Internationaler Frauenkampftag 2019: Eine Bewegung entsteht

von Jaqueline Katherina Singh,, zuerst veröffentlicht auf arbeiterinnenmacht.de

Millionen Frauen demonstrierten am 8. März gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung, Sexismus und Gewalt.

In Spanien legten wie schon 2018 rund 6 Millionen Beschäftigte die Arbeit nieder. Der internationale Frauen*streik gipfelte dort erneut in einer massenhaften Beteiligung gewerkschaftlich organisierter Arbeiterinnen wie auch ihrer männlichen Kollegen. Ohne den Druck der betrieblichen Basis wäre es sicher nicht möglich gewesen, diesen Streik so massenhaft zu entfalten.

Die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CNT sowie CGT hatten ohnedies offiziell zu einem 24-Stunden-Streik aufgerufen. Die zwei größten, reformistisch geprägten Gewerkschaften, CC.OO und UGT, organisierten immerhin einen zweistündigen Warnstreik. In manchen Regionen, wie Kastilien-La Mancha, agierten sie linker und riefen zu einem ganztägigen Generalstreik der Frauen im öffentlichen Dienst auf. Im Baskenland und Katalonien scheint die Beteiligung besonders stark gewesen zu sein.

Zweifellos hat das Vorbild der spanischen Frauen auch die Bewegung in anderen europäischen Ländern inspiriert. In Italien, Belgien und anderen europäischen Ländern zeigten sich wichtige erste Ansätze von Frauenstreiks, zu denen auch linke Basisgewerkschaften aufriefen, während sich die großen Dachverbände CISL und UIL gegen die Bewegung stellten und den Frauenstreik sogar als „gegen die Frauen gerichtet“ denunzierten.

Besonders groß war die Bewegung auch 2019 in Lateinamerika. In Chile gingen allein in der Hauptstadt Santiago de Chile 200.000 auf die Straße. In Argentinien prägten ebenfalls Massendemonstrationen das Bild, die radikaleren Gewerkschaften riefen zu Streiks auf. In Brasilien demonstrierten Hunderttausende, auch wenn dort der Fokus der aktuellen Mobilisierung stärker auf den Streik- und Aktionstag gegen die sog. Rentenreform Ende März gelegt wurde.

In der Türkei setzten sich tausende Frauen gegen die Angriffe der PolizeischergInnen Erdogans auf die Demonstration in Istanbul zur Wehr. Landesweit gingen Zehntausende trotz massiver Repression auf die Straße.

Deutschland

Auch in Deutschland scheint der Frauenstreik angekommen zu sein. Bundesweit gingen rund 70.000 auf die Straße, in Berlin 20.000 bis 25.000, in Hamburg 10.000, in Leipzig 4.000, in Köln 3.000, München, Freiburg und Kiel je 2.000, in Kassel und Stuttgart je 1.000. Dies sind deutlich mehr als in den letzten Jahren, auch wenn von einem massenhaft befolgten politischen Streik (noch) nicht die Rede sein konnte. Immerhin stellten Beschäftige bei Amazon in Bad Hersfeld ihre tariflichen Auseinandersetzungen in den Kontext des Frauenstreiks, organisierten eine Betriebsversammlung – und zeigten damit auch einen Weg, wie Arbeitsniederlegungen am 8. März zu einer Realität werden können.

Die Zahlen der Demonstrationen sind jedenfalls ermutigend – und machen Lust auf mehr.

Dabei stellen sie nur einen kleinen Auszug der Aktionen von den Frauen dar, die am 8. März überall auf der Welt demonstriert haben. Insgesamt können wir beobachten, wie immer mehr und mehr Frauen auf die Straße gehen und für ihre Rechte demonstrieren. So gab es im Jahr 2018 in rund 177 Ländern Proteste, für 2019 liegen uns noch keine endgültigen Zahlen vor. Wenn wir die Gesamtsituation betrachten, dürfen wir freilich den Blick nicht nur auf den 8. März legen. Ausgehend von Bewegungen wie Ni Una Menos in Argentinien und dem Women’s March against Trump in den USA entstanden in Ländern wie Indien oder Brasilien Massenbewegungen gegen Angriffe auf die Rechte der Frauen, sexuelle und patriarchale Gewalt (bis hin zum massenhaften Femizid). Zusammen mit dem Frauen*streik bilden sie seit einigen Jahren den sichtbaren Ansatz einer neuen, internationalen Frauenbewegung.

Warum?

Der Rechtsruck ist schließlich auch eine Ursache der immer stärkeren Angriffe auf Frauenrechte. Interessanterweise bleiben diese jedoch nicht unbeantwortet: Seit mehreren Jahren können wir erleben, wie Frauen sich zahlenmäßig stark gegen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts über ihren eigenen Körper, Gewalt oder die sich verschlechternde ökonomische Situation wehren. Ob die Schwarzen Proteste in Polen, Ni Una Menos in Argentinien, Proteste gegen Vergewaltigung in Indien: alles sind Widerstandsmaßnahmen der letzten Jahre, die im Bewusstsein von Millionen Frauen präsent sind und teilweise Erfolge errungen haben.

Besonders herauszustreichen ist hier auch der Women’s March in den USA. Zum Amtsantritt Trumps initiiert, demonstrierten dort rund 3 Millionen Frauen. Dabei blieb es aber nicht: In anderen Großstädten auf der Welt solidarisierten sich Frauen und gingen unter dem gleichen Namen für Frauenrechte auf die Straße. Neben One Billion Rising stellt diese eine der größten  Aktionen dar, die zeigten, dass sich unter einem gleichen Slogan Proteste länderübergreifend koordinieren lassen und somit eine wichtige Grundlage für Vernetzungen und eine internationalistische Ausrichtung der lokalen Aktionen gelegt werden kann.

Wir als Organisation glauben, dass diese Proteste zwei größere Ursachen haben.

Auf der einen Seite gibt es Angriffe auf bereits bestehende, erkämpfte Rechte: Sparmaßnahmen wie Streichungen der Kitaplätze; Teuerung von Pflegeangeboten; Versuche, Abtreibungsrechte einzuschränken seitens der Regierung und der Rechten. Das heißt, ein Teil der Kämpfe ist defensiv.

Auf der anderen Seite gibt es auch immer mehr wachsende Proteste, vor allem in Asien. Dies hat mit einem generellen Wachstum der ArbeiterInnenklasse auf diesem Kontinent zu tun. Frauen werden dort mehr und mehr in die Produktion einbezogen. Damit wächst auch gleichzeitig ihre Doppelbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit (also Haushalt, Erziehung, Pflegearbeit). Gleichzeitig ermöglicht ihnen das mehr Zugang zu Bildung und eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit, sodass ihre Lage nicht nur durch doppelten Druck und die Last erz-reaktionärer Unterdrückung geprägt ist, sondern auch Möglichkeiten schafft, vermehrt und aktiver für ihre Rechte zu kämpfen.

Das alles führt uns zu den Fragen: Wie können wir dieses Potenzial nutzen und den Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung erfolgreich führen?

Es bedarf dazu einer internationalen Bewegung – einer, die die unterschiedlichen Probleme, die Frauen weltweit betreffen, zusammenfasst und eine gemeinsame Perspektive aufwirft. Ob nun von der Muslima, die das Recht hat, ihren Glauben so zu praktizieren, wie sie es möchte, über schwarze Frauen, die nicht länger der massiven Polizeigewalt und rassistischen Angriffen ausgesetzt sein wollen, bis hin zur pakistanischen Arbeiterin, die nicht länger für einen Hungerlohn arbeiten will, ob für geflüchtete Frauen oder die Pflegerin hier in Deutschland: Es ist unsere Aufgabe, für die unterschiedlichen Situationen die Gemeinsamkeiten in der sexistischen Unterdrückung deutlich zu machen und eine internationale Perspektive zu formulieren. Wenn wir diese aktuellen Kämpfe betrachten, dann lassen sich 5 konkrete Forderungsblöcke daraus ableiten:

  1.  Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!
  2.  Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
  3.  Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!
  4.  Recht auf körperliche Unversehrtheit!
  5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Das sind alles Forderungen, die sich auf viele grundlegende Problematiken beziehen, mit denen wir Frauen – und damit meinen wir in erster Linie die Masse der Frauen aus der ArbeiterInnenklasse, der Bauern-/Bäuerinnenschaft und den nicht ausbeutenden Schichten der städtischen Mittelschichten – zu kämpfen haben. Und um diese mit Leben zu füllen, müssen wir die Proteste, die es gibt, miteinander koordinieren. Es bedarf zweierlei: einmal einer Möglichkeit, wo sich die unterschiedlichsten Aktivistinnen austauschen können, denn es gibt bereits Kämpfe, die vernetzt und verbunden werden müssen. Aktionskonferenzen in Anlehnung an die Sozialforen könnten da eine Möglichkeit sein.

Der zweite Punkt ist die Basisorganisierung der Bewegungen vor Ort. Wir müssen uns dort, wo wir uns tagtäglich bewegen, organisieren, demokratische Strukturen geben – z. B. Vollversammlungen, um zu Aktionen zu mobilisieren und die Probleme international mit denen vor Ort zu verbinden, um nicht nur diejenigen zu erreichen, die sich bereits dafür interessieren. Damit das passiert, ist es ebenfalls wichtig, Druck auf bereits bestehende Organisationen wie beispielsweise Gewerkschaften auszuüben und dort aktiv einzugreifen. Der Frauenstreik in Spanien ist vor allem deshalb so groß, weil sich Gewerkschaftsgliederungen bewusst daran beteiligen und dafür auch mobilisieren. Denn nur wenn wir eine Bewegung sind, die ihre Basis auf der Straße hat und nicht nach einem Tag verschwunden ist, können wir unsere Forderungen durchsetzen!

Die Bewegung, die am 8. März weltweit sichtbar wurde, birgt das Potential, zu einer neuen proletarischen Frauenbewegung zu werden, einer, die die Befreiung der Frauen und LGBTIA-Menschen als Teil des Klassenkampfes betrachtet und mit einer revolutionären Perspektive verbindet. So kann sie zugleich auch zu einer Vorkämpferin für eine neue, revolutionäre Internationale werden.




Welchen Antisexismus brauchen wir?

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, März 2019

Wir leben in unruhigen Zeiten. Rechte Populist_Innen und Reaktionär_Innen gewinnen an Popularität. Mit ihnen wird rassistische Hetze wieder salonfähig sowie neoliberale Kürzungspolitik Alltag. Emanzipation wird ersetzt durch tradierte Rollenbilder und das konservative Bild der bürgerlichen Familie. Begleitet wird dies mit einer Zunahme an internationalen Spannungen: Handelskriege, zunehmende kriegerische Auseinandersetzungen und fortschreitende Militarisierung.

Doch so düster das Ganze aussieht, so erleben wir, wie auf der ganzen Welt Frauen für ihre Rechte demonstrieren und streiken. So gingen am 8. März 2018 in über 177 Ländern Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße. Allein in Spanien streikten 6 Millionen Frauen gegen sexuelle Gewalt, für gleiche Löhne und das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In der Türkei demonstrierten mehrere Tausende trotz der großen Repression seitens des Erdogan-Regimes. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen des Women’s March in den USA, des „schwarzen“ Protests gegen das Verbot von Abtreibungen in Polen, von Ni Una Menos in Lateinamerika – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

Als Revolutionär_Innen müssen wir uns die Frage stellen: Welche Perspektive haben die Proteste? Wie können wir uns gegen die Angriffe der Rechten wehren? Kurzum stellt sich die Frage: Welchen Antisexismus brauchen wir?

Ursprung der Frauenunterdrückung

Um diese Frage gut zu beantworten, müssen wir verstehen, woher eigentlich Frauenunterdrückung kommt. Schließlich wollen wir nicht nur gegen Auswüchse des Problems kämpfen, sondern es gleichzeitig an seiner Wurzel packen, um es für ein alle Mal zu beseitigen!

Als Marxist_Innen gehen wir davon aus, dass die Unterdrückung der Frau nicht in der Biologie oder „Natur des Menschen“ wurzelt. Weder wohnt es Frauen von „Natur aus“ inne, unterdrückt zu werden, noch Männern, Gewalt gegenüber Frauen auszuüben.

Vielmehr müssen die Wurzeln der Jahrtausende alten Unterdrückung der Frauen selbst in der Geschichte, in sozialen Entwicklungen gesucht werden. In seinem Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ setzt sich Friedrich Engels nicht nur systematisch mit der Frage auseinander, er skizziert auch eine materialistische Erklärung der Unterdrückung der Frauen, des Patriarchats und seines Wandels in der Geschichte.

Engels weist darauf hin, dass Frauen nicht immer unterdrückt oder das „schwache“ Geschlecht waren, sondern – wie auch die moderne Forschung belegt – erst ab einem bestimmen Zeitpunkt der Entwicklung der Menschheit die Unterdrückung der Frauen beginnt und nach einer langen Periode systematische Formen annimmt.

Kurz zusammengefasst: Frauenunterdrückung gab es nicht schon immer und ist auch nichts Natürliches. Erst als Menschen sesshaft wurden und anfangen, mehr zu produzieren, als sie ein Mehrprodukt erzeugten und sich Privateigentum herauszubilden beginn, fing das Problem an. Dies passierte zur Zeit der Jungsteinzeit. Während es vorher Stammesgemeinschaften gab, bei denen es auch keine unterdrückerische geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gab, veränderten sich in dieser Zeit die Strukturen des Zusammenlebens. Denn mit dem entstehenden Privatbesitz an Grund und Boden setzten sich auch patriarchale Vererbungsstruktur, systematische Ausbeutung und Unterdrückung durch (Sklaverei, Unterdrückung der Frau).

Damit die Vaterschaft gesichert und das väterliche Erbe auf die eigenen, leiblichen Kinder übergehen konnte, musste die Frau monogam leben. Im Laufe der Zeit, also über die Sklavenhaltergesellschaften der Antike hin zum Feudalismus verfestigten sich diese Strukturen und wurden gemäß der jeweils vorherrschenden Produktionsweise modifiziert. So wurde beispielsweise im feudalen Europa die Unterdrückung der Frau durch das Christentum ideologisch unterfüttert.

Der Kapitalismus hat das schon bestehende Unterdrückungsverhältnis den Erfordernissen der Ausbeutung der Lohnarbeit angepasst. Die herrschende Klasse profitiert von der Frauenunterdrückung und ihr System ist eng mit ihr verwoben. Beispielsweise ist die Familie erhalten geblieben, auch wenn sich ihre Funktion für die arbeitende Klasse gewandelt hat. Im bäuerlichen Haushalt der Feudalzeit war sie auch Ort der Produktion – der notwendigen Lebensmittel für die Familien der Bauern und Bäuerinnen wie des Überschusses, des Mehrprodukts für den Grundherrn, dessen Familie und Hofstaat. Dies wurde aber aufgrund der Industrialisierung überflüssig, da die LohnarbeiterInnen über keine eigenen Produktionsmittel verfügen, sondern ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen mussten und bis heute müssen. Dennoch blieb die Familie bestehen, denn im Kapitalismus dient sie dazu, die Arbeitskraft zu reproduzieren, die im Haushalt vor allem von den Frauen ohne Entlohnung erledigt werden muss. Zugleich werden über die Familie und die ihr zugrunde liegende Arbeitsteilung nach Generationen und Geschlechtern auch gleich die sozialen Rollen vermittelt.

Unterschiedliche Interessen

Insgesamt ist wichtig herauszustreichen, dass zwar alle Frauen von Unterdrückung betroffen sind, aber wie und wie stark das der Fall ist, hängt von ihrer Klassenzugehörigkeit ab. So sind die Frauen der Bourgeoisie auch Angehörige der ausbeutenden Klasse – und haben somit ein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und ihrer damit verbundenen Privilegien. Die Frauen aus dem Kleinbürger_Innentum und den Mittelschichten nehmen – wie diese Klassen selbst – eine widersprüchliche Stellung ein. Einerseits sind sie viel härterer Unterdrückung ausgesetzt als die Frauen der herrschenden Klasse. Sie müssen – wie die proletarischen Frauen – Beruf und Kindererziehung unter einen Hut bringen oder werden in den halbkolonialen Ländern von ihren Männern an den Haushalt gefesselt. Während viele dieser Frauen noch vor einigen Jahrzehnten (v. a. in den westlichen Ländern) sozial aufsteigen konnten, Karriere machten und einer Gleichberechtigung nahezukommen schienen, so sind sie heute oft auch massiv von Angriffen durch Sozialabbau (Kürzungen bei Kitas, Privatisierung, …) bedroht, die ihre Unterdrückung verschärfen.

Doch ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien oder auch der Reformismus erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus, …) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer_Innen oder Akademiker_Innen (Bildungsbürger_Innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt.

Die Arbeiter_Innenklasse als Ganze hingegen hat ein objektives materielles Interesse daran, das Kapitalverhältnis und damit die innerhalb der Lohnarbeit reproduzierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wirklich zu überwinden und abzuschaffen – die proletarischen Frauen darüber hinaus auch ein brennendes, unmittelbares, subjektives. Konsequenter Antisexismus ist daher notwendigerweise Teil des revolutionären Klassenkampfes des Proletariats, weil er die Ausbeutung abschafft und die Produktion um der Reproduktion des unmittelbaren Lebens der Produzent_Innen willen umgestaltet, statt sie auf die Mehrarbeit für den Reichtum der Ausbeuterklasse auszurichten. Eine Frauenbewegung, die an die Wurzeln der Unterdrückung geht, kann nur eine proletarische, eine sozialistische Frauenbewegung sein, weil nur sie für den revolutionären Sturz des Kapitalismus, die Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse als notwendigen Schritt zu einer klassenlosen Gesellschaft eintritt.

Kurze Kritik der Feminismen

Um nicht nur gegen die Auswirkungen der Frauenunterdrückung zu kämpfen, sondern diese zu beenden, bedarf es einer Analyse ihrer Ursachen. Diese ist besonders wichtig, da wir aus ihr Schlüsse ziehen können, mit welchen Mitteln wir gegen Sexismus kämpfen müssen. Deswegen haben wir als Marxist_Innen auch Kritik an Theorie und Programm der verschiedenen feministischen Strömungen. Auch wenn der Begriff „Feminismus“ heute im Alltagsgebrauch oft mit „Gleichberechtigung der Frauen“ gleichgesetzt wird (und in diesem Sinn alle Menschen, die für diese kämpfen als „feministisch“ betrachtet werden könnten), so unterscheiden sich die verschiedenen feministischen Theorie untereinander wie auch von einem marxistischen Verständnis der Frauenunterdrückung erheblich.

Zweifellos haben verschiedene feministische Theorien und Bewegungen zum Kampf um Gleichberechtigung viel beigetragen und wir unterstützen diese. Aber wir halten Teile ihrer Schlussfolgerungen wie die Methode ihrer Analysen für politisch falsch und glauben, dass die Kampfmittel nicht ausreichend sind, um an das gemeinsame Ziel zu kommen. Um dies zu skizzieren, setzen wir uns kurz mit einigen feministischen Strömungen auseinander, denn ähnlich wie z. B. beim „Antifaschismus“ gibt es viele unterschiedliche Strömungen, die oftmals unter einem Begriff zusammengeworfen werden.

Am deutlichsten wird das beim bürgerlichen Feminismus. Dieser beschränkt sich heute in seinen Forderungen meist darauf, Frauen das gleiche Recht einzuräumen wie Männern. Dabei fokussiert er sich aber überwiegend auf die Bedürfnisse von Frauen aus der herrschenden oder kleinbürgerlichen Klasse. Dies zeigen beispielsweise Institutionen wie Womens20, die im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg tagte. Dort sprachen Frauen wie Ivanka Trump, Angela Merkel und Vertreterinnen von Firmen und diskutierten, wie die „Förderung von weiblichem Unternehmertum sowie Zugang zu Kapital- und Finanzdienstleistungen für Frauen“ praktisch aussehen kann. Dass dies nur zur Verbesserung der Lage von Frauen beträgt, die aus gehobeneren Schichten kommen, sollte klar sein.

Der radikale Feminismus, der in der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren entstand, beanspruchte hingegen ähnlich wie heute der Queer-Feminismus, die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst in Frage zu stellen. Für beide liegt die Wurzel der Frauenunterdrückung allerdings nicht in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Klassengesellschaft. Der Radikalfeminismus erblickt sie in einer allenfalls neben/quer zu dieser verlaufenden, überhistorischen Unterdrückung der Frauen durch die Männer aller Klassen. Der Queer-Feminismus und die dekonstruktivistischen Theorien erblicken die Ursache der Unterdrückung im Diskurs, in einer „heteronormativen Matrix“. Demzufolge bilden nicht die materiellen Verhältnisse (geschlechtsspezifische Arbeitsteilung) die Ursache der Frauenunterdrückung, sondern es sind vielmehr sexistische Ideologien, Vorstellungen, Sprechweisen, Diskurse, die zu Machtverhältnissen und Unterdrückung führen. Daher unterscheidet sich auch das Programm der Befreiung grundlegend. Während Marxist_Innen erkennen, dass Sexismus und Heteronormativität – wie jede reaktionäre Ideologie – nur dann endgültig verschwinden können, wenn ihre materielle Grundlage beseitigt ist, so erblickt der Queerfeminismus im Kampf um diskursive Deutungen den Kern der Auseinandersetzung. Dieser unterschiedlichen strategischen Ausrichtung entsprechen verschiedene Klassenstandpunkte. Der Queerfeminismus (und vor ihm der Radikalfeminismus) bringt jenen des Kleinbürger_Innentums und der Mittelschichten zum Ausdruck, der Marxismus jenen der proletarischen Frauen wie der gesamten Arbeiter_Innenklasse.

Ein heute eher marginales Dasein fristet der „sozialistische Feminismus“. Dieser versuchte in den 1970er Jahren, Feminismus und Marxismus zu verbinden und stellte zweifellos die linkeste Strömung innerhalb des Feminismus dar. Doch auch dieser war nicht in der Lage, die Schwächen v. a. des radikalen Feminismus zu überwinden, sondern kombinierte sie auf theoretischer Ebene nur mehr oder weniger zusammenhangslos mit marxistischen Vorstellungen (siehe beispielhaft den Artikel zur Debatte um „Lohn für Hausarbeit“ in dieser Ausgabe).

Aber was für einen Antisexismus brauchen wir dann?

Wir kämpfen für eine internationale, multiethnische, proletarische Frauenbewegung, die sich weltweit vernetzt und ihre Kämpfe mit einer antikapitalistischen Perspektive verbindet. Dabei sagen wir klar, dass es einen gemeinsamen Kampf von arbeitenden Frauen und Männern braucht. Das leitet sich daraus ab, dass die Angehörigen der Arbeiter_Innenklasse ein gemeinsames historisches Interesse haben, den Kapitalismus zu stürzen – im Gegensatz zu Frauen aus der Bourgeoisie, aber auch aus dem Kleinbürger_Innentums und den Mittelschichten. Daneben kann nur ein gemeinsamer Kampf, also beispielsweise Streiks, Demonstrationen genügend Druck auf- und bestehende Spaltungsmechanismen langsam abbauen. Dafür einzutreten, bedeutet aber auch einen konsequenten Kampf gegen Sexismus, Chauvinismus und Machismus in der Arbeiter_Innenklasse selbst zu führen.

Dies geht in einem gemeinsamen Kampf besser. Wir wissen aber auch, dass „die Männer“ in den Gewerkschaften, im Betrieb und nicht zuletzt in der „Partner_Innenschaft“ nicht ohne Druck auf ihre Privilegien verzichten werden. Ein Mittel sind dazu verpflichtende antisexistische Reflexionsrunden, Awarenessteams auf Veranstaltungen und die Schaffung von Strukturen, bei denen man übergriffiges Verhalten melden kann. Für Frauen bedarf es des Rechts auf Schutzräume, in denen man sich gesondert treffen kann, gezielter politischer Förderung und einer Entlastung von technischen Aufgaben.

Darüber hinaus ist Aufgabe einer internationalen, multiethnischen, proletarischen Bewegung, die unterschiedlichen Probleme, die Frauen auf der Welt haben, zu thematisieren und eine Perspektive für alle aufzuwerfen: ob nun von der Muslima, die das Recht hat, ihren Glauben so zu praktizieren, wie sie es möchte, über schwarze Frauen, die nicht länger der massiven Polizeigewalt und rassistischen Angriffen in den USA ausgesetzt sein wollen bis hin zur pakistanischen Arbeiterin, die nicht länger für einen Hungerlohn arbeiten will.
Egal ob für geflüchtete Frauen, lesbische, bi-, trans- oder asexuelle oder Frauen aus Halbkolonien oder Industrienationen: Aufgabe ist es, für die unterschiedlichen Situationen die Gemeinsamkeiten in der sexistischen Unterdrückung herauszustellen, aber auch die Unterschiede aufzuzeigen, und wie sie mit der Unterdrückung, die man als Frau erfährt, sowie mit anderen Faktoren zusammenhängen. Betrachtet man dies genauer, kommt heraus, dass überall auf der Welt Frauen mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind.

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun überall auf der Welt Frauen wählen dürfen (dass dies z. B. in Saudi-Arabien nur für Kommunalwahlen gilt, wird außer Acht gelassen), haben Frauen vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. In der gleichen Situation befinden sich auch alle Frauen, die sich auf der Flucht befinden und deswegen an ihrem Aufenthaltsort nicht die Staatsbürger_Innenrechte in Anspruch nehmen können. Insgesamt sorgt das dafür, dass Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt und durch ihre Isolation entmündigt werden. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zu Hause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von dem Partner oder der Familie. Dort wo dies nicht gegeben ist, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, eben jene in unsere Reihen aufzunehmen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter_Innenklasse sind, ähnlich wie Arbeitslose.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär_Innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich körperlich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zum Mann. Der Lohnunterschied manifestiert a) die Rolle der Frau in der Familie, denn wenn sie weniger verdient, ist sie es, die „natürlich“ zu Hause bleibt, um auf Kinder oder pflegebedürftige Personen aufzupassen; b) die Abhängigkeit vom Partner. Dadurch werden Frauen auch „leichter“ aus der Arbeit gedrängt oder noch stärker in prekäre, schlecht bezahlte Arbeit oder Teilzeitjobs. Deswegen müssen wir gemeinsam dafür kämpfen, dass es keine Spaltung innerhalb der Arbeiter_Innenklasse durch Geschlecht oder Nationalität gibt. Denn diese fördert die Konkurrenz und Abstiegsängste untereinander und schwächt somit auch die gemeinsame Kampfkraft. Daher treten wir für gleiche Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen ein, um die Auswirkungen der Konkurrenz wenigstens zurückzudrängen!

3, Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner_Innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass Frauen selbstständig entscheiden können, was sie tragen oder ob sie schwanger werden/bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder reine Gewalt aufgrund des Geschlechtes wie bei Femiziden: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig! Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem ist und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär_Innen behaupten. Für uns ist klar: Es gibt keine Religion, die mehr oder weniger böse ist als andere Religionen. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen. Doch essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees im Schulterschluss mit anderen Unterdrückten aufzuwerfen ähnlich wie die Gulabi-Gang, nur demokratisch organisiert, also mit direkter Wähl- und Abwählbarkeit und in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass man Frauen nicht als passive Opfer darstellt, sondern ihnen auch die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist die Forderung nach Selbstverteidigungskomittees für Marxist_Innen wichtig, denn es bedeutet, keine Hoffnung in Polizei oder Militär zu setzen und ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol bzw. gegenüber dem des bürgerlichen Staates allgemein zu schaffen.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung -und mit ihr die Stereotype beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Dies kann dann beispielsweise in Form von Kantinen oder Waschküchen ablaufen, an denen sich beispielsweise alle aus dem Bezirk beteiligen. Dadurch muss man dann nicht jeden Tag kochen oder jede Woche Wäsche waschen und es wird klar, dass eben diese Aufgaben nicht nur reine „Frauensachen“ sind. Im Kapitalismus findet so was nicht statt (oder nur in Ausnahmesituationen wie Kriegen), da kein Interesse herrscht, die Kosten für die Reproduktion staatlich zu organisieren.

Wie kommen wir zu so einer Bewegung?

Wie bereits geschrieben, erleben wir in der aktuellen Situation international viele Kämpfe. Ein Weg, bestehende Kämpfe zusammenzuführen, bedeutet, Solidarität zu zeigen. Dabei hat diese viele Ebenen: So ist es beispielsweise positiv, dass das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in Berlin immer Redner_Innen aus anderen Ländern wie Polen oder Irland die Möglichkeit gibt, zu reden und darüber hinaus die Proteste sichtbar zu machen durch beispielsweise eigene Demoblöcke. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Doch dabei dürfen wir es nicht belassen. Solidaritätsbekundungen sind gut, Solidaritätsaktionen sind besser! Diese sorgen nämlich dafür, dass das Bewusstsein, dass wir zusammen kämpfen müssen, um erfolgreich zu sein, steigt.

Damit diese nicht nur den Kreis an Menschen erreichen, der sich eh schon für die Thematik interessiert, ist es wichtig, Antisexismus auch an den Orten, an denen wir uns tagtäglich bewegen müssen, zu thematisieren: also den Schulen, Universitäten und Betrieben. Dies kann durch Veranstaltungen oder Vollversammlungen passieren. Geschieht das Ganze im Zuge einer Aktion, so ist es wichtig, im Zuge deren Aktions- und Streikkomitees zu gründen, damit jene, die aktiv bleiben wollen, sich koordinieren und ihren Protest demokratisch organisieren können. Daneben macht es Sinn aufzuzeigen, wo gemeinsame Berührungspunkte bestehen, und Kämpfe miteinander zu verbinden. Denn der Kampf gegen repressive Abtreibungsgesetze in Argentinien hat die gleichen Ursachen wie die in Polen, El Savador, Irland oder Deutschland. Damit mehr Berührungspunkte aufkommen, macht es auch Sinn, solche Diskussionen mit Problemen, die vor Ort existieren, zu diskutieren wie beispielsweise sexistische Übergriffe oder Bemerkungen oder mangelnde Debatte über Abtreibungsaufkärung. Doch damit eine Bewegung erfolgreich wird, ist es wichtig, bereits existierende Organisationen zu beteiligen. In Deutschland wären das Gewerkschaften, die SPD oder Linkspartei, also Organisationen, die eine Anbindung zur Arbeiter_Innenklasse haben. Dabei bedeutet Beteiligung nicht nur, dass man unter einem Demoaufruf steht, sondern offen die eigene Mitgliedschaft zu Aktionen mobilisiert und diese motiviert, Aktions- und Streikkomitees aufzubauen. Alles andere ist halbherzig. Damit das passiert, müssen wir Druck ausüben und Organisationen offen dazu auffordern. Um den Protest international zu verbinden, braucht es darüber hinaus Aktionskonferenzen, ähnlich der Weltsozialforen, wo Organisationen zusammenkommen und gemeinsam über die Programmatik, Forderungen und gemeinsame Aktionen diskutieren. Denn nur wenn wir eine Bewegung sind, die ihre Basis auf der Straße hat und nicht nach einem Tag verschwunden ist, können wir unsere Forderungen durchsetzen. Schließlich und nicht zuletzt braucht es eine revolutionär-kommunistische Frauenbewegung als Sammlung der Arbeiter_Innenavantgarde, als Struktur der und in Verbindung mit einer neuen revolutionären Weltpartei der Arbeiter_Innenklasse – der (aufzubauenden) Fünften Internationale!




Sri Lanka und die Lage der Frauen

Jonathan Frühling, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Sri Lanka ist eine Insel mit rund 20 Millionen Einwohner_Innen vor der Südostküste Indiens mit einem nominalen Bruttoinlandsprodukt von gut 80 Mrd. US-Dollar. Nur 1,9 % der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Sri Lanka gehört angesichts dieser wirtschaftlichen Kennziffern nicht zu den ärmsten Ländern der Welt, gerade wenn man die Lage der Bevölkerung mit Ländern wie Indien, Pakistan oder Bangladesch vergleicht. Problematisch ist allerdings die Jugendarbeitslosigkeit von ca. 20 %. Mit 18,4 % Stadtbevölkerung ist das Land nach wie vor sehr agrarisch geprägt. Sri Lanka ist ein multiethnischer Staat, in dem alle großen Weltreligionen aufeinandertreffen. Der Buddhismus kann mit über 70 % am meisten Gläubige zählen, gefolgt vom Hinduismus (12,6 %), dem Islam (9,7 %) und dem Christentum (7,4 %). Die Lebenserwartung ist in den letzten 68 Jahren von 55 auf 75 Lebensjahre gestiegen.

Regierungskrise in Sri Lanka 2018/19

 Zuletzt war das Land in den Schlagzeilen, weil es eine wochenlange Regierungskrise gab. Der Präsident Sirisena hatte den von USA und Indien unterstützten Premierminister Wickremesinghe von der UNP (United National Party; Vereinte Nationalpartei) entlassen und stattdessen den china-freundlichen und rechten Politiker Rajapaksa von der SLPP (Sri Lanka Podujana Peramuna; Sri-Lankische Volksfront) eingesetzt und das Parlament suspendiert. Diese Regierungskrise machte deshalb die Rivalität, die zwischen China und USA in Bezug auf die Einflussnahme in Sri Lanka herrscht, deutlich. China weitet seinen Einfluss auf Sri Lanka aus. Seit 2007 macht es Rahmen seiner „Neuen Seidenstraße“ zu einem wichtigen Handelsstützpunkt. Z. B. hat es einen großen Hafen auf Sri Lanka finanziert. Später wurde ihm dieser auf 99 Jahre verpachtet, weil Sri Lanka den gewaltigen Kredit nicht abbezahlen konnte.

Die Regierungskrise wurde vorerst gelöst, indem der Präsident den alten Premierminister auf Druck des Parlaments hin wieder eingesetzt hat. Trotz dieser Lösung der Krise wurde verständlicherweise dem Glauben an die Berechtigung des politischen Systems in der Bevölkerung nachhaltig geschadet, z. B. wurde das Amt des Präsidenten diskreditiert. Außerdem wurde die Wirtschaft durch die Krise erschüttert, da die Währung an Wert verlor, die Zinssätze angehoben wurden und der Tourismus zurückging.

Trotz der undemokratischen Absetzung Wickremesinghes, die wir angreifen müssen, darf er von uns nicht politisch unterstützt werden. Er ist ein bürgerlicher Politiker unter dem sich seit seiner Einsetzung als Regierungschef 2015 die wirtschaftliche Lage beispielsweise durch Privatisierungen immer weiter verschlechtert hat. Rajapaksa dagegen stellt eine starke reaktionäre Kraft dar, die sich auch auf bewaffnete faschistische Banden stützt. Übernimmt er die Macht, sind vermehrte Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse, die zum Teil gegen Wickremesinghes Sparmaßnahmen kämpft, sehr wahrscheinlich. Auch die ethnischen und religiösen Minderheiten haben von seiner nationalistischen Politik nichts zu erwarten. Beide repräsentieren Spielarten bürgerlicher Politik, die ein halbkoloniales Land wie Sri Lanka nicht voranbringen kann.

Wirtschaftliche Lage von Frauen

Insgesamt ist der Anteil an Frauen, die keiner bezahlten Beschäftigung nachgehen, mit 69 % recht hoch. Dabei sind 25 % der erwerbstätigen Frauen im formellen, 57 % im informellen Sektor tätig, was zeigt, wie unsicher ihre wirtschaftliche Situation ist. Außerdem verdienen sie meistens sehr viel schlechter und müssen zudem oft deutlich länger arbeiten als ihre männlichen Kollegen, weil ihre Arbeit weniger entlohnt wird. An den Universitäten machen sie etwa die Hälfte der Studierenden aus. Allerdings gehen sie selten in die Politik und müssen ihre Jobs aufgeben, sobald sie Kinder bekommen. Auch müssen sie Missbrauch und Belästigungen ertragen, wenn sie in ihrem Beruf weiter kommen wollen, sehr ähnlich, wie es die #MeToo-Kampagne in der westlichen Welt offenbarte.

Frauen stellen in der Tee-, der Textilproduktion und unter den im Ausland arbeitenden Sri Lanker_Innen die meisten Beschäftigten. Obwohl dies die wichtigsten Wirtschaftszweige sind, sind Bezahlung und Arbeitsbedingungen in allen dreien sehr schlecht. Außerdem sind sie oftmals als Haushälterinnen auf der arabischen Halbinsel besonderer Unterdrückung ausgesetzt. Auf den Teeplantagen gab es sogar 2018 einen Generalstreik für eine 100%ige Lohnerhöhung. Allerdings fokussieren sich die Gewerkschaften leider nicht auf die Branchen mit hohem Frauenanteil.

Gewalt gegen Frauen

Häusliche Gewalt ist seit 2005 (!) verboten und trotzdem kommt es häufig zu physischen Übergriffen von Männern gegen ihre Frauen. Diese Verbrechen werden in der Gesellschaft toleriert bzw. akzeptiert. Die Vergewaltigung in der Ehe ist nicht verboten und wird als „eheliches Recht des Mannes“ verstanden. Der staatliche Schutz ist mangelhaft. Oft sind die Frauen bei einer Anzeige weiteren Belästigungen durch die Polizei ausgesetzt. Mehr noch: Im von 1983 bis 2009 andauernden Bürger_Innenkrieg im Norden des Landes war das Militär oft selbst in Gewaltverbrechen gegen Frauen verwickelt und ist es bis heute, da dort immer noch eine erhöhte militärische Präsenz zu verzeichnen ist. Auch die Prostitution hat in und seit dem Bürger_Innenkrieg dadurch und durch die katastrophale Situation der Bevölkerung zugenommen. Traumatisierung und übermäßiger Alkoholkonsum infolge des Bürger_Innenkriegs hat auch zu einer Zunahme der häuslichen Gewalt beigetragen. Zudem sind Frauen in Haft von Vergewaltigung, Erniedrigung und Missbrauch bedroht. Es sind Fälle belegt, in denen Aktivist_Innen entführt und gefoltert worden sind und erst nach Lösegeldzahlungen wieder freikamen.

Welche Perspektive?

Das alles zeigt uns, dass Gewalt gegen Frauen in Sri Lanka weit verbreitet ist und die Täter fast immer straflos davonkommen. Der Staat ist bei der Aufklärung und Bekämpfung keine Hilfe, sondern durch Militär, Polizei und Gerichte oft selbst in Misshandlung, Menschenhandel, Prostitution und Vergewaltigung verwickelt und deckt sie. Nur wenn die fortschrittliche Bevölkerung sich erhebt und durch Solidarität mit den Betroffenen Druck auf die Regierung ausübt, kann man sie dazu zwingen zu handeln. Das beweist der Fall einer 18-jährigen Schülerin, die vergewaltigt und ermordet wurde. Erst aufgrund großer Proteste wurde ein Prozess gegen die Täter geführt. Eine revolutionäre Politik in Sri Lanka müsste sich die Ausweitung und Durchsetzung der Rechte der Frau auf die Fahne schreiben.

Die Bewegung müsste sich aber auch für die Erhaltung und Ausweitung der beschränkten demokratischen Möglichkeiten einsetzen, wie die letzte Regierungskrise gezeigt hat. Außerdem muss die Macht von Militär und Polizei gebrochen und müssen die ethnischen und religiösen Konflikte überwunden werden. Das kann nur einer sozialistische Arbeiter_Innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung in Kombination mit einer revolutionären Partei tun. Sie muss den Bauern und Bäuerinnen zu Land und den Arbeiter_Innen zur Kontrolle über die und letztlich Aneignung der Produktionsmittel verhelfen. Diese Politik muss aber auch einen internationalistischen und antiimperialistischen Charakter tragen und sich gegen die imperialistische Einflussnahme z. B. Chinas und der USA richten.

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/asien-pazifik/sri-lanka/sri-lanka-situation-der-frauen.pdf




Frauenvolksbegehren: Ein Weg zur Emanzipation?

von Aventina Holzer, Revolution Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Das Frauenvolksbegehren wurde in Österreich zur Abstimmung vorgebracht und sammelte letztes Jahr 481.959 Stimmen. Es beinhaltet viele positive Forderungen: von der schrittweisen Einführung einer 30-Stundenwoche über den Ausbau von Kinderbetreuung und Abtreibung mit vollständiger Kostenübernahme durch die Krankenkasse bis zur Anerkennung von frauenspezifischen Fluchtgründen. Wir befürworten daher die Unterstützung dieses Volksbegehrens. Gleichzeitig haben wir auch Kritik an dem Verfahren, denn aktuell sieht es so aus, dass die Initiative im Nichts zu verpuffen droht. Die Frage ist deshalb für Kommunist*innen, wie man sich in diesem Spannungsverhältnis zwischen (großteils) fortschrittlichen Forderungen und gleichzeitig sehr gemäßigter Politik verhalten soll. Kann ein Volksbegehren überhaupt etwas bezwecken? Wir möchten an dieser Stelle eine seiner kontroversen Forderungen und die nötigen Perspektiven zur Frauenbefreiung diskutieren.

Quoten als Lösung?

Gerade Kommunist*innen stehen für die Gleichberechtigung von Frauen ein, aber unsere konkreten Forderungen unterscheiden sich dennoch vom Frauenvolksbegehren. Hier wird gefordert, dass die Hälfte aller Wahllisten und Vertretungsgremien der politischen Interessensvertretungen und der Sozialpartnerschaftsinstitutionen von Frauen besetzt wird. Zusätzlich sollen innerhalb der Kontroll- und Leitungsgremien von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften dieselben Kriterien erfüllt werden. Die Begründung ist, dass Frauen einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen, dieser aber wenig in den Institutionen widergespiegelt wird. In einer repräsentativen Demokratie wäre das aber dringend notwendig. Deswegen müssten also Quoten sich dieser Aufgabe der gleichberechtigten Vertretung annehmen.

Es ist in den allermeisten Fällen egal, ob die Person, die uns ausbeutet, ein Mann oder eine Frau ist. Die Frauenbewegung sollte sich nicht an der Verwaltung des Kapitalismus beteiligen. Deshalb fordern wir die Verstaatlichung der Betriebe unter Kontrolle der Arbeiter*innen. Wir wollen nicht „politisch korrekt“ unterdrückt werden, sondern die Unterdrückung ganz abschaffen.

Aber natürlich ist das nicht die alleinige Antwort auf die Forderung nach Quoten. Speziell in den Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse, also Gewerkschaften oder politischen Organisationen, ist Quotierung wichtig. Denn auch die fortschrittlichste Bewegung ist nicht frei von Sexismus und anderen Unterdrückungsmechanismen. Um das tatsächliche Potenzial der Gruppen auszuschöpfen, müssen Frauen (und auch andere unterdrückte Gruppen) gemessen an ihrem Mitgliederanteil in Gremien vertreten sein. Eine Quote, kann dabei ein Mittel sein, um die Repräsentation von Frauen zu erhöhen. Daneben müssen wir aber auch, um die Beteiligung von gesellschaftlich Unterdrückten zu fördern, diese gezielter schulen und fördern, von technischen Aufgaben befreien, ihnen das Recht auf einen selbstbestimmten Schutzraum (Caucus) geben. Zudem müssen auch Menschen, die nicht unterdrückt werden wie Männer, in die Verantwortung gebracht werden, über ihre Sozialisierung zu reflektieren.

Insofern sehen wir den Anspruch des Frauenvolksbegehrens in dieser Frage als berechtigt an, halten aber die Lösung nicht für ideal. Die Frage von Quotierung muss mit einem klaren Klassenstandpunkt verbunden werden. Sonst dient diese im Endeffekt nicht mehr den arbeitenden Frauen, sondern einem (weiblichen besetzten) Teil des Kapitals. Es wird nämlich der tatsächliche Ursprung (oder zumindest Reproduktionsmechanismus) für Ungleichheit verschleiert: das kapitalistische Wirtschaftssystem. Deshalb muss man für tatsächliche Gleichberechtigung auch erstmal eine neue ökonomische Basis schaffen und das jetzige Wirtschaftssystem hinter sich lassen.

Aber es muss auch klar sein, dass – egal wie sehr wir kämpfen – uns unsere Rechte jederzeit wieder weggenommen werden können. Der Kapitalismus als Ursache der Frauenunterdrückung muss überwunden werden. Und das geht nur als kämpfende Bewegung der Arbeiter*innenklasse. Viele der Punkte im Frauenvolksbegehren müssen essentielle Forderungen einer solchen Bewegung sein, die auf ihre eigene Stärke vertraut statt auf den bürgerlichen Staat. Aber leider bricht der kleinbürgerliche Charakter des Frauenvolksbegehrens doch immer wieder mit den Interessen der Arbeiter*innenklasse. Deshalb müssen wir die Menschen überzeugen, einen Schritt weiterzugehen. Denn echte Frauenbefreiung wird es erst geben, wenn die Dystopie des „freien Marktes“ endlich auf dem Müllhaufen der Geschichte landet.

Was bezwecken Volksbegehren?

Ein erfolgreiches Volksbegehren hat als solches genommen nicht viel mehr Konsequenzen, als dass im Nationalrat darüber diskutiert werden muss. Dies ist auch passiert, mit äußerst geringer Beteiligung und keinem Interesse daran, irgendwelche der Forderungen umzusetzen – nicht verwunderlich, schließlich ist die Regierung blau-schwarz. Der wesentlichere Output kann eben deswegen nur sein, eine gesellschaftliche Diskussion über die Themen zu eröffnen und dadurch eine Bewegung auf der Straße, in den Gewerkschaften und Betrieben anzustoßen, die den gesellschaftlichen Druck erzeugen kann, damit die Forderungen auch wirklich erzwungen werden können. Denn was der Kampf für Gleichberechtigung im letzten Jahrhundert gezeigt hat ist, dass diese nicht einfach vom Himmel fällt, sondern hart erkämpft werden muss.

Deshalb müssen wir auch klar machen, dass dieses Frauenvolksbegehren zu keinen positiven Verbesserungen führt, wenn es sich nicht seiner selbstgesetzten Einschränkungen entledigt. Aktuell ist es rein auf ein formales Mittel der „direkten“ Demokratie im österreichischen Staat ausgelegt. Dabei ist sehr einfach zu durchschauen, dass eine strategische Ausrichtung alleine darauf vollkommen verheerend sein kann. Die vielen Unterstützer*innen, die sich in den letzten Monaten engagiert haben, müssen erkennen, dass ihr Engagement nicht einfach nur für eine gute Medienaktion draufgehen sollte. Vielmehr muss das Frauenvolksbegehren mit realer Mobilisierung auf der Straße verbunden werden sowie eine Auseinandersetzung in den Organisationen der Arbeiter*innenbewegung bewirken. Die Mehrheit im Nationalrat wir nicht im Traum daran denken, die Inhalte des Volksbegehrens durchzusetzen. Wir müssen sie dazu zwingen. Das geht letztlich nur durch eine Bewegung auf der Straße, die ihre Wurzeln in Streikkomittees in Schulen, Universitäten und Betrieben hat!




Österreich: ein Jahr Schwarz-Blau

von Arbeiter*innenstandpunkt, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Vor einem Jahr, am 15. Dezember 2017, wurde die aktuelle ÖVP-FPÖ-Regierung angelobt. Kanzler und Vizekanzler nahmen das und ihre bisherigen Reformen vor kurzem zum Anlass für einträchtiges Eigenlob. Doch Reformen sind nicht immer gut – immer und überall lautet die Frage: „Wem nützt das?“

Dass die schwarz-blaue Politik zugunsten der Reichen und der Kapitalist*innen und auf Kosten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und sozial Schwächeren betrieben wird, haben wir in unseren Analysen zum Regierungsprogramm ausreichend dargelegt (zuletzt in der jüngsten Ausgabe unseres Theoriejournals „Revolutionärer Marxismus“ Nr. 50). So ist das zentrale Vorhaben der Senkung der Abgabenquote in letzter Konsequenz eine große Umverteilung von unten nach oben, wie eines der zentralen Projekte, der Familienbonus, zeigt. Das wird natürlich begleitet von Einsparungen, die vor allem jene treffen, die sich schlechter dagegen wehren können: die Arbeitslosen (AMS-Budgets, Haushalte des Arbeitsmarktservices), die Frauen (Förderungen von Frauenvereinen), die Geflüchteten (Integrationsmaßnahmen, Mindestsicherung), die Lehrlinge (Ausbildungsbeihilfe) etc. Zusätzliche Maßnahmen zur „Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ treffen direkt die Kernschichten der Arbeiter*innenklasse, hier besonders die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf täglich 12 (wöchentlich 60) Stunden. Auch muss man festhalten, dass diese Politik unter kontinuierlichen rassistischen Vorstößen gegen Geflüchtete betrieben wird und die Möglichkeiten staatlicher Repression, insbesondere der Überwachung, ausgebaut werden.

„Der rot-weiß-rote Reformzug wird 2019 mit demselben Tempo unterwegs sein“, verkündet Bundeskanzler Sebastian Kurz feierlich. Dabei rückt er natürlich vor allem eines seiner „Prestigeprojekte“ in den Vordergrund – die Steuerreform. Dazu soll es Mitte Jänner eine Regierungsklausur geben. Im April soll ein passender Budgetrahmen geschaffen und im Oktober das entsprechende Doppelbudget beschlossen werden. Diese Steuerreform, geplant für 2020, muss als wesentlicher Teil der Abgabenquotensenkung verstanden werden. Auch wenn Kurz hier die Entlastung für kleinere und mittlere Einkommen ankündigt, sollte man sich keine Illusionen darüber machen, wem diese Reform tatsächlich nützen soll. Vermutlich wird sich innerhalb eines Gesamtpakets die schon angekündigte Halbierung der Körperschaftssteuer (Steuer auf Unternehmensgewinne) auf nicht entnommene Gewinne finden. Nicht unwahrscheinlich wäre auch eine Senkung des Höchststeuersatzes oder eine Reduktion der Steuerprogression.

Auf eine endgültige Umsetzung wartet auch das „Arbeitslosengeld neu“, das die Arbeitslosenversicherung auf ein Hartz-IV-Modell umstellen soll. Dispute zwischen ÖVP und FPÖ über das Ausmaß des Angriffs haben das Projekt bisher verzögert. Wird die Notstandshilfe tatsächlich abgeschafft, um Arbeitslose nach einiger Zeit mit Vermögenszugriff in die Mindestsicherung zu schicken, dann wäre das ein bedeutender Angriff nicht nur auf die Arbeitslosen, sondern auch auf die Arbeiter*innenklasse. Auf sie würde dadurch ein stärkerer Druck zur Hinnahme schlechterer Arbeitsbedingungen ausgeübt.

Es stehen also durchaus noch bedeutende politische Auseinandersetzungen bevor und weitere sind zu erwarten. Immerhin stellt sich die Frage, wie die Regierung ihr Ziel eines anhaltenden Nulldefizits garantieren möchte. Für das Budget 2018/19 war es vor allem die gute Konjunktur, die trotz Einsparungen mehr Einnahmen brachte. Aber die Spielräume für 2020/21 werden sich deutlich verengen. In ihrer gesamtwirtschaftlichen Prognose 2018 hatte die Österreichische Nationalbank schon ein Abflauen des Wachstums von + 3,1 % (2018) auf + 2,1 % (2019) und + 1,7 % (2020) konstatiert. Nun wurde aufgrund einiger Revisionen innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung jenes für 2018 auf + 2,8 % korrigiert. Im kommenden Doppelbudget wird die Regierung also wohl auch zu zusätzlichen relevanten Sparmaßnahmen greifen, noch dazu da für Ende 2019 eine Pflegereform zur langfristigen Finanzierung angekündigt wurde – und die wird vermutlich nicht billig. Womöglich wird deshalb, obwohl noch nicht angekündigt, das Pensionssystem zur neuen Zielscheibe erklärt.

Trotz der offen unsozialen, neoliberalen, rassistischen und autoritären Regierungspolitik scheint das politische Kräfteverhältnis in Österreich seit Anfang der Legislaturperiode zwar nicht gänzlich unverändert, aber auf jeden Fall unerschüttert. In den regelmäßigen Wahlumfragen zeigt sich, dass die Stimmenverhältnisse von ÖVP, SPÖ und FPÖ seit den Wahlen ungefähr gleich geblieben sind. Der rechtskonservative Block ist also durchaus in der Lage, einen großen Anteil der österreichischen Bevölkerung ideologisch für seine politische Agenda zu gewinnen. Das bedeutet auch, dass der Widerstand einen langen Atem haben muss. Vor allem braucht er aber ein politisches Programm, mit dessen Hilfe der Charakter dieser Regierung entlarvt werden, das die Spaltungsmechanismen unter den Arbeitenden überwinden kann und eine Alternative zum scheinbar alternativlosen Kapitalismus aufzeigt. Nur durch ein solches entschlossenes Handeln können wir den gesellschaftlichen Rechtsruck an seinen Wurzeln bekämpfen!




Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen! – Interview mit Raquel Silva (Liga Socialista Brasilen)

Rachel Silva ist Gründungsmitglied der „Liga Socialista“ (LS, https://www.ligasocialista.com/), der brasilianischen Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, und langjährige Aktivistin der LehrerInnengewerkschaft in Juiz de Fora. Sie beteiligt sich gemeinsam mit den GenossInnen der LS an der Vorbereitung der Demonstration zum 8. März und am Aufbau eines Komitees gegen die sog. „Rentenreform“ der Regierung Bolsonaro.

Frage: Wie hat sich der Putsch gegen Dilma auf die Lage der Frauen und sexuell Unterdrückten ausgewirkt?

Seit dem Staatsstreich 2016 haben die Angriffe auf Frauen und LGBTs zugenommen, als die Anti-PT-Welle zum Sturz von Präsidentin Dilma einsetzte. Dilma Rousseff selbst hat während ihrer Amtszeit viele machistische Angriffe erlitten, von einschlägigen Schmährufen im Maracanã-Stadion zur Eröffnung der FIFA-Weltmeisterschaft 2014 bis hin zu den berüchtigten pornografischen Aufklebern für Autos, die allgemein die Frauenwürde trafen.

Nach dem Putsch nahm die konservative, Anti-PT-Welle (PT: Arbeiterinnenpartei, Ex-Regierungspartei) zu. Der moralische Konservatismus gewann viel an Bedeutung, vor allem, als das Magazin „Veja”, eine der größten Zeitschriften des Landes, Vertreterin der Bourgeoisie und Organisatorin des Putsches, einen Artikel mit der neuen First Lady Marcela Temer (Ehefrau des damaligen Präsidenten Michel Temer) veröffentlichte, in dem die Eigenschaften von „schön, bescheiden und häuslich“ hervorgehoben wurden.

Während seiner Regierung wurde das Nationale Sekretariat für Frauenpolitik in das Ministerium für Menschenrechte übertragen und aus der Gruppe der Regierungsstellen entfernt. Dies war bereits ein Angriff, da es eine Errungenschaft auflöste, die eine Eroberung des Frauenkampfes vor dem Putsch 2016 darstellte.

Frage: Welche Rolle spielen dabei die konservative Rechte und Kirchen? Welche Rolle spielte Sexismus im Wahlkampf und welchen Widerstand gab es?

Diese konservative Welle, die von den evangelikalen Kirchen sehr stark angenommen und verbreitet wurde, gewann während des Wahlkampfes um den Präsidenten der Republik mehr Raum. Die Angriffe richteten sich gegen öffentliche Schulen und LehrerInnen, denen „Ideologentum“, Linkssein und sogar Pädophilie vorgeworfen wurden. Um die PT zu schlagen, wurden gefälschte Nachrichten über ideologische Indoktrination erstellt und verbreitet, wobei der Begriff „Gender-Ideologie“ entstand, und man die Bildungspolitik der PT-Regierung als einen Versuch denunzierte, die Kinder zu lehren, „schwul“ zu sein. Lügen über Schwulenkostüme in Schulen wurden durch soziale Netzwerke und WhatsApp verbreitet. Der Konservatismus hat einen heftigen homophoben Diskurs begonnen.

Im Kampf gegen diesen Angriff, gegen die Kandidatur von Bolsonaro brachte die auf einer Facebook-Seite gestartete Bewegung #elenão („er nicht“) feministische Kämpferinnen, Unabhängige, Hausfrauen, Männer in Brasilien und in der Welt zusammen. Millionen von Menschen sind auf die Straße gegangen, um #elenão zu sagen! Es war die größte Frauenbewegung in der Geschichte Brasiliens. Die Reaktion auf die Bewegung war eine Reihe von neuen Angriffen auf FeministInnen. Gewalttaten gegen Militante, Frauen und Schwule nahmen während der Wahlperiode zu, insbesondere zwischen den Wahlgängen.

Frage: Welche Verschlechterungen, welche Angriffe drohen unter Bolsonaro auf die Frauen und LGBT+-Menschen gegenüber der bisherigen Situation?

 Nach seinem Amtsantritt im Januar 2019 ernannte Jair Bolsonaro in der Mehrheit Männer zu Ministern. Von den 22 Ministerien stehen nur zwei unter der Leitung von Frauen: die Landwirtschaft, angeführt von einer rechtsextremen Vertreterin des Agrobusiness, aus der DEM-Partei (Democratas, Demokratinnen), und das neu gegründete Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte, dessen evangelikale Ministerin einen fundamentalistischen Diskurs gegen Abtreibung führt und in der politischen Szene mit absurden Aussagen, vor allem gegen Schulen und LehrerInnen, für große Kontroversen sorgt.

Mit einem Diskurs, der an Wahnsinn grenzt, setzt sie reaktionäre und ultra-konservative Ausrufezeichen, akzeptiert keine Geschlechterfragen und will Sara Winter dem Frauensekretariat voranstellen. Sara Winter, die sagt, sie sei ex-feministisch, brach mit dem Feminismus und gründete die Gruppe FEMEN in Brasilien, die von der sonstigen Frauenbewegung abgesondert agierte. Sie führte harte Angriffe auf feministische Bewegungen mit haltlosen Beschuldigungen und verteidigt ultrakonservative Positionen in der Frauenpolitik.

Wir leben in einem Moment der Angriffe an mehreren Fronten. Im Kongress werden wir durch Versuche, Rechte wie die seit 1945 garantierte Abtreibung in Fällen von Anenzephalie, Vergewaltigung und unsicheren Schwangerschaften zu beseitigen, attackiert. Schon früher wurden wir immer wieder in Alarmbereitschaft versetzt wie im Falle eines Gesetzentwurfs des ehemaligen Abgeordneten Eduardo Cunha (PdMDB, Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens).

Anfang Februar dieses Jahres präsentierte der Kongressabgeordnete Marcio Lambre von der PSL (Sozialliberale Partei Bolsonaros) zwei Gesetze, die unsere Rechte direkt angreifen. Ein Gesetzentwurf sieht ein Abtreibungsverbot unter allen Umständen und während der gesamten Schwangerschaft vor, außer wenn ein hohes Risiko für die schwangere Frau besteht, wobei die Bestrafung von ÄrztInnen einschließlich der Aberkennung ihrer Approbation vorgesehen ist. Das andere Projekt sieht das Verbot der Vermarktung und des Vertriebs von Verhütungsmitteln, der Pille am nächsten Tag, der Spirale mit Strafe für AnwenderInnen und Herstellerfirmen vor. Nach harter Kritik zog der Abgeordnete das Verhütungsprojekt zurück und wurde darüber informiert, dass Abtreibung wegen Vergewaltigung, Todesgefahr und Anenzephalie im Strafgesetzbuch durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vorgesehen ist. Er werde den Vorschlag entsprechend ändern, es bliebe aber sein Ziel, das Voranschreiten der Möglichkeiten der Abtreibung in Brasilien zurückzudrehen.

Die Regierung Bolsonaro hat außerdem gerade dem Kongress den Vorschlag zur „Reform der sozialen Sicherheit“ (des Versicherungssystems der Sozialrenten) übermittelt. Dieser Vorschlag ist nicht nur ein harter Angriff auf die Arbeit„nehmer“Innen im Allgemeinen, sondern bedeutet auch größere Verluste für Frauen, insbesondere für Landarbeiterinnen.

Frage: Hat Gewalt gegen Frauen weiter zugenommen?

Die Gewalt gegen Frauen in Brasilien erreicht absurd hohe Zahlen: 606 Überfälle, 135 Vergewaltigungen und 12 Morde pro Tag. Alle 2 Minuten werden in Brasilien 5 Frauen geschlagen. Das sind aktuelle Zahlen, aber sie zeigen nicht die Realität, weil viele Frauen Gewalt nicht anprangern.

In Brasilien, einem Land mit hohem Macho-Anteil, haben wir jetzt einen semifaschistischen Präsidenten, der immer gewalttätige Reden gegen Frauen gehalten, sie als minderwertig eingestuft hat und argumentiert, dass Frauen weniger verdienen sollten als Männer, weil er sagt, „sie werden schwanger“. Bolsonaro wurde verurteilt, um Entschädigung an die Kongressabgeordnete Maria do Rosário Nunes der PT zu zahlen, weil er sie in den Gängen des Repräsentantenhauses verbal angegriffen hat. Er sagte dort, er würde sie nicht vergewaltigen, weil sie es nicht verdient hätte, da sie zu hässlich sei.

Frage: Wie entwickelte sich die Frauenbewegung in den letzten Jahren?

Die Frauenbewegung wuchs während der PT-Regierungen. Kollektive im Zusammenhang mit dem „Weltweiten Marsch der Frauen“, dem Marsch der Margeriten – Bewegung der Bäuerinnen (Landfrauen der Felder, Wälder und Gewässer) –, Kollektive linker Parteien wie PSTU (Vereinigte Sozialistische Arbeiterinnenpartei), PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit), PCB (Brasilianische Kommunistische Partei; moskautreu auch nach 1956).  Dies erweiterte auch die Diskussion und Organisation von Frauen in CUT und PT. Kampagnen zur Verteidigung der Legalisierung von Abtreibungen haben Unterstützung von männlichen Sektoren erhalten. Der Feminismus gewann an Stärke und wuchs auf den Straßen. Mit der Wahl von Trump folgte die feministische Bewegung in Brasilien dem weltweiten Aufruf, der im Marsch gegen Trump gestartet wurde. Gewerkschaftliche Agenden wurden in die 8.-März-Tage aufgenommen. Die Frauenbewegung und -organisation ist zu einem Hindernis für Konservative geworden und belästigt die Macho-Gesellschaft.

Die Frauenbewegung begann mit dem Putsch, der Dilma Rousseff stürzte, unsicherer zu werden. Die Angriffe wuchsen, der Diskurs gegen den Feminismus gewann die sozialen Netzwerke und die evangelikalen Gruppen zusammen mit den Kirchen trugen noch mehr zu diesem Angriff bei.

Frage: Wie kann Widerstand erfolgreich sein? Welche Politik ist dazu nötig?

Was die Kämpfe der Frauen gegen diese Angriffe betrifft, so haben wir seit den Wahlen noch nicht viel Mobilisierung erlebt. Die Erwartung ist, dass nach dem Karneval die Bewegung wächst. Der Internationale Frauenstreik, der hier von mehreren Gruppen gegen die Reform des Sozialversicherungssystems gewendet wurde, wird für den 8. März vorbereitet. Die Mobilisierung in unserer Region ist allerdings schwach. Der 8. März fällt mit der Karnevalswoche zusammen, was es sehr schwierig macht, zu handeln.  Hier in Juiz de Fora kamen die Kollektive zusammen, um die 8M-Kämpfe zu organisieren, aber es gab einen Bruch. PCB, PSOL und PSTU brachen mit den Kollektiven, die mit dem „Weltweiten Marsch der Frauen“ und der PT verbunden waren. Sie machen getrennte Aktionen.

In diesem Moment schwerer Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, insbesondere auf Frauen, müssen wir uns mit einer antisexistischen und klassenorientierten Agenda organisieren, um die Aktionen gegen die Reform der sozialen Sicherheit zu verstärken und dieser illegitimen und semifaschistischen Regierung zu begegnen.

Wir werden weiterhin für unsere Rechte kämpfen, gegen die Reform der sozialen Sicherheit, für die Entkriminalisierung der Abtreibung, für ein Ende von Gewalt und Frauenmord!




Bolsonaro an der Macht

Max Fleischer, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, März 2019

Letztes Jahr hat Brasilien gewählt. Im Januar wurde Jair Bolsonaro als Präsident Brasiliens vereidigt. Damit steht fest, dass Brasilien die nächsten Jahre von Sexismus, Rassismus, Homophobie und Neoliberalismus regiert werden wird. Bolsonaro, seines Zeichens Ex-Militär und vehementer Kämpfer für die Militärdiktatur, steht wie kein Zweiter für Neoliberalismus und Unterdrückung. Darüber hinaus sind seine Reden durchsetzt von widerlichem, hasserfülltem Vokabular. Er hetzt gegen alles, was nicht dem normativen Familienbild entspricht: „Ich hätte lieber, dass mein Sohn bei einem Autounfall stirbt, als dass er sich als homosexuell outet“, sagte er 2011 in einem Interview des brasilianischen „Playboy“. Auch von Gewerkschafter_Innen und linken Aktivist_Innen hat er keine hohe Meinung. So sagte er 2018: „Wenn diese Leute hier bleiben wollen, müssen sie sich unserem Recht beugen. Oder sie verlassen das Land oder gehen ins Gefängnis. Diese roten Typen werden aus unserem Vaterland verbannt.“

Wie konnte das passieren?

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/08 wurden durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) extreme Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse gefahren. Alle Brasilianer_Innen mussten Kürzungen der sozialstaatlichen Mechanismen wie Kranken- und Rentenversicherungen über sich ergehen lassen sowie Erhöhungen von Sozialbeiträgen.

Doch das konnte nicht helfen: Brasilien, ehemals aufstrebende Halbkolonie, ist krisengeschüttelt und hoch verschuldet. Die Politik der Partido dos Trabalhadores (Arbeiter_Innenpartei; im Folgenden: PT) wurde 2006 von der Bevölkerung gewählt in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Diese wurde jedoch enttäuscht. Als regierende Partei schloss sie sich dem neoliberalen Kurs an, der durch den Internationalen Währungsfonds, kapitalgeile Investor_Innen und die Bourgeoisie vorangetrieben wurde. So war sie dafür verantwortlich, dass die Anti-Terror-Gesetze eingeführt wurden, dass mehr und mehr Menschen verarmen und, vor allem in den Favelas (Slums), die Leute ein Gefühl der Unsicherheit verspüren.

Doch das reichte nicht, um Brasilien aus der Krise zu holen. Die brasilianische Bourgeoisie brauchte jemanden, der härtere Maßnahmen gegen die Arbeiter_Innenklasse durchsetzte. Denn diese ließ die Kürzungen nicht unkommentiert stehen. Mit Protesten, massiven Mobilisierungen, Generalstreiks und Besetzungen von beispielsweise Schulen sowie Universitäten versuchten Arbeiter_Innenklasse, Jugendliche und Landlosenbewegung, sich zu wehren. Als Antwort auf die Unfähigkeit der PT-Regierung die Proteste niederzuschlagen, wurde nach einem Korruptionsskandal, der vielmehr Vorwand für einen verfassungsmäßigen Putsch lieferte, Temer als Übergangspräsident eingesetzt. Bei den letzten Wahlen konnte sich dann Bolsonaro durchsetzen, der sich nicht nur positiv auf die Militärdiktatur bezieht, sondern sich auch von Schlägertupps auf den Straßen unterstützen lässt.

Das lag daran, dass in dieser Zeit ein Rechtsruck durch die brasilianische Gesellschaft gegangen ist. So wurden die Mittelschichten durch die andauernd schlechte wirtschaftliche Situation von Bolsonaros populistischer Hetze angezogen, während die PT nicht mit ihrem Spitzenkandidaten Lula antreten konnte und bereits durch ihre vorherige Politik an der Regierung Wähler_Innen aus der Arbeiter_Innenklasse verloren hatte.

Bolsonaros Programm

Auf seiner Agenda für die kommende Zeit stehen zahlreiche arbeiter_Innenfeindliche Punkte und seine Aufgabe besteht darin, die Interessen der brasilianischen Bourgeoisie und ausländischen Investor_Innen durchzusetzen. So hat er als eine seiner ersten Amtshandlungen den Mindestlohn gekürzt und plant, den Regenwald für Agrarflächen freizugeben ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung oder Umwelt. Neben der Schließung des Kultusministeriums sind zahlreiche Entlassungen in Ministerien geplant, besonders wenn die Angestellten nicht auf seiner politischen Linie stehen. Auch die Stärkung der Befugnisse der Polizei, beispielsweise bis hin zu direkten Exekutionen bei Kriminellen ohne vorheriges Gerichtsverfahren, gehört zu seinen Vorhaben.

Zusätzlich sind seine Pläne für ganz Brasilien durchsetzt von Hass auf alle Andersdenkenden, ein Rückschritt für den Kampf um Gleichberechtigung, eine Katastrophe für die Umwelt und die letzten Indigenen in Brasilien und ein Schlag ins Gesicht für alle emanzipatorischen Kräfte.

Situation von Frauen

Diese Angriffe werden nun alle Arbeiter_Innen zu spüren bekommen. Am stärksten davon betroffen werden jedoch die sozial unterdrückten Gruppen sein. Dabei war die Situation für Frauen in Brasilien schon vor Bolsonaro schwierig. So erhalten nach einer Studie des Bundesarbeitsministeriums von 2006 Frauen 19 % weniger Lohn bei gleicher Arbeit und Qualifizierung. Daneben wird die Erwerbstätigkeit der Frauen immer noch als zweitrangig gegenüber Männern betrachtet. Trotz des gleichen Arbeitsvolumens leisten Frauen im Schnitt zusätzlich 28 Stunden häusliche Arbeit pro Woche im Gegensatz zu nur 10 Stunden bei Männern laut Ipea (Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung). Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung ist nach wie vor stark verankert: So müssen Frauen nach wie vor einen Hauptteil in der Kinderbetreuung oder der Pflege von kranken Familienmitgliedern übernehmen. Hinzu kommt, dass Kindergartenplätze Mangelware sind und Ganztagsschulen nur für Reiche existieren.

Diese Problematik wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Denn hier kommen gerade Bolsonaros Verbündete ins Spiel. Obwohl Brasilien immer als Bastion des Katholizismus galt, ist bald ein Drittel der brasilianischen Gesellschaft evangelikal. Diese Kirche hat eine riesige Geldmenge zur Verfügung, welche sie im eigenen Interesse nutzt. Nicht nur dass sie über ein riesiges Medienimperium herrscht mit einem eigenen Fernsehsender sowie zahlreichen TV-Prediger_Innen, auch unterstützt sie Bolsonaro argumentativ und sitzen ihre Anhänger_Innen im neu gewählten Parlament. So fordern sie beispielsweise rigorose Abtreibungsverbote, selbst bei Vergewaltigungen. Bolsonaro unterstützen die christlichen, evangelikalen Fundamentalist_Innen ebenso wie Trump, da beide die bürgerlich normative Familienvorstellung wieder in den Vordergrund rücken wollen.

Doch das ist nicht alles. Besonders Gewalt gegenüber Frauen ist in Brasilien ein großes Problem. Laut Statistik wird alle 15 Sekunden in Brasilien eine Frau im eigenen Familienkreis misshandelt. Ipea geht davon aus, dass jährlich mehr als 527.000 versuchte Vergewaltigungen geschehen. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen. So wurde erst 2009 Vergewaltigung als Straftatbestand gesetzlich eingeführt. Davor wurde sie lediglich als eine „Missachtung der Familienehre“ bewertet. Auch die gezielte Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechtes, auch Femizid genannt, ist ein großes Problem. 2013 wurden knapp 13 Frauen am Tag getötet, großteils von Familienangehörigen oder Ex-Partnern. Zwar wurde 2015 dann ein Gesetz zu Femiziden verabschiedet, welches eine starke Erhöhung des Strafmaßes bei häuslicher Gewalt beinhaltet. Es ist aber unter Bolsonaro damit zu rechnen, dass sich die Gewalt gegenüber Frauen verschärft und die bestehenden Reglungen aufgeweicht werden.

Angriffe auf LGBTIAs

Ein großer Dorn im Auge sind dem Staatspräsidenten alle Menschen, die nicht den bürgerlichen, heterosexuellen Idealen entsprechen. LGBTIA-Menschen sind seit einiger Zeit wieder stärker von Aggressionen und Gewalt, verbal sowie körperlich, betroffen. Seit den Wahlen hat sich die Unsicherheit weiter verschärft. Die 2010 gesetzlich verankerte Gleichstellung von homosexuellen Partner_Innenschaften wird aktuell von Bolsonaro und seinen Evangelikal_Innen permanent bombardiert. Daneben läuft eine Hetzkampagne gegen das Adoptionsrecht von Paaren, die eben nicht dem bürgerlich normativen Idealbild entsprechen. Als die Regierung und Rousseff Pläne vorstellten, in denen sexuelle Orientierungen sowie Genderfragen als Teil des Unterrichts eingeführt werden sollten, warf Bolsonaro der Regierung vor, die Gesellschaft „homosexualisieren“ zu wollen. Auf der Agenda der neuen Regierung steht eine Umarbeitung der Lehrpläne. Es sollen jegliche Genderthemen sowie Sexualkunde gestrichen werden, um die Schule vermeintlich als „neutralen Ort des Lernens“ darzustellen. Im vergangenen Jahr wurden laut Schätzungen 300 LGBTIA-Menschen in Brasilien getötet, wobei auch hier eine höhere Dunkelziffer angesetzt werden dürfte. Kurz nach dem ersten Wahlgang wurde die LGBTIA-Kämpferin und brasilienweit bekannte Transgenderkünstlerin Aretha Sadick verbal angegriffen. Nur zwei Tage später, wenige Straßen weiter wurde eine 25-jährige Transfrau brutal ermordet. Augenzeugen berichteten von Männern, die laut schwulenfeindliche Parolen brüllten und „Bolsonaro“ riefen. Die Angst innerhalb der LGBTIA-Community wächst ständig und die Gewalt hat, seitdem Bolsonaro zur Wahl angetreten ist, dramatisch zugenommen. 2017 gab es sogar einen richterlichen Beschluss, welcher Homosexualität als Krankheit darstellt und es Psycholog_Innen erlaubt, Homosexuelle zu therapieren.

Wie gegen Bolsonaro kämpfen?

Nur eine kämpferische Linke kann die Angriffe Bolsonaros und seiner Regierung abwenden. Die fortschrittlichen Teile der Klasse sind jetzt dazu angehalten, sich gemeinsam zu organisieren und dem ekelhaften Bolsonaro einen Riegel vorzuschieben. Dazu brauchen wir eine kämpferische Einheitsfront aller linken Kräfte, die sich auf die Arbeiter_Innenbewegung stützen. Das bedeutet, dass man auch die PT und die CUT (Arbeiter_Inneneinheitskongress), den brasilianischen Dachverband der Gewerkschaften, klar auffordern und zwingen muss, sich zu beteiligen. Denn nur wenn alle linken Kräfte zusammenarbeiten, kann die Arbeiter_Innenklasse die kommende Katastrophe abwenden.

Alle linken Gruppen, Gewerkschaften und Organisationen der Klasse sind dazu angehalten, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam zu streiken bis hin zum Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft des Landes lahmlegt. Dazu braucht es koordinierte Organe, die die Selbstverteidigung organisieren und die Bevölkerung bewaffnen. Das ist die einzige Möglichkeit, um wirklich alle Unterdrückten zu befreien, um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herzustellen und das tradierte, auf ekligen Vorstellungen basierende Ausbeutersystem zu stürzen. Darüber hinaus muss klar sein: Der Kampf um Befreiung ist international! Auch bei uns müssen die Leute solidarisch auf die Straßen gehen. Arbeiter_Innen multinationaler Konzerne, die die brasilianische Regierung stützen, müssen ihre Arbeit niederlegen. Der Rechtsruck ist international und kann auch nur so bekämpft werden. Wenn die weltweite Linke das nicht tut, werden bald nicht nur in Brasilien die Anschläge auf LGBTIA-Menschen massiv zunehmen, werden Frauen immer stärker in ihre alte Rolle zurückgedrängt und alle Andersfarbigen widerlicher Hetze ausgesetzt sein. Nur wir können das Erstarken der Rechten verhindern!

Solidarität mit allen Brasilianer_Innen, nieder mit Bolsonaro! Nur eine geeinte Arbeiter_Innenbewegung hat die Macht, sich und die sozial Unterdrückten zu befreien und wahre Gleichberechtigung herzustellen.

 

Beschäftigungssituation:

http://www.arbeitermacht.de/ni/ni171/brasilien.htm




Stellungnahme zu den Diffamierungsversuchen von Menschen aus der Linkspartei Leipzig und der „Jugend gegen Rechts“

Von der Ortsgruppe Leipzig

Aufgrund der anhaltenden Repressionen, Bedrohungen, Angriffen und falschen Anschuldigungen werden wir, Revolution, nun auch Stellung nehmen zu den Diffamierungen und Lügen, die gegen unsere Organisation verbreitet wurden.

Bevor wir zu dem inhaltlichen Teil kommen: leider wurden als Hauptquelle des hetzerischen Schreibens Thesen und Publikationen der Gruppe ArbeiterInnenmacht (im Folgenden: GAM) gewählt. Gleich zu Beginn des Pamphlets wurde angeführt, dass wir die Jugendorganisation der GAM wären. Das ist falsch. Wir sind sowohl programmatisch, finanziell als auch organisatorisch unabhängig von der GAM. Dass wir mit den Genoss_Innen der GAM zusammen arbeiten, ist richtig, aber es ist mehr als lächerlich, eine Gruppe für die inhaltlichen Auseinandersetzungen einer anderen Gruppe aus diversen Bündnissen entfernen zu wollen. Aus diesem Grund werden wir hier nicht weiter auf diese Quelle eingehen, da wir diese Texte, die aus den 1980er-1990er Jahren stammen, nicht selbst verfasst haben. Auf unserer Homepage finden sich einige Texte, die den Verfasser_innen Aufschluss über die Positionen unserer (!) Organisation zu den Themen Nahost-Konflikt und Antisemitismus gegeben hätten. Wir haben uns mit diesem Schreiben trotzdem noch einmal Zeit genommen, um ihnen exklusiv unsere Position ein weiteres Mal darzustellen. Eins sei aber noch gesagt: wir finden in der Tat auch, dass die Formulierungen in dieser Quelle teilweise sehr unglücklich gewählt sind, jedoch halten wir ihre grundlegenden Analysen für richtig.

Was ist eigentlich Antisemitismus ?

Wir, als kommunistische Jugendorganisation, kämpfen für eine befreite Gesellschaft und stellen uns gegen jegliche Unterdrückungsmechanismen. Dazu gehören bspw. Sexismus, Rassismus, Homophobie und auch Antisemitismus. Antisemitismus ist unserer Meinung nach aber nicht ein Phänomen, was allein aufgrund von Verblendung oder Böswilligkeit entstanden ist und entsteht, sondern etwas, das in einem größeren sozio-ökonomischen Kontext betrachtet werden muss.

Ob nun Übergriffe auf Synagogen, Jüd_Innen oder auch Verschwörungstheorien zum Thema „Weltjudentum“ – Antisemitismus erleben wir seit ein paar Jahren wieder besonders stark, seitdem es einen allgemeinen Rechtsruck in unserer Gesellschaft gibt. Dementsprechend sind auch laut polizeilicher Kriminalstatistik die antisemitischen Straftaten 2017 um 2,5 Prozent auf 1.504 Fälle gestiegen. Entgegen der Darstellung von Rechtspopulist_innen gehören zur Tätergruppe dieser Straftaten hauptsächlich weiße, deutsche Rechte.
Antisemitismus funktioniert im Kapitalismus als eine Form des Rassismus, indem systeminhärente Widersprüche auf Jüdinnen und Juden als „Sündenböcke“ ideologisch abgeleitet werden. Wir betrachten den Antisemitismus als eine Ideologie, bei der durch die ökonomische Krisenhaftigkeit des Kapitalismus erzeugte soziale Abstiegsängste verschiedener Bevölkerungsgruppen auf Jüdinnen und Juden als Feindbilder projeziert und mit universalistischen Verschwörungs- und Unterwanderungstheorien verknüpft werden. Dabei suggeriert der Antisemitismus, dass durch die Konstruktion einer angeblichen „jüdischen Finanzmacht“ mit Weltherrschaftsambitionen, die „natürlich gewachsenen und gesunden kapitalistischen Nationalstaaten“ unterwandert werden würden.

Der Antisemitismus reproduziert sich also aus konkreten gesellschaftlichen Widersprüchen heraus und kann dementsprechend auch nur bekämpft werden, indem das System, das ihn hervorbringt, als Ganzes aufgelöst wird. Diese Analyse steht der in vielen linken Kreisen weit verbreiteten Annahme entgegen, dass der Antisemitismus bestimmten Ethnien wie „den Deutschen“ oder „den Muslim_Innen“ genuin zugeschrieben werden könne.

Sicher, nur weil es Sozialismus gibt, würden nicht alle antisemitischen Ressentiments automatisch aus allen Köpfen gedrängt. Jedoch ist es die materielle Grundlage, die definitiv nötig sein wird, um Antisemitismus in seiner Struktur und seinen Reproduktionsbedingungen zu bekämpfen. Unser Kampf gegen den Kapitalismus ist für uns somit immer auch ein Kampf gegen Antisemitismus. Und wie Lenin so schön sagte:
„Nicht die Juden sind die Feinde der Werktätigen, die Feinde der Arbeiter sind die Kapitalisten aller Länder. Unter den Juden gibt es Arbeiter, Werktätige: sie bilden die Mehrheit. Was die Unterdrückung durch das Kapital anbelangt, sind sie unsere Brüder, im Kampf für den Sozialismus sind sie unsere Genossen.“

Unsere Solidarität mit Palästina ist und war niemals antisemitisch!

Da die herrschende Produktionsweise also den primären Grund für die Entstehung von Antisemitismus darstellt, halten wir die Gründung eines neuen explizit jüdischen Nationalstaates, wie es die Ideologie des Zionismus vorsieht, auch nicht für eine adäquate Lösung, die dem Problem gerecht wird. Die Existenz des israelischen Staates ist nur gesichert, solange imperialistische Schutzmächte wie die USA oder Deutschland einen ökonomischen Nutzen daraus ziehen. Das oft beschworene „brüderliche Band der westlichen Werte“ kann schnell reißen, wenn ein profitablerer Partner in der Region gefunden ist. Das Versprechen des Zionismus, die Jüdinnen und Juden wieder zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu machen, ist also eine Farce. Der israelische Staat ist somit kein Schutzraum, sondern ein Käfig. Unserer Auffassung nach ist Israel, wie jeder andere bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat auch, eine Klassengesellschaft, in der die Mehrheit die Lohnabhängigen selbst darstellen, die nichts haben, als ihre Arbeitskraft und deren Interessen denen der herrschenden Besitzenden diametral entgegenstehen.

Auch innerhalb der israelischen Gesellschaft gibt es eine Spaltung und rassistische Unterdrückung durch die , Aschkenasim, auch „Weiße“ genannt, da ihre Vorfahren aus Europa und Nord-Amerika kamen gegen die Mizrachim, also Jüdinnen und Juden, deren Vorfahren aus dem Nahen Osten stammen. Beispielsweise verdienten noch im Jahr 2004 die Aschkenasim im Durchschnitt 36 Prozent mehr als die Mizrachim, denen mangelnde Integration in die israelische Gesellschaft vorgeworfen wird.

Ferner machte die israelische Staatsgründung palästinensische Geflüchtete zu einer der größten Vertriebenengruppen weltweit. Während die Palästinenser_innen, die im Zuge des Gründungskrieges 1948 in die heutigen palästinensischen „Autonomiegebiete“ vertreiben wurden, heute in Freiluftgefängnissen leben, die noch dazu alle paar Jahre bombardiert werden, fristen diejenigen Palästinenser_innen, die eine israelische Staatsbürgerschaft ergattern konnten, ein Leben als Bürger_innen zweiter Klasse. Unsere Antwort kann nur Widerstand gegen die Besatzung und der gemeinsame Kampf aller Unterdrückten, über nationale Trennlinien hinweg, sein. Wenn wir sagen, dass wir gegen Rassismus und Fluchtursachen kämpfen, müssen wir auch gegen ein globales Wirtschaftssystem kämpfen, dass die Welt im Sinne der wirtschaftlich führenden Staaten in militärische Einflussspähren, abhängige Halb-Kolonien und wirtschaftliche Interessengebiete einteilt und somit aktuell 64 Millionen Menschen weltweit zur Flucht zwingt. Jede nationale Befreiungsbewegung (ob kurdisch, palästinensisch, belutschisch, in der Westsahara, …) richtet sich in irgendeiner Weise erst einmal (unabhängig von ihrer teilweise auch rückschrittlichen Führung) in selbstbestimmter Weise gegen diese gegenwärtige Aufteilung der Welt und verdient deshalb im Kampf gegen den Imperialismus – der wichtigsten Fluchtursache weltweit – unsere Solidarität.

Einige Kräfte aus dem Rojava-Soli-Bündnis, aus dem wir im Zuge des Diffamierungsschreibens ausgeschlossen wurden, haben diesen Punkt scheinbar noch nicht richtig verstanden. Sowohl die kurdische als auch die palästinensische Befreiungsbewegung werden durch die imperialistische Ordnung kapitalistischer Nationalstaaten an ihrer Verwirklichung behindert. Auch in Deutschland werden sie bspw. durch den Paragraphen §129b (Terrorgesetz) staatlich verfolgt. Seit jeher existierte Solidarität zwischen den beiden Bewegungen, die sich beispielsweise in gemeinsamen Ausbildungscamps für Guerilla-Kämpfer_innen ausdrückte. Wenn irgendwelche Deutschen in Leipzig auf die Idee kommen, diese Bewegung künstlich zu spalten, schwächt das nur ihre Schlagkraft und hat für uns wenig mit Solidarität zu tun.

Kapitalistische Nationalstaaten werden jedoch keiner Bevölkerungsgruppe Schutz vor Verfolgung bieten können. Auch kein Israel. Deshalb treten wir im Kampf gegen Antisemitismus auch sehr wohl für demokratische Selbstverteidigungsstrukturen gegen antisemitische Übergriffe ein. Jedoch würden wir es niemals wagen, einen bürgerlichen Staat zu unterstützen, auch nicht, wenn sich dieser einen „jüdischen“ Anstrich gibt. Den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzung halten wir dagegen für legitim und notwendig. Das heißt jedoch nicht, dass wir Jüdinnen und Juden das Recht absprechen auf dem Gebiet des heutigen Israels zu leben. Nur der gemeinsame Kampf der israelischen und palästinensischen Arbeiter_Innenbewegung kann den Nationalismus auf beiden Seiten durch internationale Solidarität ersetzen.

Deshalb ist es auch unsere Pflicht, die rückschrittliche Führung der palästinensischen Befreiungsbewegung herauszufordern. Während wir uns jedoch bedingungslos hinter den Widerstand gegen die Besatzung und Militärinterventionen stellen, kämpfen wir innerhalb der Bewegung für die sozialistische Perspektive eines multiethnischen, säkularen Arbeiter_Innenstaates. Dazu braucht es soziale Forderungen und internationale Solidarität der Arbeiter_Innenklasse! Denn nur in einem säkularen und sozialistischen Arbeiter_Innenstaat kann ein friedliches und freies Zusammenleben unabhängig von Religion, Geschlecht und Hautfarbe möglich sein.

Uns ist auch bewusst, dass „Kritik“ am israelischen Staat oft antisemitisch motiviert ist oder für antisemitische Hetze missbraucht wird. Das lehnt REVOLUTION nicht nur ab, sondern geht auch aktiv dagegen vor. So stellen wir uns nicht nur regelmäßig antisemitischen Neonazis in den Weg sondern waren auch aktiv gegen die neue rechte „Friedensbewegung“ und bemüht reaktionäre, rassistische und antisemitische Kräfte von den großen TTIP Demonstrationen auszuschließen. Eine analytische Gleichsetzung der Politik des israelischen Staates mit dem Judentum – wie es Neonazis oder Neurechte häufig tun – halten wir für zutiefst falsch und verabscheuungswürdig. Genauso müssen jedoch auch die jeweiligen Negationen Antizionismus und Antisemitismus analytisch trennscharf voneinander unterschieden werden. Die Verfasser_innen der Hetzschrift gegen uns haben das offensichtlich nicht getan, was wir für sehr problematisch halten. Um die Lebensrealität der tatsächlich in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden oder das Schicksal von Millionen in Israel lebenden Israelis und Palästinenser_innen scheint es den Verfasser_innen wohl kaum zu gehen. Vielmehr benutzen sie das Judentum als Projektionsfläche, um uns als Antisemit_innen zu denunzieren, begrifflich in die Ecke von Neonazis und Rechtspopulist_Innen zu rücken und uns politisch mundtot zu machen. Diesen schlimmen Vorwurf lassen wir uns nicht gefallen!

Da der Antisemitismus im Zuge des Rechtsrucks stark zunimmt, müssen wir gegen den erstarkenden Rassismus und die FaschistInnen kämpfen. Das geht aber nur gemeinsam! Zusammen mit den Gewerkschaften, der Basis von SPD und Linkspartei, der radikalen Linken, der Jugend und der ArbeiterInnenklasse müssen wir eine Einheitsfront aufbauen und uns nicht gegenseitig sektiererisch bekämpfen und aus antifaschistischen Strukturen schmeißen. Vielmehr braucht es innerhalb dieser Strukturen Kritik- und Propagandafreiheit, also Kanäle für solidarische Kritik und kontroverse Diskussionen über die Ausrichtung unserer Politik. Spaltung und Diffamierung werden unsere Bewegung jedoch nur schwächen und dazu führen, dass die Rechten die Oberhand gewinnen. Das muss mit allen Mitteln verhindert werden. Denn im Kampf gegen Faschismus dürfen wir uns nicht auf Staat und Polizei verlassen. Innerhalb der Einheitsfront müssen wir auch kollektiv die Selbstverteidigung aufbauen, indem wir Selbstverteidigungskomitees errichten.

In Leipzig stellt sich diese Frage umso dringender, denn am 1. September sind in Sachsen Landtagswahlen und die AfD liegt laut derzeitigen Umfragen bei 25-27 Prozent. Eine Regierungskoalition zwischen CDU und AfD ist nicht unwahrscheinlich. Dazu kommt noch, dass das neue reaktionäre Polizeigesetz dann der AfD in die Hände fallen könnte und diese mit aller Härte und Autorität gegen uns Jugendliche, Geflüchtete, Migrant_Innen und Linke im Allgemeinen, aber auch Journalist_Innen vorgehen wird. Diffamierungskampagnen, Ausschlüsse und Verleumdungen sind das letzte was wir hier gerade brauchen können. Alle ernsthaften und aufrichtigen Antifaschist_innen fordern wir deshalb auf, gemeinsam Widerstand zu organisieren, statt diesen zu blockieren!




Hände Weg von Venezuela!

von Christian Mayer

Am 23. Januar 2019 erklärte sich der Parlamentspräsident Juan Guaido zum Präsidenten von Venezuela. Dies geschah allerdings ohne demokratische Legitimierung wie etwa durch Wahlen. Warum wir dies als Putschversuch ansehen, soll der folgende Artikel klären.

Vorgeschichte

Nachdem im Jahre 2013 der langjährige Präsident Venezuelas, Hugo Chavez, an Krebs verstorben war kam es zu Neuwahlen, wie es die venezuelanische Verfassung vorsieht. Aus diesen Wahlen ging Nicolas Maduro als Sieger hervor. Beide Präsidenten, sowohl Chavez als auch Maduro, waren bzw. sind Mitglieder der Partido Socialista Unidad de Venezuela (PSUV). Diese Partei hat seit dem Wahlsieges 1998 immer die Regierung gestellt und ist eine der größten Parteien in Venezuela.

Im Jahre 2000 wurde Chavez bei erneuten Parlamentswahlen dann im Amt bestätigt und in dieser Zeit startete er seine „bolivarische Revolution“, welche zum Ziel hatte, Venezuela zu einer Art „Musterstaat für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu machen.

Nach zwei weiteren Jahren versuchten Militärs und rechte Kräfte, Chavez von der Staatsspitze weg zu putschen und durch eine Regierung der nationalen Einheit zu ersetzen. Im Vorfeld dieses Putschversuches kam es zu „Streiks“ der höheren Angestellten und des Managements des venezuelanischen Erdölkonzerns Petrolos de Venezuela (PDVSA) sowie zu einem „Steuerstreik“ der Bourgeosie. Da aber weder die höheren Angestellten als auch die Bourgeoisie für diese Aktionen keinen Rückhalt in der Bevölkerung sowie den Gewerkschaften fanden, scheiterte dieser Putschversuch. Ebenso hatten die Militärs wie auch die rechten Kräfte keine Chance gegen die Bevölkerung, da sich diese hinter Chavez und die PSUV stellte.

Die „bolivarische Revolution“ und ihre Folgen

Aufgrund dieser Ereignisse sah es Chavez als Notwendigkeit an, den Staat nach seinen Vorstellungen umzubauen. Der Erdölkonzern PDVSA wurde kurzerhand verstaatlicht und die Besitzer enteignet, allerdings bekamen sie eine Entschädigung gezahlt. Jedoch beging Chavez während seiner gesamten Amtszeit, die immerhin 15 Jahre betrug, mehrere schwere Fehler.

Der erste Fehler war, dass er sich zwar durch regelmäßige Wahlen im Amt bestätigen ließ, diese aber nur alle vier Jahre stattfanden. Damit war klar, dass er zwar nach den Prinzipien bürgerlicher Demokratie herrschte. Hierbei kann aber keine Rede von tatsächlicher Arbeiter_Innendemokratie sein. Zwar gab und gibt es unterschiedliche Komitees innerhalb der PSUV, die über die letzten knapp 21 Jahre mehr oder weniger die Staatspartei geworden ist, und auch der Gewerkschaften, allerdings sind ihre Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten sehr begrenzt. Regelmäßige wähl,- und abwählbarkeit, welche zwei der zentralen Voraussetzungen für tatsächliche Arbeiter_innendemokratie sind, sind nicht vorgesehen. Dies gilt sowohl für die Komitees als auch für die Regierung selbst.

Der zweite entscheidende Fehler war, die gesamte nationale Wirtschaft mehr oder weniger auf das Geschäft mit Erdöl auszurichten. Es mag in der Anfangszeit des Chavismus durchaus richtig gewesen sein, die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft in Bildung, Infrastruktur und soziale Einrichtungen fließen zu lassen. Das bedeutet aber noch längst nicht, dass man dadurch automatisch den Sozialismus erreicht. Zudem wurde das Szenario eines möglichen, massiven Einbruchs des Ölpreises und die daraus entstehenden wirtschaftlichen und vor allem sozialen Folgen, außer acht gelassen. Wie sich seit nunmehr fast fünf Jahren herausstellt, ist dies ein fataler Fehler und könnte am Ende tatsächlich den Genickbruch für die Maduro-Regierung bedeuten. Dazu später mehr.

Der dritte entscheidende Fehler war die Tatsache, dass die Bourgeoisie nicht enteignet wurde. Wie bereits erwähnt wurde mit PDVSA der größte Konzern und die Haupteinnahmequelle des Landes verstaatlicht wie auch einige andere Betriebe, allerdings gibt es nach wie vor eine Bourgeoisie und somit eine herrschende Klasse innerhalb Venezuelas. Neben der direkten Arbeiter_Innenkontrolle durch Komitees, Räte und Milizen und deren jederzeitige wähl- und abwählbarkeit zeichnet einen nicht bürgerlichen Staat aus, dass die Bourgeosie enteignet und vertrieben ist. Deshalb ist nach unserer Ansicht Venezuela absolut kein Sozialismus (anders als sie es selbst oder manche Linke hier in Deutschland behaupten).

Die Krise

Wie bereits zuvor erwähnt war die venezolanische Wirtschaft hauptsächlich auf den Export des eigenen Erdöls ausgerichtet. Vor der Küste Venezuelas werden die weltweit größten Erdölvorkommen der Welt vermutet, welche sogar größer sein sollen als jene auf der arabischen Halbinsel. Was auf den ersten Blick nach einer verlockenden Aussicht klingt stellt sich allerdings in der jetzigen Situation in der sich Venezuela befindet eher als Fluch denn als Segen heraus. In den Jahren 2014/2015 erlebte der Ölpreis einen massiven Verfall, was mehrere Gründe hatte.

a) begannen die USA im großen Stile ihre Erdölförderung auf dem Festland durch Fracking auszuweiten. Dadurch war es den USA möglich, neben dem Erdöl, welches im Golf von Mexiko vor der südöstlichen US-Küste sowie jenem Erdöl, was in Alaska gefördert wird, eine dritte große Förderquelle aufzutun. Dadurch wurde der weltweite Ölmarkt mit billigem Erdöl „geflutet“, was zu einem Überangebot und einem Preisverfall führte.

b) gab es nach langen und zähen Verhandlungen im Jahr 2015 den Durchbruch für einen Deal mit dem iranischen Mullah-Regime. Dieses durfte sein Atomprogramm offiziell durchführen, allerdings nur zu zivilen Zwecken (Deckung des eigenen Energiebedarfs, Export von Stromüberschüssen, Einsatz in der Nuklearmedizin). Ein weiterer Bestandteil dieses „Atom-Deals“ war die Vereinbarung, dass der Iran zukünftig wieder Erdöl auf den Weltmarkt exportieren darf. Daraufhin verkündete der zuständige Ölminister, dass man damit beginnen würde, die Erdölförderung hochzufahren und als Ziel die tägliche Förderung von 1 Million Barrel Erdöl (entspricht 159 Millionen Litern Erdöl) ausgab. Dies führte wiederum zu Protesten anderer OPEC-Staaten (Saudi-Arabien, Venezuela), welche ihr eigenes Fördergeschäft langfristig in Gefahr sahen.

Daraus ergab sich, dass die weiteren OPEC-Staaten und auch andere Erdölförder- und Exportstaaten ihre Förderung hochfuhren was den Preisverfall beschleunigte. Zwischenzeitlich stürzte der Ölpreis auf knapp 20 US$ pro Barrel ab und der Erdölmarkt war vollkommen übersättigt.

Aufgrund dieser Tatsachen geriet die venezolanische Wirtschaft in eine massive Schieflage. Nicht nur, dass die Haupteinnahmequelle plötzlich vor dem kompletten Verschwinden stand, sondern auch die dringend für den Import benötigten Devisen. Lebensmittel, Medikamente usw. wurden in Folge extrem teuer. Dazu kam, dass die venezolanische Währung in den letzten Jahren ebenfalls massiv an Wert einbüßte was die Situation noch zusätzlich verschärfte. Die Hyperinflation beträgt inzwischen nach Schätzungen des IWF mehrere tausend Prozent; die Armutsquote hatte 2016 bereits einen Stand von fast 80% erreicht.

Widerstand gegen Maduro

Aus dem obigen Szenario entwickelte sich seit 2014 eine massive Widerstandsbewegung gegen den seit 2013 amtierenden Präsidenten Maduro. Zeitweise gingen die Proteste schon in Richtung eines reaktionären Bürgerkrieges, da die staatlichen Repressionsorgane, allen voran Polizei und Armee, massiv gegen diese Bewegung vorgingen.

Es wäre allerdings ein fataler Fehler der Linken weltweit, sich mit dieser Bewegung solidarisch zu erklären. Diese Bewegung wird zwar von der venezolanischen Opposition angeführt, besteht aber im Großteil aus Vertreter_Innen der Bourgeoisie und rechten Kräften. Als sich nun am 23. Januar, dem Jahrestag des großen Aufstandes gegen die Militärdiktatur, der Parlamentspräsident Juan Guaido zum Interimspräsidenten erklärte, kam es zu massiven Auseinandersetzungen.

Dieses Vorgehens des Parlamentspräsidenten ist ein eindeutiger Putschversuch, dem es an jeglicher demokratischer Legitimierung fehlt und der entschieden zurückgewiesen werden muss. Jener Putschversuch hat auch internationale Auswirkungen, da sich die rechten Regierungen des südamerikanischen Kontinents, allen voran der Halbfaschist Bolsonaro (siehe hierzu http://onesolutionrevolution.de/was-ist-halbfaschismus/) aus Brasilien, mit Guaido solidarisch erklärten und seine „Präsidentschaft“ anerkennen.

Natürlich lassen in solchen Momenten, wenn es gegen eine, wenn auch sehr verkümmerte, linke Regierung geht, die imperialistischen Kräfte nicht lange auf sich warten. Allen voran Donald Trump und mit ihm stellte sich die US-Bourgeoisie hinter den Putschversuch. Logisch, schließlich will der US-Imperialismus in seinem lateinamerikanischen „Hinterhof“ Ruhe und Ordnung haben, um ungestört weiter Profite abgreifen und die Bevölkerung terrorisieren zu können. Nicht umsonst drohte Trump mehrfach wiederholt mit einer direkten militärischen Intervention in Venezuela.

Und wo schon ein Imperialist sein Unwesen treibt, da lassen andere auch nicht lange auf sich warten. So erklärte das Imperialistenpack der EU unter Federführung des deutschen Imperialismus dann auch gleich seine Unterstützung für den Putschversuch. Zu was so eine Unterstützung führen kann sehen wir, wenn wir mal einen Blick in Richtung Ukraine werfen, wo sich 2014 ebenfalls ein proimperialistischer Oligarch mit Hilfe von Faschistenbanden und der versteckten Unterstützung durch den US-Imperialismus an die Macht putschte. Deswegen fordern wir: Hände weg von Venezuela!

Gleichzeitig ist es aber nicht ausreichend, nur seine Solidarität mit dem venezuelanischen Volk zu bekunden und sich auf die illegitimität des Putschversuches zu beschränken wie es manche linke Gruppe nun tut. Auch eine „Regierung der revolutionären Volkseinheit“ kann nicht Erfolgreich sein, wenn sie sich nur auf den nationalen Kampf und Appelle an die Staatspartei beschränkt.

Vielmehr muss in Venezuela der Prozess der Gründung einer revolutionären Partein vorangetrieben werden, diese muss sich als reine Arbeiter_Innenpartei ausrichten und alle bürgerlichen Elemente aus sich verdrängen. Mit der linkspupulistischen PCV( der kommunistischen Partei Venezuelas), eine Front von Arbeiter_Innen, Bauern und liknsnationalen Teilen der Bourgeoisie ist, ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Nur so kann ein erfolgreicher Kampf gegen die bonapartistische Regierung Maduros geführt werden.

Dabei ist es wichtig, den Kampf international zu führen. Das bedeutet für Linke und Revolutionär_Innen vor allem folgendes:

  • Kampf gegen jegliche imperialistische Intervention! Falls es zu einer militärischen Intervention kommt, muss umgehend zum Streik und zu anderen militanten Aktionen gegen diese Intervention sowie für die Niederlage des intervenierenden Imperialismus offensiv eingetreten werden. Selbiges gilt natürlich auch, wenn mit Imperialisten verbündete Regionalmächte intervenieren wollen.
  • Internationale Solidarität praktisch werden lassen! Organisierung von Solikomitees und Soliaktionen, überall auf der Welt. Zeigt der venezuelanischen Bevölkerung, dass sie mit ihrem Kampf gegen imperialistische Aggressionen nicht alleine dasteht!

Die oben genannten Punkte sollten eigentlich selbstverständlich für Linke und Revolutionär_Innen sein, wie uns die Geschichte schon oft genug gelehrt hat. Wer sich als Revolutionär_In auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bezieht, für den sollte praktische internationale Solidarität sowie eine klare Ablehnung imperialistischer Interventionen eigentlich zu den politischen Basics gehören ebenso wie eine notwendige, fundierte Kritik an der verfehlten Politik der PSUV.

Nicht zuletzt sollten solche Revolutionär_Innen, wie die der DKP und der SDAJ, sich nicht bloß auf Appelle beschränken, sondern einen klaren Weg zur sozialistischen Revolution aufzeigen. Dazu gehört es auch, immer wieder darauf hinzuweisen, dass eine Bourgeoisie entschädigungslos enteignet und zum Teufel gejagt werden muss. Genauso gehört es zum 1×1 einer jeden Revolutionärin/eines jeden Revolutionärs, dass direkte Arbeiter_Innendemokratie immer das oberste Prinzip sein muss, mit anderen Worten, das Eintreten für jederzeitige Wähl-und Abwählbarkeit von verschiedenen Strukturen, sowie eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Basis. Das sind die Lehren, die uns Lenin und Trotzki aus der Oktoberrevolution sowie Luxemburg und Liebknecht aus der Novemberrevolution mit auf den Weg gegeben haben und nicht die verkorkste Bürokratisierung der Strukturen a la Stalin, der immer noch völlig unverständlich innerhalb der hiesigen wie auch der internationalen Linken für derartigen und ähnlichen Schwachsinn abgefeiert wird.




Revo vor Ort Spezial: Palästina

von Lars Keller

Wie schon 2017 besuchten wir Ende Oktober 2018 wieder mit einer kleinen Delegation das International Volunteer Camp (IVC) bei Ramallah in Palästina. Organisator ist die Independent Youth Union (IYU), eine sozialistische Jugendorganisation, welche in der West Bank sehr aktiv ist und mit welcher REVOLUTION seit einiger Zeit im Austausch steht.

Das IVC wurde neben uns auch von den Falken sowie der Sosialistik Ungdom Norwegen und Dänemark besucht. Das Camp bestand aus Workshops, in denen Themen wie Feminismus / antisexistische Arbeit, israelische Besatzung in Palästina oder die Politik der einzelnen teilnehmenden Gruppen behandelt wurden. Wir brachten uns mit einer intensiven Diskussion zur Einstaatenlösung im Nahost-Konflikt in das Camp ein. Den größeren Teil des IVC stellt aber die sogenannte „volunteer work“ dar, was z.B. das Streichen von Wänden auf einem Pausenhof in einer Schule bedeutete. Diese Praxis leitet sich aus der Intifada ab, als die palästinensische Bevölkerung sich gegen das israelische Regime erhob und das Alltagsleben durch volunteer work organisiert wurde. Nichtsdestrotrotz hätten wir uns natürlich ein Camp gewünscht, was ein deutlich größeres Gewicht auf politische Diskussionen legt.

Lohnenswert ist eine Reise nach Palästina dennoch, alleine schon, weil es für uns zu einem gelebten Internationalismus gehört. Im Austausch mit den Genoss_Innen der IYU bekamen wir eine Einsicht in eine Welt, von der man in Deutschland nur selten etwas mitbekommt. Während von den deutschen Medien über jede Rakete in Richtung Tel Aviv, fast schon über jeden Steinwurf auf israelische SoldatInnen „umfassend“ berichtet wird, erfahren wir umso weniger über die Situation in Gaza und der Westbank. Damit meinen wir nicht nur Hunderte Toten, Verletzten und politisch Inhaftierten, die der israelische Staat zu verantworten hat, die weiter vor sich gehende Vertreibung, den Landraub oder das Zerschlagen von Demonstrationen. Auch meinen wir nicht nur die rassistischen Übergriffe von Siedler_Innen auf Palästinenser_Innen.

Nein, das fängt schon mit der Lebensrealität an. Diese ist für viele in der Westbank prekär. Israel hat Zugriff auf die Wasser- und Stromversorgung und stellt den Strom auch mal für ein paar Tage ab, wenn in Dörfern Proteste stattfinden. Die israelischen Siedlungen zapfen den Dörfern teilweise das Wasser ab. Die Infrastruktur ist vielerorts in schlechtem Zustand, die ärztliche Versorgung ist unzureichend, vor allem in den Camps der Vertriebenen.

Die Lage in Gaza ist mit einem riesigen Freiluftgefängnis vergleichbar. Laut der Weltbank sind 80 % der dort lebenden Menschen auf internationale Nahrungsmittelhilfe angewiesen; die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 58 %. 1995 baute Israel einen elektrischen Zaun und eine Betonmauer um Gaza und unterbrach damit die Verbindungen zu den besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland. Seit Beginn der Belagerung hat Israel drei große militärische Angriffe auf Gaza gestartet. Der letzte große Angriff fand 2014 unter dem Namen „Operation Schützende Klinge“ statt. Die israelische Armee tötete mehr als 2.100 PalästinenserInnen, darunter 1.462 ZivilistInnen und fast 500 Kinder. 11.000 wurden verwundet, 20.000 Häuser zerstört und eine halbe Million Menschen aus ihren Häusern vertrieben.

Auch heute hat Israel schon den nächsten großen Schritt im Visier. Beflügelt von Trumps Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt zielt das zionistische Regime auf eine Teilung der Westbank und ein komplett israelisches Jerusalem ab, was eine neue massenhafte Vertreibung bedeuten würde. Die Likud-Partei lässt bei all dem keine Gelegenheit aus, immer wieder auch die Annexion des gesamten Westjordanlandes ins Spiel zu bringen (Likud = dt. „Zusammenschluss“).

Nur der jahrzehntelange Widerstand der palästinensischen Bevölkerung hat bisher die vollständige Unterjochung, Besetzung und weitere Vertreibung verhindert. Die bürgerlichen Medien und die zionistische Propaganda stellen dies auf den Kopf. Nicht die fortgesetzte Aggression der Unterdrücker_Innen, nicht die Entrechtung und Vertreibung, sondern der Widerstand gegen dieses Unrecht gilt als Ursache des Konflikts. Die palästinensischen Massen erscheinen als „unruhestiftend“, weil sie sich nicht ihrem Schicksal ergeben. Dabei ist es in Wirklichkeit der zionistische Staat, der berechtigten und mitunter auch verzweifelten Widerstand immer wieder provoziert und hervorruft. Als Revolutionär_Innen sehen wir es als unsere Aufgabe an, den palästinensischen Widerstand zu unterstützen und über Grußbotschaften heraus auch programmatische Diskussion zu suchen. Denn ohne internationale Solidarität, Unterstützung und einer kollektiven Diskussion über die Forderung, die es bedarf, um das Unrecht zu beenden, kann sich die Situation vor Ort nicht verändern!

Einen ausführlichen Bericht, Interviews mit der IYU oder mehr zur Perspektive des palästinensischen Widerstandes findet ihr auf unserer Homepage.