EndFossil:Occupy – Besetzen gegen die Klimakrise!

Von Lia Malinovski, Mai 2023

Seit dem 2. Mai sind deutschlandweit mehrere Besetzungen an Schulen und Unis im Gange oder geplant. In Berlin startete End Fossil: Occupy! am Dienstag, den 2. Mai, der Emil Fischer Hörsaal der Humboldt Universität wurde besetzt! Mittlerweile wurde sich dort entschlossen, die Besetzung zu beenden. In Hamburg begann die Besetzung des Hörsaals am Von-Melle-Park 9 (VMP9) der Universität Hamburg am Mittwoch und hält bis heute an. Seitens des Präsidiums der Uni war die Besetzung zunächst bis Montag den 8. Mai geduldet. Wie lange die Besetzung nun noch durchhält, ist von mehreren Faktoren abhängig. Darunter die Motivation der Besetzenden und deren Errungenschaften. Die aktuelle Besetzungswelle ist aber nicht nur in Deutschland, sondern international: Neben Besetzungen in Spanien und Italien finden auch Aktionen in Portugal und Tschechien statt.

EndFossil: Occupy! (EFO) wirft mit seinen Besetzungen erneut die Frage nach der Strategie und der Neuaufstellung der Umweltbewegung in Deutschland und international auf. Mit Antikapitalismus und der Aktionsform der Besetzung sollen neue Gruppen angesprochen werden und die Stagnation der Umweltbewegung, die sich besonders an FFF zeigt, überwunden werden. Damit ist EFO nicht alleine: Ende Gelände, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation versuchen das ebenfalls, jeweils ihre andere Art und Weise und mal mehr, mal weniger erfolgreich. Alle EFO haben aber eine Problematik gemeinsam: Obwohl in Teilen ein gewisser Antikapitalismus vertreten ist, gibt es keine Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus. Es wird an die Politik appelliert oder schlicht zur Organisierung und „Überwindung der Verhältnisse“ aufgerufen, ohne dabei ein klares Ziel oder Weg dorthin zu formulieren. Um das zu verdeutlichen, wollen wir hier auf einige Forderungen von EFO Bundesweit eingehen: „Energieproduktion vergesellschaften!“. Im Erklärungstext zu der Forderung sieht EFO, dass die Konzerne den kurzfristigen Profit an erster Stelle sieht, auch wenn dabei die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört werden.

Sie erkennen richtig, dass die Produktion in den Händen von einzelnen Konzernen und deren Bossen nicht im Interesse der Mehrheit, besonders der Arbeiter_Innen ist. Aber geht es darum, das zu verändern, schließen sie sich der Forderung „RWE&Co. Enteignen“ an. Dabei ersetzen sie den Begriff Enteignung durch Vergesellschaftung, klären aber nicht die Frage der Kontrolle. In den Händen des Staates wird die Energieproduktion nicht im Interesse der Mehrheit, dem Proletariat, organisiert, sondern zur Sicherung der Profite anderer Wirtschaftsbranchen, siehe hier Vattenfall. Damit ist es auch keine Forderung, die im Interesse der Umweltbewegung ist: Denn Profite für wenige gehen immer auf Kosten der Mehrheit, ohne Rücksichtnahme auf die Umwelt. Die Forderung muss also durch die Frage der Kontrolle über die (Energie) Produktion ergänzt werden. Wir schlagen hier vor, dass Konzerne wie RWE und Co unter demokratische Kontrolle der Beschäftigten enteignet wird, realisiert durch die Organisierung der Arbeiter_Innen in Betriebskomitees.

Auch wenn wir Kritik an den Forderungen haben, die nicht weit genug gehen, sind sie ein großer Schritt in die richtige Richtung: Denn während FFF und die Letzte Generation an die Politik auffordern, geht EFO den Schritt weiter zu sagen,, dass reines Appellieren nicht reicht! Sie machen deutlich, dass es Selbstorganisierung braucht in Form von Streiks und Besetzungen, an Schulen und Unis und langfristig auch im Betrieb!

Wie muss es mit den Besetzungen weitergehen?

Die Berliner Besetzung hat sich mittlerweile aufgelöst, die Hamburger Besetzung geht in die Verhandlungen und Besetzungen in anderen Städten beginnen erst jetzt. Optimalerweise hätten sich die Städte konsequent abgesprochen sollen, dass alle Besetzungen gleichzeitig starten, aber das ist bei einer jungen Bewegung nicht immer leicht. Es hätte jedoch eine bundesweite Planung gebraucht, die das gesamte Geschehen koordiniert und in Verhandlungen nicht nur als absprechende Position, sondern auch als leitende fungiert. Damit könnte die Einhaltung der Forderungen kontrolliert, und die Aufmerksamkeit für die Besetzungen entscheidend erhöht werden.

Für die Berliner Besetzung gilt einerseits, dass sich das Bündnis ausweiten sollte und auf erneute Besetzungen vorbereiten muss, bis die Forderungen erfüllt sind. Für Hamburg und die jetzt Startenden gilt andererseits, dass sie sich vor der Uni nicht klein machen dürfen, sondern auf ihren Forderungen beharren müssen! Aber sie müssen sich auch mit den studentisch Beschäftigten vereinen, denn wenn die anstehenden Streiks noch mit den Besetzungen verbunden werden, kann die Uni nicht länger wegsehen oder die Besetzung isolieren! So können die Verhandlungen rund um TV Stud eine Möglichkeit sein sich aktiv mit den Beschäftigten, zunächst denen an der eigenen Uni, zu solidarisieren und gemeinsam zu kämpfen! Deren Forderungen durch Besetzungen zu untermauern und sie gleichzeitig als Verbündete im Kampf für Klimagerechtigkeit zu gewinnen! Außerdem ist es zentral sich auch mit Arbeiter_innen aus anderen Bereichen in Verbindung zu setzen, wie es zwischen den ÖPNV-Streikenden und linken Ortsgruppen von Fridays for Future bereits geschehen ist! Denn nur gemeinsam mit den Arbeiter_innen ist es möglich die Kraft zu erlangen, die es braucht, um Klimagerechtigkeit durchzusetzen!

Richtigerweise fordert EFO auch einen Klimageneralstreik. Streiks und Besetzungen müssen bis zu einem Generalstreik geführt werden, der die Macht des fossilen Kapitalismus bricht und eine ökologische Transformation unter Kontrolle der Arbeiter_innen und Jugendlichen ermöglicht!




Gewerkschaften und die sozialistische Revolution

Lukas Müller, Rede vom 1. Mai 2023 in Leipzig

Ich bin Lukas, ich bin Sozialpädagoge in der Jugendhilfe, bei ver.di und aktiv in der Gruppe Arbeiter:innenmacht, sowie der Jugendorganisation REVOLUTION

Aktuell arbeiten wir als Gruppe auch im Bündnis „wir-fahren-zusammen“ mit, welches hier in Leipzig versucht eine Brücke zwischen der Umwelt- und der Gewerkschaftsbewegung zu schlagen und in beide eine antikapitalistische Perspektive zu tragen.

Der Lebensstandard von Lohnabhängigen in Deutschland ist seit Corona und Inflation immer weiter gesunken, während die Konzerne gleichzeitig an die Aktionär:innen für das vergangene Jahr Gewinne in Rekordhöhen auszahlen wollen. Die 100 größten Unternehmen sollen zusammen ca. 62 Milliarden an Dividenden an ihre Anteileigner ausschütten. Und diese Anteileigner sind in erster Linie natürlich eine Handvoll Kapitalist:innen. Die Konzerne konnten ihre Gewinne um mehr als 10 % im Vergleich zum vergangenen Jahr steigern, aller Krisen zum Trotz. Gewinne, die durch die Arbeitskraft von uns Lohnabhängigen erwirtschaftet werden. Und wie immer wird natürlich das Märchen verbreitet, es sei nicht genug für Lohnerhöhungen da. Es sind die üblichen dreisten Lügen unser Klassenfeinde.

Als Antwort darauf sehen wir aber auch einen Aufschwung von Arbeitskämpfen und Streiks seit vergangenem Jahr. Auch die Lohnforderungen der Gewerkschaftsführungen sind dieses Jahr deutlich höher ausgefallen als üblich. Beschäftigte strömen entgegen des vorherigen jahrzehntelangen Trends wieder in die Gewerkschaften und organisieren sich in ihrem Betrieb. Zehntausende haben sich alleine bei ver.di seit Anfang des Jahres neu organisiert. In vielen Betrieben ist die Organisierung sprunghaft angestiegen. Eine halbe Millionen haben sich an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst beteiligt. Beim gemeinsamen Streik von ver.di und EVG, an dem sich Busse, Straßenbahnen, U- und S- Bahnen, Fernzüge, Flughäfen und Hafenarbeiter:innen beteiligt haben, wurde ganz Deutschland lahngelegt. Das hat es seit ca. 20 Jahren nicht mehr gegeben.

Der zunehmende Grad der Organisierung und Kampfbereitschaft der Belegschaften spiegelt sich allerdings wenig bis gar nicht in den Tarifabschlüssen wieder. Bei der Post hat sich die Gewerkschaftsführung auf einen von Konzernseite in letzter Sekunde vorgelegten Vorschlag eingelassen, während die Urabstimmung zum Streik schon längst gelaufen war und sich gezeigt hat, dass über 85 % der Beschäftigten kampfbereit für einen unbefristet Streik sind. Der Abschluss ist eine Katastrophe und bedeutet abermals massive Reallohnverluste für die Beschäftigten, während der Konzern im vergangen Jahr einen neuen Rekordgewinn von 8,4 Milliarden eingefahren hat. Das Ergebnis im TVöD fällt zwar nicht ganz so katastrophal aus, bleibt mit seinen 24 Monaten Laufzeit aber auch weit hinter den Forderungen zurück und geht kaum über den faulen Schlichtungskompromiss hinaus.

Das sind keine Einzelfälle, sondern das hat System. Wenn wir uns die Struktur der Gewerkschaften im Allgemeinen und der Tarifkommissionen im Besonderen anschauen, dann fällt schnell auf, dass es ein massives Machtgefälle zwischen der Basis und dem Apparat aus hauptamtlichen Funktionär:innen, der Bürokratie, gibt. In den Tarifverhandlungen geben nicht Vertreter:innen aus den Belegschaften selbst den Ton an, sondern die Funktionär:innen, die vom Ergebnis gar nicht betroffen sind. Die Richtlinien der Tarifkommissionen werden nicht in der Satzung geregelt, sodass diese nicht von der Basis auf dem Gewerkschaftstag mitbestimmt werden können, sie werden vom Vorstand oder Beirat festgelegt. Es gibt eine Pflicht zur Verschwiegenheit über die Verhandlungen. Die Gewerkschaftsbürokratie verheimlicht also gegenüber den Belegschaften was genau diskutiert wurde, ob es Gegenvorschläge gab und wer wie abgestimmt hat. Und am Ende haben die Beschäftigten keinerlei Einfluss darauf, ob das Verhandlungsergebnis angenommen wird oder nicht, denn die Befragungen sind nicht mehr als ein Stimmungsbild, ohne bindende Kraft. Die Bürokratie entzieht sich weitestgehend der Kontrolle der Basis. Bis auf einige Funktionäre als Mitglieder eines Gremiums, sind die Hauptamtlichen für die Basis weder wähle- geschweige denn abwählbar.

Gewerkschaftsfunktionär:innen verdienen Gehälter, die jene der Beschäftigten um ein Vielfaches übersteigen, von den Gewerkschaftsbossen mit ihren Jahresgehältern in Höhe von teilweise mehreren 100.000 € ganz zu schweigen. Die Bürokratie hat ihren Frieden mit dem Kapitalismus und der Ausbeutung der Lohnarbeit längst geschlossen. Die Gewerkschaftsbosse sitzen mit den Kapitalist:innen in den großen Aufsichtsräten und betrachten sich als Mitverwalter der Konzerne. So saß der Ver.di Chef Frank Werneke bis letztes Jahr z.B. im Aufsichtsrat von RWE und der deutschen Bank. Die Bürokratie hat ihre eigene soziale Frage vorerst gelöst. Dadurch hat sie ein ganz eigenes soziales Interesse: Sie will die Arbeiter:innenklasse mit den Konzernen im Sinne der sogenannten „Sozialpartnerschaft“ und des „Interessensausgleich“  versöhnen. Aber mit den Kapitalist:innen und ihrem System der Ausbeutung kann es keine Versöhnung geben!

Das Bestehen einer versöhnlerischen Bürokratie ist keineswegs eine neuere Entwicklung der heutigen Gewerkschaften. Bereits zurzeit von Rosa Luxemburg und Lenin war dies der Fall. Lenin bezeichnet die Gewerkschaftsführungen in seiner wichtigen Schrift „Der linke Radikalismus“ als reaktionär, als Agenten der Kapitalist:innen innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Und auch Rosa Luxemburg lieferte sich mit den deutschen Gewerkschaftsspitzen einen heftigen Schlagabtausch und verfasste im Zuge dessen ihr viel beachtetes Buch „Massenstreik, Partei und Gewerkschaft“. Heißt das also, dass sich Lenin und Luxemburg gegen die Gewerkschaften richteten? Im Gegenteil. Beide erklärten es für ein zentrales Ziel von Marxist:innen innerhalb der Gewerkschaften aktiv zu sein, dort ihre Ideen zu verbreiten und die Kontrolle über die Gewerkschaften in die Hände der Arbeiter:innenklasse selbst zu legen. Kräfte, die die Arbeit in den Gewerkschaften ablehnten, überzog Lenin in besagter Schrift mit beißendem Spott.

Historisch gesehen sind die Gewerkschaften spontan aus dem Kampf heraus entstanden, aus der bitteren Notwendigkeit sich gegen die unmittelbarsten Angriffe der Kapitalist:innen verteidigen zu setzen. Und auch heute noch treten Lohnabhängige unabhängig von ihrer politischen Vorerfahrung oder ihren politischen Ansichten in die Gewerkschaften ein, um sich zur Wehr zu setzen. Sie sind die ersten Sammelpunkte des Widerstandes, wie Friedrich Engels schrieb, sie sind eine Schule des Klassenbewusstseins und bilden die Grundlage für die Vereinigung der gesamten Arbeiter:innenklasse. Über 5 Millionen Arbeiter:innen sind in den Gewerkschaften des DGB in Deutschland organisiert. Es sind jene Teile der Klasse, die bereits jetzt ein rudimentäres Klassenbewusstsein besitzen. Nicht in den Gewerkschaften arbeiten zu wollen, würde bedeuten den Kampf gegen die Bürokratie aufzugeben und diese ersten Sammelpunkte des Widerstand mit ihren aktuell 5 Millionen fortschrittliche Arbeiter:innen der Bürokratie kampflos zu überlassen.  Das ist genauso falsch, wie sich der Bürokratie und ihrer Sozialpartnerschaft kritiklos unterzuordnen.

 Für Marxist:innen ist es eine zentrale Aufgabe innerhalb der Gewerkschaften und der von ihr geführten Tarifkämpfe an vorderster Front mitzukämpfen. Die Tarifkämpfe sind ein wichtiger Ansatzpunkt um Kämpfe zuzuspitzen und ökonomische mit politischen Fragen zu verbinden. Sie sind ein Ansatzpunkt der Selbstermächtigung und Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse und damit auch ein Ansatzpunkt die Macht der Bürokratie zu zerbrechen. Marxist:innen sollten innerhalb der Gewerkschaften offen als solche auftreten und ehrlich darlegen für welche politischen Positionen und Taktiken sie stehen. Wir sollten zu Wahlen in den Gewerkschaften und den Betrieben antreten. Wir müssen für das Recht eintreten, dass innerhalb der Gewerkschaften jede/r die Möglichkeit hat mit Flugblättern, Zeitungen, Veranstaltungen usw. um Positionen zu kämpfen, was sich nach wie vor die Bürokratie vorbehält. Um die Macht aus den Händen der Bürokratie zu nehmen ist es zentral, lokale Komitees in den Fabriken aufzubauen, in denen die ArbeiterInnen ihre Kämpfe selbst organisieren und Perspektiven diskutieren. Weiter müssen wir für die Demokratisierung des Gewerkschaftsapparats unter Kontrolle der Basis kämpfen. Dieser Kampf bedeutet, dass sämtliche politischen FunktionärInnen auf lokalen, regionalen oder bundesweiten Versammlungen gewählt und jederzeit wieder abgewählt werden können. Es bedeutet, dass Entscheidungen über Streiks von der Basis mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Es bedeutet, dass der Rahmen in dem Tarifverhandlungen geführt werden vorher von den ArbeiterInnen abgesteckt wird und das Ergebnis zustimmungsbedürftig ist. Außerdem sollten wir dafür kämpfen, dass die Gehälter der FunktionärInnen den durchschnittlichen Lohn eines/r FacharbeiterIn nicht übersteigen.

Für all das ist eine organisierte Basisopposition mit eigenen Strukturen in den Gewerkschaften nötig. Gemeinsam mit einer Reihe andere Marxistischen Gruppen, wie der DKP, Klasse gegen Klasse, SAV, Sol und weitere haben wir vor ca. 3 Jahren die VKG Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften gegründet, an deren Gründungskongress ich beteiligt war. Die VKG kann die Keimzelle einer solchen organisierten Basisopposition sein, wenn wir sie als solche gemeinsamen weiter aufbauen. Die Klasse für sich gewinnen können wir Marxist:innen nur, wenn sie lernen „im Wirtschaftskampf nicht nur Verkünder der Ideen des Kommunismus zu sein, sondern die entschlossensten Führer des Wirtschaftskampfes und der Gewerkschaften zu werden. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, aus den Gewerkschaften die opportunistischen Führer zu entfernen. Nur auf diese Weise können die Kommunisten an die Spitze der Gewerkschaftsbewegung treten und sie zu einem Organ des revolutionären Kampfes für den Kommunismus machen.“ (2. Kongress KI 1920)

Wenn euch das Thema interessiert, dann kommt zu unserer Veranstaltung am kommenden Donnerstag um 19 Uhr in der Bäckerei, Josephstraße 12, in Lindenau.

Dankeschön!




Schüler_Innen und Lehrer_Innen zusammen: Gemeinsamer Streik für kleinere Klassen!

April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Besser lernen in kleinen Klassen

Seit über einem Jahr kämpfen die Berliner Lehrer_Innen der Lehrer_Innengewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ (kurz GEW) in bisher 11 Warnstreiktagen dafür, dass kleinere Klassen in einem Tarifvertrag festgeschrieben werden (Tarifvertrag Gesundheit: kurz TV-G). Noch immer gibt es nicht einmal ein Gesprächsangebot seitens des grünen Berliner Finanzsenators Daniel Wesener. Dabei heißt eine Verkleinerung der Klassengrößen für Lehrkräfte: weniger Stress und Arbeitsbelastung. Für uns heißt das: besser Lernen, mehr Zeit und weniger genervte Burn-Out-Mathelehrer. In kleineren Klassen erleben wir weniger Konkurrenzdruck und bekommen mehr Übungszeit, mehr Ruhe und mehr Aufmerksamkeit. Wer kennt nicht diese krasse Angst vor über 30 Leuten in der Klasse zu sprechen und kann sich vorstellen, wie viel entspannter es sein könnte, wenn da nur die Hälfte sitzt? Viele von uns erinnern sich noch daran, wie angenehm es während der Phase des Wechselunterrichts im Corona-Lockdown war, nur mit der halben Lerngruppe unterrichtet zu werden.

Zuletzt hat die GEW Berlin deshalb 4000 Lehrer_Innen 2 Tage lang auf die Straße gebracht, viele Schulen waren dicht. Schüler_Innen, die bei uns organisiert sind, haben diese Gelegenheit genutzt. Wir sind auf die Streikversammlungen gegangen und haben mit den streikenden Lehrer_Innen über die Perspektive ihres Tarifkampfes und wie wir gemeinsam kämpfen können, diskutiert. Wir haben dazu auch eine Rede auf der Streikdemonstration gehalten. Einige von uns haben auch ein kleines Solidaritätsflugblatt geschrieben und es den Lehrer_Innen ins Fach gelegt. An einer Schule haben wir auf einer Sitzung der Schüler_Innenvertretung eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, dass der Lehrer_Innenstreik von uns Schüler_Innen unterstützt wird. Es gibt also viele Wege, wie wir uns solidarisch zeigen können.

Es geht um mehr!

Bald stehen in Berlin die Abiturprüfungen an und diese drohen die Streikbewegung massiv zu schwächen, denn viele streikende Lehrer_Innen halten dem moralischen Druck nicht stand, „ihre Schülis im Stich zu lassen“. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen zeigen: Macht weiter! Die paar ausgefallenen Stunden sind Nichts im Vergleich zu dieser katastrophalen Situation, die von den Politiker_Innen „Unterricht“ genannt wird und Prüfungen lassen sich auch immer verschieben. Es geht hier um mehr als um einen Tarifvertrag. In ganz Deutschland herrscht ein riesengroßer Personalmangel an den Schulen. Bis 2030 sind über 100.000 Lehrer_Innenstellen unbesetzt. Nun stellt sich die Frage, wer diesen Mangel ausgleichen muss. Ist es der Staat, der endlich mal Geld für Bildung statt für Rüstung in die Hand nimmt und mehr Lehramtsstudiumsplätze schafft, den NC dafür abschafft und die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessert? Oder sind es wir und die Lehrer_Innen, die im Falle der Lehrer_Innen mehr belastet werden und in unserem Fall eine schlechtere (und ungerechtere) Bildung erhalten? Die KMK (die Konferenz der Bildungsminister_Innen aller 16 Bundesländer) fordert zur Bekämpfung des Lehrer_Innenmangels die Klassen zu vergrößern, das wöchentliche Stundendeputat der Lehrer_Innen zu erhöhen, pensionierte Lehrer_Innen aus dem Ruhestand zurückzuhalten und mehr Online-Unterricht einzuführen, damit eine Lehrkraft mehrere Klassen gleichzeitig unterrichten kann. In Sachsen-Anhalt wurden bereits Teile davon umgesetzt. Hier müssen die Lehrer_Innen 1 Unterrichtsstunde mehr unterrichten und der Freitag findet bereits online statt. Auch wird diskutiert, ein paar „unwichtige“ Fächer wie Kunst, Musik, Sport, Politik, Geschichte oder Ethik einfach wegzusparen.

Wie in jedem Tarifkampf geht es also darum, ob sich die Interessen des Kapitals oder der Beschäftigten durchsetzen. Der Widerspruch zwischen den Klasseninteressen wird dabei umso größer, je mehr sich die globale Krise verschärft. Angesichts des Krieges und der Wirtschaftskrise holt das Kapital also überall auf der Welt zum Angriff gegen uns Jugendliche und Lohnabhängige aus. Erst kamen die unzureichenden Einmalzahlungen statt Lohnerhöhungen in der Metall- und Elektroindustrie, dann Lauterbachs miese Krankenhausreform im Gesundheitssektor, dann wird über die Einschränkung des Streikrechts diskutiert und nun kommt die KMK und will, dass Lehrer_Innen und Schüler_Innen die jahrzehntelange Unterfinanzierung des Bildungssystems ausbaden. Es geht bei dem Kampf um den TV-G also zum einen darum, unsere Lernbedingungen ganz konkret zu verbessern, zum anderen aber auch darum, sich der schrittweisen Angriffswelle des Kapitals auf das Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen zu widersetzen.

Vom Warnstreik zum Erzwingungsstreik zur bundesweiten Streikwelle!

Bisher hat der Berliner Finanzsenator die Forderungen der GEW einfach ignoriert. Auch wenn die Gewerkschaft die Anzahl der Warnstreiktage nun auf 2 hintereinander folgende Tage erhöht hat, wird das noch nicht den nötigen Druck erzeugen, den es braucht, um einen Tarifvertrag zu erkämpfen. Es gibt nur einen Weg zum Erfolg und das ist ein unbefristeter Erzwingungsstreik, so wie es die junge GEW Berlin fordert. Das ist ein Streik, der nicht nur auf einen Tag angelegt ist, sondern so lange dauert, bis das Ziel erreicht ist. Diese Forderung muss in die Streikversammlungen hineingetragen werden, sodass die Gewerkschaftsführung gar nicht mehr anders kann, als eine Urabstimmung über den Erzwingungsstreik einzuleiten. Gleichzeitig muss die GEW, die nicht nur Lehrer_Innen, sondern auch Erzieher_Innen organisiert, auch die Kitabeschäftigten und Sozialarbeiter_Innen zum Streik aufrufen. In ihren Einrichtungen sieht der Betreuungsschlüssel oft noch katastrophaler als in den Schulen aus und sie bekommen sogar noch viel weniger Geld für ihre harte Arbeit. Gemeinsam wird der Druck auf den Berliner Senat unerträglich hoch werden, wenn nicht nur die Schulen, sondern auch Kitas und Jugendclubs dicht sind. Ebenso streikt gerade nicht nur die GEW, sondern es finden auch die Streiks im Öffentlichen Dienst (TV-ÖD) statt. Die Basis der Streikbewegungen muss für gemeinsame Streiktage eintreten.

Doch auch außerhalb Berlins sieht die Situation ähnlich oder sogar noch schlimmer aus. Der Kampf für kleinere Klassen muss deshalb über die Berliner Stadtgrenzen hinausgetragen werden. Außerdem kann der Arbeitgeber_Innenverband der Lehrer_Innen (die „Tarifgemeinschaft der Länder“) dann auch nicht mehr damit drohen, Berlin rauszuschmeißen, wenn auch in anderen Bundesländern gestreikt wird. In Hamburg und Baden-Württemberg haben wir bereits erste Initiativen für Tarifverträge für kleinere Klassen angestoßen. Wenn es im September zur Tarifrunde der Länder (TV-L) kommt, gilt es, die Forderungen nach kleinen Klassen und einem tarifvertraglich geregelten Betreuungs- und Pflegeschlüssel mit in den Tarifvertrag aufzunehmen. Fragt eure Lehrer_Innen, ob sie in der GEW sind, ob sie schon etwas von den 11 Streiks für kleinere Klassen in Berlin gehört haben und ob sie diese Idee nicht auch mal in ihren GEW-Kreis oder -bezirksverband tragen wollen. Diskutiert mit euren Mitschüler_Innen und tragt die Forderung nach kleineren Klassen in eure Schulen!




Versammeln wir unsere Mitschüler_Innen gegen die Klimakrise!

Von Jona Everdeen, April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Tausend Schüler_Innen diskutieren den Kampf gegen den Klimawandel: Am Dienstag den 24. Januar fand in der Sophie-Scholl-Schule in Berlin-Schöneberg eine zuvor durch Schüler_Innen organisierte Vollversammlung statt!

Die Vollversammlung wurde unter dem Motto einer „Alternativen Klimakonferenz“ durchgeführt, nachdem die COP27 wieder einmal zu keinerlei Fortschritten bei der Bewältigung der Klimakrise geführt hatte.

Doch was genau ist überhaupt eine Vollversammlung? Und wie kann sie einberufen werden?

Wozu eine Vollversammlung?

Eine Vollversammlung an einer Schule ist eine für alle Schüler_Innen verpflichtende, bis zu zwei Stunden lange Veranstaltung in der Aula oder einem anderen zentralen Raum der Schule.

Sollte die Schule über keinen Raum verfügen, in dem alle Schüler_Innen Platz haben, kann die Vollversammlung auch aus mehreren Blöcken mit jeweils unterschiedlichen Jahrgängen bestehen.

Eine Vollversammlung kann von der SV (Schüler_Innen-Vertretung) einberufen werden, in Berlin einmal im Halbjahr, in anderen Bundesländern kann das variieren.

Mittels einer Vollversammlung kann in der ansonsten bewusst unpolitisch gehaltenen Schule ein Raum geschaffen werden, um über akute Fragen innerhalb der Schule aber auch gesellschaftlich relevante Themen, wie die Klimakrise, zu debattieren. Und das selbstbestimmt durch die Schüler_Innen, ohne dabei Lehrkräften oder der Schulleitung rechenschaftspflichtig zu sein.

Die Vollversammlung ist somit die bestmögliche Plattform für einen Diskurs innerhalb der Schule und auf ihr kann auch über politische Forderungen abgestimmt und somit eine deutlich breitere Legitimität für diese geschaffen werden. Schüler_Innen, von denen die meisten noch nicht an parlamentarischen Wahlen teilnehmen dürfen, können endlich einmal abstimmen, und zwar nicht bloß passiv durch die Wahl irgendwelcher Stellvertreter_Innen sondern aktiv mit der Möglichkeit, sich selber an der Umsetzung des Wahlergebnisses zu beteiligen.

Die Vollversammlung an der Scholl

Bei der Vollversammlung an der Sophie-Scholl-Schule war, wie bereits erwähnt, die Klimakrise das Thema unter dem die rund 1000 Schüler_Innen in 3 Durchgängen in die Aula gerufen wurden.

Dies fand auf Initiative unserer Genoss_Innen statt und eine Gruppe motivierter Schüler_Innen hatte zuvor die Organisation übernommen.

Eingeladen waren drei Gastreferent_Innen der Klimagruppen „Depth 4 Climate“, die sich für eine Schuldenstreichung für die Länder der Globalen Südens einsetzt, „End Fossil: Occupy!“, die mittels Schul- und Unibesetzung den Klimastreik auf ein neues Level heben will, sowie die „Workers and Youth Relief Campain“, die Unterstützung für die Betroffenen der Flutkatastrophe in Pakistan leistet. Diese referierten dabei über unterschiedliche Aspekte der Klimakrise und stellten Ansätze vor, wie diese gelöst werden könnten, wobei der inhaltliche Fokus darauf lag, dass Selbstorganisation von Arbeiter_Innen und Jugendlichen sowie internationale Solidarität notwendige Bedingungen für Klimagerechtigkeit sind.

Nach einer Frage- und Diskussionsrunde, bei der die Schüler_Innen inhaltliche Nachfragen stellen und eigene Beiträge einbringen konnten, stellte das Organisationsteam die zuvor erarbeiteten Forderungen an Schule und Politik vor und eröffnete daraufhin die Abstimmung über diese.

Die Forderungen wurden mit einer breiten Mehrheit angenommen. Das war ein Riesenerfolg!

Wie kann ich selber eine Vollversammlung organisieren? Worauf muss ich achten?

Wie gesagt kann eine Vollversammlung 1-2 Mal im Schuljahr durch die SV einberufen werden. Es ist daher nötig, insofern man nicht als organisierende Gruppe selber Teil der SV ist, diese von der Vollversammlung zu überzeugen. Die Organisation der Vollversammlung muss jedoch nicht von der SV übernommen werden, sondern kann von allen interessierten Schüler_Innen durchgeführt werden. Möglichst gute Kontakte zur SV sind natürlich trotzdem hilfreich.

Bei der Organisation sollte versucht werden, so viele Schüler_Innen wie möglich in die Planung, Ausgestaltung und vor allem Aufstellung der Forderungen einzubinden, indem mit Flyern, Plakaten und Mund-zu-Mund-Propaganda für Vorbereitungstreffen geworben wird. Je mehr Schüler_Innen am Prozess beteiligt sind, je niedrigschwelliger die Möglichkeiten zur Mitgestaltung sind, desto höher ist auch die Legitimität der Ergebnisse.

Auf der Vollversammlung selber sollte über Forderungen einzeln abgestimmt werden, damit die Schüler_Innen bei jeder Forderung überlegen können, ob sie zustimmen, und nicht bloß die Wahl haben entweder alle oder keine Forderungen anzunehmen.

Ihr seid bei der Planung einer Vollversammlung der Schulleitung keine Rechenschaft schuldig, jedoch müsst ihr diese dort anmelden und ihr solltet, insofern möglich, versuchen, ein kooperatives Verhältnis mit der Schulleitung zu suchen, da das die Ausgestaltung deutlich vereinfachen kann. Gleichzeitig sollte Kritik an der Schulleitung aber keineswegs unter den Teppich gekehrt werden.

Für die Finanzierung der Vollversammlung, zum Beispiel Druckkosten für Wahlzettel und Plakate, könnt ihr den schuleigenen Förderverein anfragen, der in der Regel unkompliziert auch höhere Kosten übernimmt.

Wie an der Sophie-Scholl-Schule dürft ihr Referent_Innen von außerhalb einladen. Die Schulleitung hat kein Recht, über diese zu entscheiden. Es muss lediglich eine Begründung für die Einladung vorgelegt werden und die Referent_Innen müssen sich, wenn sie in die Schule kommen, beim Sekretariat anmelden.

Es ist außerdem wichtig, im Vorhinein einen Zeitplan für die Veranstaltung zu erstellen, der eher mit mehr als mit weniger Zeit rechnet, da sich der Ablauf mit mehreren hundert Schüler_Innen leicht um einige Minuten verzögern kann. Das Programm der Vollversammlung bzw. eines ihrer Durchläufe muss also gut im Vorhinein durchgeplant und Aufgaben, mit Backup-Optionen, verteilt werden.

Was folgt nach der Vollversammlung?

Damit die Vollversammlung nicht einen rein symbolischen Charakter hat, ist es wichtig, dass sie nicht das Ende der politischen Arbeit der Schüler_Innen ist, sondern eigentlich erst ihr Anfang.

Angenommene Forderungen dürfen kein Selbstzweck sein, sondern müssen in der Folge der Vollversammlung aktiv von den Schüler_Innen durchgesetzt werden, da zu erwarten ist, dass sie nicht einfach so umgesetzt werden.

Dafür muss die Gruppe, die die Vollversammlung organisiert und die Forderungen aufgestellt hat, weiterhin organisiert bleiben und versuchen, noch mehr Schüler_Innen, am besten schon auf der Vollversammlung selber, mit ins Boot zu holen und zu Treffen einzuladen.

Es ist wichtig, sich nicht in Hinterzimmergespräche mit der Schulleitung verwickeln zu lassen, undemokratische Kompromissvorschläge entschieden zurückzuweisen und auf den demokratisch betroffenen Beschlüssen zu beharren.

Sollte sich abzeichnen, dass die Schulleitung nicht bereit ist, diese umzusetzen, müssen unter Beteiligung möglichst vieler Schüler_Innen weitere Schritte geplant werden, wie der Druck erhöht werden kann. Möglichkeiten dafür reichen von offenen Briefen bis zu Schulstreiks und -besetzungen.

Es ist zu empfehlen, als Organisationsgruppe bei zukünftigen Wahlen für Klassensprecher_Innen- und Schulsprecher_Innen-Posten mit dem Programm zu kandidieren, die Beschlüsse der Versammlung zu verteidigen und die demokratische Mitsprache der Schüler_Innen zu vertiefen.

Ganz generell muss die Vollversammlung langfristig genutzt werden, um aufzuzeigen, dass sie genau wie auch besagte Klassensprecher_Innen und Schulsprecher_Innen-Wahlen, lediglich Bühnen darstellen, um für dauerhafte und wirklich demokratische Organisierung der Schüler_Innen zu werben und diese voranzutreiben. Ziel sollte es sein, die Schüler_Innen zu politisieren und gegen die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems wie der Klimakrise in Stellung zu bringen. Das erkämpfen wir nämlich in einer Organisierung in Schüler_Innen-Komitees, in der Posten jederzeit abwählbar sind und die regelmäßige Treffen aller motivierten Schüler_Innen veranstaltet, auf denen politische Themen debattiert und daraus folgende Forderungen dann auf regelmäßig stattfindenden Vollversammlung abgestimmt werden, um endlich die Erzählung von den „unpolitischen Schulen“ zu brechen!




Frankreich: Generalstreik gegen die „Rentenreform“! Nieder mit Macron und der antidemokratischen Fünften Republik!

Von Marc Lasalle, ein französischer Genosse der Liga für die 5. Internationale.

Seit zwei Monaten wird Frankreich von Streiks und Protesten gegen den Versuch, das Rentenalter zu erhöhen, erschüttert. Doch nun ist die Krise in eine neue Phase eingetreten.

Nach monatelangen Verhandlungen, in denen versucht wurde, die Stimmen der Abgeordneten des rechten Flügels der Republikaner_Innen zu kaufen, konnte die Regierung immer noch keine Mehrheit erlangen – ein Zeichen für den Druck, den die Massen auf alle Abgeordneten ausübten.

Präsident Emmanuel Macron berief sich daraufhin auf Artikel 49.3 der Verfassung, der es ihm erlaubt, das Parlament zu übergehen und Gesetze zu verabschieden, ohne dass es eine Mehrheit unter den Abgeordneten gibt, geschweige denn ein Mandat des Volkes.

Unsere Antwort: Widerstand!

Dieser ungeheuerliche Eingriff in die Demokratie löste mehr als eine Woche lang eine neue Serie nächtlicher Proteste aus. In diesen Kämpfen mit den Sicherheitskräften stehen immer mehr junge Menschen an vorderster Front: Sie lassen sich nicht ihrer demokratischen Rechte berauben!

An den Arbeitsplätzen fällt das Tempo des Kampfes uneinheitlich aus. Einige Sektoren wie die Eisenbahnen, die Energiewirtschaft, die Docks und die Müllabfuhr werden seit Wochen bestreikt. Auf den Straßen von Paris türmen sich 10.000 Tonnen Müll. Die Häfen von Marseille und Rouen sind blockiert, ebenso wie mehrere Raffinerien. Die Benzinknappheit ist im Süden des Landes sehr groß und weitet sich unaufhaltsam auf das ganze Land aus.

Der gestrige Aktionstag am 23. März brachte 3,5 Millionen Arbeiter_Innen mit hunderten Demonstrationen auf die Straße. Die Erfahrung der letzten Wochen zeigt jedoch, dass selbst eine Mobilisierung dieses Ausmaßes nicht ausreicht, um die Regierung zum Rückzug zu zwingen, geschweige denn, um sie vollständig abzusetzen, was die notwendige Voraussetzung für die Aufhebung des Gesetzes und eine angemessene Bestrafung für ihre Missachtung der Demokratie wäre.

Alle Gewerkschaftsverbände erklärten, sie würden das Land im März zum Stillstand bringen. Die Realität sieht jedoch bislang anders aus. Einige gut organisierte Sektoren führen zwar beharrliche Streiks durch, die jeden Morgen in Betriebsversammlungen abgestimmt werden, aber es gibt keine generelle Arbeitsniederlegung. An den Aktionstagen (9 seit Januar) werden Millionen auf die Straße gebracht, aber die Zahl der Streikenden außerhalb dieser Tage ist eher gering.

Misere der Gewerkschaftsbürokratie

Was ist hier los? Die Gewerkschaftsführer_Innen haben ihre Glaubwürdigkeit in diesem Kampf aufs Spiel gesetzt – sie können heute nicht einfach nachgeben oder sich zurückziehen. Aber sie wollen auch nicht über die aktuelle Strategie hinausgehen. Da die Rentenreform nach allgemeiner und richtiger Auffassung den Lohnabhängigen zwei Jahre ihres Ruhestands vorenthält, würde eine Niederlage bedeuten, dass sie zugeben müssten, dass sie nicht in der Lage sind, die bestehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter_Innen zu verteidigen, geschweige denn für Verbesserungen zu kämpfen.

Doch trotz des hohen Einsatzes weigern sich die Gewerkschaften, zu einem Generalstreik aufzurufen. Sie bestehen auf Blockaden, auf Verallgemeinerungen, aber sie haben nicht dazu aufgerufen, dass alle organisiert und gemeinsam das Land in einem unbefristeten politischen Streik lahmlegen. Der Grund dafür ist einfach: Die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten in Frankreich ist gering, weniger als 10 Prozent. Die Führungen ziehen es daher vor, gut kontrollierte Streiks in einigen strategischen Sektoren mit „Aktionstagen“ für alle anderen zu kombinieren. Sie ziehen diese konkreten Aktionen einem unbefristeten Generalstreik vor, der zwangsläufig die Organisation alternativer lokaler, regionaler und nationaler Führungen zur Koordinierung erfordern würde. Angesichts eines politischen Kampfes, der eine politische Aktion in gleichem Umfang erfordert, sind die Gewerkschaftsspitzen unschlüssig und verhalten sich zu dieser Aufgabe passiv. Doch dies ist eine Strategie der Niederlage.

Viele Arbeiter_Innen betrachten die Gewerkschaftsführer_Innen immer noch als die legitime Führung, auch weil die Gewerkschaftsfront (die Intersyndicale) bislang geschlossen bleibt und die Reden der Führer_Innen einen radikalen Ton anschlagen. Doch bevor Macron ein Misstrauensvotum knapp überstand, war die Zahl der Streikenden rückläufig. Das hat sich nach dem 16. März zwar wieder geändert. Aber ohne einen ernsthaften Tempo- und Richtungswechsel wird sich nach einiger Zeit wieder dasselbe Problem stellen.

Wie muss es jetzt weitergehen?

Deshalb müssen wir den Schwung des aktuellen Kampfes nutzen. Dieser ist noch nicht vorbei, er ist vielmehr in eine entscheidende Phase getreten. Die nächsten Tage und Wochen werden von größter Bedeutung sein. Die Entschlossenheit der Streikenden, kombiniert mit der noch zu entfesselnden Kampfbereitschaft der Massen, ist unermesslich stärker als die Regierung und ihre Polizei. Die Jugend nimmt den Kampf auf: Universitäten in Paris und Toulouse sind besetzt. Überall versuchen Aktivist_Innen, die Betriebe zu vernetzen, Streikkomitees zu bilden und für einen Generalstreik zu werben.

Das jüngste Interview von Macron, das von einer ungezügelten Verachtung für die Lohnabhängigen geprägt war, hat die Situation noch zugespitzt. Die Gewalt der Polizei und die Forderungen der Minister_Innen nach einem harten Durchgreifen gegen die Demonstrant_Innen verstärken den Hass der Bevölkerung auf die Regierung nur noch. Millionen von Menschen fühlen, dass Demokratie und Gerechtigkeit auf ihrer Seite sind.

Der Generalstreik ist der einzig mögliche Schritt. In jedem Betrieb sollten die Aktivist_Innen die Führung übernehmen und ihre Kolleg_Innen davon überzeugen, die Streiks auszuweiten, die Profitmaschine zu stoppen und die öffentlichen Dienste zu schließen. Generalversammlungen und Streikkomitees in den Betrieben sollten die Führung übernehmen und Aktionsräte bilden, die regional und national vernetzt sind, um die Verallgemeinerung von Streiks zu organisieren.

Dieser Kampf geht über die Renten hinaus. Auf Macrons Umgehung des Parlaments kann es nur eine Antwort geben: einen Generalstreik, um die Rentenreform zu stoppen, um Macron zu stürzen und vor allem, um die 5. Republik und ihre bonapartistische Verfassung zu Fall zu bringen.

Macron wird nicht der erste Tyrann sein, der von den französischen Arbeiter_Innen auf der Straße besiegt wird. Aber er könnte der letzte sein, wenn die französische Arbeiter_Innenklasse sich auf eine Endabrechnung mit dem Kapitalismus vorbereitet.




TVöD: der 8. März als Streiktag?

von Anne Moll/Resa Ludivien, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Abgesehen von Berlin ist in keinem anderen Bundesland der Frauenkampftag ein Feiertag. Und zu feiern gibt’s auch nicht viel, schaut man sich die derzeitige TVöD-Runde an. Ein prädestinierter Streiktag also?

Was aus Clara Zetkins Frauentag wurde

Historisch gesehen ging es beim Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen zuerst um das Wahlrecht, um das gleiche Recht, sich zu organisieren und Gewerkschafts- wie Parteimitglied zu werden, um Zugang zur Universität, Gesundheitsschutz der arbeitenden Frauen und um das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen. Doch der Versuch seiner Vereinnahmung und Entpolitisierung ist auch nichts Neues. Immer wieder wird deutlich, dass die bürgerlichen Frauen, aber auch die Gewerkschaftsführung andere Forderungen im Sinn haben als Frauen aus der Arbeiter:innenklasse.

So versuchten 1994 Frauen in Stuttgart, den DGB von einem Frauenstreiktag zu überzeugen, bei dem auf die ungleiche Bezahlung und Doppelbelastung aufmerksam gemacht werden sollte. Trotz der Versuche des Vorstandes, die Aktionen als „Streittag“ zu verharmlosen, kam es zur Besetzung einer Kreuzung sowie zum Teil einer Teilnahme während der Arbeitszeit, sprich zu einem Streik. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie viel Mitverantwortung die Entschlossenheit der Basis trägt. Auch 29 Jahre später hat sich an der Situation von Frauen nur wenig geändert.

TVöD-Runde Bund und Kommunen: Wer streikt und was ist bis jetzt passiert?

Der 8. März 2023 fällt in Deutschland in eine spannende Zeit: Tarifauseinandersetzungen bei öffentlichen Betrieben, der Post, kommunalen Busunternehmen, im öffentlichen Dienst (TVöD-Runde), Streiks bei den Lehrer:innen in Berlin sind einige Beispiele dafür. Wir leben in Zeiten der Inflation. Sollten die geforderten 10,5 % durchgesetzt werden können, dann würden sie die aktuelle Preissteigerung wenigstens ausgleichen. Mindestens 500 Euro würden, vor allem für die Niedriglohngruppen, tatsächlich eine große Änderung bewirken und eine wichtige Signalwirkung ausstrahlen.

Das betrifft 1,6 Millionen Menschen, die nach TVöD bezahlt werden, d. h. diejenigen, die im öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden tätig sind. Das sind beispielsweise Arbeiter:innen in kommunalen Kitas, in Altenpflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern. Es gab viel Applaus, dass sie während der Pandemie weitergearbeitet haben, viele schöne Worte von Politiker:innen, dass sich die Arbeitssituation für Pflege- und Erziehungsberufe verbessern muss. Passiert ist bisher wenig. Gleichzeitig existiert ein Vorbild, wie erfolgreiche Streiks aussehen können: 2021 und 2022 erkämpfte die nordrhein-westfälische Krankenhausbewegung in wochenlangen Streiks den Tarifvertrag Entlastung.

Federführend für die derzeitige Verhandlungsrunde innerhalb des DGB ist ver.di. Die Mobilisierung läuft bereits seit letztem Jahr in Form von Mitgliederversammlungen und Vorbereitungen in den Betrieben. In Gewerkschaftskreisen hatte man zeitweise den 8. März ins Auge gefasst, um zu streiken. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass es sich um Bereiche handelt, in denen sehr viele Frauen arbeiten. Neben einer dauerhaften Überlastung und Unterfinanzierung dieser Sektoren sind Frauen und Migrant:innen strukturell schlechter bezahlt oder gar ohne Tarifverträge outgesourct – in Zeiten der Inflation ein tägliches Spiel mit dem Feuer.

Schaut man sich die Bereiche, zu denen auch Reinigung oder Behörden zählen, nochmal genauer an, so verwundert es nicht, dass zu den ursprünglichen Forderungen der Beschäftigten auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gehörte. Dazu zählen „utopische“ Wünsche wie Arbeitszeitverkürzung oder mehr Urlaub bei Dauerschichtdienst. Doch das war den Gewerkschaften zu heiß. Der 8. März als Streiktag ist auch weg vom Fenster und man konnte sich im Oktober lediglich auf einen versöhnlichen Forderungskatalog einigen, welcher sich lediglich auf die Löhne bezieht. Ebenso offensichtlich ist die gezielte Schwächung des Streikes durch eine Teilmobilisierung. Warum alle zusammen mobilisieren, wenn man auch nur einzelne Sektoren wie die BSR (Stadtreinigung) in Berlin aufrufen kann? Und das mit dem Wissen, dass die Kolleg:innen am Limit sind, alles immer teurer wird, sodass sogar Butter, geschweige denn Gas- oder Mietpreise ein Luxusprodukt darstellen. Und das, nachdem nach Corona vor allem im Krankenhaus viele mit dem Gedanken spielen, ganz auszusteigen, und die Arbeit„geber“:innenseite auch diese niedlichen Forderungen noch herunterhandeln wird. Das ist Politik gegen die Arbeiter:innenklasse!

Frage dich mal, was deine Gewerkschaft für dich tun kann

Am 24.01.2023 fand die erste Verhandlungsrunde zum TVöD statt. Eine der Teilnehmer:innen aufseiten der Arbeit„geber“:innen war Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese hat wieder einmal gezeigt, dass diese sich zwar auf ihre „guten alten Zeiten“ als Arbeiter:innenpartei stützt, aber keineswegs Politik für die Arbeiter:innenklasse betreibt. Ergebnis: nächste Runde, denn es gab nichts zu „verhandeln“. Dafür hätten die Gemeinden und Kommunen ein Angebot unterbreiten müssen. Besonders interessant ist, dass die minimalen Forderungen der Gewerkschaften zu hoch und unrealistisch angesichts leerer Kassen ausfallen sollen. Doch wo bleiben dann Forderungen nach einem höheren Spitzensteuersatz, sodass endlich mal die Reichen für die Krise bezahlen?

Diese Argumentation hat nicht nur etwas mit der aktuellen Situation zu tun: Sie hat System. Es gibt nur eine Möglichkeit, diesem zu entrinnen, nämlich, indem die Warn- in unbefristete Erzwingungsstreiks überführt werden. Daneben müssen Demonstrationen organisiert und Solidaritätsbündnisse geschlossen werden. Unsere Aufgabe als klassenkämpferische Gewerkschafter:innen und Revolutionär:innen liegt darin, dies voranzutreiben, Druck auf die Gewerkschaftsführung auszuüben, die Kämpfe zusammenzuführen und unter Kontrolle demokratisch gewählter, den Mitgliedern verantwortlicher Streikkomitees zu stellen.

Frauenkampftag, Streiktag – gemeinsam auf die Straße!

Es wird knapp in der Kasse. Schon allein, wenn wir nach dem Einkauf in unser Portemonnaie sehen. Die nächste Gasrechnung bereitet uns schlaflose Nächte. Wir sind es leid, dass alle die Krisen von Corona über Klima- und Energiekrise auf unseren Rücken ausgetragen werden! Lasst uns unseren Anteil zur Tilgung der Kosten und Ermöglichung eines anständigen Lebens erstreiken! Der Internationale Frauentag ist dafür wie geschaffen und ursprünglich als Kampftag gedacht. Diese Bedeutung müssen wir ihm zurückgeben. Bremen geht hier mit gutem Beispiel voran: Hier ist der Streik durch die ver.di-Mitglieder beschlossene Sache.

Dass er in Berlin zu einem Feiertag geriet, kann nur unter Berücksichtigung der wenigen Feiertage dort allgemein positiv bewertet werden. Es trägt parallel zur Entpolitisierung des Tages bei und das ist gewollt. Man mag es als Form der Transformation sehen, wenn sich die Regierenden eine zunächst kämpferische Thematik zu eigen machen und nach ihrem Gusto interpretieren. Dass es gerade von einer rot-rot-grünen Politik befürwortet wird, zeigt die tief verwurzelte Sozialpartnerschaft, die kein Interesse aufkommen lässt, tatsächlich an diesem Tag die Belange von Frauen wie schlechte Bezahlung, Sexismus am Arbeitsplatz oder geringere Aufstiegschancen zu thematisieren. Der Frauenkampftag ist kein Feiertag, kein Streittag, sondern Streiktag!

Es ist daher Aufgabe der Basis, die Gewerkschaftsführungen daran zu erinnern, wessen Interessen sie ursprünglich vertreten sollten, und dies zu erzwingen. Doch ein Streiktag reicht nicht. Die nordrhein-westfälische Krankenhausbewegung hat es vorgemacht. Es darf nicht nur um Geld, sondern muss auch um Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen gehen. Dafür brauchen wir Streikkomitees in allen Betrieben.

  • Hinaus zum Frauenkampftag! Frauenkampftag ist Frauenstreiktag!
  • Regelmäßige Vollversammlungen, Wahl und Abwählbarkeit der Streikkomitees!
  • Volle Kampfkraft für 10,5 % jetzt und mindestens 500 Euro für alle!
  • Früheren Renteneintritt ermöglichen, Altersteilzeitregelung verlängern! Mehr Urlaub bei Dauerschichtdienst!
  • Für eine Arbeitszeitverkürzung mit paralleler Einstellungsoffensive unter Kontrolle der Beschäftigten!
  • Finanzierung der Maßnahmen durch massive Besteuerung der Unternehmensgewinne und Vermögen!



Eine neue Friedensbewegung?

von Susanne Kühn, zuerst erschienen in der Infomail 1412 der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Februar 2023

Den Beginn einer neuen „Friedensbewegung“ verkündeten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei der Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ am 25. Februar. 50.000 Menschen wollen Ordner:innen gezählt haben. Die Polizei wiederum konnte nur 13.000 ausmachen. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte bei 25.000 liegen.

Zweifellos ein Achtungserfolg, zumal die regierungsoffiziellen Ukrainesolidaritätsdemos nach offiziellen Berichte weniger Menschen – rund 10.000  – auf die Straße gebracht haben dürften.

Vorweg: Die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, mit den lohnabhängigen Massen, den Hauptopfern des imperialistischen Angriffskriegs Russlands, blieb letztlich bei beiden vor allem eine Beschwörungsformel, ein Lippenbekenntnis. Für die NATO, für die USA und auch für den deutschen Imperialismus bedeutet die „Solidarität“ mit den Ukrainer:innen nur einen Vorwand für die Verfolgung ihrer eigenen ökonomischen und geostrategischen Interessen in der Konkurrenz mit Russland.

Wagenknecht, Schwarzer und Co. vermögen den Ukrainer:innen auch nicht mehr zu bieten  als einen von den Großmächten ausgehandelten Frieden. Kein Wunder also, dass sie der ukrainischen Bevölkerung letztlich nicht viel mehr zu sagen haben, als dass ein halbkoloniales Land eben die „Sicherheitsinteressen“ der Großmächte zu akzeptieren habe.

Teilnehmer:innen

Nichtsdestotrotz verdeutlichen über 600.000 Unterzeichner:innen des „Manifest für den Frieden“ und der Mobilisierungserfolg der Kundgebung, dass sich die öffentliche Stimmung in Deutschland dreht. Der Kurs der Bundesregierung wird zu Recht für seine „unklare“ Zielrichtung, für sein widersprüchliches Schwanken zwischen offener Kriegstreiberei durch FPD und Grüne im Gleichklang mit den Unionsparteien und einer hinhaltenden SPD, die letztlich immer einknickt, kritisiert. Zu Recht wird bemängelt, dass der Westen selbst den Konflikt befeuert hat und natürlich versucht, Russland in die Schranken zu weisen.

Die 600.000 Unterzeichner:innen und rund 25.000 Teilnehmer:innen an der Kundgebung bringen berechtigte Sorgen zum Ausdruck. Zweifellos finden sich unter diesen auch Anhänger:innen der rechtspopulistischen AfD und neurechter Gruppierungen wie der Querdenker:innen. Doch diese machten sicher nicht das Gros der Kundgebung aus, von der offen faschistische Kräfte wie die Leute vom Compactmagazin auch lautstark verwiesen wurden.

Die deutliche Mehrzahl der Teilnehmer:innen kam allerdings aus den Reihen frustrierter oder ehemaliger Anhänger:innen von SPD, Grünen und Linkspartei, also jenen Kräften, die einst den Kern der Friedensbewegung ausmachten oder die Wagenknecht und Schwarzer zu einer neuen Friedensbewegung formieren wollen.

Neue Friedensbewegung

Ihr Ziel besteht darin, eine solche Friedensbewegung wieder aufzubauen. Als Bündnispartner:innen schweben ihnen dabei nicht die Rechte, auch nicht die AfD vor. Vielmehr zielen Wagenknecht und Schwarzer auf „respektable“ Bürgerliche wie den ehemaligen Brigadegeneral und Merkelberater Vad, der auch als einer der Hauptredner:innen der Kundgebung fungierte. Auch einer der Architekten der Schocktherapie der Restauration des Kapitalismus in Russland und Osteuropa, Jeffrey Sachs, kam als Redner zu Wort. Schließlich will der etwas moderater gewordene Neoliberale auch „Frieden“ für eine Ukraine, deren ökonomische Krise in den 1990er Jahren seine Politik massiv verschärft hatte.

Eine solche klassenübergreifende Friedensbewegung erinnert an die der 1980er Jahre. Sie hat auch dieselben Schwächen. Den russischen und US-amerikanischen Imperialismus benennen Wagenknecht und Schwarzer durchaus. Vom deutschen wollen sie aber nichts wissen. Schließlich werfen sie der Bundesregierung ja nicht die Verfolgung der nationalen, kapitalistischen Interessen vor, sondern dass sie dies viel zu wenig täte.

Daraus erklärt sich auch das Paradox ihrer Ausrichtung. Einerseits werden die Kriegstreiberin Baerbock und der „Panzer“-Toni Hofreiter ebenso wie der „Zauderer“ Scholz heftig kritisiert. Niemand dürfe ihnen vertrauen, wurden wir auf der Kundgebung ermahnt. Andererseits wird von derselben Regierung die Bildung „einer Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ gefordert – am besten in Zusammenarbeit mit Frankreich und der EU-Kommission, mit China und Brasilien. Am deutschen Verhandlungswesen soll die Welt genesen. Scholz, dem eine vollständige Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit attestiert wird, soll federführend einen „Frieden“ herbeiführen, der alle Großmächte zufriedenstellt.

Dieses Konzept läuft letztlich bloß auf eine alternative, sozialpazifistische Ausrichtung des deutschen Imperialismus hinaus. Die ukrainische Bevölkerung und die russische Antikriegsbewegung dürfen nur als Verhandlungsmasse zu ihrem vermeintlich Besseren zusehen. Aber auch für die Arbeiter:innenklasse der imperialistischen Ländern sind nur Plätze auf den Zuschauerrängen vorgesehen. Als Akteur:innen, geschweige denn als prägende Subjekte einer Antikriegsbewegung sind die Lohnabhängigen bei Schwarzer und Wagenknecht nicht vorgesehen. Bei aller Kritik an der gegenwärtigen Politik der Regierungen soll die internationale Politik auch weiter von Großmächten unter Wahrung von deren Interessen bestimmt werden,

Eine solche Politik ist nicht nur rein bürgerlich. Sie ist auch vollkommen utopisch. Der Konflikt zwischen den alten, westlichen Mächten wie der USA oder auch Deutschland mit den „neuen“ wie Russland und China liegt in der Krise des Kapitalismus begründet, im Niedergang der US-Hegemonie und im Aufstieg Chinas. Zur Zeit wird er um die Ukraine ausgefochten, doch selbst ein imperialistischer Frieden wäre nicht nur reaktionär, weil er auf dem Rücken der ukrainischen Massen vereinbart werden würde, sondern auch nur von begrenzter Dauer, nur eine Zwischenstation zu einer weiteren Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz.

Auf der Kundgebung haben die Gruppe Arbeiter:innenmacht und Genoss:innen der Jugendorganisation Revolution gemeinsam eine internationalistische, klassenkämpferische Perspektive vertreten und ein gemeinsames Flugblatt verteilt. Dessen letzten Abschnitt wollen wir hier noch einmal darlegen:

Welcher Frieden? Welche Bewegung?

Ein dauerhafter Frieden, der diesen Namen verdient, kann nicht durch diplomatische Manöver von Großmächten erzielt werden. Dazu müssten diese selbst ihre eigenen ökonomischen, politischen und militärischen Interessen zurückstellen, was angesichts des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und der schärfer werdenden globalen Konkurrenz einfach unmöglich ist. Der Imperialismus kann nicht friedlich gestaltet werden – weder in Russland, noch in den USA, aber auch nicht in Deutschland oder der EU.

Wir können uns daher nur auf uns selbst verlassen. Ein echter Frieden, eine gerechte Lösung für die Ukraine müsste die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Landes bei gleichzeitiger Wahrung der Selbstbestimmung der Volksrepubliken im Donbass und auf der Krim beinhalten.

Um aber überhaupt dorthin zu kommen, müssen wir eine internationale Bewegung gegen den Krieg und dessen Auswirkungen aufbauen; eine Bewegung der gemeinsamen Aktion der deutschen, der europäischen, der US-amerikanischen, der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse, der Gewerkschaften, der Linken und Arbeiter:innenparteien. Eine solche Bewegung muss sich um bestimmte, gemeinsame Forderungen formieren. Dazu schlagen wir vor:

  • Nein zu Putins Angriffskrieg! Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!
  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen jede Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!
  • Keinen Cent für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Nein zu allen Sanktionen! Streichung der Schulden der Länder der sog. Dritten Welt, die durch die Sanktionen in wirtschaftliche Not geraten sind!
  • Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Unterstützung der Tarifkämpfe der Gewerkschaften! Für eine automatische Anpassung der Löhne und Einkommen an die Preissteigerung für alle Beschäftigten, Rentner:innen, von Erwerbslosen und Studierenden!



Manifest für Frieden: bürgerlicher Pazifismus am Pranger

Wilhelm Schulz, zuerst erschienen in der Infomail 1214 der Gruppe Arbeiter:innenmacht, 22. Februar 2023

Die Petition „Manifest für Frieden“ wurde am 10. Februar von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffentlicht. Sie stellt einen Aufruf für die sofortige Einstellung von Waffenlieferungen und Einleitung von Friedensverhandlungen dar. Der Text fordert die Bundesregierung und den Bundeskanzler auf, Verhandlungen einzuleiten, um „Schaden vom deutschen Volke [zu] wenden“. Der Entrüstungssturm über die Petition zeigt jedoch weniger deren politische Begrenztheit auf als den Beweis, welche Anfeindungen selbst linksliberaler oder sozialchauvinistischer Pazifismus aktuell erfährt.

Auch wenn wir die Petition nicht unterstützen, so halten wir sie doch für den momentan lautstärksten Vorstoß aus den Reihen der Friedensbewegung. Die Versammlung am 25. Februar wird rund um das bittere erste Jubiläum des russischen Angriffs auf die Ukraine vermutlich die größte jener sein, die sich gegen den Aufrüstungs- und Eskalationskurs der deutschen Regierung stellen wollen. Auch wenn wir Pazifismus als Form bürgerlicher Ideologie ablehnen, so ist der der Massen ein nachvollziehbarer Ansatz angesichts drohender Verschärfung der Barbarei und des Mangels an einer fortschrittlichen Perspektive zu ihrer Überwindung. Aus diesem Grund werden wir an der Versammlung teilnehmen, während wir von den Organisator:innen fordern, sich vor Ort deutlich von etwaigen rechten Akteur:innen abzugrenzen und diese, falls sie anwesend sollten, durch Ordner:innen aus der Versammlung zu werfen.

Die Petition verzeichnet mittlerweile fast 600.000 Unterstützer:innen (Stand: 22.02.23). Neben den beiden Initiatorinnen gibt es noch 69 Erstunterzeichner:innen – eine breite Palette, die mit dem Begriff linksliberal nur verzerrt zusammengefasst werden kann.

Auch wenn aufgrund des öffentlichen Drucks einige wie die ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche (EKD), Margot Käßmann, ihre Unterschrift zurückgezogen haben, so bleiben die meisten Unterzeichner:innen Wissenschaftler:innen und Kulturschaffende, die dem Spektrum von SPD, Linkspartei und Grünen nahestehen.

Es ist aber bezeichnend für die politische Ausrichtung der Initiatorinnen Schwarzer und Wagenknecht, dass einige Prominente aus dem konservativen und rechten Spektrum, darunter Erich Vad, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr und von 2006 bis 2013 Militärpolitischer Berater von Angela Merkel im Kanzler:innenamt, dahinterstehen. Vad hat zudem in der Vergangenheit vor rechten Burschenschaftlern referiert und für die rechtspopulistische Junge Freiheit vor etwa 20 Jahren geschrieben.

Die Unterstützer:innenliste umfasst jedoch nicht nur Ex-Funktionsträger:innen und mehr oder weniger bekannten linke Persönlichkeiten, sondern auch Repräsentant:innen der reformistischen Arbeiter:innenbewegung wie Christof Ostheimer, der ver.di-Bezirksvorsitzende Südholsteins, oder Michael Müller, den Bundesvorsitzenden der sozialdemokratischen Naturfreunde. Daneben natürlich Wagenknecht, die Galionsfigur der Linken, die in den letzten Jahren der Klassenpolitik den Rücken kehrte und ein linkspopulistisches Programm für DIE LINKE zu etablieren versucht. Und Schwarzer, eine bürgerliche Feministin der zweiten Welle des Feminismus, die vor allem durch Transfeindlichkeit in den letzten Jahren bei neuen Generationen von Feminist:innen angeeckt ist.

Insgesamt handelt es sich um ein volksfrontartiges, klassenübergreifendes Personenbündnis. Der Aufruf stellt keine Aufforderung zum aktiven Handeln dar, sondern letztlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Initiator:innen. Aber er hat hunderttausende Unterschriften erhalten, weil nicht zuletzt Millionen Lohnabhängige über die Militarisierung und den Kriegskurs der Bundesregierung zu Recht beunruhigt sind.

Zum Inhalt

Das Manifest selbst spricht sich für die sofortige Einstellung von Kriegshandlungen aus. Es droht vor einer latenten Gefahr der Ausweitung über ihre bisherigen Grenzen bis hin zum Weltkrieg. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Notwendigkeit von Solidarität mit ihrer Bevölkerung wird benannt. Dies bleibt allerdings letztlich ohne konkrete politische Folgen, weil nirgendwo das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigt oder als Ziel eines etwaigen Friedens benannt wird. Nirgendwo wird der Rückzug der russischen Invasionstruppen aus den seit Februar 2022 eroberten Gebieten gefordert.

Der Text spricht sich im Anschluss nur gegen den Kriegskurs der Bundesregierung und des ukrainischen Präsidenten Selenskyj aus. Militärstrategisch sieht sich der Petitionstext vor einer Pattsituation. So schreiben die Initiatorinnen: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.“ Aus dieser Erkenntnis folgt der Aufruf an die Bundesregierung, zwischen den USA und Russland zu vermitteln oder auf die europäischen Nachbar:innen einzuwirken. Demnach soll Olaf Scholz die Waffenlieferungen einstellen und eine „Allianz für einen Waffenstillstand“ aufbauen.

Die hier aufgeworfene Perspektive verbleibt vollständig innerhalb des Horizonts bürgerlicher Diplomatie. Den Krieg können anscheinend nur Diplomat:innen stoppen. So heißt es: „Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken.“ Daher müssten wir „unsere Regierung“ in die Pflicht nehmen und Olaf Scholz zum Anführer einer „Friedensallianz“ krönen.

Doch die „Friedensallianz“, die keine eigenen Klasseninteressen vertritt, gibt es nicht und kann es nicht geben. So wie die deutsche Regierung mit Sanktionen und Waffenlieferungen ihre eigenen imperialistischen Interessen verfolgt, die Ukrainer:innen im Krieg für ihre eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen Zwecke unterstützt, wird sie das natürlich auch am Verhandlungstisch tun – und genauso werden das alle anderen Beteiligten auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung versuchen.

Letztlich soll der geforderte Frieden dem deutschen Interesse dienen. Demnach ist der Krieg einer zwischen den USA (im Aufruftext Amerika) und Russland. Eine Beteiligung oder genauer deren Fortsetzung entsprächen nicht den Interessen Deutschlands bzw. denen des deutschen Kapitals. In diesem Sinne appelliert der Aufruf an die deutsche Bourgeoisie und ihren Staat, um diese für die Linie der vergangenen Jahrzehnte zurückzugewinnen. Eben jene konnte den Kriegskurs aber nicht stoppen, weil sie keine oder nur wenige Anhänger:innen unter der herrschenden Klasse in Deutschland besitzt. Das kann sich natürlich ändern – und darauf hoffen letztlich Schwarzer und Wagenknecht.

Es ist auch kein Wunder, dass daher Forderungen, die das direkte Interesse des deutschen Imperialismus auch in der Konkurrenz zu Russland berühren, außen vor bleiben. So werden weder die Abschaffung der Sanktionen noch der Stopp der Aufrüstung der Bundeswehr und NATO auch nur erwähnt. Dabei befeuern die Sanktionen nicht nur die Inflation und Armut hierzulande, sondern vor allem auch den Hunger und Not in der Welt. Ihre Folgewirkungen bedrohen das Leben Hunderttausender.

Das 100-Milliarden-Programm, die europäische Rüstungsinitiative und die Aufstockung der schnellen NATO-Eingreiftruppe auf 300.000 Soldat:innen finden sich im Aufruf mit keinem Wort.

Zu diesen Fragen gibt es unter den Initiator:innen entweder keine Einigkeit oder man möchte konservative Gegner:innen des Ukrainekriegs nicht mit Abrüstungsforderungen an die deutsche Regierung „abschrecken“. So bleibt es beim allgemeinen Ruf nach Frieden – im deutschen Interesse. Der Sozialpazifismus wird als die beste Politik für „unseren“ Imperialismus präsentiert.

Und wie wird darüber gesprochen?

Die öffentliche Kritik am Aufruf lässt sich in zwei Stoßrichtungen einteilen, wobei die eine die andere erkennbar bestimmt. Einerseits jene, die jedweden Bruch mit der konfrontativen Politik gegenüber dem russischen Imperialismus als reaktionär abstempelt. Andererseits jene, die dem ausweicht und die Gefahr der Beteiligung reaktionärer Anhänger:innen über die Notwendigkeit stellt, für eine internationalistische und klassenkämpferische Ausrichtung der Opposition gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung zu kämpfen. Als Produkt kommt bei beiden Kritiken ähnliches raus: Passivität gegenüber der neuen Orientierung des deutschen Imperialismus.

Die Petition ist in der Linken, aber vor allem in DIE LINKE, sehr umstritten. Der Parteivorstand der LINKEN hat am Donnerstag, dem 16.2, bekanntgegeben, den Protest zu unterstützen, der sich für Frieden und Waffenstillstand einsetzt und von rechts abgrenzt – nicht aber die größte Kundgebung gegen die Bundesregierung. Das Ausbleiben einer Erwähnung des „Manifest für Frieden“ spricht hier Bände, denn es ist aus den Reihen der Partei der aktuell bekannteste Ansatz. Die Stellungnahme stellt dementsprechend eine indirekte Distanzierung dar, die umgekehrt aber allen freistellt, doch hinzugehen oder den Aufruf zu unterzeichnen.

Das Manifest ist in seiner Perspektive weder neu noch innovativ. Es vertritt eine Form bürgerlicher Politik, die mittels eines Appells an den Staat in Form von Bundesregierung und -kanzler zum Richtungswechsel in Fragen der Waffenlieferungen und Friedensverhandlungen drängen möchte und die alles mit dem Verweis auf deutsche Interessen begründet. Der Richtungsstreit wird im Militärjargon als jener zwischen Falken, den sogenannten Hardliner:innen, und Tauben, der Orientierung auf Verhandlungen, beschrieben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) formuliert den Standpunkt der Hardliner:innen, aber auch ihren Punktsieg in der politischen Stimmung in Deutschland deutlich, wenn sie die Unterzeichner:innen des Manifests „zu propagandistischen Helfern eines Kriegsverbrechers“ abstempelt.

Dabei greift sie zwar genüsslich wirkliche Schwächen des Aufrufs auf und dessen Verharmlosung des russischen Imperialismus, aber die FAZ unterschlägt dabei natürlich die imperialen Kriegsziele der NATO, der USA und auch Deutschlands.

Vorwurf der Querfront oder zumindest rechten Unterwanderung

Der AfD Co-Vorsitzende Tino Chrupalla hat öffentlich verkündet, das Manifest unterschrieben zu haben. Dies hat er nicht als einer der Erstunterzeichnenden getan, sondern einfach nur ein Kontaktformular auf einer Homepage unterschrieben. Chrupalla und das von Jürgen Elsässer geführte, neurechte Magazin Compact riefen darüber hinaus zur Beteiligung an der Kundgebung am 25. Februar in Berlin auf. Wagenknecht distanzierte sich im Interview mit dem SPIEGEL öffentlich davon und untersagte die Beteiligung von AfD und anderen Akteur:innen der Rechten. Oskar Lafontaine, der ehemalige Mitbegründer der LINKEN und Erstunterzeichner, riss diese Brandmauer kurz darauf erneut nieder, indem er die „Gesinnungsprüfung“ oder Parteibuchkontrolle bei Einlass zur Demonstration ausschloss. Eine politische Schmierenkomödie mit ungewissem Ausgang.

Im Aufruf selbst wird die Abgrenzung nach rechts jedoch nicht deutlich formuliert. Auch wenn wir diese bereits im Petitionstext für notwendig erachtet hätten, so fand die Distanzierung schlussendlich doch statt. Die konsequente Fortsetzung dessen müsste eine eindeutige Abgrenzung im Rahmen der Versammlung und ein Rauswurf öffentlich bekannter oder auftretender rechter Akteur:innen durch Ordner:innen bedeuten. Ob es dazu kommt, steht in den Sternen.

Die AfD versucht mittels ihrer Kriegsposition, ähnlich wie das Manifest für Frieden, eine alternative Ausrichtung für das deutsche Bürger:innentum anzubieten. In diesem Sinne ist ihr Aufruf zur Unterstützung nachvollziehbar, aber das hat noch einen zweiten positiven Punkt für die Rechten. Es ist ihren Akteur:innen vermutlich sehr deutlich klar, dass ein Mobilisierungsaufruf ihrerseits die Demobilisierung im Lager der Arbeiter:innenbewegung befeuern würde.

Sie würden damit sowohl die Verbitterung im Lager der Initiator:innen und ihrer Unterstützer:innen anspornen, während sie ihre eigenen Mobilisierungen weiterhin als die relativ stärksten verkaufen können. Notwendig wäre eine klassenkämpferische Position, die die Schwächung des eigenen Imperialismus, die Beendigung des Krieges durch Klassenkampf ins Zentrum stellt. Ein solcher Aufruf hätte sich jedoch an den DGB und seine Mitgliedschaft richten sollen, eine Verbindung zu den das Jahr 2023 durchziehenden Arbeitskämpfen gebraucht. Eine solche Perspektive gilt es, auch in die Tarifauseinandersetzungen zu tragen.

Begrenzter Pazifismus

Laut Unterstützer:innen der Petition in der LINKEN unterstütze weiterhin eine Mehrheit der Parteimitglieder den Vorstoß. Was jedoch deutlicher zu erkennen ist, ist die Kapitulation der Partei angesichts der aktuellen Herausforderungen. DIE LINKE versteht sich seit ihrer Entstehung als Antikriegspartei, eine Position auf dem Sand des Pazifismus gebaut. Beide Bewegungsrichtungen (Parteivorstand und Regierungssozialist:innen oder Wagenknechtlager), in die pazifistische Politik angesichts des Krieges taumelnd, zeigen deren Begrenztheit auf. Die Mehrheit des Parteivorstandes hält die Füße still, da sie schlussendlich den Frieden nur durch einen militärischen Sieg der Ukraine für möglich halten will und die Rolle der NATO herunterspielt. Der andere Teil sieht dies als unmöglich an und orientiert dementsprechend auf Verhandlungen zwischen jenen Akteur:innen, die spätestens seit 2014 regelmäßig Öl ins Feuer kippen.

Beide Ansätze verstehen den Krieg als externen Schock, den es zu beseitigen gilt, um die rechtmäßige (bürgerliche) Ordnung wiederherzustellen. Dabei ist der Krieg dem Kapitalismus innerlich. Er bietet eine Chance, dessen Überakkumulationskrisen durch massive Vernichtung von Kapital und Arbeit, aber auch Verdrängung imperialistischer Konkurrenz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu lösen. Sowohl der Fokus der Hardliner:innen als auch jener der Verhandlungsbefürworter:innen überlässt die Handlungsfähigkeit den Herrschenden. Beide bieten Arbeiter:innen und Unterdrückten keine eigenständige Handlungsperspektive.

Insgesamt lehnen wir Verhandlungspredigten ab. Sie haben auf verschiedenen Ebenen einen passiven Charakter. Erstens erhoffen sie gerade von jenen imperialistischen Regierungen einen „gerechten Frieden“, die selbst maßgeblich den Krieg befeuert haben und befeuern. Zweitens unterstellen sie den Krieg als etwas Außerordentliches, in dem es nur um Töten oder getötet Werden geht. Das Zurückholen der jeweiligen Staaten an den Verhandlungstisch, die den vorherigen „friedlichen“ Zustand wiederherstellen sollen, bleibt die letzte waffenlose Form der Vaterlandsverteidigung.

Wer ist das Subjekt einer Antikriegsbewegung?

Der Aufruf für den 25. Februar macht dies ganz deutlich. Die deutsche Bevölkerung – also auch die Arbeiter:innenklasse – können ihm zufolge nichts bewirken. Daher muss Olaf Scholz als Friedensarchitekt ran.

Doch nicht nur die deutsche Bevölkerung taucht als Subjekt nicht auf. In der Ukraine und in Russland gibt es anscheinend auch nur Herrschende. Die ukrainischen Massen, die die Hauptlast des Kriegs tragen müssen, erscheinen nur als bedauernswerte Opfer. Ihre eigenen sozialen und demokratischen Rechte und Interessen gibt’s anscheinend nur als Restgröße der Verhandlungen zwischen Putin und Biden, unter Vermittlung von Scholz und Macron. Die russische Arbeiter:innenklasse und die dortige Antikriegsbewegung werden erst gar nicht erwähnt.

Als Revolutionär:innen stellen wir im Kampf gegen diesen Krieg und seine Folgen den Klassenkampf, die Frontstellung zur herrschenden Klasse und zum „eigenen“ Imperialismus in den Mittelpunkt. Zugleich solidarisieren wir uns mit den Arbeiter:innen in der Ukraine und Russland. So haben wir schon im Mai letzten Jahres folgende Vorschläge für den Aufbau einer Antikriegsbewegung in Deutschland erbracht, die in ihren Grundzügen bis heute (leider) noch immer Gültigkeit haben:

  • Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und Antikriegsbewegung in Russland!
  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!
  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!
  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition!
  • Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle! Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Doch um diese Perspektive zu verbreiten, müssen wir diese auch unter die Arbeiter:innen tragen – auch unter jene, die vom Pazifismus geprägt sind und aus diesem Grund den Aufruf unterzeichnet haben bzw. zur Kundgebung kommen. Für sie erscheint die Verhandlung, ein Mittel zur Beendigung der Barbarei darzustellen, ohne dabei jedoch die Frage nach deren Ursprung und Wiederholungspotential aufzuwerfen. In diesem Sinne rufen wir alle linken und klassenkämpferischen Organisationen dazu auf, sich an der Versammlung zu beteiligen und für eine Position des Klassenkampfes einzutreten.




Debattenbeitrag: Wie sollten Revolutionär_Innen mit dem „Manifest für Frieden“ umgehen?

Von Felix Ruga, Februar 2023

Treffen sich eine Rassistin und eine Transfeindin und schreiben ein „Manifest für den Frieden“. Ein Schlechter Witz? Vor knapp 2 Wochen haben Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer die Petition „Manifest für Frieden“ gestartet, inklusive einem etwas seltsamen Video und einer äußerst hitzigen Debatte, die bis heute anhält. Aber eine Zahl scheint schon mal für sich zu sprechen: Knappe 600.000 Menschen haben den Aufruf unterschreiben, der als zentrale Forderung beinhaltet, den Krieg in der Ukraine mittels Friedensverhandlungen zu beenden und als unmittelbaren Schritt deutsche Waffenlieferungen einzustellen. Das ist schon eine beeindruckende Zahl, die unsere Auseinandersetzung damit verlangt, und diese Forderungen sind an sich auch nicht abzulehnen. Doch bei genauerem Hinsehen eröffnen sich viele Schwachstellen und die Liste der Unterstützenden zeichnen dabei ein interessantes Bild.

Neben der Petition gibt es einen Aufruf zu einer Kundgebung am Samstag nach Berlin unter dem Slogan „Aufstand für Frieden“. Diese wird im zweiten Teil dieses Beitrags besprochen.

Bürgerlicher Pazifismus

Das Manifest wirft richtigerweise ein oft übersehenes Problem auf: Die Zwangsläufigkeit einer weiteren Eskalation des Ukrainekrieges einschließlich Weltkriegsgefahr. Sollte dieser Krieg nicht sofort beenden werden, läuft er Gefahr ein jahrelanger blutiger Abnutzungskrieg zu werden, dessen globales Eskalationspotenzial sich durch den Einsatz immer brutalerer Waffensysteme weiter hochschraubt. Doch daneben ist das Manifest in vielen Punkten zu kritisieren. Dennoch würden wir hier 3 zentrale Punkte herausgreifen:

1. Der Adressat ist Bundeskanzler Scholz und die einzigen Subjekte sind die Staatsoberhäupter. Dementsprechend erscheint als die einzige Lösung ein diplomatisches Abkommen zwischen Imperialist_innen. Nicht nur, dass das blind gegenüber den imperialistischen Interessen Deutschlands ist und es innerhalb des Kapitalismus ohnehin nur ein Frieden auf Zeit wäre, bevor die Konflikte der imperialistischen Blöcke wieder ausbrechen. Sondern es schließt auch vollkommen eine mögliche internationale Antikriegsbewegung aus, die den Frieden erzwingen könnte. Die lohnabhängigen Massen in der Ukraine, in Russland und in den NATO-Staaten sind für Wagenknecht und Schwarzer nur Verhandlungsmasse, keine politischen Subjekte. Doch in einer unabhängigen defätistischen Position der internationalen Arbeiter_innenklasse liegt die eigentliche Perspektive für den dauerhaften und gerechten Frieden!

2. Der Überfall Russlands und die nötige Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung werden zwar richtigerweise erwähnt, aber es wird weder ein Rückzug der russischen Truppen gefordert noch das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine als Friedensziel genannt. Der Text bespricht eindimensional nur die Ebene des möglichen Weltkriegs, aber nicht die eines faktischen imperialistischen Angriffskrieges.

3. Spannend ist auch einmal zu schauen, was eigentlich nicht gesagt wird. Und da sticht ein Fakt ganz besonders ins Auge: Es fällt kein einziges kritisches Wort gegenüber der deutschen Aufrüstungspolitik. Kein einziges Wort zu den 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, der für uns Jugendliche besonders schmerzlichen Debatte um eine Widereinführung der Wehrpflicht oder die von Scholz proklamierte Zeitenwende. Ein Schelm wer sich Böses dabei denkt … Wagenknecht und Schwarzer haben diesen Fakt nicht einfach nur leichtsinnig vergessen, sondern er ist ihr politisches Programm! Nicht nur in diesem Punkt, sondern auch in der Frage der Sanktionen oder der internationalen Solidarität gehört es zu Wagenknechts linkspopulistischem Konzept Klassenlinien zu verwischen und im Sinne eines angeblichen Hauptwiderspruchs zwischen „Volk“ und „Elite“ den Standpunkt des Kleinbürgertums und kleinerer Kapitalfraktionen einzunehmen. In ihrem Manifest sagt sie ganz klar, dass sie nicht Schaden von der internationalen Arbeiter_innenklasse, sondern „vom deutschen Volke [ab-] wenden“ möchte. Die Argumente werden deshalb so formuliert, dass Friedensverhandlungen dem Interesse des deutschen Imperialismus (aka „das Volk“) entsprächen. Scholz solle Architekt einer „starken Friedensallianz“ werden. Letztendlich geht es um eine strategische Umorientierung des deutschen Imperialismus hin zu mehr Selbstständigkeit von den USA und besseren Beziehungen zu Russland und China. Diese Verschiebung ist nur Beratung der Unterdrücker_Innen, aber sicherlich nicht im Interesse der arbeitenden und jugendlichen Bevölkerung, weder Deutschlands, noch Europas noch der restlichen Welt. Wir müssen stattdessen für ein Ende des Imperialismus eintreten und den Kampf gegen den bürgerlichen Staat für soziale Verbesserungen aufnehmen, anstatt ihm gut gemeinte Tipps zu geben!

Aus diesen Gründen unterschreiben wir das Manifest nicht! Es zeigt für uns keine realistische politische Alternative auf, auch wenn die aufgeworfene Frage relevant ist! Eine andere Frage ist die der Taktik. Glauben Wagenknecht und Schwarzer tatsächlich, dass eine Petition den Kriegskurs ändert? Wir haben uns anderer Stelle bereits ausführlicher zu Chancen und Grenzen von Petitionen, Change.org und co. geäußert.

Neben Schwarzer, die in Fragen von Transrechten und antimuslimischen Rassismus offen rechts steht, und Wagenknecht, die sich dem Linkspopulismus zugewandt hat, hat sich ein wahrhaftiges Potpourri aus 68 bekannten linksliberalen bis konservativen Persönlichkeiten als Erstunterzeichner_Innen gemeldet. Es drückt tatsächlich ein breites Bündnis aus. Als einfache Unterzeichnende haben sich neben vielen linken Politiker_Innen wie Gysi, auch manche von rechts gemeldet. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei Chrupalla erregt, wovon sich Wagenknecht jedoch schnell distanziert hat. Auch dass irgendwelche Bundeswehrgeneräle die Petition unterschreiben, überrascht nicht, da es ja keine allgemeine antimilitaristische Kritik an der Aufrüstung des deutschen Imperialismus darstellt, sondern ihm nur eine andere strategische Ausrichtung vorschlägt. Daneben finden sich unter den Unterzeichner_innen jedoch auch einzelne Mitglieder linker Parteien und Gewerkschaftsfunktionäre.

Die öffentlichen Reaktionen auf das Manifest sind extrem schnell eskaliert und gehen weitestgehend in 3 Richtungen: Die einen kritisieren den Aufruf politisch als „naiv“ bis „verlogen“ und fordern eine weitere Eskalation und Waffenlieferungen. Die anderen kritisieren die Offenheit nach rechts und die (mögliche) Etablierung eine Querfront, während man den aufgeworfenen Fragen meist aus dem Weg geht. Die letzten verteidigen ihre Zustimmung und die Wichtigkeit des Themas. Diese Zerrissenheit geht auch durch die Linkspartei selbst.

Aber was ist mit der Kundgebung?

Das Manifest steht unter dem tragischen ersten Jahrestag des Ukrainekrieges, welcher auf den kommenden Freitag fällt. Anlässlich dessen findet am Samstag in Berlin die Kundgebung „Aufstand für Frieden“ statt, die gewissermaßen die Versammlung des Manifestes ist. Allseits wird erwartet, dass das die größte Friedensaktion an diesem Wochenende wird, wofür sowohl die große Zahl der Petitionsunterschriften spricht, als auch die bundesweite Anreise aus vielen Städten. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass die Mobilisierung von sozialdemokratischen bis bürgerlich-pazifistischen Kräften dominiert ist. Jedoch müssen wir an dieser Stelle über den Elefanten im Raum sprechen: Was ist eigentlich mit der Gefahr rechter Unterwanderung?

Von Seiten der Veranstalter_Innen gibt es keinen Grund, davon auszugehen, dass jemand von der AfD einen Redebeitrag bekommt und es wurde im Aufruf verboten, rechtsextreme Symbolik zu tragen. Wagenknecht selbst hat auch beteuert, dass bekannte rechte Persönlichkeiten nicht erwünscht seien und dass man sich von rechts distanziere, aber Lafontaine hat das wieder dementiert („Alle sind eingeladen“).

Und das hat nun eine Mobilisierung in rechten Kreisen losgetreten, als einfache Teilnehmer_Innen an der Kundgebung teilzunehmen. Und es besteht die berechtige Sorge, dass auch eine relevante Menge auftaucht und diese sich nicht an das Verbot von rechten Symboliken halten werden. Die Rechten wollen das Thema des Krieges weiterhin dominieren und die Vermutung liegt nahe, dass sie durch ihr offenes Auftreten linke Teile verscheuchen wollen. Dies hätte ganz einfach verhindert werden können, indem der Aufruf jeder deutschen Aufrüstung und jedem Kriegseifer eine Absage erteilt hätte. Letztendlich ist es schwierig zu überprüfen, wessen Geistes Kind man ist, wenn man keine rechte Symbolik trägt oder keine bekannte rechte Persönlichkeit gibt. Aber falls das der Fall ist, fordern wir die Ordner_Innen und umstehenden Personen auf, diese rigoros der Veranstaltung zu verweisen! Dennoch ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, wie relevant rechte Kräfte auf der Kundgebung sein werden und wenn es sich nur um Vereinzelte handelt, besteht auch die gute Hoffnung, dass diese isoliert werden können. Das bleibt aber zum jetzigen Zeitpunkt noch abzuwarten.

Wie sollten Revolutionär_Innen also damit nun umgehen?

Trotz der Schwächen des Aufrufs und dem Risiko einer rechten Unterwanderung würden wir eine offen-kritische Teilnahme an dem Protest vorschlagen, um eine internationalistische und klassenkämpferische Perspektive hineinzutragen und für Interessierte einen linken Pol zu bilden. Das Manifest muss ganz klar abgelehnt werden, während gleichzeitig das sich versammelnde Potenzial zum Aufbau einer auf die Klasse (nicht das Volk) gestützten Anti-Kriegsbewegung genutzt werden sollte. Es besteht eine begründete Hoffnung, dass dort viele sozialdemokratische Menschen auftauchen werden und diese von so einer Perspektive überzeugbar sind. Außerdem ist die Frage der kriegerischen Eskalation eine wirklich wichtige, potentiell lebensentscheidende Frage unserer Zeit, worauf unbedingt eine linke Antwort formuliert werden muss und wir dafür auch zu den Orten gehen müssen, an denen sie diskutiert werden. Außerdem ist mit jeder linken Person das Kräfteverhältnis etwas besser, Rechte von der Kundgebung zu schmeißen!

Im nächsten Schritt gilt es denjenigen Menschen, die sich aktuell vom deutschen Kriegseifer abwenden, eine Perspektive vorzuschlagen, die sich auf die Klasse und nicht auf den deutschen Imperialismus stützt. Ein wichtiger Schritt dafür ist es, sich an den DGB und seine Mitglieder zu richten. Zehntausende Menschen befinden sich in Deutschland gerade in Tarifkämpfen. Lasst uns diese Kämpfe miteinander verbinden.

  • Wir wollen 100 Milliarden für den öffentlichen Dienst, für die Post und für unsere Schulen, statt für die Bundeswehr!
  • Politische Streiks und Massendemonstrationen gegen Waffenlieferungen, NATO-Truppenverlegungen und Sanktionen sowie für die Öffnung der Grenzen!
  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!



Tag X im Heibo wurde ausgerufen, Solidarität mit der Waldbesetzung!

von Jona Everdeen, Februar 2023

Nachdem bereits kurz nach Lützerath mit dem Fechenheimer Wald die nächste Besetzung geräumt wurde, begann nun nach wochenlanger Unsicherheit auch im Heibo die Räumung, Hundertschaften stürmten in den Morgenstunden den Wald und umstellten die Baumhäuser. Einige Menschen wurden schon Bi- und Tripods geräumt und die Polizei ist dabei gewohnt brutal vorgegangen! Für heute scheint die Räumung aber erstmal vorbei und es ist noch nicht zu spät, dorthin zu fahren!

Heibo, was ist das überhaupt und wo liegt das?

Als Heibo (Heidebogen) wird ein besetztes Waldstück bezeichnet, das Teil des erweiterten Einzugsgebiets von Dresden ist. Dort sollen zunächst 5 Hektar eines ökologisch wertvollen Wald- und Moorgebiets zerstört werden, um den Kiessandtagebau Laußnitz I zu erweitern. Der hier abgebaute Kies soll dann vor allem für die Herstellung von CO2-intensivem Zement genutzt werden, welcher als Baustoff genutzt wird zum Beispiel auch für Autobahnen, für die der Danni und der Fecher in Hessen zerstört wurden.

Wozu braucht es Zement?

Die Herstellung von Zement ist eine der häufig neben Kohlestrom, Kerosin und Erdgas vergessenen Klimakiller, ist jedoch für ungefähr 10% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Der Bauboom der letzten Jahre sorgte noch einmal dafür, dass sich die Nachfrage nach Zement enorm verstärkte, wobei die in Folge der Inflationskrise stark gestiegenen Baupreise und die nun zu erwartende Rezession diesen Trend eventuell absenken oder gar umkehren könnten. Zur Wahrheit gehört dabei sicherlich auch, dass eine gewisse Menge an Zement notwendig ist um für die Gesellschaft relevante Bauten, zum Beispiel von mehr Wohnungen, vorzunehmen. Allerdings ist Zement bei weitem nicht so unersetzlich wie es die Kies- und Zementindustrie, ein ebenfalls häufig vergessenen, aber ziemlich relevanter Zweig der deutschen industriellen Großkapitals, gerne darstellt.

Was sind Alternativen und wie können sie angewandt werden?

Zunächst erstmal durch Einsparen: Neubau von Straßen ist in Deutschland vermeidbar und für Schienen braucht man kaum Zement. Außerdem durch Renovierung statt Abriss bei vorhandenen Gebäuden kann den Bedarf senken. Für den benötigten Neubau ist es jedoch möglich, alternative Baustoffe zu verwenden, die durchaus schon erforscht und erprobt sind, jedoch bisher einfach nicht profitabel oder zumindest deutlich weniger profitabel als der übliche Beton sind. Und da haben wir auch schon das Problem: Den Kapitalismus. In diesem geht es nämlich nicht darum, welche Bauweisen am nachhaltigsten sind, am wenigsten Ressourcen verbrauchen und CO2 ausstoßen, es geht nicht darum welche Form des Personenverkehrs die sinnvollste ist und wie man Gebäude am effizientesten und nachhaltigsten nutzen kann, sondern wie Großkonzerne am schnellsten möglichst viel Profit erwirtschaften und wie das nationale Kapital am schnellsten seinen Wachstum voran treiben kann.

Doch der Kapitalismus ist, anders als die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, kein Naturgesetz. Es ist möglich Bau, Verkehr, Energiegewinnung und Co. auf eine andere Art und Weise zu gestalten, mittels einer Planwirtschaft, die von den Arbeiter_Innen der Betriebe in Räten kontrolliert wird und deren Ziel nicht Profit ist, sondern die möglichst effiziente und somit auch ressourcenschonende Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen, die sich in den Räten äußern. In dieser neuen Form der Gesellschaft würde dann kein ökologisch wichtiges Waldmoorgebiet für die Zementherstellung gerodet werden, es würden nicht immer mehr Autobahnen als Schneisen der Zerstörung durch die Landschaft gezogen werden sondern stattdessen das Schienennetz massiv ausgebaut werden um effizient massenhaft Menschen zu befördern statt nur einzelne in übergroßen mobilisierten Blechkisten. Es würden erneuerbare Energien in einem Maße ausgebaut, und Energie so weit wie möglich eingespart werden, dass es weder Kohle, Öl und Gas noch Atomenergie braucht um die Versorgung alles Menschen zu sichern.

Die Taktik der Waldbesetzung

Wir sind solidarisch mit den Aktivist_Innen, die im Heibo und in anderen Waldbesetzungen ausharren, um für Klimagerechtigkeit zu kämpfen und bewundern ihren Mut und ihre Entschlossenheit dem fossilen Kapitalismus zu trotzen. Das schafft Aufmerksamkeit und Beziehung und kann der Keim für eine größere Bewegung sein! Wir denken jedoch auch, dass Besetzungen alleine nicht ausreichen werden. Denn Besetzungen, auch die mutigsten, stärksten und entschlossensten, werden immer geräumt werden, wenn nicht der Druck von außen hoch genug ist. Was es dafür braucht, ist eine kämpferische Massenbewegung, die sich aus der Basis heraus organisiert, aus den Schulen, Unis und Betrieben, und die den Streik als ihr zentrales Kampfmittel nutzt: Wenn die Arbeiter_Innen im Kiestagebau und der Zementproduktion streiken, die Bauarbeiter_Innen, die die Autobahnen bauen sollen und so weiter, wie soll dann noch die Rodung von Wäldern und die Zerstörung von Häusern durchgesetzt werden? Wenn wir als Schüler_Innen und Studierende unbefristet mitstreiken und protestieren, kann das den Druck massiv erhöhen!

Rechte Angriffe auf die Waldbesetzung

In und um den Heibo kommt es immer wieder zu Angriffen von Rechten auf die Aktivist_Innen! Volle Solidarität an euch und vor allem an die unmittelbar Betroffenen der Gewalt! Erst auf der Demo für den Erhalt des Heibo letzte Woche Samstag kam es parallel zu einer Gegendemonstration von 15-20 Jungfaschos, vermutlich angeführt durch den Ex-Dortmunder Michael Brück. Zuvor war er bereits immer wieder zu Angriffen und Bedrohungen im Wald, sowie zur gezielten Zerstörung der Infrastruktur am Boden gekommen. Wie bereits im Moni in Sachsen-Anhalt zeigen die braunen Banden, die am Stammtisch gerne von „Heimatschutz“ und dem „guten deutschen Wald“ schwadronieren, dass sie nichts anderes sind als eine erzreaktionäre Schlägertruppe, die die Interessen des Großkapitals mit Gewalt durchzusetzen gesucht und das mit menschenfeindlicher Ideologie schönredet.

Wir fordern:

  • Einen sofortigen Räumungsstopp im Heibo!
  • Den Stopp sämtlicher Autobahnprojekte in ganz Deutschland, dafür massive Investitionen in das Schienennetz, bessere Bezahlung und Einstellung von neuem Personal im Öffentlichen Verkehr inklusive kostenlose Nutzung!
  • Die Ersetzung von Zement durch weniger CO2-intensive Baustoffe wo immer möglich und die Forschung an diesen auf Basis des gesellschaftlichen Nutzens statt der Profiterwartung!
  • Die Enteignung sämtlicher Bergbau-, Bau- und Energieunternehmen unter Kontrolle der dort beschäftigten Arbeiter_Innen!
  • Den Erhalt sämtlicher wertvoller Naturräume sofern irgendwie möglich, sowie, sollte doch vereinzelt gerodet werden müssen, die Schaffung von ökologisch gleichwertigen Ersatzflächen!
  • Eine klassenkämpferische Klimabewegung die aus ihren Erfolgen aber auch Fehlern der Vergangenheit lernt und ihren Fokus auf die Organisation der Basis in Schulen, Unis und Betrieben setzt und dessen zentrales Kampfmittel der (auch militant geführte) Streik ist!
  • Selbstorganisierte Antifaschistische Widerstandskomitees zur Verteidigung gegen rechte Angriffe!