, für einen
    gemeinsamen Mindestlohn!
  • Verankert
    die Bewegung mit demokratischen Komitees in
    den Stadtteilen, Betrieben, Universitäten, Schulen, verbindet
    den Kampf auf den
    Straßen mit einer sozialistischen Perspektive!
  • Aufbau
    einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei in den USA, die sich
    international vernetzt, und mit einem klaren revolutionären
    Programm an die Spitze der Bewegung stellt

  • Internationale
    Solidarität uns
    Vernetzung von
    antirassistischen
    und antikapitalistischen Massenbewegungen!



Betrachtet: Zwei Halbkolonien

Leila Cheng

Teil 1: Belarus (Stand Mitte September 2020)

Wie sind die Auswirkungen von Pandemie und Wirtschaftskrise?

  • In den letzten Jahren wurden viele arbeiter_Innenfeindliche Maßnahmen und Gesetze beschlossen. Zum Beispiel müssen Arbeitslose Sondersteuern zahlen, unbefristete Verträge in Staatsbetrieben wurden in befristete umgewandelt, Kürzungen in Gesundheits- und Bildungswesen durchgeführt und das Renteneintrittsalter erhöht. So konnten die Kosten der Krise auf die Arbeiter_Innen abgeladen werden.
  • Die diktatorische Einzelherrschaft Lukaschenkows (Präsident) und konsequente Wahlfälschungen stechen Oppositionskanditat_Innen seit jeher aus.
  • Die Coronapandemie wurde von Lukaschenkow als vermeintliche „Psychose“ abgetan. Dabei hatte er selbst Corona und inszenierte sich als Musterpatient für einen unkritischen Krankheitsverlauf.
  • Das Thema spielt aber aufgrund offiziell niedriger Fallzahlen jedoch eine eher untergeordnete Rolle.

Warum ist das so?

  • Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Belarus im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen Ostblockstaaten nicht neoliberal umgestaltet. Eine Kaste aus ehemaligen Sowjetbürokrat_Innen herrschte deshalb weiter (verwalten jetzt kapitalistische Unternehmen, staatlicher Sektor hat noch 50 Prozent am BiP).
  • Lukaschenkow selbst ist seit 1994 an der Macht und hat schon mehrfach Oppositionelle ermorden lassen.
  • Somit steht Belarus in ständiger Abhängigkeit und in der Konkurrenz zwischen dem russischen und westeuropäischen Imperialismus.
  • Hinzu kommt eine starke Auslandsverschuldung in den letzten Jahren, eine Währungskrise und die Abhängigkeit von russischen Subventionen.

Welche Proteste gibt es?

  • Massendemonstrationen (100.000 Menschen in der Hauptstadt Minsk) im ganzen Land werden gewaltsam unterdrückt. Ebenso fanden große Arbeiter_Innenstreiks z. B. in der Metall -, Autoindustrie sowie in der Metro und in Telekommunikationsunternehmen statt.
  • Hauptforderung ist die Offenlegung der Wahlfälschung. Oppositionskandidatin Swetlana Ziachanouskaja soll die Nachfolge Lukaschenkows antreten. Daneben wird ein Ende der Misshandlung von Gefangenen und der Gewalt gegen friedliche Demonstrant_Innen auf den Straßen gefordert.
  • Lukaschenkow bezeichnet die Bewegung als Farbenrevolution (revolutionäre Bewegung, die von den USA gestützt, finanziert oder sogar unterwandert wird, weil sie deren Interessen dient). Das kann man der Bewegung zwar nicht vorwerfen, jedoch dominieren darin tatsächlich die bürgerlichen, neoliberalen Kräfte die Proteste.
  • Die ins Ausland geflohene Oppositionskandidatin fordert einen nationalen Koordinierungsrat mit allen Kräften der Opposition, um den alten Machtapparat abzulösen

Wie können die Kämpfe erfolgreich sein?

  • Es
    braucht eine revolutionäre Massenbewegung mit proletarischer
    Ausrichtung, die nicht auf die Bürgerlichen vertraut. Mit ihnen
    wird die Bewegung nur zum Ausverkauf des Landes führen. Das wird
    die Klassengegensätze verschärfen, selbst wenn die Abhängigkeit
    vom russischen Imperialismus schwindet, wird sich die Halbkolonie
    dem EU-Imperialismus unterordnen müssen.

  • Doch
    um das zu erreichen, muss sich die Arbeiter_Innenklasse eine Führung
    schaffen, die das Mittel des Streiks bis hin zum Generalstreik
    anwendet, und Massen von Arbeiter_Innen in allen Sektoren
    organisiert. Diese Führung muss jederzeit von den Arbeiter_Innen
    wähl- und abwählbar sein und darf keine wirtschaftlichen
    Privilegien genießen

  • Wichtig
    ist es dafür, sich in den noch aus der Sowjetunion existierenden
    Kolchosen (Genossenschaften), den Betrieben und den
    Arbeiter_Innenvierteln zu organisieren und diese auch gegen Polizei
    und Militär zu bewaffnen. Diese müssen im
    Gegenzug entwaffnet und durch demokratische Arbeiter_Innenmilizen
    ersetzt werden.

  • Darüber
    hinaus fordern wir alle progressiven Kräfte in den umliegenden
    Ländern Osteuropas und weltweit dazu auf, ihre Kämpfe miteinander
    zu verbinden. Gemeinsam mit dem russischen Proletariat kann diese
    Bewegung gegen den imperialistischen Einfluss Russlands und zugleich
    auch gegen die neoliberale Restauration kämpfen. Im
    Sturz des russischen Imperialismus läge die Chance ein
    sozialistisches System in Belarus und in ganz Osteuropa zu schaffen.

Teil 2 morgen: Bolivien




Die 2. Corona-Welle und ihre Leugner_Innen

Sani Maier, Anfang September 2020

Auch wenn mittlerweile in Europa die meisten Lockdown-Maßnahmen aufgehoben wurden, lassen die internationalen Infektionszahlen leider wenig Raum für Hoffnung auf ein Ende der Corona-Pandemie. Die Epizentren sind nun nicht mehr Italien oder China, sondern vor allem die USA, Brasilien, Indien und Russland. Doch auch in Deutschland sind die Infektionszahlen wieder auf einem Höchststand, wie zuletzt im Mai diesen Jahres. Während viele noch über die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle diskutieren, geht der Ärzteverband Marburger Bund davon aus, dass uns diese bereits erreicht hat, wenn auch mit einem flacheren Anstieg als die erste Welle. Zudem haben die Zahlen aufgrund erhöhter Testvolumen eine andere Aussage als noch im Mai.

Die Schulen und Kitas sind wieder vollständig geöffnet und der Alltag der meisten Menschen in Deutschland verläuft weitestgehend wieder regulär. Dies ist vorrangig aber kein Ergebnis sinkender Infektionszahlen, sondern wesentlich wirtschaftlich motiviert. Da bspw. nun wieder alle Kinder vormittags betreut werden und nicht mehr von zuhause aus lernen, können die Eltern auch wieder regulär zur Arbeit gehen. Da es vor allem in Schulen fast unmöglich ist, in Klassenräumen mit 30 Personen Abstandsregeln einzuhalten, überraschte es wenig, dass bereits nach wenigen Wochen Dutzende Schulen Infektionen verzeichneten.

Was den Impfstoff angeht: Die Suche danach läuft, doch dabei gibt es kaum internationale Zusammenarbeit. Durch den Konkurrenzdruck versucht jedes Land, als erstes einen Impfstoff zu entwickeln, um diesen dann möglichst profitbringend an andere verkaufen zu können. Auch werden immer noch keine flächendeckenden Tests bereitgestellt, sodass auch unter Reiserückkehrer_Innen nicht mal alle diejenigen automatisch kostenlose Tests erhalten, die per Flugzeug einreisen. Einen kostenlosen Test bekommt man nur, wenn man aus einem Risikogebiet (mit sehr hohen Infektionszahlen) mit dem Flugzeug einreist. Wer mit meist günstigeren Alternativen wie Bahn, Bus oder Auto reist, muss sich selbst um einen Test kümmern, welcher normalerweise nur bei bereits vorhandenen Symptomen bereitgestellt wird. Keinen Test zu bekommen heißt zwei Wochen Quarantäne.

Auch alle Teile der Arbeiter_Innenklasse, welche nicht im Home Office arbeiten können und nun wieder zurück in ihre Betriebe müssen, erhalten keinen ausreichenden Schutz vor Infektionen am Arbeitsplatz, wie vor allem die gravierenden Missstände bei Amazon, Tönnies & Co. gezeigt haben.
Und obwohl das alles für die meisten Menschen weitestgehend eine Rückkehr zur Normalität bedeutet, sehen sich manche Teile der Gesellschaft massiv bedroht durch die verbleibenden Maßnahmen wie z.B. die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Läden. Die sogenannten „Corona-Leugner_Innen“ gingen in Berlin zu Tausenden auf die Straße und auch internationale Regierungschefs wie der brasilianische Präsident Bolsonaro spielen die Existenz des Corona-Virus herunter und leugneten es (und das obwohl Bolsonaro selber Corona hatte) und fordern eine Aufhebung aller Infektionsschutz-Maßnahmen.

Wer sind die „Corona-Leugner_Innen“?

Berlin, 1. August 2020: 20- 30. 000 Menschen aus ganz Deutschland demonstrieren im Rahmen der sogenannten „Tag der Freiheit“-Demonstration gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus und auch am 29. August gingen wieder 40.000 Menschen auf die Straße und versuchten sogar, den Bundestag zu stürmen. Sie stehen der Thematik entweder skeptisch gegenüber oder leugnen sogar die Existenz des Virus.

Die Organisation wurde vor allem von rechen Kräften getragen und unter den Teilnehmer_Innen fanden sich Personen aus den Kreisen der NPD, Identitären Bewegung, Reichsbürger_Innen, aber auch sogenannte Verschwörungstheoretiker_Innen & Impfgegner_Innen. Auch wenn diese Kräfte die Bewegung immer mehr unterwandern, repräsentieren sie nicht die Mehrheit der Teilnehmenden. Diese setzt sich vielmehr aus Skeptiker_Innen und Esoteriker_Innen, die den Einschränkungen ihres Alltags kritisch gegenüberstehen und kleinbürgerlichen Schichten zusammen. Letztere sehen sich vor allem durch die wirtschaftlichen Einbrüche vom Abstieg bedroht und fordern deshalb eine vollständige wirtschaftliche Öffnung, ohne Rücksicht auf die gesundheitlichen Risiken für die arbeitende Bevölkerung. Zu diesem Zwecke verharmlosen sie den Virus als eine Grippewelle oder bezeichnen ihn als bloße Erfindung von „Machteliten“ wie Bill Gates & Co.

DieDass viele Teile der Bevölkerung in Anbetracht einer kommenden Wirtschaftskrise nun um ihre Existenz bangen, ist dabei nicht verwunderlich oder verwerflich. Allerdings muss das Erstarken rechter Theorien in diesem Zuge als Ergebnis des internationalen Rechtsrucks gesehen werden, auf den die Linke nachhaltig keine klare Antwort zu geben weiß. Es wurde versäumt, eine Antikrisenbewegung aufzubauen, die den sozialen Ängsten der Menschen eine antikapitalistische Perspektive aufzeigen kann. Stattdessen haben es rechte, irrationale Verschwörungstheorien geschafft, diese Verunsicherung für sich zu nutzen. Gerade das Kleinbürger_Innentum ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Stellung besonders anfällig für einen solchen Irrationalismus. Als Klasse steht es zwischen der Arbeiter_Innenklasse und der Bourgeoisie, befindet sich also nicht in klassischen Lohnarbeitsverhältnissen, besitzt aber auch zu wenige Produktionsmittel und nicht genug Kapital, um dieses gewinnbringend zu reinvestieren und somit zu vermehren. Dadurch ist es ständig bestrebt, in die höhere Klasse aufzusteigen, aber auch gleichzeitig vom sozialen Abstieg in die Arbeiter_Innenklasse bedroht, was zu einem schwankenden Charakter des Bewusstseins führt. Somit suchen Kleinbürger_Innen vor allem in Krisenzeiten nach verkürzten Antworten auf ihre Abstiegsängste, um ihre Position zu erhalten und hetzen z.B. gegen einzelne Monopolkapitalist_Innen wie Gates, da sie sich akut bedroht sehen von ihnen wirtschaftlich zermalmt zu werden.

Welche Perspektive braucht es?

Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Mischung aus wissenschaftsfeindlichen Verschwörungstheorien und rechter Hetze die einzige Antwort auf die Angst vor der kommenden Wirtschaftskrise bleibt. Es gibt eine notwendige Kritik an der Bundesregierung und ihren Corona-Maßnahmen. Es ist unsere Aufgabe, eine Antikrisenbewegung aufzubauen, die eine klare antikapitalistische Perspektive gegen Massenentlassungen und soziale Kürzungen eröffnet, ohne dabei das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung zu vernachlässigen.

Dafür braucht es den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das die Frage aufwirft, wer für die Krise zahlen soll & soziale Kämpfe miteinander verbindet. Dazu zählen vor allem Bewegungen wie Black Lives Matter, Fridays for Future, Enteignungskampagnen für bezahlbaren Wohnraum oder auch die Arbeitskämpfe im Care Sektor, welche vor allem in Pandemiezeiten unverzichtbar sind. In diesem Zuge fordern wir unter anderem den Kampf gegen alle Entlassungen, die Fortzahlung der vollen Löhne und Transferleistungen, die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems unter Arbeiter_Innenkontrolle und eine international koordinierte Impfstoffforschung. Um dies durchzusetzen, müssen wir den Druck auf Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien wie die SPD und Linke erhöhen, ihre Burgfriedenspolitik mit dem Kapital endlich zu beenden und für die Interessen der Arbeiter_Innenklasse einzutreten.

Dabei muss uns auch gleichzeitig die Frage beschäftigen, wie man die Bevölkerung weiterhin effektiv vor Neuinfektionen schützen kann. Dabei ist Arbeiter_Innenkontrolle das entscheidende Stichwort: Sie müssen diejenigen sein, die entscheiden, welche Bereiche der Wirtschaft wirklich systemrelevant sind und welche Betriebe im Falle einer Notwendigkeit eines zweiten Lockdowns geschlossen werden können. Weiterhin müssen die Arbeiter_Innen, die weiterarbeiten, selbst entscheiden können, welche Maßnahmen an ihrem Arbeitsplatz notwendig sind, um für ihre Sicherheit zu garantieren: Bedarf an Schutzkleidung, Desinfektionsmittel, Masken, etc.

Die Krise darf weder auf die Arbeiter_Innenklasse noch auf einfache Kleinbürger_Innen abgewälzt werden! Massive Besteuerung auf die Profite der Banken und Industrien! Enteignung falls Betriebe schließen oder massenhaft entlassen!




Moria: Der Ruß an unseren Händen?

Jaqueline Katherina Singh

12 000 Menschen ohne ein Dach über den Kopf, auf eine Autobahn gepfercht. Essenslieferungen, Getränke, medizinische Versorgung – all das gibt es nur spärlich und wird auch aktiv von der Polizei blockiert. Proteste und Versuche nach Mytilini, die nächste Stadt zu kommen, werden jedoch seitens der Polizei mit Tränengas beantwortet, während nebenbei rechte Bürgerwehren die Menschen angreifen. Was sich nach einem Katastrophenfim anhört ist nur ein paar tausend Kilometer weit weg schmerzhafte Realität seit dem am Mittwoch, dem 9. September ein Feuer auf Lesbos ausbrach und Moria vollkommen zerstörte.

Seit Jahren werden auf den griechischen Inseln Geflüchtete festgehalten und in menschenunwürdigen Zuständen zusammengepfercht. Moria selbstist eherein Gefangenenlager, das in dieser Form auf den EU-Türkei-Deal von 2016 zurückgeht. Es wurde ursprünglich für 2.800 Menschen gebaut, während im regulären Camp mehr als 12 000 Menschen lebten. Dabei ist herauszuheben, dass das Lager nur eines von vielen ist. Es ist also kein einzelner Schandfleck, sondern Teil einer Gesamtkonzeption.

Der Brand raubte den Menschen, die eh nicht viel hatten, ihr letztes bisschen. Man könnte meinen, dass dieses Problem schnell zu lösen wäre. Schließlich wurden ja die gestrandeten Urlauber_Innen beim Anfang der Corona-Krise mehr oder weniger schnell wieder ins Land geholt. Schließlich wurde ja beim Brand der Kuppel des Norte Dame innerhalb weniger Stunden Millionen Euro gesammelt. Doch auch wenn es schnell möglich wäre, diesen Menschen eine Perspektive zu geben, sieht die Realität aktuell anders aus. Aktuell wird gegen den Willen der Geflüchteten ein neues Lager errichtet. Deswegen müssen wir uns fragen: Wie konnte es so weit kommen?

Wer
trägt die Verantwortung? 

Schuld sind nicht nur einzelne Poliker wie Horst Seehofer oder Sebastian Kurz. Die aktuelle Lage ist auch Ausdruck eines internationalen Rechtsrucks, den wir seit 2016 auch in Deutschland zu spüren bekommen. Im Zuge der Krise 2007/08 hat sich die Konkurrenz unter den Kaptialist_Innen verschärft. Viele Unternehmen sind pleite gegangen, gerettet wurden zuerst die Global Players der imperialistischen Staaten. Das führte dazu, dass ein Teil der Kapitalist_Innen (besonders kleinere, nationale Unternehmen und der sog. Mittelstand) vom Abstieg bedroht ist. Getrieben davon fingen sie an laut herumzubrüllen: Protektionismus, Nationalchauvinismus, Standortborniertheit, das sind ihre Argumente um die eigene Stellung zu versuchen zu schützen.Sie wollen vor internationale Konkurrenz geschützt werden – zugleich aber auch am Weltmarkt punkten, wenn sie dazu fähig sind.

Da es an klarer linker Perspektive fehlte, die die Probleme, die durch die Krise entstanden sind abwehrte und da die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie und auch große Teile der Europäischen Linksparteien auf Klassenkollaboration, statt auf Klassenkampf setzen, schafften sie es mittels rassistischer Rhetorik nicht nur das KleinbürgerInnentum und Mittelschichten, sondern auch Teile der Arbeiter_Innenklasse anzusprechen und Druck auf die etablierten Parteien auszuüben. Auch wenn sich das erst mal sehr abstrakt liest, ist dies wichtig zu verstehen. Der internationale Rechtsruck beeinflusst das Kräfteverhältnis insgesamt. So sind Seehofer und Kurz wahrscheinlich sehr unangenehme Menschen, aber die Politik, die sie betreiben ist Ausdruck einer konkreten politischen Entwicklung und eines Kräfteverhältnis. Deswegen löst der Rücktritt Einzelner somit das Problem nicht auf.

Shame on you, EU?!

Der Rechtsruck machte auch vor den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht halt. Insbesondere die Migrationspolitik verursachte Risse in der angeblichen Solidargemeinschaft. Vielmehr blockierten sich die einzelnen Nationen gegenseitig und das einzige, auf dass sich geeinigt werden konnte war, sich nicht zu einigen und Hilfe zu unterlassen. So fiel nach und nach die Seenotrettung weg, diverse Abkommen wie der EU-Türkei-Deal wurden geschlossen, damit weniger Menschen überhaupt in die Festung Europa kommen.

Doch bei all dem muss man sich fragen, welche Rolle der deutsche Imperialismus dabei spielt. Anfangs schien es so, dass Deutschland eine fortschrittliche Rolle innerhalb Europäischen Union einnahm. Als Angela Merkel 2015eine Abriegelung der Grenzen ablehnte trat, war dies kein Akt jedoch Nächstenliebe.Sie gab weigerte sich zum einen Hunderttausende, die die Grenzen der EU zeitweillig durchbrochen hatten, mit extremen polizeilichen und militärischen Mitteln zu stoppen. Sie gab andererseits auch der Welle der Solidarität nach, die viele in Europa mit den Geflüchteten zum Ausdruck brachten. Hunderttausende empfinden damals Geflüchtete an den Bahnhöfen, vielen wollten sie in ihren Wohnungen auf nehmen, was jedoch staatlicherseits verhindert wurde.

Zudem lage dem Kurs von Merkels auch ein wirtschaftliches Kalkül zugrunde. Der deutsche Imperialismus bezieht seine Stärke nämlich aus Exporten, der Zoll- und kontrollfreie Raum der Europäischen Union ist ein wichtiger Stützpfeiler ohne die nicht die gleiche Wirtschaftsleistung erbracht werden kann. Die „Wir schaffen das Mentalität“ war ebenso nur möglich, da  Deutschland, anders als viele Länder, besser aus der Finanzkrise herausgekommen und hatte somit einen größeren Spielraum den sogenannten „Sozialstaat“ auch für andere teilweise zu öffnen. Gerade letztere Position sorgte in der EU für viel Streit und Uneinigkeit, hielt sich aber nicht lange. Denn der bereits beschriebene Rechtsruck fand auch in Deutschland statt. So wurde aus „Wir schaffen das.“ ein „Genug getan, wir schaffen es Niemanden hier rein zu lassen.“ Das, was in Moria passiert ist, ist somit eine bewusste Entscheidung der deutschen Regierung und bewusst in der Verantwortung der CDU/CSU, sowie der SPD. Man kann auch sagen: Während die AfD hetzte, machte die Große Koalition die Gesetze. Und alle trugen sie mit.

Und nun?

Nun will Niemand mehr unnötige Kosten ausgeben. Denn als nichts anderes werden die Menschen auf den griechischen Inseln gesehen. Kosten, die vermieden werden müssen und so kann man sich auf das einigen, was 2017 noch für eine große Diskussion innerhalb der CDU sorgte: das erste offizielle Auffanglager der EU. Ein anderes Wort dafür ist Gefängnis. So schrieb‘ die SZ in ihrem Artikel „Blaupause für die europäische Migrationspolitik“: „Seehofer hat bereits früher eingeräumt, dass der Aufenthalt in diesen Lagern nicht zwingend ein freiwilliger sein wird. Weiterwanderung Geflüchteter durch Europa, wie sie derzeit üblich ist, soll unbedingt vermieden werden.“ Kurz um: Moria soll das erste gemeinsame Auffanglager werden, wo Menschen gegen ihren Willen festgehalten, wenn sie nicht in ihre Herkunftsländer wieder abgeschoben werden können.Nebenbei werden die Maßnahmen an den Außengrenzen verschärft, ebenso die Asylgesetzgebungen der Mitgliedstaaten. Die Festung Europa rüstet also auf.

Eigentlich geht es aber auch darum, die aktuelle Krise dafür zu nutzen, dass in Zukunft Lager und eine „kontrollierte“ Einreise und Aufnahme von Geflüchteten möglichst schon außerhalb der EU, in der Türkei oder in den Ländern Nord- und Zentralafrikas stattfinden soll. Damit gibt die EU jede Verantwortung für die Unterbringung der Geflüchteten ab, hebelt faktisch das Recht aus Aysl weiter aus und erklärt alle Geflüchteten, die sich nicht außerhalb der EU bei „Migrationszentren“ melden, für illegal.

Was macht die Linke?

Die Antwort ist einfach: hilflos zuschauen. Spontan gingen am Mittwoch Abend im Bundesgebiet mehrere 10 000 Leute auf die Straße. Seit Monaten gibt es mehrere Gemeinden und Kommunen, die sich für die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen. All das sind kleine Signale, dass es noch Menschen gibt, die sich gegen den Rechtsruck stellen. Doch diese spontanen Ausbrüche helfen in der Situation nur bedingt weiter. Zwar ist es gut, dass es sie gibt, aber wenn man erfolgreich alle 12 000 Menschen evakuieren möchte, braucht es klare Forderungen und einen Plan, wie man aus der Defensive in der wir uns befinden, herauskommt. Vor allem wenn man längerfristig die Festung Europa einreißen will.

Fehlerhafte
Politik

Was also tun? Auch wenn es Manchen falsch vorkommt, Jene zu kritisieren, die abstrakt für das gleiche Ziel kämpfen, so müssen wir an dieser Stelle offen Kritik üben und gemeinsam diskutieren. Denn dass Menschen verbrannt sind, während andere nun hungern, ist nicht nur die Schuld von Horst Seehofer, sondern auch Ergebnis der Politik Gewerkschaften und reformistischen Parteien. Diese beteiligten sich zwar formal an unterschiedlichen Bündnissen, verweigerten sich aber konsequenter antirassistischer Politik. Statt mit der Großen Koalition zu brechen, setzte die SPD die rassistischen Asylgesetzverschärfungen mit um. Statt dies zu kritisieren, die Geflüchteten in die eigenen Reihen aufzunehmen und gemeinsam für Verbesserungen der gesamten Arbeiter_Innenklasse zu kämpfen, setzten die Gewerkschaften auf leere Phrasen und Standortpolitik. Der Linkspartei hingegen fehlte eine Taktik, diese beiden herauszufordern und offen zu kritisieren und verlor sich stattdessen in eigene Grabenkämpfe und Einzelprojekte. Dies trug maßgeblich damit bei, dass sich die Positionen der AfD in Teilen der Arbeiter_Innenklasse mehr Gehör fanden.

Wir müssen aber auch die Politik der Radikalen Linken kritisch betrachten. Dabei geht es an dieser Stelle weniger um Schuldzuweisungen, sondern mehr darum eine Debatte anzustoßen und aus den Fehlern zu lernen. Nur so können wir perspektivisch erfolgreich sein. Was wurde also gemacht?  Seit 2014 gab es punktuell immer mal wieder große Demonstrationen, es gab bundesweite Bündnisse gegen Rassismus -und zwar mehr als genug. Doch statt sich gemeinsam zu koordinieren und konkret um Forderungen zu kämpfen, blieb es dabei dass jedes Spektrum sein eigene Suppe kocht. Die schmeckt schließlich am besten. Doch was ist aus den Zielen geworden? Aufstehen gegen Rassismus, das wohl größte Bündnis setzte sich zum Ziel „rote Haltelinien“ neu zu ziehen und die Positionen der AfD aus der Gesellschaft zu vertreiben mittels kleiner Multiplikator_Innen, sogenannter Stammtischkämpfer_Innen. Nationalismus ist keine Alternative wollte blockieren, Welcome2Stay hatte vor Strukturen von Supporter_Innen und Geflüchteten zu vernetzen.

Doch was ist geblieben? Nicht viel. Die Asylgesetzverschärfungen sind durchgekommen und die Debatte hat sich verschoben: Statt dafür zu kämpfen, dass Geflüchtete hier arbeiten gehen können, geht’s jetzt darum Abschiebungen zu verhindern und dafür zu kämpfen, dass Menschen in Seenot überhaupt aufgenommen werden können. Was sind also die größten Fehler?

Zusammengefasst hätten sich die bundesweiten Bündnisse koordinieren müssen. Im Zuge der großen Mobilisierungen hätte es Basisarbeit an Orten gebraucht, an denen wir uns alle Bewegung müssen (Schule, Uni, Betrieb) um auch jene zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind. Darüber hinaus hätte es Druck gebraucht: auf die Regierung durch Demos, aber auch Streiks und auf einzelne Organisationen der Arbeiter_Innenklasse wie beispielsweise die Gewerkschaften.

Was
braucht es jetzt?

Statt zu hoffen, dass sich was ändert, müssen wir handeln. Auch wenn sich viele in dieser Situation machtlos fühlen, auch wenn es so scheint, dass man nichts mehr ändern kann, selbst wenn man auf Demos geht und mit Freund_Innen diskutiert. Solche Momente in denen sich die Situation krisenhaft zuspitzt, müssen wir nutzen. Unmittelbar gilt es für die sofortige Versorgung vor Ort, sowie die Evakuierung aller Geflüchteten auf Lesbos zu kämpfen und sich nicht mit Kleinstbeträgen abspeisen zu lassen.

Doch wie kann man das durchsetzten? Trotz Corona bedarf es so schnell wie möglich zentraler Aktionstage. In diesem Rahmen darf es dabei nicht nur um die Demonstration an sich gehen. Diese ist vielmehr Anhaltspunkt um vor Ort  in Schule, Uni und Betrieb Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort dafür mobilisieren mit Infoveranstaltungen, Vollversammlungen. Dies muss man nutzen, nicht nur die Demonstration zu bewerben, sondern Diskussionen zu starten, wo man bspw. über die Auswirkungen von Rassismus oder auch Corona vor Ort diskutieren kann. Damit das stattfindet, muss man auf Gewerkschaften und Linkspartei auffordern, sich nicht nur an einem Bündnis zu beteiligen, sondern offen und nachvollziehbar alle ihre Mitglieder zu mobilisieren. Besonders Bewegungen wie Fridays for Future oder aber Deutsche Wohnen & Co enteignen! müssten an dieser Stelle klar Stellung beziehen und aktiv Druck ausüben.

Was muss man fordern?

Die sofortige Versorgung, sowie Evakuierung können nur durchgesetzt, wenn wir auch eine gesellschaftliche Perspektive aufzeigen, die über Humanität und Moral hinausgehen. Als Revolutionär_Innen treten wir für offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle sein. Bewegungsfreiheit darf kein Privileg in imperialistischen Ländern sein, sondern muss ein Recht für die gesamte, internationale Arbeiter_Innenklasse sein. Auch müssen Linke über die Forderung des Bleiberecht hinausgehen.Diese mag auf den ersten Blick fortschrittlich klingen, jedoch sorgt diese dafür, dass Geflüchtet hier lediglich geduldet werden. Staatsbürger_Innenrechte bedeuten jedoch, dass sie die gleichen Recht haben, dass sie auch aktiver Teil der Arbeiter_Innenklasse sein können und hier wählen, arbeiten, sich frei bewegen können.

Darüber hinaus müssen wir in unseren Forderungen bestehende Kämpfe verbinden. Wir sind gegen die Unterbringung in Lagern. Stattdessen bedarf es die Enteignung von leerstehenden Wohnraum, sowie Spekulationsobjekten, die die Mieten in die Höhe treiben. Der zusätzliche Bau von Sozialwohnung sorgt ebenso dafür, dass der überteuerte Wohnraum für alle Vergangenheit wird. Auch müssen wir dafür kämpfen, dass die Geflüchteten in die Gewerkschaften aufgenommen werden und gemeinsam für einen höheren Mindestlohn auf die Straße gehen. Dies kann direkt mit den kommenden Kämpfen gegen Entlassungen kombiniert werden, denn statt arbeitslos zu sein, sollten die individuelle Arbeitszeit bei vollem Lohnausglech reduziert werden. Die Verbindung solcher Fragen schafft es den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen und bestehende Vorurteile zu beseitigen, da so das Interesse der gesamten Arbeiter_Innenklasse aufgezeigt wird. Um mehr Schlagkraft zu erzeugen, sollte es nicht nur individualisierte Proteste mit unterschiedlichen Forderungen in verschiedenen Ländern geben, sondern ein auf europäischer Ebene organisierter Protest.