Lokführer_Innenstreik: Wer ist schuld, wenn meine Bahn nicht kommt?!

Von Lars Keller

Gründe, warum wir auf
dem Bahnsteig stehen und vergeblich auf unseren Regio oder die S-Bahn
warten, gibt‘s ja viele. Mal sind es die ominösen Verzögerungen
im Betriebsablauf, mal ist der Zug kaputt, dann eine Weiche oder es
fehlt einfach an Personal, also an Lokführer_Innen. Das ist alles
nichts Neues, bei einer Bahn, die als Erstes Gewinn machen soll und
erst als Zweites gut funktionieren soll. Personal ausbilden, Signale
schnell entstören, Züge rechtzeitig reparieren, das alles kostet
und bringt keinen Gewinn. Also schauen wir auf die Anzeigetafel und
ärgern uns: „Heute ca. 15 Minuten später.“ oder gleich „Zug
fällt aus.“. Übrigens gilt für die Deutsche Bahn ein
ausgefallener Zug nicht als verspätet…so kann man sich die eigene
Zuverlässigkeit natürlich auch schön rechnen.

Demnächst kann es
allerdings sein, dass wir auf dem Bahnsteig stehen, der Zug nicht
kommt und der Blick auf die Anzeigetafel uns verrät:
„+++GDL-Streik+++Zug fällt aus+++“. Vielleicht ist dir genau das
auch schon passiert, entweder, weil du beim letzten großen
Lokführer_Innenstreik 2015 auch schon betroffen warst oder weil neue
Streiks stattgefunden haben, seitdem wir die Zeitung gedruckt haben.
Das ärgert dich vielleicht, und du fragst dich:

Warum streiken die denn? Und das auch noch ausgerechnet jetzt!

Die Gewerkschaft
Deutscher Lokomotivführer (GDL) verhandelt mit der Deutschen Bahn
(DB) derzeit um einen neuen Tarifvertrag, also darüber, wie viel
Lokführer_Innen und andere Arbeiter_Innen bei der Bahn demnächst
verdienen sollen, wie viel sie arbeiten müssen und noch vieles mehr.
Bisher wird darüber nur im Hinterzimmer zwischen GDL und DB
verhandelt (öffentlich wäre natürlich besser), aber wenn sich aus
den Bossen der Bahn kein gutes Angebot heraushandeln lässt, kann die
GDL versuchen, durch Streiks mehr Druck zu machen.

Die Forderungen der GDL
solltest du auf jeden Fall unterstützen. Warum? Es geht z.B. um 4,8
% mehr Lohn, was dringend nötig ist, wenn wir uns anschauen, wie
Mieten explodieren oder Lebensmittelpreise steigen. Außerdem soll‘s
eine Coronaprämie von 1300 Euro geben für die, die während der
Krise den Schienenverkehr aufrecht gehalten haben, damit Menschen
ohne Auto auch weiterhin zur Arbeit kommen konnten.

Die Deutsche Bahn wirft
der GDL vor, dass sie mit ihren Forderungen die Verkehrswende
aufhalte. Aber das Gegenteil ist der Fall! Wer einen guten
Schienenverkehr will, braucht auch gut bezahlte Zugbegleiter_Innen
und Lokführer_Innen! Nicht die Lokführer_Innen sind es, die die
Verkehrswende ausbremsen, sondern die Deutsche Bahn AG und der
deutsche Staat sind es. Beweis? In den letzten 25 Jahren wurden in
Deutschland 6000 km Gleise abgebaut und ungefähr genauso viele
Bundesstraßen und Autobahnen gebaut, außerdem wurden Tausende Jobs
gestrichen und die Arbeitsbedingungen der Lokführer_Innen wurden um
einiges schlechter.

Klingt ja, als würden
die alles richtig machen?!

Naja, nein. Die
Forderungen der GDL sind schon richtig, aber das heißt nicht, dass
sie alles richtig machen. Beispielsweise tat die GDL bei vergangenen
Streiks wenig dafür, die Fahrgäste miteinzubeziehen und das, obwohl
es von allen Seiten die widerlichste Hetze hagelte, vor allem aus
jenen dreckigen Fingern der BILD-Zeitungsredaktion. Das wird sicher
wieder passieren.

Die GDL könnte auf die
Fahrgäste zugehen, indem in einer ersten Stufe des Streiks
Lokführer_Innen die Züge zwar weiterfahren, aber angekündigt keine
Ticketkontrollen mehr durchführen (ein indirekter Aufruf zum
kostenlosen ICE fahren). Oder dass der Fokus des Streiks auf den
Güterverkehr gesetzt wird, was bei den deutschen Autoindustrien und
anderen Großindustrien schnell zu derart großen wirtschaftlichen
Problemen führen würde, dass ein großer Druck auf die
Bundesregierung und den Staat als Eigentümer der Deutschen Bahn
daraus hervorgehen würde. Am Ende ist aber natürlich auch ein
Streik im Personenverkehr legitim, gepaart mit einer Kampagne unter
den Fahrgästen. Unserer Ansicht nach sollten die Kolleg_Innen das
selbst durch Streikkomitees demokratisch entscheiden und
kontrollieren, wie sie was bestreiken und es nicht einfach dem
Gewerkschaftsvorstand überlassen.

Denn letztlich verdient
die GDL auch dafür Kritik, dass sie den Vorstoß der Grünen
(richtig, die Partei, die Wälder für Autobahnen fällen lässt)
unterstützt, die Deutsche Bahn zu zerschlagen, also für mehr
Konkurrenz („Wettbewerb“) auf der Schiene zu sorgen.
Erfahrungsgemäß führt das zu einer noch beschisseneren
Betriebsqualität, also mehr „15 Minuten später“ oder „Zug
fällt aus“ oder generell Fahrpläne die gar nicht zusammenpassen.
Der Grund ist einfach der, dass mehr Wettbewerb auch mehr Kosten
einsparen bedeutet, womit wir wieder bei nicht reparierten Zügen und
unterbezahltem Personal wären…

Demgegenüber sollten wir
und alle, die es ernst meinen mit der Verkehrswende und dem
Klimaschutz, dafür eintreten, dass der gesamte Transportsektor
entschädigungslos enteignet und verstaatlicht wird und von
Arbeiter_Innen, Pendler_Innen usw. demokratisch kontrolliert wird.
Denn die Eisenbahn soll keinen Gewinn machen, sondern uns nachhaltig
und sicher von Hier nach Dort bringen!




Tarifabschluss Metall- und Elektroindustrie: Danke für nichts!

Christian Mayer

Seit
Dezember letzten Jahres lief in der Metall- und Elektroindustrie die
Tarifrunde, Ende März wurde sich auf einen Tarifabschluss geeinigt.
Wie schon der erste Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann
ankündigte, wollte man noch vor Ostern ein Ergebnis haben. Dies sei
nach seiner Aussage „zwar sportlich, aber machbar“. Gesagt,
getan.

Das Ergebnis

Wenn
man sich anschaut, mit welchen Forderungen die IG Metall in die
Tarifrunde ging und was am Ende dabei rauskam, kann man durchaus
sagen: Viel gefordert, lange verhandelt, (fast) nichts erreicht.

Aber
schauen wir erst mal kurz die Hauptforderungen an. Diese waren:

  1. eine
    Entgelterhöhung von 4% im Volumen (eine eigenartige Formulierung)
  2. eine
    Laufzeit des Tarifvertrages von 12 Monaten
  3. Die
    Sicherung von Beschäftigung
  4. Die
    Aufnahme von dual Studierenden in den Manteltarifvertrag Ausbildung

Im
Ergebnis wurden die Forderungen 1 und 3 zusammengeschmissen:
Sicherung von Beschäftigung und Entgelterhöhung heißen nun
„Transformationsgeld“. Dieses ist eine vierte Sonderzahlung neben
Urlaubs-, Weihnachts- und Tariflichem Zusatzgeld (kurz T-ZuG). Was
auf den ersten Blick einfach klingt ist in der Tat kompliziert und
auch nicht jedem IG Metall-Mitglied im Detail verständlich. Hinter
dem „Transformationsgeld“ steckt eine etwas komplizierte
Berechnungsgrundlage. Dabei werden die Löhne zwar theoretisch um
2,3% erhöht, allerdings wird diese Erhöhung nicht ausbezahlt,
sondern über einen Zeitraum von 8 Monaten, nämlich bis Februar
2022, angesammelt. Erst dann entscheiden Geschäftsführung und
Betriebsrat, ob diese Zusatzzahlung ausbezahlt oder in zusätzliche
freie Tage umgewandelt wird. Klingt fair? Nun, die Bürokratie der IG
Metall wäre nicht sie selbst, hätte sie den Metallkapitalist_innen
nicht noch ein Hintertürchen eingebaut.

Das „Transformationsgeld“ wird nämlich nur dann ausgezahlt, wenn für die Geschäftsführung des jeweiligen Betriebes die wirtschaftlichen Kennzahlen passen. Oder einfacher: Kein Profit – keine Zusatzzahlung. Ach ja, und wenn wir schon dabei sind, soll das „Transformationsgeld“ ab Februar 2023 dann auch wieder nach dem beschriebenen Prinzip gezahlt werden (nur statt 18,4% (das Produkt aus 8 * 2,3) des eigenen Lohns werden es dann 27,6% vom eigenen Lohn sein), aber eben nur wenn es Profit gibt.

Dafür erhalten die Facharbeiter_Innen und Angestellten dieses Jahr eine Einmalzahlung in Höhe von 500,- € netto, Azubis und Studierende bekommen 300,- € netto.

Und
die Beschäftigungssicherung? Na ja, die finanziert man sich aus dem
eigenen Geldbeutel. Falls es „Beschäftigungsprobleme“ in einem
Betrieb geben sollte, kann man die Arbeitszeit zwar auf eine
Vier-Tage-Woche absenken (man arbeitet dann halt 32 statt 35 Stunden,
jedenfalls in Westdeutschland), allerdings muss man den Lohnausfall
selber begleichen. Wie? In dem individuell, also jede_r für sich
nicht nur auf das „Transformationsgeld“, sondern auch noch auf
das T-ZuG verzichtet und diese in zusätzliche, freie Tage umwandelt.
Umgerechnet auf einen Monat bedeutet das, man kann zwar seine
Arbeitszeit um ganze drei Stunden in der Woche verkürzen kann,
ausgeglichen wird aber nur der Lohnausfall von zwei Stunden durch die
Umwandlung der Zusatzzahlungen. Die letzte Stunde, die dann noch
übrig ist, schenkt man den Kapitalist_innen also in dem diese die
Stunde nicht bezahlen müssen.

Laufzeiten – und was sie bedeuten

Kommen
wir nun zum zweiten Punkt, der Laufzeit. Hier wurden von der IG
Metall ja 12 Monate angepeilt. Im Endergebnis läuft der
ausgehandelte Tarifvertrag aber 21 Monate bis September nächsten
Jahres. Schlecht gerechnet oder doch ein Tippfehler? Nein, entspricht
der Wahrheit. Zwar ist die Laufzeit diesmal etwas kürzer als beim
Tarifabschluss 2018 (da waren sogar 27 (!) Monate), aber wundern
sollte uns das nicht.

Warum
nicht? Weil die IG Metall in den letzten fünf Jahren eigentlich
keine Tarifverträge abgeschlossen hat, die unter 20 Monaten laufen.
Und andererseits bedeutet eine lange Laufzeit eines Tarifvertrages
auch immer, dass die legalen Kampfmöglichkeiten für die
Arbeiter_Innenklasse nicht gegeben sind, da während der Laufzeit
eine Friedenspflicht gilt. Diese ist in den allermeisten Fällen
sogar länger als die Laufzeit des abgeschlossenen Tarifvertrag.
Während der Friedenspflicht darf nicht gestreikt werden, dass regelt
das Betriebsverfassungsgesetz. Nach Ablauf der Friedenspflicht sieht
die Sache anders aus, aber hier beschränkt sich die IG Metall seit
inzwischen 37 Jahren lieber auf Warnstreiks bzw. 24 Stunden Streiks.

Zum jetzigen Abschluss kommt hinzu, dass die Entgelterhöhungen nicht tabellenwirksam sind. Das heißt, die Entgelttabellen sind seit 2018 nicht mehr angepasst worden und man verdient immer noch dasselbe jeden Monat brutto. Gerade für die unteren Entgeltgruppen bedeutet dies angesichts steigender Mieten, Lebensmittelpreise usw. einen deutlichen Einkommensverlust. Und auch für Auszubildende und Studierende bedeutet dies, dass sich ihre Vergütungen nicht erhöhen. Diese werden zwar im Falle von Auszubildenden nach jedem Lehrjahr und für Studierende etwa nach jedem zweiten Semester erhöht, am Ende bleiben sie aber doch deutlich unter dem, was ihre Kolleg_Innen verdienen. Gerade in Städten wie Stuttgart, die inzwischen die teuerste Großstadt bei den Mieten ist (10,41 € pro m²), wird dann deutlich, wie abhängig Jugendliche in Ausbildung von den Eltern sind, selbst wenn sie nicht mehr bei ihnen wohnen.

Aufnahme von dual Studierenden in den MTV Ausbildung

Groß verkündet die IG Metall in der Meldung zum Tarifabschluss, man hätte die dual Studierenden nun endlich in den Manteltarifvertrag (MTV) Ausbildung aufnehmen können. Wenige Stunden später dann allerdings ruderte man zurück. Nun heißt es: „Darüber hinaus werden die Tarifvertragsparteien bis Ende September die Situation von dual Studierenden in den Betrieben evaluieren und prüfen, inwieweit sich tarifpolitischer Handlungsbedarf ergibt. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wird auch nach Wegen gesucht, damit mehr Betriebe Auszubildende und dual Studierende einstellen.“ Oder übersetzt: Erst mal nachschauen und prüfen, ob es überhaupt einen Grund gibt, dual Studierenden einen Tarifvertrag zuzugestehen und sie dann in den MTV aufzunehmen, oder nicht.

Lediglich in Baden-Württemberg gilt nun für dual Studierende, dass sie in den MTV aufgenommen werden. Ungerecht? In den Augen der IG Metall nicht. Dass dual Studierende in der Regel kein Bafög erhalten und es dann noch lokal extrem große Unterschiede gibt, interessiert die IG Metall-Führung nicht. Hauptsache mal wieder was für’s eigene Image getan.

Keine
Alternative zur IG Metall-Kapitulation?

Wir
stellen fest, dass die IG Metall ihren Abschluss als den heißen shit
schlechthin verkauft, das Ergebnis allerdings in der Realität nicht
heiß, sondern lediglich shit ist.

Außerdem: In den kommenden Jahren sollen allein in der Autoindustrie bis zu 400.000 Jobs gestrichen werden. Dagegen gibt es kaum Widerstand. Warum? Weil die Gewerkschaftsbürokratie gerade in diesem Bereich extrem darauf angewiesen ist, mit den Kapitalist_Innen zusammenzuarbeiten. Nirgends in Deutschland kann durch einen Aufsichtsratsposten außerhalb vom Bankenwesen so viel Geld verdient werden wie in der Autoindustrie. Aufsichtsräte werden etwa jeweils zur Hälfte von Kapitalist_Innen und Gewerkschafter_Innen besetzt, den Vorsitz hat aber immer die Kapitalseite inne. Gewerkschaftsfunktionär_Innen sind hier besonders eng mit den Bossen verbunden.

Geht die Gewerkschaftsbürokratie also nun in die Offensive, hat sie ein Problem: Auf der einen Seite muss sie ihren Mitgliedern etwas bieten können, auf der anderen Seite will sie es sich jedoch auch nicht mit den Kapitalist_Innen verscherzen. Die Lösung dieses Problems sind dann Abschlüsse wie dieses Jahr, eine Lösung auf Kosten der Arbeiter_Innen.

Doch
was können wir tun, um Erfolg zu haben? Streiken? Das ist außerhalb
der Friedenspflicht wie bereits dargestellt möglich. Dafür muss der
Kampf gegen die zögerliche Politik der Gewerkschaftsbürokratie
geführt werden. Bedeutet im konkreten Fall: Urabstimmung über die
Durchführung des Streiks und zwar direkt nach Ende der
Friedenspflicht und nicht erst Warnstreiks. Dafür müssen wir eine
organisierte Opposition in den Gewerkschaften aufbauen – und zwar
hier und jetzt.

Eine Opposition darf sich nicht auf den Kampf gegen einzelne Entscheidungen beschränken. Zum Beispiel ist die Forderung nach Ablehnung des Tarifergebnisses in den Tarifkommissionen nicht ausreichend. Es müssen andere Konzepte entwickelt werden und die Unterordnung unter die Kapitalist_Innen gehört politisch bekämpft. Es müssen die undemokratischen Strukturen bekämpft werden, die es der Bürokratie erlauben, die Gewerkschaften zu kontrollieren. Was hilft es zu hoffen, dass Tarifkommissionen Ergebnisse ablehnen, wenn Basismitglieder dafür nicht kandidieren dürfen?

Eine Opposition aufzubauen,
wird nicht leicht fallen, der Apparat ist mächtig. Aber auch wenn
seine Konzeption in vielen Fällen funktioniert, so scheitert sie
doch mit Zunahme der Systemkrise immer mehr.

Und: Es gibt kleine Ansätze
für eine solche Opposition. Aber sie muss zu einer
klassenkämpferischen Basisbewegung werden: Klassenkampf statt
Sozialpartnerschaft mit dem Kapital, Kontrolle der Gewerkschaft durch
die Basis anstelle der Bürokratie!




Krise des deutschen Krankenhaussektors

Katharina Wagner, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung, März
2021

Man hatte es kommen sehen! Nicht erst seit dem Beginn der
weltweiten Corona-Pandemie war es um das deutsche Gesundheitssystem
nicht gut bestellt. Seit vielen Jahren existiert ein Fachkräftemangel
im Gesundheits- und vor allem im Altenpflegebereich. Die
herrschenden, schlechten Arbeitsbedingungen tun ihr Übriges dazu,
potenzielle Berufsanfänger_Innen abzuschrecken bzw. Fachkräfte aus
dem Arbeitsumfeld zu vertreiben. Dabei war und ist der Bereich
Kranken- und Altenpflege, sowohl der bezahlten als auch in viel
größerem Maße der unbezahlten, weiterhin eine Domäne der Frauen.
Der
Anteil weiblicher Beschäftigter
liegt bei über 80 %. Nun,
inmitten  der Pandemie, mehren sich die Stimmen, die vor einem
Kollaps des deutschen Gesundheitssystems warnen, vor allem auf den
Intensivstationen.

Gleichzeitig spielten die Beschäftigten in den Krankenhäusern
eine zunehmend bedeutendere Rolle in den Klassenkämpfen der 
letzten Jahre, sei es um mehr Personal an diversen Unikliniken oder
als Vorkämpfer_Innen in der Lohntarifrunde des öffentlichen
Dienstes von Bund und Kommunen im letzten Herbst.

Aktuelle Situation

Seit Anfang Februar gehen zwar die Zahlen von Covid-Neuinfizierten
zurück. Noch immer sterben aber hunderte Menschen täglich und Grund
zu Entwarnung gebt es aufgrund des Zick-Zack-Kurse von Bund und
Ländern bei der Pandemie-Bekämpfung und aufgrund neuer Mutationen
erste recht nicht. Laut DIVI-Intensivregister (DIVI: Deutsche
Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin)
sind in den erfassten 1.200 Akut-Krankenhäusern derzeit 22.433
Intensivbetten belegt, lediglich 17 % der Gesamtbetten stehen
bundesweit für weitere Patient_Innen zur Verfügung. Von den derzeit
intensivmedizinisch
behandelten COVID-19-Patient_Innen
(über 5000 Anfang Januar
2021) müssen rund 57 % beatmet werden, mit einer
durchschnittlichen Beatmungsdauer von rund zweieinhalb Wochen
(Quelle: Neues Deutschland, 12.11.2020). Mit rund 64 % sind die
Betten allerdings mit anderen als an COVID-19 Erkrankten belegt,
bspw. nach Notfällen oder planbaren Operationen.

Denn anders als im Frühjahr haben viele Kliniken aufgrund
finanzieller Gründe den Regelbetrieb noch immer nicht eingeschränkt.
Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass diese Zahlen
teilweise nicht der Realität entsprechen. So meldete das ARD-Magazin
„plusminus“ am 02. Dezember 2020 aufgrund interner Recherchen,
dass etliche Krankenhäuser mehr verfügbare Betten gemeldet hatten,
als tatsächlich zur Verfügung stehen, um den versprochenen Bonus
von bis zu 50.000 Euro pro neu aufgestelltem Intensivbett vom Bund zu
bekommen. Allerdings kann ein nicht unerheblicher Teil dieser Betten
aufgrund fehlender Fachkräfte nicht eingesetzt werden. Dieser
Fehlanreiz seitens des Bundesgesundheitsministers kostete den/die
Steuerzahler_In bisher rund 626 Millionen Euro (Quelle:
www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/videos/sendung-vom-02-12-2020-video-102.html).

Zusätzlich erhielten die Kliniken sogenannte Freihaltepauschalen
im Zuge von zwei Rettungsschirmen, um finanzielle Anreize für das
Freihalten von Intensivbetten durch Verschiebung planbarer und nicht
dringend notwendiger Operationen zu setzen. Während die Pauschalen
beim ersten Rettungsschirm im Frühjahr 2020 an alle Krankenhäuser
ausgezahlt wurden, sollen innerhalb des zweiten nur Kliniken Geld
bekommen, die in Gebieten mit hohem Infektionsgeschehen liegen und
weitere Bedingungen erfüllen. Die Entscheidung über die Auszahlung
liegt bei den jeweiligen Bundesländern. Trotz der beiden
Rettungsschirme fordern bereits verschiedene Organisationen, darunter
die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) weitere Liquiditätshilfen
für das gesamte Jahr 2021 inklusive Streichung der Einhaltung und
Dokumentation von Personaluntergrenzen. Auch die Prüfquote
des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen
soll auf max. 5 %
reduziert werden. All dies geht natürlich zu Lasten der
Beschäftigten und Patient_Innen.

Unterm Strich können diese Ausgleichszahlungen allerdings die
Defizite im Krankenhaus nicht wettmachen, die ein auf
gewinnträchtigen Behandlungen fußendes System mit sich bringt und
besonders durch die Pandemie schonungslos aufgedeckt wurden. Wir
kritisieren also nicht die Ausgleichszahlungen als solche, sondern
ihre Planlosigkeit und ihren zu geringen Umfang. So wurden sie teils
nicht an die Behandlung von Coronapatient_Innen geknüpft, teils
wurden Einrichtungen geschlossen (Rehakliniken) und ihr Personal in
Kurzarbeit geschickt, während die Hotspots mit Überlastung und
Einnahmeverlusten zu kämpfen hatten.

Für das Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gab
es außer Beifall und warmen Worten wenig für seine
aufopferungsvolle Tätigkeit während der Pandemie. Zwar wurde eine
Corona-Prämie seitens des Bundes zugesagt, diese aber an sehr viele
Bedingungen geknüpft und von vornherein nur für ca. 100.000 der
über 440.000 Angestellten in Krankenhäusern vorgesehen. Die
Entscheidung, wer nun den Bonus bekommen solle, wurde dabei den
Betriebs- und Personalräten sowie Mitarbeiter_Innenvertretungen (in
kirchlichen Einrichtungen, wo Betriebsverfassungs- und
Personalvertretungsgesetz nicht gelten) zugeschoben. Dagegen gab es
allerdings teilweise heftigen
Widerstand
. Für die stationäre und ambulante Pflege wurde
bereits im Frühjahr 2020 eine Bonuszahlung beschlossen, diese aber
in sehr vielen Fällen nicht an die Beschäftigten weitergegeben.

Ökonomische Entwicklung

Während die Krankenhäuser in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg
bis in die Anfänge der 1970er Jahre komplett durch den Staat
finanziert wurden (Kameralistik), fand 1972 ein Wechsel zu einer
dualen Finanzierung statt. Dabei wurden die Kosten zwischen den
Bundesländern und den Krankenkassen aufgeteilt. Während letztere
für die laufenden, also Betriebs- und Behandlungskosten, aufkamen,
übernahm der Staat die sogenannten Investitionskosten. Allerdings
gingen diese Aufwendungen seit Einführung dieses Systems 
drastisch zurück, während es gleichzeitig zu einem
Personalkostenanstieg für die Krankenkassen, genauer gesagt für die
Versicherten, kam. Dies alles bereitete den Boden für die Einführung
der sogenannten diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs: diagnosis
related groups) 2004, nachdem bereits 2002 eine gesetzlich verordnete
Öffnung des Krankenhausbereichs für private Konzerne eingeführt
wurde. Dies erlaubte nur noch eine Abrechnung von gleichen
Behandlungskosten pro Fall, wohingegen anfallende Kosten für z. B.
für Rettungswesen, Verwaltung, Materialbesorgung etc. nicht
berechnet werden können. Daraus resultiert eine Auslagerung von
Tätigkeiten außerhalb der Pflege mit gleichzeitigem Personalabbau
im Bereich der Pflegearbeit. So ermittelte beispielsweise eine Studie
der Hans-Böckler-Stiftung
aus dem Jahre 2018 einen Mangel von
100.000 Vollzeitstellen allein in der Krankenhauspflege. Durch
mögliche Verluste der Kliniken bei überdurchschnittlich hohem
Fallaufwand sieht man sich gezwungen, Patient_Innen entweder
frühzeitig zu entlassen oder profitorientierte Eingriffe wie das
Einsetzen künstlicher Gelenke stark gegenüber konventionellen und
langwierigen Therapien zu favorisieren. Auch zahlreiche Schließungen
von kommunalen Krankenhäusern sowie eine starke Privatisierungswelle
waren direkte Folgen des Wechsels hin zu einem profitorientierten
Abrechnungssystem.

Darunter haben nicht nur die Beschäftigten im Gesundheits- und
Pflegebereich stark zu leiden. Auch für Patient_Innen,
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bedeutet dies eine
schlechtere Gesundheitsversorgung. Mittlerweile formiert sich schon
seit einigen Jahren Widerstand gegen ungenügende
Personalbemessungsgrenzen, Fachkräftemangel und schlechte
Arbeitsbedingungen. Im Zuge der Corona-Pandemie kamen weitere
Probleme wie die nicht ausreichende Versorgung mit Test- und
Schutzausrüstung sowie die Aushebelung von erkämpften
Arbeitsschutzrechten, als Beispiel sei an dieser Stelle die Erhöhung
der maximalen Arbeitszeit angeführt, hinzu. So hat Niedersachsen
eine Vorreiterrolle eingenommen und als erstes Bundesland die
maximale tägliche Arbeitszeit für Beschäftigte in Krankenhäusern,
Pflegeeinrichtungen sowie im Rettungsdienst von 10 auf 12 Stunden
täglich über den 1.1.2021 hinaus angehoben. Ausgleichsstunden oder
besondere Entschädigungszahlungen sind in dieser Allgemeinverfügung
zum Arbeitszeitgesetz nicht vorgesehen (Quelle: Neues Deutschland,
12.11.2020).

Die Antwort auf diesen besonders dreisten Vorstoß kann nur in
einer Verstärkung des Kampfes für die Abschaffung der
Fallpauschalen, eine gesetzlich geregelte Personalbemessung („Der
Druck muss raus!“) und die Verstaatlichung der privatisierten
Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient_Innenverbände
bestehen. Dieser muss aktuell ergänzt werden durch einen
Pandemienotplan unter Arbeiter_Innen- und Nutzer_Innenkontrolle für
flächendeckende Impfungen, Tests, Infektionskettenrückverfolgungen
und Bereitstellung aller Krankenhäuser und Kliniken für die
Coronatherapie.

Reaktion der Gewerkschaften und anderer
Organisationen

Die Gewerkschaften, allen voran ver.di, haben sich in dieser
Situation des Pflegenotstandes meist auf Lobbyismus, wie etwa das
Sammeln von Unterschriften oder Starten diverser Petitionen,
konzentriert. Kam es tatsächlich mal zu Streikaktionen, blieben
diese meist auf einzelne Krankenhäuser wie etwa die Charité in
Berlin oder andere Unikliniken beschränkt. Bei der letzten
Tarifrunde im öffentlichen Dienst im Herbst 2020 wurde in erster
Linie von der Tarifkommission eine Verbesserung der Entlohnung
gefordert. Forderungen nach Einhaltung der beschlossenen
Personaluntergrenzen wurden dagegen nicht aufgenommen, obwohl vielen
Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen wichtiger gewesen wären
als eine Anhebung ihrer Löhne. Denn selbst in Krankenhäusern, wo in
der Vergangenheit Personaluntergrenzen vereinbart wurden, als
Beispiel sei hier wieder die Charité in Berlin genannt, haben die
Beschäftigten keinerlei Möglichkeiten, die Einhaltung
durchzusetzen. Denn eigentlich müssten bei Unterschreitung der
Personaluntergrenzen Betten gesperrt und planbare Operationen
verschoben werden. Dies verringert allerdings den Gewinn der
profitorientierten Krankenhäuser und wird demzufolge nicht
durchgeführt.

Perspektiven für den Kampf

Um dies zu verhindern und die Einhaltung der
Personalbemessungsgrenzen durchzusetzen, sind daher dringend
Kontrollorgane der Beschäftigten sowie der 
Patient_Innenorganisationen notwendig. Und statt eines „Häuserkampfs“
in einzelnen Kliniken sollte seitens der Gewerkschaften ein
bundesweiter Tarifvertrag mit gesetzlich geregelten
Personaluntergrenzen und einer damit einhergehenden Mindestbesetzung
gefordert werden. Um dies zu erreichen, müssen innerhalb der
Gewerkschaften Streikaktionen bis hin zum politischen Streik als
einem wichtigen Kampfmittel der Beschäftigten sowie der gesamten
Arbeiter_Innenklasse organisiert werden. Dafür sollten zunächst
Aktions- und Kontrollkomitees in Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen aufgebaut werden und die Beschäftigten sowie die
Gewerkschaftsaktivist_Innen gemeinsam mit Patient_Innenorganisationen
über notwendige Maßnahmen entscheiden. Ein weiterer notwendiger
Schritt wäre die Durchführung einer bundesweiten Aktionskonferenz
zur Vernetzung für einen gemeinsamen Kampf und die Unterstützung
der #ZeroCovid-Kampagne als ersten Schritt in Richtung eines
Pandemiebekämpfungsnotplans.

Allerdings dürfen wir keine Illusionen in die bürgerliche
Gewerkschaftsbürokratie hegen, sondern müssen für einen internen
Wandel hin zu kämpferischen Gewerkschaften eintreten. Die Vernetzung
für kritische Gewerkschaften (VKG) bildet einen ersten Sammelpunkt
für die Möglichkeit der Bildung einer klassenkämpferischen,
antibürokratischen Basisbewegung in den Gewerkschaften, die diese
wieder auf den Pfad des Klassenkampfs statt der Sozialpartnerschaft
mit dem Kapital führen und die Bürokratie durch jederzeit
abwählbare, der Mitgliedschaft verantwortliche, zum
Durchschnittsverdienst ihrer Branche entlohnte Funktionär_Innen aus
den Reihen der besten Aktivist_Innen ersetzen kann!

Als Ausgangspunkte für Diskussionen im Zuge einer solchen
bundesweiten Aktionskonferenz im Gesundheitsbereich halten wir
folgende Forderungen für sinnvoll:

  • Staat und Unternehmen raus aus den Sozialversicherungen!
    Abschaffung der konkurrierenden Kassen zugunsten einer
    Einheitsversicherung mit Versicherungspflicht für alle, Abschaffung
    der Beitragsbemessungsgrenzen!
  • Allerdings sollen die Unternehmen ihren Beitrag
    („Unternehmeranteil“) proportional zu ihren Gewinnen zahlen
    statt zu ihren Personalkosten!
  • Kostenlose Gesundheitsversorgung für alle – von Tests bis
    zur Unterbringung in Krankenhäusern!
  • Stopp aller Privatisierungen im Gesundheitsbereich!
    Entschädigungslose Enteignung der Gesundheitskonzerne und
    Verstaatlichung aller Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime unter
    Kontrolle der dort Beschäftigten und der Organisationen der
    Patient_Innen, alten Menschen und Behinderten sowie ihrer
    Angehörigen!
  • Abschaffung der DRGs (Fallpauschalen) – stattdessen:
    Refinanzierung der realen Kosten für medizinisch sinnvolle
    Maßnahmen!
  • Breite Kampagne aller DGB-Gewerkschaften – unter Einbezug
    von Streikmaßnahmen – für Milliardeninvestitionen ins
    Gesundheitssystem, finanziert durch die Besteuerung der großen
    Vermögen und Erhöhung der Kapitalsteuern!
  • Sofortige Umsetzung aller bereits durchgesetzten Regelungen
    zur Personalaufstockung (PPR 2), kontrolliert durch Ausschüsse von
    Beschäftigten, ihrer Gewerkschaften und
    Patient_Innenorganisationen!
  • Einstellung von gut bezahltem Personal entsprechend dem
    tatsächlichen Bedarf, ermittelt durch die Beschäftigten selbst!
    Sofortige Umsetzung der von ver.di, der Deutschen
    Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat eingeforderten
    neuen Personalbemessung PPR 2 und nötigenfalls ein politischer
    Streik zur Durchsetzung!
  • Kampf für bessere Bezahlung aller Pflegekräfte in
    Krankenhäusern und (Alten-)Pflegeeinrichtungen: mind. 4.000 Euro
    brutto für ausgebildete Pflegekräfte!
  • Einstellung von ausreichend gut bezahlten und geschulten
    Reinigungskräften! Entsprechende Qualifizierung von vorhandenem
    Reinigungspersonal, das mit tariflicher Bezahlung bei den
    medizinischen Einrichtungen eingestellt wird! Sofortige Rücknahme
    der Auslagerung von Betriebsteilen in Fremdfirmen bzw.
    Tochtergesellschaften mit tariflichen Substandards!
  • Radikale Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohn-
    und Personalausgleich – vor allem in den Intensivbereichen:
    Reduzierung der Arbeitszeit auf 6-Stunden-Schichten – bei vollem
    Lohn- und Personalausgleich und Einhaltung der Ruhezeit von
    mindestens 10 Stunden! Gegen die Verschlechterung des
    Arbeitszeitgesetzes, nötigenfalls mittels eines politischen
    Massenstreiks!
  • Für einen internationalen Notplan gegen die Coronapandemie
    unter Arbeiter_Innenkontrolle, beginnend mit einer Ausweitung der
    #ZeroCovid-Kampagne und der Einberufung einer internationalen
    Aktionskonferenz!



#ZeroCovid – Stop the Curve!

Internationale Resolution von Revolution

Seitdem
die Pandemie ausgebrochen ist und eine allgemeine Krise sich
abzeichnet, sind die linken Massenorganisationen und auch große
Teile der radikalen Linken in einen Winterschlaf gefallen, aus dem
auch der Lärm von alles andere als schläfrigen Schwurbler_innen sie
nicht aufwecken konnte. Jetzt kommt eine Initiative von links, die es
wagt der Gesundheit zuliebe einen Finger an die Profite zu rühren
und innerhalb weniger Tage 80,000 Unterschriften zustande bringt.
Kein Wunder, dass das deutsche
Kapital am Rad dreht, wie stets im Duett mit Gewerkschaftsführungen
und bürgerlicher Presse. Aber auch innerhalb von Teilen der
radikalen Linken hat die Kampagne keinen guten Ruf, ihr Ziel sei
unrealistisch und dann wolle sie zu dessen Umsetzung auch noch einen
Polizeistaat installieren! Ist die Kampagne also überhaupt links?
Sind das vielleicht alles Faschisten? Und wenn nicht, wie sollten
sich junge Revolutionär_innen zu ihr verhalten? Was hat sie
überhaupt für die Jugend zu bedeuten, wie steht sie zu den Schulen?
Und wie könnte sie vielleicht sogar zum Sieg führen? Den
drängendsten Fragen wollen wir uns hier kurz annehmen.

Nochmal kurz Corona-Recap:

Also
Corona, das war ja diese Krankheit, die einen irgendwie umbringt,
wenn man z.B. Vorerkrankungen hat oder alt ist und dazu keinen
ausreichenden Zugang zu gesundheitlicher Versorgung bekommt. Weil die
Sterblichkeitsrate so in die Höhe geht, wenn das Gesundheitssystem
überlastet ist, ist die Pandemie nicht nur für uns Jugendliche und
die Arbeiter_innenklasse so eine Katastrophe, auch die Bourgeoisie
und die Regierungen haben ein Problem, wenn größere Teile der
Bevölkerung wegsterben. Der Ansatz von stumpfer „Herdenimmunität“,
der von Arschlöchern wie Trump oder Bolsonaro noch verfolgt wurde
und in beiden Ländern zu katastrophalen Zuständen geführt hat, ist
also im Allgemeinen für niemanden eine richtige Option. Die Politik,
die wir in Europa seit langem erleben, folgt daher dem Konzept
„flatten the curve“, d.h. durch halbherzige Maßnahmen wird das
Virus zwar nicht komplett eingedämmt, aber die Ausbreitung wird auf
ein lineares Wachstum verlangsamt, indem man die Reproduktionszahl
auf 1 oder knapp unter 1 bringt und damit auch knapp unter der
Kapazitätsgrenze des Gesundheitssystems verbleibt, man will sich
also irgendwie durchmauscheln bis durch Impfung und Genesene die
Bevölkerung hinreichend immunisiert ist. Der Twist fürs Kapital
dabei ist, dass die Maßnahmen, die dabei getroffen werden,
hauptsächlich auf die persönlichen Freiheiten und Rechte der
Menschen abzielen (private Kontaktbeschränkungen, Schließung von
Kultur- und sozialen Einrichtungen, …), jedoch die Produktion und
damit die Profite der großen Konzerne und Industrien weitgehend
unangetastet bleiben. Darin liegt aber auch ein Problem, weil die
kapitalistischen Regierungen in diesem ständigen Ringen über den
Grad der Maßnahmen niemals vollständige Kontrolle über das Virus
erlangen, wir sehen es aktuell sehr deutlich in der Debatte um die
Wiederöffnung der Schulen, eine Schwierigkeit die durch Faktoren wie
hoch infektiöse Virusmutationen natürlich weiter verschlimmert
wird. Und hier kommt nun ZeroCovid ins Spiel, eine Kampagne, die
ursprünglich zurückgeht auf eine Proposition einer Gruppe von
Wissenschaftler_innen aus „The Lancet“ (das ist so ein
kanonisches Medizinjournal aus Großbritannien).

Was
will ZeroCovid?

Die
hauptsächliche Message von ZC ist, dass die Infektionszahl, auf
nahezu 0 (zero) heruntergebracht werden muss, um die Pandemie in den
Griff zu bekommen, also eher ein „stop the curve“-Ansatz. ZC sagt
nun, wie auch viele andere vernünftige Menschen, die nicht gerade
einen Regierungsposten belegen, dass ein „Feierabendlockdown“,
bei dem die meisten acht Stunden ihres Tages zubringen wie eh und je,
dafür niemals ausreichen kann, und dass aus diesem Grunde auch für
einen kurzen Zeitraum die nicht-essentiellen Teile der Wirtschaft
geschlossen werden müssen.

Der
Lockdown soll darüberhinaus ein „solidarischer Lockdown“ sein,
in dem Sinne, dass ein Rettungspaket gefordert wird, nicht für
Banken und Konzerne, sondern für „die Menschen, die von den
Auswirkungen des Shutdowns besonders hart betroffen sind […] wie
Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, in
einem gewalttätigen Umfeld, Obdachlose“. Ebenso soll massiv in den
Gesundheits- und Pflegebereich investiert werden und es wird
gefordert, dass die Impfstoffe „ein globales Gemeingut“ und der
„privaten Profiterzielung entzogen“ werden sollen.

Wichtig
ist, dass ZC, wenn auch nirgends das Wort „Kontrolle“ auftaucht,
dazusagt, „dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben
selber gestalten und gemeinsam durchsetzen” müssen und auch die
Gewerkschaften aufgefordert werden, “die erforderliche große und
gemeinsame Pause zu organisieren”. Wichtig ist das deshalb, weil es
die Frage aufwirft, wer das Subjekt der Veränderung sein soll,
vielmehr noch diese Frage gleich mit einem Klassenstandpunkt auf
Seiten der Arbeiter_innenklasse beantwortet. Dies schlägt sich auch
in einer letzten Forderung noch einmal nieder, in der sie die
Finanzierung aller Maßnahmen durch das Kapital fordern, in Form
einer “europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen,
Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten
Einkommen.”

Was
ist von all dem zu halten?

Wie
schon angedeutet, ist der grundlegende Ansatz goldrichtig und es ist
sehr zu begrüßen, dass die Intiative auf so eine Popularität
stößt. Insbesondere der Bezug auf die Arbeiter_innenklasse stellt
einen qualitativen Unterschied dar zu anderen Petitionen und
moralischen Appellen. Mit all dem gesagt, müssen wir dennoch
bemerken, dass in dem Aufruf einiges schwammig bleibt, so wird nicht
klar unter welchen Umständen eine Kontrolle der Arbeiter_innen und
Jugend über die Maßnahmen gelingen kann, stattdessen wird eher der
Eindruck vermittelt, der Staat müsse nur mal daran erinnert werden,
dass es uns auch noch gibt und dann könne man ihm die Umsetzung
dieser Politik auch irgendwie überlassen. Das ist allerdings ein
Trugschluss, kann doch der Staat in einer Klassengesellschaft, in der
die ökonomische Macht, das Eigentum, bei einer einzelnen Klasse
liegt, unmöglich neutral über den Klassen stehen. Es gibt
darüberhinaus noch viele weitere Punkte, in denen wir uns natürlich
wünschen würden, dass der Aufruf klarer und weitreichender wäre,
wir wollen hier nur exemplarisch nennen, dass zwar der Schritt von
einer europaweiten Planung schon gut ist, allerdings die Kurve nur
global wirklich gestoppt werden kann, wir also international für
diese Maßnahmen kämpfen müssen, wie auch klar gesagt werden muss,
dass der Kampf gegen die Pandemie keine Abschottung Europas gegenüber
Flüchtenden bedeuten darf, die Grenzen müssen für Geflüchtete
vielmehr geöffnet werden, so coronakonform wie möglich
(Massentests, dezentrale Möglichkeiten zur Quarantäne, …).

Also
Pustekuchen?

Nee!
Gerade jetzt, wo die Gewerkschafts- und Parteiführungen unsere
Klasse so im Stich lassen, und die größeren Mobilisierung eher von
rechts kommen, ist unsere Aufgabe eine Antikrisenbewegung von links
aufzubauen. Und da dürfen wir bei einem so vielversprechenden
Ansatz, der auch noch in so entscheidenden Fragen in genau die
richtige Richtung geht, nicht meckernd am Rande stehen. Wir müssen
uns vielmehr in ZC dafür engagieren, dass all die angesprochenen
Punkte umgesetzt werden, die so notwendig sind für den Erfolg der
Kampagne. Es ist ein richtiger Schritt, dass neben dem reinen
Unterschriftensammeln im Netz in den letzten Wochen auch zaghaft
kleine Aktionen auf der Straße oder vor den Betrieben gestartet
wurden und in vielen Städten Ortsgruppen zur Koordinierung der
Proteste gegründet wurden. Revolutionär_innen sollten diesen
Tendenzen weiterführen und so die Klasse als Subjekt der Veränderung
mehr in den Vordergrund rücken, da nur aus einer wirklichen Bewegung
auch Kontrollorgane zur Umsetzung der Ziele hervorgehen können.
Lasst uns im Einklang mit dem Infektionsschutz Demos, Streiks und
Besetzungen organisieren! Wir fordern auch andere linke
Jugendorganisationen (solid, Young Struggle, SDAJ, Jugendantifas und
andere, ja ihr seid gemeint) auf, um ZC aktiv zu werden. Nur von
außen kritisieren reicht jetzt nicht, macht mit und tragt eure
Kritik aktiv mit rein! Die Zeiten sind vorbei, in denen wir es uns
leisten können jede unser eigenes Süppchen zu kochen! Und nebenbei,
das Argument Forderungen an den Staat seien ein NoGo können wir
nicht gelten lassen, bei FFF hat das auch niemanden gejuckt, wir
haben aber trotzdem noch einen ausführlicheren Artikel zu der Frage:
onesolutionrevolution.de/duerfen-linke-forderungen-an-den-staat-stellen-zerocovid/

Was
heißt ZeroCovid für Jugendliche?

Naja
Corona ist ja auch doof für uns, nicht nur für Oma und Opa, das
wird z.B. deutlich, wenn wir uns anschauen was das Krisenmanagement
in der Schule für eine Katastrophe ist, nicht nur für diejenigen,
die gerade Abi schreiben. Es macht daher auch für uns Sinn, für ein
bisschen Kontrolle über unsere Lebensrealitäten zu kämpfen. Wir
sollten daher in der Schul-AG bei ZC intervenieren, um dafür zu
sorgen, dass a) unsere Interessen in der Kampagne Gehöhr finden, wir
b) dadurch auch andere Jugendliche aufmerksam machen können und
c) Druck auf Kräfte wie die GEW aufzubauen auch zu Aktionen
aufzurufen.
Inhaltlich
sollten wir dabei Forderungen aufwerfen wie: Schulöffnungen nur
unter unseren Bedingungen: Mehr Räume, mehr Personal, kleinere
Klassen, Freistellung ohne Diskussion, Prüfungen und Noten nur zur
Verbesserung. Ausführlicher
findet ihr das auf unserer Homepage.


Gehen wir es also an,
der Kampf für eine bessere Welt und gegen die Corona-Leugner_innen
kann nur Erfolg haben, wenn wir auch greifbar Alternativen aufzeigen
können!




Frauen in systemrelevanten Berufen: Die 1000€ Sonderzahlungslüge

Von Mareike Kombüse

Wie bereits im
vorherigen Artikel Wer
kommt für die Kosten der Krise auf?“
beschrieben,
leiden die ökonomisch am schlechtesten gestellten Menschen am
meisten unter der Krise. Besonders trifft das bei systemrelevanten
Berufen, wie z.B. dem Einzelhandel, der Pflege oder der Sozialarbeit
zu. Was diese Berufe gemeinsam haben ist nicht nur ihre
Unterbezahlung, sondern auch ihre Zusammensetzung.

Pädagogisches
Personal in Krippen, Kitas und Horten ist nur zu 3-15%
männlich1.
In der Pflege sind es ebenfalls um die 15% und im Einzelhandel
arbeiten nur etwa 27% Männer, während sie jedoch ¾ aller
Führungspositionen innehaben2.
Es zeigt sich also, dass Frauen in systemrelevanten Berufen deutlich
überrepräsentiert sind. Dabei sind die Arbeitsbedingungen besonders
während der Krise schlecht und Unterbezahlung ist Standard. Während
das durchschnittliche Einkommen hierzulande 3.994€ beträgt3,
bekommen Frauen in der Pflege bloß 2.315€, Männer 318€
mehr4.
Als Erzieherin liegt das Gehalt bei durchschnittlich 2.450€5
und im Einzelhandel bei Frauen bei nur 1.850€6.
Die Unterbezahlung in diesen Berufen ist also enorm und insbesondere
Frauen verdienen nochmal an die 10%
weniger als Männer.

Das ist kein
Zufall, denn in der patriarchalen Welt des Kapitalismus werden Frauen
durch die üblichen Rollenbildern in diese prekäre Situation
gedrängt: Das Bild von der „umsichtigen und unterstützenden“
Frau passt eher zu all den Berufen, in der zwar bitternötige Arbeit
geleistet wird, die aber für Menschen und damit aus ökonomischer
Sicht für Arbeitskraft sorgt (Reproduktionsarbeit), statt Waren im
engeren Sinne herzustellen. Da sich Pflege, Erziehung und
Einzelhandel deutlich schlechter verwerten lässt, z.B. weil es nicht
exportiert oder durch technische Investitionen leicht optimiert
werden kann, sind die Löhne direkt niedrig angesetzt. Aber selbst im
gleichen Beruf haben Männer bessere Chancen: Zum einen besteht für
den Chef nicht die Gefahr, dass sie durch Schwangerschaft ausfallen,
zum anderen hemmt Frauen das „brave und zurückhaltende“ Ideal in
Streits und Verhandlungen um den eigenen Lohn. Wir fordern dem
bezüglich unbedingt eine Angleichung unter Kontrolle der
Beschäftigten und die transparente Offenlegung der Löhne aller!

Tropfen auf
dem Heißen Stein

Eine
Einmalzahlung von bis zu 1000€ im Pflegebereich
ist eine Farce, denn selbst mit ihr ist das Gehalt aus dem
einen entsprechenden Monat immer noch weitaus niedriger, als das
durchschnittliche Gehalt. Außerdem bekommen die allermeisten
Beschäftigten viel weniger bis gar nichts. Es handelt sich bei der
Einmalzahlung also nicht einmal um eine einmalige
durchschnittsangleichende Zahlung, geschweige denn um eine „gerechte“
Sonderzahlung für die zusätzlichen Belastungen während der Krise,
wofür die Bundesregierung sie
verkauft. Berücksichtigt man die Millarden, die in Konzerne
fließen, die danach trotzdem massenhaft Stellen abbauen, darf man
also in den Staat kein Vertrauen hegen.

Dabei springt
eine Sache aus den Statistiken ins Auge: Je nach Branche verdienen
diejenigen Arbeiter_Innen in den systemrelevanten Berufen, die eine
Tarifanbindung haben, zwischen 9 und 24% mehr Geld7.
Daraus ergeben sich zwei Dinge: Erstens lohnt es sich, sich zu
organisieren und kollektiv für höhere Löhne zu kämpfen. Zweitens
scheinen die Gewerkschaftsführungen nicht in der Lage zu sein, eine
auch nur annähernde Angleichung der Löhne in diesen Branchen an das
durchschnittliche Einkommen zu erkämpfen. Die Arbeitskämpfe in
diesen Berufen müssen als Teil der Antikrisenbewegung aufgegriffen
und organisiert und die Gewerkschaftsführungen unter Druck gesetzt
werden, denn in der momentanen Situation tun sich hier besondere
Chancen auf: In
dem vergangenen Jahr wurde klar, welche Rolle die beschriebenen
Personen für den Staat und den Kapitalismus haben. Zum einen kann
die „Systemrelevanz“ genutzt werden, um flächendeckend zu
organisieren und dann effektiv zu streiken, um bessere
Arbeitsverhältnisse zu erhalten. Zum anderen besteht eine große
gesellschaftliche Solidarität, bei der aus Klatschen aus dem Fenster
ganz schnell auch Backpfeifen für die Kapitalist_Innen im
Arbeitskampf werden können. Denn wir wollen alle ein
funktionierendes Pflege- und Gesundheitssystem und das funktioniert
am besten mit zufriedenen Arbeiter_Innen und zwar fernab der
Profitlogik!

1https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/mehr-maenner-in-kitas-erwuenscht/
[13.12.2020]

2https://www.n-tv.de/wirtschaft/Frauen-im-Einzelhandel-sind-selten-Chefin-article21935339.html
[13.12.2020]

3https://de.statista.com/themen/293/durchschnittseinkommen/

4https://www.lohnspiegel.de/pflegeberufe-13899.htm

5https://www.lohnspiegel.de/erzieher-innen-13912.htm

6https://www.lohnspiegel.de/verkaeufer-in-im-einzelhandel-13893.htm

7Siehe
Links vom „Lohnspiegel“




Wer kommt für die Kosten der Krise auf?

Von Mareike Kombüse

Lange wurde die Krise beschworen, jetzt
ist sie da: Bereits 2019 hat sich in einigen Bereichen der Industrie
der wirtschaftliche Niedergang abgezeichnet. Mit der Pandemie hat sie
sich auf die restliche Wirtschaft ausgedehnt und die Krise ungemein
befeuert: Das erwartete Wirtschaftswachstum
für 2020 in Deutschland liegt je nach Quelle zwischen -4,7%
und -7,1%1.
Sprich die Kosten der Krise sind enorm. Doch wer trägt sie? Ein
Blick in die Nachrichten: Kurzarbeit, Massenentlassungen in der
Gastronomie und bei Lufthansa, Coronaausbrüche bei Tönnies,
Überstunden im Pflegebereich. Einige Beispiele von vielen, die
bereits erahnen lassen, wen die Krise besonders hart trifft und wen
nicht.

Der
Schuldenberg wächst

Doch zunächst werfen wir einen Blick
auf die Staatshilfen: Diese werden mehrheitlich zur Rettung großer
Konzerne, wie z.B. Lufthansa mit 9 Milliarden Euro2,
genutzt. 9 Milliarden? Das klingt schon nach viel Geld? Insgesamt
plant die Bundesregierung 400 Milliarden Euro alleine für die
Rettung großer Konzerne auszugeben. Weitere 200 Milliarden
sind im Rahmen von Kreditmaßnahmen eingeplant3.
Das diese Milliarden nicht einfach gedruckt werden, sondern letzten
Endes von jemanden getragen werden müssen, ist klar. Der Staat
treibt diese Gelder mittels Steuern ein.
Diese bezahlen zu einem großen Teil Arbeiter_Innen. Sprich
die Rettung der Konzerne geschieht zu einem Teil auf Kosten
derjenigen, die von eben denselben ausgebeutet werden. Dabei können
wir aufgrund der Verschuldung von kommenden Steuererhöhungen
ausgehen. Hierbei leiden in einem besonderen Maße diejenigen unter
den Steuerabgaben, die in absoluten Zahlen ein besonders geringes
Einkommen haben. Dort heißt es nämlich oftmals Schauen, wie die
Miete überhaupt zu bezahlen ist, während es bei den Steuern der
Kapitalist_Innen letztlich um die Frage geht, ob der Champagner 100
oder 80€ kostet.

Für die Aktionäre waren die
Milliarden aber ein regelrechter Segen: 2020 wurden allein in
Deutschland 43,8 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2019 an Aktionäre
ausgeschüttet4.
Gleichzeitig erhalten viele dieser Konzerne enorme „Staatshilfen“.
So hat BMW 1,6 Milliarden Euro Dividende ausgeschüttet und zugleich
Kurzarbeit eingeführt. Die BASF schüttete 3,4 Milliarden Euro aus
und erhält Milliarden Staatshilfen aus Großbritannien. Genauso
Bayer mit 3,4 Milliarden Euro Ausschüttung und 670 Millionen aus
einem britischen Nothilfefond5.
Alles Beispiele dafür, wie der Kapitalismus es immer wieder schafft,
Gewinne einigen wenigen zukommen zu lassen und Kosten auf die
ökonomisch Schwachen abzuwälzen.

Als ob der übliche Stress nicht
reicht

Die Arbeiter_Innen sind es auch, die
aufgrund ihrer ökonomischen Abhängigkeit gegenüber ihren
Ausbeuter_Innen oftmals dazu gezwungen sind, unter mangelnden
Hygienebedingungen ihre Arbeit fortzusetzen. Bei
Tönnies hat sich gezeigt, welche fatalen Folgen das bedeutet, denn
es ist nicht bloß bei einem Corona-Ausbruch geblieben. Die
Gesundheit der Arbeiter_Innen findet in der Profitlogik der
Kapitalist_Innen keinen Platz.

Im Bereich der Care-Arbeit zeigt
sich Ähnliches. Zwar ist die Hygieneversorgung im Vergleich besser,
wenn auch nicht ausreichend, allerdings wird massiv Druck auf die
Arbeiter_Innen ausgeübt, indem ihnen jede Menge Überstunden
aufgebrummt werden und eine Intensivierung der Arbeit stattfindet.
Eine späte Einmalzahlung von
bis zu 1000€, die insgesamt 0,1 Milliarden Euro gekostet
hat6,
ist bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Vergleich zu den 400
Milliarden Euro für große Konzerne ist es jedoch eine einzige
Dreistigkeit – vor allem in Anbetracht der durch die
Pflegearbeiter_Innen geretteten Menschenleben. Im folgenden
Artikel zur Sonderzahlungslüge gibt es dazu noch mehr Hintergründe!

Eine zusätzliche Belastung stellte
sich während der Corona-Krise für arbeitende Eltern, die auf der
einen Seite während des Präsenzunterrichts ihrer Kinder Sorge
um deren Gesundheit hatten und auf der anderen Seite
während des schlecht organisierten Homeschoolings zusätzliche
Unterstützung bereitstellen mussten. Schließlich fanden alle
Schulprüfungen trotz der inadäquaten Vorbereitungsbedingungen
statt.

Was muss jetzt passieren?

Insgesamt können wir also festhalten,
dass mal wieder die Schwächsten am meisten unter der Krise leiden.
Da hilft kein Klatschen und keine scheinheilige Einmalzahlung. Was
den Arbeiter_Innen wirklich hilft, sind drastische Lohnerhöhungen
und bessere Hygienebedingungen. Dabei wird es nicht ausreichen, den
Staat nur auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Schließlich
geschieht das ganze nicht unbemerkt, sondern ist gewollt. Historisch
ist der Staat nämlich als „ideeller Gesamtkapitalist“
entstanden. Das heißt, er vertritt die allgemeinen Interessen aller
Kapitalist_Innen zusammen. Konkret bedeutet das beispielsweise die
Aufrechterhaltung des Privateigentums an Produktionsmittel oder des
Erbrechts. Auch wenn es sicher einige erkämpfte Rechte der
Arbeiter_Innenklasse innerhalb des Staats gibt und wir diese auch
weiter erkämpfen müssen, kann
dieser Staat nicht so reformiert werden, dass wir tatsächlich
eine gerecht Gesellschaft haben. Das Eingestehen gewisser Rechte
diente nämlich einzig und allein der Beschwichtigung der sich
wehrenden Arbeiter_Innenklasse. So erweisen sich diese oft als
unvollständig und scheinheilig. Das Wahlrecht ist zum
Beispiel derartig eingeschränkt, dass kaum von einer Demokratie die
Rede sein kann: nur alle 4 Jahre wird gewählt, keine
Rechenschaftspflicht, keine Abwählbarkeit, staatliche Kontrolle über
die Bildungsinhalte, Lobbyismus und so weiter. So gelingt dem
vermeintlich demokratischen Staat die Abwälzung der Kosten der Krise
auf die Arbeiter_Innenklasse. Doch was können wir machen um das zu
verhindern?

Um unsere Ziele höherer Löhne und
besserer Hygienebedingungen zu
erreichen, müssen wir uns kollektiv in den Unis, Schulen und
Betrieben organisieren. Wir müssen die verschiedenen
gesellschaftlichen Kämpfe zu einer gemeinsamen Bewegung gegen die
Krise und ihren Auswüchsen aufbauen! Dabei brauchen wir Forderungen,
die auch die Finanzierungsfrage beantworten. Wir brauchen eine starke
Besteuerung derjenigen, die während der Krise Sonderprofite
erzielten (Desinfektions- und Maskenhersteller). Gleichzeitig müssen
wir die Ausschüttung von Dividenden verhindern und diese Gelder für
bessere Hygienebedingungen und höhere Löhne in den systemrelevanten
Sektoren nutzen. Allerdings werden das die großen Konzerne sicher
nicht so einfach mit sich machen lassen. Sie drohen mit Stellenabbau
oder Standortverlagerung, um ihre Interessen durchzusetzen. Das
dürfen wir nicht zulassen. Kommt
es dazu müssen wir die Konzerne bestreiken, die Kontrolle über die
Produktion übernehmen und sie
letztendlich enteignen.
Nur so können wir Corona-Ausbrüche in den Fabriken wie bei
Tönnies, die Abwälzung der Kosten auf uns und die Überlastung
sowie schlechte Bezahlung der Arbeiter_Innen in systemrelevanten
Sektoren beenden.

1https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunkturprognose114.html
[10.12.2020]

2https://meta.tagesschau.de/id/145964/lufthansa-bekommt-milliardenhilfen-vom-staat
[10.12.2020]

3https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/wirtschaftsstabilisierung-1733458
[10.12.2020]

4https://de.statista.com/statistik/daten/studie/422114/umfrage/gesamtsumme-der-gezahlten-dividenden-in-deutschland/
[11.12.2020]

5https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/trotz-wirtschaftskrise-und-staatshilfen-konzerne-schuetten-hohe-summen-an-aktionaere-aus/26173670.html
[11.12.2020]

6https://www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegebonus.html
[10.12.2020]




Solidarität mit dem Generalstreik der indischen Gewerkschaften!

Zuerst veröffentlicht am 26. November 2020 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/26/solidaritaet-mit-dem-generalstreik-der-indischen-gewerkschaften/

Martin Suchanek

Seit dem Morgen des 26. November erfasst ein weiterer Generalstreik
Indien. Die Gewerkschaften rechnen mit bis zu 250 Millionen
TeilnehmerInnen. Begleitet wird die Arbeitsniederlegung außerdem von
Massenaktionen von Bauern/Bäuerinnen und LandarbeiterInnen gegen neue
drakonische Gesetze, die Farm Laws, die die Arbeit auf dem Land
(de)regulieren sollen.

Zur Vorbereitung und Durchführung des Generalstreik haben sich
zahlreiche landesweite Verbände und regionale Organisationen in der 
Joint Platform of Central Trade Unions (CTUs; Vereinigte Plattform der
Gewerkschaftszentralen) zusammengeschlossen.

Diese besteht aus folgenden Verbänden Indian National Trade Union
Congress (INTUC), All India Trade Union Congress (AITUC), Hind Mazdoor
Sabha (HMS), Centre of Indian Trade Unions (CITU), All India United
Trade Union Centre (AIUTUC), Trade Union Coordination Centre (TUCC),
Self-Employed Women’s Association (SEWA), All India Central Council of
Trade Unions (AICCTU), Labour Progressive Federation (LPF) und United
Trade Union Congress (UTUC). Politisch repräsentieren sie das volle
Spektrum von der bürgerlich-nationalistischen Kongresspartei
nahestehenden Verbänden über die den kommunistischen Parteien
verbundenen bis hin zu unabhängigen, teilweise radikaleren
klassenkämpferischen Organisationen. Wenig überraschend fehlt mit
Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS), der „gewerkschaftliche“ Arm der
regierenden, hinduchauvinistischen Bharatiya Janata Party (Indische
Volkspartei; BJP), die sich faktisch wieder einmal als gelber Verband
von StreikbrecherInnen betätigt.

Historischer Angriff

Der Generalstreik am 26. November richtete sich – wie schon jene der
letzten Jahre, die mehr als 100 Millionen Lohnabhängige mobilisieren
konnten – gegen einen fundamentalen Angriff durch die
KapitalistInnenklasse und die Modi-Regierung. Die Regierung brachte seit
2019 vier neue Arbeitsgesetze in die Look Sabha (Parlament) ein, die 44
bisher gültige ersetzen sollen. Im Grunde sollen damit die Überreste
der Beziehungen zwischen Kapital und Lohnarbeit, wie sie nach der
Unabhängigkeit Indiens etabliert wurden, endgültig beiseitegeschoben
werden. Dieser Prozess begann zwar mit der neoliberalen Wende der
Kongress-Partei und der Öffnung der indischen Wirtschaft nach 1980,
beschleunigte sich jedoch seit dem Ausbruch der globalen Krise 2007 und
der Regierungsübernahme der hindu-chauvinistischen Bharatiya Janata
Party (BJP) 2014. Das ist auch der Grund, warum sich entscheidende
Fraktionen des Großkapitals vom Kongress, der traditionellen Partei der
indischen Bourgeoisie, abwandten und, ähnlich den imperialistischen
Großunternehmen, in der BJP die verlässliche Sachwalterin ihrer
Interessen sehen.

Die Ideologie des Hindutva, nach der Indien ausschließlich den Hindus
gehöre und in der religiöse Minderheiten wie Muslime, Indigene, die
„unteren“ Kasten, Frauen und sexuelle Minderheiten BürgerInnen zweiter
Klasse sein sollen, bildet den Kitt, um große Teile der Mittelschichten,
des KleinbürgerInnentums und rückständige ArbeiterInnen vor den Karren
des Kapitals zu spannen. Die „größte Demokratie der Welt“ bildet die
Fassade für die zunehmend autoritäre, bonapartistische Herrschaftsform
des Regimes Modi, das sich dabei auf extrem reaktionäre und auf
faschistische Massenorganisationen stützen kann. In den letzten Jahren
forcierte sie die Angriffe auf demokratische Rechte und ging brutal
gegen  Proteste vor, die sich gegen die nationalistische „Reform“ der
Melde- und Staatsbürgerschaft richteten. Vielerorts, wie in Delhi
provozierten Parteiführer der BJP Pogrome gegen Muslime und
Protestierende. Indien annektierte Kaschmir und beendete dessen formal
autonomen Status endgültig. Die „Reform“ der Arbeitsgesetze stellt ein,
wenn nicht das klassenpolitische Kernstück der Politik der
Modi-Regierung dar. Hier nur einige zentrale Aspekte:

  • Das neue Arbeitsgesetz erlaubt die fristlose Entlassung ohne
    weitere Angabe von Gründen und ohne Zustimmung der Behörden von bis zu
    300 Beschäftigten. Bisher war diese Zahl auf 100 ArbeiterInnen
    festgelegt. Dies schafft wichtige Beschränkungen der Unternehmenswillkür
    in Klein- und Mittelbetrieben ab, die in den letzten Jahren ebenfalls
    zunahm.
  • Das Fabrikgesetz von 1948 galt bislang für alle Betriebe mit
    mehr als 10 Beschäftigten, sofern sie mit Elektrizität versorgt wurden,
    und für alle mit mehr als 20, die diese nicht haben. Jetzt werden diese
    Zahlen verdoppelt, auf 20 bzw. 40 Beschäftigte.
  • Diese Methode durchzieht zahlreiche andere Bestimmungen der
    neuen Arbeitsgesetze. Die Mindestzahl an regulär Beschäftigten, ab denen
    sie überhaupt erst gelten, wurde deutlich erhöht, oft auf das Doppelte
    oder Dreifache der ursprünglichen Zahl. Dies betrifft insbesondere
    Mindeststandards für Arbeitssicherheit.
  • Erhöht wurde außerdem die Quote für LeiharbeiterInnen unter den Beschäftigten.

All diese Maßnahmen zielen auf die Ausweitung der
UnternehmerInnenfreiheit. Die weitgehende Entrechtung, die schon heute
die Lage eines großen Teils der indischen ArbeiterInnenklasse prägt, der
in verschiedene Formen der Kontraktarbeit (wie  Tagelöhnerei,
Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, …) gezwungen wird, soll weiter
ausgedehnt werden. Auch bisher „regulär“ Beschäftigte sollen von ihr
erfasst werden.

Zugleich werfen diese Maßnahmen auch ein bezeichnendes Licht auf das
Geschäftsmodell des indischen Kapitalismus. Die vom Weltmarkt und den
internationalen Finanzmärkten abhängige halbkoloniale Ökonomie kann die
Profitabilität der wachsenden kleineren Kapitale nur sichern, wenn diese
weiter die Arbeitskräfte extrem ausbeuten, also unter ihren
Reproduktionskosten kaufen und verwerten können. Ansonsten sind sie
nicht in der Lage, sich auf dem Markt zu halten, die Vorgaben von
Konkurrenzbedingungen, die das multinationale Großkapital aus den
imperialistischen Ländern diktiert, zu erfüllen. Zugleich begünstigt
diese Form der Überausbeutung auch die indischen Großkonzerne, die
ihrerseits um größere Anteile am Weltmarkt ringen.

Diese Ausweitung selbst erschwert schon die Möglichkeiten der
gewerkschaftlichen Organisierung massiv, die durch neue legale
Einschränkungen zusätzlich eingeschränkt werden sollen.

Ergänzt werden die Angriffe auf die Arbeitsgesetze auch durch
drastische Verschlechterungen für die Landbevölkerung, also für die
ärmsten Schichten der Bauern und Bäuerinnen sowie für LandarbeiterInnen.
Das ist auch der Grund, warum das All India Kisan Sangharsh
Coordination Committee (AIKSCC) den Generalstreik unterstützt und mit
Aktionstagen am 26. und 27. November verbindet.

Über die Forderung nach Abschaffung der gesamten reaktionären
Reformen des Arbeitsgesetzes hinaus verlangen die Gewerkschaften
außerdem eine monatliche staatliche Unterstützung von 7.500 Rupien (rund
85 Euro) für alle Familien, die keine Einkommenssteuer zahlen müssen,
sowie 10 Kilogramm kostenloser Lebensmittel für alle Bedürftigen. Diese
und ähnliche Forderungen verdeutlichen, dass die Corona-Pandemie und die
kapitalistische Krise Millionen ArbeiterInnen und  Bauern/Bäuerinnen in
Not und Elend stürzen, sie gegen Armut, Hunger und Tod ankämpfen
müssen.

Internationale Solidarität und Perspektive

Der Generalstreik der indischen Gewerkschaften erfordert unsere Solidarität – und zwar weltweit.

Zugleich macht er aber – gerade vor dem Hintergrund etlicher
Massenstreiks der letzten Jahre – deutlich, dass die
ArbeiterInnenbewegung und alle Bewegungen von Unterdrückten gegen das
Hindutva-Regime eine Strategie brauchen, die über beeindruckende, aber
auch nur auf einen Tag beschränkte Aktionen hinausgeht. Die Regierung
Modi wird sich davon nicht stoppen lassen. Das haben die letzten Jahre
gezeigt. Wie die letzten Monate verdeutlicht haben, wird sie auch die
Pandemie und die Krise zu nutzen versuchen, weitere Angriffe
durchzuziehen.

Es geht daher darum, dem permanenten Angriff einen permanenten
Widerstandskampf entgegenzusetzen – auf den eintägigen Generalstreik
einen unbefristeten gegen die Arbeitsgesetze und für ein
Mindesteinkommen und Mindestlohn für alle in Stadt und Land
vorzubereiten und durchzuführen.

Die Koordinierung der Gewerkschaften und BäuerInnenorganisationen
muss sich einer solchen Aufgabe stellen und zur Bildung von
Aktionskomitees in den Betrieben, den Stadtteilen, in den Gemeinden und
auf dem Land aufrufen, also Kampforgane bilden, die alle Schichten der
Lohnabhängigen und der Klein- und MittelbäuerInnen einschließen,
unabhängig von Religion, Nationalität, Kaste, Geschlecht oder sexueller
Orientierung.

Angesichts der staatlichen Repression und der reaktionären
hinduchauvinistischen Verbände müsste ein solcher Streik auch
Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen.

Ein politischer Generalstreik, der das Land dauerhaft lahmlegt, würde
unwillkürlich die Machtfrage aufwerfen – und somit auch die Möglichkeit
und die Notwendigkeit, vom Abwehrkampf zur Offensive überzugehen. Diese
erfordert freilich mehr als nur gewerkschaftlichen Widerstand. Sie
erfordert die Verbindung dieses Kampfes mit dem gegen alle Formen der
Unterdrückung, die Verbindung des Kampfes gegen die BJP-Regierung mit
dem gegen den Kapitalismus, den Aufbau einer revolutionären politischen
Partei der ArbeiterInnenklasse, die sich auf ein Programm von
Übergangsforderungen stützt und die für eine ArbeiterInnen- und
BäuerInnenregierung kämpft, die eine Räteherrschaft errichtet, das
Großkapital enteignet und eine demokratische Planwirtschaft einführt.

Zur Zeit existiert keine politische Kraft in Indien, die ein solches
Programm vertritt. Die verschiedenen kommunistischen Parteien haben sich
vom revolutionären Sturz des Kapitalismus faktisch schon lange
verabschiedet, die radikale Linke ist zersplittert und oft
desorientiert. Die politische Krise zu überwinden, erfordert daher nicht
nur die Unterstützung der Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse und
sozialen Bewegungen. Alle, die nach einer sozialistischen und
internationalistischen Antwort suchen, stehen auch vor der Aufgabe, in
Diskussion um die programmatischen Grundlagen einer revolutionären
Partei zu treten und deren Aufbau in Angriff zu nehmen.




FFF: Was war los beim ÖPNV-Streik und was will dieser Jakob im Bundestag?

4
Fragen und 4 Antworten zu FFF, den ÖPNV-Streiks und was
Antikapitalist_Innen jetzt tun müssen

Was
ist beim Nahverkehrsstreik gelaufen?

Vielleicht
hast Du in den letzten Wochen mal vergebens an der Bushaltestelle
gestanden oder durch die Nachrichten erfahren, dass in den in
unterschiedlichen Städten und Gemeinden die Arbeiter_Innen im
Nahverkehr gestreikt haben, sie die Busse und Bahnen stehen ließen.
Vielleicht hast Du‘s aber auch nicht mitbekommen…und das liegt
nicht an Dir. Gestreikt wurde höchstens Mal ein Tag, oft aber nur
ein paar Stunden. Ziel des Streiks war eine bessere Bezahlung und
bessere Arbeitsbedingungen für die Menschen, die uns täglich zur
Schule, Ausbildung oder Uni fahren und die gerade in der Corona-Zeit
zu jenen gehören, die unsere Gesellschaft noch am Laufen halten.

In
einigen Bundesländern sind die Streiks jetzt schon ganz vorüber,
denn die Gewerkschaft ver.di und die Arbeit“geber“_Innenverbände
haben sich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Zuletzt ist das in
Nordrhein-Westfalen passiert und für die Beschäftigten ist das
Ergebnis ein ziemlicher Schlag ins Gesicht. Am 1. April 2021 gibt‘s
1,4 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 50 Euro, am 1. April 2022
1,8 Prozent mehr und für‘s Weiterfahren während Corona das Land
zum Stillstand zwang gibt‘s einmalig 600 Euro. Faktisch heißt das,
dass sich die Verkehrsarbeiter_Innen mittelfristig weniger als heute
leisten können, sie ärmer werden. In den anderen Bundesländern ist
Ähnliches zu erwarten.

Was
können wir daraus lernen?

1.)
die Gewerkschaftsführungen wollen in der Krise keinen Konflikt mit
den Bossen. Bloß ein bisschen Streiken, eine Niederlage
unterzeichnen und sie dann als notwendiges Opfer in Zeiten der Krise
den Mitgliedern der Gewerkschaft verkaufen. Die Gewerkschaftsbosse
haben dabei gut reden, verdienen sie doch so viel in den
Aufsichtsräten der Konzerne, dass sie die Krise locker überstehen
werden…vorausgesetzt sie halten die Arbeiter_Innen schön ruhig.

2.)
die Arbeiter_Innenklasse soll die Krise bezahlen. Schon als ver.di
einen lächerlichen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst unterschrieb
war klar, dass der Kampf im Nahverkehr auch zum Abschuss freigegeben
ist. Andernorts sieht‘s nicht besser aus. Der Staat muss angesichts
seiner riesigen Corona-Schulden sparen und zu Geld kommen. Aber als
die Linkspartei neulich eine kleine Vermögensabgabe für Reiche
forderte war der Aufschrei im Bundestag und den Zeitungen groß. Wenn
umgekehrt bei der Bahn Milliardeneinsparungen beim Personal gefordert
werden, erzählen einem die konservativen Medien was von „jeder
muss doch ein Opfer bringen“.

3.)
die Lösung der Klimakrise fällt im Angesicht der Wirtschaftskrise
hinten runter. Anstatt die Verkehrswende anzugehen, den Nahverkehr
auch als Arbeitsplatz attraktiver zu machen und gut zu bezahlen, um
die tausenden fehlenden Beschäftigten bundesweit einzustellen, heißt
es für den Nahverkehr jetzt weiter sparen, sparen, sparen. Achso,
natürlich nicht überall, nein, nein, die Lufthansa wird mit
Milliarden gerettet, zahlt auch weiterhin keine Kerosinsteuer und
kaufst du dir ein neues E-Auto gibt dir der Staat dafür auch noch
einen Riesenbatzen Geld.

Was
hat FFF damit zu tun?

Dass
Verkehrspolitik auch immer Klimapolitik ist und dass der Streik im
Nahverkehr deshalb auch unmittelbar die Ziele und Forderungen von FFF
betrifft, ist nichts Neues. Als Revo haben wir in den einzelnen
Städten, in den FFF-AGs und auf dem Nordkongress Anfang des Jahres
immer dafür gekämpft, dass FFF aktiv auf die Gewerkschaften zugehen
muss, um die Arbeiter_Innenklasse für gemeinsame Kämpfe zu
gewinnen. Damals haben Luisa Neubauer und die undemokratische Führung
von FFF noch versucht, unsere Beschlüsse bürokratisch zu umgehen.
Heute machen sie Selfies mit den Spitzenfunktionären von Verdi.

Als
wir FFF zum Schulterschluss mit den Gewerkschaften aufgerufen haben,
meinten wir damit keine runden Tische in Besprechungsräumen oder
Selfie-Aktionen. Was wir wollen ist eine aktive Mobilisierung an der
Basis! Wir sind dafür eingetreten, dass es Vollversammlungen an den
Schulen gibt, zu denen Beschäftigte aus dem ÖPNV kommen, über ihre
Arbeitsbedingungen berichten und gemeinsam mit uns Schüler_innen
über eine ökologische Verkehrswende diskutieren. Wir sind dafür
eingetreten, dass FFF die Streikposten der streikenden Beschäftigten
im ÖPNV unterstützt und so ein aktives Zeichen der Solidarität
setzt, auf dem kommende Kämpfe aufbauen können. Der Streik ist das
effektivste Mittel der Arbeiter_Innenklasse eine Awareness für das
Thema zu erwecken und echten Druck auf die Verantwortlichen
auszuüben.

Die Führung von verdi hat sich jedoch dagegen gesperrt, zu wirklichen Streiks aufzurufen und ihren Mitgliedern stattdessen empfohlen, einen ihrer wenigen Urlaubstage zu nutzen, wenn sie zu FFF gehen wollen. Indem sie nicht offen zum Streik aufgerufen haben, haben sie ihren Mitgliedern verwehrt im Rahmen einer politischen Kampagne daran teilzunehmen. In diesem Punkt sind sich der Verdi-Vorstand und die FFF-Führung ziemlich ähnlich: beide verhindern aktiv eine Radikalisierung ihrer Basis. Damit wollen sie ihren Führungsanspruch aufrecht erhalten und auf jeden Fall verhindern, dass eine Bewegung „von unten“ entsteht, die keine Luisas und Frank Wernekes (Verdi-Vorstand) mehr braucht.

Was
hat FFF falsch gemacht?

Aus
dem Schulterschluss zwischen FFF und Gewerkschaften ist bis auf ein
paar nette Selfies wohl nichts geworden. Noch deutlicher wird die
Unfähigkeit der FFF-Führung darin, dass sie dem
„Kohleausstiegsgesetz“ nichts entgegengesetzt haben. Das
sogenannte „Kohleausstiegsgesetz“ redet nämlich nicht vom
Ausstieg aus der braunkohlebasierten Energiegewinnung, sondern will
die dreckigen Tagebauten noch 20 Jahre weiter finanzieren und
verspricht den Klimakillern große Geldsummen. Wir fragen uns an der
Stelle, wofür wir eigentlich die ganze Zeit gekämpft haben, wenn
die Bundesregierung so ein Gesetz verabschiedet und FFF schweigt.

Doch dieses Problem von FFF hat System und hat nicht nur mit Corona zu tun. Die Schlüsselfrage ist vielmehr, ob FFF bereit ist, die kapitalistische Produktionsweise als Ursache des Klimawandels zu erkennen und zu bekämpfen, oder ob FFF weiterhin versucht, dem Kapitalismus einen grünen Anstrich zu verpassen, die Basis von FFF zu unterdrücken und statt Mobilisierungen nun zur Wahl der Grünen aufzurufen. Das unterscheidet uns von Luisa. Bereits bevor die Pandemie ausgebrochen ist, stand eine Strategiedebatte innerhalb FFFs an, die eine neue Ausrichtung beschließen sollte, mit der wir mehr werden sollten, uns weniger überlasten müssen und unsere Ziele tatsächlich erreichen können. Schon vor Corona hat die Führung von FFF versucht, dies zu unterbinden. Nachdem nun unsere Aktionen durch den Lockdown weitestgehend eingebrochen sind und die Bewegung geschwächt wurde, versuchen Luisa und Co. ihren Kurs nun final durchzusetzen. Jakob geht in den Bundestag, während Luisa FFF als aktivistisches Feigenblatt missbraucht und für Bündnis 90/Die Grüne bei der Bundestagswahl mobilisiert. Anstatt auf der Straße zu stehen, laut zu sein und für die Forderungen zur Einhaltung der Klimaziele zu kämpfen, will die FFF-Führung sich lieber an irgendwelche runden Tische oder in Bundestagssessel setzen und sich somit den kapitalistischen Politiker_Innen beugen, denen, wie wir gesehen haben, unsere Forderungen ziemlich egal sind. Dabei sind die Grünen alles andere als grün: die bürgerliche Partei ist mitverantwortlich dafür, dass der Danni geräumt wird und dass der Kohlekompromiss im Bundestag durchgekommen ist. Abgesehen davon gibt es kaum einen Kriegseinsatz der Bundeswehr, dem die Grüne nicht zugestimmt hat. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier nochmal genauer nachlesen könnt: Die Grünen – Neoliberal für’s Kapital .

Der
von der ungewählten und somit nicht demokratisch legitimierten
FFF-Führung geführte Kurs, war es seit jeher, die Bewegung zu
kontrollieren und eine Radikalisierung zu verhindern. Das zeigte sich
unter anderem dadurch, dass sie selbstorganisierte und
antikapitalistische Perspektiven immer bekämpft haben. So haben wir
von Revo, aber auch andere linke FFF-Ortsgruppen, die Plattform
Change for Future oder die Anti-Kohle-Kids versucht,
antikapitalistische Positionen in die Bewegung zu tragen. Gerade
heute, wo der Verrat von Lusia und Jakob so offensichtlich ist, gibt
es viel Kritik an der momentanen FFF-Politik aus der Basis. Vielen
von uns haben sich an den Ende Gelände Protesten beteiligt und
gezeigt, dass wir bereit sind, radikalere Forderungen und
Aktionsformen aufzuwerfen.

Doch
während uns von Revo vorgeworfen wird, die Bewegung für unsere
antikapitalistischen Ziele zu „unterwandern“, sitzen genau
diejenigen, die uns diesen Vorwurf machen, in Führungspositionen bei
den Grünen oder beim BUND. Im Gegensatz zu uns verschweigen sie
jedoch, dass sie noch in anderen Organisationen sind. Das ist nicht
nur intransparent, sondern auch undemokratisch und zeigt ganz
deutlich, wer hier die Bewegung eigentlich unterwandern will. Mit dem
Vorwurf an uns wollen sie versuchen, eine Linksentwicklung in der
Bewegung zu verhindern und ihr eigenes pro-kapitalistisches und
undemokratisches Programm durchsetzen.

Was sollten Antikapitalist_Innen in FFF jetzt tun?

Viele
linke Gruppen innerhalb FFFs haben sich nicht getraut offen
aufzutreten, damit ihnen nicht vorgeworfen wird, dass die Bewegung
„unterwandern“. Doch, wenn wir für antikapitalistische
Positionen in FFF kämpfen wollen, müssen wir den Kurs der Führung
herausfordern, offen auftreten und der Basis klar machen, wofür wir
sehen!

Was
wir brauchen ist mehr Demokratie und weniger Hinterzimmerbeschlüsse!
Was wir brauchen ist eine basisdemokratische Aktionskonferenz für
eine neue Strategie, die dem bürgerlichen Kurs von Luisa, Jakob &
Co. ein Ende setzt! Die Klimakiller müssen enteignet und unter
demokratische Kontrolle gestellt werden, anstatt sie mit bloßen
Appellen um die Einhaltung von Klimazielen zu bitten. Klimaschutz
muss international sein und muss eine Verbesserung in unseren Lebens-
und Arbeitsbedingungen bedeuten, statt stupide Verbote zu fordern.
FFF muss wieder zurück auf die Straße und an die Schulen. Wenn wir
wieder mehr werden wollen, müssen wir Komitees an unseren Schulen
aufbauen, um die Leute dort abzuholen, wo sie sich tagtäglich
aufhalten.

Was wir jetzt tun müssen ist, mit den Gewerkschaften und hier vor allem ihrer Basis über eine universelle Anti-Krisen-Bewegung zu diskutieren, die sich sowohl gegen die Klimakrise, die Wirtschaftskrise als auch gegen die Gesundheitskrise richtet. Die Unternehmen und kapitalistischen Regierungen, die Mitverursacher dieser Krisen sind, lassen nämlich uns Jugendliche und die Arbeiter_Innenklasse für die Kosten der Krise zahlen!

Power
to the people!




Der Abschluss für den Öffentlichen Dienst und die Linke

zuerst veröffentlicht am 21.11 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/21/der-abschluss-fuer-den-oeffentlichen-dienst-und-die-linke/

Mattis Molde

Die erste große Tarifrunde nach Beginn der Pandemie und der Vertiefung der Wirtschaftskrise ist vorbei. Der öffentliche Dienst hat Maßstäbe auch für die nächsten Runden gesetzt. Aber es ging nicht nur um die ökonomischen Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft. Es ging um mehr. Es ging darum, wie sich die Arbeiter_Innenklasse politisch aufstellt in einer entscheidenden historischen Phase, in der sich eine Krise des kapitalistischen Systems entfaltet, die tiefer und länger zu werden verspricht als die vor 10 Jahren, ja jetzt schon mit der von 1931 verglichen wird. Die begleitet ist von Krisen der politischen Systeme nicht nur in Halbkolonien, sondern auch in den Zentren der Macht wie in den USA und der EU. Die dominiert wird von rechten Massenmobilisierungen und Wahlerfolgen, in der es aber auch Gegenbewegungen gibt.

Ausverkauf

Das Kapital und sein Staat haben sich in dieser Tarifrunde von Anfang an klar positioniert. Das war zu erwarten. Die ver.di-Führung ignorierte das anfangs trotzdem und streute ihren Mitgliedern Sand in die Augen, als sie von einer „Politik der ausgestreckten Hand“ schwadronierte. Als diese Vorgangsweise scheiterte, erklärte sie es zum Ziel der Warnstreiks, dass die Arbeit„geber“_Innen „endlich ein Angebot vorlegen“. Die Forderung von 4,8 % mit einer Laufzeit von einem Jahr war damit schon unauffällig ersetzt. Entsprechend haben die Spitzenverhändler_Innen das „respektlose“ erste Angebot der Arbeit„geber“_Innenverbände in der letzten Verhandlung nur durch Umverteilung unter den Beschäftigten modifiziert, im Volumen kaum erhöht und dann zu „respektabel“ umgetauft. Diese Einschätzung macht nur dann einen Sinn, wenn man einen Streik von vorneherein ausschließt, wie es offensichtlich die ver.di-Führung getan hat, und noch nicht einmal eine Streikvorbereitung als Drohpotential aufbaut. Das macht diese Niederlage zur Kapitulation. Das haben wir an anderer Stelle ausführlich dargelegt. Eine Niederlage zu erleiden, ist eine Sache, eine andere, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Viele linke Gruppen und Personen haben das Ergebnis analysiert und fast alle kommen zum Schluss, dass es ein schwacher Abschluss war, der meilenweit von der Forderung entfernt war. Aber die meisten betonen, dass immerhin weitergehende Angriffe auf die Beschäftigten abgewehrt worden seien. So titelt die SAV: „Angriff abgewehrt, Gegenoffensive verpasst“. Ähnlich sieht das Olaf Harms in der UZ „Licht und Schatten“. Die Sol (Sozialistische Organisation Solidarität) meint: „Kampfkraft nicht genutzt“ und „ernüchterndes Ergebnis“. Auch RIO nennt das Ergebnis „,mager“. Die Rote Fahne schreibt „das Ergebnis: ein fauler Kompromiss, weil die volle gewerkschaftliche Kampfkraft nicht eingesetzt wurde“.

Apparat

Alle diese Einschätzungen sind näher an der Realität als die selbstgefällige Lobhudelei, die ver.di selbst verbreitet. Letztere wird nicht besser dadurch, dass ein Teil der Mitglieder das Einknicken der Verhandlungsführung unterstützte oder keine Alternative dazu sah. Aber sehr viele protestieren auch gegen diesen Abschluss auf Webseiten von ver.di oder in öffentlichen Medien. Aus den Kreisen der vielen Gewerkschaftssekretär_Innen, von denen etliche in linken Organisationen wie DIE LINKE, IL oder marx21 politisch organisiert sind, ist kein Anflug einer Kritik zu hören, alle tragen brav die Entscheidung mit. Sie verwechseln die Disziplin innerhalb einer Arbeiter_Innenorganisation, beschlossene Aktionen auch gemeinsam durchzuführen, mit einer innerhalb eines Apparates gegen diese Organisation: In einer Phase, in der ein Abschluss diskutiert werden soll, vertreten diese „Hauptamtlichen“, wie sie sich selber nennen, die Linie der Spitze und bekämpfen die Kritik, die von der Basis geäußert wird. Das Gleiche gilt für die breite Masse der betrieblichen Spitzenfunktionär_Innen, der sogenannten Ehrenamtlichen, der linken wie der rechten.

Diese Einstellung der „Linken“ in der Struktur von ver.di ist verheerend. Sie führt erstens dazu, dass sich die Kritik aus der Basis nicht wirklich innerhalb der Gewerkschaft ausdrücken kann. Diejenigen, die innerhalb der Strukturen Funktionen innehaben, weigern sich, sich zum Sprachrohr der Kritik zu machen. Sie überlassen die Basis sich selbst und sind hauptverantwortlich dafür, wenn jetzt gerade kritische Kolleg_Innen den Laden verlassen. Zweitens sind damit auch die nächsten Niederlagen vorprogrammiert. Dies wird innerhalb von ver.di vor allem der ÖPNV sein mit den Tarifverträgen Nahverkehr. Für die ganzen schlechter und schwächer organisierten Beschäftigtengruppen ist das Signal, das ver.di gegeben hat, eine wirkliche Entmutigung.

Diese Verweigerung der Linken im ver.di-Apparat, sich zum Sprachrohr der kritischen Teile der Gewerkschaftsbasis zu machen, wird übrigens voll auch von der Partei DIE LINKE getragen. Der Vorstand hat bisher kein einziges Wort der Kritik veröffentlicht und damit gezeigt, dass die Partei in dieser Frage als Wasserträgerin des reformistischen ver.di-Apparates fungiert und null Unterschied zur SPD darstellt. Auf unterer Ebene der Linkspartei gab es kritiklosen Jubel (Niedersachsen), leichte Kritik (z. B. Oberhausen), aber auch kommunale MandatsträgerInnen, die sich von Anfang an mit Blick auf ihre Gemeindefinanzen gegen die Forderungen gestellt hatten.

Zurückbleiben

Aber auch die Gruppen und Organisationen, die Kritik an dem Abschluss üben, müssen sich fragen, ob ihre Antworten ausreichend sind. So ist das Bemühen, dem Abschluss noch etwas Gutes abzugewinnen, mehrfach problematisch: Erstens führt es zu falschen oder unzureichenden Schlussfolgerungen bezüglich der betroffenen Kolleg_Innen. Zweitens zu falschen Perspektiven für die weiteren Tarifrunden und alle Abwehrkämpfe gegen die Krise.

Erstens gehört es zum ABC jeglicher Verhandlung auf jeglichem Gebiet, dass auch weitergehende Forderungen aufgestellt werden, auf die im Laufe der Verhandlungen verzichtet werden kann. Frank Werneke beispielsweise hat ja sehr offen zum Thema Laufzeit erklärt, dass die Forderung nach einem Jahr nie ernst gemeint gewesen sei, „weil da ja dann Bundestagswahl“ wäre. Warum das nicht gehe, ist damit noch nicht erklärt, aber anschaulich dargestellt, wie die Spitzen der Bürokratie zur „demokratischen Beschlüssen“ stehen. Natürlich stellt auch die andere Seite weitergehende Forderungen als Verhandlungsmasse auf. Linke sollten daraus lernen, nicht Scheinerfolge zu preisen oder kleine Lichter im großen Schatten auszumachen.

Zum Zweiten ist es eine sehr gängige Methode bei Tarifabschlüssen, diese möglichst nicht nachrechenbar zu gestalten: Tariferhöhungen, die in die Lohnstruktur eingehen, werden mit Einmalzahlungen vermengt. Gerne können einzelne Positionen in einzelnen Bereichen zeitlich verschoben, manchmal können bestehende Zahlungen angerechnet werden. Das Ganze dann unterschieden nach Einkommenshöhe usw. Das lässt jede Menge Spielraum für Schönrechnerei.

Ver.di hat diesmal vor allem auf den Trick gesetzt, die Minderheit der Beschäftigten in Krankenhäusern besserzustellen gegenüber allen anderen, die Reallohnverlust erleiden werden.
Die Krankenhausbeschäftigten, die noch im öffentlichen Dienst arbeiten und für die der Tarif gilt, stellen übrigens auch nur die Minderheit der Gesamtbeschäftigten in diesem Sektor dar. Ver.di hat also als Preis für diese Abschlusskosmetik mit einer neuen Spaltungslinie bezahlt, mit einem hohen Frust bei der Masse der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und besonders bei denen, die an anderer Stelle im Gesundheitswesen arbeiten, zum Beispiel als Rettungssanitäter_Innen oder in den Gesundheitsämtern.

Es ist also ein Fehler für Linke, dies mit dem reinen Geldbeutelblick zu analysieren und als „gut für die einen, schlecht für die anderen“ zu befinden. Die Spaltung schwächt die gesamte Klasse, auch diejenigen, die noch ein paar Rosinen abbekommen. Sie ist vor allem schlecht in einer Zeit, in der die Klasse als Ganzes angegriffen wird und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, wo dieser Angriff vom bürgerlichen Staat organisiert wird, aber auch von rechten PopulistInnen. Heute, wo es so bitter nötig ist, dass wir die Perspektive „uns als Klasse gemeinsam gegen Kapital und Staat zu wehren“ gegen nationalistische und rassistische Demagogie verbreiten, sind der Reallohnverlust und die Entsolidarisierung durch diesen Tarifabschluss politisch verheerend. Sie stellen genauso eine Spaltung der Klasse dar wie die Standortpolitik der IG Metall, die die Beschäftigten dazu erzieht, ihre Interessen auf Kosten der Leiharbeiter_Innen und der Kolleg_Innen bei der Konkurrenz im eigenen Konzern, in anderen Unternehmen oder in anderen Ländern zu sichern.

Die Halbherzigkeit in der Analyse, das Bemühen, auch da noch Licht zu sehen, wo keines ist, fällt im Grunde auf die Strickmuster der Bürokratie für Tarifabschlüsse und zugleich auf deren ökonomistische, unpolitische Herangehensweise herein. Das wird dann auch bei Schlussfolgerungen deutlich, die von den meisten Linken gezogen werden. Fast alle weigern sich, eine Niederlage zu erkennen, wo sie stattfindet. Aber aus Niederlagen muss man lernen. Das gilt für Linke ebenso wie für gewerkschaftliche AktivistInnen und die große Masse.

Die entscheidende Antwort auf eine Führung, die bewusst Niederlagen organisiert, ist der Kampf für eine neue!

Kritik von links auf halbem Wege

Dies formuliert am klarsten die VKG: „Festzuhalten ist: Zu einem solch umfassenden Kampf war die Gewerkschaftsführung offenbar nicht bereit, einen solchen wagen sie seit langem nicht mehr zu führen. Und von der Basis her gab es die große Druckwelle nicht, die den Apparat in diese Richtung unter Druck gesetzt hätte. Dies hängt auch damit zusammen, dass auf gesamtgewerkschaftlicher Ebene eine sichtbare klassenkämpferische Strömung fehlt, die für Unentschlossene eine Orientierungshilfe oder Ermutigung hätte sein können. Diese gilt es aufzubauen.“ Leider scheut sich auch diese Erklärung, eine Niederlage als das zu bezeichnen, was sie ist. Unsere GenossInnen im Koordinationskreis der VKG sind hier in der Minderheit geblieben.

Auch die Sol, ebenfalls Teil der VKG, fordert in ihrer Erklärung: „Nun geht es darum, eine kämpferische Opposition innerhalb von ver.di aufzubauen, um zukünftig wirkliche Verbesserungen zu erreichen.“

Die SAV, obwohl auch Teil der VKG, kann sich in ihrer eigenen Erklärung nicht dazu entschließen, eine Opposition in den Gewerkschaften als Perspektive anzugeben. Sie beschränkt sich darauf, von der Gewerkschaftsführung den Bruch mit der Großen Koalition und der SPD zu fordern: „Für eine solche politische Kampagne muss sich die Gewerkschaftsführung aber mit den Parteien in der Großen Koalition im Bund anlegen, anstatt der SPD bei den Wahlen weiter die Treue zu halten.“

Ja, sie kritisiert die ver.di-Führung nur dafür, eine „Gelegenheit verpasst“ zu haben, „Kämpfe zusammenzuführen und die nötige gesellschaftliche Antwort in diesen Zeiten zu geben und den Widerstand aufzubauen.“ Ob Werneke für solche guten Ratschläge ein offenes Ohr hat?

Olaf Harms in der UZ beschreibt sehr richtig, was politisch nötig wäre: der Kampf gegen Fallpauschalen und Privatisierung sowie für Arbeitszeitverkürzung (AZV): „Es gilt nun nicht nachzulassen, den gestiegenen Kampfgeist auch angesichts der offensichtlichen Widersprüche in dieser Krise zu nutzen, weiter zu diskutieren und zu kämpfen: Für mehr Personal, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Eine Erhöhung des Personals in den Krankenhäusern ist entsprechend des tatsächlich vorhandenen Bedarfes mittels einer Personalbemessung notwendig. Mit den bestehenden Fallpauschalen ist das nicht zu machen – sie müssen weg. Nach der überfälligen Angleichung der Arbeitszeiten von Ost an West muss endlich die Forderung über eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich verhandelt werden – 30 Stunden die Woche sind genug. Und es geht um den Kampf gegen Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge.“

Aber er verschweigt, dass diese Forderungen und Ziele bewusst von der Führung aus dem Tarifkampf ausgeklammert worden waren: Die AZV war schon ein Beschluss des letzten Gewerkschaftstages. Dass die Privatisierung und die Fallpauschalen angegriffen werden sollten, dafür gab es Beschlüsse vor der Tarifrunde. Die Frage nicht aufzuwerfen, warum die Bürokratie, das verhindern wollte und verhinderte, heißt letztlich, deren Politik abzudecken und den Basisaktivist_Innen zu raten, einfach tapfer weiterzukämpfen, so wie es auch die reformistischen Führer_Innen der Gewerkschaften immer nach Niederlagen tun.

Auch RIO greift in ihrer ersten Stellungnahme einen richtigen Ansatz auf: Sie schlägt vor, von der Basis her die Ablehnung des Tarifergebnisses zu organisieren. „Das Verhandlungsergebnis muss von allen Beschäftigten abgestimmt werden und das Abstimmungsergebnis sollte mit einfacher Mehrheit für die Bundestarifkommission (BTK) und alle Gremien von ver.di bindend sein.“ In einem anderen Artikel wird gefordert: „Es braucht, besonders jetzt nach dem Tarifabschluss, demokratische Online-Versammlungen der Beschäftigten und ein Programm, um gewerkschaftlich Druck für weitere Kämpfe aufzubauen.“ Wie aber eine Bewegung der Basis in einer Organisation organisiert werden soll, deren Organisationsstrukturen von der Bürokratie beherrscht werden, sagt RIO nicht – auch wenn sie generell eine scharfe Kritikerin der Bürokratie ist. Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung kann aber nicht mit einer spontanen Bewegung von unten gleichgesetzt werden, insbesondere wenn jeder Spontaneismus von Corona gedämpft wird.

Bleiben noch die Stimmen aus dem postautonomen Spektrum. Im AK schrieben Daniel und Lisa (IL) noch vor dem Abschluss zu Recht, dass „es sich bei den aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst um eine Schlüsselauseinandersetzung in den heraufziehenden Verteilungskämpfen um die Finanzierung der Krisenkosten handelt. Ihre politische Bedeutung geht jedoch über eine bloße Umverteilung von Geldern hinaus, denn diese Tarifrunde ist auch ein feministischer Kampf: Sie betrifft wichtige Bereiche des öffentlich verwalteten gesellschaftlichen Reproduktionssektors.“ Aber schon da verzichteten sie darauf, die Führung dieser Tarifrunde durch ver.di auch nur mit einem Wort an dieser politischen Erkenntnis zu messen. Vielmehr wird die Unverschämtheit der Arbeit„geber“_Innen beklagt und ver.di noch für den „Gesundheitstisch“ gelobt. Dabei war schon damals klar, dass dieser keineswegs die ursprünglichen, schon fallengelassenen Forderungen nach Privatisierung, Abschaffung der Fallpauschalen, Personalbemessungsschlüssel verfolgen würde, sondern die Spaltung der ÖD-Belegschaften vorbereitete.

So fokussiert der Artikel auf die Bewusstseinserweiterung der Beschäftigten:

„Wir haben es den erfolgreichen Kämpfen der letzten Jahre zu verdanken, dass es überhaupt zu einem Konflikt kommt und ver.di eine Nullrunde – und damit den Einstieg in die nächste Runde Austeritätspolitik – nicht einfach akzeptiert. Auch dass der Widerspruch zwischen Dankbarkeit und materieller Anerkennung so deutlich zutage tritt, ist ein Erfolg der vergangenen Kämpfe von Krankenhausbeschäftigten. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke, genau in diese Widersprüche zu intervenieren und uns mit den Beschäftigten aktiv zu solidarisieren.“ Also ver.di ist irgendwie scheiße und hätte am liebsten ’ne Nullrunde akzeptiert, aber wir haben keine politische Kritik daran, solidarisieren uns mit den Beschäftigten, helfen ihnen aber nicht gegen die Bürokratie. Das ist eine „radikale Linke“ so recht nach dem Geschmack von Frank Werneke.

Ähnlich die RAS aus Stuttgart. Ihre Unterorganisation „Solidarität und Klassenkampf“ benennt in ihrer Analyse viele der Schwachstellen des Ergebnisses und geht von einer starken Ablehnung dessen aus: „Deshalb fordern wir auch alle Beschäftigten auf, bleibt ver.di Mitglieder! Nichts wäre falscher, als auszutreten und unsere Kampfkraft zu schwächen.“ (https://solidaritaet-und-klassenkampf.org/2020/10/ein-respektables-ergebnis-oder/) Aber der Vorwurf der Schwächung wird keineswegs an die Führung gerichtet und es wird auch kein Kampf gegen diese propagiert jenseits dessen, das Ergebnis in Abstimmungen abzulehnen.

Das Fehlen einer expliziten Kritik am Vorgehen des Apparates in Verbindung mit der Perspektive, dass die Beteiligung an den Streiks nur größer werden müsste, um mehr Druck auf die Arbeit„geber“_Innenseite aufzubauen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, bedeutet: Es wird letztlich die Schuld der Gewerkschaftsbasis in die Schuhe geschoben, die halt noch nicht so weit sei.

Stattdessen sollen die Unzufriedenen für den Sozialismus kämpfen: „Wir wollen aber mehr als die Gewerkschaften. Uns geht es nicht nur um ein paar Prozente mehr oder weniger, sondern um ein grundlegend anderes System.“ Der Weg dahin ist natürlich „lang“. Deshalb tut es auch den reformistischen Bürokrat_Innen nicht weh, wenn die Genoss_Innen der RAS ihnen heute brav keine Steine in den Weg legen.

Hoher Aktivismus, wie ihn die RAS und ihr Umfeld an den Tag legen, ist gut. Aber er ist kein Mittel um die rechten, prokapitalistischen Positionen des Gewerkschaftsapparats zu bekämpfen. Einflussnahme der Basis, wie sie RIO propagiert, ist nötig im Kampf gegen die Bürokratie, aber sie braucht noch Organisierung unabhängig von jener und ein entsprechendes politisches Kampfprogramm. Die VKG und die darin aktiven Gruppen haben den Schritt gemacht, die aktuellen Kämpfe mit dem permanenten Eintreten für den Aufbau einer antibürokratischen Opposition in den Gewerkschaften zu verbinden.

Es sind Auseinandersetzungen wie dieser Tarifkampf, die aufzeigen, was das Ziel einer solchen Opposition sein muss: Eine Verankerung in den Betrieben aufzubauen und eine Struktur, die das Monopol der Bürokratie in der Propaganda und der Aktion durchbrechen kann: eine klassenkämpferische Basisbewegung.

Wir wenden uns an alle kritischen und unzufriedenen Kolleg_Innen genauso wie an die Organisationen der radikalen Linken, die diesen Abschluss kritisch bewerten: Zieht die entscheidende Konsequenz aus dieser Niederlage: Bauen wir gemeinsam die VKG auf, bündeln wir unsere Kräfte gegen die Bürokratie und führen wir eine solidarische Debatte, um unsere Differenzen zu klären!




5 Fragen, 5 Antworten: Indonesien – Zwischen Unterdrückung und Widerstand

Leila Cheng

Indonesien: Ein Land mit 264 Millionen Einwohnern und damit das 4. bevölkerungsreichste Land der Welt, sowie auch der größte Inselstaat. Dennoch ist es stark abhängig von ausländischen Konzernen und Banken. Und jetzt beschließt die Regierung ein Gesetz, das auf Kosten der indonesischen Arbeiter_Innen ausländische Investitionen und Unternehmen anlocken soll und damit die Abhängigkeit und die Armut der Massen verschärfen würde. Dagegen erhebt sich im ganzen Land verbissener Widerstand bis hin zu militanten Streiks! Die Hintergründe und Perspektiven wollen wir in diesem Artikel klären.

1. Wie zeigt sich die aktuelle Weltwirtschaftskrise in Indonesien?

Während
sich die Covid-19-Pandemie im Land wieder verstärkt und sich auch
hier bereits eine zweite Welle abzeichnet, werden von der Regierung
jede Menge neoliberale Reformen durchgedrückt. Privatisierungen,
Entlassungen und weitere Angriffe auf Arbeiter_Innenrechte, angeblich
um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Doch was ist der
wirkliche Grund?

Staatsverschuldung und Wirtschaftskrise!

Im
Jahr 2018 betrug die Staatsverschuldung Indonesiens rund 30,3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts (Unter anderem eine langfristige Folge der
Kredite des IWF nach der Finanzkrise 2008/2009) und stieg in der
Coronakrise noch weiter.
Hinzu
kamen massive privatwirtschaftliche Einbußen während der Pandemie:
Indonesiens Wirtschaftsleistung ist nach Angaben des Statistikamtes
BPS im 2. Quartal 2020 im Vorjahresvergleich um 5,3 Prozent
geschrumpft, was damit das schwächste Quartal seit der Asienkrise
des Jahres 1999 ist. Auch der Rückzug ausländischer Kapitale
während der Pandemie hat wirtschaftliche Einbußen gebracht. Zudem
musste die Hauptinsel Bali wegen Corona alle Tourist_Innen dieses
Jahres abweisen. Dies sorgt für wirtschaftlichen Einbruch bei einer
Insel, die fast komplett vom Tourismussektor abhängig ist.

Hinzu kommt das internationale Machtgefüge, in dem sich Indonesien befindet. Der Staat ist abhängig von den USA. Diese nutzen die Regionalmacht auch als Stützpunkt gegen ihren Hauptkonkurrenten China im Pazifik. Aber neben den engen militärischen Beziehungen gibt es auch große Mengen US-amerikanischer Kredite in Indonesien. Zudem ist das Land für viele transnationale, meist US-amerikanische Konzerne eine profitbringende Kapitalanlage, was durch das neue Gesetz mit verstärkter Ausbeutung der Arbeiter_Innen und weniger Umweltstandards verschärft werden wird. Aber warum machst sich Indonesien so abhängig von den USA? Wenn es amerikanische Weisungen und „Bitten“ ignorieren würde, würde es schnell weh tun, z.B. durch wirtschaftliche Sanktionen oder Rückforderung der Schulden oder sogar einen militärischen Einmarsch. Abgesehen davon wird die Wirtschaftsentwicklung, also die Hauptsektoren Bergbau (Export von Rohstoffen) und der Tourismussektor, ja meist von US-amerikanischen Konzernen dominiert. So ist zum Beispiel der größte Gold- und Kupferproduzent PT Freeport Indonesia ein US-amerikanisches Unternehmen, was auch gleichzeitig der größte Steuerzahler des Landes ist. Eine weitere große Einnahmequelle ist die Landwirtschaft: So ist Indonesien weltweit der größte Palmölproduzent, was zwar gewinnbringend aber auch sehr schädlich für die Umwelt ist, denn den Monokultur-Plantagen weichen die riesigen Urwälder, die im Grunde nur noch in Nationalparks existieren. Dieser Zweig wird von einem transnationalen Unternehmen aus Singapur dominiert. Hier zeigt sich die Konkurrenz, aber auch die Abhängigkeit von anderen Regionalmächten, die sich natürlich in erster Linie wirtschaftlich äußert.

2. Welche neoliberalen Reformen hat die Regierung beschlossen?

Die
Regierung hat 79 neue Gesetze (Omnibus Law beziehungsweise Gesetz zur
Arbeitsplatzbeschaffung) verabschiedet. Die Regierung behauptet: Die
Reformen
sollen Bürokratie abbauen, um
mehr ausländische Direktinvestitionen zu fördern, das
Wirtschaftswachstum zu unterstützen und Beschäftigungsmöglichkeiten
für Indonesier_Innen zu schaffen.

Doch
das Gesetz sorgt für massive Angriffe auf Arbeiter_Innenrechte,
leichtere Entlassungen,
Kurzzeitverträge, Lohnsenkungen (auch des Mindestlohnes), geringere
Abfindungen und die Auslagerung von Arbeitsplätzen. So können
imperialistische Staaten einfacher ihre billige und umweltschädliche
Produktion zur Profitmaximierung nach Indonesien auslagern. Dies
sorgt im Endeffekt nur für eine verstärkte Ausbeutung des
indonesischen Proletariats, das in Elend, Arbeitslosigkeit und Hunger
gedrängt wird.

Es
sorgt auch für eine verstärkte Ausbeutung der Natur, sowie eine
stärkere Umweltverschmutzung. Denn durch das Gesetz wird zudem die
Verpflichtung von Unternehmen gelockert, eine Analyse von
Umweltrisiken zu erstellen. Unmittelbare Folgen von
Umweltverschmutzung und Klimakrise sind Umweltkatastrophen wie
Überschwemmungen, die das Land knapp über dem Meeresspiegel immer
wieder stark belasten, sowie auch eine verstärkte Smogbelastung der
Städte, insbesondere der riesigen Slums.

Auch die Jugend und die Frauen der Arbeiter_Innenklasse sind besonders von den Reformen betroffen. Gerade Jugendliche und nicht voll arbeitenden Personen werden als erstes entlassen oder noch schlechter bezahlt. Zudem werden proletarische Jugendliche früher arbeiten müssen, wenn sich die Familie ihre Ausbildung/Studium nicht mehr leisten kann. Hinzu kommt, dass die Jugend noch am längsten leben wird: Sie wird mitbekommen, wie ihre Heimat aufgrund der Klimakrise immer mehr im Meer versinkt, sie wird hauptsächlich von den Umweltkatastrophen betroffen sein und sie wird vermutlich zu großen Teilen später vor den Überflutungen fliehen müssen. Auch Frauen werden eher entlassen oder schlechter bezahlt. Neben ihrer harten Arbeit haben sie auch noch zu großen Teilen unbezahlte Hausarbeit und Kindererziehung allein zu tragen. Nun soll durch eine Reform auch noch das Recht auf bezahlten Mutterschaftsurlaub eingeschränkt werden.

3. Wie sieht der Widerstand gegen diese Reformen aus?

ArbeiterInnen,
Student_Innen und Umweltschützer_Innen demonstrieren gegen die
neoliberalen Reformen während der Corona-Pandemie. Die großen
Proteste haben vor allem gesellschaftlichen und Klassencharakter.
Inzwischen hat sich die Union of all Indonesian workers (KSPSI), ein
mittelgroßer Gewerkschaftsbund (ca. 4,6 Millionen Arbeiter_Innen),
als teilweise führende Kraft der ArbeiterInnen herausgebildet. Die
KSPSI hatte bereits vor dem Beschluss des Gesetzes zu Streiks
aufgerufen. Der sehr viel größere und reformistischere indonesische
Gewerkschaftsbund (KSPI) hatte vereinbart, ein Team zur
Umformulierung des Gesetzesentwurfs des Omnibus Laws zu bilden. Wie
so oft sieht man hier den Verrat der Gewerkschaftsbürokratie, die
bei minimalen und reformistischen Forderungen stehen bleibt, anstatt
die die Massen in den Kampf zu führen.

Als
dies jedoch gescheitert ist und die Regierung dieses Gesetz
verabschiedet hat, haben sich die Gewerkschaftsverbände
KSPI,
KSPSI und die National Welfare Movement (GEKANAS) geeinigt und zu
3-tägigen Streiks (06.
bis 08. Oktober 2020)
aufgerufen.
Insgesamt wollten sie bis zu 5 Millionen ihrer Arbeiter_Innen zu
diesem Streik mobilisieren. In Wirklichkeit waren es
höchstwahrscheinlich noch viel mehr.
Insgesamt 32
Gewerkschaftsverbände, sowie Bauernverbände organisierten Streiks.
Es gibt aber keinen Überblick darüber, wie viele Streiks mit wie
vielen Teilnehmer_Innen tatsächlich stattgefunden haben.

Hier
zeigen sich zwei Dinge:

Erstens:
Wie eine kämpferische Basis, wenn sie konsequent kämpferisch
vorwärts geht, ihre reformistische und opportunistische Führung
zwingen kann, mitzuziehen. Immerhin gab es schon vorher Demos und
vereinzelte Streiks, die sich auch mit Hilfe der SPSI immer mehr
zuspitzten.

Und
zweitens: Welche enormen Ausmaße ein politischer Streik annehmen
kann.
Ein Beispiel für diese enormen Ausmaße ist ein Streik in einem
Frauenbetrieb: Dort mobilisierten 70.000 Arbeiterinnen in einer von
Asiens größten Schuhfabriken zum dreitägigen Streik.

Neben
den großen Streiks fanden, wie schon erwähnt, auch
Massendemonstrationen statt. Daran beteiligten sich auch viele
Student_Innen
(vor allem wegen der Auflockerung von Umweltschutzmaßnahmen). Da
zeigt sich auch, wie die Jugend in den Kämpfen mit ganz vorn dabei
ist. Dies ist ein Phänomen, was man weltweit betrachten kann, ob bei
den sozialen Protesten in Chile oder bei der internationalen
Umweltbewegung, so jetzt auch in Indonesien. In Indonesien haben sich
sogar bereits Ansätze der Organisation von Studierenden in
Räte-ähnliche Gremien gebildet, über die aber noch nicht viel
bekannt ist.

Doch wie sehen die Forderungen der Streiks und Demonstrationen aus? Es gibt eigentlich nur eine einheitliche Forderung und die lautet: Ersatzloser Verzicht auf das Gesetz! So ist es eine soziale Forderung und der Streik ein politischer Streik, aber revolutionär sind die Proteste damit noch nicht. Und das Problem, dass die kommunistische Partei Indonesiens seit 1965 verboten und damals ein Großteil der Kommunist_Innen ermordet wurde, macht es auch nicht besser. Dennoch sind die Proteste sehr fortschrittlich und können je nach der Entwicklung zu einem revolutionären Katalysator werden. Das liegt in ihrer letzten Besonderheit, der Vereinigung der antiimperialistischen, antikapitalistischen, Umwelt-, Jugend- und Antirepressions-Kämpfe, und vor allem ihrem im Grunde proletarischen Klassencharakter.

4. Wie sieht die Repression durch Staat und Kapital aus?

Wie
immer bei Protesten und Straßenkämpfen zwischen dem bürgerlichen
Staat und Demonstrant_Innen herrscht ein ungleiches Kräfteverhältnis.

Auf
der Insel Sumatra z.B. gingen Polizisten mit Tränengas gegen junge
Demonstrant_Innen vor, die Steine auf die Beamten geworfen hatten.
Auch in West Java kam es an dem Streiktag zu Zusammenstößen mit der
Polizei. In der Hauptstadt Jakarta versammelten sich Tausende
Student_Innen und Arbeiter_Innen vor dem Präsidentenpalast des
südostasiatischen Inselstaats. Als Steine geworfen wurden, setzte
die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein. Weitere Protestzüge
wurden aus Yogyakarta, Medan, Palembang und Makassar gemeldet.
Bereits am Tag vor den Streiks waren die Polizist_Innen zum Teil mit
Gummigeschossen gegen Demonstrant_Innen vorgegangen.

Die
Polizei begründete ihr hartes Vorgehen und das Verbot eines Teils
der Proteste mit Corona-Schutzmaßnahmen. Die besonders prekäre Lage
und Notwendigkeit der Proteste werden dadurch unmissverständlich
unterstrichen, dass man die Infektionsgefahr in Kauf nimmt, um die
eigene Lebensgrundlage zu sicher. Vielen Menschen dort geht es sehr
schlecht, genauso wie in vielen weiteren Ländern. Auch so lässt
sich eine Verbindung zu den momentanen Protesten in Chile ziehen. Nur
dass die Gewalt durch die Polizei dort noch viel enormer ist, man
erinnert sich nur mal an die massenhaften Vergewaltigungen von
Verhafteten und die mit Säure versetzten Wasserwerfer.

Auch in Indonesien setzte die staatliche Repression sehr stark auf Massenverhaftungen. Die Polizei meldete allein für den dritten Tag 3862 Festnahmen landesweit (darunter 796 “Anarchisten_Innen“). Die Massenverhaftungen trafen vor allem schwarz-gekleidete Jugendliche, die die Polizei für “Anarchisten_Innen“ hielt. Hier zeigt sich wieder eine bürgerliche Hetze, wonach Anarchismus nur Zerstörung und Durcheinander wäre und dass alle, die für soziale Ziele demonstrieren, als solche verrufen werden.

5. Was muss getan werden, damit die Proteste und Streiks eine Perspektive haben?


Unsere Klasse darf sich nicht
unterkriegen lassen unter einer bürokratischen Gewerkschaftsführung,
die auf einen Kompromiss mit dem Staat und den Unternehmen hofft.
Auch nach den 3 Tagen müssen die Streiks konsequent weitergeführt
werden!


Die
sozialen und antiimperialistische Forderungen sind gut, sollten aber
auch mit dem Kampf gegen die eigene Kapitalist_Innenklasse
verbunden werden und für Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien
unter ArbeiterInnenkontrolle einstehen!


Dafür sollte die Führung ein
konkretes revolutionäres Programm aufstellen, in dem die
Minimalforderungen (reformistische Forderung) der Ablehnung des
Gesetztes und die Ablehnung der Angriffe auf die Klasse mit
revolutionären und Übergangsforderungen bis hin zur sozialistischen
Revolution verbunden werden. Ein Problem dabei ist, dass es seit dem
bis heute anhaltenden Verbot der kommunistischen Partei von 1965
keine Arbeiter_Innenpartei in Indonesien gibt, sondern nur eine etwas
linkere stark populistische Partei, deren Führung aus
Gewerkschaftsverbänden besteht. Andererseits sind diese offenbar
bereit, unter dem Druck der Massen auch politische Streiks
durchzuführen.


Die gemeinsamen Kämpfe mit
der besonders unterdrückten Jugend sollten weiterhin geführt
werden. Die Jugend sollte sich jedoch noch in eigenen Organisationen
zusammenfinden, um auch spezifisch ihre Lage im kapitalistischen
System besprechen zu können. Die studentischen Räte sind gute
Ansätze dafür. Dasselbe sollte jedoch auch in Schulen und Betrieben
durchgeführt werden.


Zur besseren Koordinierung der
Demos sollten ArbeiterInnen-, Jugend- und Bäuer_Innenräte
eingerichtet werden und das Mittel des politischen Streiks bis zum
Generalstreik angewandt werden, da es den stärksten wirtschaftlichen
Druck ausübt.


aber die Bewegung kann nur
gelingen, wenn sie sich international koordiniert und mit anderen
sozialen Bewegungen vernetzt (wie z.B. der sozialen Bewegung in
Chile, den antimonarchischen Protesten in Thailand, Gewerkschaften in
den USA, …)