Eine Lehre aus der Novemberrevolution: Notwendigkeit einer Arbeiter_Innenmiliz

von Jonathan Frühling

Der Ersten Weltkrieg enthüllte den Charakter der imperialistischen Epoche in voller Schärfe. Aufrüstung, ein offener Kampf um die Kolonien und die globalen Märkte sowie letztlich ein bis dahin beispielloses Zerstören und Massensterben an der Front. Während sich die herrschende Klasse an der Kriegswirtschaft bereicherte mussten Arbeiter_Innen- und Bäuer_Innenklasse hungern und an der Front ihr Leben lassen. Als Ende 1918 die Niederlage Deutschlands nahe war, rebellierte die Armee und löste so zusammen mit den fortschrittlichen Lohnabhängigen eine Revolution aus, die das alte Kaiserreich hinwegfegte. Allerdings führten die Ereignisse vom 9.11.1918 nicht zu einer sozialistischen Republik. An der Spitze der Revolution standen nämlich die SPD und die USPD, welche eine Linksabspaltung der SPD darstellte. Die führenden Mitglieder beider Arbeiter_Innenparteien hatten sich aber längst mit dem Kapitalismus arrangiert und sahen in der Revolution eine Bedrohung ihrer privilegierten Stellung als Bürokrat_Innen. Sie wollten den Kapitalismus zwar reformieren, strebten aber keine sozialistische Räterepublik nach dem Vorbild Russlands an, die sich auf die organisierte Arbeiter_Innenklasse stützt. Deshalb schützten sie das Privateigentum von Adel und Kapitalist_Innen (Banken, Fabriken, Boden, Immobilien), womit diese die Basis ihrer Macht behielten.

Die Folge davon war eine Doppelmachtsituation ab November 1918. Auf der einen Seite stand die Regierung von SPD und USPD, um die sich die Konterrevolution sammelte (hohe und reaktionäre Militärs, Kapitalist_Innen, Adel, bürgerliche Bürokrat_Innen). Auf der anderen Seite standen die im November gebildeten Arbeiter_Innen- und Soldatenräte, die die Institutionen der revolutionären Massen darstellten.

Im Verlauf der nächsten Monate verlor die Revolution jedoch immer weiter an Boden. Es gab keine revolutionäre Massenorganisation, die das Proletariat weiter in Richtung einer vollständigen Machtübernahme führen konnte. Der Spartakusbund, aus dem später die KPD hervorging, vereinte zwar aufrichtige Revolutionär_Innen, allerdings hatte er nur minimalen Einfluss in den Massen. Außerdem fehlte ihm eine Taktik, wie man die Arbeiter_Innenklasse von der verräterischen SPD/USPD-Führung wegbrechen könnte. Die Regierung unter dem SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert arbeitete mit den alten kaiserlichen Militärs dagegen zielstrebig an der Niederschlagung der Revolution. Sein Ziel war die Einführung einer bürgerlich-kapitalistischen Republik. Die Massen fühlten sich durch die Regierungspolitik mehr und mehr betrogen. Die radikalsten Elemente griffen deshalb im Januar 1919 spontan und verfrüht zu den Waffen, wobei sie vom Spartakusbund unterstützt wurden. Der Aufstand endete aber in einer totalen militärischen Niederlage. Die Nationalversammlung einige Tage später, auf der eine kapitalistische Verfassung angenommen wurde, stellte den entscheidenden Sieg der Konterrevolution in Berlin da. Zwar gab es in der Folgezeit noch viel Versuche eine Räterepublik zu erreichten, diese blieben aber vereinzelt und wurden restlos blutig niedergeschlagen.

Aus dem gegebenen geschichtlichen Abriss lässt sich erkennen, dass die Frage von Revolution oder Konterrevolution in letzter Konsequenz auch auf der militärischen Ebene ausgetragen wird. Das soll natürlich nicht heißen, dass der gewaltsame Sturz einer Regierung schon eine Revolution ist. Es sollte aber klar sein, dass die herrschende Klasse nicht kampflos untergehen wird, wenn es noch eine Person gibt, die bereit ist, für sie eine Waffe zu tragen. Deshalb muss die Frage nach dem bewaffneten Aufstand und der Verteidigung der Revolution immer eine Rolle in revolutionärer Politik spielen. In Deutschland bewaffnete sich die Arbeiter_Innenklasse zwar teilweise, war aber einer militärischen Konfrontation mit der Konterrevolution nicht gewachsen. Das hat mehrere Gründe. Eine wichtige Ursache ist dabei im Krieg selbst zu suchen. Die Arbeiter_Innen, die an die Front gezwungen wurden, sehnten sich nach Frieden und waren froh nach der Heimkehr endlich die Waffen niederzulegen. Sie hofften mit der Beendigung des Krieges endlich Frieden zu haben und wollten einen Bürgerkrieg der Klassen, wenn möglich, verhindern. Vielleicht ist das auch ein Grund, wieso man so gnädig mit den alten Militärs umging. Die Offiziere und reaktionären Soldaten wurden meistens nur vertrieben und nicht gefangengesetzt oder getötet. Das gab ihnen später die Möglichkeit die Revolution niederzuschlagen. Sie konnten sich dabei auf Soldaten stützen, die Kaiserreich und Krieg befürwortet hatten. Den Grund für die Niederlage suchten sie in der Revolution, die sie deshalb um jeden Preis bekämpfen wollten. Ein weiterer Grund ist in der Politik der Arbeiter_Innenparteien zu finden. Die SPD stand von Anfang an fest auf der Seite der Konterrevolution und verhinderte die Bewaffnung der Arbeiter_Innenklasse nach Kräften. Ihre verlogenen Parolen davon endlich Stabilität und Frieden zu einkehren zu lassen, stießen bei der kriegsmüden Bevölkerung leider auf fruchtbaren Boden. Parallel dazu baute der SPD Mann Noske die Truppen der Reaktion, die sogenannten Frei-Korps, selbst federführend mit auf. So konnten die Illusionen der Arbeiter_Innenklasse nach Frieden schnell im Blut ertränkt werden. Leider versäumte es auch der linke Flügel der USPD, der den kämpferischsten Teil der Arbeiter__Innenklasse organisierte, streikende Arbeiter_Innen zu bewaffnen. Einzig die spätere KPD stellt die Forderung nach Entwaffnung der Konterrevolutionär_Innen und Bewaffnung der Arbeiter_Innenklasse auf. Sie war aber leider viel zu schwach, um ihren Forderungen realen Gehalt zu verleihen.
Beide genannten Punkte sorgten dafür, dass sich die Revolution zwar bewaffnete, aber keine militärische Organisation aufbaute. Es gab kein militärisches Training und auch keine Organisierung der Bewaffneten unter den Streikleitungen, den Räten oder den Parteien. Auch die Bildung revolutionäre Gruppierungen im Heer wurde vom SPD-dominierten Reichsrätekongress im Dezember 1918 abgelehnt.

Die Geschichte hat 1918/19 in Deutschland gezeigt, dass eine halbe Revolution von der Konterrevolution im Blut ertränkt wird, wenn sie nicht konsequent zu Ende geführt wird. Dafür steht der Konterrevolution die Polizei, das Militär (sofern es noch der Regierung gehorcht) und reaktionäre (faschistische) Bande zur Verfügung. Wir sind also selbst dazu gezwungen zur Waffe zu greifen, um unsere Ziele gegen diese Kräfte zu verteidigen. Diese Aufgabe kann die Arbeiter_Innenklasse aber nur unter die Führung einer revolutionären Massenpartei erfüllen. Doch auch heute schon müssen wir uns gegen die steigende Anzahl von Angriffe von Nazis und Bullen verteidigen. Außerdem wird es zu spät sein, wenn wir zu lange damit warten. Wir alle wissen, dass Polizei und Militär laufend aufrüsten und in ganz Europa faschistische Milizen aufgebaut und bewaffnet werden. Wenn wir Sozialismus wollen, dann müssen wir die Revolution entschlossen bis zum Ende durchführen und gegen die Reaktion verteidigen, sonst erwartete uns das gleiche Schicksal, wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg: Eine blutige Konterrevolution und weitere 100 Jahre Kapitalismus.

In Russland dagegen bewaffneten sich die Arbeiter_Innen in St. Petersburg und Moskau in Zusammenarbeit mit den stationierten Garnisonen und führten nach Betriebsschluss im Hof der Fabriken Schießübungen durch. Ab Spätsommer 1918 baute man das militärische Revolutionskomitee auf, welches letztlich die bewaffneten Kräfte der Revolution vereinte und den militärischen Teil der Oktoberrevolution durchführte.




„Gelbwestenbewegung“ in Frankreich: Ein Vorbild?

von Peter Böttcher

Zum Ende des letzten Jahres erschütterten massive Proteste die politische Landschaft in Frankreich. Konkreter: Sie erschütterten die liberalen Reformpläne des immer unbeliebter werdenden französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der Anlass war eine geplante „Ökosteuer“ auf Erdöl, die Proteste mit sich brachte, die ganz Frankreich erbeben ließen und Macron soweit in die Enge trieben, dass er Anfang Dezember die geplante Ökosteuer aussetzte und den Mindestlohn erhöhte.

Wer geht auf die Straße?

Im November gingen an zwei Aktionstagen mehr als 500.000 Menschen auf die Straße. Das ist eine ganze Menge dazu noch heterogen und deswegen nicht über einen Kamm geschert werden sollte. Die Bewegung hat in ihrer sozialen Zusammensetzung sowie in den Forderungen einen klassenübergreifenden Charakter.  Anfangs wollten die Initiator_Innen bewusst auf die Teilnahme von Gewerkschaften und politischen Parteien an den Protesten verzichten. Nicht angebliche Ideologien sondern Forderungen sollten im Vordergrund stehen und man wolle sich nicht von Organisationen vereinnahmen lassen. Diese scheinbare Unabhängigkeit ist eine kleinbürgerliche Positionierung. Gleichzeitig hatten die ursprünglichen Initiator_Innen nichts dagegen, dass sich der Rassemblement National, einer rechten Sammlungsbewegung unter der Führung von Marie LePen, die aus dem rechtsnationalistischen Front National hervorging, offen an diesen Protesten teilnehmen. Teilweise konnten sich die Rechten auf diese Weise mit nationalistischen und rassistischen Inhalten sogar an die Spitze der Bewegung stellen. Statt für einen proletarischen Internationalismus, für offene Grenzen und gegen die Außenpolitik der imperialistischen EU zu demonstrieren, wurden nationalistische Gefühle geschürt. Dem Kurs in der Außenpolitik wurde sich angeschlossen, die Forderung nach offenen Grenzen verworfen.

Aber das ist nur eine Seite des Protestes. Denn auch wenn die Linke die Proteste nicht wie z.B. beim Loi Travail initiiert hat, so beteiligten sich unterschiedliche linke Kräfte daran. Manche, wie der kämpferische  Gewerkschaftsbund CGT, liefen den Protesten nach, als diese volle Fahrt aufgenommen hatten. Das finden wir richtig: Der Protest gegen die Ökosteuer ist berechtigt, denn anstatt z.B. den französischen Mineralölgiganten Total zur Kasse zu bitten, wird unter dem Vorwand des Umweltschutzes die Arbeiter_Innenklasse ausgenommen, die im ländlichen Bereich wegen unzureichenden öffentlichen Verkehrsmitteln oft zur Nutzung des PKW gezwungen ist.

Hintergrund

Wichtig ist, dass wir verstehen, dass es sich bei dem Protest in Frankreich nicht nur einen Protest gegen die „Ökosteuer“ handelt. Vielmehr ist er Ausdruck einer gesamten Situation: Die hohen Lebensunterhaltungskosten, Kürzungen der Sozialleistungen und die letzten Angriffe, die das Lòi Travail mit sich brachten, sorgten dafür, dass es weiten Teilen der Bevölkerung schlecht geht. Gleichzeitig bewegt sich die französische herrschende Klasse in einem Spannungsfeld. Um ihre Stellung im Weltmarkt und der EU weiter zu behaupten, müssen sie bestimmte Rechte und Errungenschaften der Arbeiter_Innenklasse und auch das Kleinbürger_Innentum angreifen. Tun sie das nicht, verlieren sie ihren Einfluss aka ihre „Wettbewerbsfähigkeit“. Doch anders als beispielsweise in Deutschland hat die französische Arbeiter_Innenklasse ein größeres Bewusstsein dafür, dass es sich lohnt, auf die Straße zu gehen. Die Erfolge der Vergangenheit mobilisieren nun auch kleinbürgerliche Schichten, sich nicht einfach der Politik des sozialen Kahlschlages zu fügen. Da das Kleinbürger_Innentum jedoch nicht in der Lage ist, eine eigenständige Politik zu entwickeln, die nur dieser Zwischenschicht selbst nutzt, ist der politische Inhalt entsprechend heterogen und schwankt zwischen proletarisch-fortschrittlichen sowie bürgerlich-reaktionären  Forderungen. Dass die Organisationen des Proletariats vorwiegend reformistisch sind und die Proteste nicht anführen, verstärkt den diffusen Inhalt.

Was tun?

Die Proteste in Frankreich sollten uns motivieren. Sie zeigen: Gesellschaftliche Veränderung ist möglich und als Revolutionär_Innen ist es unsere Aufgabe, dort zu intervenieren und aufzuzeigen, was es braucht, um solche Proteste nicht nur in der Luft verschallen zu lassen, sondern damit nachhaltig Etwas zu verändern. Zuerst einmal bedarf es demokratischer Strukturen: An Schulen, Unis, Betrieben sollen sich Streikkomitees bilden, an den Orten, an denen sich Menschen bewegen. Daneben muss klar sein, dass die Angriffe nicht aufhören werden, solange Macron an der Regierung ist. Das heißt, Ziel muss es sein, die Proteste auszuweiten. Es bedarf eines landesweiten, unbegrenzten Generalstreik, der den Sturz der Regierung fordert. Doch uns muss auch klar sein: Die elende Lage der Arbeiter_Innenklasse wird sich nicht verbessern, nur weil Macron die Bühne verlässt.

Wenn ein Generalstreik zum Rücktritt Macrons führt, so stellt der Streik damit die Machtfrage: Ist es die Arbeiter_Innenklasse oder die Bourgeoisie, die der Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt? Um diese Frage im Sinne der Arbeiter_Innenklasse zu beantworten, braucht es den Aufbau von Räten und Selbstverteidigungsstrukturen gegen die Angriffe des Staats und zur Selbstorganisierung. Diese Struktur kann nicht nur Macron verjagen, sondern den imperialistischen Staat angreifen und stürzen und ihn durch eine proletarische Herrschaft ersetzen. Doch damit kann an Grenzen nicht gehalten werden. Die Arbeiter_Innen ganz Europas müssen sich mit den französischen Arbeiter_Innen solidarisieren und die Forderung nach den Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa erheben. Nationalismus und Rassismus sind Gift in diesem Kampf. Sie vereinen die Klassen unter der Tricolore und spaltet die Arbeiter_Innenklasse entlang ethnischer Grenzen. Deswegen zwingend erforderlich für die Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien auf den Demos die Rechten entschieden zu bekämpfen und zu vertreiben und anstelle der Nationalfahne die rote Fahne der Arbeiter_Innen dieser Welt zu schwingen.

 




Was ist Halbfaschismus?

Von Leonie Schmidt

In einer Phase des gesellschaftlichen Rechtsrucks ist es nicht wirklich verwunderlich, dass es weltweit immer mehr autoritäre Regierungen schaffen, an die Macht zu kommen. So beispielsweise Bolsonaro in Brasilien, Erdogan in der Türkei oder Putin in Russland. In diesen Fällen gibt es dann auch viele Linke, die diese Machthaber als Faschisten abstempeln oder auch den ganzen Staat gleich als faschistisch hinstellen. Es ist aber nicht nur im historischen Kontext relevant, nicht einfach mit dem Begriff Faschismus um sich zu werfen (so können beispielsweise die Verbrechen der NS-Zeit herunter gespielt werden), sondern selbstverständlich ist es auch für die Analyse der Phase des Klassenkampfes, in der wir uns befinden, und dementsprechend auch für die Wahl der Taktik wichtig, sich differenziert mit den Handlungen, Strukturen und Zielen der autoritären Regime zu beschäftigen. Hier unterscheiden wir zwischen Faschismus, Halbfaschismus und Bonapartismus.

Selbstverständlich müssen wir aber erst einmal klären, was Faschismus aus einer marxistischen Perspektive überhaupt bedeutet. Der Faschismus ist eine Bewegung, welche aus der Klassengesellschaft entsteht, genauer gesagt aus dem Kleinbürger_Innentum, welches ständig nach Aufstieg in höhere Klassen strebt und gleichzeitig aber vom permanenten Absturz ins Proletariat bedroht wird. Dies trifft besonders in Zeiten von großen Finanzkrisen zu. Auch bevor der europäische Faschismus in den 1930ern aufstieg, gab es eine große Finanzkrise, welche mit starker Inflation einherging.  Der Faschismus diente jedoch hauptsächlich Monopolkapitalist_Innen, da die Produktionsmittel und die Produktionsverhältnisse nun zu ihrem eigenen Vorteil gewaltsam geformt werden können. Während die faschistische Bewegung versucht, die Staatsmacht zu erkämpfen, hat sie auch antikapitalistische Züge,  aber nach dem Erkämpfen der Staatsmacht und der Zerschlagung der Errungenschaften und Organisationen der ArbeiterInnenklasse verfällt jegliche Bewegung und der Faschismus ersetzt das Parlament mit sich als bürgerlich-staatliche Bürokratie, dementsprechend werden auch nicht länger antikapitalistische Inhalte aufrecht gehalten. Faschistische Bewegungen gehen aber auch immer mit Rassismus, Homophobie und Sexismus einher, einerseits aus ideologischen Gründen, andererseits um die ArbeiterInnenklasse weiter zu spalten. Ebenfalls gibt es in faschistischen Organisationen oder Bewegungen auch paramilitärische Gruppierungen, die vor allem vor der Staatsübernahme politische Gegner_Innen ermorden oder verletzen wie bspw. die SA in der Weimarer Republik und selbstverständlich brauchen die FaschistInnen auch eine faschistische Partei.

Nun zum Halbfaschismus. An sich ist das kein guter Begriff, weil es eine gewisse Unsicherheit in der Analyse durchscheinen lässt, aber das auch nicht ohne Grund, denn die Zukunft der Länder oder Regierungen, die beschrieben werden, ist alles andere als glasklar. Das lässt sich am Beispiel Bolsonaro sehr gut betrachten: Er ist an der Macht in Brasilien, hat faschistische Positionen hinsichtlich indigenen Völkern, Frauen, Homosexuellen, spricht von Säuberungen und Genoziden. Er sabotiert antifaschistische Arbeit, indem er geschichtsrevisionistisch allen Unterrichtsstoff, der mit der NS-Zeit einher ging, verboten oder, wenn es sich um Materialen handelt, versucht hat, sie zu beschlagnahmen, wie beispielsweise Banner in einer Uni in Rio De Janeiro, die sich gegen Rassismus und Faschismus richteten. Er feierte auch seinen Wahlsieg zusammen mit seinen bewaffneten Anhängern, dem Militär und der Polizei, was ein grauenvolles Bild von Hass, Sexismus und Rassismus zu Tage brachte. Des Weiteren hat er, um die Wahl zu gewinnen, eine ganze Menge falsche Informationen gestreut. Er kämpft gegen die Organisationen der Arbeiter_Innenklasse und die brasilianische Linke, indem er zum Beispiel den Parteigründer der Linkspartei Lula Da Silva verhaften oder Debatten zum Thema Demokratie in einer Uni stürmen ließ. Er inszeniert sich als starker gewalttätiger Anführer, da er eine Vergangenheit im Militär hat. Das alles lässt nun auf Faschismus schließen. Und sicher ist Bolosnaro auch ein Faschist als Person an sich. Aber noch ist Brasilien kein faschistisches Land und hat auch keine komplett faschistische Regierung. Wenngleich Bolsonaros Partei sehr konservativ ist und er viele AnhängeInnen hat – von einer faschistischen Massenbewegung und einer faschistischen Partei ist sie dennoch nach wie vor etwas entfernt. Somit können wir die brasilianische Regierung als halbfaschistisch bezeichnen. Hierbei ist es sehr wichtig, dass wir den Halbfaschismus als eine Art Übergangsphase zum faschistischen Staat oder zur Niederlage der Faschist_Innen ansehen. Gelingt es Bolsonaro, die ArbeiterInnenbewegung Brasiliens zu zerschlagen und seine grauenvollen profitorientierten und menschenverachtenden Pläne durchzuführen, so können wir davon ausgehen, dass das fünft größte Land der Welt zu einem faschistischen Staat geworden ist. Gelingt es aber den Arbeiter_Innen sich zu organisieren, zu streiken, zu kämpfen und Bolsonaro zu stürzen, so konnte der Faschismus geschlagen werden, eh er sich überhaupt vollständig entfalten konnte. Das ist natürlich schwer und Bedarf auch mehr als nur ein paar Streiks, aber Bolsonaro ist sicherlich nicht unaufhaltsam (Mehr Infos in unserem Artikel „Nieder mit Bolsonaro“ in dieser Zeitung).

Wie bereits oben erwähnt, gibt es aber noch eine andere, für die marxistische Bewegung relevante Analyse autoritärer Regierungssysteme. Das ist der Bonapartismus. Im Gegensatz zum Faschismus und Halbfaschismus entspringt er nicht dem Kleinbürger_Innentum, sondern ist eine Form der Diktatur der Bourgeoisie, bei der sie in einer sehr instabilen Situation ihre politische Macht an einen autoritären Alleinherrscher abtritt, dieser kann sowohl rechts – konservativ sein wie bspw. Erdogan, aber auch vermeintlich links wie Hugo Chavez. Eine solche Situation kann zum Beispiel entstehen, wenn sich keine Fraktion der herrschenden Klassen entscheidend durchsetzen kann oder kein Kompromiss innerhalb der parlamentarischen Demokratie zwischen den Klassen und Fraktionen möglich ist. Dabei stützt sich das bonapartistische Regime auf Teile aller Klassen und Schichten – meist jene, die sich ihrer Klassenzugehörigkeit am wenigsten bewusst sind. Auf Seiten der Arbeiter_Innen drückt sich in der Unterstützung des Bonaparte eine gewisse Verzweiflung aus. Daher werden auch teilweise soziale Forderungen der Arbeiter_Innen erfüllt. Die Unterschiede zum Faschismus sind deutlich im Hinblick auf den Klassenkampf: Während der Bonapartismus eine Art Befriedung des Klassenkampfes und der Fraktionskämpfe innerhalb der Klassen sucht, so richtet sich der Faschismus mit aller Macht gegen die Arbeiter_Innenklasse mit dem Ziel, diese zu zerschlagen. Dabei stützt sich die faschistische Partei vor allem auf eine unabhängige, militante Bewegung des ruinierten Kleinbürger_Innentums. Der Bonapartismus stützt sich von Anfang an auf Teile des Staatsapparates und Teile aller Klassen. Es ist aber relevant, dass diese Systemanalyse nicht nur aufgrund der Frage, gegen wen wie häufig Repressionen angewendet werden, beantwortet wird. Dafür müssen wir uns immer die genauen Geschehnisse im Klassenkampf anschauen!

Eines ist klar: ob Faschismus, Halbfaschismus oder Bonarpatismus – bekämpfen können wir autoritäre Systeme, indem wir eine Einheitsfront mit allen linken und proletarischen Organisationen formen und gemeinsam gegen die Regierungen bis zum Sozialismus kämpfen!




Nieder mit Bolsonaro!

von Peter Böttcher

Im Oktober errang Jair Bolsonaro eine Mehrheit von 55% der Stimmen bei den brasilianischen Präsidentschaftswahlen. Nach seinem Sieg kündigte er massive Angriffe auf die brasilianische Bevölkerung an. Drohungen die Rechte von Frauen einzuschränken, politische Gegner zu kriminalisieren und zu inhaftieren und politische Bewegungen wie die der landlosen (MST) als terroristische Vereinigung zu brandmarken und militärisch gegen sie vorzugehen, wurden bereits ausgesprochen. Gemeinsam mit der Erweiterung der Befugnisse der Polizei und des Militärs, die ebenfalls angekündigt wurden, schafft Bolsonaro sich eine Grundlage, Säuberungsaktionen im ganzen Land durchzuführen. Wenn die organisierten Teile der Arbeiter_Innenklasse in Brasilien nicht unmittelbar agieren, dann werden sie zerschlagen werden!

 

Wie konnte es dazu kommen?

In den letzten Jahren war oft von massiven Korruptionsskandalen in Brasilen die Rede. Die ehemalige Präsidentin Dilma Roussef (PT) wurde 2016 nach einer schmutzigen Antikorruptionskampagne gegen sie und ihre Regierung aus dem Amt entlassen. Ähnliches passierte Anfang letzten Jahres. Der Vorgänger Roussefs Lula da Silva, ebenfalls Kandidat der PT und deutlich populärer als Roussef, wurde ebenfalls der Korruption bezichtigt. In einem zweifelhaften Prozess, der selbst von der internationalen bürgerlichen Presse massiv kritisiert wurde, wurde er ins Gefängnis gesteckt. Diese Vorgänge glichen einem scheinbar legalen Putsch, hatten zumindest ähnliche Auswirkungen. Die installierte Übergangsregierung unter Präsident Temer senkte Steuern für Reiche, wollte das Renteneintrittsalter erhöhen und erließ eine Reihe von umweltfeindlichen Gesetzen. Die Antwort der PT darauf hätte schwächer nicht ausfallen können: Statt Ihre Basis gegen diesen Skandal auf die Straße zu mobilisieren und andere linke Kräfte aufzufordern, es ihnen gleich zu tun, kandidierte Lula einfach aus dem Gefängnis erneut für das Amt des Präsidenten. In diesem Moment hätte die Einheitsfront aus allen Organisationen der Klasse diesen aus seiner Isolation holen müssen. Die Kandidatur wurde verboten, ein unpopulärer und in den Augen der Bevölkerung zum brasilianischen Establishment gehörender Kandidat übernahm, konnte jedoch nicht genügend stimmen sammeln, um sich gegen Bolsonaro durchzusetzen.

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde die brasilianische Regierung von IWF und Investor_Innen dazu gedrängt, massive Kürzungen am brasilianischen Sozialstaat vorzunehmen, hohe Beiträge für Gesundheit und Rente waren das Ergebnis. Gleichzeitig entwickelte sich die PT nach rechts. Die Antiterrorgesetze, die zur WM in Brasilien 2014 ausgerufen wurden und hunderte Aktivist_Innen ins Gefängnis brachten, die Errichtung großer Staudämme im Regenwald oder aber der Ausverkauf der großen Bildungsproteste sind weitere Beispiele für diese Entwicklung. Gleichzeitig nahm die Arbeitslosigkeit und die Verarmung im Land massiv zu, der Anstieg von Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Banden und Drogenkriminalität waren die Folge. Gerade in den Favelas, den armen, meist Vorstadtbezirken, sinkt das Vertrauen in die PT als Partei der Arbeiter_Innenklasse in Brasilien, ist sie nicht einmal dazu in der Lage, ihre Bevölkerung von gewälttätigen Banden zu schützen.

Bolsonaro schlug daraus sein politisches Kapital. Mit einer Kampagne für einen Rechtsruck, für die Stärkung des Rechtsstaates, für eine Regierung mit „harter Hand“ konnte er verängstigte prekäre Teile der Klasse für sich gewinnen. Sein Wahlkampfstratege Steve Bannon konnte in einer klugen Kampagne mit falschen Nachrichtenmeldungen und niederträchtiger Hetze in sozialen Medien, aber auch in etablierten Printmedien Stimmung gegen die PT machen.  Der gleiche Wahlkampfstratege half auch Donald Trump ins Amt zu kommen. Bannon selbst behauptet, dass Bolsonaros Kapitalismus die USA und Brasilien näher zusammenführen werde.

 

Doch wofür steht Jair Bolsonaro genau?

In erster Linie ist er ein Vertreter der Interessen der Kapitalist_Innen. Neben seinen ultrarechten Positionen möchte er Brasiliens Wirtschaft stärken, um das Land so wettbewerbsfähig zu machen. Dass er dafür auch Unterstützung aus dem Ausland erhält, ist wohl kaum verwunderlich. Brasilien besitzt riesige Flächen, die kultiviert und somit für die Landwirtschaft nutzbar gemacht werden können, schon jetzt spielt Brasilien eine Schlüsselrolle im weltweiten Sojaexport und ist Spitzenreiter in der Sojaproduktion, was vor allem als Tierfutter verwendet wird. Auch an natürlichen begehrten Ressourcen mangelt es nicht: Neben Unmengen an Eisenerzen, die bereits abgebaut werden, hat Brasilien eigene Erdölvorkommen. Auch in der Produktion chemischer Erzeugnisse ist Brasilien im internationalen Vergleich ganz vorne mit dabei. Vor der Krise 2007/8 wuchs die brasilianische Wirtschaft um bis zu 8% im Jahr (eine der größten Wachstumsraten überhaupt).

Um sich eine Massenbasis zu verschaffen, die er mit einem rein wirtschaftsliberalen Programm niemals halten könnte, wirft er verschiedene rechte und teilweise sogar faschistische Forderungen auf. „Jede Aktion von MST und MTST wird als Terrorismus beurteilt werden. Das Privateigentum ist heilig“, so äußerte sich Bolsonaro kurz nach der Wahl. Diese Aussage richtet sich direkt gegen kämpfende Teile der Klasse, die sich nicht der Herrschaft des Kapitals und seinen Eigentumsverhältnissen unterwerfen wollen, die das Privateigentum an Produktionsmitteln infrage stellen wollen, so wie wir es ebenso tun. Indigenen Teilen der brasilianischen Bevölkerung will er die Schutzräume nehmen, den Regenwald  abholzen, um Platz für industrialisierte landwirtschaftliche Produktion zu machen. Außerdem möchte er Menschen mit nicht heteronormativer Einstellung aus dem wirtschaftlichen Prozess und dem gesellschaftlichen Leben fernhalten. Dabei versäumt er es nicht, seine Bewunderung für einen General (Carlos Alberto Brilhante Ustra) auszudrücken, der in den 70er Jahren Chef des brasilianischen Folterzentrums DOI-CODI und berüchtigt für seine unmenschlichen Grausamkeiten gerade gegenüber Frauen war. Sexismus, Rassismus, Homophobie, Neoliberalismus, Militarismus und Verbrechen gegen die Umwelt und der Kampf gegen die organisierte Arbeiter_Innenschaft, dafür steht Jair Bolsonaro.

Teile seines zukünftigen Kabinetts hat er schon vorgestellt. Wichtige Posten, die für Innere Sicherheit und Außenpolitik und zwei weitere Ministerien sollen an hochrangige Militärs gehen. Ein neues Superministerium für Wirtschaft und Finanzen soll von dem Multimillionär und Investmentbanker Paolo Guedes geführt werden. Justizminister soll Sergio Moro werden – er brachte Lula ins Gefängnis. All das riecht nach der Vorbereitung eines weiteren Staatsstreiches, diesmal mit einem rechtsradikalen Kandidaten, der faschistische Schlägerbanden und das Militär in der Rückhand hat.

Die PT schickte gegen ihn den Akademiker Fernando Haddad ins Rennen, der von vielen als Teil des etablierten, teils korrupten aber vor allem degenerierten politischen Establishments angesehen wird. Er konnte keine Perspektive für die drängendsten Fragen der brasilianischen Arbeiter_Innen liefern, die PT reflektierte ihren neoliberalen Schwenk unzureichend und war nicht dazu bereit, mit linken Teilen, mit der kommunistischen Partei oder Vertreter_Innen der Landlosenbewegung zusammenzuarbeiten. Sie machte Wahlkampf, wobei Haddad sich eher als Kandidat des rechten Flügels der PT zeigte. Zwar wollte er Kürzungen von der Übergangsregierung zurücknehmen, Angriffe auf das Rentensystem und Privatisierungsmaßnahmen waren aber ebenso Teil seiner Forderungen.

Nun steht die PT vor einem Scherbenhaufen. Der populäre Lula ist im Gefängnis, ihr Kandidat konnte sich nicht gegen Bolsonaro durchsetzen und die jetzige Regierung wird Unterstützung aus dem imperialistischen Ausland, vor allem aus den USA, aber auch von Kreditgebern erhalten. Denn neben den physischen Angriffen, die sogar schon im halben Jahr vor seiner Wahl ca. 5000 Aktivist_Innen, Linke, LGBTIA töteten, wird er eine massive liberale Agenda starten. Der Ausverkauf des Sozialstaates, die Privatisierung von Petrobras (Mineralöunternehmen in teilweise staatlichem Besitz), noch schnellere Rodung des brasilianischen Urwaldes und die Rücknahme von Arbeiter_Innenrechten werden folgen.

Die brasilianische Arbeiter_Innenbewegung muss nun alles dafür tun, um gegen diese Angriffe vorzugehen. Alle Organisationen der Klasse müssen sich gemeinsam in einer Einheitsfront die Zerschlagung des reaktionären Staatsapparats zum Ziel setzen. Den Angriffen von Bolsonaro muss sich entschlossen entgegengestellt werden. An die traditionell erfolgreiche Generalstreikbewegung anknüpfend müssen überall im Land politische Streiks die Wirtschaft lahmlegen. In koordinierten Aktionsräten müssen weitere Schritte geplant und mit einem zentralen politischen Programm umgesetzt werden. Die Gründung von Arbeiter_Innenmilizen muss unmittelbar erfolgen. Gleichzeitig müssen die Gewaltorgane des Staates dazu bewegt werden, die Waffen umzudrehen, nicht auf  die eigene Bevölkerung sondern auf die Regierung zu richten. Wenn sich Gewerkschaften, die Landlosenbewegung, die proletarischen Parteien nicht unmittelbar dafür entscheiden, eine Einheitsfront zu bilden, kann es bald schon zu spät sein. Wie eingangs erwähnt will Bolsonaro die Organe der Klasse zerschlagen, ihre Führer_Innen kriminalisieren und ihre Anhänger_Innen einlochen, jetzt abzuwarten, käme dem politischen Selbstmord gleich.

Auch auf internationaler Ebene müssen diese Angriffe angeprangert werden. Streiks in multinationalen Unternehmen, welche die brasilianische Regierung unterstützen, können ein Anfang sein, ebenso die Rechtspopulist_Innen im eigenen Land zu bekämpfen, die selbst Teil des Internationalen Rechtsrucks sind. Gegen die internationale Reaktion hilft nur eine international koordinierte Arbeiter_Innenbewegung.

Solidarität mit der brasilianischen Arbeiter_Innenklasse!

Nieder mit Bolsonaro!




Warum der Sieg von AKK kein Grund zur Freude ist…

von Marvin Schutt

In einer knappen Stichwahl für den neuen CDU-Vorsitz setzte sich Annegret Kramp-Karrenbauer (im Folgenden AKK) mit nur 35 Stimmen mehr gegenüber ihrem Kontrahenten Friedrich Merz durch. Die neue Chefin der Konservativen löst damit Kanzlerin Angela Merkel ab, die einige Monate zuvor angekündigt hatte, ihr Amt als Parteivorsitzende niederlegen zu wollen. Nachdem auf Twitter, in der Tagesschau und am Stammtisch überall vom Ende der „Ära Merkel“ und einer Neuausrichtung der Partei die Rede war, blickten viele gespannt auf die Ergebnisse der Vorstandswahl. Ein erleichtertes Aufatmen war nach dem Sieg von AKK nicht nur aus den Reihen von SPD, Grünen, Linken und Gewerkschaften zu vernehmen, sondern auch einige aus der radikalen Linken und viele unserer linken Freund_Innen haben sich heimlich gefreut, dass nicht Merz oder Spahn das Rennen gemacht haben.

Ist AKK das geringere Übel?

Natürlich wirkt die taffe Frau mit kurzen Haaren und Brille aus dem gemäßigteren CDU-Lager erst einmal wie das geringere Übel gegenüber ihren erzkonservativen Kontrahenten Spahn und Merz. Als ehemaliger Investmentbanker und Aufsichtsratsvorsitzender eines Hedgefonds hat Merz keinen Hehl daraus gemacht, eine Wirtschaftspolitik im Sinne seiner Kumpels aus dem Finanzkapital durchsetzen zu wollen. Zum Beispiel indem der Multimillionär vorschlug, Reiche steuerlich zu entlasten und Sozialleistungen zu kürzen. Aber nein, Merz wollte nicht nur, dass es uns wirtschaftlich noch beschissener geht. Mit seiner Law-and-Order-Politik wollte er gleichzeitig noch härter gegen Proteste, die aus solchen Missständen entstehen könnten, repressiv durchgreifen und gleichzeitig die EU-Außengrenzen stärker abschotten. Stimmen wollte er sich damit erkaufen, indem er versprach, durch ein solches Programm AfD-Wähler_innen zurück in „die Mitte“ zu holen. Jens Spahn, der bereits in der Vorrunde ausgeschieden war, hatte wohl unter anderem deshalb keine Chance, da er sich politisch kaum von Merz unterscheidet. Für die CDU sollte er lediglich das junge und frische Gesicht für diese extrem konservative Neuausrichtung sein. Kleine Anmerkung: Spahn ist fast 40 Jahre alt.

AKK steht stattdessen für Merkels „Weiter so!“. Schon im Vorhinein hatte die Kanzlerin durchblicken lassen, dass AKK ihre Favoritin für den Vorsitz sei. Im Wahlkampf hatte sich AKK auf den unterschiedlichen CDU-Parteitagen damit profiliert, die Politik der CDU im Sinne Merkels fortführen zu wollen. Also lieber „Weiter so“ anstatt erzkonservativer Neuausrichtung? Wofür steht das merkelsche Credo eigentlich? Was soll „weiter so“ fortgeführt werden?

Was bedeutet „Weiter so…“?

In 13 Jahren Merkel hat die CDU so einige gefährliche Dynamiken überstanden. Mit dem Atomausstieg, der Abschaffung der Wehrpflicht oder der Einführung eines (mickrigen) Mindestlohns hat sie sogar eine gute Arbeit gemacht, könnte man denken. Das alles sind jedoch nur winzige soziale Brotkrumen im Vergleich zu dem, was ihre Politik noch auf dem Kerbholz hat: In der Ära Merkel hat die Einkommensverteilung in der BRD das höchste Maß an Ungleichheit in der ganzen EU angenommen; jede fünfte Person in Deutschland ist von Armut bedroht; demokratisch gewählte Regierungen wurden auf Drängen der deutschen Wirtschaft entmachtet und mit Sparzwängen geknechtet, die wiederum Arbeitslosigkeit und Armut in Südeuropa in die Höhe schießen ließen; die europäischen Außengrenzen wurden massiv abgeschottet und tausende Geflüchtete mussten im Mittelmeer ertrinken. Gleichzeitig wurde mit neuen Polizeigesetzen nicht nur nach innen sondern durch eine stetige Erhöhung des Bundeswehretats auch nach außen gewaltig aufgerüstet. AKKs „Weiter so“ steht also für ein weiter so mit Privatisierung, weiter so mit Sozialkürzung, weiter so mit Austeritätspolitik, weiter so mit der Festung Europa sowie weiter so mit Repression nach innen und Aufrüstung nach außen.

Wächst auch die deutsche Wirtschaft „weiter so“?

Dass Merkel die deutsche Wirtschaft ohne starke Verluste durch die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrisen manövriert hat, ist auch der Grund dafür, dass für uns das ein oder andere soziale Geschenkchen (wie ein mini-mini-Mindestlohn) übrig war. Die Frage ist aber, ob dies auch für AKK so möglich sein wird. „Weiter so“ funktioniert auf der politischen Ebene nämlich nur, wenn die Wirtschaft auch „weiter so“ läuft. Und danach sieht es mit der EU-Schuldenkrise, dem Brexit und dem schwelenden Handelskrieg zwischen China und den USA gerade nicht aus.

Sollte sich die internationale Konkurrenz wirtschaftlich und militärisch also weiter zuspitzen wird AKK das gezwungen sein, einen aggressiveren Kurs nach außen und nach innen einzuschlagen. Denn letztlich ist es die politische Funktion der CDU, die Interessen der deutschen Konzerne und Unternehmen zu vertreten – schließlich wissen wir ja alle: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut!“ (Nicht!). Hinzu kommt, dass AKK durch das knappe Wahlergebnis aktuell fast die Hälfte ihre Partei gegen sich hat. Allein um diese 48%, die für Merz gestimmt haben, im Boot zu halten, wird sie mehr soziale Angriffe, mehr Rassismus, mehr Sexismus und mehr Repression wagen müssen. Dass AKK dazu bereit ist, das Ruder ohne mit der Wimper zu zucken weiter nach rechts zu reißen und sie ohnehin wesentlich konservativer als ihre Vorgängerin Merkel ist, hat sie auch schon bereits in ihren Wahlkampfreden ziemlich deutlich gemacht: So steht sie nicht nur für mehr rassistische Abschottung durch „Transitzentren, Schleierfahndung und bilaterale Abkommen zur schnellen Rückführung“ sondern wünscht sich auch einen autoritäreren „starken Staat […],der sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt, […] von autonomen Chaoten wie hier in Hamburg bei G20“. Daneben hat sie sich auch für einen konservativen Ehebegriff, gegen sogenannte „Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“ und für mehr Selektion im Bildungssystem stark gemacht. Eines steht also fest: Die CDU rückt weiter nach rechts, auch ohne Merz und mit AKK.

Uneinigkeit in der herrschenden Klasse

Die Tatsache, dass man sich sogar innerhalb der CDU – der klassischen parlamentarischen Vertretung der deutschen Wirtschaft – so uneinig darüber ist, wie es weitergehen soll, zeigt auch, dass die Konzerne und Banken selber keinen Plan haben, wie sie in Zukunft ihre Profite generieren wollen. Die verschärfte Konkurrenz unter den Großmächten, die zunehmende Instabilität der EU, wachsende Spannungen zwischen großen und kleineren Unternehmen in der Frage der Grenzpolitik und eine drohende ökologische Katastrophe machen es ihnen schwer, langfristige Konzepte zu entwickeln, mit denen sie weiter an der Spitze der Weltwirtschaft bleiben. Und deshalb wissen sie auch nicht so richtig, auf welches Pferd sie in politischer Hinsicht setzen sollen. Das zeigen uns die zersplitterten Ergebnisse der vergangenen Landtagswahlen.

Während die Welt den Bach runtergeht, sollten wir als diejenigen, die die ganze Scheiße ausbaden müssen, nicht passiv rumsitzen und hoffen, dass uns die herrschende Klasse mit AKK an der Spitze nicht ganz so doll unterdrücken wird. Wenn wir unseren Arsch retten wollen, müssen wir selber aktiv werden, uns organisieren und klare Kante gegen die sozialen Angriffe, den Rassismus und den Sexismus der CDU zeigen! Die Proteste in Frankreich machen es vor, wie man aktiv Druck auf die Herrschenden ausüben kann. Lasst uns deshalb die Politik raus aus den Szenekneipen und Hinterzimmern holen und sie rein in die Schulen, Unis, Betriebe und auf die Straßen tragen!




Neutralität, Schule und AfD – Das geltende Recht ist den Rechten nicht rechts genug

von Jan Hektik

Mit dem Neutralitätsgebot der Schule und dem Beutelsbacher Konsens kämpfen Linke an der Schule seit Ewigkeiten. Ob als Schüler_In, der_die einen Vortrag halten möchte, in dem ein Rätesystem tatsächlich behandelt wird, oder als Lehrkraft, die zu antifaschistischen Protesten aufrufen will – immer wird es einem vorgehalten.  Doch was ist mit dem „Neutralitätsgebot“ eigentlich gemeint, was sagt der Beutelsbacher Konsens genau? Der Beutelsbacher Konsens, in den 1970ern entstanden, stellt einen Minimalkonsens (also das wenigste auf das man sich einigen konnte) über die Art, wie politische Bildung stattfinden sollte, dar. An sich wurde sich nur auf drei Grundprinzipien geeinigt: „Überwältigungsverbot (keine Indoktrination); Beachtung kontroverser Positionen in Wissenschaft und Politik im Unterricht; Befähigung der Schüler, in politischen Situationen ihre eigenen Interessen zu analysieren.“[1]  Das Überwältigungsverbot zielt auf die Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler ab. Zentral ist hier die Vorstellung, dass jede und jeder eine eigene Einschätzung vornehmen und eine eigene Meinung bilden kann und auch soll. Deswegen ist es verboten, sie mit politischen Meinungen zu überrumpeln. Die Bildung eines selbstständigen Urteils soll nicht verhindert werden. Die Beachtung kontroverser Positionen, soll lediglich vorschreiben, dass Positionen in Wissenschaft oder Politik, die umstritten sind, auch umstritten dargestellt werden. Der Dritte Grundsatz soll die Lehrkräfte dazu anhalten, den Schülerinnen und Schülern eine Meinung nicht einfach nur zu präsentieren, oder vor ihnen eine Abwägung durchzuführen, sondern ihnen die Fähigkeiten zu vermitteln, eine eigene Einschätzung vorzunehmen, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen und anhand dieser eine eigene Position zu beziehen. Wie so oft klingt das zwar ganz gut, sagt aber eigentlich wenig Konkretes. Also gucken wir uns doch mal an, wie das umgesetzt wird. Mit dem zweiten Grundsatz wird bei schulischen Veranstaltungen gerne argumentiert, man müsse, wenn man linke Gruppen sprechen lässt, auch rechte Parteien wie z.B. die CDU sprechen lassen. Andersrum, also wenn beispielsweise eine Wahlveranstaltung an der Schule mit CDU, SPD, Linkspartei und Grünen stattfindet, wird niemals die Forderung nach linkeren Meinungen aufgestellt. Auch wird dabei nicht beachtet, dass Neutralität immer die herrschenden Verhältnisse unterstützt. Wenn ich mich zu Fragen der Unterdrückung wie Rassismus oder Sexismus neutral verhalte, unterstütze ich die, die gerade stärker sind. Und dass sind die Rassist_Innen und Sexist_Innen. Wir sehen also hier, der Beutelsbacher Konsens wird vor allem GEGEN linkes, freiheitliches und soziales Denken benutzt.

Doch was seit kurzem von der AfD initiiert wurde, ist neu und geht noch viel weiter. Ihr Hamburger Landesverband hatte die Plattform „Neutrale Schule“ gestartet. Diese soll Schüler_Innen und Lehrkräften ermöglichen, Lehrer_Innen zu melden, die sich kritisch über diese Partei äußern. Nach Hamburg planen die Rechtspopulist_Innen, die Plattform in 9 weiteren Ländern an den Start zu bringen: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In Berlin war sie bereits online, während in Brandenburg (noch) „technisch-juristische“ Probleme zu lösen waren. Zur Rechtfertigung ihrer Kampagne führt die AfD unter anderem die „Zustände“ an der Paul-Schmidt-Schule in Lichtenberg an. Dort habe eine Unter-18-Wahl unter Schüler_Innen stattgefunden, bei der sogar die FDP, nicht jedoch die AfD behandelt worden wäre. Dabei verschweigt die Partei geflissentlich, dass sie nicht aufgeführt wurde, weil sie auf die Anfrage, Informationen für die Wahl zur Verfügung zu stellen, nicht antwortete und deshalb nicht einbezogen wurde.

Widerstand dagegen gibt es bislang vor allem von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nachdem juristisch wahrscheinlich wenig gegen das Portal auszurichten ist, hat die GEW dazu aufgerufen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Weiter als diese eher schwache Maßnahme ging die Aktivität von Lehrkräften in der Ausbildung. In Hamburg musste die Plattform zeitweise geschlossen werden, da massive Fake-Anzeigen eingingen und die Seite mit riesigen Uploads lahmgelegt wurde. Auch haben sich diese in Massen selbst auf den Seiten angemeldet. Auf der Website „Change.org“ wurde unter dem Motto „Mein Lehrer fetzt“ eine Petition an die Kultusministerkonferenz initiiert. Diese ist zwar nicht sonderlich aussagekräftig, erklärt sich aber solidarisch mit AfD-kritischen Lehrkräften.

Ziele der Rechten

Diese Plattformen sind jedoch nur ein Teil des Versuchs der AfD, auf Schulen einzuwirken. Im Landtag von Sachsen-Anhalt hat sie beantragt, die Landesmittel für das Projekt „Schule ohne Rassismus“ zu streichen, weil „dieses Netzwerk doch stark genutzt wird, um Stimmungsmache gegen demokratisch gewählte Parteien – in dem Fall gegen unsere Partei – zu betreiben“, wie Fraktionschef Oliver Kirchner gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte.

Mit ihren Kampagnen verfolgt die AfD mehrere Ziele:

  • Einschüchterung linker und aller AfD-kritischen Lehrer_Innen und Schüler_Innen
  • Disziplinarmaßnahmen gegen Beschäftigte
  • Kontakt zu rechten Schüler_Innen, Eltern und Lehrer_Innen, um so selbst Strukturen aufzubauen.

Daher werden Petitionen oder auch das Lahmlegen von Servern auf die Dauer wirkungslos bleiben. Notwendig ist offensiver und kollektiver Widerstand gegen die rechtspopulistische Denunziation. Versammlungen der Beschäftigten, Schüler_Innen und Eltern sollten sich gegen die AfD-Plattform stellen, über deren reaktionären Charakter an der Schule aufklären und zugleich einen Kampf gegen die Einschränkung politischer Betätigung und Meinungsfreiheit an den Schulen aufnehmen. Dass sich die AfD auf das „Neutralitätsgebot“ an den Schulen beruft, ist darüber hinaus bis zu einem gewissen Grad selbst ein Witz, weil sie so einen Freibrief für Rassismus, Hetzpropaganda und Denunziant_Innentum erhalten will.
Aber das Neutralitätsgebot und der Beutelsbacher Konsens sind zugleich auch Einschränkungen linker politischer Betätigungsfreiheit an den Schulen. Sie richten sich auch gegen das Verteilen von Flugblättern linker Jugendgruppen, antirassistische oder antifaschistische Arbeit an den Schulen. Schließlich können solche Gesetze auch gegen offen politische Aktivitäten von Gewerkschaften, das Aufrufen zu politischen Protestkundgebungen während der Schulzeit herangezogen werden – und sei es nur zum Zweck der Einschüchterung. Lasst uns genau das tun, statt uns dem Staat oder der AfD zu beugen. Lasst uns Flyer schreiben und verteilen in Solidarität mit den denunzierten Lehrer_Innen. Lasst uns Diskussionsveranstaltungen dazu organisieren, was Neutralität in der Schule bedeutet und was für eine Bildung wir eigentlich brauchen. Wenn wir eine Schule der Lehrenden und vor allem Lernenden haben wollen, bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als sie aufzumischen. Eine Anleitung dafür haben wir gerade veröffentlicht (siehe „Revolutionäre Politik in die Schule tragen – Ein Leitfaden zum Klassenkampf“).

 

  • Nein zum AfD-Denunziationsportal! Weg mit allen Einschränkungen freier politischer Betätigung für Lehrer_Innen und Schüler_Innen!

  • Für eine Bewegung der Schüler_Innen und Jugendlichen gegen die AfD und den Rechtsruck! Für Versammlungen gemeinsam mit Lehrer_Innen, und sonstigen Beschäftigten, um eine gemeinsame Kampagne gegen die AfD, Rechtspopulismus und Rassismus zu organisieren!

[1]Zitat Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens




„Es gab keine Menschenjagd!“ – Chemnitz, der VS und Hans-Georg Maaßen

Wer in der letzten Zeit auch nur ein bisschen die Medien verfolgt hat, hat sicher auch von diesem Mann gehört: Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz seit 2012.
Ein Video, auf dem mehrere Nazis einen migrantischen Menschen verfolgten, rassistisch beleidigten und angriffen, zweifelte Maaßen sofort an mit der Begründung, es lägen keine Belege dafür vor, dass die Inhalte dieses Videos auch wirklich real seien. Experten überprüften das Video und waren sich sicher: dieses Video muss echt sein. Des Weiteren meldeten sich das Opfer und Zeugen drei Tage nach Veröffentlichung dieses Videos bei der Polizei und erstatteten Anzeige. Das Opfer ist der 22-jährige Alihassan S., er flüchtete 2017 aus Afghanistan.

„Es gibt einfach zu viele Faschisten hier.“
– Alihassan S. zum Angriff gegen ihn

Auch das Amtsgericht bestätigte, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gäbe, dass das Video ein Fälschung sein könnte, trotzdem äußerte sich Maaßen gegenüber der BILD, dass es sich bei dem Video um eine Falschinformation handelte, um von dem Mord an Daniel H. in Chemnitz abzulenken. Wenige Tage später leugnet er diese Aussage wiederum, und behauptet, er hätte ja nie gesagt, dass das Video gefälscht sei. Nun forderte man daraufhin Maaßens Entlassung – entlassen wegen einer Falscheinschätzung? Diese Falscheinschätzung war nicht etwa sein erstes Versäumnis: Am 19. Dezember, 2016 raste der islamistische Terrorist Anis Amri mit einem geklauten Sattelzug in eine Menschenmenge auf dem Berliner Weihnachtsmarkt – 11 Menschen ließen ihr Leben, der Sattelzugbesitzer wurde von Amri kaltblütig ermordet, 55 weitere wurden im Zuge des Attentates verletzt. Dieser Anschlag hätte verhindert werden können, denn der VS hatte einen Spitzel in Amris Umkreis. Anstatt Selbstkritik zuzulassen, leugnet Maaßen wiederum seinen Spitzel.
Als Referatsleiter „Ausländerrecht“ im Innenministerium im Jahre 2002 schrieb er ein Gutachten über den Fall Murat Kurnaz. Murat Kurnaz war ein türkischer Staatsbürger, in Deutschland geboren, und saß von 2002 bis 2006 in Guantanamo ohne Anklage. Sein Fall wurde geprüft und er erwies sich als nicht rechtens, weshalb Deutschland ihn wieder aufnehmen sollte. Maaßen aber, der das innerhalb seines Gutachtens prüfen sollte, verweigerte dies, weshalb Murat K. fast 5 Jahre in Guantanamo, das härteste Gefangenenlager der Welt, blieb. In seinem Aufsatz „Kirchen, Asyl und Rechtsstaat“ bezeichnete Maaßen bereits 1997 Pfarrer und Gemeinden, die Flüchtlinge in ihren Kirchen aufnehmen, als „kriminelle Vereinigung“.
Nachdem der Verfassungsschutz in dem NSU-Fall bereits total versagte, und unzählige Akten gegen die terroristische Nazi-Gruppe aus dem Untergrund zerstörte, wurde Maaßen als neuer VS-Chef eingesetzt, obwohl er sich äußerst unkritisch über diesen Fall äußerte und die Fehler seines Vorgängers und seiner Vereinigung einfach leugnete. 2015 traf sich Maaßen mit der damaligen Vorsitzenden der AfD Frauke Petry, er soll ihr wohl verraten haben, „wie man vermeidet, vom Geheimdienst beobachtet zu werden“, außerdem traf er sich nachweisbar etwa dreimal mit dem AfD-Politiker Alexander Gauland. Jegliche Beobachtungen der AfD lehnt Maaßen ab. Er sehe bei der Partei eine „ganze Reihe von Problemen, die sie selbst hat, aber auch dem Problem, dass dort Rechtsextremisten versuchen unterzuschlüpfen. Wobei wir derzeit feststellen, dass die AfD versucht, diese Rechtsextremisten aus ihrer Partei zu isolieren oder auszugrenzen.“ Fakt ist nur, dass die AfD diese Rechtsextremisten sogar in ihren Vorstand wählt. Die ARD besuchte sogar vor wenigen Tagen einen AfD-Funktionär, der beim Verfassungsschutz arbeitet. Der landesweite Verfassungsschutz will die AfD sogar beobachten, weil sie mit Neonazis, PEGIDA und der Identitären Bewegung zusammen arbeiten, darf es aber nicht, weil Maaßen und der bundesweite VS es nicht erlauben.
Die Linke, die Grünen und die SPD forderten schnell Maaßens Rücktritt. Auch Merkel entschied sich unter dem Druck von außen für seine Kündigung. Dieser wandelte sich schnell in eine Beförderung zum Staatssekretär ins Innenministerium um. Und die SPD, die erst für seine Entlassung war, steht hinter dieser Beförderung – für eine Partei nicht untypisch, die vor der Wahl mit der Ankündigung propagierte, nun in Opposition zu gehen und nach der Wahl plötzlich doch in Koalition trat.

Verfassungsschutz-Präsident Maaßen will keine Hetzjgden auf MigrantInnen in Chemnitz gesehen haben – Die Betonung liegt auf „will“!

Fälle wie diese zeigen uns wiederholt: der Verfassungsschutz ist eine Behörde besetzt von zum Teil hartgesottenen Rechten, die ihrem reaktionären Gründungsziel 1950, nämlich der Zerschlagung der KPD, bis heute treu blieb. Eine Entlassung Maaßens allein reicht deshalb nicht. Wir als Jugend und ArbeiterInnen müssen die gesamten Strukturen des Verfassungsschutzes zerschlagen! Erst dann können wir auch die geheimen Akten (sofern nicht geschreddert) öffnen und die VerbrecherInnen des Verfassungsschutzes aburteilen. Außerdem fordern wir weiterhin die Entlassung des Rassisten Maaßen aus jeglicher mächtigen Position, bevor dieser noch weiter die rechte Bewegung unterstützen kann.




Auf dem Weg in den Welthandelskrieg?

Christian Mayer

Im März war es soweit: US-Präsident Donald Trump brachte per Dekret Schutzzölle in Höhe von 25% auf Stahl- und 10% auf Aluminiumimporte aus China auf den Weg. Der Aufschrei quer durch die bürgerliche Medienlandschaft war entsprechend groß. So sollte anfangs auch die EU unter diese Maßnahmen fallen, welche aber bis Ende Juni (vorerst) ausgesetzt wurden.

 

Das hat allerdings weniger damit zu tun, dass für die Arbeiter_Innen in der US-Stahlindustrie neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen als damit, dass es darum geht einem imperialistischen Konkurrenten einen deutlichen Warnschuss zu verpassen. Die Schutzzölle auf Stahlimporte helfen der Stahl herstellenden Industrie nicht wirklich, viel mehr haben diese Maßnahmen eher negative Auswirkungen auf die Stahl bearbeitende Industrie (Schwerindustrie bzw. Autoindustrie), da die Materialpreise steigen was wiederum dazu führt dass die Gesamtkosten für die Produktion sich erhöhen. Um diese sich erhöhenden Gesamtproduktionskosten zu verringern muss ein Ausgleich geschaffen werden, damit am Ende noch Gewinn erwirtschaftet werden kann. In diesem Fall wird in erster Linie an den Personalkosten gespart, was bedeutet, dass es zu Lohnverzicht und im weiteren Verlauf zu Arbeitsplatzabbau kommt. So viel zum versprochenen „Jobwunder“ von Trump.

 

Innerimperialistische Auseinandersetzung

 

Doch es geht noch weiter. Nicht nur, dass inzwischen auf Stahl- und Aluminiumimporte aus China Schutzzölle erhoben werden, auch der Export von bestimmten technologischen Bauteilen etwa für Smartphones nach China wird streng reglementiert. Das führte dazu, dass der chinesische Smartphonehertseller ZTE in eine enorme wirtschaftliche Schieflage geriet und die Produktion wie auch das operative Geschäft (also alles drum herum) sehr weit herunterfahren, ja fast schon komplett stilllegen musste.

 

Wie bereits weiter oben erwähnt haben diese Maßnahmen weniger damit zu tun, die Arbeitsplätze im Inland zu schützen als dass es darum geht, einem imperialistischen Konkurrenten wirtschaftlich zu Schaden und die eigene wirtschaftliche Stellung wieder an die Spitzenposition zu bringen. In den vergangenen knapp 30 Jahren seit dem Ende des Stalinismus in Osteuropa und dem Ende der Sowjetunion wie auch durch den wirtschaftlichen Aufschwung Chinas durch dessen vorsichtige Öffnung hin zum Weltmarkt sind für den US-Imperialismus neue Konkurrenten entstanden. Nicht nur  wirtschaftlich, sondern auch auf militärischer und geopolitischer Ebene fordern sie die vormalige Vormachtstellung der USA heraus. Gerade Russland und China als neue imperialistische Konkurrenz versuchen immer mehr an Einfluss zu gewinnen und den US-Imperialismus zurück zu drängen.

 

Besonders sieht man dies derzeit sowohl in Syrien, wo der russische Imperialismus die geostrategischen Pläne seit mittlerweile drei Jahren aktiv militärisch durchkreuzt, als auch in der Ostukraine, wo die Pläne des US-Imperialismus ebenfalls einen Rückschlag erhielten in dem sich Russland die Halbinsel Krim kurzerhand einverleibte und die wichtigen Industriestandorte im Donezk-Becken von vermeintlich pro-russischen Separatisten kontrolliert werden. Dies hatte dementsprechend Sanktionen seitens der US-Bourgeosie zur Folge, welche der russischen Wirtschaft drei Jahre schwer zu schaffen machte (inzwischen gibt es wieder ein sehr leichtes Wirtschaftswachstum).

Auch die Auseinandersetzungen mit China sind weitreichender als die beschriebenen Schutzzölle und Exportreglementierungen. So ist die chinesische Volksbefreiungsarmee bereits seit Jahren damit beschäftigt, sich immer weiter aufzurüsten um auf militärischer Ebene mit der US-Army und der US-Navy mithalten zu können. Zudem wurde beispielsweise im vergangenen Jahr der erste chinesische Flugzeugträger in Betrieb genommen, weitere sollen folgen.

 

Aber auch weitere Maßnahmen wie etwa das Aufschütten von künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer zur Erweiterung des 12 Seemeilenhoheitsgebietes vor Staatsküsten und die Streitigkeiten um mögliche Rohstoffquellen wie vermutete Öl- und Gasvorräte an der gleichen Stelle, aber auch die Kontrolle von wichtigen Schifffahrtsrouten in dieser Weltregion zeigen, dass der Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den diversen imperialistischen Mächten im vollen Gange ist.

 

Perspektive für die Arbeiter_Innenklasse und die Jugend

 

Die ergriffenen Maßnahmen seitens Trump haben unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeiter_Innenklasse und die Jugend nicht nur in den Ländern, gegen die die verhängten Sanktionen gerichtet sind; sie betreffen auch die Arbeiter_Innenklasse und die Jugend in den USA: Zwar entstehen neue Arbeitsplätze, allerdings zu schlechteren Bedingungen als die bereits bestehenden Arbeitsplätze was man vor allem am niedrigerem Lohn sieht den die neuen Arbeiter_Innen in den verschiedenen Industriebereichen erhalten. Für die Jugend in den USA dürfte es schwieriger werden, einen Job zu bekommen da die Konkurrenz groß ist. Und hat man erstmal einen Job bekommen geht es darum, irgendwie das eigene Überleben zu sichern da die Löhne niedrig und die Perspektiven nach der Ausbildung dauerhaft übernommen zu werden schlechter sind als hierzulande.

 

Also alles schlecht für die Arbeiter_Innen und die Jugend? Nicht unbedingt wenn sie sich anfangen gegen die Zustände zur Wehr zu setzten. Dafür ist es notwendig, dass sich sowohl Jugendliche wie auch die Arbeiter_Innen gemeinsam in den Gewerkschaften organisieren und den Kampf gegen Niedriglöhne, schlechte Perspektiven aber auch die Spaltung untereinander etwa durch rassistische Vorurteile aufzunehmen. Wichtig ist es, wie auch in allen anderen Ländern der Welt, die demokratische Kontrolle über die Gewerkschaften zu erlangen und sie dem Einfluss der reformistischen Gewerkschaftsführer_Innen zu entziehen. Dafür muss zwangsläufig mit der Sozialpartner_Innenschaft gebrochen werden, denn die Kapitalist_Innen sind nicht die Freund_Innen der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend und haben kein Interesse daran die Probleme der Mehrheit der Bevölkerung zu  lösen. Daher kann die Lösung nur im revolutionären Sturz dieses Systems liegen.

 

 




Afrin: Was passiert eigentlich gerade in Syrien?

von Jonathan Frühling, REVOLUTION Kassel

Seit dem 20. Januar 2018 rollen Panzer, schwere Artillerie und hunderte Fahrzeuge mit türkischen Soldaten und islamistischen Milizionären über die Grenzen des mehrheitlich kurdisch bewohnten Kantons Afrin. Seitdem wird ein erbitterter Kampf um das ca. 30 x 40 km große Stück Land geführt, den die kurdisch dominierten „Syrian Demokratic Forces“ (SDF) wegen zahlenmäßiger und waffentechnischen Unterlegenheit kaum gewinnen können. Ihr erbitterter Widerstand machen die Kämpfe jedoch deutlich langwieriger und verlustreicher, als der türkische Diktator Erdogan geplant hatte.

Vorgeschichte

2011 entwickeltet sich die syrische Revolution in einen Bürgerkrieg, indem das Assad-Regime schnell die Kontrolle über ein Großteil des Landes verlor. Die kurdischen Siedlungsgebiete im Norden machten sich sowohl vom syrischen Staat als auch von den Zielen der syrischen Revolution unabhängig. Dort wird seit dem ein System aufgebaut, welches demokratisch ist und in dem Frauen Mitbestimmungsrecht genießen. Auch gegen die Angriffe des IS konnte das Kanton Rojava erfolgreich verteidigt werden.

Ein Zusammenschluss mit dem am nord-westlich gelegenen Kanton Afrin gelangte 2017 allerdings nicht, weil von der Türkei gesteuerte Rebellen die Gebiete zwischen den Kantonen vom IS eroberten. Die Türkei sieht in dem Aufstieg der kurdischen Befreiungsbewegung in Syrien eine Bedrohung, auch, weil er Angst hat, dass sie die kurdische Bewegung in der Türkei stärken könnte. In der Türkei selbst hat sich Erdogan 2016 mit einem Krieg und der fast vollständigen Zerschlagung kurdischer Medien und der pro-kurdischen Partei HDP die Gefahr einer mächtigen Autonomiebewegung vorerst vom Hals geschafft. Der Angriff auf Afrin ist nun der Versuch die kurdische Autonomie auch im Nachbarland mit militärischer Gewalt zu unterbinden.

Aktuelle Entwicklung

Die Türkei greift Afrin von nahezu allen Seiten gleichzeitig an. Jeden Tag werden ein paar mehr Hügel und Dörfer erobert, auch wenn die Fortschritte der Offensive glücklicherweise sehr langsam sind. Erdogan schickt jedoch hunderte neue Panzer und Spezialeinheiten, um einen Sieg zu erzwingen. Obwohl hunderte Jugendliche aus ganz Rojava und Afrin in die Reihen der SDF ziehen, wird deshalb eine Niederlage immer wahrscheinlicher.

Die Ereignisse können nicht getrennt vom gesamten Bürgerkrieg gesehen werden. Anfang des Jahres startete das syrische Assad-Regime eine gewaltige Offensive, in dessen Zuge weite Teile Provinz Idlib erobert wurden, welche das Kernland verschiedenster bewaffneter, islamistischer Oppositionsgruppen darstellt. Die Türkei hat, als einer der entschiedensten Gegner Assads, damit begonnen Panzer zu schicken und Militärbasen in Idlib aufzubauen, um ein weiteres Vorstoßen Assads zu erschweren. Im Gegenzug schicken die Rebellen immer wieder hunderte Fußsoldaten, um die türkische Offensive in Afrin zu unterstützen. Nun zeigt sich, wie bitter es sich rächt, dass die Kurd_Innen 2011 nicht für eine Revolution in ganz Syrien eingetreten sind. So konnten sich reaktionären Islamisten als führenden Kräfte im Bürgerkrieg etablieren. Von den revolutionären Deserteuren der syrischen Armee, die nicht mehr auf ihr eigenes Volk schießen wollten, ist nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Mit der Schändung der Leiche einer SDF-Kämpferin zeigen die islamistischen Kettenhunde Erdogans, was für reaktionäre Ansichten sie vertreten.

Eine türkischer Sieg in Afrin würde ein Ende des demokratischen und emanzipatorischen Projektes in Afrin und damit eine Niederlage der Linken weltweit bedeuten.

Die Rolle der Imperialisten

Russland stellt einen mächtigen Verbündeten Assads dar. Es lässt die Türkei in Syrien gewähren, indem sie den Luftraum über Afrin für die türkischen Jets freigab. Grund dafür ist vor allem die Wichtigkeit der russichen Öl- und Gasexporten in die Türkei. Assad dagegen ist über die türkische Präsenz in Syrien weniger erfreut und lässt SDF-Konvois von Rojava nach Afrin über sein eigenes Territorium passieren.

Am interessantesten ist jedoch die Rolle der USA. Sie unterstützen den Kampf der Kurd_Innen gegen den IS und schafften es so in Syrien mit zahlreichen Militärbasen oder sogar Militärflughäfen Fuß zu fassen.

Da die USA am allermeisten von der NATO profitiert, ist ihre Angst groß, dass es eine offene Konfrontation mit der Türkei gibt, die die gesamte NATO in Frage stellen könnte. Die Türkei weiß darum und droht deshalb ganz offen auch US-Soldat_Innen abzuschießen, wenn sie ihren Zielen in Syrien im Weg stehen. Das wäre eine Demütigung der USA und würde ihre ohnehin schon massiv angekratzten Stellung als Weltmacht weiter untergraben. Das ist auch der Grund, wieso die USA Afrin fallen gelassen hat. Im östlichen Rojava halten sich jedoch nach wie vor US-Soldaten auf, um ein Angriff der von der Türkei unterstützen Milizen zu verhindern. Welchen faulen Deal es letztlich zwischen den beiden Ländern gegeben wird sich erst zeigen.

Welches Interesse die USA wirklich hat, zeigt sich sehr deutlich im Osten des Landes nahe der Stadt Deir ez-Zor. Dort helfen sie dabei die Angriffe regierungstreuer Milizen auf die SDF abzuwehren. Grund für die Angriffe ist der Versuch die von der SDF kontrollierten Ölfelder zu erobern. Die USA unterstützt die kurdische Bewegung also vor allem aus geostrategischen Gründen und, um Kontrolle über Ölfelder in Syrien zu erhalten. Die NATO ist der USA aber zweifelsohne wichtiger.

Der Widerstand und Repression in Deutschland

Wenn auch nicht in der bürgerlichen Presse, ist der Aufschrei gegen die türkische Aggression in Syrien innerhalb der Linken und der kurdischen Bevölkerung in Deutschland enorm. Laufend finden lokale und überregionale Demonstrationen statt.

Der deutsche Staat reagiert darauf mit Repression: Vor ca. 1,5 Jahren wurde ein Verbot fast aller Fahnen des kurdischen Befreiungskampfes erlassen. Bis Anfang diesen Jahres wurden das Verbot allerdings faktisch nicht durchgesetzt. Anfang des Jahres jedoch wurde eine Großdemo in Köln wegen verbotener Fahnen aufgelöst. Andere Demos wurden gleich ganz Verboten, weil man während Karneval angeblich überfordert sei.

Perspektive

Natürlich gilt unsere Solidarität dem kurdischen Befreiungskampf im Nahen Osten, auch wenn es selbst ohne das Eingreifen der Türkei noch ein langer Weg bis zum Sozialismus wäre. Abstrakte Forderungen die Waffen niederzulegen und Appelle an die UN bringen uns hier nicht weiter. Nur ein militärischer Sieg der SFD-Milizen, einschließlich der Rückeroberung der in den letzten Wochen von der Türkei besetzten Gebiete, können wahren Frieden bringen.

Weiterhin treten wir für den Abzug aller ausländischen Truppen ein, ohne deren Hilfe Syrien heute kein Trümmerhaufen wäre. Obwohl die USA Rojava vor dem Untergang gerettet hat, vertritt sie in Syrien einzig die Interessen der us-amerikanischen Bourgeoisie und ist deshalb kein zuverlässiger Verbündeter.

Die Forderung nach Befreiung und Sozialismus muss, um erfolgreich zu sein, auf alle Völker und Religionen des Nahen Ostens ausgedehnt werden. Die einzigen wahren Verbündeten sind die Bäuerinnen, Bauern und Arbeiter_Innen, die sich endlich gemeinsam gegen ihre Unterdrücker erheben und eine kommunistische Partei aufbauen müssen. Nur eine solche Organisation kann in der Lage sein die vereinzelnden Kämpfe zu einer mächtigen Massenbewegung gegen die Kapitalismus zusammenzuführen.




Die Neue Seidenstraße – Chinas Weg zur führenden imperialistischen Weltmacht

VON JONATHAN FRÜHLING

Im Mai 2017 lud China zum Gipfeltreffen des „Belt and Road Forums“ ein und die Welt kam: Über 100 Staaten, teilweise sogar vertreten durch ihre Regierungschefs, nahmen an dem Treffen teil. Alle wollen mitprofitieren an der „Neuen Seidenstraße“, dem größten Investitionsprogramm seit dem Marshallplan (Wiederaufbau Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg), welches von China 2013 ausgerufen wurde. Die Bezeichnung „Seidenstraße“ ist eine propagandistische Anlehnung an die berühmte historische Seidenstraße, die in der Antike und dem frühen Mittelalter Ostasien mit Europa verband. China betont damit auch den wirtschaftlichen Charakter des Projektes.

Um die Intention Chinas zu verstehen müssen wir zunächst auf Chinas eigene Wirtschaft schauen. Seit einigen Jahren versucht China unabhängiger von der Weltwirtschaft und damit krisensicherer zu werden. Deshalb hat es die Infrastruktur des eigenen Landes massiv ausgebaut und die entlegenen Regionen im Westen des Landes entwickelt und mit dem bevölkerungsreichen Osten verbunden. Dieses Entwicklungsmodell, welches China ein stabiles Wachstum von zuletzt immerhin knapp 7% beschert hat, ist nun im eigenen Land an seine Grenzen gestoßen. Momentan kann das Wirtschaftswachstum nur mit einer massiven Staatsverschuldung aufrecht erhalten werden.

Die neue Seidenstraße ist der Versuch ähnliche Projekte in ca. 65 Ländern der Erde zu verwirklichen. Geplant sind Bahntrassen, Häfen, Straßen, Pipelines, Güterumschlagsplätze und Stromleitungen. Geographisch wird in die Richtungen Südostasien, Pakistan, vor allem aber dem zentralasiatischen Raum mit Perspektive in den Nahen Osten und nach Europa geplant. Auch Afrika hat für China als Rohstofflieferant und Absatzmarkt Relevanz und ist deshalb mit eingeschlossen. Dies alles wird als „on Road“ bezeichnet, während geplante Häfen für den Ausbau der Seewege entlang der Routen Europa, Afrika → Asien als „on Belt“ bezeichnet werden.

Was verbirgt sich nun alles hinter der Politik einer neuen Seidenstraße? Zum einen verfolgt China damit auch innenpolitische Interessen. Chinas gewaltige Provinz im Westen des Landes (Xinjiang) ist von einer Reihe ethnischer Minderheiten bewohnt, die teilweise bis heute die Unabhängigkeit fordern. Durch eine handelsbedingte Entwicklung der Region erhofft sich China eine Stabilisierung. Tatsächlich hat sich die Hauptstadt Ürümqi schon zu einem Flugdrehkreuz und dem wichtigsten Handelszentrum Zentralasiens entwickelt.
Im Fokus stehen jedoch vor allem wirtschaftlichen Interessen. China möchte seine Handelswege auf dem Land ausbauen, um notfalls etwas unabhängiger vom leicht angreifbaren Seeweg zu werden. Vor allem aber würden so Importe und Exporte schneller werden. Dies und der Ausbau der Seewege sollen die Versorgung Chinas mit Rohstoffen sichergestellen. Natürlich will China die Projekte vor allem von chinesischen Firmen umsetzen lassen. So holt China das investierte Geld ins eigene Land und kann seine gewaltigen Überkapazitäten im Stahl- und Baugewerbe abbauen.
Sehr wichtig ist aber auch die außenpolitische Komponente des „On Belt, On Road“-Programms. China möchte die betreffenden Staaten stabilisieren, an sich binden und somit zu Verbündeten in der Auseinandersetzung mit den USA machen. Die Seidenstraße soll deshalb auch zu bilateralen Handelsabkommen führen. Es geht also auch darum international an Einfluss zu gewinnen.

International gibt es geteilte Meinungen zu dem Projekt, je nachdem, wie nützlich oder schädlich die Staaten das Projekt für sich einschätzen. Die Staaten, in die die Investitionen fließen sollen, erhoffen sich natürlich einen Aufbau ihrer Infrastruktur (Zentralasien, Südostasien, Afrika, Pakistan). Russland ist einer der stärksten Befürworter, da Russland unabhängiger vom Westen werden will und auf Investitionen aus China erhofft. Von diesen ist jedoch bisher wenig angekommen. Außerdem ist die neue Seidenstraße ein Stück weit auch ein Konkurrenzprojekt zu Russlands „Eurasischer Wirtschaftsunion“ (Freihandelsabkommen zwischen Russland und den meisten zentralasiatischen Staaten). Die europäischen Staaten, allen voran Deutschland, fordern, sich ebenfalls an den Bauvorhaben beteiligen zu können. Dies wurde von China jedoch selbstbewusst abgelehnt, was Deutschland verärgerte.
Die USA sind mit Japan die entschiedensten Gegner des Projektes, da sie eine Stärkung ihres größten Konkurrenten befürchten. Die USA hat mit TTIP (Freihandelsabkommen für Europa und Nordamerika) und TTP (Freihandelsabkommen für Nordamerika und die Pazifikregion) versucht China auszuschließen, fahren aber unter Trump zunehmend einen protektionistischen Kurs. Auch Indien steht dem Projekt skeptisch gegenüber. Erstens sollen keine Investitionen nach Indien fließen, zweitens werden Straßen, Bahnstrecken und Häfen in dem mit Indien verfeindeten Pakistan vorangetrieben. Diese sollen sogar teilweise durch die Region Kaschmir führen, die von Indien beansprucht wird. Die chinesisch-indischen Beziehungen haben sich zuletzt auch wegen Grenzstreitigkeiten im Himalaja verschlechtert. Da Indien ein bevölkerungsreiches und aufstrebendes Land ist, ist es sehr relevant, ob es sich zukünftig auf die Seite der USA oder auf die Chinas schlagen wird. Bisher hat es diese Entscheidung noch nicht getroffen.

Allerdings gibt es bei Chinas großen Ambitionen auch einige Haken. Gewaltige Infrastrukturprojekte beanspruchen auch einen gewaltigen zeitlichen Aufwand. Es wird wohl noch 10 Jahre dauern, bis die Arbeiten an der neuen Seidenstraße richtig in Gang kommen. Auch die bisher sehr wage Planung muss bis dahin konkretisiert werden.
Weiter ist die Finanzierung bei weitem nicht gesichert. Zwar will China den Wert von bis zu 1 Billionen investieren, nötig sind nach Schätzungen aber zwischen 4,5 und 26 Billionen. Einen Teil soll auch die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIB) leisten. Sie ist das chinesische Konkurrenzprojekt zum IWF und der Weltbank, die beide von den USA dominiert werden. China ist jedoch zweifellos auf die Unterstützung anderer Staaten angewiesen. Es bleibt außerdem abzuwarten, ob China in der Lage sein wird, die verschiedenen Einzelinteressen der teilhabenden Staaten zu befriedigen. Diese werden nämlich nur mitmachen, wenn sie selbst einen Zugewinn davon haben, was China gebetsmühlenartig versichert. Desweiteren könnte die Instabilität einiger Staaten, wie z.B. Afghanistans, aber auch einiger Staaten Zentralasiens, das Projekt bedrohen. Dabei zeigte sich 2010 in Kirgisistan, dass China bisher unfähig war, auf entsprechende Krisen militärisch in seinem Interesse zu reagieren.
Nebenbei regt sich auch Widerstand in der Bevölkerung gegen Chinas rücksichtslose Politik, die Vertreibungen und schwere Umweltschäden mit einschließt. Umweltaktivisten und die lokale Bevölkerung protestieren, in Pakistan gab es sogar einen Anschläge von Islamist_Innen auf eine Hafenbaustelle am indischen Ozean.

Die Seidenstraßevisionen Chinas zeigen, dass Chinas Kooperationen mit den zentralasiatischen Staaten als Erfolg gewertet werden und es sich auch deshalb weiter in diese Richtung orientieren will. Außerdem beweisen sie, dass China mittlerweile selbstbewusst genug ist, offen mit Weltmachtambitionen aufzutreten und hofft, sich mittelfristig als führende Imperialistische Macht etablieren zu können. Die USA dagegen würde zweifelsohne weiter an Boden verlieren, wenn China seine Ziele verwirklichen kann. Wie erfolgreich das gesamte Projekt wird und welche Staaten sich in einen zukünftigen chinesischen Block einreihen werden, wird sich allerdings erst in einigen Jahren zeigen.