Dannenröder Forst: Solidarität mit der Besetzung – Autoindustrie enteignen!

Lars Keller

Im sonst gemütlichen Mittelhessen zwischen Gießen und Kassel ist an diesen Tagen einiges los. Umweltaktivist_Innen besetzen seit rund einem Jahr einen Wald in der Nähe des Dorfes Dannenrod, einem Stadtteil von Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis, damit selbiger nicht dem Autobahnbau der A49 weichen muss. Seit dem 1. Oktober spitzt sich der Kampf um den „Danni“ zu. Die Rodungssaison ist eröffnet – der Staat schickte ein Polizeigroßaufgebot, um der Kettensäge sein Geleit zu geben und die Besetzer_Innen von den Bäumen zu holen. Gegen Räumung, Rodung und Raupenbagger fand am 4. Oktober eine Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmer_Innen statt.

Dabei
geht es hier um viel mehr als einen Autobahnbau durch einen
Dauermischwald (hoher Anteil an Buchen und Eichen), der als
Paradebeispiel für nachhaltige Forstwirtschaft in einem sensiblen
Wassergebiet gilt. Die Demos und Besetzungen rund um Homberg (Ohm)
richten sich angesichts der Klimakrise vielmehr gegen den
motorisierten Individual- und Schwerlastverkehr auf der Straße im
Generellen. Eine Verkehrswende zugunsten von Verkehrsträgern wie Rad
oder Schiene wird gefordert.

Die A49

Derzeit
beginnt die Bundesautobahn A49 in Kassel und endet in der Nähe von
Neuental (Schwalm-Eder-Kreis) in der Prärie Nordhessens irgendwo
zwischen Eder und Lahn. Somit bringt diese Autobahn dem Lkw-Verkehr,
dieser heiligen Kuh des deutschen Gütertransports, dem Zögling des
Bundesverkehrsministeriums und der Ausgeburt der deutschen
Industrieperlen Daimler und VW (ja richtig gelesen, dem Konzern
gehören mit MAN und Scania nämlich auch Nutzfahrzeugsparten!) –
nichts! Die Landstraße, in die die A49 zur Zeit mündet, ist für
den Schwerlastverkehr gesperrt.

Somit
quetschen sich die Lkw-Kolonnen von Norddeutschland in Richtung
Schweiz weiter durch den neuralgischen Punkt
Kirchheimer-/Hattenbacher Dreieck, wo mit A 7, A 4 und A 5 die
wichtigsten Nord-Süd- und Ost-West-Achsen des bundesdeutschen
Fernstraßennetzes aufeinandertreffen. Aus der Idee heraus, diesen
Knoten zu entlasten, wurde die A49 geboren. Darin besteht das
eigentliche Motiv des Autobahnbaus. Ein nachrangiges stellt die
schnellere Straßenverbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet,
Gießen/Marburg und Kassel dar. Die Teermaschinen kamen bis Neuental,
1994 war dort erst mal Schluss. Seither gibt es ein langes Zerren um
Umweltschutzmaßnahmen, Finanzierung und Planfeststellung. Seit 2017
hat der Planfeststellungsbeschluss Bestand. Es darf weiter geteert
werden und dank ÖPP (öffentlich-privater-Partnerschaft) kann das
Privatkapital direkt daran mitverdienen.

Vom
gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, macht der
Autobahnausbau freilich keinen Sinn wie überhaupt jeder deutsche
Autobahnausbau. Die Klimakrise verlangt nach einer schnellen
Verkehrswende, die Ressourcenvernutzung und Ineffizienz des
Individual- wie Straßengüterverkehrs ebenso. Mit der
Main-Weser-Bahn gäbe es zudem bereits eine Bahntrasse, die sich
hinsichtlich Kapazität und Einzugsgebiet ausbauen ließe und dann
auch mehr Güter- und Personenverkehr der Region aufnehmen könnte.

Lokal wird das mitunter anders gesehen. Ein Teil der Mittel- und Oberhess_Innen unterstützt die Proteste gegen die Rodung, ein anderer hat ein Interesse am A49-Ausbau. Da wären einerseits die AnliegerInnen der Bundesstraße B3, die ihrerseits vom Schwerlastverkehr betroffen sind und durch die A49 eine Entlastung erfahren würden. Anderseits gibt es eine Reihe lokal angesiedelter Unternehmen wie bspw. Ferrero Stadtallendorf, die sich ebenso wie einige Kommunen einen besseren Anschluss ans Straßennetz wünschen. Die Unterstützer_Innen der Autobahn finden sich in der „JA49“-Initiative wieder. Ihre etwas populistisch gehaltene Website verkauft uns die A49 dann auch als Umweltschutz. Letzteres ist, global wie lokal betrachtet, natürlich Blödsinn. Mehr Autobahn heißt mehr Auto- und Lkw-Verkehr – gerade weil der Weg Kassel – Gießen kürzer würde. Das bestätigt sich statistisch sowohl an vergangenen Autobahnprojekten als auch aus Sicht von Angebot- und Nachfrageprinzipien. Das heißt: mehr Treibhausgasmissionen, Oberflächenversiegelung und Störung eines Wasserreservoirs, von dem sogar Frankfurt/Main zerrt.

„Verkehrswende“ von Landes- und Bundesregierung

Alle,
die vorhaben, 2021 die Grünen in die Regierung zu wählen, sollten
einen genauen Blick auf das kleine Dannenrod in der hessischen
Provinz werfen. Wer glaubt, mit den Grünen sei eine Verkehrswende
zugunsten der Wälder und des Klimas zu haben, wird hier eines
Besseren belehrt. Die hessischen Grünen sitzen nämlich mit der CDU
in der Landesregierung – und halten stoisch an der A49 fest.

Dem Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, fiel auf der Demo am vergangenen Sonntag, den 4. Oktober, auch nichts Besseres ein, als auf bestehende Beschlüsse zum Straßenausbau zu verweisen: Berlin müsse den Bau stoppen, grundsätzlich sei seine Partei ja gegen die Autobahnen … Gelaber und Gewäsch also! Von den hessischen Grünen kommt erst recht keine klare Kante gegen das Projekt. Wer will schon die CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl ärgern? Immer dann, wenn‘s konkret um die (vegane) Wurst – oder besser um den Wald – geht, erweisen sich die Grünen als verlässliche Partner_Innen deutscher Auto- und Energiekonzerne. Der Abholzung des Hambacher Forstes wurde ja auch schon mal zugestimmt.

Derweil
will Bundesverkehrs(auto)minister Andreas Scheuer (CSU) die Lage
erkannt haben und hat vor einigen Monaten – natürlich ohne die A49
in Frage zu stellen – das „Bündnis für unsere Bahn“ mit der
Dachstrategie „Starke Schiene“ ins Leben gerufen. In diesem
Schienenpakt befinden sich neben anderen das Verkehrsministerium,
Schienenindustrien, Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG. Was haben
wir davon zu erwarten? Sage und schreibe 25 % soll der
Schienengüterverkehr am gesamten Warentransport irgendwann (wann ist
unklar) mal ausmachen, heute sind es etwa 18 %. Die Milliarden,
die angeblich für einen nie da gewesenen Rückenwind für die
Eisenbahn sorgen, sind nicht mehr als eine leichte Brise, die den
vorhandenen Investitionsstau im Schienennetz kaum auflösen kann.

Wenn
in der jetzigen Wirtschaftskrise überhaupt jemand dick staatlichen
Rückenwind verspürt, dann ist es der Kernsektor des deutschen
Kapitals. Anstatt die Schiene durchgehend zu elektrifizieren, wird
darüber sinniert, Autobahnen wie bei Darmstadt unter Oberleitung zu
setzen, damit die Vormachtstellung des Lkw einen grünen Anstich
bekommt. Das Konjunkturpaket der Regierung enthält zwar keine
Kaufprämie für reine Verbrennerautos, dafür dann umso mehr für
die ähnlich große ökologische Blödsinnigkeit E-Auto. Soviel zur
„Verkehrswende“ der Regierung und Konzerne.

Und die echte Verkehrswende?

Sowohl das Demobündnis (Danni bleibt) als auch die Besetzer_Innen (Wald statt Asphalt) betonen in ihren Aufrufen die Wichtigkeit einer echten Verkehrswende und einer Verlagerung des Verkehrs zu ressourcen- und emissionsärmeren Fortbewegungsarten. Das teilen wir. „Wald statt Asphalt“ geht noch weiter und nimmt den Kapitalismus ins Visier, fordert einen radikalen Systemwandel und Klimagerechtigkeit. Das teilen wir auch. Das fehlende Salz in der Suppe ist aber unserer Meinung nach, dass ein radikaler Systemwandel konkrete Forderungen und einen konkreten Weg weit über Waldbesetzungen hinaus braucht.

Die Besetzung selbst wird begründet mit: „Für die Form des Widerstands (Besetzung und direkte Aktion) haben wir uns entschieden, weil andere Formen des Widerstands (wie Demos, Petitionen, Klagen & Appelle an politische Entscheidungsträger*innen) den Bau der A49 bisher nicht aufhalten konnten und mit den Rodungen nun Fakten geschaffen werden sollen. Veränderung braucht mutiges und entschlossenes Handeln – deswegen besetzen wir!“ (https://waldstattasphalt.blackblogs.org/besetzung-warum/)

So richtig und wichtig die Demonstration oder Baumbesetzungen auch sind – verglichen mit politischen Massenstreiks der Arbeiter_Innenklasse sind dies nur weitgehend symbolische Aktionsformen. Derzeit erleben wir die größte Wirtschaftskrise zu unser aller Lebzeit. Massive Entlassungen finden statt oder werden kommen. Die ökologische Krise wird durch die Wirtschaftskrise und die brutaler werdende Konkurrenz weiter verschärft werden. Es braucht die Verbindung der Kämpfe und den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen – ja überhaupt das Abwälzen der Krise auf die breite Bevölkerung – eintritt und zugleich ein Notprogramm gegen die Klimakrise einfordert.

Damit ein Generalstreik gegen die Klimakatastrophe nicht nur angekündigt, sondern auch real werden kann, muss die Arbeiter_Innenklasse zur zentralen Kraft der Bewegung werden. Dies bedeutet jedoch keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie eine Veränderung der Aktionsform – es bedeutet vor allem eine Änderung des eigentlichen Ziels: die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft. Nur so kann ein „System Change “ Wirklichkeit werden.

Von einem Generalstreik und Massenstreiks sind wir derzeit noch weit entfernt. Die Arbeiter_Innenklasse tritt in der Umweltbewegung bisher nicht als zentrale Akteurin in Erscheinung. Das liegt aber nicht daran, dass Arbeiter_Innen chronisch passiv wären, dass sie ihre Jobs in der Autoindustrie so lieben oder ihnen das Thema egal ist, zumal es im Nahverkehr eine große Zahl von Beschäftigten gibt, die sich sehr für eine Verkehrswende starkmachen.

Die Passivität breiter Teile der Arbeiter_Innenklasse gegenüber der Umweltbewegung rührt viel eher daher, dass die Sozialpartner_Innenschaft der DGB-Gewerkschaften sie ruhigstellt, andererseits aber auch daher, dass die Umweltbewegung die Lohnabhängigen bisher nicht ansprechen konnte. Um sie zu erreichen, braucht es ein Programm, das klar macht, dass nicht sie für die Verkehrswende zahlen soll – sei es durch Jobverlust oder CO2-Steuer –, sondern die Konzerne und Besitzer_Innen großer Vermögen zur Kasse gebeten werden.

Letzten
Endes heißt die Verkehrswende für uns viel mehr als „weg von der
Straße hin zur Schiene, zu Bussen, zu Füßen und Fahrrädern“.
Sie bedeutet vor allem auch so wenig wie möglich, so viel wie nötig
Verkehr. Das heißt, diesen so zu reorganisieren, dass dort, wo
Menschen leben, weder Lkw noch Güterzüge durch ihre Schlafzimmer
brettern. Das heißt letztlich, Stadt und Land umzukrempeln, dass
Verkehr nicht mehr an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern nach
denen der Menschheit ausgerichtet werden soll.

Konkret
geht‘s um:


Kein A49-Ausbau, sofortiger Stopp aller Autobahnprojekte –
beteiligt Euch an Demonstrationen um Dannenrod, unterstützt die
BesetzerInnen!


Stattdessen: massiver Ausbau der Schienenwege im Kernnetz wie auch in
der Fläche, durchgehende Elektrifizierung, ausschließliche Speisung
aus regenerativen Energien!


Massive Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene! Ausbau von
Gleisanschlüssen zu Fabriken! Beförderungszwang zum Transport auf
der Schiene für Unternehmen ab einer bestimmten Produktionsgröße!
Für einen kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!


Für den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das den Kampf gegen die
Klimakrise mit der Abwehrschlacht gegen soziale Angriffe,
Entlassungen und Kurzarbeit verbindet! Ein Anfang dafür kann die
„Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ sein –
unterstützt diese!


Keine einzige Entlassung in der Transportindustrie wegen
Verkehrswende oder Wirtschaftskrise! Verteilung der Arbeit auf alle!
Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
Schnellstmögliche Umstrukturierung der gesamten Industrie,
demokratisch geplant und kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse!

– Bezahlung der Verkehrswende durch eine massive Steuer auf Profite und große Privatvermögen! Die Kapitalist_Innen haben die Krise zu verantworten, also müssen sie dafür zahlen!

– Enteignung des gesamten Verkehrssektors unter Arbeiter_Innenkontrolle, erkämpft durch Massenstreiks und Fabrikbesetzungen!


Weder B3 noch A49 noch Güterzugtrasse vor der Tür!
Restrukturierung, Aufhebung der Kluft zwischen Stadt und Land, so
dass Lebensräume und Verkehrswege weitgehend voneinander getrennt
sind!

– Entwicklung eines integralen Notfallplanes fürs Klima durch die Arbeiter_Innenklasse, der die Produktion an den Bedürfnissen der breiten Menschheit ausrichtet statt an Profitinteressen – nur so kann so wenig wie möglich Verkehr produziert werden!

Es
ist klar, dass wir mit bloßen Appellen an die Autoindustrie, an
Scheuers Ministerium, ja generell an den bürgerlichen Staat, an die
Grünen, die SPD-Führung und an IG-Metall-Betriebsräte bei VW und
Co. das Klima nicht retten werden. Die BesetzerInnen im Baum wissen
das. Sie wissen auch, dass Baumbesetzungen noch keine umfassende
Verkehrswende bringen. Lasst uns weitergehen und entschlossen
handeln: vom abstrakten „System Change“ hin zu konkretem
Antikapitalismus.




Die 2. Corona-Welle und ihre Leugner_Innen

Sani Maier, Anfang September 2020

Auch wenn mittlerweile in Europa die meisten Lockdown-Maßnahmen aufgehoben wurden, lassen die internationalen Infektionszahlen leider wenig Raum für Hoffnung auf ein Ende der Corona-Pandemie. Die Epizentren sind nun nicht mehr Italien oder China, sondern vor allem die USA, Brasilien, Indien und Russland. Doch auch in Deutschland sind die Infektionszahlen wieder auf einem Höchststand, wie zuletzt im Mai diesen Jahres. Während viele noch über die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle diskutieren, geht der Ärzteverband Marburger Bund davon aus, dass uns diese bereits erreicht hat, wenn auch mit einem flacheren Anstieg als die erste Welle. Zudem haben die Zahlen aufgrund erhöhter Testvolumen eine andere Aussage als noch im Mai.

Die Schulen und Kitas sind wieder vollständig geöffnet und der Alltag der meisten Menschen in Deutschland verläuft weitestgehend wieder regulär. Dies ist vorrangig aber kein Ergebnis sinkender Infektionszahlen, sondern wesentlich wirtschaftlich motiviert. Da bspw. nun wieder alle Kinder vormittags betreut werden und nicht mehr von zuhause aus lernen, können die Eltern auch wieder regulär zur Arbeit gehen. Da es vor allem in Schulen fast unmöglich ist, in Klassenräumen mit 30 Personen Abstandsregeln einzuhalten, überraschte es wenig, dass bereits nach wenigen Wochen Dutzende Schulen Infektionen verzeichneten.

Was den Impfstoff angeht: Die Suche danach läuft, doch dabei gibt es kaum internationale Zusammenarbeit. Durch den Konkurrenzdruck versucht jedes Land, als erstes einen Impfstoff zu entwickeln, um diesen dann möglichst profitbringend an andere verkaufen zu können. Auch werden immer noch keine flächendeckenden Tests bereitgestellt, sodass auch unter Reiserückkehrer_Innen nicht mal alle diejenigen automatisch kostenlose Tests erhalten, die per Flugzeug einreisen. Einen kostenlosen Test bekommt man nur, wenn man aus einem Risikogebiet (mit sehr hohen Infektionszahlen) mit dem Flugzeug einreist. Wer mit meist günstigeren Alternativen wie Bahn, Bus oder Auto reist, muss sich selbst um einen Test kümmern, welcher normalerweise nur bei bereits vorhandenen Symptomen bereitgestellt wird. Keinen Test zu bekommen heißt zwei Wochen Quarantäne.

Auch alle Teile der Arbeiter_Innenklasse, welche nicht im Home Office arbeiten können und nun wieder zurück in ihre Betriebe müssen, erhalten keinen ausreichenden Schutz vor Infektionen am Arbeitsplatz, wie vor allem die gravierenden Missstände bei Amazon, Tönnies & Co. gezeigt haben.
Und obwohl das alles für die meisten Menschen weitestgehend eine Rückkehr zur Normalität bedeutet, sehen sich manche Teile der Gesellschaft massiv bedroht durch die verbleibenden Maßnahmen wie z.B. die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Läden. Die sogenannten „Corona-Leugner_Innen“ gingen in Berlin zu Tausenden auf die Straße und auch internationale Regierungschefs wie der brasilianische Präsident Bolsonaro spielen die Existenz des Corona-Virus herunter und leugneten es (und das obwohl Bolsonaro selber Corona hatte) und fordern eine Aufhebung aller Infektionsschutz-Maßnahmen.

Wer sind die „Corona-Leugner_Innen“?

Berlin, 1. August 2020: 20- 30. 000 Menschen aus ganz Deutschland demonstrieren im Rahmen der sogenannten „Tag der Freiheit“-Demonstration gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus und auch am 29. August gingen wieder 40.000 Menschen auf die Straße und versuchten sogar, den Bundestag zu stürmen. Sie stehen der Thematik entweder skeptisch gegenüber oder leugnen sogar die Existenz des Virus.

Die Organisation wurde vor allem von rechen Kräften getragen und unter den Teilnehmer_Innen fanden sich Personen aus den Kreisen der NPD, Identitären Bewegung, Reichsbürger_Innen, aber auch sogenannte Verschwörungstheoretiker_Innen & Impfgegner_Innen. Auch wenn diese Kräfte die Bewegung immer mehr unterwandern, repräsentieren sie nicht die Mehrheit der Teilnehmenden. Diese setzt sich vielmehr aus Skeptiker_Innen und Esoteriker_Innen, die den Einschränkungen ihres Alltags kritisch gegenüberstehen und kleinbürgerlichen Schichten zusammen. Letztere sehen sich vor allem durch die wirtschaftlichen Einbrüche vom Abstieg bedroht und fordern deshalb eine vollständige wirtschaftliche Öffnung, ohne Rücksicht auf die gesundheitlichen Risiken für die arbeitende Bevölkerung. Zu diesem Zwecke verharmlosen sie den Virus als eine Grippewelle oder bezeichnen ihn als bloße Erfindung von „Machteliten“ wie Bill Gates & Co.

DieDass viele Teile der Bevölkerung in Anbetracht einer kommenden Wirtschaftskrise nun um ihre Existenz bangen, ist dabei nicht verwunderlich oder verwerflich. Allerdings muss das Erstarken rechter Theorien in diesem Zuge als Ergebnis des internationalen Rechtsrucks gesehen werden, auf den die Linke nachhaltig keine klare Antwort zu geben weiß. Es wurde versäumt, eine Antikrisenbewegung aufzubauen, die den sozialen Ängsten der Menschen eine antikapitalistische Perspektive aufzeigen kann. Stattdessen haben es rechte, irrationale Verschwörungstheorien geschafft, diese Verunsicherung für sich zu nutzen. Gerade das Kleinbürger_Innentum ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Stellung besonders anfällig für einen solchen Irrationalismus. Als Klasse steht es zwischen der Arbeiter_Innenklasse und der Bourgeoisie, befindet sich also nicht in klassischen Lohnarbeitsverhältnissen, besitzt aber auch zu wenige Produktionsmittel und nicht genug Kapital, um dieses gewinnbringend zu reinvestieren und somit zu vermehren. Dadurch ist es ständig bestrebt, in die höhere Klasse aufzusteigen, aber auch gleichzeitig vom sozialen Abstieg in die Arbeiter_Innenklasse bedroht, was zu einem schwankenden Charakter des Bewusstseins führt. Somit suchen Kleinbürger_Innen vor allem in Krisenzeiten nach verkürzten Antworten auf ihre Abstiegsängste, um ihre Position zu erhalten und hetzen z.B. gegen einzelne Monopolkapitalist_Innen wie Gates, da sie sich akut bedroht sehen von ihnen wirtschaftlich zermalmt zu werden.

Welche Perspektive braucht es?

Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Mischung aus wissenschaftsfeindlichen Verschwörungstheorien und rechter Hetze die einzige Antwort auf die Angst vor der kommenden Wirtschaftskrise bleibt. Es gibt eine notwendige Kritik an der Bundesregierung und ihren Corona-Maßnahmen. Es ist unsere Aufgabe, eine Antikrisenbewegung aufzubauen, die eine klare antikapitalistische Perspektive gegen Massenentlassungen und soziale Kürzungen eröffnet, ohne dabei das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung zu vernachlässigen.

Dafür braucht es den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das die Frage aufwirft, wer für die Krise zahlen soll & soziale Kämpfe miteinander verbindet. Dazu zählen vor allem Bewegungen wie Black Lives Matter, Fridays for Future, Enteignungskampagnen für bezahlbaren Wohnraum oder auch die Arbeitskämpfe im Care Sektor, welche vor allem in Pandemiezeiten unverzichtbar sind. In diesem Zuge fordern wir unter anderem den Kampf gegen alle Entlassungen, die Fortzahlung der vollen Löhne und Transferleistungen, die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems unter Arbeiter_Innenkontrolle und eine international koordinierte Impfstoffforschung. Um dies durchzusetzen, müssen wir den Druck auf Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien wie die SPD und Linke erhöhen, ihre Burgfriedenspolitik mit dem Kapital endlich zu beenden und für die Interessen der Arbeiter_Innenklasse einzutreten.

Dabei muss uns auch gleichzeitig die Frage beschäftigen, wie man die Bevölkerung weiterhin effektiv vor Neuinfektionen schützen kann. Dabei ist Arbeiter_Innenkontrolle das entscheidende Stichwort: Sie müssen diejenigen sein, die entscheiden, welche Bereiche der Wirtschaft wirklich systemrelevant sind und welche Betriebe im Falle einer Notwendigkeit eines zweiten Lockdowns geschlossen werden können. Weiterhin müssen die Arbeiter_Innen, die weiterarbeiten, selbst entscheiden können, welche Maßnahmen an ihrem Arbeitsplatz notwendig sind, um für ihre Sicherheit zu garantieren: Bedarf an Schutzkleidung, Desinfektionsmittel, Masken, etc.

Die Krise darf weder auf die Arbeiter_Innenklasse noch auf einfache Kleinbürger_Innen abgewälzt werden! Massive Besteuerung auf die Profite der Banken und Industrien! Enteignung falls Betriebe schließen oder massenhaft entlassen!




Moria: Der Ruß an unseren Händen?

Jaqueline Katherina Singh

12 000 Menschen ohne ein Dach über den Kopf, auf eine Autobahn gepfercht. Essenslieferungen, Getränke, medizinische Versorgung – all das gibt es nur spärlich und wird auch aktiv von der Polizei blockiert. Proteste und Versuche nach Mytilini, die nächste Stadt zu kommen, werden jedoch seitens der Polizei mit Tränengas beantwortet, während nebenbei rechte Bürgerwehren die Menschen angreifen. Was sich nach einem Katastrophenfim anhört ist nur ein paar tausend Kilometer weit weg schmerzhafte Realität seit dem am Mittwoch, dem 9. September ein Feuer auf Lesbos ausbrach und Moria vollkommen zerstörte.

Seit Jahren werden auf den griechischen Inseln Geflüchtete festgehalten und in menschenunwürdigen Zuständen zusammengepfercht. Moria selbstist eherein Gefangenenlager, das in dieser Form auf den EU-Türkei-Deal von 2016 zurückgeht. Es wurde ursprünglich für 2.800 Menschen gebaut, während im regulären Camp mehr als 12 000 Menschen lebten. Dabei ist herauszuheben, dass das Lager nur eines von vielen ist. Es ist also kein einzelner Schandfleck, sondern Teil einer Gesamtkonzeption.

Der Brand raubte den Menschen, die eh nicht viel hatten, ihr letztes bisschen. Man könnte meinen, dass dieses Problem schnell zu lösen wäre. Schließlich wurden ja die gestrandeten Urlauber_Innen beim Anfang der Corona-Krise mehr oder weniger schnell wieder ins Land geholt. Schließlich wurde ja beim Brand der Kuppel des Norte Dame innerhalb weniger Stunden Millionen Euro gesammelt. Doch auch wenn es schnell möglich wäre, diesen Menschen eine Perspektive zu geben, sieht die Realität aktuell anders aus. Aktuell wird gegen den Willen der Geflüchteten ein neues Lager errichtet. Deswegen müssen wir uns fragen: Wie konnte es so weit kommen?

Wer
trägt die Verantwortung? 

Schuld sind nicht nur einzelne Poliker wie Horst Seehofer oder Sebastian Kurz. Die aktuelle Lage ist auch Ausdruck eines internationalen Rechtsrucks, den wir seit 2016 auch in Deutschland zu spüren bekommen. Im Zuge der Krise 2007/08 hat sich die Konkurrenz unter den Kaptialist_Innen verschärft. Viele Unternehmen sind pleite gegangen, gerettet wurden zuerst die Global Players der imperialistischen Staaten. Das führte dazu, dass ein Teil der Kapitalist_Innen (besonders kleinere, nationale Unternehmen und der sog. Mittelstand) vom Abstieg bedroht ist. Getrieben davon fingen sie an laut herumzubrüllen: Protektionismus, Nationalchauvinismus, Standortborniertheit, das sind ihre Argumente um die eigene Stellung zu versuchen zu schützen.Sie wollen vor internationale Konkurrenz geschützt werden – zugleich aber auch am Weltmarkt punkten, wenn sie dazu fähig sind.

Da es an klarer linker Perspektive fehlte, die die Probleme, die durch die Krise entstanden sind abwehrte und da die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie und auch große Teile der Europäischen Linksparteien auf Klassenkollaboration, statt auf Klassenkampf setzen, schafften sie es mittels rassistischer Rhetorik nicht nur das KleinbürgerInnentum und Mittelschichten, sondern auch Teile der Arbeiter_Innenklasse anzusprechen und Druck auf die etablierten Parteien auszuüben. Auch wenn sich das erst mal sehr abstrakt liest, ist dies wichtig zu verstehen. Der internationale Rechtsruck beeinflusst das Kräfteverhältnis insgesamt. So sind Seehofer und Kurz wahrscheinlich sehr unangenehme Menschen, aber die Politik, die sie betreiben ist Ausdruck einer konkreten politischen Entwicklung und eines Kräfteverhältnis. Deswegen löst der Rücktritt Einzelner somit das Problem nicht auf.

Shame on you, EU?!

Der Rechtsruck machte auch vor den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht halt. Insbesondere die Migrationspolitik verursachte Risse in der angeblichen Solidargemeinschaft. Vielmehr blockierten sich die einzelnen Nationen gegenseitig und das einzige, auf dass sich geeinigt werden konnte war, sich nicht zu einigen und Hilfe zu unterlassen. So fiel nach und nach die Seenotrettung weg, diverse Abkommen wie der EU-Türkei-Deal wurden geschlossen, damit weniger Menschen überhaupt in die Festung Europa kommen.

Doch bei all dem muss man sich fragen, welche Rolle der deutsche Imperialismus dabei spielt. Anfangs schien es so, dass Deutschland eine fortschrittliche Rolle innerhalb Europäischen Union einnahm. Als Angela Merkel 2015eine Abriegelung der Grenzen ablehnte trat, war dies kein Akt jedoch Nächstenliebe.Sie gab weigerte sich zum einen Hunderttausende, die die Grenzen der EU zeitweillig durchbrochen hatten, mit extremen polizeilichen und militärischen Mitteln zu stoppen. Sie gab andererseits auch der Welle der Solidarität nach, die viele in Europa mit den Geflüchteten zum Ausdruck brachten. Hunderttausende empfinden damals Geflüchtete an den Bahnhöfen, vielen wollten sie in ihren Wohnungen auf nehmen, was jedoch staatlicherseits verhindert wurde.

Zudem lage dem Kurs von Merkels auch ein wirtschaftliches Kalkül zugrunde. Der deutsche Imperialismus bezieht seine Stärke nämlich aus Exporten, der Zoll- und kontrollfreie Raum der Europäischen Union ist ein wichtiger Stützpfeiler ohne die nicht die gleiche Wirtschaftsleistung erbracht werden kann. Die „Wir schaffen das Mentalität“ war ebenso nur möglich, da  Deutschland, anders als viele Länder, besser aus der Finanzkrise herausgekommen und hatte somit einen größeren Spielraum den sogenannten „Sozialstaat“ auch für andere teilweise zu öffnen. Gerade letztere Position sorgte in der EU für viel Streit und Uneinigkeit, hielt sich aber nicht lange. Denn der bereits beschriebene Rechtsruck fand auch in Deutschland statt. So wurde aus „Wir schaffen das.“ ein „Genug getan, wir schaffen es Niemanden hier rein zu lassen.“ Das, was in Moria passiert ist, ist somit eine bewusste Entscheidung der deutschen Regierung und bewusst in der Verantwortung der CDU/CSU, sowie der SPD. Man kann auch sagen: Während die AfD hetzte, machte die Große Koalition die Gesetze. Und alle trugen sie mit.

Und nun?

Nun will Niemand mehr unnötige Kosten ausgeben. Denn als nichts anderes werden die Menschen auf den griechischen Inseln gesehen. Kosten, die vermieden werden müssen und so kann man sich auf das einigen, was 2017 noch für eine große Diskussion innerhalb der CDU sorgte: das erste offizielle Auffanglager der EU. Ein anderes Wort dafür ist Gefängnis. So schrieb‘ die SZ in ihrem Artikel „Blaupause für die europäische Migrationspolitik“: „Seehofer hat bereits früher eingeräumt, dass der Aufenthalt in diesen Lagern nicht zwingend ein freiwilliger sein wird. Weiterwanderung Geflüchteter durch Europa, wie sie derzeit üblich ist, soll unbedingt vermieden werden.“ Kurz um: Moria soll das erste gemeinsame Auffanglager werden, wo Menschen gegen ihren Willen festgehalten, wenn sie nicht in ihre Herkunftsländer wieder abgeschoben werden können.Nebenbei werden die Maßnahmen an den Außengrenzen verschärft, ebenso die Asylgesetzgebungen der Mitgliedstaaten. Die Festung Europa rüstet also auf.

Eigentlich geht es aber auch darum, die aktuelle Krise dafür zu nutzen, dass in Zukunft Lager und eine „kontrollierte“ Einreise und Aufnahme von Geflüchteten möglichst schon außerhalb der EU, in der Türkei oder in den Ländern Nord- und Zentralafrikas stattfinden soll. Damit gibt die EU jede Verantwortung für die Unterbringung der Geflüchteten ab, hebelt faktisch das Recht aus Aysl weiter aus und erklärt alle Geflüchteten, die sich nicht außerhalb der EU bei „Migrationszentren“ melden, für illegal.

Was macht die Linke?

Die Antwort ist einfach: hilflos zuschauen. Spontan gingen am Mittwoch Abend im Bundesgebiet mehrere 10 000 Leute auf die Straße. Seit Monaten gibt es mehrere Gemeinden und Kommunen, die sich für die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen. All das sind kleine Signale, dass es noch Menschen gibt, die sich gegen den Rechtsruck stellen. Doch diese spontanen Ausbrüche helfen in der Situation nur bedingt weiter. Zwar ist es gut, dass es sie gibt, aber wenn man erfolgreich alle 12 000 Menschen evakuieren möchte, braucht es klare Forderungen und einen Plan, wie man aus der Defensive in der wir uns befinden, herauskommt. Vor allem wenn man längerfristig die Festung Europa einreißen will.

Fehlerhafte
Politik

Was also tun? Auch wenn es Manchen falsch vorkommt, Jene zu kritisieren, die abstrakt für das gleiche Ziel kämpfen, so müssen wir an dieser Stelle offen Kritik üben und gemeinsam diskutieren. Denn dass Menschen verbrannt sind, während andere nun hungern, ist nicht nur die Schuld von Horst Seehofer, sondern auch Ergebnis der Politik Gewerkschaften und reformistischen Parteien. Diese beteiligten sich zwar formal an unterschiedlichen Bündnissen, verweigerten sich aber konsequenter antirassistischer Politik. Statt mit der Großen Koalition zu brechen, setzte die SPD die rassistischen Asylgesetzverschärfungen mit um. Statt dies zu kritisieren, die Geflüchteten in die eigenen Reihen aufzunehmen und gemeinsam für Verbesserungen der gesamten Arbeiter_Innenklasse zu kämpfen, setzten die Gewerkschaften auf leere Phrasen und Standortpolitik. Der Linkspartei hingegen fehlte eine Taktik, diese beiden herauszufordern und offen zu kritisieren und verlor sich stattdessen in eigene Grabenkämpfe und Einzelprojekte. Dies trug maßgeblich damit bei, dass sich die Positionen der AfD in Teilen der Arbeiter_Innenklasse mehr Gehör fanden.

Wir müssen aber auch die Politik der Radikalen Linken kritisch betrachten. Dabei geht es an dieser Stelle weniger um Schuldzuweisungen, sondern mehr darum eine Debatte anzustoßen und aus den Fehlern zu lernen. Nur so können wir perspektivisch erfolgreich sein. Was wurde also gemacht?  Seit 2014 gab es punktuell immer mal wieder große Demonstrationen, es gab bundesweite Bündnisse gegen Rassismus -und zwar mehr als genug. Doch statt sich gemeinsam zu koordinieren und konkret um Forderungen zu kämpfen, blieb es dabei dass jedes Spektrum sein eigene Suppe kocht. Die schmeckt schließlich am besten. Doch was ist aus den Zielen geworden? Aufstehen gegen Rassismus, das wohl größte Bündnis setzte sich zum Ziel „rote Haltelinien“ neu zu ziehen und die Positionen der AfD aus der Gesellschaft zu vertreiben mittels kleiner Multiplikator_Innen, sogenannter Stammtischkämpfer_Innen. Nationalismus ist keine Alternative wollte blockieren, Welcome2Stay hatte vor Strukturen von Supporter_Innen und Geflüchteten zu vernetzen.

Doch was ist geblieben? Nicht viel. Die Asylgesetzverschärfungen sind durchgekommen und die Debatte hat sich verschoben: Statt dafür zu kämpfen, dass Geflüchtete hier arbeiten gehen können, geht’s jetzt darum Abschiebungen zu verhindern und dafür zu kämpfen, dass Menschen in Seenot überhaupt aufgenommen werden können. Was sind also die größten Fehler?

Zusammengefasst hätten sich die bundesweiten Bündnisse koordinieren müssen. Im Zuge der großen Mobilisierungen hätte es Basisarbeit an Orten gebraucht, an denen wir uns alle Bewegung müssen (Schule, Uni, Betrieb) um auch jene zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind. Darüber hinaus hätte es Druck gebraucht: auf die Regierung durch Demos, aber auch Streiks und auf einzelne Organisationen der Arbeiter_Innenklasse wie beispielsweise die Gewerkschaften.

Was
braucht es jetzt?

Statt zu hoffen, dass sich was ändert, müssen wir handeln. Auch wenn sich viele in dieser Situation machtlos fühlen, auch wenn es so scheint, dass man nichts mehr ändern kann, selbst wenn man auf Demos geht und mit Freund_Innen diskutiert. Solche Momente in denen sich die Situation krisenhaft zuspitzt, müssen wir nutzen. Unmittelbar gilt es für die sofortige Versorgung vor Ort, sowie die Evakuierung aller Geflüchteten auf Lesbos zu kämpfen und sich nicht mit Kleinstbeträgen abspeisen zu lassen.

Doch wie kann man das durchsetzten? Trotz Corona bedarf es so schnell wie möglich zentraler Aktionstage. In diesem Rahmen darf es dabei nicht nur um die Demonstration an sich gehen. Diese ist vielmehr Anhaltspunkt um vor Ort  in Schule, Uni und Betrieb Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort dafür mobilisieren mit Infoveranstaltungen, Vollversammlungen. Dies muss man nutzen, nicht nur die Demonstration zu bewerben, sondern Diskussionen zu starten, wo man bspw. über die Auswirkungen von Rassismus oder auch Corona vor Ort diskutieren kann. Damit das stattfindet, muss man auf Gewerkschaften und Linkspartei auffordern, sich nicht nur an einem Bündnis zu beteiligen, sondern offen und nachvollziehbar alle ihre Mitglieder zu mobilisieren. Besonders Bewegungen wie Fridays for Future oder aber Deutsche Wohnen & Co enteignen! müssten an dieser Stelle klar Stellung beziehen und aktiv Druck ausüben.

Was muss man fordern?

Die sofortige Versorgung, sowie Evakuierung können nur durchgesetzt, wenn wir auch eine gesellschaftliche Perspektive aufzeigen, die über Humanität und Moral hinausgehen. Als Revolutionär_Innen treten wir für offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle sein. Bewegungsfreiheit darf kein Privileg in imperialistischen Ländern sein, sondern muss ein Recht für die gesamte, internationale Arbeiter_Innenklasse sein. Auch müssen Linke über die Forderung des Bleiberecht hinausgehen.Diese mag auf den ersten Blick fortschrittlich klingen, jedoch sorgt diese dafür, dass Geflüchtet hier lediglich geduldet werden. Staatsbürger_Innenrechte bedeuten jedoch, dass sie die gleichen Recht haben, dass sie auch aktiver Teil der Arbeiter_Innenklasse sein können und hier wählen, arbeiten, sich frei bewegen können.

Darüber hinaus müssen wir in unseren Forderungen bestehende Kämpfe verbinden. Wir sind gegen die Unterbringung in Lagern. Stattdessen bedarf es die Enteignung von leerstehenden Wohnraum, sowie Spekulationsobjekten, die die Mieten in die Höhe treiben. Der zusätzliche Bau von Sozialwohnung sorgt ebenso dafür, dass der überteuerte Wohnraum für alle Vergangenheit wird. Auch müssen wir dafür kämpfen, dass die Geflüchteten in die Gewerkschaften aufgenommen werden und gemeinsam für einen höheren Mindestlohn auf die Straße gehen. Dies kann direkt mit den kommenden Kämpfen gegen Entlassungen kombiniert werden, denn statt arbeitslos zu sein, sollten die individuelle Arbeitszeit bei vollem Lohnausglech reduziert werden. Die Verbindung solcher Fragen schafft es den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen und bestehende Vorurteile zu beseitigen, da so das Interesse der gesamten Arbeiter_Innenklasse aufgezeigt wird. Um mehr Schlagkraft zu erzeugen, sollte es nicht nur individualisierte Proteste mit unterschiedlichen Forderungen in verschiedenen Ländern geben, sondern ein auf europäischer Ebene organisierter Protest.




Klimabewegung: Weiter machen wie bisher?

Lars Keller

So – es wurde Zeit, Klimabewegung is back in big! Am 25. September ruft Fridays for Future zum globalen Klimastreik auf, Ende Gelände startet im gleichen Zeitraum (23.-28. September) Aktionen im Rheinischen Braunkohlerevier, auch wir sind am Start!

Unsere Ausgangslage ist dabei deutlich beschissener als noch vor rund einem Jahr, als Millionen auf die Straße gingen, um für eine effektive Klimapolitik zu demonstrieren. Praktisch und ein kleiner Trost wär’s gewesen, wenn die Corona-Krise die menschengemachte Erderwärmung zumindest ein kleines Bisschen kühl angehaucht hätte– aber nix davon! Es wird davon ausgegangen, dass 2020 höchstens 7 % weniger CO2 emittiert werden als 2019 (dpa), zu wenig, um irgendetwas gegen den Klimawandel auszurichten.

Und auch sonst sieht’s miese aus. Statt aus der Kohleverstromung auszusteigen, gibt’s mit Datteln IV einen nagelneues Steinkohlekraftwerk. Die Lufthansa wird vom deutschen Staat mit gigantischen Summen gerettet, die selbstinszenierte Klimavorreiterin Deutsche Bahn muss 2 Mrd. Euro allein beim Personal einsparen und zu einem großen Teil mit Datteln-Strom fahren. Die deutsche Autoindustrie kriegt Milliarden in den Arsch geblasen, wer sich ein E-Auto kauft, kriegt fette Zuschüsse für ein Fahrzeug, das überhaupt erst nach 8 Jahren grüner ist als ein Benzinauto…und auch mit Strom aus fossiler Energie fährt.

Corona und die Krise und die Umwelt

Die Rettung der Lufthansa und erhöhte staatliche Förderungen in der Autoindustrie sind unmittelbare Folgen der Coronavirus-Pandemie, welche zu einer massiven Wirtschaftskrise führte. Wäre also ohne Corona wirtschaftlich alles super? Nein, sicher nicht. Corona ist zwar der Auslöser der Krise, ja. Aber genau genommen erleben wir weltweit betrachtet eine durchgehende Krise seit 2008 / 2009. Corona hat diese massiv verschärft, irgendeine Verschärfung war aber sowieso überfällig und wurde seit gut zwei Jahren erwartet von Ökonom_Innen erwartet.

Warum kommt’s eigentlich immer wieder zu Krisen – mit und ohne Virus? Es liegt an der Art und Weise wie der Kapitalismus funktioniert. Er trägt die niemals endende Ausweitung und Intensivierung der Produktion als Zwang in sich. Wer Kapitalist_In ist muss, um auf dem Markt zu überleben, den Großteil seines Gewinns erneut in die Produktion investieren. Genauso wie unsere Erde hat der Markt dabei aber eine Grenze. Irgendwann bietet sich für Kapitalist_Innen keine ausreichend attraktive Möglichkeit mehr, worin sie investieren können. An diesem Punkt befinden wir uns nun schon einige Jahrzehnte. Wenn es im industriellen Bereich kaum noch Möglichkeiten zur Investition gibt, fließt Kapital in unproduktivere Bereiche, es kommt zum Beispiel zu Immobilien- oder Kreditblasen. Hinter den Geldgewinnen steckt hier kein realer Gegenwert mehr. Das bringt den Kapitalismus in eine Schieflage, bis ihn zum Beispiel ein Virus (2020) oder eine Bankenpleite (2009) zum Kippen bringt. Kein Gesetz, keine „Degrowth-Politik“ kann diesen Mechanismus unterbinden, die Konkurrenz selbst verhindert das. „Degrowth-Politik“ eines einzelnen Staates innerhalb des Kapitalismus heißt: wirtschaftlicher Selbstmord.

Was hat das jetzt mit der Krise der Umwelt zu tun? Sehr viel. Auch wenn eine Krise erst mal dafür sorgt, dass z.B. weniger CO2 emittiert wird, weil Fabriken die Produktion drosseln, so ist auf lange Sicht eine Krise ein Brandbeschleuniger für den Planeten. Denn nur weil Krise ist, hört die Konkurrenz zwischen Kapitalist_Innen und ihren Staaten nicht auf – sie wird im Gegenteil viel brutaler und auf Kosten der Umwelt und der breiten Masse der Bevölkerung ausgetragen. Beispiele gibt’s nicht erst seit Corona. China befindet sich seit Jahren im wirtschaftlichen Aufstieg und scheißt dabei großzügig auf Klima- und Umweltpolitik. Die USA sehen sich davon bedroht und kündigten 2017 den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen an (das selbst ein Witz war).

Nur wer kapiert, dass es eine zugespitzte internationale Konkurrenz gibt, wird verstehen, warum die Bundesregierung die Lufthansa und die Autokonzerne mit Milliarden auffängt. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit deutscher Kapitalist_Innen auf der Welt. Der Staat agiert nicht zufällig so, denn er ist selbst ein kapitalistischer Staat und eng verwoben mit den Konzernen und Banken.

Die Konkurrenz selbst gipfelt im Kapitalismus darin, dass die stärksten Mächte immer wieder an den Punkt gedrängt werden um die Neuaufteilung der Welt in Einflussgebiete, Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Produktionsstandorte zu kämpfen – wir sprechen vom Imperialismus. Das geht politisch-diplomatisch, in letzter Instanz aber mit Gewalt, mit Krieg. Dabei versuchen diese Mächte ihre Krise auf drei Arten zu lösen:

– Abwälzung der Krisenkosten auf ihre eigene Bevölkerung, im Wesentlichen die Arbeiter_Innenklasse durch eine verschärfte Ausbeutung

– Abwälzung der Krisenkosten auf die halbkoloniale Welt, also schwächere, wirtschaftlich von großen Mächten abhängige Staaten, hier schlägt die Krise bereits jetzt brutaler zu, z.B. aufgrund miserabler Gesundheitsinfrastruktur

– Abwälzung der Krisenkosten auf andere Weltmächte
Das Ziel ist jeweils im Konkurrenzkampf auf Kosten Anderer zu überleben. Bei all dem kann es sich ein kapitalistischer Staat kaum leisten, auf einen wirklichen, effektiven Schutz der Umwelt zu Wert zu legen. Die Konkurrenz und ewige Produktionsausweitung tragen bereits in sich, dass es das nicht geben kann, eine Krise tritt dabei immer wieder auf und verschärft das.

Als würde das nicht schon reichen, droht noch ein weiterer Brandbeschleuniger. Die Coronakrise hat der politischen Rechten Rückenwind verliehen. So sammelt sich ein ekelhafter Sud aus Nazis, Verschwörungstheoretiker_Innen und Rechtspopulist_Innen bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Die Schnittmenge derer, die sowohl Corona als auch den Klimawandel leugnen, ist wohl groß. Dabei schaffen es Rechte mittlerweile nicht nur in ihren klassischen Hochburgen große Demos auf die Beine zu stellen. Die rechtsoffenen Aktionen von „Querdenken 711“ haben auch in z.B. in Baden-Württemberg Massen auf die Straße gebracht. Schon allein deshalb muss sich eine Klimabewegung ebenso dem Rechtsruck entgegenstellen. Dazu aber später noch mehr.

Und jetzt? Alles nur scheiße?!

Scheint fast so…aber es gibt auch eine Reihe von Chancen für die Umweltbewegung. Aber um diese zu erkennen, müssen wir uns fragen, was die Probleme von Fridays for Future und einem großen Teil der Umweltbewegung waren…schon bevor Corona uns zurückwarf.

Millionen Menschen auf der Straße, Bitten, Flehen, Weinen und Schreien gegenüber der Politik haben was gebracht? – nichts, also fast nichts…es brachte uns einen Joke, einen schlechten Witz, ein Klimapaket, das weder die Namen „Klima“ noch „Paket“ verdient hat. Ist die Regierung einfach nur taub und blöde, dass sie die gesellschaftliche Debatte, die wir anstießen, nicht hörten; unsere Forderungen auf tausenden Pappdeckeln nicht sahen? Nö. Sie macht, was sie als Regierung eines kapitalistischen Staates tun muss – nämlich Politik fürs Kapital. Sie kann nicht anders und will es davon abgesehen auch gar nicht anders. Klimapolitik gibt’s nur, wenn es der deutschen Exportindustrie nutzt. Und wir sollten ja nicht glauben, dass das mit einem Jakob Blasel oder einer Luisa Neubauer von Fridays for Future bzw. den Grünen an der Regierung anders liefe. Wer wie die Grünen den Kapitalismus grün anstreichen will, wird unterm Strich kapitalistische Politik machen…die niemals nie grün sein kann (siehe oben, Konkurrenz und so).

Am Rande bemerkt: Die LINKEN können aus der Klimabewegung gar keinen Erfolg ziehen. Gerade mal 1% der Befragten einer Tagesschau-Umfrage trauen der Linken eine gute Klimapolitik zu. Naja, wer Braunkohletagebaue in der Lausitz (Welzow II) unterstützt und auch sonst nichts gegen die Krise leistet hat’s wohl nicht besser verdient. Die anderen Parteien im übrigen auch nicht, aber die sind wohl besser darin ihre klimaschädliche Realpolitik umweltfreundlich zurechtzubiegen.

Mit den Bitten an die Regierung, RWE, VW und Co. muss das jetzt mal vorbei sein, es gab Zeit genug zu erkennen, dass damit nichts zu erreichen ist, was den Planeten lebenswert hält. Die Strategie muss eine andere sein – eine antikapitalistische.

Was heißt das? Das heißt z.B. VW, RWE und Co nicht zu bitten, mehr fürs Klima zu tun, sondern sie zu enteignen! Kein Profit mit der Zerstörung des Planeten! Und dann? Wer übernimmt die Kraftwerke usw.? Der Staat? Jein. Enteignen heißt zwar erst mal, dass die Betriebe in Staatshand übergehen, aber der Staat besitzt diese erstens sowieso schon teilweise und zweitens kann er sie genauso schmutzig weiterführen. Es ist eine Frage der Kontrolle.

Wir stellen uns vor, dass die Beschäftigten selbst die Produktion kontrollieren sollen, umgestalten sollen, sodass z.B. schnellstmöglich eine Autoproduktion massiv auf Schienenfahrzeuge umgestellt wird. Alles, was damit verbunden ist – Produktionsumbau, Umschulung usw., haben die Kapitalist_Innen zu zahlen!

Aber sind die Arbeiter_Innen denn dafür zu haben? Die haben ja auch Fridays for Future so gut wie nicht unterstützt! Tja, weil sie davon nicht so richtig angesprochen waren. Die Erfahrung ist nämlich, dass sie z.B. in Form einer CO2 Steuer eine unzureichende Klimawende bezahlen. Aber es ist nicht so, dass Arbeiter_Innen grundsätzlich nicht gewinnbar wären. Es gibt einige Chancen:

– die Tarifverhandlungen von Ver.di zum Nahverkehr sind ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für uns. Es gilt Druck mit den Arbeiter_Innen zusammen auf Ver.di und die Bosse zu machen und einen kostenlosen, gut ausgebauten Nahverkehr zu fordern, mit höheren Löhnen für Beschäftigte und verkürzter Arbeitszeit, bezahlt durch eine Besteuerung der Profite der Autokonzerne

– die Krise führt zu großen Entlassungen und Kurzarbeit. Dagegen sollten wir fordern: Wir zahlen nicht die Krise der Bosse! Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und keine Entlassung! Geplante Umstellung der Produktion auf eine wirklich nachhaltige Basis!

– die Coronakrise zeigte die Instabilität unseres Gesundheitssystems. Warum fordert nicht auch Fridays for Future eine kostenlose, gut ausgebaute Gesundheitsversorgung sowie Kommunalisierung der Krankenhäuser?

Hä? Aber die letzte Forderung hat doch gar nichts mit der Umwelt zu tun?!
Erstmal hat alles mit der Umwelt zu tun, z.B. wenn ein Krankenhaus eine Uralt-Heizung verwendet. Zentral ist aber zweitens folgendes: Die Klimabewegung muss es schaffen Kämpfe zu verbinden, dabei eine Antikrisenbewegung aufbauen und sich mit der Arbeiter_Innenklasse insgesamt zu verbünden. Nur sie könnte überhaupt eine Enteignung von VW und Co grün umsetzten.

Kämpfe verbinden heißt auch, eine klar antirassistische Haltung zu beziehen, sich dem Rechtsruck entgegenzustellen. Da reicht es nicht, auf Instagram die Evakuierung Morias zu fordern, sondern offene Grenzen und einen antirassistischen Selbstschutz aufzubauen und genau das überall zu fordern, sei es in Garzweiler oder auf einem Verdi Streik. Die Klimakrise ist der Fluchtgrund Nr. 1.

Wenn wir anfangen, diese Perspektive zu diskutieren und zu fordern, eine antikapitalistische und antirassistische Bewegung gegen die Krisen in Umwelt, Gesundheit, den Betrieben und nicht zuletzt an mörderischen Grenzen aufzubauen, dann kann es möglich sein, dass die Klimabewegung die Initiatorin wird, den Rechtsruck und die Angriffe der Regierung und Konzerne aufzuhalten.

Die Alternative heißt sie weiter anzuflehen und daran zu verzweifeln.




Was ist eigentlich die Polizei?

Jonathan Frühling

Der Mord an George Floyd erschütterte die Welt und führte zu einem Aufwallen von Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, überall fanden Demonstrationen in Solidarität mit den rassistisch Unterdrückten in den USA statt, jedoch verbanden die Protestierenden ihre Forderungen auch mit lokalen Themen. Insbesondere ist der Kampf gegen Polizeigewalt im Fokus. So gingen beispielsweise in Kenia tausende Menschen auf die Straße, um gegen die willkürliche Gewalt zu demonstrieren, die die Polizei dort zur Durchsetzung der nächtlichen Ausgangssperren einsetze. 15 Menschen wurden von ihr dort während des Lockdowns ermordet.

Daher
wollen wir hier untersuchen, was genau die Polizei eigentlich ist und
welche Funktion sie in unserer Gesellschaft erfüllt und was ihre
Interessen bestimmt.

Die Funktion der Polizei

Geschichtlich
ist die Polizei als eine Institution bezahlter Beamt_Innen
zur Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols in Europa und
den USA in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert entstanden. Sie
wurde durch die zunehmende soziale Komplexität im Zuge der
Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums notwendig.

Die
Aufgabe der Polizei wurde in Deutschland mit dem sogenannten
Kreuzbergurteil von 1882 eindeutig als die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung definiert. Die Polizei ist also
die institutionalisierte und monopolisierte Gewalt des Staates.
Soweit so gut. Doch welche Interessen vertritt der Staat? Dies zu
klären ist leicht, wenn man sich anschaut, was die Regierungen
machen. So wurden z.B. in
Deutschland durch die Agenda 2010 Kündigungsschutz gelockert,
Arbeitslosengeld gesenkt und schlecht bezahlte und befristete Jobs
zum Standard in Deutschland. Eindrucksvoll kann man das auch bei der
Rettung der Lufthansa sehen, wo 9 Mrd. in den Konzern gepumpt werden
und trotzdem 26.000 Menschen entlassen werden sollen. Der Staat
agiert also nicht neutral und für alle Menschen, sondern im
Interesse der Kapitalist_Innen, deren Interessen unserem direkt
entgegengesetzt sind. Mit „Aufrechterhaltung der Ordnung“ ist
letztlich nur die Aufrechterhaltung des Privatbesitz an
Produktionsmitteln und die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse
gemeint.

Die
Polizei weiß ganz genau, wer die bürgerliche „Ordnung“ am
meisten gefährdet. Dies sind besonders arme Menschen,
Drogenabhängige, Wohnungslose, Prostituierte, linke politische
Aktivist_Innen, People of Colour (PoC); sprich gesellschaftliche
Gruppen, die eine besondere Unterdrückung im Kapitalismus erfahren,
von ihm regelmäßig zerkaut und an den Rand der Gesellschaft
gespuckt werden. Deshalb tritt die Polizei dem großen Teil der
Bevölkerung auch nicht als Helferin, sondern als erbitterte Feindin
gegenüber.

Die soziale Stellung der Polizei

Um
die Interessen und damit das Handeln einer Bevölkerungsgruppe zu
erfassen, ist es wichtig, ihre soziale und ökonomische Stellung zu
ergründen. Die Polizei wird direkt vom Staat bezahlt, weshalb ihre
Existenz mit dem bürgerlichen Staat und damit mit der gesamten
bürgerlichen Gesellschaft steht und fällt. Anders als
beispielsweise Lehrer_Innen
oder vom Staat bezahlte Sozialarbeiter_Innen würde ihre Rolle in der
Gesellschaft im Sozialismus mit dem Staat verschwinden. Grund
dafür ist, dass dort die gesellschaftlich notwendigen
Aufgaben, die die Polizei jetzt inne hat wie bspw. das
Aufklären von Morden, von Komitees oder Milizen der
Arbeiter_Innenklasse ausgeführt würden. Sie haben also ein direktes
ökonomisches Interesse den bürgerlichen Staat und damit den
Kapitalismus aufrechtzuerhalten. Die kapitalistische Gesellschaft
definiert sich durch die Herrschaft der Kapitalist_Innenklasse. Also
wollen sie um jeden Preis die Herrschaft dieser Klasse manifestieren.

Zudem
hat die Polizei stets ein Interesse daran ihre eigenen Strukturen zu
erhalten und zu erweitern. Deshalb kann sie auch an einer
tatsächlichen Senkung der Kriminalität kein Interesse haben. Mehr
Straftaten können auch mehr Befugnisse oder mehr Personal
legitimieren. So werden z.B. Terroranschläge von den
Repressionsorganen dankend aufgenommen, um ihre Macht auszubauen. Die
Tendenz des Machtausbaus bringt die Polizei automatisch in die Nähe
politisch rechter Gruppierungen, die sich einen größeren
Repressionsapparat wünschen.

Um
ihre Interessen gegenüber der Gesellschaft und vor allem gegenüber
dem restlichen Staat durchzusetzen, betreibt die Polizei
Lobbyorganisationen, die sich z.B. für lockerere Gesetze und mehr
Waffen für die Polizei einsetzen oder angeklagte Bullen vor Gericht
unterstützt. Verwirrenderweise werden diese Organisationen
Polizeigewerkschaften genannte, obwohl sie den Interesse der
Arbeiter_Innenklasse entgegenstehen und mit Gewerkschaften rein gar
nichts zu tun haben.

Es
ist außerdem wichtig festzustellen, dass die Polizei ihren Apparat
selbst erneuert. Keine Person, die direkt zum Polizeiapparat gehört,
wird demokratisch gewählt. Deshalb werden sie von politischen
Machtwechseln auch kaum berührt und entziehen sich jeder
demokratischen Kontrolle. Das gilt übrigens für Richter und
Staatsanwälte gleichermaßen.

Bewusstsein der Polizei

Bei
den Handlungen der Polizei sind reine Verhaftungsquoten sicherlich
nicht der entscheidende Beweggrund für ihr Handeln. Dann könnte sie
weiße Jugendliche auf Studipartys genauso nach Kleinstmengen
Cannabis durchsuchen, wie migrantische Jugendliche in Parks. Trotzdem
sind die Letzteren viel mehr von Polizeikontrollen betroffen. Warum?

Seit Marx wissen wir, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein
eines Menschen prägt. Es wird also durch die sozialer Stellung und
die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gebildet. Man muss sich also
anschauen, was die/der einzelne Polizist_In auf der Straße tut, um
zu ergründen was sich in ihrem/seinen Bewusstsein widerspiegelt.
Damit ist auch gemeint, wie genau Gesetze ausgelegt, bzw. inwiefern
sie bewusst überschritten werden, wen sie kontrolliert oder wie sie
z.B. People of Colour behandelt. Wieso die Polizei linke
Vorstellungen ablehnt und bekämpft sollte durch den Abschnitt
„Funktion der Polizei“ klar geworden sein. Stattdessen soll sich
hier vor allem auf die Frage bezogen werden, wieso die Polizei ein
überdurchschnittliches rassistisches Bewusstsein prägt.

In
unserer heutigen Gesellschaft herrscht eine rassistische Ideologie
vor. Grundlage dafür ist der Wille des Kapitals die Bevölkerung
anhand von ethnischen, religiösen und nationalen Unterschieden zu
spalten, um so ihre eigene Herrschaft zu sichern und Ausbeutung zu
legitimieren. Die tatsächlich Teilung der Gesellschaft auf Grundlage
von ökonomischen Klassen wird somit verschleiert.

In
diesem Sinn sind auch z.B. die Aushebelung des Asylrechts und die
rassistische Hetze durch alle bürgerlichen Parteien zu verstehen.
Mit der rassistischen Lüge, dass mit den Geflüchteten auch ohne
Ende Terrorist_Innen nach Deutschland kommen, lassen sich mehr
Überwachung und Polizeibefugnisse rechtfertigen.

Die
Polizei setzt die rassistische Regierungspolitik in die Tat um. Sie
schließt die Grenzen, greift „illegale“ Migrant_Innen auf und
führt Abschiebungen durch. Sie ist also direkt mit der Aufgabe
betraut gegen den deklarierten ausländischen Feind vorzugehen. Die
Polizei ist deshalb in ihrer Funktion, ihrem Denken und Handeln einer
der extremsten Ausdrücke dieser Politik. Das rassistische
Bewusstsein materialisiert sich so bei der Polizei in einer
verschärften Form. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass
auch in Deutschland Racial Profiling zum
Standardverfahren gehört.

Ältere
und hochrangigere Polizist_Innen
haben eine viel bessere und bewusstere Einsicht in die allgemeine
Politik und ihre eigene gesellschaftliche Stellung und sind über
Innenministerien eng mit den Regierungen verbunden. Sie verkörpern
deshalb das Bewusstsein der Polizei in einer höheren Form. Durch
ihre Polizeitaktiken, Einsatzkonzepte oder Prügelbefehle
durchdringen ihre Vorstellung und ihr Bewusstsein den gesamten
Apparat. Dieser Effekt findet auf allen Ebenen der Hierarchie statt.
Die Polizei ist unter anderem deshalb nicht die Summe der
Vorstellungen der Individuen. Vielmehr ist sie eine gigantische und
streng hierarchisch aufgebaute Organisation, die unterdrückerisches
Bewusstsein reproduziert. Der damit verbundene Korpsgeist zieht
vermehrt Rechte an, da sich diese mit der Praxis und dem Bewusstsein
der Polizei besonders identifizieren können.

Die
Anwendung von Gewalt wird über
ihrer Arbeit dem/der einzelnen Beamt_In zur Normalität und in
das Sein integriert. Zukünftige Situationen werden deshalb eher mit
der Anwendung von Gewalt gelöst werden. Wie sehr die Arbeit auf der
Straße das Bewusstsein der Polizist_Innen prägt zeigt eine Studie
aus den USA, die beweist, dass Polizist_Innen 2 bis
4 mal häufiger zu häuslicher Gewalt neigen, als durchschnittliche
Menschen.

Handlungs(spiel)räume im polizeilichen Handeln

Besonders
auf der niedrigsten Ebene (dem gewöhnlichen Streifendienst) hat die
Polizei einen großen Interpretationsspielraum, was ihre eigenen
Rechte und die explizite Situation anbelangt. Wann z.B. eine
Notwehrsituation eintritt, entscheidet der/die handelnde Polizist_In
immer selbst. Richter_Innen
und Staatsänwalt_Innen
decken deren Interpretation in der Regel. Sie tun dies, um ihrer
Aufgabe gerecht zu werden das Gewaltmonopol des Staates
aufrechtzuerhalten. Falsche Zeugenaussagen gehören ebenso zu diesem
System, wie politisch geführte Prozesse, bzw. Schauprozesse [1].

Des
Weiteren werden Gesetze absichtlich so geschrieben, dass sie
weitreichende Interpretationen ermöglichen. Begriffe, wie
„Gefahrenabwehr“, „Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit“, sowie der 2018 eingeführte Begriff der „drohenden
Gefahr“ und des/der „Gefährders/Gefährderin“ sollen hier als
eindrückliche Beispiele dienen. So kann in Bayern beispielsweise
eine gefährdende Person zwei Monate ohne Prozess hinter Gitter
gebracht werden. Dabei kann dies eine Person sein, die nachweisbar
plante einen Terroranschlag durchzuführen, es kann aber auch eine
Person sein, die auf eine Demo wollte, aus der möglicherweise eine
Flasche geworfen wird. Diese Art der Rechtsauslegung versucht die
Polizei beständig auszuweiten, was in Deutschland seit 2018 mit
alarmierender Geschwindigkeit passiert.

Durch
die Einführung dieser Begriffe als auch durch die nunmehr erlaubten
Austausch von Informationen zwischen Polizei und Geheimdiensten wird
die Trennung von Polizei und Geheimdienst weiter verwässert. Dies
ist ein Prozess, der mit den verdachtsunabhängigen Kontrollen in den
80er Jahren begann, wo die Polizei erstmals präventiv handeln
durfte. Diese Trennung wurde von den amerikanischen
Besatzungsbehörden eingeführt, um eine allmächtige Institution,
wie die geheime Staatspolizei der Nazis zu verhindern.

Auch
wird die Polizei durch die neuen Polizeigesetze z.B. mit
Handgranaten, Elektroschockern und Maschinenpistolen ausgerüstet,
was eine massive Militarisierung der Polizei bedeutet. Dies erweitert
natürlich wieder den praktischen Handlungsraum der Polizei, den
diese in Zukunft sicherlich auch nutzen wird.

Gesetze
sollen als Mittel dienen das polizeiliche Handeln zumindest
juristisch einzuhegen und zu kontrollieren. Die Aufrechterhaltung der
kapitalistischen „Ordnung“ ist jedoch als Aufgabe den Gesetzen
übergeordnet. Bei der Aufrechterhaltung der kapitalistischen
Gesellschaft hat die Polizei deshalb eine starke Tendenz die
rechtlichen Grenzen ihrer Arbeit immer wieder massiv zu
überschreiten. So wird z.B. gegen Fußballfans regelmäßig
exzessive Gewalt eingesetzt, friedliche Demonstrant_Innen
mit Schlagstock und Pfefferspray attackiert oder gezielt People of
Colour kontrolliert und erniedrigt.

Die Polizei agiert politisch nicht neutral

Es
wird an dem Agieren der Polizei immer wieder deutlich, dass sie mit
ihrem Handeln auch politische Ziele durchsetzt und dabei auch offen
rechtliche Rahmenbedingungen missachtet.
Das ist aus ihrer
Sicht nicht weiter bedrohlich, da der staatliche Justizapparat oft
genug zu Gunsten der Polizei entscheidet, mit ihr verbunden ist und
so die in der Schule uns hoch gepriesene Gewaltenteilung lächerlich
macht.

Besonders
drastischer waren bspw. die Ausschreitungen des bürgerlichen
Repressionsapparates gegen die Proteste gegen den G20 Gipfel in
Hamburg. In weiten Teilen der Stadt wurden theoretisch geltende
Grundrechte, wie z.B. die Versammlungsfreiheit vollständig und
offiziell außer Kraft gesetzt (Stichwort „Blaue Zone“). Die
Auftaktdemo am Donnerstag wurde durch Schlagstockgewitter und
massiven Einsatz von zwei Wasserwerfern nach 30m zerschlagen. Zudem
zielten die Bullen mit ihren Schlagstöcken während der gesamten
Protestwoche gezielt auf Köpfe und verursachten so unzählige
Platzwunden. Alle diese Maßnahmen waren durch bürgerliches Recht
nicht gedeckt.

Interessant
ist dagegen, wie die Polizei rechte Demos hofiert. So sorgte sie z.B.
dafür, dass bei den Einheitsfeierlichkeiten in Dresden die Rechten
bis auf Rufweite an die Regierungsspitze herankam. Auch die rechten
Demos gegen die Coronamaßnahmen der Regierung wurden von der Polizei
mit tausenden Teilnehmer_Innen geduldet. Ein Grund dabei war
sicherlich, dass diese Demonstrationen das Interesse des kleinen und
großen Kapitals vertraten, dem die Polizei letztlich dient. Der zur
gleichen Zeit von Linken organisierte 1.
Mai dagegen wurde von der Polizei mit massiver Repression getroffen.

Wieso
der Polizeiapparat die Rechten unterstützt und Linke bekämpft ist
einfach aus deren Politik abzuleiten. Die Linke kämpft für mehr
Freiheit der großen Masse der Bevölkerung. Dazu gehören z.B.
weniger Überwachung, durchlässigere oder offene Grenzen, mehr
Versammlungsfreiheit. Kurzum, alles Maßnahmen, die die
Unterdrückungsaufgaben, die die Polizei ausführt, überflüssig
macht.

Die
Rechte dagegen tritt für das Gegenteil ein. Sie will die Grenzen
dicht machen, Minderheiten unterdrücken, Meinungs- und
Versammlungsfreiheit massiv beschneiden, (Klein)kriminalität stärker
verfolgen usw. Dafür ist jedoch ein größerer und mächtigerer
Polizeiapparat notwendig. Deshalb wirbt die AfD auch damit die
Repressionsorgane aufzurüsten und macht sich damit viele
Freund_Innen in der Polizei.

Unser Recht, unsere Ordnung…

Was
ist Recht?

Marx
und Engels schrieben in ihrem kommunistischen Manifest,
dass die momentan geltenden Gesetze keine naturgegebenen und
immer gültigen Rechtsvorstellungen sind. Sie sind im Gegenteil
ausschließlich von den Bedürfnissen der herrschenden Klasse
geprägt. Freie Konkurrenz und das Recht auf Privateigentum an
Produktionsmitteln zeichnen die bürgerliche Gesellschaft aus und
sind deshalb im Gesetz festgeschrieben. Wenn es der herrschenden
Klasse nützt werden die Gesetze jedoch vom Staat gebrochen. So kann
in einem Kriegsfall aus einem: „Du sollst nicht töten.“ schnell
mal ein „Du sollst töten.“ werden. Eine sozialistische
Gesellschaft dagegen basiert auf dem gemeinschaftlichen Besitz der
Produktionsmittel, was sich auch in Gesetzesform niederschlagen
würde.

Lenin
vereinfacht die Aussage von Marx und Engels und bezieht sie auf die
Klasse der Lohnabhängigen: „Recht ist was der proletarischen
Klasse nützt.“ So finden wir es z.B. legitim Waffentransporte in
den Jemen zu verhindern, wobei wir damit in Konflikt mit dem
bürgerlichen Recht kommen.

Ordnung
im Sozialismus

Klar
ist, dass wir die staatlichen und nicht-staatlichen
Repressionsorgane, wie das Militär, die Polizei, die Geheimdienste,
private Sicherheitsfirmen oder faschistische Milizen zerschlagen
müssen. Doch was setzen wir an deren Stelle, um unserer Interessen
und unsere Vorstellung von Recht umzusetzen?

Für
den Übergang von einer kapitalistischen zu einer kommunistischen
Gesellschaft wird es zwar noch einen Staat geben, dieser wird sich
jedoch anders als heute auf die überwiegende Mehrheit der
Gesellschaft stützen und deshalb geneigt sein deren Programm
umzusetzen. Statt nationaler Abschottung und institutionalisierten
Rassismus wären eine Verteidigung offener Grenzen und praktischer
Internationalismus zu erwarten.

Bei
der Durchsetzung dieses Programms wird sich der Staat auf die breite
Mehrheit der Bevölkerung stützen. Heute werden Polizei und Justiz
von einer kleinen Gruppe privilegierter Menschen kontrolliert, die
ihrer Aufgaben im Sinne einer reaktionären
Gesellschaft umsetzen. Wir stellen uns vielmehr vor, dass alle
Menschen an Aufgaben, wie z.B. der Kriminalitätsbekämpfung
beteiligt sind. Natürlich muss es immer noch Spezialist_Innen geben,
die sich mit Spurenaufklärung o.Ä. auskennen. Jedoch sollen in den
Vierteln, der Schule oder dem Betrieb die dort verkehrenden Menschen
befähigt werden z.B. Rassismus zu erkennen und ihm entgegenzutreten.
In den Nachbarschaften militant organisierte Frauenschutzkomitees
sollen häuslicher Gewalt bekämpfen.

Überall
dort, wo Gerichtsverhandlungen zu Klärung der Umstände nötig sind,
sollen diese durch Menschen der Unterdrückten – durch
Arbeiter_Innentribunale organisiert werden. Diese sollen am Ende auch
das Urteil sprechen. Die Urteile fallen somit natürlich vom
Standpunkt der lohnabhängigen Bevölkerung.

Forderungen im Kampf gegen die Polizei

Im
Kampf gegen das rassistische Repressionsorgan Polizei stellen wir
folgende Forderungen auf:

  • Defund the
    police! Keine Finanzierung der Polizei. Das Geld brauchen wir für
    Sozialleistungen, Bildung oder sozialen Wohnungsbau!
  • Polizei aus
    dem DGB schmeißen! Bullen gehören nicht zur Arbeiter_Innenklasse,
    sondern sind die Schlägertruppe des Kapitals!
  • Kein
    Massenüberwachung z.B. durch, Vorratsdatenspeicherung,
    Bundestrojaner, Videoüberwachung usw.!
  • Kein Racial
    Profiling und ein hartes
    Aburteilen von Bullen, die Racial Profiling anwenden!
  • Polizist_Innen, die gewalttätig werdem, sollen vor Volksgerichte
    gestellt und diese bei Bedarf abgeurteilt werden! Dafür müssen sie
    durch ein individuelles Erkennungszeichen identifizierbar sein!

  • Kein
    Militarisierung der Polizei. Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor
    allem, was Taser, Maschinenpistolen, Knarren und Handgranaten
    angeht!
  • Schlussendlich: Organisiert militanten Selbstschutz. Vor den
    Angriffen von Sexist_Innen, Faschos, der Mafia (und der Polizei)
    müssen wir uns selbst verteidigen! Für Arbeiter_Innenmilizen
    anstelle der Polizei! Für die Zerschlagung der Polizei durch eine
    solche Miliz!

[1]
Politisch geführte Prozesse sind Prozesse, bei denen das Urteil dem
Kampf gegen linke Politik dient und um Vorhinein schon feststeht. Der
Prozess dient dann nur noch der (meistens offensichtlich falschen)
Legitimation solcher Urteile.




Tönnies enteignen! Ausbeutung von Mensch und Natur stoppen!

Über 1500 Arbeiter_innen haben sich in Nordrhein-Westphalen
durch ihre Arbeit in der Schlachtfabrik „Tönnies“ mit Covid19 infiziert,
Tendenz steigend. Schon vor einigen Wochen kam es zu den ersten Corona-Fällen
im Betrieb, doch der Konzern hat seine Fleischproduktion munter weiter
hochgefahren. Auch bei anderen Fleischproduzenten in Niedersachsen wie
Wiesenhof und Danish Crown kam es zu weiteren Infektionsausbrüchen. Dass es zu
erneuten Masseninfektionen in Deutschland gekommen ist, bleibt ein Ergebnis der
Lockerungs- und Öffnungspolitik, die die Groko mit Unterstützung aller anderen
Parteien auf Druck der Wirtschaft und der internationalen Konkurrenz
durchgezogen hat. Profite zählen hier also mehr als unsere Gesundheit!

Dass sich an dieser Logik orientiert wird, zeigen auch die
miserablen Arbeitsbedingungen und die massive Ausbeutung von Mensch und Natur
in den Schlachthöfen. Tiere, die ein ähnliches Intelligenzlevel wie ein
3-jähriges Menschenkind haben, werden dort unter großem Leid im Sekundentakt
geschlachtet und von Arbeiter_Innen am Fließband in bis zu 12 Stunden langen
Schichten in ihre Einzelteile zerlegt. Die meisten der Arbeiter_Innen in der
Fleischindustrie stammen aus Osteuropa. Das geringe Lohnniveau an der
Peripherie der EU wird von den Fleischproduzenten genutzt, um die
Arbeiter_innen hier mit unter dem Mindestlohn liegenden Gehältern abzuspeisen.
Durch Werkverträge und ein raffiniertes System aus Subunternehmen werden
Arbeitsstandards systematisch umgangen. Noch dazu werden die
Arbeitsmigrant_Innen in rattenbefallenen und verschimmelten Sammelunterkünften
untergebracht. Die Kosten für diese menschenunwürdigen Behausungen sowie der
Transport in die Fabrik werden ihnen dann auch noch vom ohnehin geringen Lohn
abgezogen.

Viel zu spät wurden nun Quarantänemaßnahmen vor Ort
ergriffen. Die Empörung der Parteien, die sich jetzt über die schlimmen
Bedingungen in der Fleischindustrie zu Wort melden, ist nichts weiter als
blanker Hohn. So waren die Arbeitsbedingungen und die schonungslose Ausbeutung
von Arbeitsmigant_Innen in der Fleischindustrie als auch in der Landwirtschaft,
in der Logistikbranche oder im Bau- und Gastronomiegewerbe schon lange bekannt.
Zudem haben sie mit der Agenda2010 diese Arbeitsbedingungen legalisiert und
damit überhaupt erst möglich gemacht. Ebenso waren sie es, die dem Druck der
Unternehmen nachgegeben haben, den Lockdown zu beenden.

Die Aufforderung von Grünen, NGOs und Tierschutzverbänden an
die Verbraucher_Innen kein „Billigfleisch“ mehr zu kaufen, stammt von Leuten,
die sich das Bio-Demeter-Schnitzel ohne Probleme leisten können. Für viele
Lohnabhängige in Deutschland ist das jedoch keine Option. Außerdem sind in
ökologischen Schlachtbetrieben zwar häufig die Lebensbedingungen der Tiere ein
wenig besser, jedoch ist damit noch nichts über die Arbeitsbedingungen im
Betrieb gesagt. Mit ihren neoliberalen Lösungsvorschlägen verschieben die
Grünen zudem die politische Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit der
Natur, für die Aufrechterhaltung von Hygienemaßnahmen und für die Einhaltung
von Arbeitsstandards von der Gesellschaft auf den_die individuellen
Konsument_In.

Auch wenn sich Linkspartei, SPD und Gewerkschaften nun
durchgerungen haben, durch die gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit einige
sinnvolle Forderungen aufzustellen, bleibt das Problem die kapitalistische
Profitlogik. Solange ein Betrieb möglichst schnell möglichst viel Profit
abwerfen muss, wird dies immer zu Lasten von Mensch und Natur gehen; irgendwo
muss der Profit ja schließlich herkommen. Die einzige Möglichkeit ist es also,
den Betrieb zu enteignen und unter Arbeiter_Innenkontrolle zu stellen. So
können die Beschäftigen selbst Arbeits- und Tierschutz überwachen und die
Produktion den tatsächlichen Bedürfnissen anpassen.

Dies ist ein notwendiger Schritt, hin zu einer global und
demokratisch geplanten Wirtschaft, die sich nach den Bedürfnissen von Mensch
und Natur ausrichtet und nicht nach dem Zwang, Profit zu erwirtschaften. Im
Rahmen einer solchen Wirtschaftsordnung wäre es dann auch möglich, große Teile
der Produktion von Fleisch- und Milchprodukten systematisch in pflanzliche
Ersatzprodukte zu transformieren. Dies ist notwendig, da das aktuelle
irrationale Ausmaß der Tierproduktion dem Fortbestand der Menschheit und ihrer
weiteren Entwicklung objektiv entgegensteht. So zählt die Tierproduktion zu den
größten CO2-Produzenten und den größten Nutzern landwirtschaftlicher Flächen.
Würde der menschliche Kalorienverbrauch fast vollständig mit pflanzlichen
Produkten abgedeckt, würden ca. 75% der landwirtschaftlichen Nutzfläche
überflüssig und könnten renaturiert und aufgeforstet werden, um mehr natürliche
CO2-Senken zu schaffen. Sobald nicht mehr Lobbypolitik und die Zurückhaltung
von Forschungsgeldern die Wissenschaft blockieren, wäre ebenso der Weg frei, um
umfangreich an pflanzlichen Ersatzprodukten sowie Fleisch, Milch und Käse aus
Zellkulturen zu forschen.

Ebenso haben die Corona-Pandemie, aber auch frühere
Pandemien wie die Vogelgrippe oder die Schweinegrippe, einen tierischen
Ursprung, ganz abgesehen von den unmittelbaren gesundheitlichen Schäden, die
durch den übermäßigen Verzehr der Tierprodukte für den Menschen entstehen.
Damit also nicht auch die menschliche Gesundheit existenziell bedroht wird, muss
der Mensch ein neues Verhältnis zum Umgang mit Natur und Tierhaltung finden.

Ähnlich wie Kohleenergie waren Tiere in der
Entwicklungsgeschichte der Produktivkräfte eine notwendige Ressource. Heute
sind Kohleenergie, Tierausbeutung sowie die Ausbeutung menschlicher
Arbeitskraft theoretisch überflüssig geworden und stehen sogar der weiteren
gesellschaftlichen Entwicklung objektiv entgegen. Für die betreffenden
Arbeiter_Innen muss dies neben einer Verbesserung der allgemeinen
Arbeitsbedingungen und einer Anhebung der Löhne auch kostenlose
Umschulungangebote z.B. für die Produktion von pflanzlichen Produkten bedeuten!




Das bedingungslose Grundeinkommen – Die Rettung in Corona-Zeiten?

Anthropoi Philia

Die prekäre Lage, in die viele durch die Corona-Pandemie gebracht wurde, hat die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen (im Folgenden: BGE) wieder neu entfacht. Auf den ersten Blick klingt das auch erst einmal nach einer vernünftigen, fast sogar linken Idee. Machen, was man möchte und für egal, was es auch sein mag, Geld dafür bekommen? An sich ist das Konzept des BGE ein staatlich ausgezahlter Betrag, den jede Person erhält, egal ob man von seinem Erbe lebt oder auf der Straße.

Viele linke Kräfte positionieren sich hinter diesem Konzept. Andrew Yang trat damit in den USA zur Präsidentschaftswahl an und in der deutschen Partei „die Linke“ wurden bereits 3500 Unterschriften für eine Mitgliederabstimmung gesammelt, um sich als Partei hinter eine Variante des bedingungslosen Grundeinkommens zu stellen, wobei auch ATTAC sich für ein BGE einsetzt. Doch woher kommt das Geld und wie hoch wird es angesetzt? Da gehen die Modelle schnell in verschiedene Richtungen und das erst so einfach klingende Konzept wird zu einem, welches von ziemlich vielen Bedingungen und Voraussetzungen abhängt. Und leicht vergisst man bei all den tollen Phantasien vom selbstbestimmten Menschen mit 1000€ jeden Monat (aktueller Vorschlag in der LINKEN), dass damit Gewerkschaften geschwächt und Lohndumping betrieben werden kann. Unternehmen können weiter Niedriglöhne zahlen, die durch das aus Steuern finanzierte BGE ausgeglichen werden. So können sie an den Löhnen sparen, höhere Profite erwirtschaften und noch dazu sichergehen, dass die Kaufkraft der Lohnabhängigen nicht sinkt. Die Lohnabhängigen finanzieren dagegen aus ihren eigenen Steuern staatliche Unterstützung anstatt den Unternehmen einen höheren Lohn für ihre harte Arbeit abzuverlangen.

Aber blicken wir erst mal in die Vergangenheit und entdecken, dass quer durch das politische Feld das Thema aufgegriffen wurde. Erste praktische Experimente gab es schon in den 70ern in den USA unter Richard Nixon sowie in Kanada. Diese Experimente zeigten hauptsächlich, dass sich kaum etwas bei den unterstützten Bürger_Innen änderte, was allerdings möglicherweise auf die geringe Höhe der Unterstützungen zurückzuführen ist. Nachdem Nixon das Projekt fallen ließ, verschwand es auch erst einmal von der politischen Bildfläche.

Aus diesem Winterschlaf weckte das BGE, nach ein wenig Aufschwung für die Idee in den 2000ern, ein Experiment unter der rechtskonservativen Regierung in Finnland. Daneben gab es auch Feldstudien in Namibia, Uganda, Indien und Kenia. Diese Studien und Experimente kamen im globalen Norden zumeist von liberaler Seite, im globalen Süden sind es oft NGOs, die dort mit relativ geringen Summen Feldstudien durchgeführt haben. Aber auch wenn diese Experimente das Thema vermehrt wieder ins Gespräch bringen, so können sie nur schwer Einblick in eine realistische Praxis bieten, da ihre Laufzeiten begrenzt und das gesamtgesellschaftliche Klima dadurch weitestgehend unberührt bleibt. Was allerdings klar wird, ist, dass nicht nur linke Kräfte sondern auch konservative und neoliberale Vertreter von Kapitalinteressen ein Auge auf das Konzept geworfen haben und sich Chancen ausrechnen, damit an Löhnen und Steuern zu sparen.

So verschieden wie diejenigen, die ein BGE gutheißen, auch sind, so sind es auch die Vorschläge der Finanzierung und der Bedingungen, die an die Umsetzung geknüpft werden. Auf der einen Seite wird die Finanzierung durch massiv erhöhte Mehrwertsteuern vorgeschlagen (je nach Höhe des BGE ungefähr 100-150 %), gleichzeitig sollen im Sinne vielen BGE-Vertreter_Innen (z.B. Götz Werner) dazu nahezu alle anderen Steuern nach und nach abgeschafft werden. Dieses Modell ist eher ein Angriff auf die arbeitende Bevölkerung, da die Mehrwertsteuer untere Einkommensschichten, relativ betrachtet, stärker als höhere belastet. Dass die Abschaffung der anderen Steuern nur den Besserverdienenden zu Gute kommt, ist offensichtlich.

Auf der anderen Seite gibt es die Finanzierung durch eine (negative) Einkommensteuer. Im Konzept der negativen Einkommensteuer gibt es den Vorschlag eines einheitlichen Steuersatzes von neoliberaler Seite. Dieser ist auch bloß ein Tauschvorschlag, der für eine Untergrenze der Armut, die jegliche andere Umverteilung von oben nach unten abschafft, plädiert. Im Gegensatz dazu bieten die linken Modelle meist einen Steuersatz mit Vermögensteuer oder Transaktionssteuer angepassten Steuersatz.

Doch auch wenn man sich auf linke Modelle stützt, ergeben sich Probleme: So öffnet es Neoliberalen und Konservativen weiterhin die argumentative Tür für die Reduzierung der anderen Sozialleistungen, wie zum Beispiel einer weiteren Reduzierung des Arbeitslosengeldes auf das Niveau des BGE. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Versuch einer gerechteren Verteilung mit dem BGE durch erhöhte Lebensstandardkosten untergraben werden könnten. Und wie bereits eingangs erwähnt, schwächt es den Arbeitskampf der Gewerkschaften. Die Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen können bestenfalls als schwächlicher Versuch gewertet werden, im Kompromiss mit dem Kapital den Kapitalismus über die eine oder andere Krise zu retten.

Unsere Alternative ist ein Mindesteinkommen, der an den Arbeiter_Innen-Durchschnittslohn und Inflation gekoppelt ist. Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich ein einfaches Konzept: Finanziert und umgesetzt werden muss er durch eine Progressivsteuer. Das ist eine Steuer, die mit steigendem Einkommen ebenfalls steigt und mit zu geringen Einkommen sogar negative Steuern ausschüttet. Über eine solche Progressivsteuer wäre es möglich, die Gehälter anzugleichen, den Gewerkschaften frischen Wind in die Segel zu spielen und der größer werdenden Ungleichheit in unserer Gesellschaft entgegenwirken. Gerade jetzt zu Zeiten von Corona wird klar, wie nah die Interessen der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Geflüchteten beieinander stehen und der Kapitalismus zeigt noch deutlicher seine brutalen Mechanismen.

Wir befinden uns in einer weiteren Krise des Kapitalismus. Durch eine Pandemie verlieren unzählige Arbeiter_Innen kurz- oder sogar langfristig ihre Existenzgrundlage, gerade kleine Unternehmen stehen schnell vor dem Bankrott während andere Milliardengewinne einfahren (siehe z.B. Amazon), welche skrupellos Löhne drücken und ausbeuten bis zum Umfallen. Wir müssen in zentralen Aktionstagen und politischen Streiks Druck auf die Gewerkschaften ausüben, die vor dem kapitalistischen Konkurrenzbruch den Schwanz einklemmen (Revo berichtete). Es gilt, die Debatten in der arbeitenden Klasse zu führen und aufzuzeigen, wie die Macht der Konzerne und Milliardär_Innen nichts als Kartenhäuser sind, welche schnell durch Organisation und Solidarität derer zusammenfallen, die sie versuchen, gegeneinander auszuspielen. Nicht das BGE wird uns aus der Corona-Krise retten, sondern Klassenkampf und internationale Solidarität!




Gut genug für die Notbetreuung aber nicht für eine gerechte Bezahlung

Interview mit
einer Kindheitspädagogin

Für die viel
gelobten „systemrelevanten Berufe“ gab es bisher nicht viel mehr
als ein bisschen müden Applaus vom Balkon oder aus Merkels
Homeoffice. Wir sprachen mit Clara (Name von der Redaktion geändert),
einer Kindheitspädagogin aus Berlin, um zu erfahren, was eigentlich
in der Kinderbetreuung abgeht und wie sich ihr Arbeitsalltag durch
Corona verändert hat.

REVO: Hey Clara,
vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns zu sprechen.
Vielleicht kannst du zum Anfang einmal kurz beschreiben, wie die
allgemeine Situation in der Kinderbetreuung so aussieht?

Clara: Gerne! Seit
dem 1. August 2013 hat jedes Kind ab dem vollendeten ersten
Lebensjahr in Deutschland einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz,
der von Kindergärten, Kinderläden und Kindertagespflegepersonen zur
Verfügung gestellt werden soll. Dort werden tausende Kinder
tagtäglich von pädagogischen Fachkräften, welchen, die es noch
werden wollen und Quereinsteiger_Innen betreut, damit sie im sozialen
Miteinander lernen und sich bestmöglich entwickeln können,
Bildungsungleichheiten ausgeglichen werden sollen und Eltern ihren
Erwerbstätigkeiten nachgehen können.

So stellt es die
Theorie jedenfalls dar. Dass es in der Praxis häufig ganz anders
aussieht, wird immer wieder versucht in die Öffentlichkeit zu
tragen. Die Situation für Kinder und Fachkräfte ist oft ziemlich
belastend. Mehr als 90 % mussten in den vergangenen 12 Monaten
zumindest zeitweise mit einer bedenklichen Personalunterdeckung
arbeiten. 94 Prozent der Kitas haben nach Angaben der befragten
Leitungskräfte für unter dreijährige Kinder eine
Fachkraft-Kind-Relation, die hinter der wissenschaftlichen Empfehlung
von 1 zu 3 zurückbleibt. Die Personalsituation in deutschen Kitas
ist also dramatisch. Abstriche bei der Förderung und erhöhte
Haftungsrisiken sind die Folgen.

REVO: Hast du
denn das Gefühl, dass diese Missstände von der Regierung in Angriff
genommen werden?

Da ich davon
praktisch nicht viel merke, habe ich mal im Internet nachgeschaut. In
den Lageberichten auf den Seiten des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend ist die Rede vom lobenswerten Anstieg der
Betreuungszahlen und der auf den Weg gebrachten Gelder und Projekte.

Das, was dort steht,
ist jedoch fernab der tatsächlichen Realität. Mal abgesehen davon,
dass das Augenverschließen vor den Tatsachen schon schlimm genug
ist, spielt dieser Umgang mit der kritischen Situation auch die Lage
der Kinder und Fachkräfte in der frühkindlichen Betreuung extrem
herunter. Diese vorherrschenden Rahmenbedingungen in der
Kinderbetreuung bürgen erhebliche Risiken, da unter anderem das
Empfinden von Stress enorm ansteigt, was die Entwicklung der Kinder
sehr beeinträchtigen kann. Eine individuelle Förderung jedes Kindes
kann unter den derzeitigen Bedingungen in vielen Einrichtungen nicht
gewährleistet werden.

REVO: Deine
Berufsbezeichnung heißt ja genau genommen „Kindertagespflegeperson“.
Was hat es damit auf sich? Sind die Arbeitsbedingungen in diesem
Bereich besser?

Angesichts der
zugespitzten Lage in vielen Kitas ist es für manche Eltern ein
ziemlicher Lichtblick, wenn sie einen Betreuungsplatz bei einer
sogenannten „Kindertagespflegeperson“ erhalten können. In diesem
Modell werden maximal fünf Kinder von einer Person bzw. maximal zehn
Kinder von zwei Kindertagespflegepersonen im Verbund betreut. Im
Vergleich zu Kitas mit bis zu 200 Kindern klingt das sehr harmonisch
und familiär.

Aber auch hier wird
dabei außer Acht gelassen, dass der von frühpädagogischen
Expert_Innen empfohlene Betreuungsschlüssel von Kindern unter drei
Jahren generell bei eins zu drei liegt. Um eine durchgehend
qualitativ hochwertige Bildung und Erziehung zu gewährleisten,
dürften auf eine Tagespflegeperson eigentlich nur drei Kinder
kommen. Da in den meisten Fällen Kindertagespflegepersonen
selbstständig tätig sind, obliegt ihnen die freie Wahl, wie viele
Kinder sie betreuen wollen. Rein theoretisch hätten sie also die
Möglichkeit im Wohle des Kindes zu entscheiden und durch eine
geringere Betreuungszahl eine bestmögliche Entwicklungsumgebung zu
gestalten.

REVO: Doch
vermutlich liegen auch in diesem Sektor Theorie und Praxis weit
auseinander richtig?

Genau, das wollte
ich auch gerade sagen (lacht). Kindertagespflegepersonen werden in
Berlin nicht nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt, sondern
pro Betreuungsplatz, den das Jugendamt durch sie an Familien
vermitteln kann. Das Einkommen, welches wir aus unserer
selbstständigen Tätigkeit gewinnen, ist also davon abhängig, wie
viele Kinder wir betreuen. Für ein Kind, welches bis zu sieben
Stunden in einer Kindertagespflege betreut wird, wird in Berlin ein
„Betreuungsentgelt“ von 467€ gezahlt. Seit dem 1.01.2019
wird zusätzlich pro Kind und Monat ein Betrag von 46€ ausgezahlt,
um die pädagogische Vor- und Nachbearbeitungszeit zu entlohnen.
Hinzu kommen noch 220€ „Sachkostenpauschale“ pro Kind,
welche für die Verpflegung, Materialbeschaffung und anderweitige
Ausgaben zur Verfügung stehen, aber nicht als Gehalt gerechnet
werden können.

So beträgt also das
Gehalt für eine Kindertagespflegeperson in Berlin, welche 5 Kinder
von Montag bis Freitag jeweils 7 Stunden betreut 2565€ (brutto).
Bei einer reinen Betreuungszeit von 35 Stunden pro Woche würde das
einem Stundenlohn von 16,65€ entsprechen. Zieht man nun noch
Steuern und Beiträge für die Sozialversicherungen ab, bleibt ein
Netto-Gehalt von 1586,58€.

Eine
Kindertagespflegeperson ist aber neben der Bildung und Erziehung der
ihr anvertrauten Kinder, was die Entwicklungsdokumentation und das
Vorbereiten und Durchführen von Elterngesprächen beinhaltet, auch
für den Einkauf, das Kochen, das Putzen und die Buchhaltung
zuständig. Diese Aufgaben können nicht parallel zur Kinderbetreuung
durchgeführt werden und müssen in der Vor- und Nachbereitungszeit
bewerkstelligt werden. Diese findet aber nur in geringem Maße
Berücksichtigung in der Bemessung der Entgelte. Würde man die
Rechnung nun, unter Beachtung der zusätzlich anfallenden Aufgaben
und dem damit einhergehenden Zeitaufwand von mindestens 5 Stunden pro
Woche berechnen, ergäbe sich ein Brutto-Stundenlohn von ca. 14,57€.

In Berlin werden die
Kindertagespflegepersonen dazu angehalten, vorrangig Kinder im Alter
von 0-3 zu betreuen. Der Bedarf an Pflege, Hilfestellung und
Zuwendung ist in diesem Entwicklungsabschnitt der Kinder besonders
hoch, daher empfehlen Expert_Innen schon den bereits erwähnten
Betreuungsschlüssel von eins zu drei einzuhalten. So kann jedem Kind
die nötige Zuwendung entgegen gebracht, eine stabile Beziehung
aufgebaut und eine Atmosphäre geschaffen werden, welche das Kind in
seinen Entwicklungsprozessen anregt aber nicht überreizt. Würden
wir uns jedoch tatsächlich an diesen Vorgaben orientieren und nur
drei Kinder betreuen, läge unser Bruttogehalt bei 1536€ und damit
unser Stundenlohn bei 8,73€, denn nur die Anzahl der betreuten
Kinder ändert eben nicht die Anzahl der Wochenstunden. Unser
Nettogehalt betrüge dann circa 943€.

REVO: Ihr habt
also die Wahl zwischen guter Betreuung oder einem Gehalt, mit dem ihr
eure Miete bezahlen könnt?

Genauso ist es. Uns
bleibt die Wahl zwischen der Sicherstellung einer durchgängig guten
Betreuungsqualität unter eigenen hohen finanziellen Einbußen am
Rande des Existenzminimums oder der Arbeit unter prekären
Bedingungen für die Entwicklung der Kinder bzw. der eigenen
psychischen Gesundheit in Folge eines hohen Betreuungsschlüssels,
aber dafür mehr Geld.

Bestimmt gibt es
Kindertagespflegepersonen, die die persönlichen Ressourcen mit sich
bringen, auch 5 Kindern eine fördernde und Sicherheit gebende
Betreuung zu bieten. Doch das darf aber nicht Grundvoraussetzung für
alle sein. Es sollte jeder Kindertagespflegeperson möglich sein, für
sich selbst und im Sinne der ihr anvertrauten Kinder zu entscheiden,
welche Gruppengröße möglich und förderlich ist, sodass das Wohl
des Kindes stets im Hauptfokus ihrer Arbeit stehen kann. Das ist aber
nur möglich, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen so gestaltet
sind, dass ihre materielle Existenz ab einer Betreuungsanzahl von
drei Kindern gut abgesichert ist. Dann könnte jede
Kindertagespflegeperson im eigenen Ermessen entscheiden, ob die
Gruppe der Größe durch einen zusätzlichen Platz erweitert werden
kann oder nicht, ohne den Druck ihrer eigenen Existenzgrundlage im
Nacken zu haben.

Neben den prekären
finanziellen Rahmenbedingungen kommt hinzu, dass
Kindertagespflegepersonen nicht durch einen Träger geschützt
werden. So kam es letztes Jahr zu Existenzängsten und vielen
Diskussionen in Folge unerwarteter Steuernachzahlungen. Auch sollte
im Zuge des „Guten-Kita-Gesetzes“ seit Anfang des Jahres
unser Gehalt erhöht werden. Doch existieren bis heute keine näheren
Angaben über die Gehaltserhöhung.

REVO: Wie hat
sich euer Arbeitsalltag seit der Corona-Pandemie verändert?

Im Zuge der Pandemie
haben wir noch einmal deutlich gemerkt, welchen gesellschaftlichen
Stellenwert wir haben. Als die ersten Schul- und Kitaschließungen
bekannt gegeben wurden, sollten wir noch weiterhin offen bleiben. Die
offizielle Begründung war, dass das Ansteckungsrisiko ja relativ
gering sei, da nur maximal 5 Kinder von einer Person betreut werden.
Abgesehen davon, dass auch hier ein enormer Pool an Kontaktpersonen
hinzu kommt, gibt es eben auch Großtagespflegestellen, in denen bis
zu 10 Kindern von zwei Fachkräften betreut werden. Es wurde ein
offener Brief an die Berliner Bildungssenatorin Scheeres verfasst, um
die Forderungen nach Gesundheitsschutz zu kommunizieren und eine
Schließung der Kindertagespflegestellen erreicht.

Bei vielen von uns
herrscht jedoch weiterhin eine große Unsicherheit. Aufgrund der
Selbstständigkeit ist unklar, in welchem Maße die Bezahlung in den
nächsten Wochen und Monaten vom Senat gestaltet wird. Bis jetzt
liegen noch keine Informationen dazu vor. Obwohl noch unklar ist, ob
wir weiter Lohn erhalten, kam relativ schnell der Aufruf eine
Notbetreuung anzubieten.

Dass es in diesen
Zeiten ohne Solidarität und Notfalllösungen nicht geht, steht außer
Frage. Aber einer Berufsgruppe, welche immer wieder zurück stecken
muss, nun noch einmal zu zeigen, dass sie als billige
Leistungsbringer gesehen werden, ist einfach nicht haltbar. Die
meisten der Kindertagespflegepersonen sind Frauen, deren Situation
durch diesen Umgang noch weiter prekarisiert wird und auch der Anteil
zur Risikogruppe gehörenden Fachkräfte ist nicht zu unterschätzen.
Viele der Tagespflegepersonen machen ihren Job Tag für Tag, ärgern
sich über einen geringen Lohn und machen trotzdem weiter – den
Kindern zu Liebe! Jetzt werden sie nur dürftig mit Informationen zu
ihrer eigenen Situation versorgt, sollen aber weiterhin das System
mit am Laufen halten.

REVO: Hast du
schon versucht etwas mit deinen Kolleg_Innen gegen diese schlimmen
Bedingungen zu unternehmen?

Ich habe mich mit
einigen dazu ausgetauscht und letztes Jahr waren wir bei
Demonstrationen, um gegen die hohen Steuerrückzahlungen zu
protestieren. Auch nutzen wir immer wieder offene Briefe, um unsere
Anliegen auszudrücken. Aber zu diesen Aktionen kommt es meistens nur
in akuten Fällen, die das Fass zum Überlaufen bringen.
Gewerkschaftlich ist unsere Arbeitsgruppe, glaube ich, nicht so stark
vertreten, da wir ja als Selbstständige zählen. Es gibt jedoch
einige Vereine und Verbände, die versuchen die Arbeitsbedingungen
generell zu verbessern und das Ansehen der Tagespflegepersonen zu
stärken.




Azubis und junge Arbeiter_Innen sind die ersten Opfer der Wirtschaftskrise.

Ronja Keller

Kenne deine Rechte!

Schon vorher hat es sich
abgezeichnet, seit dem dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist es
amtlich: die Wirtschaft in Deutschland gerät in eine massive
Rezession: Geschäfte und Restaurants wurden geschlossen,
Veranstaltungen wurden abgesagt. Für viele Arbeiter_Innen in
Deutschland werden die Arbeitsplätze geschlossen, vielen wird
Kurzarbeit angeordnet oder sie werden sogar entlassen, was hohe
Einkommensverluste mit sich bringt. Die nächste Krise steht bevor
und mit ihr Angriffe auf Arbeiter_Innenrechte. Besonders treffen
diese Angriffe uns Jugendliche und junge Menschen, denn wir sind die,
die als Minijober_innen, Auszubildenden oder Werkstudierenden
arbeiten und somit die ersten, denen gekündigt wird. Oft haben wir
begrenzte Arbeitsverträge und sind meist auch noch nicht allzu lang
in Unternehmen angestellt. Das macht es Unternehmer_Innen leichter,
uns schneller zu entlassen. Diese Entlassungen und Einschränkungen
in unseren Rechten lassen wir uns nicht so einfach bieten! Deshalb
haben wir hier ein paar Tipps, wie du dich gegen solche Angriffe
wehren kannst und welche Rechte du hast.

Was ist eigentlich
Kurzarbeit?

Bei Kurzarbeit werden die
Arbeitszeit sowie der Lohn heruntergesetzt oder komplett ausgesetzt.
Das Arbeitsverhältnis bleibt aber erhalten. Das
Kurzarbeiter_Innengeld wird dabei vom Staat gezahlt und beträgt in
der Regel 60 % des Vollzeitlohns. Ein Recht auf dieses Geld haben
allerdings nur Erwerbstätige, die auch in die
Arbeitslosenversicherung einzahlen. Praktisch heißt das, dass
Werkstudierende, Scheinselbstsständige, Honorarkräfte und
Minijobber_innen in der Regel keine Kohle bekommen, denn mit einem
450 Euro Job zahlt man normalerweise keine Beiträge in die
Arbeitslosenversicherung.

Was tun, wenn
Kurzarbeit angeordnet wird?

Für sogenannte
„Normal-Beschäftigte“ gilt, dass Arbeitgeber_Innen Kurzarbeit
nicht einseitig anordnen dürfen. Der Betriebs- oder Personalrat muss
zustimmen. Wenn es solche Räte nicht gibt, braucht es die Zustimmung
der jeweiligen Arbeiter_Innen. Es kann aber auch sein, dass die
Zustimmung bereits im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Dann braucht
es keine Zustimmung mehr. Wenn ihr einen Betriebsrat habt, sprecht
ihn an, damit dieser nicht gegen euren Willen für euch Kurzarbeit
einwilligt. Stimmt individuell der Kurzarbeit nicht zu! Dann kann
zwar eine Änderungskündigung drohen, aber ihr seid vorerst für
mindestens 4 Wochen finanziell abgesichert. So gewinnt ihr Zeit und
könnt euch immer noch nach Alternativen umschauen. Generell gilt
immer: Nichts unterschreiben ohne rechtlichen Rat!

Als Werkstudierende_r
oder Minijobber_in solltet ihr vom Betriebsrat fordern, dass er für
nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigte der Kurzarbeit
nicht zustimmt. Denn dann besteht zunächst das Recht weiter
beschäftigt und auch dementsprechend bezahlt zu werden. Solange
Arbeitnehmer_Innen ihre Arbeitskraft anbieten, haben sie nämlich das
Recht auf Beschäftigung und Bezahlung des Lohns, auch wenn der
Arbeitgeber die Arbeitskraft nicht annimmt.

Was gilt für
Auszubildende?

Normalerweise bekommen
Auszubildende kein Kurzarbeiter_Innengeld, denn der
Ausbildungsbetrieb ist verpflichtet alles zu tun, um die Ausbildung
weiterhin zu gewährleisten. Dabei darf der Betrieb den
Ausbildungsplan umstrukturieren. Die Ausbildungsvergütung darf nicht
gekürzt werden! Wenn der Betrieb keine Mittel mehr sieht, um die
Ausbildung aufrecht zu erhalten, kann ein Ausfall der Ausbildung in
Frage kommen. Diese Option ist aber das aller letzte Mittel. Wenn es
so weit kommt, haben betroffene Auszubildende Anspruch auf Zahlung
der vollen Ausbildungsvergütung für mindestens sechs Wochen. Nach
Ablauf dieser sechs Wochen können sie ausnahmsweise auch Kurzarbeit
beziehen.

Werden Auszubildende
nicht oder nur mangelhaft ausgebildet, besteht auch ein Anspruch auf
Schadensersatz gegenüber dem Ausbildungsbetrieb. Ausgefallene
Ausbildungsinhalte sollten deshalb unbedingt im Berichtsheft vermerkt
werden! Außerdem kann die Ausbildungseignung des Betriebs
entfallen, wenn dieser während einer anhaltenden Krise zum Erliegen
kommt. Dann sind der Arbeitgeber, die Industrie- und Handelskammer
(IHK) und die Arbeitsagentur verpflichtet, einen anderen
Ausbildungsbetrieb zu suchen. Wenn der Betrieb schließt aber
gleichzeitig die Ausbildungseignung nicht entfällt, dürfen in
Ausnahmefällen Azubis nach Hause geschickt werden. Doch auch hier
muss die Vergütung weitergezahlt werden. Zuhause bleiben darf man
aus Angst vor dem Virus nicht. Aber der Betrieb ist zumindest
verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um für die Gesundheit der
Beschäftigten zu sorgen(Desinfektionsmittel, Masken, usw.).

Doch was ist, wenn die
Berufsschule geschlossen hat? Bietet deine Berufsschule online
Unterricht an, muss sie oder der Ausbildungsbetrieb die Mittel dafür
(Endgeräte, Programme, …) zur Verfügung stellen. Die Verschiebung
oder den Ausfall von Prüfungen regelt die IHK. Normalerweise ändert
sich dabei nichts an deinem Ausbildungsvertrag außer die Prüfung
wird soweit verschoben, dass sie über den Zeitraum deines
Ausbildungsvertrages hinaus geht. Dann solltest du einen Antrag auf
Verlängerung der Ausbildungszeit stellen.

Zur Übernahmegarantie
bleiben tarifvertragliche Regelungen weiter bestehen, wenn keine
neuen Vereinbarungen im Betrieb getroffen wurden. Dazu ist es
hilfreich sich beim Betriebsrat zu erkundigen!
Übernahmevereinbarungen, die in den letzten 6 Monaten vor Ende der
Ausbildung geschlossen wurden, behalten ihre Wirksamkeit – auch
wenn diese nur mündlich waren!

Darf mir Zwangsurlaub
angeordnet werden?

Auszubildende können
nicht so einfach in Zwangsurlaub geschickt werden, denn Urlaub muss
beantragt werden und darf nicht angeordnet werden. Das gleiche gilt
für Abbau von Überstunden, soweit nichts anderes mit dem
Betriebsrat vereinbart wurde.

Was tun, wenn mir
Mehrarbeit verordnet wird?

Im Sozialschutzpaket zur
Abmilderung der Auswirkungen des Corona-Virus hat die Bundesregierung
massive Einschnitte in die Arbeitszeitbeschränkungen von
Arbeiter_Innen in sogenannten „systemrelevanten Jobs“
vorgenommen. Die tägliche und wöchentliche zulässige Arbeitszeit
wird auf 12 und 60! Stunden angehoben, Ruhezeiten werden verkürzt
und der Anspruch auf Ersatzruhetage von einem Zeitraum von 2 auf 8
Wochen verlängert.

Wenn dir diese Mehrarbeit
verordnet wird, wehre dich dagegen, sprich dich mit deinem
Betriebsrat ab, wie ihr dagegen vorgehen könnt.

Wenn du unter 18 bist,
dann fällst du unter das Jugendarbeitsschutzgesetz. Diese Form der
Mehrarbeit darf dir dann nicht verordnet werden. Arbeitgeber_Innen
drohen hohe Geldstrafen bei Missachtung. Mach sie ruhig darauf
aufmerksam, wenn sie dich zwingen wollen, länger zu machen.

Was tun, wenn die
Kündigung kommt?

Generell gilt immer, dass
die Kündigung schriftlich (nicht per Mail) sein muss. Außerhalb der
Probezeit gilt eine Frist von mindestens 4 Wochen zum Monatsende oder
zur Monatsmitte, in Probezeiten eine Frist von 2 Wochen. Wenn du in
einem Betrieb mit mindestens 10 Vollzeitarbeitnehmer_Innen über 6
Monate beschäftigt bist, gilt das Kündigungsschutzgesetz. Das
heißt, eine Kündigung muss begründet werden und es muss eine
soziale Auswahl also eine Abwägung zwischen der Schutzbedürftigkeit
verschiedener Arbeitnehmer_Innen erfolgen. Bei betriebsbedingten
Kündigungen kann es einen Anspruch auf Abfindung geben, welcher sich
an der Dauer der Beschäftigung orientiert.

Kann Corona ein
Kündigungsgrund sein? Für eine Kündigung braucht es sachliche
Gründe. Das Coronavirus ist aktuell kein Grund für eine Kündigung.
Das Unternehmen darf nicht einfach so auf Vorrat kündigen, nur weil
beispielsweise der Absatz sinkt. Bei einer Stilllegung des Betriebs
ist eine betriebsbedingte Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn
der_die Unternehmer_in nicht mehr in der Lage ist, die Produktion /
Dienstleistung fortzusetzen (z.B. wegen Kündigung von Pachtverträgen
oder Verkauf von Maschinen). Bei einer Infizierung mit dem
Coronavirus ist eine Kündigung auf keinen Fall rechtens. Wenn man
aber fürchtet, sich im Betrieb zu infizieren und deswegen von der
Arbeit fernbleibt, riskiert man eine verhaltensbedingte Kündigung.

Falls es zu einer
Kündigung kommt, heißt es, schnell reagieren und die Kündigung
durch die Gewerkschaft oder einen Anwalt prüfen lassen! Wenn ihr
dagegen vorgehen wollt, müsst ihr innerhalb von 3 Wochen beim
Arbeitsgericht die Klage einreichen.

Wir müssen für
unsere Rechte kämpfen!

Minijobber_Innen und
Werkstudierende haben keinen Anspruch auf Kurzarbeiter_Innengeld und
können momentan gleich gekündigt werden. Prüfungen für
Auszubildende werden verschoben oder fallen aus ohne jegliche
Mitsprache von ihnen. Das Arbeitsrecht für Jugendliche ist eh schon
unzureichend. Dennoch schrecken die Kapitalist_Innen nicht zurück,
sie weiter zu beschneiden. Uns wird niemand was schenken, deshalb
müssen wir unsere hart erkämpften Rechte verteidigen und ausweiten
Wir dürfen uns nicht in die Rolle passiver Zuschauer_Innen drängen
lassen, die nur zusehen, wie ihnen nach und nach Rechte beschnitten
werden.

Deshalb müssen wir in
den bereits vorhandenen Gremien wie Jugend- und
Auszubildendenvertretungen unsere Forderungen herantragen. Es wird
zwar momentan davon abgeraten Jugend- und Auszubildendenversammlungen
durchzuführen und empfohlen, die Termine zu verschieben. Diese
Versammlung ist allerdings ein wichtiges Gremium für die Vertretung
aller Auszubildenden und sollte deshalb nicht einfach runtergefahren
werden. Wenn die Versammlung nicht normal zusammenkommen kann, ist es
immer noch möglich, sie online durchzuführen. In den Jugend- und
Auszubildendenvertretungen sollte demokratisch bestimmt werden, wie
produziert wird und welche Maßnahmen in der Corona-Krise im Betrieb
für alle Auszubildenden und junge Beschäftigte getroffen werden
sollen.

Da wir als Jugendliche
allein nicht genügend Einfluss haben, um über die ganze Produktion
zu bestimmen, müssen wir auch gemeinsam eine Verbindung zur
Arbeiter_Innenklasse schaffen und gemeinsam gegen die Angriffe der
Kapitalist_Innen kämpfen und zwar durch Organisation und
Massenstreiks. Die Gewerkschaftsführungen haben aktuell nur
„Burgfriedenspolitik“ und den nationalen Schulterschluss mit den
Kapitalist_Innen anzubieten und brauchen Druck aus der Basis (Revo
berichtete:
http://onesolutionrevolution.de/linke-politik-in-der-pandemie-teil-1%ef%bb%bf/)
Denn wenn wir sicherstellen wollen, dass Millionen keinen Lohn- und
Einkommensverlust erleiden, dann werden wir kämpfen müssen. Wir
brauchen Organisierung und gemeinsame Streiks zur Verteidigung
unserer Interessen. Wir benötigen Kampforgane wie Aktionskomitees
und Organe der Arbeiter_Innenkontrolle, die demokratisch legitimiert
und ihrer Basis rechenschaftspflichtig sind. Wir müssen den
Gewerkschaften Druck machen, sich für einen betriebsübergreifenden
Arbeitskampf und politische Streiks einzusetzen.

Unsere Forderungen für
jugendliche Lohnabhängige

  • Lohnfortzahlung
    für alle Beschäftigten und zwar aus den Profiten der Unternehmen
    statt Kurzarbeiter_Innengeld
  • Entlassungsverbote
    und Übernahmegarantie für alle Auszubildenden
  • Keine Aussetzung der
    Arbeiter_Innenrechte durch Erlasse und Selbstermächtigung von
    Unternehmen durch Anordnung von Mehrarbeit, Home-Office,
    Wochenendarbeit, Versetzung und Zwangsurlaub
  • Stattdessen mehr
    Kontrollausschüsse in den Unternehmen
  • Aussetzung aller
    Miet- und Kreditzahlungen für alle Auszubildenden, Studierenden und
    sonstige Lohnabhängige.
  • Verteidigung des
    Streik-, Versammlungs- und Demonstrationsrecht
  • Für das Recht auf
    politische Streiks,
  • Für die
    Organisierung von flächendeckenden Streiks gegen die aktuellen
    Angriffe auf die Arbeitszeitregelungen
  • Demokratische
    Abstimmung der Auszubildenden in Auszubildendenvertretungen über
    den weiteren Verlauf ihrer Ausbildung und Verschiebungen von
    Prüfungen



Linke Politik in der Pandemie?! (TEIL 1)

Florian Hiller

In
einem anderen Artikel haben wir bereits die Gefahren analysiert, wie
rechte Parteien und faschistische Strukturen die Corona-Krise für
sich nutzen könnten. Pünktlich zum 1. Mai, dem internationalen
Kampftag der Arbeiter_Innenklasse, startet nun unsere Artikelreihe
zum Thema linke Politik in Zeiten von Corona. In 3 Teilen wollen wir
untersuchen, welche Fragen sich welche Teile der Linken stellen, was
sie fordern und wie sie ihre Forderungen umsetzen. Los geht es heute
mit dem 1. Teil zum Thema Gewerkschaftspolitik.

Was
macht die Klasse?

Die
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland sind noch nicht ganz
zu erfassen. Die aktuellste Erhebung der Arbeitslosenzahl geht auf
den 12. März zurück, also bevor in Deutschland das Corona-Virus so
stark ausbrach. Fest steht allerdings bereits, welche Maßnahmen
ergriffen werden: Die Bundesregierung setzt, wie schon bei der
Finanzkrise ab 2008/2009, auf Kurzarbeit. Das bedeutet, dass der_die
Arbeiter_In nur noch maximal 67% ihres Gehalts bekommt, nach einer
neuen Regelung erhöht sich der Prozentsatz aber nach 4 Monaten auf
77 % und nach 7 Monaten auf 80% . Zum 14. April haben bereits 725.000
Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Das sind jetzt schon 30 mal so viel
wie 2009. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass es im Verlauf dieses
Jahres auch zu Massenentlassungen kommen kann. Wer sich davon ein
Bild machen möchte, schaue auf die Zahlen der USA. Dort haben
innerhalb von einem Monat mehr als 26 Millionen Menschen ihren Job
verloren. Das sollte uns aber nicht zu dem Gedanken verleiten lassen,
in Deutschland würde, anders als in den USA, im Sinne der
Arbeiter_Innenklasse gehandelt werden. Das Kurzarbeiter_Innengeld
wird ebenso wie die Finanzhilfe für klamme Unternehmen über
Arbeitslosenversicherung bzw. Steuern finanziert – die Kosten also
überwiegend auf die ArbeiterInnenklasse und Mittelschichten
abgewälzt.
Während viele Arbeiter_Innen aufgrund von
Lohneinbußen um ihre Existenz bangen, lockerte die Bundesregierung
das Arbeitsschutzgesetz damit Unternehmen ihre Arbeiter_Innen länger
zur Arbeit zwingen können. Dabei soll nicht nur die
Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche
angehoben werden, sondern gleichzeitig die Ruhezeit von 11 auf 9
Stunden verkürzt werden. Besonders unterdrückte Teile unserer
Klasse wie Frauen, Migrant_Innen, LGBTIA und Jugendliche sind noch
zusätzlich von den Folgen betroffen. So sind wir häufig die ersten
die entlassen oder in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gezwungen
werden. Auch müssen wir die aktuell besonders sichtbaren akuten
Mängel im Gesundheitssystem als Angriffe auf unsere Klasse
verstehen, da dieses über Jahrzehnte hinweg zu Spottpreisen an
private Investor_Innen verkauft wurde. Ebenso trägt die Tatsache,
dass beispielsweise Schulen wieder eröffnet werden sollen aber das
Demonstrationsrecht weiter eingeschränkt bleibt, einen klaren
Klassencharakter, da uns hier Rechte genommen werden, die sich die
Arbeiter_Innenklasse lange erkämpfen musste, während gleichzeitig
Unternehmensprofite über unsere Gesundheit gestellt werden.

Sozialpartnerschaft,
Standortnationalismus und rassistische Ausgrenzung

Damit
sind nur die schärfsten Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse
genannt. Angesichts der Situation müssten doch diejenigen, die die
Arbeiter_Innenklasse vertreten wollen, laut aufschreien –

angefangen
mit den Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)
verkündetet bereits Mitte März: „Die
Sozialpartner stellen gemeinsame Verantwortung in der Coronakrise
über Differenzen“. Diese Aussage klingt erst einmal ganz nett aber
zeigt bei genauerem Hinschauen sein wahres Gesicht: Im Klartext
bedeutet das nämlich, dass sich die Gewerkschaften (als einer von 2
Sozialpartnern) nicht gegen die geplanten Angriffe der Unternehmen
(dem anderen Sozialpartner) wehren werden und alles hinnehmen,
solange es nur dem ach so tollen Wirtschaftsstandort Deutschland
nutzt. Ganz in diesem Sinne wirkt die Internetseite des DGB eher wie
ein Informationsportal, das die kommenden Einschnitte für
Arbeiter_Innen erklärt, aber nicht wie ein Sprachrohr für eine
kämpferische Arbeiter_Innenklasse. Sozialpartnerschaft bedeutet
also, dass die „Arbeitnehmer_Innen“ gemeinsam mit den
„Arbeitgeber_Innen“ als Sozialpartner kooperativ Entscheidungen
treffen. Was als Stütze einer sozialen Politik verkauft wird, führt
letztendlich vor allem dazu, dass die Klassengegensätze verschleiert
werden. Die einen entlassen, um Kosten einzusparen, die anderen
lassen es mit sich machen. Unterdrücker_In und Unterdrückten wird
ein gemeinsames Interesse zugeschrieben, so auch jetzt, wenn davon
gesprochen wird, dass wir vor Corona alle gleicht wären und wir
gemeinsam (gemeinsam endet dabei auch an den Nationalstaatsgrenzen)
durch diese Krise gehen müssen. Diese Politik wird auch als
„Burgfriedenpolitik“ bezeichnet. Der Begriff entstand im 1.
Weltkrieg, als die Regierung die Bevölkerung davon überzeugen
wollte, dass Sie in den Krieg ziehen müsste, um das „Vaterland“
zu verteidigen. Bis auf den linken Teil um Karl Liebknecht und Rosa
Luxemburg, schloss sich die SPD damals dieser nationalistischen
Politik an und sprach auch damals von einem „gemeinsamen
Interesse“, das vor die Differenzen gestellt werden muss.
Belege
dafür, dass es aktuell vor allem um die Interessen der Unternehmen
geht, gibt es genug (wie bereits im ersten Teil beschrieben):
Kurzarbeiter_Innengeld, 12-Stunden-Tag, aber auch viele andere
Probleme, die damit einhergehen, wie zum Beispiel die Frage wie
Geringverdiener_Innen ihre Miete in Zukunft zahlen sollen.
Die
IG Metall feiert sich derweil, dass sie die Erhöhung des
Kurzarbeiter_Innengeldes mit ausgehandelt hat. Wie mit dem Loch in
der Arbeitslosenversicherung, das dadurch entsteht, umgegangen werden
soll, wird dabei jedoch nicht geäußert.
Aber nicht nur, dass
die Gewerkschaften ungenügend auf die Angriffe durch die
„Corona-Maßnahmen“ reagieren, werden auch andere Kämpfe, die
schon vor Corona liefen, ausgesetzt. In der Automobilbranche sind
nämlich schon seit letztem Jahr Arbeitsplätze bedroht. Darüber
sollte auch in der aktuellen Tarifrunde gesprochen werden, diese
wurden jetzt aber abgesagt.
Die Niederlegung von Streiks und
Tarifverhandlungen trifft auch andere Branchen, wie zum Beispiel die
Arbeiter_Innen aus der Ernährungsindustrie in Sachsen, die zuletzt
Aufmerksamkeit erregten, weil sie zum ersten Mal seit der Wende
streikten, um für einen gleichen Lohn für die Beschäftigten im
Osten zu kämpfen. In Betrieben im Westen verdienen Menschen für die
gleiche Arbeit bis zu 760€ mehr im Monat. Alle Arbeitskämpfe
wurden nun abgesagt.
Auch abgesagt wurden alle Veranstaltungen
vom DGB zum 1. Mai. Was auf den ersten Blick als Aufgabe des
wichtigsten Kampftages der Arbeiter_Innenklasse erscheint, ist
letztendlich nur konsequent. Von Klassenpolitik haben sich die
Gewerkschaften, aber auch SPD und die Linke sowieso schon lange
verabschiedet. Bierzeltpartys müssen nun wirklich nicht sein in der
aktuellen Situation. Für alle anderen, die diesen Tag nutzen wollen,
um für die Arbeiter_Innenklasse zu kämpfen, ist dies natürlich
eine traurige Entscheidung.

Klassenkampf
ist möglich!

Dass
es auch anders gehen kann zeigen Beispiele in Italien. Nachdem die
Regierung verkündete, dass alle Firmen schließen sollen, die nicht
„systemrelevant“ seien, kam es in einigen Fabriken zum Streik.
Denn das Label „systemrelevant“ wurde hier sehr großzügig im
Interesse der Kapitalist_Innen verliehen, sodass ArbeiterInnen aus
der Metall- und Chemieindustrie zum Streik aufriefen, unterstützt
von den Gewerkschaften.
Auch in Spanien kam es zu ähnlichen
Situationen. Dort legten 5000 Arbeiter_Innen eines Mercedes-Werks die
Arbeit nieder, um die Schließung zu erzwingen. Währenddessen riefen
auch Mieter_Innengewerkschaften zum Streik gegen fehlende
Notmaßnahmen der sozialdemokratischen Regierung auf.
Das zeigt
auch, dass Hoffnungen auf anhaltende Verbesserungen durch Reformen
von Sozialdemokrat_Innen und Linkspopulist_Innen vergeblich sind, da
sie letztendlich der Profitlogik eines globalisierten Kapitalismus
nicht entkommen können.

Für
einen konsequenten Internationalismus!

Was
all den linken Kräften besonders fehlt ist ein
internationalistischer Standpunkt. Wenn nun viel von „wachsender
Solidarität“ gesprochen wird, z.B wenn alle Parteien gemeinsam
hinter dem Corona-Paket stehen, wird oft vergessen, dass eine
wachsende Solidarität innerhalb eines Nationalstaats auch schnell
mit wachsender Ausgrenzung gegenüber Nicht-Staatsbürgern
einhergeht. Der Begriff der „Burgfriedenpolitik“ entstand ja auch
während des Weltkrieges, dort war auch eine wachsende Solidarität
innerhalb Deutschlands zu beobachten. Ein Zusammenhalten gegen den
äußeren Feind. Auch bei der Bekämpfung von Corona passiert genau
das: Grenzen werden geschlossen, jeder Staat probiert für sich
bestmöglich die gesundheitlichen Folgen der Bevölkerung, aber vor
allem die wirtschaftlichen Folgen für die nationale Bourgeoisie,
abzuwehren. Daran droht aktuell auch das Projekt der Europäischen
Union weiter zu zerfallen. Dazu kommt die verheerende Situation in
den Geflüchtetenlagern in Griechenland. Noch vor der Corona-Pandemie
war dies ein großes Thema. Obwohl es gerade jetzt noch deutlich
wichtiger geworden ist, die Camps zu evakuieren, wird das Thema kaum
von den Gewerkschaften angesprochen. Klassenkämpferische Politik
sollte sich aber auch nicht nur auf Europa beschränken, sondern auch
die weltweiten Folgen der Pandemie analysieren. Auch wenn der
befürchtete schwere Ausbruch in den meisten halbkolonialen Ländern
bisher ausgeblieben ist, heißt das nicht, dass sie die Pandemie
nicht trotzdem hart treffen wird. Krisen treffen im Kapitalismus
immer die wirtschaftlich schwachen, das gilt nicht nur innerhalb
eines Staates, sondern auch weltweit. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen werden deshalb besonders halbkoloniale Länder treffen
und zu einem starken Anstieg von an Hunger leidenden Menschen führen.
Hierzu braucht es eine internationale Vernetzung der
Gewerkschaftsbewegung und gemeinsame Forderungen!

Konzerne
Enteignen und unter ArbeiterInnenkontrolle!

Wenn
Linken-Vorsitzende Katja Kipping vom „sozialen Fortschritt“ durch
das „Corona-Paket“ spricht, dann meint sie vielleicht
auch die wachsende Möglichkeit Firmen, die jetzt in Probleme
geraten, zu verstaatlichen. In Anbetracht der starken
Privatisierungen der letzten Jahre, die uns ja gerade die Probleme im
Gesundheitssystem gebracht haben, kann wirklich von Potentialen für
einen „sozialen Fortschritt“ gesprochen werden. Dabei muss aber
auch beachtet werden, dass das nicht bedeutet, dass sich das
verstaatlichte Unternehmen komplett der Profitlogik des Kapitalismus
entziehen kann. Der Staat kann das
Kapitalismus-Game genauso gut spielen wie ein privater Konzern.
Außerdem kann es nach der Corona-Krise
auch schnell wieder zu einer Welle von Privatisierungen kommen „um
die Wirtschaft zu stärken“. Den Kapitalist_Innen wird dann
eigentlich nur geholfen durch die Krise zu kommen, um ihnen
anschließend wieder zum Profit zu helfen. Deshalb muss die
Verstaatlichung auch immer mit der Frage der Arbeiter_Innenkontrolle
verbunden werden. Zum Einen, damit die Arbeiter_Innen gemeinsam die
Vergesellschaftung verteidigen können. Zum Anderen können sie sich
so organisieren, um letztendlich wirklich eine Produktion für die
Bedürfnisse aller Menschen und nicht nur zum Profit einer Minderheit
zu erkämpfen. Um das zu erreichen, müssen sich die kontrollierten
Firmen untereinander vernetzen, um die Revolution im ganzen Staat und
letztlich international auszuweiten. Dazu braucht es eine
kämpferische Gewerkschaftspolitik, die, gemeinsam mit einer
revolutionären Partei, den Kampf gegen das Kapital organisiert.