Warum Ziviler Ungehorsam nicht radikal ist.

Aktualisierung aus Juni 2024

Am 29. Juni mobilisieren nun ein Großteil der Kräfte der politischen Linken nach Essen um den Bundesparteitag der AfD zu stören, sich diesem zu widersetzen. Dabei beruft sich die Kampange “widersetzen” auf das Konzept des “Zivilen Ungehorsams”. Wir als Revolutionäre freuen uns natürlich über jede:n die:der Widerstand leisten will gegen den immer weiter vorranschreitenden Rechtsruck, welcher sich nun in den Europawahlen nochmal deutlich abgezeichnet hat. Mit Zivilem Ungehorsam befinden sich jene Verbündete unseres Erachtens allerdings in einer Sackgasse, weshalb wir unter diesem ein wenig provokanten Titel unsere 2019 formulierte politische Kritik an diesem Konzept zusammen mit einem Vorschlag wie wir tatsächlich gewinnen können, teilen wollen.

Was ist Ziviler Ungehorsam und woher kommt er?

Ideengeschichtlich wird der Ursprung des Begriffs dem Liberalisten und Selbstverwirklicher Henry D. Thoreau zugeordnet, der im 19. Jahrhundert eine (!) Nacht im Gefängnis verbrachte, da er sich geweigert hatte Steuern zu bezahlen und daraufhin seinen Akt des „zivilen Ungehorsams“ zum politischen Prinzip erklärte. Da-zu schrieb er seinen berühmten Essay „Civil Disobedience“ (auf deutsch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“). Später wurde das Konzept noch von anderen Theoretiker:innen wie Hannah Arendt und Jürgen Habermas aufgegriffen. In der Theorie handelt es sich bei Zivilen Ungehorsam um einen angekündigten Regelübertritt, mit dem man auf einen gesellschaftlichen Missstand aufmerksam machen will. Sobald diese Aufmerksamkeit erzeugt ist, kümmern sich die gesellschaftlichen Mechanismen dann darum, den Missstand zu beheben. Plakatives Beispiel: Eine Gruppe Menschen den Eingangsbereich eines Hotels in dem eine rechtspopulistische Partei eine Tagung hat. Die Menschen werden geräumt und verhaftet aber die Medien und „die Politik“ merken wie wichtig den Menschen der Kampf gegen die Rechten ist und kommen dabei auf den Gedanken, dass sie doch selber härtere Maßnahmen gegen Rechtspopulisten unternehmen sollten. Da es hauptsächlich um die erzeugte Aufmerksamkeit geht, ist es auch nicht notwendig Gewalt dabei einzusetzen, im Gegenteil erscheint es sogar oft als vorteilhaft sich mit „gewaltfrei“ zu labeln, um die Öffentlichkeit leichter auf der eigenen Seite zu halten. In jedem Fall aber ist es nicht vorgesehen, den Staat anzugreifen, da man ja nur durch diesen symbolischen Regelübertritt eine Öffentlichkeit schaffen will und die dafür vorgesehen Strafe sogar akzeptiert. „Im Gegensatz zum Revolutionär“, schreibt dazu der bürgerliche Theoretiker Carl Cohen, „akzeptiert der zivile Gehorsamsverweigerer den Rahmen der bestehenden Autorität und die generelle Rechtmäßigkeit der Rechtsordnung.“ Zu Grunde liegt der ganzen Theorie ein sehr idealistisches Verständnis vom bürgerlichen Staat. Demnach sei dieser eine Art Kompromiss der Interessen seiner „Bürger“, der jedoch nur dann zufriedenstellend gelinge, wenn jedes Individuum den Staat nach seinen eigenen moralischen Vorstellungen zu gestalten versuche. Der Zivile Ungehor-sam bezeichnet dabei den Ausgleich zwischen dem Individuum als Staatsbürger und als moralisches Subjekt: Der:die einzelne Bürger:In soll durch ggf. ungehorsam-es Verhalten den Staat im Sinne der eigenen moralischen Überzeugungen beeinflussen. Somit soll die Staatsgewalt zu einem wahrhaft ausgeglichenen System ergänzt werden.

Was ist daran problematisch?

Es ist wichtig zu verstehen, dass im Kapitalismus die Dinge nicht einfach passieren, weil sie „sinnvoll“ sind. Es wäre sinnvoll niemanden hungern zu lassen, statt 2/3 der Lebensmittel wegzuschmeißen. Es wäre sinnvoll niemanden im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder in Lager zu sperren. Es wäre sinnvoll den Planeten nicht zu zerstören. Die Dinge passieren im Kapitalismus aus genau zwei Gründen: Entweder es bringt Profit oder wir haben es erkämpft. Entweder es liegt im Interesse der herrschenden Klasse oder die Unterdrückten haben es ihnen abgerungen. Warum reden wir jetzt schon wieder davon? Weil es nicht ausreicht, darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht gut ist. Die AfD ist selber nur ein Symptom der kapitalistischen Krise, und der Rechtsruck für weite Teile der Bourgeoisie notwendig um eigene Stellung und Profite zu verteidigen. Es ist auch eine falsche Vorstellung, dass der Staat schon macht was er soll, wenn man es ihm nur sagt. Der Staat steht im Kapitalismus nämlich nicht über den Klasseninteressen, im Gegenteil ist genau er dafür verantwortlich, dass die Herrschaft des Kapitals mit Gewalt aufrecht erhalten und der Widerstand dagegen unterdrückt wird. Wenn wir Freiheit und Gerechtigkeit wollen, müssen wir diesen Staat also kaputt machen und dürfen uns nicht mit Bitten an ihn begnügen.

Was wäre eigentlich radikal?

Radikal heißt die Dinge an der Wurzel packen. Die Wurzel des Rechtsrucks liegt im Kapitalismus und in der kapitalistischen Produktionsweise die zwangsläfig zu Krisen führt. Zur Überwindung dessen, müssen wir die Lohnabhängigen dafür gewinnen, die Kapitalist:innen zu enteignen und die Produktion gemeinsam nach unseren Bedürfnissen und im Sinne des Planeten zu gestalten. Das würde mehr bedeuten als nur einen Missstand im System beheben, der Staat würde sich gegen uns stellen, wir müssten mit allen Mitteln für unsere Freiheit kämpfen. Statt nur Aufmerksamkeit zu erzeugen und uns darauf zu verlassen, dass die Herrschenden handeln werden, müssen wir unsere Ziele erzwingen, durch Streiks, Besetzungen, Enteignungen. Uns fehlen nicht Sitzblockaden vor jedem AfD Landesparteitag, uns fehlt eine Bewegung die in den Schulen und Betrieben in Opposition zu AfD und anderen Rechten geht und für echte Krisenlösungen kämpft. Uns fehlen nicht Sitzblockaden bei jeder rech-ten Demo, uns fehlen antifaschistische Selbstverteidigungsstrukturen die uns vor Gewalt durch Rechte schützen und Rechte Raumnahe aktiv unterbinden. Der Streik trifft dieses System in seinem Herzen, dem Profit. Wo gestreikt wird, kann kein Profit mehr fürs Kapital produziert werden, es wird gezwungen, den Streik zu zerschlagen oder auf unsere Forderungen einzugehen. Gleichzeitig werden wir in die Lage versetzt die Betriebe zu besetzen und auf eine wirklich nachhaltige Art und Weise für uns selbst zu produzieren.

Militant oder gewaltfrei? Kollektiv oder individuell?

So schön es andernfalls auch wäre: Dass der Staat bereit ist, sich regenden Widerstand mit aller Kraft zu zerbrechen, hat er uns oft genug bewiesen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend wie der Protest selbst agiert, auch Sitzblockierer:innen werden mit Schmerzgriffen abtransportiert und im Sichtschutz von Bullenwagen zusammengeschlagen. Wir müssen uns also verteidigen, selbst wenn wir nur grundlegende Rechte wie unsere Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen. Wichtig dabei ist es kollektiv vorzugehen, denn durch Aktionen kollektiver Selbstermächtigung gelangen wir sogar in die Situation, dass große gesellschaftliche Veränderungen wie Enteignungen usw. auf einmal möglich werden. In dieser Hinsicht muss man auch zwischen verschiedenen Akteur:Innen Zivilen Ungehorsams unterscheiden, da Massenaktionen wie Ende Gelände viel mehr Potential haben als individuelle Steuerverwei-gerung.

Führungskrise der Arbeiter:Innenbewegung

Dass Ziviler Ungehorsam für viele so attraktiv ist, hat auch damit zu tun, dass die eigentliche Arbeiter:innenbewegung hier sehr schwach geworden ist und planlos umherirrt. Schlimmer noch, die Führung der Lohnabhängigen, also die Spitzenposten von SPD, Linkspartei und den Gewerkschaften, haben sich mit ihren Privilegien und hohen Gehältern ganz gut eingerichtet mit diesem Schweinesystem und verraten mit ihrer „Sozialpartnerschaft“ ihre Klasse. Das hat aber auch dazu geführt, dass Streiks und andere ursprünglich revolutionäre Kampfformen der Arbeiter:Innenklasse neuen Aktivist:Innen gar nicht mehr so radikal vorkommen und sie sich dem modern wirkenden Zivilen Ungehorsam anschließen. Unser Ziel muss es aber sein, diese Führungskrise mit einem revolutionären Programm aufzuheben, denn die Macht einer organisierten Arbeiter:innenklasse wäre heute größer als je zuvor.

Warum wir trotzdem alle nach Essen fahren müssen!

Große Mobilisierungen sind oft stärkende Momente der dahinterstehenden Bewegung. Die Entschlossenheit, mit der wir bei am letzten Juni Wochenende vorgehen, gibt uns auch die Erfahrung, dass wir Erfolge auch gegen den Staat prinzipiell erreichen können. In der gemeinsamen Tat können wir dabei über unsere verschiedenen Ansätze diskutieren und sie an der Praxis überprüfen. Fahrt also alle mit uns nach Essen am 29.06. nach Essen und lasst uns dieses Zeichen setzen, auch wenn wir nicht dabei stehen bleiben!




Zeit für was Neues? Zeit für eine kämpfende Jugend!

Offener Brief an „Zeit für was neues“/Ex-Grüne Jugend

Liebe Aktivist:innen von “Zeit für was Neues”,

als wir vor einigen Tagen von eurer Entscheidung nicht nur euer Amt als Vorstand der Grünen Jugend niederzulegen, sondern gleich die Grüne Partei zu verlassen hörten, war das sicher eine Überraschung. Doch definitiv ist es eine begrüßenswerte, welche wie wir denken einen richtigen Impuls setzt. Der Bruch mit dem Militarismus, der Abschiebepraxis, Sparpolitik und der Politik gegen den Klimaschutz der Grünen Partei, war ein längst notwendiger Schritt nach links!

Wir als kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION, wollen deshalb mit diesem Schreiben euren wichtigen und richtigen Schritt diskutieren und für die Bündelung der Kampfkraft der Jugend appellieren!

Krise und Rechtsruck

Wie auch ihr in eurer Erklärung (1) darlegt, sehen wir ebenso, dass wir uns in einer Zeit der Krise befinden. Das sieht man z.B. an dem Aufstieg der AfD, welche wie ihr zutreffend darlegt von der Krise der Linken profitiert, da sie sich dadurch als radikale Opposition und Partei „des kleinen Mannes“ inszenieren kann. Aber auch dadurch, dass in der völligen Abwesenheit einer Taktik dagegen vorzugehen, alle anderen Akteure des Parteienspektrums sich von dieser hertreiben lassen und in den Chor von rassistischer Hetze und rechter Politik mit einstimmen. Wir können das aber auch an den Kriegen und Konflikten überall auf der Welt, sowie an der Aufrüstung auch hier in der BRD sehen. Genauso, wie bei den brutalen Angriffen auf die Jobs der Arbeiter:innen bei VW. Wir beobachten das an der weiteren Einschränkung demokratischer Rechte, ob beim Versammlungsrecht, Organisationsverboten, willkürlicher Polizeigewalt und vielem mehr. Unsere maroden Schulen, schließenden Jugendclubs und Spielplätze sprechen eine deutliche Sprache für die massiven sozialen Kürzungen, die die Ampel durchführt, um die Profite der Unternehmer:innen zu retten und die Bundeswehr „kriegstüchtig“ zu machen. Diese ganzen Probleme können aber nicht getrennt betrachtet werden. Denn sie sind Auswirkungen der tiefen Krise eines Systems, welches nie für uns gemacht war, weswegen diese auch gemeinsam bekämpft gehören. Die Notwendigkeit, Widerstand gegen die Politik der deutschen Regierung und ihren potentiellen Nachfolgern zu organisieren, ist dringlicher denn je!

Als Jugendlichen kommt uns dabei als eine der kämpferischsten Kräfte der Gesellschaft eine besondere Rolle zu, dadurch dass wir nicht so eingebunden in die lähmenden Prozesse dieser Gesellschaft und weniger gebrochen durch ausbleibende Erfolge der Bewegungen dagegen sind. Die Jugend birgt ein Potenzial in sich, eine Bewegung gegen Krise, Rechtsruck und Krieg mitanzuführen! Während uns die Zahlen der jugendlichen Wähler:innen der AfD bei den vergangenen Landtagswahlen schockiert haben, zeigt sich gleichzeitig, dass sich linke Jugendliche immer mehr nach Antworten im Kampf gegen den Rechtsruck und nach einer konkreten praktischen Perspektive sehnen. Dies wird auch daran deutlich, dass kommunistische Jugendorganisationen wie wir aktuell anwachsen, aber auch daran, dass sich Teile der Grünen Jugend oder auch der Jusos nach links bewegen und auch in Solid eine Polarisierung zwischen revolutionären und opportunistischen Flügeln abzeichnet. Unsere Aufgabe ist es nun gemeinsam Antworten auf diese Fragen zu formulieren. Lasst uns die progressiven Teile der Jugend zusammenzuführen und ihrem Rassismus und ihrer Krise unseren geeinten Widerstand entgegenstellen!

Doch wie geht’s weiter?

Angesichts des rasanten Aufstieges der Rechtspopulist:innen in Europa, angesichts der dramatischeren Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung, angesichts des fortschreitenden Sozialabbaus und der Aufrüstung nach Innen und nach Außen können wir uns als linke Jugendliche keine Lagerkämpfe und kein Sektierertum mehr leisten. Wir verstehen euren beachtlichen Schritt mit der Partei zu brechen, als eine Chance Bewegung in verhärtete Fronten zu bringen und die Kraft von uns Schüler:innen, Studies und Azubis gegen AfD, Abschiebungen, Umweltzerstörung, Sozialabbau, Krieg und Krise zu bündeln. Dabei müssen wir ein neues Verhältnis von Partei und Bewebung diskutieren und dürfen nicht die Fehler wiederholen, wie sie aktuell in der Linkspartei vorherrschen. Als linke Kraft reicht es nicht aus, sich an aktuelle Bewegungen hintenranzuhängen, sich solidarisch zu zeigen und Infrastruktur zu organisieren. Wenn es wie aktuell keine Massenbewegung gegen den Rechtsruck gibt, müssen wir uns auch selber trauen, diese zu initiieren und ihr mit eigenen konkreten Forderungen den Weg zu weisen.

Deswegen rufen wir euch dazu auf, eure Neuorientierung nicht hinter verschlossenen Türen zu führen. Wir denken, um aus eurer Abspaltung, einen Moment zu schaffen, das orientierungslosen Jugendlichen die Hand reicht und bei dem sich die linke Jugend umgruppiert und eine stärkere vereinte Kraft geschaffen wird, braucht es eine gemeinsame Debatte, wie wir dabei vorgehen wollen!

Ein Kongress, der alle linken Jugendliche dazu aufruft, zusammenzukommen um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie wir uns gegen die Krise und die Angriffe der Herrschenden verteidgen und unsere Interessen als Jugend erkämpfen können, wäre ein erster wichtiger Schritt dahin. Dabei sollten wir über gemeinsame Forderungen abstimmmen und konkrete Schritte im Kampf dafür vereinbaren. Ziel könnte also ein Aktionsprogramm der vereinten Jugend sein, das Antworten auf die drängensten Fragen der Zeit sowie eine konkrete Kampfperspektive, bei der jede:r sich anschließen kann, formuliert.

Dadurch können wir eine Basis schaffen, mit der wir große Teile der Jugend für einen gemeinsamen Kampf gegen Rechtsruck, Krieg, Umweltzerstörung und Krise organisieren. Auf Grundlage dessen wäre es für uns möglich in den Schulen, Unis und Betrieben die Jugend zu mobilisieren! So können wir es schaffen, eine breite Bewegung aufzubauen. Ein wichtiges Etappenziel sollte dabei ein flächendeckender Schul- und Unistreik zur Bundestagswahl 2025 sein, der sich auf Aktionskomitees in unseren Schulen und Unis stützt. Wir wollen nicht mehr passiv zuschauen, wie die blaue Säule in den Wahlauswertungssendungen immer weiter steigt und steigt. Es wird Zeit für eine eigene progressive Stimme der Jugend, die sich nicht als falsch verstandene „Einheit der Demokrat:innen“ der rassistischen Politik von Ampel, CDU oder BSW unterordnet, sondern eine unabhängige Perspektive linker Selbstorganisation bietet. Wir fordern:

1. Hundert Milliarden für unsere Schulen, Unis Jugendclubs und Krankenhäuser statt Aufrüstung – finanziert durch die Besteuerung der Reichen!

2. Gegen alle Abschiebung aus Schule, Uni und Betrieb! Außerdem gleiche Rechte und Bildung für alle!

3. Kein Raum der AfD auf Podiumsdiskussionen in unseren Schulen und Unis – Wer ein oder ausgeladen wird, entscheiden wir!

Gemeinsam können wir es schaffen zu einer Kraft werden, die sich nicht nur gegen Krise und Angriffe verteidigt, sondern auch in die Offensive übergehen kann und uns eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung erkämpft!

Und jetzt direkt?

Auch wenn wir denken, dass diese Schritte notwendig sind, heißt das nicht, dass wir erst dort anfangen können. Deswegen rufen wir euch auf, am 1.-3. November nach Leipzig zu fahren und bei der Widersetzen-Konferenz euch gemeinsam mit uns für Schulstreiks einzusetzen, um auch dort Schritte hin zu einer starken Jugendbewegung zu gehen!

Wir laden jeden von euch ein, mit uns in Diskussion darüber zu treten, wie wir weiter agieren können!

mit solidarischen Grüßen

REVOLUTION

(1) https://zeitfuerwasneues2024.de/




Faschist:innen zurückdrängen – Pride verteidigen!

Flo Weitling, zuerst erschienen in Neue Internationale 285, September 2024

Protest gegen Pride Parades ist seit Jahren immer wieder Mobilisierungspunkt der Rechten. Hierbei führt der Hass auf das Feindbild Queers auch nicht selten zu Angriffen auf die CSDs. Was in den letzten Jahren jedoch noch meist vereinzelt passiert ist, entwickelt sich nun zu größeren Gegenprotesten, wie z. B. vor kurzem in Bautzen. Dort schafften es Kräfte wie die Jungen Nationalisten (JN, Jugendorganisation von Die Heimat, bis 2023 NPD), hunderte jugendliche Nazis unter dem Motto „Gegen Genderpropaganda und Identitätsverwirrung“ zu versammeln. Zusammen mit den Freien Sachsen brachten sie fast 700 Menschen auf die Straße. Die Videos des Aufmarschs, in welchen sie z. B. lautstark „Nazikiez“ skandierten, gingen schnell viral. Nun stellt sich die Frage: Wie können wir damit umgehen?

Warum dienen Prides als Angriffspunkt?

Die Nazikleinstpartei III. Weg schreibt: „Eine Familie, das sind Mann, Frau und Kinder“ und dass die Genderagenda eben diese angreifen würde, was dazu führt, dass „Gender-Propaganda und ihre politischen Äußerungen … unsere Kinder und die Jugend [gefährden]“. Für die Rechten stellen lesbische, schwule oder trans Menschen also Angriffe auf „ihre“ Familie dar. Das Durchbrechen von Geschlechterrollen, das Infragestellen von Heterosexualität als Normalität gefährden nämlich das klassische Bild der bürgerlichen Kleinfamilie. Das ist dabei nicht nur ein Problem der Rechten, sondern auch Kern der Queerunterdrückung überhaupt. Die klassische geschlechtliche Arbeitsteilung, bei der die cis Frau unbezahlt Reproduktionsarbeit (bspw. Waschen, Kinder Erziehen etc.) verrichtet, wird nämlich durch das klassische Familienbild ideologisch gerechtfertigt. Daneben spielen eindeutig geregelte Erbschaftsverhältnisse für die Herrschenden eine vergleichbare Rolle. Somit kommen die Faschist:innen zwecks Verteidigung der „deutschen Familie“ eben zu dem Entschluss, dass der „Kampf gegen die Regenbogenideologie auch auf der Straße geführt“ werden muss.

Die Rolle der Polizei

Ob Berlin, Bautzen oder Leipzig – bei den Aufmärschen spielte die Polizei eine Rolle dabei, dass die Faschist:innen nicht aktiv den CSD angriffen. Im Kontrast zu z. B. Palästinademos war das Polizeiaufgebot zwar recht klein und bot für die Faschist:innen weiterhin Möglichkeiten zum Angriff, dennoch wurden die Nazis z. B. in Leipzig daran gehindert, überhaupt den Bahnhof zu verlassen, und in Berlin alle Beteiligten verhaftet. Von vielen Kräften wird deshalb nun die Polizei als Schutzpatron für Queer Prides gehandelt. Doch ist das so sinnvoll und ausweglos wie oft dargestellt?

Die Polizei spielt in diesem System eine primäre Rolle: Verteidigung der Interessen des bürgerlichen Staats und somit des Kapitals. Somit ergibt sich auch, warum sie sich für die Sicherheit von Prides einzusetzen scheint, da der Staat eben das Interesse verfolgt, sich als Kämpfer für queere Rechte zu inszenieren. Wobei er sonst tagtäglich queerfeindliche Gewalt durchsetzt, meist auch durch die Polizei. Ob die Uniformierten auf „unserer Seite stehen“, kommt drauf an, ob der Staat gerade ein Partyevent in unserem Namen veranstalten möchte. Doch selbst da bekommst du schnell einen Schlagstock ins Gesicht, wenn du z. B. die Spekulation mit Wohnraum oder Unterstützung von Israels Genozid kritisierst. Das haben wir dieses Jahr beim CSD in Hannover (https://onesolutionrevolution.de/solidaritaet-mit-der-queeren-hausbesetzung-in-hannover-fuer-die-enteignung-von-wohnraum/) und der International Queer Pride in Berlin gesehen.

Im Kampf um queere Befreiung können wir uns somit nicht auf die Polizei verlassen. Da die Unterdrückung von queeren Menschen eben in den Grundfesten des Kapitalismus verwurzelt ist, kann deren Aufhebung nur durch die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erreicht werden. Der Kampf um queere Befreiung kann also nur gegen die Polizei als Teil des bewaffneten Arms des Staates, welcher für die Aufrechterhaltung der Diktatur des Kapitals agiert, erfolgreich sein.

Wie verteidigen?

Doch auch wenn wir zu diesem Entschluss kommen, stehen wir weiterhin vor dem Problem, dass die Bedrohung durch Faschist:innen weiterhin auf der Tagesordnung steht. Wie können wir uns also effektiv gegen Angriffe von Nazis und Polizei schützen? Die Losung, die wir verbreiten sollten, lautet: massenhafte, militante und organisierte Selbstverteidigungsstrukturen. Diese Organe, welche Zusammenschlüsse von Organisationen der Arbeiter:innenbewegung und Unterdrückten sein müssen, können eben diese Funktion erfüllen. Hierbei ist es essentiell, dass es sich um demokratische Strukturen handelt, diese somit sich durch Wähl- und Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht auszeichnen. Dabei müssen wir dafür kämpfen, dass sich diese Organe nicht nur aus ein paar radikalen Linken zusammensetzen, sondern aktiv auf Gewerkschaften und reformistische Parteien wie Linkspartei und SPD zugehen, um die breite Masse der Arbeiter:innen dazu zu bringen, die Verteidigung so effektiv wie möglich durchzuführen. Das heißt: Wir müssen dringend auch auf Organisationen von Unterdrückten zugehen, also auf queere aber auch Migrant:innenorganisationen, da diese von den Angriffen der Faschist:innen tagtäglich betroffen sind. So können wir Schutz für Unterdrückte wirklich ermöglichen und der Übermacht der Staatsgewalt beginnen, etwas entgegenzustellen.

Wir kommen wir dahin?

Wir müssen jedoch auch der Realität ins Auge schauen und verstehen, dass SPD und DIE LINKE sich nicht direkt an dem Aufbau dieser Organe beteiligen würden. Aus der Perspektive von kleinen Gruppen, so wie wir es sind, müssen wir daran arbeiten, diese Kräfte unter Druck zu setzen, und diese Perspektive als unerlässlich aufzeigen. Gleichzeitig müssen wir jedoch praktische Arbeit leisten und uns den Faschist:innen entgegenstellen, wobei uns klar sein muss, dass das in unserem jetztigen Stadium nur beispielhaft passieren kann. und weiter die Forderung aktiv in die Linke tragen.

Doch Symptome zu bekämpfen, reicht an dieser Stelle nicht aus! Im Kampf gegen den Aufstieg der Faschist:innen müssen wir ebenfalls soziale Forderungen gegen die Krise und schlechten Lebensbedingungen aufwerfen, die den Kampf für Verbesserungen mit dem gegen den Kapitalismus verbinden. Denn reine Antifaarbeit wird die Faschist:innen nicht verschwinden lassen. Das können wir jedoch nicht nur abstrakt tun, sondern indem wir an den Orten, an denen wir uns jeden Tag aufhalten, organisieren, also der Schule, Uni und im Betrieb. Wir müssen auf die Ängste und Probleme, die unsere Mitschüler:innen, Kommiliton:innen und Kolleg:innen umtreiben, eingehen und dort für unsere Interessen kämpfen, um die Basis einer kräftigen Bewegung zu schaffen, die den Faschist:innen etwas entgegenstellt. Lasst uns also die Angst und Wut vor den Faschist:innen, der Polizei und schlechten Zukunftsaussichten in geordnete Bahnen lenken und ihnen organisierten Ausdruck verschaffen. Nur so ist es möglich, diesem Elend zu entfliehen und eine Gesellschaft zu errichten, welche für uns da ist und in der wir uns sicher selbst feiern können.




Überwachungsstaat BRD

von Flo Weitling, August 2024

Zwischen Schlagstock, Handschellen und Bußgeld

Blutig geschlagene Kinder auf Berliner Straßen, Hausdurchsuchungen, verbotene Demonstrationen und Kongresse. All das gehört zur Realität eines immer autoritäreren deutschen Staates. Wir sehen schon seit einiger Zeit einen Anstieg von Repression des deutschen Staates. Dabei findet die Zunahme nicht nur durch die Härte der Schläge seiner Prügelknaben statt, sondern auch in Form von juristischer Repression. Das zeigt sich z.B. wenn du 900€ blechen musst, weil du „From the River to the Sea“ auf einer Demonstration rufst (1). Doch auch das Verbot von Organisationen wie der „Palästina Solidarität Duisburg“ (2) und der durch Einreise- und politische Betätigungsverbote verhinderte Palästina-Kongress (3) sind Ausdrücke der immer weiter voranschreitenden Einschränkung demokratischer Rechte in Deutschland wie beispielsweise der Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit, was auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem jährlichen Bericht feststellte. Sie spricht von übermäßiger Polizeigewalt und Einschränkung friedlicher Proteste. (4) Das trifft dabei nicht nur fortschrittliche Kräfte, sondern auch teilweise Reaktionäre, wie beim versuchten Verbot des Compact-Magazins oder der Beschlagnahmung der Imam-Ali-Moschee in Hamburg. (5)

Doch das ist Repressionskönigin Faeser und ihrem Innenministerium noch nicht genug: In den letzten Wochen haben sie nun zwei neue Regelungen vorgestellt, um ihren Apparaten noch mehr Werkzeuge in die Hand zu legen.

Legal einbrechen? Faeser machts möglich!

Mit dem Vorwand der „Terrorbekämpfung“ soll nämlich nun das Bundeskriminalamt (BKA) heimlich Wohnungen durchsuchen dürfen (6). Auch wenn das angeblich nur in Ausnahmefällen angewandt werden soll, stellt es eine deutliche Eskalation dar. Doch was heißt das genau?

In dem Entwurf zur Reform heißt es, dass es moderne Instrumente zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus brauche. So wie die Möglichkeit, verdeckt in Wohnungen einzusteigen, um Spy-Software in Smartphones oder Computern anzubringen. Hierbei wird man logischerweise weder davor noch danach informiert. Der Ausbau der BRD zu einem Überwachungsstaat würde damit neue Züge annehmen. Es wird zwar noch versichert, dass es sich nur um ein Mittel handelt, was im äußersten Notfall, wie im Falle von Terrorismusverdacht, eingesetzt werden wird, jedoch wird bekannterweise immer wieder der Terrorismus-Begriff ausgeweitet und genutzt um politische Gegner:innen zu diffamieren. Dadurch bleibt letztendlich die Frage offen, bei wem denn jetzt wirklich zum „Schutz vor Terrorismus“ BKA-Beamt:innen, ohne es zu wissen, auf der Couch sitzen.

Darüber hinaus trägt das, ganz im Sinne des Zeitgeistes, auch die Handschrift des antimuslimischen Rassismus, welcher nicht erst seit dem 7. Oktober immer massiver grassiert. Der „War on terror“ wird ideologisch von Rechten aber auch „demokratischen“ Kräften so weitergeführt, dass jede auf Basis äußerlicher Kriterien als muslimisch wahrgenommene Person (unabhängig davon, ob sie überhaupt muslimisch ist) automatisch unter Terrorismusverdacht steht. Und wenn man sich gegen Genozid und Unterdrückung ausspricht, ist man sowieso zumindest Terroristen-Unterstützer:in. Ob das dann aus Staatssicht schon ausreicht für die heimlichen Einbruch, werden wir sehen.

Für Staat und Medien stehen aber nicht nur Muslim:innen und Aktivist:innen aus der Palästina-Solidaritätsbewegung quasi automatisch unter Terrorismusverdacht, denn das Gleiche gilt auch für die kurdische Bewegung und die sog. „Klima-Terroristen“ der Letzten Generation.

Die vielen Gesichter von Social Media

Um auch besser überwachen zu können, ob und was die „Terrorist:innen“ denn so machen, hat sich das Überwachungsministerium vor einigen Wochen noch eine lustige Sache überlegt. Nun sollen bei Ermittlungsverfahren Videos von z.B. Überwachungskameras mit Beiträgen auf Social Media abgeglichen werden. Also in anderen Worten: Die Einführung von biometrischer Gesichtserkennung. (7) Es sollte auf der Hand liegen, dass diese Maßnahme a) realen, tatsächlich gefährlichen, Terrorismus nicht effektiv bekämpfen kann, da es die eigentlichen Ursachen des Terrorismus nicht bekämpft und b) den Repressionsorganen des Staates ein weiteres mächtiges Instrument in die Hand gegeben wird, welches dazu genutzt werden kann, jeden Mut zum Widerstand noch effektiver zu unterdrücken. Zwar wird wieder davon gesprochen, dass diese Technik nur eingesetzt werden soll, um Terrorismus und schwere Kriminalität zu bekämpfen, doch was damit am Ende gemeint ist, werden wir auch hier sehen. Nach der Durchsetzung von Abschiebungen wegen Likes auf sozialen Plattformen ist somit der digitale Raum immer weiter von Überwachung und Kontrolle durch Staat und Polizei betroffen. Das prophezeit eine dunkle Zukunft, wenn wir uns nicht beginnen, dagegen zu wehren.

Doch warum macht der Staat das?

Der Staat, den man als Herrschaftsinstrument der bürgerlichen Klasse, der Kapitalist:innen, verstehen muss, basiert auf der Aufrechterhaltung dieser Produktionsverhältnisse. Somit also darauf, dass die Arbeiter:innen ihre Arbeitskraft verkaufen und Mehrwert für die:den Kapitalist:in produzieren. Die Klasse der Arbeiter:innen hat das objektive Interesse der Überwindung dieser Gesellschaftsformation, wobei der bürgerlichen Staat versucht, sie klein zu halten, damit sie ihr Elend einfach hinnimmt. Hierzu zählt die ideologische Einbindung, welche wir jeden Tag in der Schule, wo wir, um meinen ehemaligen Politiklehrer zu zitieren, zu „treuen Demokrat:innen erzogen werden sollen“. Auch durch kleine Zugeständnisse sollen wir an den Staat und das System, was er schützt, gebunden werden.

Doch neben dem Zuckerbrot ist auch die Peitsche, in Form von Überwachung und Repression, ein Mittel, die Arbeiter:innen und Unterdrückten klein zu halten. Wenn sie Angst vor Gewalt, materiellen Verlust, sozialen Abstieg oder dem Knast haben, werden sie weniger wahrscheinlich den nächsten Aufstand organisieren oder sonst wie aus der Reihe der täglichen Verwertung fallen z.B. durch die Flucht aus der individuellen Ausbeutung durch Kriminalität. Wenn sie diesen Schritt jedoch trotzdem gehen, weil die Bedingungen zu schlimm geworden sind, sie noch zu ertragen, dienen diese Mittel dazu, alles unmittelbar und effektiv zu unterbinden.

Das im Blick lässt sich auch verstehen, warum gerade jetzt die Repression ausgebaut wird. Wir leben nämlich in einer Zeit der Krise. Menschen kämpfen mit sozialem Abstieg und die Wirtschaft stagniert, während wir eine Zuspitzung von Konflikten überall auf der Welt beobachten können.

Für die BRD spielt es also eine große Rolle, die Ausbeutung trotz ihrer Verschärfung aufrechtzuerhalten. Das bedeutet eben auch, sich gegen zukünftige Massenbewegungen und Aufstände auf den Straßen abzusichern, die das Fundament ihrer Macht angreifen und sie möglicherweise zu Fall bringen könnten, indem der Staat diese mit Repression, oder der Androhung solcher, im Keim erstickt.

Die derzeitige Ausformung dessen basiert auf dem Konzept alle „Feinde der Demokratie“ bekämpfen zu wollen. Dazu zählen (noch reaktionärere) bürgerliche Kräfte, welche die Knechtschaft unter dem Kapital anders verwalten wollen sowie Revolutionär:innen, welche dafür kämpfen, diese Ordnung abzuschaffen. Neben Angriffe auf Islamistische Kräfte gab es kürzlich auch Razzien gegen die Faschist:innen vom 3. Weg. (8) Dabei muss jedoch betont werden, dass das nicht heißt, der Staat hätte ein gleichmäßiges Interesse Revolutionär:innen wie Faschist:innen niederzuschlagen. Das sieht man auch an der Intensität, mit welcher nach über 60-jährigen Ex-RAF-Mitglieder gefahndet wird, während im Gegensatz über 600 „untergetauchte Nazis“ trotz Haftbefehl komplett unbehelligt bleiben. Denn auch wenn gerade die Diktatur der Bosse und Bänker noch eine demokratische Fassade zeigt, hat die Geschichte wiederholt gezeigt, dass diese sich nicht zu schade sind, um ihre eigene Stellung und somit das System aufrechtzuerhalten, auch zur Diktatur zu greifen und mit Faschist:innen zu paktieren. Denn auch im Faschismus werden die Arbeiter:innen geknechtet und die Kapitalist:innen werden immer reicher. Die Überwindung der Ausbeutung von Mensch durch Mensch wird für den bürgerlichen Staat und das Kapital immer eine größere Gefahr darstellen als seinen demokratischen Schein zu verlieren.

Doch auch wenn sowohl Faschismus als auch die bürgerliche Demokratie die Herrschaft des Kapitals zur Grundlage haben, wäre es falsch, bei jedem Abdriften der BRD oder anderer Staaten zum Autoritarismus direkt vom Faschismus zu reden. Denn auch die bürgerliche Demokratie ist ein Apparat zur Unterdrückung und nur weil dies in der Krise deutlicher zu Tage tritt, handelt es sich noch nicht um Faschismus. Faschismus ist eine sehr spezifische Art der bürgerlichen Herrschaft, mehr dazu aber an anderer Stelle, in unserem Artikel „Was ist Faschismus?“ (9)

Widerstand trotz alledem!

Es ist verständlich, dass sich in Zeiten von Rechtsruck, Krise und Krieg die neue Kampfansage durch den Staat in Form von engmaschiger Überwachung und Repression wie der letzte Stoß anfühlen kann. Die Lage wird immer beschissener und man fühlt sich, als stünde man einer unantastbaren Übermacht gegenüber. Doch wie groß der Gegner gerade erscheinen mag, wir müssen uns erinnern, dass wir im Interesse der Massen kämpfen und dass dieses Elend nur durch entschiedenen Kampf beendet werden kann. Wir müssen konsequent für demokratische Rechte, wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit kämpfen, auch wenn wir wissen, dass diese im Kapitalismus stets nur so lange gelten können, wie sie das System nicht in Gefahr bringen. Wir müssen die Grenzen dieses Systems aufzeigen und warum unsere Interessen nicht innerhalb dessen umgesetzt werden können. Dabei dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen, egal wie stark sie uns schlagen, egal wie lückenlos sie uns überwachen!

Wir fordern große linke Jugendorganisation wie Jusos, Linksjugend Solid und DGB-Jugend auf, sich mit revolutionären Kräften zusammenzuschließen, um den entschiedenen Kampf gegen diese Überwachung zu führen. Doch auch das müssen wir größer denken: Der Autoritarismus ist ein Symptom des Rechtsrucks und damit müssen wir mit dem Kampf gegen den Aufstieg der Rechten und die Krise verbinden, um letztendlich zu einer Jugendbewegung zu werden, die eine Perspektive bietet! Die zusammen mit der Arbeiter:innenklasse dafür kämpft, dass Ausbeutung und Unterdrückung ein für alle Mal ausgerottet werden!

Doch um das zu erreichen, müssen wir uns organisieren, an den Orten, an denen wir uns jeden Tag aufhalten müssen, wie z.B. der Schule. Hier verbringen wir als Jugendliche die meiste Zeit und sind umgeben von Menschen, die dasselbe durchmachen und nicht ohnehin schon in der Szene unterwegs sind. Genau an diesen Orten müssen wir beginnen, Gruppen aufzubauen, uns gegen die Ungerechtigkeiten direkt vor Ort zu stellen, um letztendlich die Keimzellen für eine solche Bewegung zu schaffen. Deshalb organisiert euch mit uns, um gemeinsam diesen Schritt zu gehen!

Quellen:

(1) https://www.tagesspiegel.de/berlin/from-the-river-to-the-sea-gericht-verhangt-erstes-strafurteil-wegen-propalastinensischer-parole-in-berlin-12153305.html

(2) https://www.land.nrw/pressemitteilung/innenministerium-verbietet-gruppierung-palaestina-solidaritaet-duisburg

(3) https://onesolutionrevolution.de/berliner-polizei-loest-palaestinakongress-auf-meinungsfreiheit-wird-zur-farce/

(4) https://taz.de/Amnesty-Bericht-zu-Versammlungsfreiheit/!6022070/

(5) https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Islamisches-Zentrum-Hamburg-legt-Klage-gegen-Verbot-ein,blauemoschee140.html

(6) https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bka-durchsuchungen-heimlich-100.html

(7) https://www.lto.de/recht/presseschau/p/2024-08-12-gesichtserkennung-faeser-basketballer-prozess-gallner-interview

(8) https://taz.de/Razzia-bei-Neonazipartei-Dritter-Weg/!6020758/

(9) https://onesolutionrevolution.de/grundlagen-des-marxismus-was-ist-eigentlich-faschismus/




Nazi-Angriff auf Antifas- Wie können wir uns schützen?

Von Brokkoli Bittner, Juli 2024

Es ist Samstag der 6.7. 2024. Du machst dich auf den Weg zum Ostkreuz. Von dort aus soll es eine gemeinsame Anreise zu einer antifaschistischen Demonstration in Berlin-Hellersdorf geben. Kurz nachdem du den Treffpunkt erreichst, stürmen 20 Maskierte auf dich und die Leute los. Sie rufen „Kommt her! Ihr wollt doch Nazis boxen!“. Sie haben Schlagstöcke, Reizgas und Knüppel. Du schaffst es nicht mehr weg zu kommen. Du liegst auf dem Boden und spürst eine Minute lang massive Gewalt. Immer wieder wird gegen deinen Kopf getreten. Du  liegst auf dem Boden und wirst Krankenhaus reif geschlagen. Nach dem Angriff gibt es eine Reihe verletzter Linker. Genau das ereignete sich letzte Woche in Berlin.

Diese Gewalt gegen die Linke und Antifaschisten ist dabei immer normaler zu werden. Der III. Weg ist im letzten Jahr immer aktiver geworden. Er geht an Schulen und versucht Jugendliche für seine Jugendorganisation zu gewinnen. Er übt am heiligsten Tag auf Sportplätzen den Angriff auf Unterdrückte und Linke. Und der III. Weg übt nicht nur, er jagt uns auch, was der vergangene Monat mehr als verdeutlicht hat. In diesem gab es bundesweit Angriffe auf Linke, vor allem in Berlin. Es lässt sich auch damit rechnen, dass diese Angriffe nicht weniger werden.  Letztes Jahr hat der III. Weg versucht, den CSD in Berlin anzugreifen. Dieses Jahr hat er schon Gegenaktionen zum CSD in Dresden organisiert und es lässt sich auch davon ausgehen, dass sie wieder versuchen werden, den CSD in Berlin anzugreifen. Das allein ist schon beängstigend genug, aber es kommt dazu, dass der III. Weg noch gefährlicher ist als letztes Jahr.  Während vor einem Jahr die Nazis mit blanken Fäusten Queers klatschen wollten, sehen wir, dass die Nazis nun auch bewaffnet sind. Siehe zum Beispiel den Angriff am Samstag. Doch wie können wir uns vor diesen Angriffen schützten oder sie gar für immer verhindern?

Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen!

Es ist wichtig zu wissen, dass der Staat niemanden davon abhalten wird, Linke oder Unterdrückte zu schlagen. Denn genau dieser Staat lässt Unterdrückte und Linke täglich seine Gewalt spüren: Wenn er auf unsere Demos einprügelt oder uns aufgrund unserer Hautfarbe ermordet. Warum sollte dieser Staat uns also jetzt beschützen? Das zeigt der Angriff am Samstag auch noch mal. Während Linke kassierten haben, haben die Cops zugeschaut. Doch wenn der Staat uns nicht schützt, dann müssen wir es selber tun. Das heißt aber nicht, dass wir uns alle individuell eine Dose Pfeffer Spray kaufen und damit sicher sind, sondern vielmehr, dass wir Strukturen aufbauen für Selbstverteidigung. Diese Strukturen müssen lokal, also an Schulen, Unis und Betrieben aufgebaut werden, denn das sind die Orte wo wir unseren Tag verbringen und wo wir auch angegriffen werden können. Vor allem Schulen sind hier wichtig, da wir wissen, dass der III. Weg gerade immer wieder versucht, dort Leute zu erreichen durch Infostände und das Verteilen von Flugblättern. Auch um solche Verteil-Aktionen zu unterbinden, sind diese Strukturen wichtig. Diese Strukturen müssen auch von der Gewerkschaft aufgebaut werden, denn diese sind der Kontakt in die Betriebe. Außerdem sind ihre Mitgelder eher von rechten Angriffen bedroht, denn Faschos wollen nicht, dass wir uns zusammen schließen und die Krisen sozial bekämpfen- ein Potenzial, das vor allem Gewerkschaften haben. Und so ist es auch die Verantwortung der Gewerkschaften, dass ihre Mitglieder geschützt werden. In diesen Selbstverteidigungsstrukturen muss es kostenfreie Selbstverteidigungs-Kurse für jede:n geben. Es muss aber auch die Möglichkeit geben, dass diese Strukturen bei Angriffen schnell da sind, um uns und andere verteidigen zu können. Diese Strukturen sind es auch, die bei Demonstrationen wie der Demo am Samstag oder dem CSD rechte Angriffe abwehren und die Demo schützen können.

Selbstverteidigungsstrukturen sollten keine Jagd auf den III. Weg machen. Denn klar ist, dass wir nicht einfach jeden Fascho verhauen können bis der Rechtsruck endet. Jeder Angriff auf Nazis ist auch ein Risiko für uns und dieses Risiko zu akzeptieren macht nur Sinn, wenn der Gewinn es wert ist. Doch mit 5 gebrochen Nazi-Nasen allein ist niemanden geholfen.

Ein Ende der Angriffe wird es erst geben, wenn die Rechten politisch geschlagen wurden. Doch wie tun wir das?

Dafür müssen wir verstehen warum die Rechten aktuell so einen Zulauf haben. Hier sehen wir, dass vor allem in der sozialen Krise Rechte profitieren. Denn dann schaffen es die Rechten, den Leuten glaubhaft zu machen, dass nicht der Kapitalismus das Problem ist, sondern der Migrant neben dir. In ihrer Logik sind Menschen arm, weil andere arme Menschen, z.B. Migrant:innen oder Arbeitslose, Sozialleistungen empfangen. Aber es ist nicht der Migrant wegen dem wir zu wenig Geld haben, sondern der Kapitalist, der sich den Profit, den wir produzieren, in seine Tasche steckt, anstatt ihn der Gemeinschaft zugutekommen zu lassen. Das verschweigen die Rechten aber. Sie wollen nicht, dass wir fragen, warum wir von unseren Bossen beklaut und ausgebeutet werden, sondern wollen uns verkaufen der Migrant sei schuld. Diese Lügen gilt es als aufzudecken. Es braucht eine Einheitsfront aus Gewerkschaften, Linkspartei und SPD die genau das tut, denn sie sagen ja, dass für sie der Kampf gegen Rechts so wichtig sei. Dann sollen sie endlich gegen die soziale Krise kämpfen indem sie die Reichen dafür zahlen lassen. Es sind diese Organisationen, sowie die Jugend und alle Unterdrückten, die wenn sie sich zusammen tun, etwas gegen den Rechtsruck tun können. Das Wichtigste dabei bleibt: ein richtiger Kampf gegen Rechts ist ein Kampf gegen das System, was den Rechten den Nährboden gibt.

Lasst uns also gemeinsam dafür kämpfen, dass es keine weiteren rechten Angriffe gibt. Lasst uns den Rechten das Handwerk legen.




Wahlen in Frankreich – Scheiß auf Volksfront, Jugend in die Offensive!

von Flo Weitling, Juli 2024

Vorgestern fand der erste Wahlgang bei den Neuwahlen des französischen Parlaments statt. Aus dieser ging Le Pens RN als stärkste Kraft hervor. Wie in den meisten Ländern Europas aber auch weltweit, ist dass einer der Ausdrücke des vorranschreitenden Rechtsrucks in Folge der Führungskrise der Arbeiter:innen. Doch was können wir als Jugendliche dagegen tun?

Demokratie oder Faschismus?

Nach dem immensen Erfolg des Rassemblement National (RN, deutsch: Nationale Sammlungsbewegung) bei den EU-Wahlen letzten Monat, beschloss noch am selben Tag der französische Präsident Emanuel Macron die Auflösung des Parlaments und somit Neuwahlen.

Kurz darauf bildete sich ein linkes Bündnis aus der linkspopulistischen La France Insoumise, den bürgerlichen Arbeiter:innenparteien (Sozialistische und Kommunistische Partei) und den französischen Grünen, die zwar linker als die deutschen, aber trotzdem eine kleinbürgerliche Partei sind. Unter dem Banner der „Neuen Volksfront“ (Nouveau Front Populaire, NFP) schließen sie an eine Taktik an, die schon 1936 kläglich gescheitert ist. Doch warum ist das so?

Der Zusammenschluss, will unter dem Motto „Alles gegen den RN“ die politische Krise Frankreichs herunterbrechen auf die Frage von „Demokratie gegen Faschismus“. Das zeigt sich auch daran, dass sie nun ankündigten in den Wahlkreisen wo sie hinter den Liberalen liegen, ihre Kandidatur zurückzuziehen und somit ganz offen Macrons Bündnis zu unterstützen. Das hat den Zweck, dass „keine einzige Stimme an das RN geht“. Wie richtig es auch ist sich den Rechten entgegenzustellen, kann dieses Bündnis deren Aufstieg nicht verhindern. Das erkennt man auch schon ganz praktisch am Programm der Volksfront selber. Denn selbst ohne die offenen bürgerlichen Parteien bereits im Boot zu haben, ordnen sie sich dem Imperialismus unter, so in der Frage der Wiederaufrüstung oder selbst der Aufrechterhaltung der kolonialen Herrschaft über Kanaky (Neukaledonien). Ihr Ziel ist es dabei im Parlament zusammen mit Macrons Liberalen (welche in der ersten Runde hinter der NFP und dem RN liegen) ein Bündnis aufzustellen um somit eine RN-Regierung zu verhinden. Doch selbst wenn ihr Plan aufgeht, stellt sich die Frage was sie damit bewirkt haben? Werden die Arbeiter:innen nicht mehr ewig schuften müssen bis sie in die Rente können? Werden Migrant:innen weniger rassistisch angegangen werden und wir Jugendlichen Geld für unsere Billdung haben? Wird die Kriegstreiberei ein Ende finden? Die Antwort ist Nein, denn die Taktik der Volksfront bekämpft eben nicht die Ursachen, welche den Aufstieg der Rechten begünstigen.

Denn der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus kann nie ein Kampf mit sondern nur gegen die Kapitalist:innen, ihre Parteien und ihre Ordnung sein! Denn ihr System ist es, welches erst die Bedingungen für den Aufstieg des Rechtspopulismus bis hin zum Erstarken von offen faschistischen Kräften schafft. Sich ihnen in einem „Kampf gegen den Faschismus“ unterzuordnen heißt unsere Kampfkraft abzugeben und die Lösung des Problems faktisch zu verhindern.

Denn die geballte Stärke der Jugend und Arbeiter:innenklasse ist es, die durch Streiks, Besetzungen und Aufstände, bis hin zu einer Revolution, die Überwindung der Probleme erreichen kann. Den Rechtsruck aber auch das was diesen erst geschaffen hat, wie die hohen Lebenserhaltungkosten oder ganz generell die tägliche Ausbeutung und Unterdrückung.

Wenn wir jedoch den Illusionen der netten Fratze der Diktatur des Kapitals, also der „Demokratie“, hinterherrennen, kann unser Kampf kein erfolgreicher sein! Denn der demokratische Staat ist es, der unsere Armut, Ausbeutung und Unterdrückung aufrechterhält. Der demokratische Staat ist es der Kriege führt und Genozide unterstützt. Der demokratische Staat ist es der uns abschiebt und durch seine Handlanger, die Polizei, ermordet. Der demokratische Staat ist es, der uns bis zum Zusammenbruch arbeiten lassen will, damit er auf dem Weltmarkt besser konkurrieren kann. Wenn wir also den demokratischen, bürgerlichen Staat und die Ordnung die er aufrecht erhält wählen, wählen wir nicht das kleinere Übel sondern schaufeln fleißig weiter unser eigenes Grab! Denn die Leute haben die bürgerliche Demokratie und ihre Politik, ob von Macron, Biden oder Habeck, satt und zwar völlig zu Recht!

Der ganze Aufstieg der Rechten ist letztendlich auch ein Ausdruck davon, dass die Organisationen der Arbeiter:innenklasse den Kampf gegen diese Ordnung, an der nicht die Rechten die schlechten Stellen sind, sondern die als ganzes ein Übel ist, nicht konsequent geführt haben. So haben wir es bei den Rentenreformen gesehen, wo die großen Gewerkschaften und linkspopulistischen sowie reformistischen Parteien notwendige und mögliche Generalstreiks verhindert, den Kampf in die Bahnen des Parlaments verschoben und somit geschwächt haben.

Was braucht es dann?

Anstatt mit bürgerlichen Kräften zu liebäugeln und am liebsten zusammen mit Macron eine Regierung zu bilden, braucht es einen Zusammenschluss der Organisationen der Arbeiter:innenklasse und der Gewerkschaften zu einer Einheitsfront, welche die geballte Kampfkraft der Jugend und Arbeiter:innen entfesselt. Dabei müssen wir als Revolutionäre die Jugendlichen und Arbeiter:innen von den Illusionen der reformistischen, bürgerlichen Arbeiter:innenparteien wegbrechen und für ein revolutionäres Programm gewinnen. In einem gemeinsamen Kampf gegen und nicht mit dem Klassenfeind!

Die spontanen Proteste nach der Europawahl und auch nach den Neuwahlen zeigen das Potenzial für eine Bewegung welche diesen Kampf führen kann. Wir als Jugend müssen in diesen Kämpfen eine militante und führende Rolle einnehmen, was in den letzten Jahren schon teilweise passiert ist. Doch darauf müssen wir aktiv ausbauen und, im Bündnis mit der Arbeiter:innenklasse, den Umsturz des Systems vorrantreiben! Auch in der Jugend selber müssen wir die Überzeugung festigen, dass eine revolutionäre Perspektive notwendig ist um unsere Probleme zu lösen.

Um das zu tun müssen wir uns organisieren, an unseren Schulen sowie in Unis und Betrieben. Wir müssen die Orte an den wir uns täglich aufhalten zur Agitation nutzen und Organe wie Schul- und Unikomitees schaffen. Diese können auch langfristig den Grundstein der Selbstverwaltung legen, die eine Ordnung nach dem Zerschlagen des bürgerlichen Staats braucht. Darauf aufbauend müssen wir Schul- und Unistreikkomitees initiieren, um unseren Kampf zu organisieren und als geballte Front den Rechten und den Kapitalist:innen entgegenzutreten!

Um diese Arbeit zu koordinieren und zum Erfolg zu führen braucht es eine unabhängige Jugendorganisation die diesen Kampf vorrantreibt. Sie muss international den kämpfenden Jugendlichen eine revolutionäre Perspektive aufzeigen und dabei den Aufbau einer Jugendinternationale anstreben. Die Organisierung der Jugend in Europa und Weltweit, über die nationalen Grenzen hinaus, ist notwendig, denn wir uns muss klar sein: Genauso wie die Arbeiter:innen, hat die Jugend kein Vaterland und kann nur international organisiert siegen!

Wir fordern:

  • Schluss mit der Volksfront! Es braucht eine Einheitsfront der Jugend und Arbeiter:innenklasse!
  • Nieder mit Macron – Nieder mit der RN! Für ein revolutionäres Programm der Jugend und der Arbeiter:innen!
  • Aufbau von Schul- und Unikomitees sowie einer schlagkräftigen Bewegung gegen die Angriffe der Kapitalist:innen und den Aufstieg der Rechten!
  • Für den Aufbau einer Jugendinternationale!



How To: Einen Schulstreik gegen Rechts organisieren

von Brokkoli Bittner, Mai 2024

Millionen Menschen waren in den letzten Wochen & Monaten gegen Rechts auf der Straße und in den Schulen diskutieren Schüler:innen, wie man die AfD bekämpfen kann. Während immer noch viele davon überzeugt sind, dass man gemeinsam mit den bürgerlichen Parteien den Rechtsruck aufhalten kann, sehen wir darin keine Perspektive. Die AfD hetzt, aber die Ampel macht die passenden Gesetze dazu. Mit ihrer Zustimmung zur GEAS-Reform der Festung Europa haben die Grünen, die SPD und die FDP dafür gesorgt, dass das Asylrecht in der EU faktisch abgeschafft wird. Eine Forderung, wie sie die AfD schon lange aufgeworfen hat. Wir schlagen für uns Jugendliche & Schüler:innen eine andere Taktik vor: Gemeinsam mit euch wollen wir einen bundesweiten Schulstreik gegen Abschiebungen und AfD organisieren. Warum wir dieses Mittel zur Durchsetzung von Forderungen einsetzen und wie man einen Streik organisiert, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Warum überhaupt ein Streik?

Die Schule bestreiken bedeutet, den Unterricht zu boykottieren und stattdessen gemeinsam für ein politisches Ziel auf die Straße zu gehen. Ein Schulstreik legt zwar nicht wie andere Streiks die Produktion oder das öffentliche Leben lahm, aber er ist ein Akt des politischen Massenprotests und stört den „normalen“ Schulbetrieb. Und das ist auch wichtig und richtig, denn dieser Alltag aus Diskriminierung, kaputtgespartem Schulsystem und Abschiebungen ist nicht normal! Ein Schulstreik gibt uns eine Stimme, indem wir uns klar und deutlich gegen Abschiebungen und AfD positionieren, ohne viel Angst haben zu müssen, von der Schule zu fliegen. Es gibt zwar kein Recht auf Schulstreik, aber er ist auch nicht konkret verboten. Und so haben schon viele große Schulstreiks in der Vergangenheit, ob 2008 gegen die Bildungskürzungen, ob 2016 gegen Rassismus, oder ab 2019 in Fridays for Future gezeigt, dass wir durch unsere Streiks etwas erreichen können.

Voraussetzung: Das Thema muss relevant für Schüler:innen sein

Bevor wir die Menschen in unserem Umfeld zu gemeinsamen Aktionen & Protesten aufrufen können, müssen sie die Problematik auf dem Schirm haben. Für alle, die rassistisch oder sexistisch diskriminiert werden, stellt sich diese Frage meistens nicht, da ihr Alltag vom Rechtsruck durchzogen ist: Schlechtere Noten als „deutsche“ Mitschüler:innen, Ansprachen mit den falschen Pronomen & Namen, Beleidigungen und die ständige Angst vor Abschiebungen. Zehntausende Jugendliche in Deutschland haben keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, sondern sind lediglich „geduldet“. Duldung heißt „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Und wer soll sich eigentlich auf Mathe konzentrieren, wenn total unklar ist, ob die Duldung nächste Woche noch verlängert wird? Aber spätestens seit der Correctiv-Recherche über Geheimtreffen der AfD mit Rechtsextremen der Identitären Bewegung, gehen Viele auf die Straße, um den Rechtsruck aufzuhalten, die das Problem vorher nicht so deutlich gesehen haben oder geglaubt haben, sie könnten nichts dagegen tun. Man kann also mit Recht sagen, dass Jetzt der optimale Zeitpunkt ist, um gemeinsam Widerstand zu organisieren.

Schritt 1: Mobilisierungen und Druck auf [‘solid], JuSos und die Gewerkschaften/jugenden

Während wir von Schule zu Schule gehen, plakatieren, flyern und unzählige Diskussion führen, die Missstände immer wieder aufs Neue erklären, sollten wir aber eins nicht vergessen: Es gibt bereits eine große Anzahl an Jugendlichen, die erkannt haben, dass sich etwas ändern muss und sich daher einer Jugendorganisation angeschlossen haben, welche sich diese Veränderung auf die Fahnen schreibt. Allein [‘solid] und die JuSos haben zusammen knapp 100.000 Mitglieder. Und beide Gruppen haben den Anspruch formuliert, sich gegen den Rechtsruck zu stellen. Das Problem ist nur, die Führungen dieser reformistischen Organisationen haben kein Interesse daran ihre Mitgliedschaft wirklich zu mobilisieren. Für sie geht es an erster Stelle nicht selten darum, die eigene Karriere in der Partei voranzutreiben, um es sich selbst später einmal nett einzurichten, während man hauptberuflich faule Kompromisse mit den Herrschenden aushandelt. Ihr Problem ist, dass sie letztlich immer die Interessen ihrer Mitglieder verraten müssen, wenn sie nicht bereit sind, den Boden der herrschenden Ordnung zu verlassen. Ähnlich ist es bei den Jugendgewerkschaften, deren Jugendsekretäre häufig vom Apparat selbst eingesetzt und nur noch formal per Wahl bestätigt werden. All das ändert aber nichts daran, dass ihre Basis unter den gleichen Missständen leidet wie wir und diese auch sehen kann. Wenn wir es also schaffen, durch unsere Mobilisierung, und z.B. durch öffentliche Aufrufe, diese Basis in Bewegung zu bringen, so ist auch die Führung zur Handlung gezwungen, will sie nicht ihr noch verbliebenes bisschen Legitimität verspielen wollen. Dasselbe gilt bei der Ausweitung an die Unis bzw. Berufsschulen ebenso für den SDS und in geringerem Maße auch für die SDAJ (Jugendorganisation der DKP (Deutsche kommunistische Partei, entgegen des Namen eher programmatisch reformistisch), die auch mal ihre paar hundert Mitglieder auf die Straße bringen könnte. Genauso wichtig ist Fridays For Future, da sie bereits an den Schulen verankert sind und ihre Mitglieder diese als Räume für politische Kämpfe anerkennen. Auch die Basis von FFF wird regelmäßig von Führungsfiguren wie Luisa Neubauer verraten, die die Ziele und Forderungen der Klimabewegung radikal ausverkauft. Dennoch müssen wir sie zur gemeinsamen Aktion auffordern, denn nur so muss sich Neubauer vor den Augen ihrer Basis rechtfertigen, warum sie letztlich nicht an einem antirassistischen Schulstreik teilnehmen will. Es gilt also, offen auf diese Organisationen zuzugehen und sie von der Notwendigkeit eines antirassistischen Schulstreiks zu überzeugen. Dabei ist die Tatsache, dass die Aktion gemeinsam stattfindet jedoch wichtiger als dass der Schulstreik genau die Form hat, wie wir sie uns vorstellen. Das muss dann in Schritt 2 offen ausdiskutiert und demokratisch beschlossen werden.

Schritt 2: Eine Aktionskonferenz einberufen

Dieser Schritt dient dann dem Zweck offen auszudiskutieren und demokratisch zu beschließen, wie der Schulstreik konkret aussehen kann, was seine genauen Forderungen sein sollen und wie man noch mehr Schüler:innen mobilisieren kann. Um diese Diskussion zu führen, muss also eine Aktionskonferenz einberufen werden, auf der über den Aufruf und den konkreten Streikplan sowie über verschiedene Aktionsformen an den Schulen selbst diskutiert wird. Zu dieser Aktionskonferenz müssen auch die noch skeptischen Teile der Jugend eingeladen werden. Ziel muss es sein, auch mit diesen Teilen zu diskutieren.

Revolutionär:innen haben dabei auch die Aufgabe, die Grenzen von allein auf Schulen und Schülis beschränkten Aktionen aufzuzeigen und auf die Notwendigkeit eines strategischen Bündnisses mit der Arbeiter:innenklasse hinzuweisen. Beim Thema Rassismus muss klar gemacht werden, dass kein:e Arbeiter:in ein Interesse an der ungleichen Bezahlung von Migrant:innen hat. Es muss daher eine Debatte mit den Gewerkschaften über eine Streikbeteiligung geben. Dabei darf die Jugend ihre Kritik an der Gewerkschaft nicht verschweigen und muss klar für die Aufnahme von Flüchtlingen in die Gewerkschaft und für lokale Streikkomitees – nicht nur in den Schulen, sondern auch – in den Betrieben eintreten. Außerdem muss klar sein: Ein Kampf gegen Rassismus muss ein Kampf gegen die Herrschenden sein, denn diese sind dafür verantwortlich, dass Mitschüler:innen abgeschoben werden, migrantische Arbeiter:innen schlechter bezahlt werden und SchülerInnen ihre rassistischen Lehrer:innen nicht abwählen können. Der Kampf gegen Rassismus kann nur erfolgreich sein, wenn er seine materiellen Wurzeln in der kapitalistischen Produktionsweise bekämpft. Doch so wichtig und richtig diese Punkte für Revolutionär:innen sind, machen wir sie nicht zur ultimativen Bedingung für eine gemeinsame Aktion. Das wäre letztlich sektiererisch, schließlich können wir nicht erwarten, dass Jugendliche, die etwas gegen Rassismus machen wollen, automatisch mit einem antikapitalistischen Klassenbewusstsein auf die Aktionskonferenz kommen. Vielmehr müssen wir sie durch die gemeinsame Praxis davon überzeugen–

Schritt 3: Ab auf die Straße!

Wenn wir es geschafft haben, uns auf der Aktionskonferenz über die Erfahrungen an unseren Schulen auszutauschen und gemeinsam demokratisch über die Forderungen des Streiks abgestimmt haben, ist es Zeit, diesen zu organisieren. Wir müssen also all unsere Freund:innen, Mitschüler:innen & Lehrer:innen dazu einladen, an diesem Tag nicht zur Schule, sondern zur Demo oder Kundgebung zu gehen. Vor der Schule Flyer verteilen, ist die optimale Gelegenheit, mit Leute ins Gespräch zu kommen, die man sonst nicht erreichen würde. Zusätzlich hilft es, in der Schule Plakate für den Streik aufzuhängen und den Aufruf über alle möglichen Social Media-Kanäle und Whatsapp-Gruppen zu verbreiten. Gemeinsame Vorbereitungstreffen, z.B. zum Schilder malen sind auch immer motivierend und eine gute Chance zum Vernetzen. Durch das Einberufen einer schulrechtlich verankerten Vollversammlung sorgt man dafür, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt, man mit allen Schülis gemeinsam diskutieren kann und auch alle wirklich erreicht.

Dann bleibt nur noch das Wichtigste zu tun: Zusammen, zahlreich & laut auf die Straße gehen! In Redebeiträgen müssen wir die aktuelle Situationen in unseren Schulen ganz klar kritisieren, aber auch Geflüchteteninitiativen und die beteilligten Organisationen ans Mikro holen. Auf Schildern & in Parolen ist unser Protest so laut, dass selbst die letzte Schulleitung sie nicht länger überhören kann. Und natürlich beschränkt sich unser Kampf nicht nur auf diesen Tag: So lange, wie unsere Forderungen nicht erfüllt sind, gehen wir auf die Straße und legen den Schulalltag lahm- in unserer Stadt und deutschlandweit. Für eine Zukunft, in der alle Schüler:innen ohne Angst vor Abschiebung & Gewalt lernen können. Für eine sichere & gerechte Bildung, gegen den Rechtsruck!

Link zur JgA-Telegram-Gruppe als QR-Code einfügen: https://t.me/jugendgegenabschiebung




Solidarität mit der queeren Hausbesetzung in Hannover! Für die Enteignung von Wohnraum!

von Revolution Hannover (geschrieben von Leni Kronstadt, Jail, Peter & Charlie), Mai 2024

In Hannover wurde in der Nacht vom 17.5. zum 18.5. am Klagesmarkt ein Haus besetzt. Zeitgleich zum CSD wurde die Besetzung bekannt gemacht. Aktivist:innen hingen Transparente aus den Fenstern, es wurde Pyrotechnik in den Farben der Trans* Fahne gezündet. Von Seiten der CSD-Besucher:innen gab es großen Jubel, Applaus und zustimmende Rufe. Eine Menschenmenge bildete sich vor dem Haus. Es gab antisexistische und antiqueerfeindliche Parolen. Das besetzte Haus steht seit zehn Jahren leer und dient den Besitzer:innen als Spekulationsobjekt. Bereits vor fünf Jahren wurde es schon einmal besetzt, kurz nach der Besetzung allerdings geräumt. Die Besetzer:innen zeigten sich kooperationsbreit, was die Besitzer:innen des Hauses nicht davon abhielt, Anzeige zu erstatten und eine Räumung zu fordern. Nur wenige Stunden nach dem Bekanntwerden der Besetzung griffen Bullen die Kundgebung vor dem Haus mit Pfefferspray und Schlägen an, nahmen Menschen fest und riegelten das Haus ab. Viele Menschen, Besetzer:innen sowie CSD-Teilnehmer:innen wurden verletzt. Die Polizei gab später auf X (ehemals Twitter) an, sie seien vor dem Haus angegriffen worden. Diese Behauptung konnte nicht durch Videos oder Fotos bestätigt werden. Gegen Abend wurde das Haus dann mit Hilfe der Feuerwehr geräumt, da sich Aktivist:innen auf dem Dach des Gebäudes positioniert hatten. Die Besetzer:innen erhielten einen Platzverweis.

Und das alles, obwohl auf jeden obdachlosen Menschen in Hannover gleich mehrere leerstehende Wohnungen kommen und die Stadt Hannover sechs Millionen Euro an Geldern für Jugend und Sozialarbeit streichen will. Die Besetzung hätte eine Türöffnung für einen queeren Safer-Space darstellen können, denn queere Menschen sind immer noch überdurchschnittlich oft von Obdachlosigkeit und Gewalt betroffen. Zudem mangelt es an allen Ecken und Enden an Angeboten und Unterstützung für queere Jugendliche. Statt Wohnraum zu schaffen und ernsthaft das Problem von Wohnungslosigkeit im Kapitalismus anzugehen, werden Wohnungen als Spekulationsobjekt genutzt und Mietpreise in die Höhe getrieben. Sobald dann das Elend, das durch dieses inhumane Wirtschaften mit Grundbedürfnissen von Menschen sichtbar wird, wird eine Verdrängungspolitik mit Bullenwachen und wie in Hannover am Raschplatz mit Freizeitangeboten, die von Security rund um die Uhr bewacht werden, durchgesetzt. Dass diese Verdrängungspolitik allerdings nicht zur Lösung des Problems führt, ist offensichtlich.

Wohnraum muss enteignet werden!

Wir sind solidarisch mit den Hausbesetzer:innen, da besetzte Häuser sicherere und selbstverwaltete Räume ermöglichen können, auch wenn es keine komplett sicheren Räume im kapitalistischen System geben kann. Besonders für diejenigen, die unter den katastrophalen Bedingungen des aktuellen Wohnungsmarktes kein bezahlbares Zuhause mehr finden, stellen sie aber oft eine letzte Rettung dar. Gleichzeitig ist es jedoch wichtig aufzuzeigen, dass Besetzungen allein das Problem der Wohnungslosigkeit nicht lösen können. Es ist ein fester Teil des kapitalistischen Systems und dient dazu, dieses zu stützen: Wer sich nicht genug ausbeuten lassen kann oder will, landet auf der Straße. Um dieses grundlegende Ausbeutungsverhältnis aufzuheben, müssen wir den Kapitalismus überwinden. Da dieser auf Eigentumsverhältnissen beruht, können Besetzungen durchaus ein Werkzeug sein, da sie die Differenzen zwischen den Interessen des Kapitals, das durch den Staat verteidigt wird mit Hilfe der Polizei, und den Interessen der Arbeiter:innenklasse aufzeigen können. Eine wirkliche Problemlösung für die Wohnungsnot stellen sie allein deswegen schon nicht dar, da es meistens für Menschen, die nicht in der linken Szene vernetzt sind, quasi unmöglich ist, die besetzten Räume zu nutzen. Eine reine Besetzung sollte also nicht das einzige Ziel sein, sondern mit dem Fokus auf der Enteignung durchgeführt werden. Es braucht die Kontrolle von Mieter:innen über die Wohnungen, die Enteignung von Vermieter:innen und Immobilienkonzernen und Wohnungsbau unter Arbeiter:innenkontrolle, um das Problem ernsthaft zu lösen.

Queer-Unterdrückung & Kapitalismus

Gerade in Zeiten des Rechtsruckes ist es wichtig aufzuzeigen, dass das Ideal der bürgerlichen Familie im Kapitalismus der Profitmaximierung der Kapitalist:innen dient. Es dient zur Unterdrückung der Frau, ermöglicht eine für den Staat möglichst kostengünstige Reproduktionsarbeit und ist somit behilflich dabei, Gewinn zu maximieren: Care-Arbeit ist Privatangelegenheit und Frauen leisten diese unentlohnt und oftmals allein, während Männer durch ihre Lohnarbeit die Familie finanziell versorgen sollen. Da von diesem Gehalt allein kaum eine Familie überleben kann, leisten Frauen neben ihrer Care-Arbeit meist noch zusätzliche Lohnarbeit. Queere Menschen passen nicht in dieses Weltbild, da sie sich eben nicht so leicht in die vorgeschriebenen Rollen quetschen lassen, was dazu führt, dass queere Menschen angefeindet und als „anders“ angesehen werden. Im Kapitalismus werden also einerseits queere Menschen unterdrückt und ihnen wird zum Beispiel durch unnötige Verbote oder unzureichende Gesetze das Leben schwer gemacht. Zum anderen werden Pride-Fahnen und die CSDs auch immer wieder für Marketing von Konzernen und auch Polizei und Armee genutzt. So auch in Hannover.

Keine Pride mit der Polizei!

Gerade im Pridemonth gibt es unzählige Produkte mit Pridefahnen zu kaufen, und die Polizei hat Infostände und eigene Wagen auf den CSD-Demonstrationen. Obwohl sie es waren, die vor nicht einmal fünfzig Jahren noch prügelnd durch queere Bars randaliert sind und queerfeindliche Gesetze durchgesetzt haben, was überhaupt erst zur Tradition des Christopher Street Days führte. Wie wir wissen: The first pride was a riot! Auch heute prügeln die Cops immer noch auf Queers ein, wie es bei der Kundgebung vor dem besetzten Haus auf unzähligen Videos festgehalten wurde. Die Bullen scheuen immer noch nicht davor zurück, queere Menschen zusammenzuschlagen, die an friedlichen Veranstaltungen teilnehmen. Solche Szenen sind keine „Einzelfälle“, sondern zeigen, welche Rolle die Polizei im Kapitalismus spielt: Sie ist die institutionalisierte und monopolisierte Gewalt des Staates. Das bedeutet, dass sie die Politik des Staates mit Gewalt durchsetzt. Im Kapitalismus steht dieser im Dienste der herrschenden Klasse und verteidigt deren Eigentum, da sie durch diesen Profit erzeugt. Hausbesetzungen stellen diese Eigentumsverhältnisse des Wohnraums eindeutig in Frage und werden damit automatisch von der Polizei zerschlagen. Auch Queers stellen die Herrschaftsordnung des Kapitalismus in Frage, wie weiter oben bereits erläutert. Die Polizei hat also auf dem CSD nichts zu suchen. Sie führt die Interessen des bürgerlichen Staates aus und ist kein Teil der Arbeiter:innenklasse.

Was können wir also aus diesen Erkenntnissen schließen?

Unsere Befreiung wird uns nicht geschenkt werden, wir müssen sie selbst erkämpfen. Vollständige queere Befreiung ist erst nach der Überwindung des Kapitalismus möglich, da dieser Queerfeindlichkeit braucht, um seine Unterdrückungsmechanismen durchsetzen zu können. Trotzdem werfen wir im Hier und Jetzt Forderungen auf, die unsere Situation verbessern können:

  • Polizei und Bundeswehr raus aus dem CSD und unseren Schulen!
  • Enteignung aller Immobilienkonzerne und Kontrolle der Arbeiter:innen über Wohnraum!
  • Für unabhängige Aufarbeitungsstellen zur Untersuchung von Polizeigewalt unter Kontrolle der Arbeiter:innenbewegung!
  • Für demokratisch legitimierte und kontrollierte Selbstverteidigungsstrukturen der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Queers & Frauen, sowie allen Unterdrückten und Ausgebeuteten des Kapitalismus!

Um erfolgreich gegen unsere Unterdrückung kämpfen zu können, ist es wichtig, dass wir uns organisieren. Wenn du Interesse hast, schreib uns eine DM auf Instagram und komm zu unseren Ortsgruppentreffen!




IDAHOBIT: Schulter an Schulter gegen Queerfeindlichkeit & Rechtsruck!

Von Leonie Schmidt, Mai 2024

Heute ist der IDAHOBIT, der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Seit 2005 wird dieser begangen, um an die Streichung von Homosexualität aus dem Register der Krankheiten von der WHO 1990 zu erinnern. Transgeschlechtlichkeit ist jedoch erst seit 2018 nicht mehr in der ICD zu finden. Diese Umstände zeigen schon einmal gut auf, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von queeren Personen auch heute noch auf äußerst wackligen Säulen steht. Aufgrund dessen, dass es dem BRD-Imperialismus lange Zeit sehr gut ging, konnten einige Verbesserungen für Queers erkämpft werden. Jedoch kommt es besonders in Zeiten von Krisen zu einer Zunahme von Gewalttaten gegen Queers & Frauen, während Rechte der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung schnell wieder zurückgenommen werden können (ein Blick nach Polen, Ungarn und Italien sowie die USA genügt).

Zusätzlich haben wir es weltweit mit einem massiven Rechtsruck zu tun. Sowohl die bürgerlichen Parteien rücken nach rechts als auch rechte Player gewinnen an Relevanz und Zustimmung. Das lässt sich in Hinblick auf die Finanzkrise(n) erklären, welche seit 2007/08 die Welt, wie unsere Eltern und Großeltern sie vorher kannten, aus ihren Fugen geraten lassen. Für viele Personen aus den unteren Klassen steht die Existenz auf dem Spiel, diese Sorgen führen dazu, dass rechte Ideen an Boden gewinnen, weil sie eine vermeintliche Lösung präsentieren.

Zunahme der Gewalt gegen Queers in Deutschland

Im Sommer 2023 häuften sich die Meldungen über Angriffe auf CSDs und das bei weiten nicht nur in eher rechten, konservativ-ländlichen Regionen. Im Jahr 2022 kam es sogar zu einem Mordfall auf einem CSD in Münster: Malte C., ein 20-jähriger trans Mann, wurde brutal erschlagen, weil er andere queere Personen vor einem Angreifer schützen wollte. Auch amtliche Zahlen bestätigen, was uns als queeren Personen schon lange klar ist: jährlich nehmen die angezeigten Hassverbrechen gegen queere Personen zu. Das ist seit der ersten Erfassung im Jahr 2001 erkennbar. Einen besonders starken Sprung gab es im Jahr 2018 auf 2019, wo sich die erfassten Übergriffe um 60% erhöhten, im Bereich der Gewalttaten sogar um 70 % (LVSD 2023). Im Jahr 2022 fiel die Steigerung um ca. 15% im Vergleich zu 2021 aus. Selbstverständlich müssen wir davon ausgehen, dass hier nicht jeder Übergriff verzeichnet ist. Denn nach wie vor gibt es eine hohe Dunkelziffer, viele haben (zurecht) kein Vertrauen in die Polizei und dass diese wirklich queere Menschen schützen würde. Schließlich kommt es auch immer wieder dazu, dass Polizist:innen während sie Repressionen gegen Linke verüben, queer- und insbesondere transfeindliche Beleidigungen rausholen, um uns einzuschüchtern.

Selbstbestimmungsgesetz – Ende gut alles gut?

Auf den bürgerlichen Staat ist also kein Verlass, das zeigt uns auch das brandneue Selbstbestimmungsgesetz. Sicherlich ist es im Vergleich zum veralteten TSG an manchen Stellen fortschrittlicher, doch dem Druck von transfeindlichen Akteur:innen wie den medienaffinen TERFs ist die Ampel dennoch gewichen, als sie beispielsweise die Hausrechtklausel mit eingefügt haben. Trans Personen dürfen also nun aufgrund ihrer trans Identität aus Einrichtungen verwiesen werden, eine Klausel, die nicht nur als Hintertür für Queerfeindlichkeit zu verstehen ist, sondern Trans-Feind:innen ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Auch dass die anerkannte trans Geschlechtsidentität bezüglich der Wehrpflicht im Verteidigungsfall nicht mehr zählt, ist äußerst fragwürdig und zeigt auf, dass sich die BRD mit Diversity schmücken mag, die imperialistischen Staatinteressen wiegen aber mehr. Des Weiteren soll es auch Listen von trans Personen bei den Behörden geben – ein Sicherheitsrisiko sondergleichen, wenn das in die falschen Hände gerät. In Anbetracht der rechten Strukturen in Polizei und Bundeswehr ist diese Sorge also auch nicht weit hergeholt.

AfD und die Queerfeindlichkeit

Die AfD, welche nach wie vor gute Chancen in der EU-Wahl hat – laut einer aktuellen Umfrage liegt die Prognose bei 15,6% (DAWUM 2024) – ist definitiv auch eine Partei, die gerne gegen queere Menschen hetzt. So sprach sich Andreas Gehlmann, ein Landtagsabgeordneter der AfD dafür aus, homosexuelle Menschen auch in Deutschland ins Gefängnis zu stecken (Süddeutsche 2016). Thomas Ehrhorn, ebenfalls AfD Politiker, bezeichnete Homosexualität als Geisteskrankheit, die zum Volkstod führe, da eine Gesellschaft sich so nicht fortpflanzen könne (Focus 2018). Auch wenn die AfD eine Partei mit Flügelkämpfen ist und sie nicht geschlossen hinter solchen Aussagen stehen, deuten diese Zitate schon auf die Position der AfD hin: sie möchte mit allen Mitteln die konservative Familie aus Mann, Frau und Kind(ern) erhalten. Dabei setzen sie sich gegen die Ehe für Alle ein, wollen Regenbogenfamilien nicht als gleichwertig anerkennen und möchten das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz abschaffen, was Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität, Herkunft und Religion entkriminalisieren würde. Außerdem möchten sie sexuelle Aufklärung in Bildungsreinrichtungen massiv einschränken, dies würde Kinder nur verwirren und manipulieren und dazu führen, dass sie sich selbst für queer halten. Eine lächerliche Argumentation in Anbetracht der Tatsache, wie viel Fokus nach wie auf Hetero-Beziehungen im Aufklärungsunterricht liegt!

Spaltung und Klassenkampf von oben

Die AfD ist aber nicht die einzige Partei, die Hetze gegen Queers nutzt, um sich selbst Relevanz zu verschaffen. Auch die CDU/CSU fabuliert von einer queeren Bedrohung und behauptet, Drag Queens seien pauschal eine Gefahr für Kinder. Zusätzlich haben sie sich kürzlich entschlossen, das Genderverbot in bayerischen Schulen, Unis und Behörden durchzusetzen. Auch gibt es Berichte von queeren Schul-AGs in Bayern, die aufgrund eines nicht näher begründeten Verbots der Schulleitung nicht mehr aktiv sein dürfen (Queer.de 2024). Im Allgemeinen fühlen sich viele junge Queers in Bayern unwohl, 94% erlebten bereits Diskriminierung (Queer.de 2023). Das dortige Klima ist direkt inspiriert vom US-amerikanischen Kulturkampf gegen queere Menschen. So trafen sich CSU-Politiker mit dem queerfeindlichen Senator Ron DeSantis. Aber warum? Die CSU hat in Bayern eine spürbare rechte Konkurrenz: die Freien Wähler unter Hubert Aiwanger, welche trotz (oder gerade wegen) seiner antisemitischen Flugblattkampagne an Zulauf gewonnen haben. Deswegen muss sie sich auch hier rechter positionieren, um ihre Wähler:innen nicht zu verlieren.

Dennoch ist die Union aber keine rechtspopulistische Partei, sondern weiterhin eine rechte, konservative Partei, die auf Biegen und Brechen hin versucht, ihre Wähler:innen nicht an die AfD, und in Bayern an die Freien Wähler, zu verlieren und gleichzeitig die sozialen Angriffe im Sinne der herrschenden Klasse zu verschleiern versucht. Dafür nutzt sie auch immer mehr rechtspopulistische Rhetorik und in diesem Fall queerfeindliche Rhetorik. 

Die Ablehnung queerer Personen oder Ablehnung queerer Rechte kann sich, neben dem grundlegenden Problems des Rechtsrucks, auch in Teilen mit einer massiven Unzufriedenheit mit der Ampel erklären lassen. Die Ampel, und insbesondere die Grünen, werden von ihren konservativen Gegner:innen vor allem für ihre „woke Ideologie“ angegriffen. Dadurch verbinden viele die Angriffe auf ihre soziale Lage mit dem Kampf für mehr Rechte für queere Personen. Das ist natürlich völliger Quatsch, die Grünen schmücken sich vielleicht mit Regenbogen-Farben, doch echte Befreiung werden auch sie nicht erkämpfen können (und versuchen es auch gar nicht). Dennoch funktioniert so der Klassenkampf von Oben wie er im Buche steht: die Kapitalfraktion die hinter den Grünen steht, verliert an Relevanz, zusätzlich wird die Arbeiter:innenklasse gespalten und macht für ihre missliche Lage nicht die Bourgeoisie und deren Interessen zuständig, sondern queere Personen und ihren Kampf für Akzeptanz und Gleichberechtigung.

Klassengesellschaft und Queer-Unterdrückung

Für uns als Kommunist:innen ist die Grundlage der Unterdrückung queerer Personen klar. Diese entsteht in Zusammenhang mit der Frauenunterdrückung, welche auf das Ideal der bürgerlichen Familie gestützt ist. Das Ideal der bürgerlichen Familie stellt eine wichtige Instanz im Kapitalismus dar, da durch es die Reproduktionsarbeiten in der Familie der Arbeiter:innenklasse vornehmlich auf Frauen unvergütet ausgelagert werden kann. Kurz und knapp heißt das: Frauen putzen, kochen, erziehen Kinder und haben ein offenes Ohr, damit die ganze Familie am nächsten Tag wieder werktätig sein kann. Das wird auch als Reproduktion der Ware Arbeitskraft bezeichnet. Der Umstand, dass Frauen dafür zuständig sind, ist toll für die Kapitalist:innen, denn so können sie mehr Profite machen, da diese Arbeit nicht bezahlt oder überhaupt erstmal gesehen wird. Natürlich machen auch Männer in den letzten Jahren mehr im Haushalt – Studien beweisen jedoch, dass die Hauptlast immer noch bei Frauen liegt. In einer Studie kam heraus, dass 72% der Frauen in Deutschland täglich Hausarbeit verrichten, während es nur 29% der Männer sind (Destatis 2019). Das ist jedoch kein selbstgewähltes Leid, sondern etwas, was uns von klein auf durch Rollenbilder und Erwartungen aufgezwungen wird. In genau diese Rollenbilder passen aber queere Personen nicht rein, auch wenn es immer wieder versucht wird, z.B. wenn ein lesbisches Paar gefragt wird, wer denn der Mann in der Beziehung sei. Durch ihre bloße Existenz scheint es der herrschenden Klasse, dass queere Personen der Gesellschaftsordnung gefährlich werden könnten, besonders in Zeiten von Krisen. Demnach sind so auch die Rollbacks und die Zunahme von Gewalt an Queers & Frauen zu erklären: die herrschende Klasse muss das Ideal der bürgerlichen Familie beschützen, um ihre eigene Existenz und den Kapitalismus zu schützen. Der bereits erwähnte Punkt der Spaltung der Unterdrückten und Ausgebeuteten stellt einen praktischen Nebeneffekt dar.

Zusätzlich sind wir als queere Jugendliche durch unsere Abhängigkeit vom Elternhaus auch unterdrückt, da unsere Eltern einerseits auf einer juristischen Ebene Entscheidungen über uns treffen können, z.B. ob sie uns geschlechtsangleichende Behandlungen erlauben, aber natürlich auch auf einer erzieherischen Ebene, z.B. ob sie uns den Kontakt zu anderen queeren Personen erlauben, wobei es dann möglich ist, durch die finanzielle Abhängigkeit von uns gegenüber unseren Eltern Druck auf uns auszuüben.

Was tun?

Kurz und knapp: Kapitalismus abschaffen! Die bürgerliche Familie existierte nicht immer, Frauenunterdrückung auch nicht. In der sogenannten Urgesellschaft gab es keine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, somit auch keine Rollenverteilung, die auf dem Geschlecht basierte. Es gab aber auch keine Klassen und keinen privaten Besitz an Produktionsmitteln. Stattdessen gab es ein Kollektiv, was die Aufgaben nach Fähigkeiten untereinander aufgeteilt hat.

Daraus können wir ziehen, dass wir nur in einer klassenlosen und befreiten Gesellschaft als Queers frei von Unterdrückung und Ausbeutung leben können. Das ist aber nichts, was automatisch passiert. Immerhin haben uns über viele Generationen hinweg die Rollenvorstellungen geformt. In einem sozialistischen System haben wir aber zumindest die materiellen Grundlagen, die für Frauen – und Queerbefreiung zuständig sind, aufgehoben. Keiner Einzelperson gehört mehr der Betrieb, niemand wird mehr ausgebeutet, und Frauen müssen nicht mehr dem Großteil der Reproduktionsarbeit nachgehen. Damit wir die Prägung unseres Bewusstseins hinter uns lassen können, müssen wir uns aber auch aktiv für Aufklärung einsetzen. Ebenfalls ist die Vergesellschaftung der Hausarbeit ein relevanter Punkt, um die individuelle Last für jede:n von uns minimieren zu können. Das heißt also nicht, dass wir den Leuten verbieten wollen, in monogamen Hetero Familien zu leben, aber wenn die gesellschaftlichen Strukturen nicht mehr vornehmlich darauf ausgerichtet sind, wird sich das für viele von selbst erledigen.

Wie kommen wir aber überhaupt zum Sozialismus? Dafür müssen wir im hier und jetzt ansetzen und eine Massenbewegung aus Arbeiter:innen, Frauen, Queers und Jugendlichen aufbauen. Diese muss international koordiniert sein und sich ein gemeinsames Programm geben, für das gekämpft werden soll. Das heißt, wir müssen uns auch die Probleme anschauen, die jetzt existieren und darauf konkrete Antworten finden, um die Unterdrückten und Ausgebeuteten davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus sie nicht befreien wird und stattdessen nur eine klassenlose Gesellschaft dies gewährleisten kann. Gegen die Diskriminerung von queeren Personen können wir Anti-Diskriminierungsstellen und Selbstverteidigungskomitees aufbauen und uns für selbstverwalteten Aufklärungsunterricht einsetzen. Wollen wir gegen den Rechtsruck ankommen, müssen wir uns auch um die wirtschaftliche Lage von Arbeiter:innen, Jugendlichen und dem niederen Kleinbürger:innentum kümmern, indem wir für ein Mindesteinkommen für Schüler:innen und Studierende sowie eine Erhöhung von Mindestlöhnen mit Hilfe einer gleitenden Lohnskala angepasst an die Inflation eintreten. Für die Koordinierung dieser Kämpfe brauchen wir auch eine neue revolutionäre Partei, die diese anführt, genau wie eine neue Jugendinternationale, um auch der Jugendunterdrückung einen eigenen Fokus geben zu können.

Klar ist, die Befreiung wird uns niemand schenken, wir müssen selbst aktiv werden! Wenn du genau das willst, schließ dich unserem Kampf für die Befreiung von Queers und allen anderen Ausgebeuteten und Unterdrückten an! Melde dich einfach bei uns und wir klären alles weitere persönlich ab.

Quellen




Eurovision Song Contest 2024 – United by Genocide?

von Leonie Schmidt, Mai 2024, zuerst veröffentlicht in der Infomail 1254 der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Gestern Abend fand in Malmö das Finale des 68. Eurovision Song Contest unter dem Motto „United by Music“ statt. Überschattet war es, völlig zu Recht, von verschiedenen Protesten gegen die Teilnahme Israels und Boykottaufrufen. In den letzten Jahren hat sich das Schauen des ESCs besonders bei einem jüngeren und queeren Publikum zu einem festen kulturellen Bestandteil gemausert. Jährlich schalten für das Finale um die 162 Mio. Menschen weltweit ein. In diesem Artikel wollen wir die verschiedenen Aktionen, Vorfälle und Proteste näher beleuchten und auch auf die kulturelle Bedeutung des ESC eingehen.

Der ESC ist nicht unpolitisch!

Die erste Frage, die sich stellt, ist für viele sicher erst einmal, warum Israel überhaupt beim ESC teilnehmen darf. Immerhin liegt es nicht in Europa und begeht gerade einen Genozid in Gaza. Das lässt sich damit erklären, dass es Teil der Europäische Rundfunkunion (EBU) ist. Tatsächlich sind nicht nur europäische Staaten und ihre Sender vertreten, jedoch ist Israel historisch gesehen das erste Land, was außerhalb der EU liegt und beim ESC antrat. Allerdings könnte man ja meinen, dass die EBU Kriegsverbrechen sanktioniert, immerhin wurde Russland nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine auch ausgeschlossen. Doch diese Doppelmoral erklärt die EBU mit dem Verhältnis des russischen und israelischen Senders zu ihrer jeweiligen Regierung. Beim israelischen Sender KAN bestünden keine Verletzungen der Werte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seltsam in Anbetracht der Tatsache, dass auf X (vormals Twitter) Videos kursieren, auf denen zu sehen ist, wie der Sender KAN seinen Namen auf Panzergranaten schreiben lässt, die dann nach Gaza geschickt werden. So scheint es sich ja doch um eine kriegstreiberische Rundfunkanstalt zu handeln.

Vor allem aber möchte sich die EBU darauf ausruhen, dass der ESC unpolitisch sei. Das gelte selbstverständlich auch für die israelische Kandidatin Eden Golan, die ihren ESC-Song „October Rain“ in „Hurricane“ abändern musste. Doch beugen wollte sich Israel anfangs nicht direkt, ursprünglich wollte es die Teilnahme absagen, wenn das Lied abgeändert werden müsste. Letztendlich trat Golan doch an, zu symbolisch sei der Auftritt beim ESC. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen: Es handelt sich immer noch um dasselbe Lied, welches inspiriert ist von den Folgen des Angriffs der Hamas für die Israelis im Oktober 2023 und in diesem Kontext auch als Propaganda für den Krieg in Gaza gegen die Palästinenser:innen verstanden werden muss. Interessanterweise gibt es im Allgemeinen gerade in Israel eine Welle an Propagandasongs von jungen Künstler:innen, vornehmlich aus dem Bereich Hip-Hop, die den Krieg in Gaza und auch den Genozid glorifizieren und so IDF-Soldat:innen und die gesamte Bevölkerung bei der Fahnenstange halten sollen. Ein Beispiel ist der Song „Harbu Darbu“ von Ness und Stilla, die Zeilen wie „Wait for it to rain on you, whores. Every bad person comes for his punishment in the end“ (Deutsch: „Wartet, bis es auf euch regnet, Huren. Jeder schlechte Mensch kommt am Ende für seine Strafe auf“) beinhalten. Das Lied von Eden Golan ist zwar sicher nicht derart vulgär und gewaltverherrlichend, doch es muss dennoch als Inszenierung der Opferrolle des israelischen Staats verstanden werden. Schließlich ist es ein sehr emotionales Lied, was den Anschein erweckt, dass nicht gerade 35 Tausend Palästinenser:innen in Gaza durch die Hand des israelischen Militärs ermordet worden wären, zumal Eden Golan bereits angekündigt hat, nach ihrem ESC-Auftritt der IDF beizutreten.

Der diesjährige ESC wurde im Übrigen auch von einer israelischen Firma massiv gesponsert: Moroccanoil. Die Haarpflegeprodukte, die sie produziert, werden auch teilweise in besetzten palästinensischen Gebieten hergestellt. Sie profitiert also direkt von der Apartheid, und indem sie Teil des ESCs ist, erhält sie mehr Reichweite, Kredibilität und kann so noch mehr Produkte verkaufen.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Israel die Teilnahme beim ESC nutzt, um sich und seine Apartheid gegenüber Palästina in ein besseres Licht zu rücken. 2019 konnte es sich bereits als unfassbar queerfreundliches Land inszenieren, was, wie wir in diesem Artikel näher ausgeführt haben, nicht der Realität entspricht. Auch der US-amerikanische Sender CNN bestätigt die Softpower, die durch die Teilnahme am ESC aufgebaut werden kann, besonders für Länder, die Menschenrechtsverletzungen begehen. Der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog unterstreicht ebenso die Beweggründe, die hinter der Teilnahme stecken, wie die Times of Israel berichtete: Eine Teilnahme Israels an dem Wettbewerb sei wichtig für das Land und auch ein Statement. Es gebe Juden-/Jüdinnenhasser:innen, die versuchten, Israel von jeder Bühne zu vertreiben. Selbstverständlich geht es hier nicht wirklich um Antisemitismus, aber mit dieser Behauptung kann sich Israel eben wieder besser als Staat inszenieren, der ein Recht darauf hat, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen, um seine proimperialistischen Absichten zu verschleiern. Den Beweis für diese These lieferte Israel gleich selbst: Während Eden Golan schmerzerfüllt in Malmö ihre Ballade trällerte, bombardierte die IDF den Gazastreifen, schoss auf einen Krankenwagen, der gerade verletzte Palästinenser:innen transportierte.

Der ESC ist also alles andere als unpolitisch. Auch wenn man sich das Abstimmungsverhalten der Vergangenheit anschaut, offenbart sich, dass „politische Spannungen“ keinen unwichtigen Einfluss haben und selten Punkte an Länder gehen, mit denen das jeweilige Land aus politischen oder kulturellen Gründen im Zwist bzw. in Konkurrenz steht. Beispielsweise erhielt Großbritannien 2021 0 Punkte sowohl von der Jury als auch Zuschauer:innen als Reaktion auf den Brexit.  Auch hinsichtlich des europäischen Imperialismus stellt es keinen unwichtigen Aspekt dar. Immerhin wurde der ESC 1956 gegründet, um die Einheit der teilnehmenden Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg zu fördern. Dahinter steht auch die Idee eines vereinten Europas als Wertegemeinschaft, welches dieselben (imperialistischen) Interessen vertritt. Genau genommen sind das natürlich die der imperialistischen Kernzentren Deutschland und Frankreich, auch wenn ihre Macht innerhalb der EU und des imperialistischen Weltsystems am Bröckeln ist. In dem Fall des diesjährigen ESC sollte daher ganz klar unterstrichen werden, dass der europäische Imperialismus hinter Israel steht. Selbstverständlich fördert der ESC auch nationalistische Gefühle durch die Konkurrenz der verschiedenen Länder und Identifikation mit der „eigenen“ künstlerischen Vertretung. In den letzten Jahren wurde das von einem queeren Publikum vermehrt aufgebrochen: Dadurch, dass offen queere Personen antreten und die Show seit jeher extravagant ist, empfinden viele auch abseits von nationalistischen Gefühlen Spaß an der Show.

Kein Sieg für Israel

Gewonnen hat Nemo, Vertretung der Schweiz, mit einem Lied über their Nichtbinarität. Dabei waren die Jurypunkte entscheidend. Zusätzlich tritt Nemo auch offen für einen Waffenstillstand in Gaza ein. Bei der Übergabe der Auszeichnung sprach sich they unkonkret für Frieden aus.

Israel hat trotz des Versuchs, viele Leute zu motivieren, für Golan zu stimmen, nicht gewonnen. Immerhin. Der 5. Platz jedoch wurde ihr sicher. Interessanterweise waren die Jurypunkte dabei nicht entscheidend, auch wenn sich Deutschland und Israel gegenseitig damit beschenkten. Stattdessen waren es die Televotes der Zuschauenden, die alle zusammengerechnet werden. Israel erhielt hier 328 Stimmen, 12 Punkte kamen unter anderem aus Deutschland. Wären also nur diese ausschlaggebend, hätte Israel tatsächlich gewonnen. Im Kontext der Boykottaufrufe ist es zwar nicht allzu verwunderlich, immerhin haben so Zionist:innen mehr Macht gehabt, wenn Fans, die für Palästina sind, gar nicht erst abstimmen. An diesem Ergebnis zeigt sich aber auch, wie gut die Propagandamasche und die Opferrolle ankommen. Aber es hätte eigentlich gar nicht so weit kommen dürfen, dass der Apartheidstaat Israel solch einen Auftritt hinlegen darf, um die Sympathien des TV-Publikums zu erheischen.

Gegenstimmen von Künstler:innen

Vor dem diesjährigen ESC hatten sich 2.000 Künstler:innen aus Schweden, Finnland und Island gegen eine Teilnahme Israels ausgesprochen. Auch hat die schwedische Gewinnerin des ESC 2023 Loreen verkündet, dass sie nicht Eden Golan den Preis überreichen würde, hätte diese gewonnen. Statt die vermeintliche politische Neutralität des ESC hinzunehmen, haben außerdem einige Künstler:innen, die am ESC teilnehmen (sollten), sich gegen die unkommentierte Teilnahme Israels ausgesprochen. Während einer Pressekonferenz zeigten sich Bambi Thug, Irlands Kandidat:in, Joost Klein, niederländischer Kandidat und Marina Satti, Griechenlands Vertreterin wenig begeistert von Eden Golans Statements gegenüber der Presse. Des Weiteren unterzeichneten einige von ihnen einen offenen Brief, der für Frieden, einen Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln plädiert und Israel als Apartheidstaat bezeichnet. Nemo, Sieger:in des ESC für die Schweiz, unterschrieb diesen ebenfalls. Auch der vormalige schwedisch-palästinensische ESC-Gewinner von 2011, Eric Saade, setzte ein Statement, indem er bei der Eröffnung des Halbfinales eine Kufiya um sein Handgelenk geschlungen trug. Auf Instagram teilte er mit, dass die EBU seinen Auftritt nicht geteilt hatte, er aber keinesfalls schweigen wolle, wenn Kinder abgeschlachtet werden, unabhängig davon, wer die Täter:innen seien. Politische Statements und Palästinafahnen wurden von Seiten der EBU untersagt, das Tragen der Kufiya kann dabei allerdings als Grauzone interpretiert werden. Auch Bambi Thug trug sie während eines Presseinterviews, they durfte aber nicht mit Körperbemalung in mittelalterlicher-keltischer Schrift auftreten, die Freiheit für Palästina und Waffenruhe fordert. Die portugiesische Vertreterin Iolanda zeigte ihre Palästinanägel in Kufiyamuster beim Finale, bisher ohne weitere Konsequenzen, außer, dass ihre Performance nicht auf Youtube hochgeladen wurde wie alle anderen Songs, sondern stattdessen ihr Auftritt vom Halbfinale. Auch die italienische Vertreterin Angelina Mango setzte laut X ein Zeichen, indem sie bei der Flaggenparade absichtlich die italienische Flagge so mit ihrem Kleid kombinierte, dass es wie eine Palästinafahne aussah.

Konsequenzen scheint es aktuell für Joost Klein zu geben. Dieser wurde ausgeschlossen, wenig ist jedoch bisher bekannt. Nachdem er von der israelischen Delegation massiv bedrängt wurde, die seine toten Eltern, wegen welchen er überhaupt erst am ESC teilnehmen wollte, verhöhnte, wurde nun spekuliert, dass er deswegen verbal ausfällig geworden sei. Es wurden polizeiliche Ermittlungen eingeleitet und der niederländische Broadcaster des Eurovision Song Contest, AVROTROS, schildert den Vorfall wie folgt: Nach seinem Auftritt habe Joost mehrfach zu verstehen gegeben, dass er nicht gefilmt werden möchte. Dem wurde von nicht nachgegangen, trotz Wiederholung von Joosts Bitte. Daraufhin habe er sich in bedrohlicher Gestik auf die Kamera einer schwedischen Kamerafrau zubewegt, mehr sei jedoch nicht passiert. AVROTROS weigerte sich danach, die niederländischen Punkte zu übermitteln, und bezeichnet den Ausschluss von Joost Klein als völlig überzogen.

Es drängt sich jedenfalls das Gefühl auf, dass hier mit allen Mitteln versucht wird, die Künstler:innen, die sich kritisch zur Teilnahme Israels äußern, unter Druck zu setzen und ihnen notfalls die Plattform zu entziehen. Und das, während es der israelischen Delegation erlaubt bleibt, in sozialen Medien zu teilen, dass in ihrer Nähe kein/e Antisemit:in atmen dürfen solle, und Bambi Thugs Nichtbinarität durch den Kommentator des israelischen Übertragungssenders im Halbfinale durch den Dreck zu ziehen (seltsam, Israel ist wohl doch nicht so queerfreundlich?). Letzteres wird übrigens von der EBU mittlerweile als Regelverstoß gewertet. Er ist scheinbar jedoch nicht gravierend genug für eine Disqualifikation. Es häufen sich außerdem auch Berichte von kritischen Journalist:innen und anderen Teilnehmenden, die aussagen, dass sie von der israelischen Delegation ungefragt gefilmt, beleidigt und bedroht wurden.

Manipulation beim ESC?

Einen weiteren wichtigen Punkt stellen die Vorwürfe gegen verschiedene Aspekte des Wettbewerbs dar. Auf X (vormals Twitter) wurde geteilt, die EBU habe die Buhrufe des Publikums bei Eden Golans Auftritt im Halbfinale mit Applaus ersetzt. Obwohl im Stadion in Malmö die ablehnende Haltung klar zu hören war und auch durch Handyaufnahmen nachzuprüfen ist, schien es im Stream ganz anders: Hier erntete sie stattdessen tosenden Applaus. Auch der deutsche Vertreter für den ESC aus dem Jahr 2021, Jendrik, kritisierte diese Praxis auf X. Beim Finale selbst waren die Buhrufe zumindest deutlich zu hören und wurden auch vom deutschen Kommentator der Übertragung, Thorsten Schorn, aufgegriffen. Aber auch hier zeigen die Aufnahmen aus dem Stadion eine ganz andere Geräuschkulisse als die, die vor dem Fernseher ankam. Eine solche Manipulation der Reaktion von Zuschauer:innen ist nicht hinnehmbar und wird zu einem politischen Akt, auch wenn es im Namen des vermeintlich Unpolitischen durchgesetzt wird.

Die Abstimmungen für die Teilnahme am Finale haben ebenso Spekulationen nach sich gezogen. So veröffentlichte der italienische Broadcaster aufgrund von technischen Fehlern die Abstimmungsergebnisse, was eigentlich nicht erlaubt ist. Zuschauenden fiel auf, dass diese für Israel ungewöhnlich hoch seien. Auch das Televoting im Finale verwirrte einige – so hätten die Zuschauenden aus Irland 10 Punkte für Israel verteilt. Gerade in Anbetracht der irischen Kolonialgeschichte und des offenen Supports vieler Ir:innen für Palästina wirkt das doch ein bisschen seltsam. Natürlich gibt es nicht nur in Israel Zionist:innen, die für dieses Land abstimmen würden, daher muss nicht gleich von einer Manipulation ausgegangen werden. Jedoch gab es auch in der Vergangenheit Untersuchungen, das letzte Mal nach dem ESC 2022, aufgrund von „Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe“. Aufzuklären ist das durch Spekulationen jedenfalls nicht, stattdessen sollten die Abstimmungsergebnisse offengelegt und von Arbeiter:innenorganen überwacht und ausgewertet werden, um eine bessere Transparenz gewährleisten zu können.

Proteste

Doch auch außerhalb der Arena in Malmö kam es zu massiven Protesten. Auch die Sektion Arbetarmakt der LFI war vor Ort. Laut schwedischer Polizei strömten dabei in den vergangenen Tagen bis zu zwanzigtausend Menschen durch die Straßen bei Demonstrationen in der schwedischen Stadt, darunter auch Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie bezeichneten den ESC als Genocide Song Contest, forderten ein freies Palästina und einen sofortigen Waffenstillstand. Des Weiteren forderten sie den Boycott des ESC, als Teil der BDS-Kampagne im Bereich des kulturellen Boykotts. Durch den Aufschwung der Palästinasolidaritätsbewegung im Rahmen der weltweiten Unibesetzungen wurde auch dem Gegenprotest gegen den ESC eine besondere Aufmerksamkeit zuteil und viele Leute gingen auf die Straße.

Daneben gab es in anderen Ländern Aktionen. So schalteten belgische Gewerkschaften beim Halbfinale am Ende und Anfang der Übertragung eine Texttafel, die #Ceasefirenow und #StopGenocide beinhalteten. Das war nicht abgesprochen mit dem Sender, der in Belgien den ESC übertrug, jedoch ist das auch scheinbar nicht nötig.

Perspektive

Die belgische Gewerkschaft kann man sich jedenfalls definitiv in dieser Hinsicht zum Vorbild nehmen. Genau solche Aktionen wären unter anderem notwendig, um eine noch größere Öffentlichkeit zu schaffen für den Genozid in Gaza, die Vorkommnisse und Zensur beim ESC sowie Doppelmoral bezüglich der israelischen Teilnahme. Dafür müssten sich die Gewerkschaften in der Unterhaltungsbranche der teilnehmenden Länder und die Arbeiter:innen dieser zusammentun, könnten auch zusammen mit den Künstler:innen die Plattform des ESC nutzen, um ein Zeichen zu setzen und die israelische Teilnahme zu blockieren, wenn die EBU hier schon mit zweierlei Maß messen will. Im Zusammenhang mit gewerkschaftlicher Aktion kann auch die Boykottkampagne sinnvoll sein. Ebenso wäre natürlich auch eine komplette Bestreikung des ESCs oder die Besetzung der Arena in Malmö eine Möglichkeit gewesen.

Grundsätzlich müssen die Strukturen des ESCs transformiert werden. Die höheren Tiere der EBU haben bewiesen, dass sie durch ungerechtfertigte Entscheidungen, Ausschlüsse und Zensur alles versuchen, den Protest verstummen zu lassen. Ein solcher Song Contest, der fair und für Künstler:innen ein sicherer Ort ist, während imperialistische Staaten keine Plattform für die Legitimierung ihrer Kriegsverbrechen erhalten, kann nur durch Rätestrukturen von Arbeiter:innen, Zuschauenden und Künstler:innen gewährleistet werden! Zusätzlich kann man sich überlegen, ob die Zentrierung um die Herkunft der antretenden Künstler:innen abgeschafft werden kann. Aber erstmal ist klar: Der ESC darf nicht zum Propagandamittel für den Genozid werden! Take back the ESC! Oder um es mit den Worten von Bambie Thug zu sagen: „Fuck the EBU, we are what the Eurovision is!“ (Deutsch: „Scheißt auf die EBU! Wir sind die Eurovision!“)