FFF: Was war los beim ÖPNV-Streik und was will dieser Jakob im Bundestag?

4
Fragen und 4 Antworten zu FFF, den ÖPNV-Streiks und was
Antikapitalist_Innen jetzt tun müssen

Was
ist beim Nahverkehrsstreik gelaufen?

Vielleicht
hast Du in den letzten Wochen mal vergebens an der Bushaltestelle
gestanden oder durch die Nachrichten erfahren, dass in den in
unterschiedlichen Städten und Gemeinden die Arbeiter_Innen im
Nahverkehr gestreikt haben, sie die Busse und Bahnen stehen ließen.
Vielleicht hast Du‘s aber auch nicht mitbekommen…und das liegt
nicht an Dir. Gestreikt wurde höchstens Mal ein Tag, oft aber nur
ein paar Stunden. Ziel des Streiks war eine bessere Bezahlung und
bessere Arbeitsbedingungen für die Menschen, die uns täglich zur
Schule, Ausbildung oder Uni fahren und die gerade in der Corona-Zeit
zu jenen gehören, die unsere Gesellschaft noch am Laufen halten.

In
einigen Bundesländern sind die Streiks jetzt schon ganz vorüber,
denn die Gewerkschaft ver.di und die Arbeit“geber“_Innenverbände
haben sich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Zuletzt ist das in
Nordrhein-Westfalen passiert und für die Beschäftigten ist das
Ergebnis ein ziemlicher Schlag ins Gesicht. Am 1. April 2021 gibt‘s
1,4 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 50 Euro, am 1. April 2022
1,8 Prozent mehr und für‘s Weiterfahren während Corona das Land
zum Stillstand zwang gibt‘s einmalig 600 Euro. Faktisch heißt das,
dass sich die Verkehrsarbeiter_Innen mittelfristig weniger als heute
leisten können, sie ärmer werden. In den anderen Bundesländern ist
Ähnliches zu erwarten.

Was
können wir daraus lernen?

1.)
die Gewerkschaftsführungen wollen in der Krise keinen Konflikt mit
den Bossen. Bloß ein bisschen Streiken, eine Niederlage
unterzeichnen und sie dann als notwendiges Opfer in Zeiten der Krise
den Mitgliedern der Gewerkschaft verkaufen. Die Gewerkschaftsbosse
haben dabei gut reden, verdienen sie doch so viel in den
Aufsichtsräten der Konzerne, dass sie die Krise locker überstehen
werden…vorausgesetzt sie halten die Arbeiter_Innen schön ruhig.

2.)
die Arbeiter_Innenklasse soll die Krise bezahlen. Schon als ver.di
einen lächerlichen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst unterschrieb
war klar, dass der Kampf im Nahverkehr auch zum Abschuss freigegeben
ist. Andernorts sieht‘s nicht besser aus. Der Staat muss angesichts
seiner riesigen Corona-Schulden sparen und zu Geld kommen. Aber als
die Linkspartei neulich eine kleine Vermögensabgabe für Reiche
forderte war der Aufschrei im Bundestag und den Zeitungen groß. Wenn
umgekehrt bei der Bahn Milliardeneinsparungen beim Personal gefordert
werden, erzählen einem die konservativen Medien was von „jeder
muss doch ein Opfer bringen“.

3.)
die Lösung der Klimakrise fällt im Angesicht der Wirtschaftskrise
hinten runter. Anstatt die Verkehrswende anzugehen, den Nahverkehr
auch als Arbeitsplatz attraktiver zu machen und gut zu bezahlen, um
die tausenden fehlenden Beschäftigten bundesweit einzustellen, heißt
es für den Nahverkehr jetzt weiter sparen, sparen, sparen. Achso,
natürlich nicht überall, nein, nein, die Lufthansa wird mit
Milliarden gerettet, zahlt auch weiterhin keine Kerosinsteuer und
kaufst du dir ein neues E-Auto gibt dir der Staat dafür auch noch
einen Riesenbatzen Geld.

Was
hat FFF damit zu tun?

Dass
Verkehrspolitik auch immer Klimapolitik ist und dass der Streik im
Nahverkehr deshalb auch unmittelbar die Ziele und Forderungen von FFF
betrifft, ist nichts Neues. Als Revo haben wir in den einzelnen
Städten, in den FFF-AGs und auf dem Nordkongress Anfang des Jahres
immer dafür gekämpft, dass FFF aktiv auf die Gewerkschaften zugehen
muss, um die Arbeiter_Innenklasse für gemeinsame Kämpfe zu
gewinnen. Damals haben Luisa Neubauer und die undemokratische Führung
von FFF noch versucht, unsere Beschlüsse bürokratisch zu umgehen.
Heute machen sie Selfies mit den Spitzenfunktionären von Verdi.

Als
wir FFF zum Schulterschluss mit den Gewerkschaften aufgerufen haben,
meinten wir damit keine runden Tische in Besprechungsräumen oder
Selfie-Aktionen. Was wir wollen ist eine aktive Mobilisierung an der
Basis! Wir sind dafür eingetreten, dass es Vollversammlungen an den
Schulen gibt, zu denen Beschäftigte aus dem ÖPNV kommen, über ihre
Arbeitsbedingungen berichten und gemeinsam mit uns Schüler_innen
über eine ökologische Verkehrswende diskutieren. Wir sind dafür
eingetreten, dass FFF die Streikposten der streikenden Beschäftigten
im ÖPNV unterstützt und so ein aktives Zeichen der Solidarität
setzt, auf dem kommende Kämpfe aufbauen können. Der Streik ist das
effektivste Mittel der Arbeiter_Innenklasse eine Awareness für das
Thema zu erwecken und echten Druck auf die Verantwortlichen
auszuüben.

Die Führung von verdi hat sich jedoch dagegen gesperrt, zu wirklichen Streiks aufzurufen und ihren Mitgliedern stattdessen empfohlen, einen ihrer wenigen Urlaubstage zu nutzen, wenn sie zu FFF gehen wollen. Indem sie nicht offen zum Streik aufgerufen haben, haben sie ihren Mitgliedern verwehrt im Rahmen einer politischen Kampagne daran teilzunehmen. In diesem Punkt sind sich der Verdi-Vorstand und die FFF-Führung ziemlich ähnlich: beide verhindern aktiv eine Radikalisierung ihrer Basis. Damit wollen sie ihren Führungsanspruch aufrecht erhalten und auf jeden Fall verhindern, dass eine Bewegung „von unten“ entsteht, die keine Luisas und Frank Wernekes (Verdi-Vorstand) mehr braucht.

Was
hat FFF falsch gemacht?

Aus
dem Schulterschluss zwischen FFF und Gewerkschaften ist bis auf ein
paar nette Selfies wohl nichts geworden. Noch deutlicher wird die
Unfähigkeit der FFF-Führung darin, dass sie dem
„Kohleausstiegsgesetz“ nichts entgegengesetzt haben. Das
sogenannte „Kohleausstiegsgesetz“ redet nämlich nicht vom
Ausstieg aus der braunkohlebasierten Energiegewinnung, sondern will
die dreckigen Tagebauten noch 20 Jahre weiter finanzieren und
verspricht den Klimakillern große Geldsummen. Wir fragen uns an der
Stelle, wofür wir eigentlich die ganze Zeit gekämpft haben, wenn
die Bundesregierung so ein Gesetz verabschiedet und FFF schweigt.

Doch dieses Problem von FFF hat System und hat nicht nur mit Corona zu tun. Die Schlüsselfrage ist vielmehr, ob FFF bereit ist, die kapitalistische Produktionsweise als Ursache des Klimawandels zu erkennen und zu bekämpfen, oder ob FFF weiterhin versucht, dem Kapitalismus einen grünen Anstrich zu verpassen, die Basis von FFF zu unterdrücken und statt Mobilisierungen nun zur Wahl der Grünen aufzurufen. Das unterscheidet uns von Luisa. Bereits bevor die Pandemie ausgebrochen ist, stand eine Strategiedebatte innerhalb FFFs an, die eine neue Ausrichtung beschließen sollte, mit der wir mehr werden sollten, uns weniger überlasten müssen und unsere Ziele tatsächlich erreichen können. Schon vor Corona hat die Führung von FFF versucht, dies zu unterbinden. Nachdem nun unsere Aktionen durch den Lockdown weitestgehend eingebrochen sind und die Bewegung geschwächt wurde, versuchen Luisa und Co. ihren Kurs nun final durchzusetzen. Jakob geht in den Bundestag, während Luisa FFF als aktivistisches Feigenblatt missbraucht und für Bündnis 90/Die Grüne bei der Bundestagswahl mobilisiert. Anstatt auf der Straße zu stehen, laut zu sein und für die Forderungen zur Einhaltung der Klimaziele zu kämpfen, will die FFF-Führung sich lieber an irgendwelche runden Tische oder in Bundestagssessel setzen und sich somit den kapitalistischen Politiker_Innen beugen, denen, wie wir gesehen haben, unsere Forderungen ziemlich egal sind. Dabei sind die Grünen alles andere als grün: die bürgerliche Partei ist mitverantwortlich dafür, dass der Danni geräumt wird und dass der Kohlekompromiss im Bundestag durchgekommen ist. Abgesehen davon gibt es kaum einen Kriegseinsatz der Bundeswehr, dem die Grüne nicht zugestimmt hat. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier nochmal genauer nachlesen könnt: Die Grünen – Neoliberal für’s Kapital .

Der
von der ungewählten und somit nicht demokratisch legitimierten
FFF-Führung geführte Kurs, war es seit jeher, die Bewegung zu
kontrollieren und eine Radikalisierung zu verhindern. Das zeigte sich
unter anderem dadurch, dass sie selbstorganisierte und
antikapitalistische Perspektiven immer bekämpft haben. So haben wir
von Revo, aber auch andere linke FFF-Ortsgruppen, die Plattform
Change for Future oder die Anti-Kohle-Kids versucht,
antikapitalistische Positionen in die Bewegung zu tragen. Gerade
heute, wo der Verrat von Lusia und Jakob so offensichtlich ist, gibt
es viel Kritik an der momentanen FFF-Politik aus der Basis. Vielen
von uns haben sich an den Ende Gelände Protesten beteiligt und
gezeigt, dass wir bereit sind, radikalere Forderungen und
Aktionsformen aufzuwerfen.

Doch
während uns von Revo vorgeworfen wird, die Bewegung für unsere
antikapitalistischen Ziele zu „unterwandern“, sitzen genau
diejenigen, die uns diesen Vorwurf machen, in Führungspositionen bei
den Grünen oder beim BUND. Im Gegensatz zu uns verschweigen sie
jedoch, dass sie noch in anderen Organisationen sind. Das ist nicht
nur intransparent, sondern auch undemokratisch und zeigt ganz
deutlich, wer hier die Bewegung eigentlich unterwandern will. Mit dem
Vorwurf an uns wollen sie versuchen, eine Linksentwicklung in der
Bewegung zu verhindern und ihr eigenes pro-kapitalistisches und
undemokratisches Programm durchsetzen.

Was sollten Antikapitalist_Innen in FFF jetzt tun?

Viele
linke Gruppen innerhalb FFFs haben sich nicht getraut offen
aufzutreten, damit ihnen nicht vorgeworfen wird, dass die Bewegung
„unterwandern“. Doch, wenn wir für antikapitalistische
Positionen in FFF kämpfen wollen, müssen wir den Kurs der Führung
herausfordern, offen auftreten und der Basis klar machen, wofür wir
sehen!

Was
wir brauchen ist mehr Demokratie und weniger Hinterzimmerbeschlüsse!
Was wir brauchen ist eine basisdemokratische Aktionskonferenz für
eine neue Strategie, die dem bürgerlichen Kurs von Luisa, Jakob &
Co. ein Ende setzt! Die Klimakiller müssen enteignet und unter
demokratische Kontrolle gestellt werden, anstatt sie mit bloßen
Appellen um die Einhaltung von Klimazielen zu bitten. Klimaschutz
muss international sein und muss eine Verbesserung in unseren Lebens-
und Arbeitsbedingungen bedeuten, statt stupide Verbote zu fordern.
FFF muss wieder zurück auf die Straße und an die Schulen. Wenn wir
wieder mehr werden wollen, müssen wir Komitees an unseren Schulen
aufbauen, um die Leute dort abzuholen, wo sie sich tagtäglich
aufhalten.

Was wir jetzt tun müssen ist, mit den Gewerkschaften und hier vor allem ihrer Basis über eine universelle Anti-Krisen-Bewegung zu diskutieren, die sich sowohl gegen die Klimakrise, die Wirtschaftskrise als auch gegen die Gesundheitskrise richtet. Die Unternehmen und kapitalistischen Regierungen, die Mitverursacher dieser Krisen sind, lassen nämlich uns Jugendliche und die Arbeiter_Innenklasse für die Kosten der Krise zahlen!

Power
to the people!




Der Abschluss für den Öffentlichen Dienst und die Linke

zuerst veröffentlicht am 21.11 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/21/der-abschluss-fuer-den-oeffentlichen-dienst-und-die-linke/

Mattis Molde

Die erste große Tarifrunde nach Beginn der Pandemie und der Vertiefung der Wirtschaftskrise ist vorbei. Der öffentliche Dienst hat Maßstäbe auch für die nächsten Runden gesetzt. Aber es ging nicht nur um die ökonomischen Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft. Es ging um mehr. Es ging darum, wie sich die Arbeiter_Innenklasse politisch aufstellt in einer entscheidenden historischen Phase, in der sich eine Krise des kapitalistischen Systems entfaltet, die tiefer und länger zu werden verspricht als die vor 10 Jahren, ja jetzt schon mit der von 1931 verglichen wird. Die begleitet ist von Krisen der politischen Systeme nicht nur in Halbkolonien, sondern auch in den Zentren der Macht wie in den USA und der EU. Die dominiert wird von rechten Massenmobilisierungen und Wahlerfolgen, in der es aber auch Gegenbewegungen gibt.

Ausverkauf

Das Kapital und sein Staat haben sich in dieser Tarifrunde von Anfang an klar positioniert. Das war zu erwarten. Die ver.di-Führung ignorierte das anfangs trotzdem und streute ihren Mitgliedern Sand in die Augen, als sie von einer „Politik der ausgestreckten Hand“ schwadronierte. Als diese Vorgangsweise scheiterte, erklärte sie es zum Ziel der Warnstreiks, dass die Arbeit„geber“_Innen „endlich ein Angebot vorlegen“. Die Forderung von 4,8 % mit einer Laufzeit von einem Jahr war damit schon unauffällig ersetzt. Entsprechend haben die Spitzenverhändler_Innen das „respektlose“ erste Angebot der Arbeit„geber“_Innenverbände in der letzten Verhandlung nur durch Umverteilung unter den Beschäftigten modifiziert, im Volumen kaum erhöht und dann zu „respektabel“ umgetauft. Diese Einschätzung macht nur dann einen Sinn, wenn man einen Streik von vorneherein ausschließt, wie es offensichtlich die ver.di-Führung getan hat, und noch nicht einmal eine Streikvorbereitung als Drohpotential aufbaut. Das macht diese Niederlage zur Kapitulation. Das haben wir an anderer Stelle ausführlich dargelegt. Eine Niederlage zu erleiden, ist eine Sache, eine andere, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Viele linke Gruppen und Personen haben das Ergebnis analysiert und fast alle kommen zum Schluss, dass es ein schwacher Abschluss war, der meilenweit von der Forderung entfernt war. Aber die meisten betonen, dass immerhin weitergehende Angriffe auf die Beschäftigten abgewehrt worden seien. So titelt die SAV: „Angriff abgewehrt, Gegenoffensive verpasst“. Ähnlich sieht das Olaf Harms in der UZ „Licht und Schatten“. Die Sol (Sozialistische Organisation Solidarität) meint: „Kampfkraft nicht genutzt“ und „ernüchterndes Ergebnis“. Auch RIO nennt das Ergebnis „,mager“. Die Rote Fahne schreibt „das Ergebnis: ein fauler Kompromiss, weil die volle gewerkschaftliche Kampfkraft nicht eingesetzt wurde“.

Apparat

Alle diese Einschätzungen sind näher an der Realität als die selbstgefällige Lobhudelei, die ver.di selbst verbreitet. Letztere wird nicht besser dadurch, dass ein Teil der Mitglieder das Einknicken der Verhandlungsführung unterstützte oder keine Alternative dazu sah. Aber sehr viele protestieren auch gegen diesen Abschluss auf Webseiten von ver.di oder in öffentlichen Medien. Aus den Kreisen der vielen Gewerkschaftssekretär_Innen, von denen etliche in linken Organisationen wie DIE LINKE, IL oder marx21 politisch organisiert sind, ist kein Anflug einer Kritik zu hören, alle tragen brav die Entscheidung mit. Sie verwechseln die Disziplin innerhalb einer Arbeiter_Innenorganisation, beschlossene Aktionen auch gemeinsam durchzuführen, mit einer innerhalb eines Apparates gegen diese Organisation: In einer Phase, in der ein Abschluss diskutiert werden soll, vertreten diese „Hauptamtlichen“, wie sie sich selber nennen, die Linie der Spitze und bekämpfen die Kritik, die von der Basis geäußert wird. Das Gleiche gilt für die breite Masse der betrieblichen Spitzenfunktionär_Innen, der sogenannten Ehrenamtlichen, der linken wie der rechten.

Diese Einstellung der „Linken“ in der Struktur von ver.di ist verheerend. Sie führt erstens dazu, dass sich die Kritik aus der Basis nicht wirklich innerhalb der Gewerkschaft ausdrücken kann. Diejenigen, die innerhalb der Strukturen Funktionen innehaben, weigern sich, sich zum Sprachrohr der Kritik zu machen. Sie überlassen die Basis sich selbst und sind hauptverantwortlich dafür, wenn jetzt gerade kritische Kolleg_Innen den Laden verlassen. Zweitens sind damit auch die nächsten Niederlagen vorprogrammiert. Dies wird innerhalb von ver.di vor allem der ÖPNV sein mit den Tarifverträgen Nahverkehr. Für die ganzen schlechter und schwächer organisierten Beschäftigtengruppen ist das Signal, das ver.di gegeben hat, eine wirkliche Entmutigung.

Diese Verweigerung der Linken im ver.di-Apparat, sich zum Sprachrohr der kritischen Teile der Gewerkschaftsbasis zu machen, wird übrigens voll auch von der Partei DIE LINKE getragen. Der Vorstand hat bisher kein einziges Wort der Kritik veröffentlicht und damit gezeigt, dass die Partei in dieser Frage als Wasserträgerin des reformistischen ver.di-Apparates fungiert und null Unterschied zur SPD darstellt. Auf unterer Ebene der Linkspartei gab es kritiklosen Jubel (Niedersachsen), leichte Kritik (z. B. Oberhausen), aber auch kommunale MandatsträgerInnen, die sich von Anfang an mit Blick auf ihre Gemeindefinanzen gegen die Forderungen gestellt hatten.

Zurückbleiben

Aber auch die Gruppen und Organisationen, die Kritik an dem Abschluss üben, müssen sich fragen, ob ihre Antworten ausreichend sind. So ist das Bemühen, dem Abschluss noch etwas Gutes abzugewinnen, mehrfach problematisch: Erstens führt es zu falschen oder unzureichenden Schlussfolgerungen bezüglich der betroffenen Kolleg_Innen. Zweitens zu falschen Perspektiven für die weiteren Tarifrunden und alle Abwehrkämpfe gegen die Krise.

Erstens gehört es zum ABC jeglicher Verhandlung auf jeglichem Gebiet, dass auch weitergehende Forderungen aufgestellt werden, auf die im Laufe der Verhandlungen verzichtet werden kann. Frank Werneke beispielsweise hat ja sehr offen zum Thema Laufzeit erklärt, dass die Forderung nach einem Jahr nie ernst gemeint gewesen sei, „weil da ja dann Bundestagswahl“ wäre. Warum das nicht gehe, ist damit noch nicht erklärt, aber anschaulich dargestellt, wie die Spitzen der Bürokratie zur „demokratischen Beschlüssen“ stehen. Natürlich stellt auch die andere Seite weitergehende Forderungen als Verhandlungsmasse auf. Linke sollten daraus lernen, nicht Scheinerfolge zu preisen oder kleine Lichter im großen Schatten auszumachen.

Zum Zweiten ist es eine sehr gängige Methode bei Tarifabschlüssen, diese möglichst nicht nachrechenbar zu gestalten: Tariferhöhungen, die in die Lohnstruktur eingehen, werden mit Einmalzahlungen vermengt. Gerne können einzelne Positionen in einzelnen Bereichen zeitlich verschoben, manchmal können bestehende Zahlungen angerechnet werden. Das Ganze dann unterschieden nach Einkommenshöhe usw. Das lässt jede Menge Spielraum für Schönrechnerei.

Ver.di hat diesmal vor allem auf den Trick gesetzt, die Minderheit der Beschäftigten in Krankenhäusern besserzustellen gegenüber allen anderen, die Reallohnverlust erleiden werden.
Die Krankenhausbeschäftigten, die noch im öffentlichen Dienst arbeiten und für die der Tarif gilt, stellen übrigens auch nur die Minderheit der Gesamtbeschäftigten in diesem Sektor dar. Ver.di hat also als Preis für diese Abschlusskosmetik mit einer neuen Spaltungslinie bezahlt, mit einem hohen Frust bei der Masse der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und besonders bei denen, die an anderer Stelle im Gesundheitswesen arbeiten, zum Beispiel als Rettungssanitäter_Innen oder in den Gesundheitsämtern.

Es ist also ein Fehler für Linke, dies mit dem reinen Geldbeutelblick zu analysieren und als „gut für die einen, schlecht für die anderen“ zu befinden. Die Spaltung schwächt die gesamte Klasse, auch diejenigen, die noch ein paar Rosinen abbekommen. Sie ist vor allem schlecht in einer Zeit, in der die Klasse als Ganzes angegriffen wird und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, wo dieser Angriff vom bürgerlichen Staat organisiert wird, aber auch von rechten PopulistInnen. Heute, wo es so bitter nötig ist, dass wir die Perspektive „uns als Klasse gemeinsam gegen Kapital und Staat zu wehren“ gegen nationalistische und rassistische Demagogie verbreiten, sind der Reallohnverlust und die Entsolidarisierung durch diesen Tarifabschluss politisch verheerend. Sie stellen genauso eine Spaltung der Klasse dar wie die Standortpolitik der IG Metall, die die Beschäftigten dazu erzieht, ihre Interessen auf Kosten der Leiharbeiter_Innen und der Kolleg_Innen bei der Konkurrenz im eigenen Konzern, in anderen Unternehmen oder in anderen Ländern zu sichern.

Die Halbherzigkeit in der Analyse, das Bemühen, auch da noch Licht zu sehen, wo keines ist, fällt im Grunde auf die Strickmuster der Bürokratie für Tarifabschlüsse und zugleich auf deren ökonomistische, unpolitische Herangehensweise herein. Das wird dann auch bei Schlussfolgerungen deutlich, die von den meisten Linken gezogen werden. Fast alle weigern sich, eine Niederlage zu erkennen, wo sie stattfindet. Aber aus Niederlagen muss man lernen. Das gilt für Linke ebenso wie für gewerkschaftliche AktivistInnen und die große Masse.

Die entscheidende Antwort auf eine Führung, die bewusst Niederlagen organisiert, ist der Kampf für eine neue!

Kritik von links auf halbem Wege

Dies formuliert am klarsten die VKG: „Festzuhalten ist: Zu einem solch umfassenden Kampf war die Gewerkschaftsführung offenbar nicht bereit, einen solchen wagen sie seit langem nicht mehr zu führen. Und von der Basis her gab es die große Druckwelle nicht, die den Apparat in diese Richtung unter Druck gesetzt hätte. Dies hängt auch damit zusammen, dass auf gesamtgewerkschaftlicher Ebene eine sichtbare klassenkämpferische Strömung fehlt, die für Unentschlossene eine Orientierungshilfe oder Ermutigung hätte sein können. Diese gilt es aufzubauen.“ Leider scheut sich auch diese Erklärung, eine Niederlage als das zu bezeichnen, was sie ist. Unsere GenossInnen im Koordinationskreis der VKG sind hier in der Minderheit geblieben.

Auch die Sol, ebenfalls Teil der VKG, fordert in ihrer Erklärung: „Nun geht es darum, eine kämpferische Opposition innerhalb von ver.di aufzubauen, um zukünftig wirkliche Verbesserungen zu erreichen.“

Die SAV, obwohl auch Teil der VKG, kann sich in ihrer eigenen Erklärung nicht dazu entschließen, eine Opposition in den Gewerkschaften als Perspektive anzugeben. Sie beschränkt sich darauf, von der Gewerkschaftsführung den Bruch mit der Großen Koalition und der SPD zu fordern: „Für eine solche politische Kampagne muss sich die Gewerkschaftsführung aber mit den Parteien in der Großen Koalition im Bund anlegen, anstatt der SPD bei den Wahlen weiter die Treue zu halten.“

Ja, sie kritisiert die ver.di-Führung nur dafür, eine „Gelegenheit verpasst“ zu haben, „Kämpfe zusammenzuführen und die nötige gesellschaftliche Antwort in diesen Zeiten zu geben und den Widerstand aufzubauen.“ Ob Werneke für solche guten Ratschläge ein offenes Ohr hat?

Olaf Harms in der UZ beschreibt sehr richtig, was politisch nötig wäre: der Kampf gegen Fallpauschalen und Privatisierung sowie für Arbeitszeitverkürzung (AZV): „Es gilt nun nicht nachzulassen, den gestiegenen Kampfgeist auch angesichts der offensichtlichen Widersprüche in dieser Krise zu nutzen, weiter zu diskutieren und zu kämpfen: Für mehr Personal, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Eine Erhöhung des Personals in den Krankenhäusern ist entsprechend des tatsächlich vorhandenen Bedarfes mittels einer Personalbemessung notwendig. Mit den bestehenden Fallpauschalen ist das nicht zu machen – sie müssen weg. Nach der überfälligen Angleichung der Arbeitszeiten von Ost an West muss endlich die Forderung über eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich verhandelt werden – 30 Stunden die Woche sind genug. Und es geht um den Kampf gegen Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge.“

Aber er verschweigt, dass diese Forderungen und Ziele bewusst von der Führung aus dem Tarifkampf ausgeklammert worden waren: Die AZV war schon ein Beschluss des letzten Gewerkschaftstages. Dass die Privatisierung und die Fallpauschalen angegriffen werden sollten, dafür gab es Beschlüsse vor der Tarifrunde. Die Frage nicht aufzuwerfen, warum die Bürokratie, das verhindern wollte und verhinderte, heißt letztlich, deren Politik abzudecken und den Basisaktivist_Innen zu raten, einfach tapfer weiterzukämpfen, so wie es auch die reformistischen Führer_Innen der Gewerkschaften immer nach Niederlagen tun.

Auch RIO greift in ihrer ersten Stellungnahme einen richtigen Ansatz auf: Sie schlägt vor, von der Basis her die Ablehnung des Tarifergebnisses zu organisieren. „Das Verhandlungsergebnis muss von allen Beschäftigten abgestimmt werden und das Abstimmungsergebnis sollte mit einfacher Mehrheit für die Bundestarifkommission (BTK) und alle Gremien von ver.di bindend sein.“ In einem anderen Artikel wird gefordert: „Es braucht, besonders jetzt nach dem Tarifabschluss, demokratische Online-Versammlungen der Beschäftigten und ein Programm, um gewerkschaftlich Druck für weitere Kämpfe aufzubauen.“ Wie aber eine Bewegung der Basis in einer Organisation organisiert werden soll, deren Organisationsstrukturen von der Bürokratie beherrscht werden, sagt RIO nicht – auch wenn sie generell eine scharfe Kritikerin der Bürokratie ist. Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung kann aber nicht mit einer spontanen Bewegung von unten gleichgesetzt werden, insbesondere wenn jeder Spontaneismus von Corona gedämpft wird.

Bleiben noch die Stimmen aus dem postautonomen Spektrum. Im AK schrieben Daniel und Lisa (IL) noch vor dem Abschluss zu Recht, dass „es sich bei den aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst um eine Schlüsselauseinandersetzung in den heraufziehenden Verteilungskämpfen um die Finanzierung der Krisenkosten handelt. Ihre politische Bedeutung geht jedoch über eine bloße Umverteilung von Geldern hinaus, denn diese Tarifrunde ist auch ein feministischer Kampf: Sie betrifft wichtige Bereiche des öffentlich verwalteten gesellschaftlichen Reproduktionssektors.“ Aber schon da verzichteten sie darauf, die Führung dieser Tarifrunde durch ver.di auch nur mit einem Wort an dieser politischen Erkenntnis zu messen. Vielmehr wird die Unverschämtheit der Arbeit„geber“_Innen beklagt und ver.di noch für den „Gesundheitstisch“ gelobt. Dabei war schon damals klar, dass dieser keineswegs die ursprünglichen, schon fallengelassenen Forderungen nach Privatisierung, Abschaffung der Fallpauschalen, Personalbemessungsschlüssel verfolgen würde, sondern die Spaltung der ÖD-Belegschaften vorbereitete.

So fokussiert der Artikel auf die Bewusstseinserweiterung der Beschäftigten:

„Wir haben es den erfolgreichen Kämpfen der letzten Jahre zu verdanken, dass es überhaupt zu einem Konflikt kommt und ver.di eine Nullrunde – und damit den Einstieg in die nächste Runde Austeritätspolitik – nicht einfach akzeptiert. Auch dass der Widerspruch zwischen Dankbarkeit und materieller Anerkennung so deutlich zutage tritt, ist ein Erfolg der vergangenen Kämpfe von Krankenhausbeschäftigten. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke, genau in diese Widersprüche zu intervenieren und uns mit den Beschäftigten aktiv zu solidarisieren.“ Also ver.di ist irgendwie scheiße und hätte am liebsten ’ne Nullrunde akzeptiert, aber wir haben keine politische Kritik daran, solidarisieren uns mit den Beschäftigten, helfen ihnen aber nicht gegen die Bürokratie. Das ist eine „radikale Linke“ so recht nach dem Geschmack von Frank Werneke.

Ähnlich die RAS aus Stuttgart. Ihre Unterorganisation „Solidarität und Klassenkampf“ benennt in ihrer Analyse viele der Schwachstellen des Ergebnisses und geht von einer starken Ablehnung dessen aus: „Deshalb fordern wir auch alle Beschäftigten auf, bleibt ver.di Mitglieder! Nichts wäre falscher, als auszutreten und unsere Kampfkraft zu schwächen.“ (https://solidaritaet-und-klassenkampf.org/2020/10/ein-respektables-ergebnis-oder/) Aber der Vorwurf der Schwächung wird keineswegs an die Führung gerichtet und es wird auch kein Kampf gegen diese propagiert jenseits dessen, das Ergebnis in Abstimmungen abzulehnen.

Das Fehlen einer expliziten Kritik am Vorgehen des Apparates in Verbindung mit der Perspektive, dass die Beteiligung an den Streiks nur größer werden müsste, um mehr Druck auf die Arbeit„geber“_Innenseite aufzubauen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, bedeutet: Es wird letztlich die Schuld der Gewerkschaftsbasis in die Schuhe geschoben, die halt noch nicht so weit sei.

Stattdessen sollen die Unzufriedenen für den Sozialismus kämpfen: „Wir wollen aber mehr als die Gewerkschaften. Uns geht es nicht nur um ein paar Prozente mehr oder weniger, sondern um ein grundlegend anderes System.“ Der Weg dahin ist natürlich „lang“. Deshalb tut es auch den reformistischen Bürokrat_Innen nicht weh, wenn die Genoss_Innen der RAS ihnen heute brav keine Steine in den Weg legen.

Hoher Aktivismus, wie ihn die RAS und ihr Umfeld an den Tag legen, ist gut. Aber er ist kein Mittel um die rechten, prokapitalistischen Positionen des Gewerkschaftsapparats zu bekämpfen. Einflussnahme der Basis, wie sie RIO propagiert, ist nötig im Kampf gegen die Bürokratie, aber sie braucht noch Organisierung unabhängig von jener und ein entsprechendes politisches Kampfprogramm. Die VKG und die darin aktiven Gruppen haben den Schritt gemacht, die aktuellen Kämpfe mit dem permanenten Eintreten für den Aufbau einer antibürokratischen Opposition in den Gewerkschaften zu verbinden.

Es sind Auseinandersetzungen wie dieser Tarifkampf, die aufzeigen, was das Ziel einer solchen Opposition sein muss: Eine Verankerung in den Betrieben aufzubauen und eine Struktur, die das Monopol der Bürokratie in der Propaganda und der Aktion durchbrechen kann: eine klassenkämpferische Basisbewegung.

Wir wenden uns an alle kritischen und unzufriedenen Kolleg_Innen genauso wie an die Organisationen der radikalen Linken, die diesen Abschluss kritisch bewerten: Zieht die entscheidende Konsequenz aus dieser Niederlage: Bauen wir gemeinsam die VKG auf, bündeln wir unsere Kräfte gegen die Bürokratie und führen wir eine solidarische Debatte, um unsere Differenzen zu klären!




Schulen sicher oder Schulen zu!

+++ Demo am Sonntag, den 22.11. in Berlin, 14 Uhr Alexanderplatz (an der Weltzeituhr) !!!! +++

Alles, was ihr über die beschissene Corona-Situation an unseren Schulen wissen müsst und was wir zusammen dagegen tun können:

Mit der vielfach höheren Zahl an Neuinfektionen, als noch im Frühling (3-Fach am 21.10.) ist eingetreten, was von den meisten erwartet wurde: Die Zweite Welle der Pandemie schlägt ein und das deutlich härter als die Erste. Die Notwendigkeit erneuter Schutzmaßnahmen ist unbestreitbar. Doch anders als beim ersten Mal, wird jetzt vor allem unsere Freizeit eingeschränkt. Betriebe werden nur dort geschlossen, wo Menschen ihre Freizeit verbringen und Schulen sollen ganz offen bleiben. Dafür gibt es Kontaktbeschränkungen und die Streichung aller Veranstaltungen, Kulturangebote und des gemeinsamen Sports. Die Lage ist absurd, besonders wenn man sich vor Augen hält, dass es nun völlig ok ist mit bis zu 30 Leuten in einem Klassenraum zu sitzen, aber ein schwerer Verstoß, wenn man sich zu dritt vor dem Schultor trifft. Ebenso paradox ist, dass die Partys „feierwütiger“ Jugendlicher als massiver Ansteckungsherd gebrandmarkt werden und gleichzeitig der gemeinsame Aufenthalt im Klassenraum für dieselben Leute nur eine minimale Infektionsgefahr haben soll. Der Lockdown-„light“ enttarnt sich so als reiner Freizeit-Lockdown, in welchem wir durch den Verzicht auf soziale Interaktion, sowohl Corona bekämpfen, als auch den Verwertungsdrang von Wirtschaft und Schulsystem befriedigen sollen.

Der erste Lockdown hat jedoch deutlich gezeigt, dass eine Schulschließung allein keine Antwort ist. Soziale Ungleichheiten trafen Schüler_Innen mehr denn je und es gab einen massiven Anstieg häuslicher Gewalt. Viele Schüler_Innen verfügen nicht über Endgeräte, eine ausreichende Internetverbindung oder die Möglichkeit zu Hause in Ruhe zu lernen. Dieser Missstand wurde höchstens durch die Vergabe einzelner Tabletts angegangen, aber das ist kaum ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch die eigentliche Notwendigkeit, die Schulen auf einen Unterricht unter Wahrung von ausreichenden Hygienemaßnahmen vorzubereiten, wurde weder während der Schulschließung, noch danach erfüllt. So war bereits der erste Lockdown ein Einschreiten gegen das unmittelbare Problem, doch völlig blind für die Aufgaben der Zukunft und diejenigen, die dabei auf der Strecke blieben.

Ob unsere Schulen geschlossen werden oder nicht ist eine Entscheidung, die sich nach unseren Bedürfnissen richten muss und nicht den Interessen der Wirtschaft. Die Unternehmer_innen wollen jedoch, dass wir aus dem Haus sind, damit unsere Eltern für ihre Profite schuften können. Gleichzeitig wollen sie, dass wir schön brav unsere Prüfungen schreiben, damit es viele neue qualifizierte Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt gibt. Die Gefährdung in Schulen und Kitas wird deshalb systematisch kleingeredet. Aber wir sagen: Unsere Gesundheit geht vor ihre Profite! Es darf deshalb nicht in Lobbygruppen und Bildungsausschüssen entschieden werden, welche Schule geschlossen werden. Wir selber können darüber am besten entscheiden. Wir fordern demokratische Krisenkomitees aus Schüler_innen, Eltern, Lehrer_innen und Virolog_innen, die zusammen entscheiden, ob eine Schule geschlossen wird, die zusammen Hygienebestimmungen festlegen und diese kontrollieren!

Zusammen mit den Lehrer_innen? Ja, genau das. Mit kranken Lehrer_innen gibt’s auch keine Bildung. Gerade unsere Lehrer_innen sind einem zusätzlichen Infektionsrisiko ausgesetzt, da sie mit viel mehr Personen in der Schule Kontakt haben. Sie werden dabei allein gelassen, die Bildungsangebote an die neue Situation anzupassen und müssen das auch noch unbezahlt in ihrer Freizeit tun. Ihre demokratisch gewählten Interessenvertretungen, die Personalräte, wurden außerdem bei den Beschlüssen zu Krisenmaßnahmen einfach übergangen. Die Gewerkschaft der Lehrer_innen, die GEW, hat viel richtige Kritik an der aktuellen Situation und zum Teil auch gute Forderungen. Leider macht sie nur nichts dafür, um diese auch umzusetzen. Eine Gewerkschaft muss ihre Mitglieder mobilisieren, Personalversammlungen einberufen, über die Forderungen demokratisch diskutieren und streiken, wenn sie was erreichen will. Wir müssen deshalb zusammen mit unseren Lehrer_innen der GEW in den Arsch treten, damit endlich was passiert.

Wir müssen gemeinsam einen Weg durch die Pandemie finden, der es allen ermöglicht, sinnvoll am Unterricht teilzunehmen, ohne dabei benachteiligt zu werden und ohne die eigene Gesundheit oder die Nahestehender zu gefährden. Auch wollen wir nicht die Sündenböcke einer Politik sein, die es nicht schafft, einen angemessenen Umgang mit der Pandemie zu finden. Weder werden wir als Grund für die Verbreitung des Virus herhalten noch hinnehmen, dass das Bildungssystem weiter todgespart wird. Deswegen stehen wir ein für:

# Mehr Unterrichtsräume! Sei es durch Neubau oder die Beschlagnahmung von leerstehenden Gebäuden! Es war auch schon vor der Pandemie nicht ausreichend Platz vorhanden.

# Mehr Personal! Sowohl neue Lehrer_Innen, Sozialarbeiter_Innen, pädagogische Assistenzkräfte, Sonderpädagogog_Innen, als auch Personal in der Verwaltung und Instandhaltung müssen neu eingestellt werden!

# Deutlich kleinere Klassen! Nicht mehr als 12 Schüler_innen sollen gleichzeitig unterrichtet werden! Alles andere ist aus pädagogischer und gesundheitlicher Sicht zu viel! – Freistellung ohne Diskussion! Es muss in allen Bundesländern die Möglichkeit geben, sich ohne Attest freizustellen!

# Kostenlose Schnelltest, FFP3-Masken und Desinfektionsmittel! Niemand soll Angst haben müssen, sich selbst, Verwandte oder geliebte Personen anzustecken! – Kostenlose Lernmittel und Endgeräte für alle, die von zuhause am Unterricht teilnehmen. Ebenso müssen Ausweich-Räumlichkeiten und betreuende Pädagog_Innen bereitgestellt werden!

# Aussetzung aller Prüfungen für dieses Schulhalbjahr! Lernen in der Pandemie darf für niemanden einen langfristigen Nachteil in der Schullaufbahn bedeuten! – Die Reduzierung des Rahmenlehrplans!, gemeinsam kontrolliert durch Leher_Innen, Schüler_Innen und Eltern.

Wir betrachten unseren Kampf in der Schule nicht isoliert von anderen Kämpfen. Wir stehen ebenso ein, für die Tarifkämpfe und Rechte der Arbeiter_Innen. So wie wir das Versagen der Politik in der Schule zu spüren bekommen, müssen es unsere Eltern von Politik und Gewerkschaften ertragen. Genauso wollen wir gemeinsam mit den Auszubildenden in den Betrieben kämpfen und stehen daher außerdem ein für:

– die massive Investition in Bildungs- Gesundheit- und Sozialwesen. Statt Konzernen müssen Menschen und ihre Zukunft gerettet werden!

– die Fortsetzung aller Tarifkämpfe, wenn nötig durch Streiks, bis ein angemessenes Ergebnis erkämpft wurde, mit dem nicht nur Gewerkschaftsführung und Konzerne zufrieden sind!

– die Übernahme aller Auszubildendeb und die Schaffung neuer Ausbildungsplätze! – die Streichung aller Mietschulden und die Bereitstellung von Wohnraum zum Selbstkostenpreis!

Alle diese Maßnahmen werden nicht vom Himmel fallen, sie kosten natürlich erst einmal Geld. Dieses sollte von denen genommen werden, die Verantwortlich für die Krise sind oder sogar davon profitieren. So konnten Softwarefirmen, Biotech-Unternehmen oder Amazon dank der Pandemie Rekordumsätze machen. Neben denen, die sich mit der Krise die Taschen voll machen, sollen auch die zahlen, die für den Ausbruch der Pandemie verantwortlich sind. Zum Beispiel begünstigt die industrielle Massentierhaltung die Entwicklung von Krankheiten durch die Lebensbedingungen der Tiere enorm. Nahrung muss dagegen entsprechend den Bedürfnissen von Mensch und Natur produziert werden, nicht für Profit. Statt in private Taschen zu fließen, müssen Gewinne verwendet werden, um allen einen sicheren Weg durch Pandemie und Wirtschaftskrise zu ermöglichen. Der Kampf gegen die Pandemie muss auch ein Kampf für ein gerechtes Gesundheitssystem sein. Pharmakonzerne und Krankenhäuser gehören in die öffentliche Hand gestellt. Die Kontrolle über diese Maßnahmen dürfen nicht die Chefs und Firmeninhaber_Innen ausüben, deren einziges Interesse die Profitmaximierung ist. Die Beschäftigten vor Ort müssen bestimmen, was wie und unter welchen Sicherheitsmaßnahmen produziert wird.  Lasst uns gemeinsam für eine linke Antwort auf die Pandemie kämpfen und das nicht den Rechten überlassen! Auch durch Demonstrationen und Streiks, denn solange wir noch in der Schule sein können, solange können wir auch noch demonstrieren!




Was wirklich zählt, aber auf Bundeswehrplakaten nicht steht

Janneck Peschel

Karriere
machen bei der Bundeswehr und richtig gut Geld verdienen: Für manche
Jugendliche ein Traum, für die Bundeswehr eine gute Chance, die
junge Generation an sich zu binden und für Nachwuchs zu sorgen. Auf
Jobmessen, Werbeplakaten, im Internet, der Gamescom oder mit dem
direkten Besuch in der Schule wirbt sie, um vermehrt Jugendliche zu
erreichen und sie durch vorteilhafte Konditionen zu sich zu geleiten.
So lockt die Bundeswehr mit vielversprechenden Aufstiegsmöglichkeiten
und saftigen Gehältern, wodurch sie auf das Interesse von
Schüler_Innen trifft, die um ihre Zukunft im Konkurrenzkampf des
Proletariats ungewiss sind.

Aufrüstung
und deutscher Militarismus

Zur
Zeit des Kalten Krieges und der bipolaren Welt war Deutschland,
hauptsächlich bedingt durch die Teilung, vorwiegend anderen
imperialistischen Mächten untergeordnet. Nach dem Ende des Kalten
Kriegs und der deutschen Wiedervereinigung entwickelte sich
Deutschland allerdings in einem jahrelangen Prozess wieder zu einer
führenden imperialistischen Macht – vor allem wirtschaftlicher
Stärke. Und obwohl Deutschland auf Platz 8 (mit 51 Mrd. €) im
internationalen Vergleich der jährlichen Militärausgaben sind,
hinkt die Ausrüstung der Bundeswehr weit hinterher.

Massive
Werbung und Agitation von Jugendlichen

Noch
bis 2011 gab es in Deutschland mehr oder weniger eine Wehrpflicht.
Aufgrund eines hohen Verschleißes an personellen und finanziellen
Ressourcen wurde sie ausgesetzt (nicht abgeschafft!). In einer
modernen, hochtechnisierten Armee haben sich die Anforderungen
verschoben, sodass man jetzt weniger die Millionen von Menschen
braucht, die eine Grundausbildung an der Waffe erfahren haben, dafür
mehr und festangestellte Berufssoldat_Innen, die beispielsweise in
der Lage sind, Drohnen, Bomber und Panzer zu steuern oder zu
reparieren oder als „Militärberater_In“ Einfluss auf fremde
Streitkräfte in Krisengebiete zu nehmen. So wurde die Bundeswehr zu
einer Berufsarmee, auch wenn sich das im Fall eines großen Krieges,
bei der die BRD auch tatsächlich in Gefahr ist, sehr schnell ändern
dürfte und die Wehrpflicht wieder in Kraft gesetzt wird. Aber
dadurch, dass momentan die Massen nicht mehr gezwungen werden, bei
der Bundeswehr schießen zu lernen, sowie Deutschland eine größere
Rolle in der NATO einnehmen will, fehlt es an Rekrut_Innen. Folglich
wird verstärkt auf ein anderes Mittel mit dem Zweck gesetzt, neue
junge Kräfte für den Militärdienst zu gewinnen und den Machthunger
Deutschlands zu stillen: Die altbekannte Werbung!

So
präsentiert sich die Bundeswehr auf Werbeplakaten, baut ihre
Internetpräsenz aus, öffnet über Jobangebote ihre Tür für
Erwerbslose und gibt sich den Schüler_Innen über die Schule oder
Jobmessen als zweiter „Freund und Helfer“. Das direkte Werben für
die kriegerischen Absichten des deutschen Militärs, welches sich
wenig von anderen Armeen unterscheidet, wird allerdings teilweise
entschärft und durch die Blume mitgeteilt, um sich mehr
Sympathiepunkte in weniger positiv eingestellten Kreisen einzufangen.
Trotzdem ist nicht zu vergessen, dass gerade in Zeiten der Krise auch
die Radikalisierung in der Bevölkerung zunimmt und mehr Menschen von
einem aggressiveren, militärischen Auftreten des deutschen
Imperialismus angesprochen werden.

Im
Klartext heißt das, man versucht über Werbung neue Militärkader
für die Streitkraft des deutschen Kapitals herauszubilden, um den
Einfluss auf die internationale Politik zu vergrößern. Dass die
Bundeswehr als Parlamentsarmee demokratisch legitimiert erscheint,
ändert hierbei nicht das Geringste an dem Fakt, dass die
ökonomischen und geopolitischen Interessen der Bourgeoisie im
Vordergrund stehen.

Die
Darstellung in den Medien

Ein nicht zu ignorierendes Problem für die Außenwirkung der Bundeswehr ist ihre Durchsetzung mit Rechtsextremen, dessen Tendenz sich parallel zum Rechtsruck in der allgemeinen Bevölkerung auch in der Bundeswehr feststellen lässt, aber in einem verschärften Ausmaß. So gibt es mehrere Verbindungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen, dem faschistischen Untergrund und rechtsextremen Chatgruppen. Nach außen erzeugt dies keine gute Wirkung, wenn man bedenkt, dass die Bundeswehr für die Bundesrepublik Deutschland und für angebliche Verteidigung der Menschenrechte und Demokratie steht. Medial erfährt die Bundeswehr durch faschistische Infiltrierung wie auch das Gerücht, die Bundeswehr besäße rückständige und teilweise kaputte Ausrüstung somit meist eine negative Darstellung; z. B. durch die vermeintlich nicht funktionierenden Kampfhubschrauber oder die überalterten Schiffe. Folglich wird hier ebenfalls versucht, das schlechte Bild der Bundeswehr durch Werbung und vermeintliche Aufklärung in Schulen über die Arbeit der Bundeswehr aufzupolieren. Auf Social Media lässt sich ähnliches feststellen: Die schlechte mediale Aufbereitung der Bundeswehr wird mit einem Leitfaden für das Verhalten von Mitarbeiter_Innen zur Stärkung des Rufs durch positives Auftreten übertüncht – wohlgemerkt damit auch die Missstände und Kontroversen.

Soziale
Arbeit im Namen der Bundeswehr

Als
einer der größten Arbeitgeber Deutschlands kann man im Namen der
Bundeswehr auch zivildienstliche Arbeit verrichten, in welcher sich
der Versuch der Bundeswehr zeigt, sich als Humanitäre Instanz zu
präsentieren. Dabei trägt dies indirekt zu einer stärkeren Bindung
des Militärs an die deutsche Gesellschaft bei und lässt den
deutschen Militarismus in der öffentlichen Darstellung in den
Hintergrund fallen. Zuletzt wurden die Soldat_Innen im Land
eingesetzt entweder als Unterstützung im Bau von Notkrankenhäusern
oder als medizinisches Personal während der Corona-Pandemie.
Seltener kommt sie auch zum Einsatz bei Naturkatastrophen wie beim
Elbehochwasser 2013. Dabei gibt es, wenn man Wohltätigkeitsarbeit
leisten will, zahlreiche Alternativen wie die Durchführung eines
Freiwilligen Sozialen Jahres oder dem Einsatz beim Katastrophenschutz
wie dem THW und somit in Institutionen, die auf diese Arbeit
vorbereitet und geschult sind, aber im Gegensatz zur Bundeswehr meist
stark unterfinanziert sind.

Des Weiteren ist die Bundeswehr kein Arbeitgeber wie jeder andere, obwohl sie sich gerne so darstellen möchte. Sie bietet den Arbeitnehmer_Innen enorme finanzielle Vorteile wie ein hohes Gehalt plus eine feste Anstellung und anderweitiger Vorteile wie auch ein besseres Ansehen in einigen Kreisen der Gesellschaft. In Zeiten von weiteren verschärften Angriffen auf die Rechte des Proletariats ist dies ein guter Köder, um vermehrt Jugendliche zu gewinnen. Das wird alles aus den Kassen des Staates bezahlt, der es sich gerne einiges kosten lässt, dass er seinen Stand in der Welt ausbaut und dafür die Notlage junger Menschen ausnutzt. Im Endeffekt sorgt die Bundeswehr für viel Leid und gewaltsame Unterdrückung in der Welt. Und zwar nicht nur durch die eigene Waffe, sondern auch indem die Bundeswehr dadurch die imperialistische Weltordnung verteidigt, in der arme Länder ausgebeutet gehören und bei Widerstand mit politischen bis hin zu militärischen Konsequenzen zu rechnen haben. Und das steht auf keinem Plakat und wird auch keiner Soldatin und keinem Soldaten je erklärt.

Wir
als Revolutionär_Innen stehen gegen den deutschen Imperialismus und
allen Formen der Werbung für ihn. Der proletarische Kampf muss immer
den Kampf gegen das Kapital und dessen Beschützer_Innen wie das
Militär beinhalten, um eine klassenlose Gesellschaft zu ermöglichen.
Schlussendlich bleibt es auch bei der Bundeswehr als Parlamentsarmee
dabei, dass sie im Sinne der deutschen Bourgeoisie agiert und hinter
dem „Kampf für Menschenrechte“ ökonomische Interessen
versteckt. Wie bereits erwähnt gibt es viele Möglichkeiten sich
sozial zu engagieren, ohne sich vom deutschen Imperialismus
einspannen zu lassen. Die Bundeswehr ist und bleibt eine bürgerliche
Armee!




Woher kommen eigentlich Verschwörungsideologien?

von
J.J.Wendehals

Bei
den “Querdenker”-Demos kommen aktuell so viele Leute auf die
Straße wie sogar die Rassist_Innen von Pegida selbst zu ihren
Hochzeiten nur hätten träumen können. Dabei handelt es sich zwar
keineswegs um eine einheitliche Masse aus knallharten Faschist_Innen,
aber es gibt doch ein ideologisches Dach, unter dem alle diese
verschiedenen Leute (auf eine infektionspolitisch nicht vertretbare
Nähe) zusammenkommen: Es handelt sich um (mal mehr und mal weniger)
wilde Theorien darüber wie mystische Kräfte oder Personen die
Geschicke der Welt lenken und sie gegen den “kleinen Mann”
lenken, der sein einfaches Leben unterhalten will. Wir nennen diese
Verschwörungsideologien.

Woran glaubt ein_e
Verschwörungsideolog_In?

Typischer
Weise richten sie sich gegen tatsächlich relativ einflussreiche
Personen wie Konzernchefs (Bill Gates) oder Regierungsangehörige
(Merkel, Obama) aber es gibt auch weitaus phantastischere Ziele
(Echsen, außer- oder überirdische Wesen) und offen rassistische
(Juden und Jüdinnen, Geflüchtete). In den einzelnen Theorien sind
dann diese verschiedenen Feindbilder oft miteinander kombiniert und
verflochten wie z.B. im Fall von antisemitischen Verleumdungen des
George Soros (ein Investor jüdischer Abstammung, der sein Vermögen
auch für Bildungs- und bürgerrechtliche Zwecke einsetzt) oder wenn
behauptet wird Bill Gates (eigentlich ein getarntes Echsenwesen)
stehe hinter der Coronapandemie, um damit Geld in die Taschen der
Pharmakonzerne zu lenken, an denen er beteiligt ist. So absurd und
lächerlich diese Theorien einstweilen wirken, so real sind aber
offenbar doch ihre Auswirkungen und Hintergründe, dafür sind die
Mobilisierungen in Berlin nur der aktuellste von vielen Belegen.
Schon der Hitlerfaschismus verband seinen Antikommunismus mit
antisemitischen Motiven, wenn er die Gefahr einer
“bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung” an die Wand malte
und hatte am Ende den unfassbaren Terror von Zweitem Weltkrieg und
Shoah zur Folge. Wir wollen also in diesem Text das Phänomen ein
wenig analysieren.

Was
ist die ideologische Struktur der Verschwörungstheorien?

Auch
wenn Bebel sagte, Antisemitismus sei der “Sozialismus der dummen
Kerls”, beschränken Verschwörungsideologien sich nicht darauf
Hirngespinste “dummer” Menschen zu sein. Als Ausgangspunkt haben
sie tatsächlich oft eine reale Ungerechtigkeit der kapitalistischen
Verhältnisse, so z.B. die sich öffnende Schere zwischen Arm und
Reich, die Profitmacherei in der Pharmaindustrie, Arbeitslosigkeit
oder das zu Grunde gehen von kleinen Unternehmen. Jedoch bleiben sie
unfähig die systematischen Ursachen dieser Missstände in der
Struktur des Kapitalismus’ zu erkennen. Stattdessen greifen sie zu
vereinfachten Modellen, die allerdings jene mystischen Elemente
benötigen, um eine lückenlose “Argumentation” bilden zu können.
Wenn beispielsweise nicht erkannt wird, dass die kapitalistische
Konkurrenz die Kapitalist_Innenklasse dazu zwingt, ihre Profite immer
weiter zu maximieren oder unterzugehen, dann muss das Verhalten der
Konzerne in dem bösartigen Charakter liegen, den gewisse Personen
haben sollen, die für diese Konzerne verantwortlich gemacht werden.
Oder eben darin, dass diese Personen von Echsen kontrolliert werden
usw. usf. Dies ist auch oft ein Punkt, an dem Antisemitismus Einzug
erhält in jene Ideologien, da das Bild vom “gierigen Juden”, der
für seine eigenen Ziele bereit ist “die ganze Gemeinschaft” zu
betrügen, schon seit vielen hundert Jahren genutzt wird, um die
verschiedenen Formen des Judenhass’ zu begründen, die über die
Geschichte aufgetreten sind. So auch die Nationalsozialist_Innen, die
unterschieden zwischen einem “schaffenden” Kapital und einem
(jüdischen) “raffenden” Kapital, das für die kapitalistischen
Missstände wie Arbeitslosigkeit und insbesondere die
Weltwirtschaftskrise Ende der 20er verantwortlich sei. Seitdem sind
Wirtschaftskrisen, die die kapitalistischen Widersprüche auf die
Spitze treiben, immer wieder ein fruchtbarer Nährboden für
Verschwörungsideologien gewesen, der seine Wirksamkeit besonders
dann entfalten kann, wenn durch Schwäche und Niederlagen der Linken
Raum dafür gemacht wird (Was hat eigentlich die Linkspartei zum
Coronamanagement der Bundesregierung zu sagen?).

Es
sei an sich durchaus möglich, so ist das Fazit dieser Theorien, ein
gutes Leben im Kapitalismus zu führen, wenn nicht gewisse böse
Elemente vorhanden wären, die dem immer wieder entgegen wirken,
entweder durch Zersetzung von innen oder Fernsteuerung von außen.
Demnach ist die logische Konsequenz auch nie der vollständige
Umsturz des kapitalistischen Systems, sondern immer nur die
Beseitigung dieses oder jenes spezifischen Phänomens, das für alles
Übel verantwortlich sei, wie einzelne Kapitalist_Innen, die Jüdinnen
und Juden oder Geflüchteten. Um das zu erreichen werden Appelle an
den Staat gerichtet (z.B. Merkel und Spahn sollen vor Gericht) und im
schlimmsten Fall wird zu „Selbstjustiz“ gegriffen wie bei
dem Anschlag in Halle.

Welches
Sein steht hinter diesem falschen Bewusstsein?

Als
Marxist_Innen spielen für uns jedoch nicht nur die ideologischen
Merkmale einer Bewegung eine Rolle, sondern vor allem auch die Frage,
wer vertritt diese Ideologie und in welchem Zusammenhang steht sie zu
den materiellen Verhältnissen, mit einem Wort was ist ihr
Klassencharakter? Zwar ist die Soziologie der “Hygienedemos” noch
wenig erforscht, allerdings zeichnet sich eine Tendenz ab, die auch
bei NSDAP und gewissen Teilen der AfD zu beobachten ist. Neben
besonders prekarisierten Teilen der Arbeiter_Innenklasse wird der
hauptsächliche Anteil durch das Kleinbürger_Innentum ausgemacht,
also z.B. Besitzer_Innen von kleinen Läden oder Betrieben aber auch
Selbstständige im Handwerk, in der Gastro- oder Kulturbranche. Das
Kleinbürger_Innentum steht im Kapitalismus zwischen den Fronten der
beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. Es kann daher auch
kein konsistentes Klasseninteresse entwickeln, sondern schwankt
vielmehr die ganze Zeit zwischen den beiden Polen von Bourgeoisie und
Proletariat. Wenn sich ihm auch immer wieder kleine Nischen öffnen,
in die das große Kapital (noch) nicht vorgedrungen ist (Beispiele
sind bei Start-Ups oder im Dienstleistungssektor zu finden), so ist
es doch der Konkurrenz eines großen Konzerns niemals gewachsen.
Insbesondere in Krisenzeiten ist es anfällig, es fehlen ihm
Verteidigungsmittel wie Rücklagen und viele werden zerrieben und in
das Proletariat hinabgedrückt.

Möglich
ist dann, dass Teile von ihm sich der Arbeiter_Innenbewegung
anschließen, die gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die
Bevölkerung ankämpft. Da das Kleinbürger_Innentum nämlich nicht
nicht nur Produktionsmittel besitzt, sondern sich gleichzeitig auch
selber ausbeuten muss, kann ihre Situation nur so positiv aufgelöst
werden. Aber diese Möglichkeit besteht natürlich auch nur, falls so
eine Bewegung überhaupt existiert und es schafft ein revolutionäres
Programm aufzuwerfen. Andernfalls können daraus große reaktionäre
Bewegungen werden, die gefährlich sind für die Arbeiter_Innenklasse
und alle anderen unterdrückten Gruppen.

Keinen
Boden, keine Straße den Rechten!

Als
Revolutionär_Innen ist es also unsere Aufgabe für die Entstehung
jener linken Bewegung einzutreten. Wir müssen die Gewerkschaften und
Arbeiter_Innenparteien unter Druck setzen, dass sie linke Antworten
auf die Angriffe der Herrschenden formulieren und für diese auf die
Straße gehen sollen, anstatt sich klein zu machen und die Interessen
der eigenen Basis zum Teilbedürfnis der Konzerne zu pervertieren,
wie es die IG Metall vormacht, wenn sie sich für die unsägliche
Abwrackprämie einsetzt.

Jenen
Verschwörungsideologien muss aber eine Bewegung der
Arbeiter_Innenklasse eine unmissverständliche Absage erteilen. Den
Rechten und Verwirrten sollten wir jetzt vor allem keinen Raum auf
der Straße lassen. Blockieren wir sie, wo sie mobilisieren und bauen
wir dabei eine Gegenbewegung auf, die die Fragen der Krise von links
beantwortet!




Dannenröder Forst: Solidarität mit der Besetzung – Autoindustrie enteignen!

Lars Keller

Im sonst gemütlichen Mittelhessen zwischen Gießen und Kassel ist an diesen Tagen einiges los. Umweltaktivist_Innen besetzen seit rund einem Jahr einen Wald in der Nähe des Dorfes Dannenrod, einem Stadtteil von Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis, damit selbiger nicht dem Autobahnbau der A49 weichen muss. Seit dem 1. Oktober spitzt sich der Kampf um den „Danni“ zu. Die Rodungssaison ist eröffnet – der Staat schickte ein Polizeigroßaufgebot, um der Kettensäge sein Geleit zu geben und die Besetzer_Innen von den Bäumen zu holen. Gegen Räumung, Rodung und Raupenbagger fand am 4. Oktober eine Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmer_Innen statt.

Dabei
geht es hier um viel mehr als einen Autobahnbau durch einen
Dauermischwald (hoher Anteil an Buchen und Eichen), der als
Paradebeispiel für nachhaltige Forstwirtschaft in einem sensiblen
Wassergebiet gilt. Die Demos und Besetzungen rund um Homberg (Ohm)
richten sich angesichts der Klimakrise vielmehr gegen den
motorisierten Individual- und Schwerlastverkehr auf der Straße im
Generellen. Eine Verkehrswende zugunsten von Verkehrsträgern wie Rad
oder Schiene wird gefordert.

Die A49

Derzeit
beginnt die Bundesautobahn A49 in Kassel und endet in der Nähe von
Neuental (Schwalm-Eder-Kreis) in der Prärie Nordhessens irgendwo
zwischen Eder und Lahn. Somit bringt diese Autobahn dem Lkw-Verkehr,
dieser heiligen Kuh des deutschen Gütertransports, dem Zögling des
Bundesverkehrsministeriums und der Ausgeburt der deutschen
Industrieperlen Daimler und VW (ja richtig gelesen, dem Konzern
gehören mit MAN und Scania nämlich auch Nutzfahrzeugsparten!) –
nichts! Die Landstraße, in die die A49 zur Zeit mündet, ist für
den Schwerlastverkehr gesperrt.

Somit
quetschen sich die Lkw-Kolonnen von Norddeutschland in Richtung
Schweiz weiter durch den neuralgischen Punkt
Kirchheimer-/Hattenbacher Dreieck, wo mit A 7, A 4 und A 5 die
wichtigsten Nord-Süd- und Ost-West-Achsen des bundesdeutschen
Fernstraßennetzes aufeinandertreffen. Aus der Idee heraus, diesen
Knoten zu entlasten, wurde die A49 geboren. Darin besteht das
eigentliche Motiv des Autobahnbaus. Ein nachrangiges stellt die
schnellere Straßenverbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet,
Gießen/Marburg und Kassel dar. Die Teermaschinen kamen bis Neuental,
1994 war dort erst mal Schluss. Seither gibt es ein langes Zerren um
Umweltschutzmaßnahmen, Finanzierung und Planfeststellung. Seit 2017
hat der Planfeststellungsbeschluss Bestand. Es darf weiter geteert
werden und dank ÖPP (öffentlich-privater-Partnerschaft) kann das
Privatkapital direkt daran mitverdienen.

Vom
gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, macht der
Autobahnausbau freilich keinen Sinn wie überhaupt jeder deutsche
Autobahnausbau. Die Klimakrise verlangt nach einer schnellen
Verkehrswende, die Ressourcenvernutzung und Ineffizienz des
Individual- wie Straßengüterverkehrs ebenso. Mit der
Main-Weser-Bahn gäbe es zudem bereits eine Bahntrasse, die sich
hinsichtlich Kapazität und Einzugsgebiet ausbauen ließe und dann
auch mehr Güter- und Personenverkehr der Region aufnehmen könnte.

Lokal wird das mitunter anders gesehen. Ein Teil der Mittel- und Oberhess_Innen unterstützt die Proteste gegen die Rodung, ein anderer hat ein Interesse am A49-Ausbau. Da wären einerseits die AnliegerInnen der Bundesstraße B3, die ihrerseits vom Schwerlastverkehr betroffen sind und durch die A49 eine Entlastung erfahren würden. Anderseits gibt es eine Reihe lokal angesiedelter Unternehmen wie bspw. Ferrero Stadtallendorf, die sich ebenso wie einige Kommunen einen besseren Anschluss ans Straßennetz wünschen. Die Unterstützer_Innen der Autobahn finden sich in der „JA49“-Initiative wieder. Ihre etwas populistisch gehaltene Website verkauft uns die A49 dann auch als Umweltschutz. Letzteres ist, global wie lokal betrachtet, natürlich Blödsinn. Mehr Autobahn heißt mehr Auto- und Lkw-Verkehr – gerade weil der Weg Kassel – Gießen kürzer würde. Das bestätigt sich statistisch sowohl an vergangenen Autobahnprojekten als auch aus Sicht von Angebot- und Nachfrageprinzipien. Das heißt: mehr Treibhausgasmissionen, Oberflächenversiegelung und Störung eines Wasserreservoirs, von dem sogar Frankfurt/Main zerrt.

„Verkehrswende“ von Landes- und Bundesregierung

Alle,
die vorhaben, 2021 die Grünen in die Regierung zu wählen, sollten
einen genauen Blick auf das kleine Dannenrod in der hessischen
Provinz werfen. Wer glaubt, mit den Grünen sei eine Verkehrswende
zugunsten der Wälder und des Klimas zu haben, wird hier eines
Besseren belehrt. Die hessischen Grünen sitzen nämlich mit der CDU
in der Landesregierung – und halten stoisch an der A49 fest.

Dem Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, fiel auf der Demo am vergangenen Sonntag, den 4. Oktober, auch nichts Besseres ein, als auf bestehende Beschlüsse zum Straßenausbau zu verweisen: Berlin müsse den Bau stoppen, grundsätzlich sei seine Partei ja gegen die Autobahnen … Gelaber und Gewäsch also! Von den hessischen Grünen kommt erst recht keine klare Kante gegen das Projekt. Wer will schon die CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl ärgern? Immer dann, wenn‘s konkret um die (vegane) Wurst – oder besser um den Wald – geht, erweisen sich die Grünen als verlässliche Partner_Innen deutscher Auto- und Energiekonzerne. Der Abholzung des Hambacher Forstes wurde ja auch schon mal zugestimmt.

Derweil
will Bundesverkehrs(auto)minister Andreas Scheuer (CSU) die Lage
erkannt haben und hat vor einigen Monaten – natürlich ohne die A49
in Frage zu stellen – das „Bündnis für unsere Bahn“ mit der
Dachstrategie „Starke Schiene“ ins Leben gerufen. In diesem
Schienenpakt befinden sich neben anderen das Verkehrsministerium,
Schienenindustrien, Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG. Was haben
wir davon zu erwarten? Sage und schreibe 25 % soll der
Schienengüterverkehr am gesamten Warentransport irgendwann (wann ist
unklar) mal ausmachen, heute sind es etwa 18 %. Die Milliarden,
die angeblich für einen nie da gewesenen Rückenwind für die
Eisenbahn sorgen, sind nicht mehr als eine leichte Brise, die den
vorhandenen Investitionsstau im Schienennetz kaum auflösen kann.

Wenn
in der jetzigen Wirtschaftskrise überhaupt jemand dick staatlichen
Rückenwind verspürt, dann ist es der Kernsektor des deutschen
Kapitals. Anstatt die Schiene durchgehend zu elektrifizieren, wird
darüber sinniert, Autobahnen wie bei Darmstadt unter Oberleitung zu
setzen, damit die Vormachtstellung des Lkw einen grünen Anstich
bekommt. Das Konjunkturpaket der Regierung enthält zwar keine
Kaufprämie für reine Verbrennerautos, dafür dann umso mehr für
die ähnlich große ökologische Blödsinnigkeit E-Auto. Soviel zur
„Verkehrswende“ der Regierung und Konzerne.

Und die echte Verkehrswende?

Sowohl das Demobündnis (Danni bleibt) als auch die Besetzer_Innen (Wald statt Asphalt) betonen in ihren Aufrufen die Wichtigkeit einer echten Verkehrswende und einer Verlagerung des Verkehrs zu ressourcen- und emissionsärmeren Fortbewegungsarten. Das teilen wir. „Wald statt Asphalt“ geht noch weiter und nimmt den Kapitalismus ins Visier, fordert einen radikalen Systemwandel und Klimagerechtigkeit. Das teilen wir auch. Das fehlende Salz in der Suppe ist aber unserer Meinung nach, dass ein radikaler Systemwandel konkrete Forderungen und einen konkreten Weg weit über Waldbesetzungen hinaus braucht.

Die Besetzung selbst wird begründet mit: „Für die Form des Widerstands (Besetzung und direkte Aktion) haben wir uns entschieden, weil andere Formen des Widerstands (wie Demos, Petitionen, Klagen & Appelle an politische Entscheidungsträger*innen) den Bau der A49 bisher nicht aufhalten konnten und mit den Rodungen nun Fakten geschaffen werden sollen. Veränderung braucht mutiges und entschlossenes Handeln – deswegen besetzen wir!“ (https://waldstattasphalt.blackblogs.org/besetzung-warum/)

So richtig und wichtig die Demonstration oder Baumbesetzungen auch sind – verglichen mit politischen Massenstreiks der Arbeiter_Innenklasse sind dies nur weitgehend symbolische Aktionsformen. Derzeit erleben wir die größte Wirtschaftskrise zu unser aller Lebzeit. Massive Entlassungen finden statt oder werden kommen. Die ökologische Krise wird durch die Wirtschaftskrise und die brutaler werdende Konkurrenz weiter verschärft werden. Es braucht die Verbindung der Kämpfe und den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen – ja überhaupt das Abwälzen der Krise auf die breite Bevölkerung – eintritt und zugleich ein Notprogramm gegen die Klimakrise einfordert.

Damit ein Generalstreik gegen die Klimakatastrophe nicht nur angekündigt, sondern auch real werden kann, muss die Arbeiter_Innenklasse zur zentralen Kraft der Bewegung werden. Dies bedeutet jedoch keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie eine Veränderung der Aktionsform – es bedeutet vor allem eine Änderung des eigentlichen Ziels: die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft. Nur so kann ein „System Change “ Wirklichkeit werden.

Von einem Generalstreik und Massenstreiks sind wir derzeit noch weit entfernt. Die Arbeiter_Innenklasse tritt in der Umweltbewegung bisher nicht als zentrale Akteurin in Erscheinung. Das liegt aber nicht daran, dass Arbeiter_Innen chronisch passiv wären, dass sie ihre Jobs in der Autoindustrie so lieben oder ihnen das Thema egal ist, zumal es im Nahverkehr eine große Zahl von Beschäftigten gibt, die sich sehr für eine Verkehrswende starkmachen.

Die Passivität breiter Teile der Arbeiter_Innenklasse gegenüber der Umweltbewegung rührt viel eher daher, dass die Sozialpartner_Innenschaft der DGB-Gewerkschaften sie ruhigstellt, andererseits aber auch daher, dass die Umweltbewegung die Lohnabhängigen bisher nicht ansprechen konnte. Um sie zu erreichen, braucht es ein Programm, das klar macht, dass nicht sie für die Verkehrswende zahlen soll – sei es durch Jobverlust oder CO2-Steuer –, sondern die Konzerne und Besitzer_Innen großer Vermögen zur Kasse gebeten werden.

Letzten
Endes heißt die Verkehrswende für uns viel mehr als „weg von der
Straße hin zur Schiene, zu Bussen, zu Füßen und Fahrrädern“.
Sie bedeutet vor allem auch so wenig wie möglich, so viel wie nötig
Verkehr. Das heißt, diesen so zu reorganisieren, dass dort, wo
Menschen leben, weder Lkw noch Güterzüge durch ihre Schlafzimmer
brettern. Das heißt letztlich, Stadt und Land umzukrempeln, dass
Verkehr nicht mehr an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern nach
denen der Menschheit ausgerichtet werden soll.

Konkret
geht‘s um:


Kein A49-Ausbau, sofortiger Stopp aller Autobahnprojekte –
beteiligt Euch an Demonstrationen um Dannenrod, unterstützt die
BesetzerInnen!


Stattdessen: massiver Ausbau der Schienenwege im Kernnetz wie auch in
der Fläche, durchgehende Elektrifizierung, ausschließliche Speisung
aus regenerativen Energien!


Massive Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene! Ausbau von
Gleisanschlüssen zu Fabriken! Beförderungszwang zum Transport auf
der Schiene für Unternehmen ab einer bestimmten Produktionsgröße!
Für einen kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!


Für den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das den Kampf gegen die
Klimakrise mit der Abwehrschlacht gegen soziale Angriffe,
Entlassungen und Kurzarbeit verbindet! Ein Anfang dafür kann die
„Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ sein –
unterstützt diese!


Keine einzige Entlassung in der Transportindustrie wegen
Verkehrswende oder Wirtschaftskrise! Verteilung der Arbeit auf alle!
Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
Schnellstmögliche Umstrukturierung der gesamten Industrie,
demokratisch geplant und kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse!

– Bezahlung der Verkehrswende durch eine massive Steuer auf Profite und große Privatvermögen! Die Kapitalist_Innen haben die Krise zu verantworten, also müssen sie dafür zahlen!

– Enteignung des gesamten Verkehrssektors unter Arbeiter_Innenkontrolle, erkämpft durch Massenstreiks und Fabrikbesetzungen!


Weder B3 noch A49 noch Güterzugtrasse vor der Tür!
Restrukturierung, Aufhebung der Kluft zwischen Stadt und Land, so
dass Lebensräume und Verkehrswege weitgehend voneinander getrennt
sind!

– Entwicklung eines integralen Notfallplanes fürs Klima durch die Arbeiter_Innenklasse, der die Produktion an den Bedürfnissen der breiten Menschheit ausrichtet statt an Profitinteressen – nur so kann so wenig wie möglich Verkehr produziert werden!

Es
ist klar, dass wir mit bloßen Appellen an die Autoindustrie, an
Scheuers Ministerium, ja generell an den bürgerlichen Staat, an die
Grünen, die SPD-Führung und an IG-Metall-Betriebsräte bei VW und
Co. das Klima nicht retten werden. Die BesetzerInnen im Baum wissen
das. Sie wissen auch, dass Baumbesetzungen noch keine umfassende
Verkehrswende bringen. Lasst uns weitergehen und entschlossen
handeln: vom abstrakten „System Change“ hin zu konkretem
Antikapitalismus.




Was ist „Racial Profiling“?

Luisa Muth

Weltweit
werden Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Hautfarbe oder
Religion rassistisch diskriminiert, erfahren Respektlosigkeit,
Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt. Rassismus ist eine
Ideologie, welche die Menschen in verschiedene „Rassen“ einteilt
und diese hierarchisch einstuft. Die Hautfarbe wird als bestimmender
Faktor eines Menschen gesehen und seine Wertigkeit danach
eingeordnet.

„Racism is a social disease.“

Es
durchzieht unsere Gesellschaft und Politik. Bereits im Grundgesetz
finden wir im Artikel 3 das Wort „Rasse“ vor. Die
Auseinandersetzung mit dieser Begriffsschwierigkeit hat im
deutschsprachigen Raum gerade erst begonnen. People of color
(Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß angesehen
werden und Rassismuserfahrungen machen müssen) sind überall von
Rassismus betroffen, ob in den (Berufs-)Schulen, an den
Universitäten, beim Amt, am Arbeitsplatz oder im Alltag. Rassismus
wird auf unterschiedlichste Arten und Weisen sichtbar: Von
herablassenden Blicken, über verbal diskriminierende Sprache bis hin
zu rassistisch motivierter Gewalt und Terroranschlägen wie zuletzt
im Februar in Hanau.

Auch
in staatlichen Strukturen ist Rassismus präsent: Vor allem in der
Polizei, die eigentlich für Sicherheit sorgen und unser
wohlgemeinter „Freund und Helfer“ sein sollte – und zwar für
alle Menschen, die hier leben – unabhängig von ihrer Herkunft oder
Hautfarbe. Dies sieht in der Realität jedoch oft ganz anders aus:
Racial Profiling ist leider ein alltäglicher Vorgang. Ob am Bahnhof,
in den Parks oder sonstigen öffentlichen Plätzen, an denen sich
viele Menschen aufhalten, werden Personen aufgrund ihres Aussehens
scheinbar willkürlich und ohne Grund durchsucht und ihre Personalien
werden aufgenommen. Dies bestätigen viele Aussagen von Betroffenen.
Allein ihre Hautfarbe wird als Anlass genommen, sie zu kontrollieren,
ohne dass sie sich etwas haben zuschulden kommen lassen.

Rassismus hat System

Dies wird auch bei den Vorfällen im Juni in Stuttgart erkennbar. Viele Journalist_Innen und die Polizei machten für die Ausschreitungen vor allem Deutsche mit Migrationshintergrund verantwortlich. Es zeigt uns, dass sie sogleich den Migrationshintergrund als Ursache dieses Verhaltens ausmachten. Wie schon bei anderen Vorfällen auch voreilige, auf Vorurteilen beruhende Reaktionen und Schlussfolgerungen der Polizei getroffen wurden, stellte sich auch dieses Mal dies als eine falsche Information heraus. Nur weniger als die Hälfte der Jugendlichen waren Deutsche mit einem Migrationshintergrund. Nun macht die Polizei die „Party- und Eventszene“ für die Ausschreitungen verantwortlich. Die gravierenden Falschinformationen der Polizei sorgten für starke Kritik.

Justiz
und Innenministerium wollten die Polizei auf rassistische Tendenzen
hin prüfen, welches Seehofer jedoch mit der Aussage „Racial
Profiling sei in der Polizei sowieso verboten und deshalb gäbe es
das dort auch nicht“, verhinderte. Damit ist die auch von der
Bundesregierung vorgeschlagene Studie wieder vom Tisch.

Rassismus
innerhalb der Polizei führt nicht „nur“ zu Racial Profiling und
vermehrter Gewalt gegenüber People of Color, sondern auch zu Mord.
In den USA gehören rassistisch motivierte Polizeigewalt und Morde
zum Alltag. Georg Floyd zählte zu einem der zahlreichen Toten durch
polizeiliche Gewalt. Damit wurde wieder das Leben eines Menschen
aufgrund seiner Hautfarbe sinnlos ausgelöscht.

Aber nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland fanden POC durch Polizeigewalt ihren Tod. Bis heute sind die Umstände des Todes von Oury Jalloh, Amad Ahmad oder Matiullah J. nicht aufgeklärt. Beamte decken Beamte, sogar wenn jemand getötet wurde und der Staat tritt die Gerechtigkeit mit Füßen! Bis heute gibt es keine unabhängige Beschwerdestelle, die in Fällen von Polizeigewalt neutral ermitteln könnte.

Woher kommt Rassismus?

Die
Ideologie des Rassismus war vorherrschend in der Epoche des
europäischen Kolonialismus und Imperialismus bis nach dem zweiten
Weltkrieg. Diese Ideologie diente der Rechtfertigung des
Kolonialismus, der Sklaverei, den Verbrechen der Nazis und der
Apartheid.

Das
Entstehen von Ungleichheiten und Hierarchien im Kapitalismus sollte
auch unter dem Blickwinkel von Rassismus betrachtet werden. Der
Kapitalismus etabliert sich daher über rassistische Hierarchien.
Der
Wille des Kapitals ist es, die Bevölkerung anhand von ethnischen,
religiösen und nationalen Unterschieden zu spalten, indem er
Misstrauen und Hass gegeneinander schürt, um so seine Herrschaft zu
sichern und einen Zusammenschluss aller unterdrückten und
ausgebeuteten Menschen gegen das Kapital zu verhindern und von den
gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Die tatsächliche Teilung
der Gesellschaft auf Grundlagen der ökonomischen Klassen wird somit
auch verschleiert. Um es verständlicher auszudrücken: Eine
entlassene Person wird nicht gegen die Firmenleitung protestieren,
wenn sie für die Entlassung „die Ausländer“ verantwortlich
macht.

In
diesem Sinne sind auch z.B. die Aushebelung des Asylrechts und die
rassistische Hetze durch alle bürgerlichen Parteien zu verstehen.
Die Gesetzesverschärfungen werden mal eben mit der rassistischen
Aussage erklärt, dass man sich damit gegen die Massen von
„Terrorist_Innen“ unter den Flüchtlingen schütze. Mit dieser
rassistischen Lüge lassen sich auch vermehrte Überwachung und
Polizeibefugnisse rechtfertigen. Und mit der islamophoben These, dass
der Islam das Hauptproblem Deutschlands sei, lässt sich auch
insgesamt von den katastrophalen Auswirkungen der kapitalistischen
Politik Deutschlands ablenken und Kriege wie in Afghanistan, Syrien
oder Mali rechtfertigen.

Die
Polizei setzt die rassistische Regierungspolitik in die Tat um. Sie
schließt die Grenzen, greift „illegale“ Migrant_Innen auf und
führt Abschiebungen durch. Sie ist also mit der Aufgabe betraut,
gegen den deklarierten ausländischen Feind vorzugehen. Legitimiert
wird diese Politik mit dem angeblichen Schutz unserer Kultur und dem
Kampf gegen Terrorismus. Die Polizei ist daher einer der maßgeblichen
Ausdrücke dieser Politik.

Im
Kampf gegen den Rassismus und die Repressionen der Polizei fordern
wir:

  • Kein
    Racial Profiling! Hartes Aburteilen von Polizist_Innen, die Racial
    Profiling anwenden!
  • Schränkt den Handlungsraum der Polizei ein: Keine verdachtsunabhängigen Kontrollen, keine Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren, keine Begriffe wie „drohende Gewalt“!
  • Defund the police! Keine Finanzierung der Polizei. Das Geld brauchen wir für Sozialleistungen, Bildung oder sozialen Wohnugsbau!
  • Die Einrichtung unabhängiger Untersuchungsstellen für Vorfälle von (rassistischer) Polizeigewalt und Racial Profiling: Die Polizei darf sich nicht länger selbst überwachen!



Die 2. Corona-Welle und ihre Leugner_Innen

Sani Maier, Anfang September 2020

Auch wenn mittlerweile in Europa die meisten Lockdown-Maßnahmen aufgehoben wurden, lassen die internationalen Infektionszahlen leider wenig Raum für Hoffnung auf ein Ende der Corona-Pandemie. Die Epizentren sind nun nicht mehr Italien oder China, sondern vor allem die USA, Brasilien, Indien und Russland. Doch auch in Deutschland sind die Infektionszahlen wieder auf einem Höchststand, wie zuletzt im Mai diesen Jahres. Während viele noch über die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle diskutieren, geht der Ärzteverband Marburger Bund davon aus, dass uns diese bereits erreicht hat, wenn auch mit einem flacheren Anstieg als die erste Welle. Zudem haben die Zahlen aufgrund erhöhter Testvolumen eine andere Aussage als noch im Mai.

Die Schulen und Kitas sind wieder vollständig geöffnet und der Alltag der meisten Menschen in Deutschland verläuft weitestgehend wieder regulär. Dies ist vorrangig aber kein Ergebnis sinkender Infektionszahlen, sondern wesentlich wirtschaftlich motiviert. Da bspw. nun wieder alle Kinder vormittags betreut werden und nicht mehr von zuhause aus lernen, können die Eltern auch wieder regulär zur Arbeit gehen. Da es vor allem in Schulen fast unmöglich ist, in Klassenräumen mit 30 Personen Abstandsregeln einzuhalten, überraschte es wenig, dass bereits nach wenigen Wochen Dutzende Schulen Infektionen verzeichneten.

Was den Impfstoff angeht: Die Suche danach läuft, doch dabei gibt es kaum internationale Zusammenarbeit. Durch den Konkurrenzdruck versucht jedes Land, als erstes einen Impfstoff zu entwickeln, um diesen dann möglichst profitbringend an andere verkaufen zu können. Auch werden immer noch keine flächendeckenden Tests bereitgestellt, sodass auch unter Reiserückkehrer_Innen nicht mal alle diejenigen automatisch kostenlose Tests erhalten, die per Flugzeug einreisen. Einen kostenlosen Test bekommt man nur, wenn man aus einem Risikogebiet (mit sehr hohen Infektionszahlen) mit dem Flugzeug einreist. Wer mit meist günstigeren Alternativen wie Bahn, Bus oder Auto reist, muss sich selbst um einen Test kümmern, welcher normalerweise nur bei bereits vorhandenen Symptomen bereitgestellt wird. Keinen Test zu bekommen heißt zwei Wochen Quarantäne.

Auch alle Teile der Arbeiter_Innenklasse, welche nicht im Home Office arbeiten können und nun wieder zurück in ihre Betriebe müssen, erhalten keinen ausreichenden Schutz vor Infektionen am Arbeitsplatz, wie vor allem die gravierenden Missstände bei Amazon, Tönnies & Co. gezeigt haben.
Und obwohl das alles für die meisten Menschen weitestgehend eine Rückkehr zur Normalität bedeutet, sehen sich manche Teile der Gesellschaft massiv bedroht durch die verbleibenden Maßnahmen wie z.B. die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Läden. Die sogenannten „Corona-Leugner_Innen“ gingen in Berlin zu Tausenden auf die Straße und auch internationale Regierungschefs wie der brasilianische Präsident Bolsonaro spielen die Existenz des Corona-Virus herunter und leugneten es (und das obwohl Bolsonaro selber Corona hatte) und fordern eine Aufhebung aller Infektionsschutz-Maßnahmen.

Wer sind die „Corona-Leugner_Innen“?

Berlin, 1. August 2020: 20- 30. 000 Menschen aus ganz Deutschland demonstrieren im Rahmen der sogenannten „Tag der Freiheit“-Demonstration gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus und auch am 29. August gingen wieder 40.000 Menschen auf die Straße und versuchten sogar, den Bundestag zu stürmen. Sie stehen der Thematik entweder skeptisch gegenüber oder leugnen sogar die Existenz des Virus.

Die Organisation wurde vor allem von rechen Kräften getragen und unter den Teilnehmer_Innen fanden sich Personen aus den Kreisen der NPD, Identitären Bewegung, Reichsbürger_Innen, aber auch sogenannte Verschwörungstheoretiker_Innen & Impfgegner_Innen. Auch wenn diese Kräfte die Bewegung immer mehr unterwandern, repräsentieren sie nicht die Mehrheit der Teilnehmenden. Diese setzt sich vielmehr aus Skeptiker_Innen und Esoteriker_Innen, die den Einschränkungen ihres Alltags kritisch gegenüberstehen und kleinbürgerlichen Schichten zusammen. Letztere sehen sich vor allem durch die wirtschaftlichen Einbrüche vom Abstieg bedroht und fordern deshalb eine vollständige wirtschaftliche Öffnung, ohne Rücksicht auf die gesundheitlichen Risiken für die arbeitende Bevölkerung. Zu diesem Zwecke verharmlosen sie den Virus als eine Grippewelle oder bezeichnen ihn als bloße Erfindung von „Machteliten“ wie Bill Gates & Co.

DieDass viele Teile der Bevölkerung in Anbetracht einer kommenden Wirtschaftskrise nun um ihre Existenz bangen, ist dabei nicht verwunderlich oder verwerflich. Allerdings muss das Erstarken rechter Theorien in diesem Zuge als Ergebnis des internationalen Rechtsrucks gesehen werden, auf den die Linke nachhaltig keine klare Antwort zu geben weiß. Es wurde versäumt, eine Antikrisenbewegung aufzubauen, die den sozialen Ängsten der Menschen eine antikapitalistische Perspektive aufzeigen kann. Stattdessen haben es rechte, irrationale Verschwörungstheorien geschafft, diese Verunsicherung für sich zu nutzen. Gerade das Kleinbürger_Innentum ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Stellung besonders anfällig für einen solchen Irrationalismus. Als Klasse steht es zwischen der Arbeiter_Innenklasse und der Bourgeoisie, befindet sich also nicht in klassischen Lohnarbeitsverhältnissen, besitzt aber auch zu wenige Produktionsmittel und nicht genug Kapital, um dieses gewinnbringend zu reinvestieren und somit zu vermehren. Dadurch ist es ständig bestrebt, in die höhere Klasse aufzusteigen, aber auch gleichzeitig vom sozialen Abstieg in die Arbeiter_Innenklasse bedroht, was zu einem schwankenden Charakter des Bewusstseins führt. Somit suchen Kleinbürger_Innen vor allem in Krisenzeiten nach verkürzten Antworten auf ihre Abstiegsängste, um ihre Position zu erhalten und hetzen z.B. gegen einzelne Monopolkapitalist_Innen wie Gates, da sie sich akut bedroht sehen von ihnen wirtschaftlich zermalmt zu werden.

Welche Perspektive braucht es?

Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Mischung aus wissenschaftsfeindlichen Verschwörungstheorien und rechter Hetze die einzige Antwort auf die Angst vor der kommenden Wirtschaftskrise bleibt. Es gibt eine notwendige Kritik an der Bundesregierung und ihren Corona-Maßnahmen. Es ist unsere Aufgabe, eine Antikrisenbewegung aufzubauen, die eine klare antikapitalistische Perspektive gegen Massenentlassungen und soziale Kürzungen eröffnet, ohne dabei das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung zu vernachlässigen.

Dafür braucht es den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das die Frage aufwirft, wer für die Krise zahlen soll & soziale Kämpfe miteinander verbindet. Dazu zählen vor allem Bewegungen wie Black Lives Matter, Fridays for Future, Enteignungskampagnen für bezahlbaren Wohnraum oder auch die Arbeitskämpfe im Care Sektor, welche vor allem in Pandemiezeiten unverzichtbar sind. In diesem Zuge fordern wir unter anderem den Kampf gegen alle Entlassungen, die Fortzahlung der vollen Löhne und Transferleistungen, die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems unter Arbeiter_Innenkontrolle und eine international koordinierte Impfstoffforschung. Um dies durchzusetzen, müssen wir den Druck auf Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien wie die SPD und Linke erhöhen, ihre Burgfriedenspolitik mit dem Kapital endlich zu beenden und für die Interessen der Arbeiter_Innenklasse einzutreten.

Dabei muss uns auch gleichzeitig die Frage beschäftigen, wie man die Bevölkerung weiterhin effektiv vor Neuinfektionen schützen kann. Dabei ist Arbeiter_Innenkontrolle das entscheidende Stichwort: Sie müssen diejenigen sein, die entscheiden, welche Bereiche der Wirtschaft wirklich systemrelevant sind und welche Betriebe im Falle einer Notwendigkeit eines zweiten Lockdowns geschlossen werden können. Weiterhin müssen die Arbeiter_Innen, die weiterarbeiten, selbst entscheiden können, welche Maßnahmen an ihrem Arbeitsplatz notwendig sind, um für ihre Sicherheit zu garantieren: Bedarf an Schutzkleidung, Desinfektionsmittel, Masken, etc.

Die Krise darf weder auf die Arbeiter_Innenklasse noch auf einfache Kleinbürger_Innen abgewälzt werden! Massive Besteuerung auf die Profite der Banken und Industrien! Enteignung falls Betriebe schließen oder massenhaft entlassen!




Moria: Der Ruß an unseren Händen?

Jaqueline Katherina Singh

12 000 Menschen ohne ein Dach über den Kopf, auf eine Autobahn gepfercht. Essenslieferungen, Getränke, medizinische Versorgung – all das gibt es nur spärlich und wird auch aktiv von der Polizei blockiert. Proteste und Versuche nach Mytilini, die nächste Stadt zu kommen, werden jedoch seitens der Polizei mit Tränengas beantwortet, während nebenbei rechte Bürgerwehren die Menschen angreifen. Was sich nach einem Katastrophenfim anhört ist nur ein paar tausend Kilometer weit weg schmerzhafte Realität seit dem am Mittwoch, dem 9. September ein Feuer auf Lesbos ausbrach und Moria vollkommen zerstörte.

Seit Jahren werden auf den griechischen Inseln Geflüchtete festgehalten und in menschenunwürdigen Zuständen zusammengepfercht. Moria selbstist eherein Gefangenenlager, das in dieser Form auf den EU-Türkei-Deal von 2016 zurückgeht. Es wurde ursprünglich für 2.800 Menschen gebaut, während im regulären Camp mehr als 12 000 Menschen lebten. Dabei ist herauszuheben, dass das Lager nur eines von vielen ist. Es ist also kein einzelner Schandfleck, sondern Teil einer Gesamtkonzeption.

Der Brand raubte den Menschen, die eh nicht viel hatten, ihr letztes bisschen. Man könnte meinen, dass dieses Problem schnell zu lösen wäre. Schließlich wurden ja die gestrandeten Urlauber_Innen beim Anfang der Corona-Krise mehr oder weniger schnell wieder ins Land geholt. Schließlich wurde ja beim Brand der Kuppel des Norte Dame innerhalb weniger Stunden Millionen Euro gesammelt. Doch auch wenn es schnell möglich wäre, diesen Menschen eine Perspektive zu geben, sieht die Realität aktuell anders aus. Aktuell wird gegen den Willen der Geflüchteten ein neues Lager errichtet. Deswegen müssen wir uns fragen: Wie konnte es so weit kommen?

Wer
trägt die Verantwortung? 

Schuld sind nicht nur einzelne Poliker wie Horst Seehofer oder Sebastian Kurz. Die aktuelle Lage ist auch Ausdruck eines internationalen Rechtsrucks, den wir seit 2016 auch in Deutschland zu spüren bekommen. Im Zuge der Krise 2007/08 hat sich die Konkurrenz unter den Kaptialist_Innen verschärft. Viele Unternehmen sind pleite gegangen, gerettet wurden zuerst die Global Players der imperialistischen Staaten. Das führte dazu, dass ein Teil der Kapitalist_Innen (besonders kleinere, nationale Unternehmen und der sog. Mittelstand) vom Abstieg bedroht ist. Getrieben davon fingen sie an laut herumzubrüllen: Protektionismus, Nationalchauvinismus, Standortborniertheit, das sind ihre Argumente um die eigene Stellung zu versuchen zu schützen.Sie wollen vor internationale Konkurrenz geschützt werden – zugleich aber auch am Weltmarkt punkten, wenn sie dazu fähig sind.

Da es an klarer linker Perspektive fehlte, die die Probleme, die durch die Krise entstanden sind abwehrte und da die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie und auch große Teile der Europäischen Linksparteien auf Klassenkollaboration, statt auf Klassenkampf setzen, schafften sie es mittels rassistischer Rhetorik nicht nur das KleinbürgerInnentum und Mittelschichten, sondern auch Teile der Arbeiter_Innenklasse anzusprechen und Druck auf die etablierten Parteien auszuüben. Auch wenn sich das erst mal sehr abstrakt liest, ist dies wichtig zu verstehen. Der internationale Rechtsruck beeinflusst das Kräfteverhältnis insgesamt. So sind Seehofer und Kurz wahrscheinlich sehr unangenehme Menschen, aber die Politik, die sie betreiben ist Ausdruck einer konkreten politischen Entwicklung und eines Kräfteverhältnis. Deswegen löst der Rücktritt Einzelner somit das Problem nicht auf.

Shame on you, EU?!

Der Rechtsruck machte auch vor den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht halt. Insbesondere die Migrationspolitik verursachte Risse in der angeblichen Solidargemeinschaft. Vielmehr blockierten sich die einzelnen Nationen gegenseitig und das einzige, auf dass sich geeinigt werden konnte war, sich nicht zu einigen und Hilfe zu unterlassen. So fiel nach und nach die Seenotrettung weg, diverse Abkommen wie der EU-Türkei-Deal wurden geschlossen, damit weniger Menschen überhaupt in die Festung Europa kommen.

Doch bei all dem muss man sich fragen, welche Rolle der deutsche Imperialismus dabei spielt. Anfangs schien es so, dass Deutschland eine fortschrittliche Rolle innerhalb Europäischen Union einnahm. Als Angela Merkel 2015eine Abriegelung der Grenzen ablehnte trat, war dies kein Akt jedoch Nächstenliebe.Sie gab weigerte sich zum einen Hunderttausende, die die Grenzen der EU zeitweillig durchbrochen hatten, mit extremen polizeilichen und militärischen Mitteln zu stoppen. Sie gab andererseits auch der Welle der Solidarität nach, die viele in Europa mit den Geflüchteten zum Ausdruck brachten. Hunderttausende empfinden damals Geflüchtete an den Bahnhöfen, vielen wollten sie in ihren Wohnungen auf nehmen, was jedoch staatlicherseits verhindert wurde.

Zudem lage dem Kurs von Merkels auch ein wirtschaftliches Kalkül zugrunde. Der deutsche Imperialismus bezieht seine Stärke nämlich aus Exporten, der Zoll- und kontrollfreie Raum der Europäischen Union ist ein wichtiger Stützpfeiler ohne die nicht die gleiche Wirtschaftsleistung erbracht werden kann. Die „Wir schaffen das Mentalität“ war ebenso nur möglich, da  Deutschland, anders als viele Länder, besser aus der Finanzkrise herausgekommen und hatte somit einen größeren Spielraum den sogenannten „Sozialstaat“ auch für andere teilweise zu öffnen. Gerade letztere Position sorgte in der EU für viel Streit und Uneinigkeit, hielt sich aber nicht lange. Denn der bereits beschriebene Rechtsruck fand auch in Deutschland statt. So wurde aus „Wir schaffen das.“ ein „Genug getan, wir schaffen es Niemanden hier rein zu lassen.“ Das, was in Moria passiert ist, ist somit eine bewusste Entscheidung der deutschen Regierung und bewusst in der Verantwortung der CDU/CSU, sowie der SPD. Man kann auch sagen: Während die AfD hetzte, machte die Große Koalition die Gesetze. Und alle trugen sie mit.

Und nun?

Nun will Niemand mehr unnötige Kosten ausgeben. Denn als nichts anderes werden die Menschen auf den griechischen Inseln gesehen. Kosten, die vermieden werden müssen und so kann man sich auf das einigen, was 2017 noch für eine große Diskussion innerhalb der CDU sorgte: das erste offizielle Auffanglager der EU. Ein anderes Wort dafür ist Gefängnis. So schrieb‘ die SZ in ihrem Artikel „Blaupause für die europäische Migrationspolitik“: „Seehofer hat bereits früher eingeräumt, dass der Aufenthalt in diesen Lagern nicht zwingend ein freiwilliger sein wird. Weiterwanderung Geflüchteter durch Europa, wie sie derzeit üblich ist, soll unbedingt vermieden werden.“ Kurz um: Moria soll das erste gemeinsame Auffanglager werden, wo Menschen gegen ihren Willen festgehalten, wenn sie nicht in ihre Herkunftsländer wieder abgeschoben werden können.Nebenbei werden die Maßnahmen an den Außengrenzen verschärft, ebenso die Asylgesetzgebungen der Mitgliedstaaten. Die Festung Europa rüstet also auf.

Eigentlich geht es aber auch darum, die aktuelle Krise dafür zu nutzen, dass in Zukunft Lager und eine „kontrollierte“ Einreise und Aufnahme von Geflüchteten möglichst schon außerhalb der EU, in der Türkei oder in den Ländern Nord- und Zentralafrikas stattfinden soll. Damit gibt die EU jede Verantwortung für die Unterbringung der Geflüchteten ab, hebelt faktisch das Recht aus Aysl weiter aus und erklärt alle Geflüchteten, die sich nicht außerhalb der EU bei „Migrationszentren“ melden, für illegal.

Was macht die Linke?

Die Antwort ist einfach: hilflos zuschauen. Spontan gingen am Mittwoch Abend im Bundesgebiet mehrere 10 000 Leute auf die Straße. Seit Monaten gibt es mehrere Gemeinden und Kommunen, die sich für die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen. All das sind kleine Signale, dass es noch Menschen gibt, die sich gegen den Rechtsruck stellen. Doch diese spontanen Ausbrüche helfen in der Situation nur bedingt weiter. Zwar ist es gut, dass es sie gibt, aber wenn man erfolgreich alle 12 000 Menschen evakuieren möchte, braucht es klare Forderungen und einen Plan, wie man aus der Defensive in der wir uns befinden, herauskommt. Vor allem wenn man längerfristig die Festung Europa einreißen will.

Fehlerhafte
Politik

Was also tun? Auch wenn es Manchen falsch vorkommt, Jene zu kritisieren, die abstrakt für das gleiche Ziel kämpfen, so müssen wir an dieser Stelle offen Kritik üben und gemeinsam diskutieren. Denn dass Menschen verbrannt sind, während andere nun hungern, ist nicht nur die Schuld von Horst Seehofer, sondern auch Ergebnis der Politik Gewerkschaften und reformistischen Parteien. Diese beteiligten sich zwar formal an unterschiedlichen Bündnissen, verweigerten sich aber konsequenter antirassistischer Politik. Statt mit der Großen Koalition zu brechen, setzte die SPD die rassistischen Asylgesetzverschärfungen mit um. Statt dies zu kritisieren, die Geflüchteten in die eigenen Reihen aufzunehmen und gemeinsam für Verbesserungen der gesamten Arbeiter_Innenklasse zu kämpfen, setzten die Gewerkschaften auf leere Phrasen und Standortpolitik. Der Linkspartei hingegen fehlte eine Taktik, diese beiden herauszufordern und offen zu kritisieren und verlor sich stattdessen in eigene Grabenkämpfe und Einzelprojekte. Dies trug maßgeblich damit bei, dass sich die Positionen der AfD in Teilen der Arbeiter_Innenklasse mehr Gehör fanden.

Wir müssen aber auch die Politik der Radikalen Linken kritisch betrachten. Dabei geht es an dieser Stelle weniger um Schuldzuweisungen, sondern mehr darum eine Debatte anzustoßen und aus den Fehlern zu lernen. Nur so können wir perspektivisch erfolgreich sein. Was wurde also gemacht?  Seit 2014 gab es punktuell immer mal wieder große Demonstrationen, es gab bundesweite Bündnisse gegen Rassismus -und zwar mehr als genug. Doch statt sich gemeinsam zu koordinieren und konkret um Forderungen zu kämpfen, blieb es dabei dass jedes Spektrum sein eigene Suppe kocht. Die schmeckt schließlich am besten. Doch was ist aus den Zielen geworden? Aufstehen gegen Rassismus, das wohl größte Bündnis setzte sich zum Ziel „rote Haltelinien“ neu zu ziehen und die Positionen der AfD aus der Gesellschaft zu vertreiben mittels kleiner Multiplikator_Innen, sogenannter Stammtischkämpfer_Innen. Nationalismus ist keine Alternative wollte blockieren, Welcome2Stay hatte vor Strukturen von Supporter_Innen und Geflüchteten zu vernetzen.

Doch was ist geblieben? Nicht viel. Die Asylgesetzverschärfungen sind durchgekommen und die Debatte hat sich verschoben: Statt dafür zu kämpfen, dass Geflüchtete hier arbeiten gehen können, geht’s jetzt darum Abschiebungen zu verhindern und dafür zu kämpfen, dass Menschen in Seenot überhaupt aufgenommen werden können. Was sind also die größten Fehler?

Zusammengefasst hätten sich die bundesweiten Bündnisse koordinieren müssen. Im Zuge der großen Mobilisierungen hätte es Basisarbeit an Orten gebraucht, an denen wir uns alle Bewegung müssen (Schule, Uni, Betrieb) um auch jene zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind. Darüber hinaus hätte es Druck gebraucht: auf die Regierung durch Demos, aber auch Streiks und auf einzelne Organisationen der Arbeiter_Innenklasse wie beispielsweise die Gewerkschaften.

Was
braucht es jetzt?

Statt zu hoffen, dass sich was ändert, müssen wir handeln. Auch wenn sich viele in dieser Situation machtlos fühlen, auch wenn es so scheint, dass man nichts mehr ändern kann, selbst wenn man auf Demos geht und mit Freund_Innen diskutiert. Solche Momente in denen sich die Situation krisenhaft zuspitzt, müssen wir nutzen. Unmittelbar gilt es für die sofortige Versorgung vor Ort, sowie die Evakuierung aller Geflüchteten auf Lesbos zu kämpfen und sich nicht mit Kleinstbeträgen abspeisen zu lassen.

Doch wie kann man das durchsetzten? Trotz Corona bedarf es so schnell wie möglich zentraler Aktionstage. In diesem Rahmen darf es dabei nicht nur um die Demonstration an sich gehen. Diese ist vielmehr Anhaltspunkt um vor Ort  in Schule, Uni und Betrieb Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort dafür mobilisieren mit Infoveranstaltungen, Vollversammlungen. Dies muss man nutzen, nicht nur die Demonstration zu bewerben, sondern Diskussionen zu starten, wo man bspw. über die Auswirkungen von Rassismus oder auch Corona vor Ort diskutieren kann. Damit das stattfindet, muss man auf Gewerkschaften und Linkspartei auffordern, sich nicht nur an einem Bündnis zu beteiligen, sondern offen und nachvollziehbar alle ihre Mitglieder zu mobilisieren. Besonders Bewegungen wie Fridays for Future oder aber Deutsche Wohnen & Co enteignen! müssten an dieser Stelle klar Stellung beziehen und aktiv Druck ausüben.

Was muss man fordern?

Die sofortige Versorgung, sowie Evakuierung können nur durchgesetzt, wenn wir auch eine gesellschaftliche Perspektive aufzeigen, die über Humanität und Moral hinausgehen. Als Revolutionär_Innen treten wir für offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle sein. Bewegungsfreiheit darf kein Privileg in imperialistischen Ländern sein, sondern muss ein Recht für die gesamte, internationale Arbeiter_Innenklasse sein. Auch müssen Linke über die Forderung des Bleiberecht hinausgehen.Diese mag auf den ersten Blick fortschrittlich klingen, jedoch sorgt diese dafür, dass Geflüchtet hier lediglich geduldet werden. Staatsbürger_Innenrechte bedeuten jedoch, dass sie die gleichen Recht haben, dass sie auch aktiver Teil der Arbeiter_Innenklasse sein können und hier wählen, arbeiten, sich frei bewegen können.

Darüber hinaus müssen wir in unseren Forderungen bestehende Kämpfe verbinden. Wir sind gegen die Unterbringung in Lagern. Stattdessen bedarf es die Enteignung von leerstehenden Wohnraum, sowie Spekulationsobjekten, die die Mieten in die Höhe treiben. Der zusätzliche Bau von Sozialwohnung sorgt ebenso dafür, dass der überteuerte Wohnraum für alle Vergangenheit wird. Auch müssen wir dafür kämpfen, dass die Geflüchteten in die Gewerkschaften aufgenommen werden und gemeinsam für einen höheren Mindestlohn auf die Straße gehen. Dies kann direkt mit den kommenden Kämpfen gegen Entlassungen kombiniert werden, denn statt arbeitslos zu sein, sollten die individuelle Arbeitszeit bei vollem Lohnausglech reduziert werden. Die Verbindung solcher Fragen schafft es den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen und bestehende Vorurteile zu beseitigen, da so das Interesse der gesamten Arbeiter_Innenklasse aufgezeigt wird. Um mehr Schlagkraft zu erzeugen, sollte es nicht nur individualisierte Proteste mit unterschiedlichen Forderungen in verschiedenen Ländern geben, sondern ein auf europäischer Ebene organisierter Protest.




Klimabewegung: Weiter machen wie bisher?

Lars Keller

So – es wurde Zeit, Klimabewegung is back in big! Am 25. September ruft Fridays for Future zum globalen Klimastreik auf, Ende Gelände startet im gleichen Zeitraum (23.-28. September) Aktionen im Rheinischen Braunkohlerevier, auch wir sind am Start!

Unsere Ausgangslage ist dabei deutlich beschissener als noch vor rund einem Jahr, als Millionen auf die Straße gingen, um für eine effektive Klimapolitik zu demonstrieren. Praktisch und ein kleiner Trost wär’s gewesen, wenn die Corona-Krise die menschengemachte Erderwärmung zumindest ein kleines Bisschen kühl angehaucht hätte– aber nix davon! Es wird davon ausgegangen, dass 2020 höchstens 7 % weniger CO2 emittiert werden als 2019 (dpa), zu wenig, um irgendetwas gegen den Klimawandel auszurichten.

Und auch sonst sieht’s miese aus. Statt aus der Kohleverstromung auszusteigen, gibt’s mit Datteln IV einen nagelneues Steinkohlekraftwerk. Die Lufthansa wird vom deutschen Staat mit gigantischen Summen gerettet, die selbstinszenierte Klimavorreiterin Deutsche Bahn muss 2 Mrd. Euro allein beim Personal einsparen und zu einem großen Teil mit Datteln-Strom fahren. Die deutsche Autoindustrie kriegt Milliarden in den Arsch geblasen, wer sich ein E-Auto kauft, kriegt fette Zuschüsse für ein Fahrzeug, das überhaupt erst nach 8 Jahren grüner ist als ein Benzinauto…und auch mit Strom aus fossiler Energie fährt.

Corona und die Krise und die Umwelt

Die Rettung der Lufthansa und erhöhte staatliche Förderungen in der Autoindustrie sind unmittelbare Folgen der Coronavirus-Pandemie, welche zu einer massiven Wirtschaftskrise führte. Wäre also ohne Corona wirtschaftlich alles super? Nein, sicher nicht. Corona ist zwar der Auslöser der Krise, ja. Aber genau genommen erleben wir weltweit betrachtet eine durchgehende Krise seit 2008 / 2009. Corona hat diese massiv verschärft, irgendeine Verschärfung war aber sowieso überfällig und wurde seit gut zwei Jahren erwartet von Ökonom_Innen erwartet.

Warum kommt’s eigentlich immer wieder zu Krisen – mit und ohne Virus? Es liegt an der Art und Weise wie der Kapitalismus funktioniert. Er trägt die niemals endende Ausweitung und Intensivierung der Produktion als Zwang in sich. Wer Kapitalist_In ist muss, um auf dem Markt zu überleben, den Großteil seines Gewinns erneut in die Produktion investieren. Genauso wie unsere Erde hat der Markt dabei aber eine Grenze. Irgendwann bietet sich für Kapitalist_Innen keine ausreichend attraktive Möglichkeit mehr, worin sie investieren können. An diesem Punkt befinden wir uns nun schon einige Jahrzehnte. Wenn es im industriellen Bereich kaum noch Möglichkeiten zur Investition gibt, fließt Kapital in unproduktivere Bereiche, es kommt zum Beispiel zu Immobilien- oder Kreditblasen. Hinter den Geldgewinnen steckt hier kein realer Gegenwert mehr. Das bringt den Kapitalismus in eine Schieflage, bis ihn zum Beispiel ein Virus (2020) oder eine Bankenpleite (2009) zum Kippen bringt. Kein Gesetz, keine „Degrowth-Politik“ kann diesen Mechanismus unterbinden, die Konkurrenz selbst verhindert das. „Degrowth-Politik“ eines einzelnen Staates innerhalb des Kapitalismus heißt: wirtschaftlicher Selbstmord.

Was hat das jetzt mit der Krise der Umwelt zu tun? Sehr viel. Auch wenn eine Krise erst mal dafür sorgt, dass z.B. weniger CO2 emittiert wird, weil Fabriken die Produktion drosseln, so ist auf lange Sicht eine Krise ein Brandbeschleuniger für den Planeten. Denn nur weil Krise ist, hört die Konkurrenz zwischen Kapitalist_Innen und ihren Staaten nicht auf – sie wird im Gegenteil viel brutaler und auf Kosten der Umwelt und der breiten Masse der Bevölkerung ausgetragen. Beispiele gibt’s nicht erst seit Corona. China befindet sich seit Jahren im wirtschaftlichen Aufstieg und scheißt dabei großzügig auf Klima- und Umweltpolitik. Die USA sehen sich davon bedroht und kündigten 2017 den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen an (das selbst ein Witz war).

Nur wer kapiert, dass es eine zugespitzte internationale Konkurrenz gibt, wird verstehen, warum die Bundesregierung die Lufthansa und die Autokonzerne mit Milliarden auffängt. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit deutscher Kapitalist_Innen auf der Welt. Der Staat agiert nicht zufällig so, denn er ist selbst ein kapitalistischer Staat und eng verwoben mit den Konzernen und Banken.

Die Konkurrenz selbst gipfelt im Kapitalismus darin, dass die stärksten Mächte immer wieder an den Punkt gedrängt werden um die Neuaufteilung der Welt in Einflussgebiete, Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Produktionsstandorte zu kämpfen – wir sprechen vom Imperialismus. Das geht politisch-diplomatisch, in letzter Instanz aber mit Gewalt, mit Krieg. Dabei versuchen diese Mächte ihre Krise auf drei Arten zu lösen:

– Abwälzung der Krisenkosten auf ihre eigene Bevölkerung, im Wesentlichen die Arbeiter_Innenklasse durch eine verschärfte Ausbeutung

– Abwälzung der Krisenkosten auf die halbkoloniale Welt, also schwächere, wirtschaftlich von großen Mächten abhängige Staaten, hier schlägt die Krise bereits jetzt brutaler zu, z.B. aufgrund miserabler Gesundheitsinfrastruktur

– Abwälzung der Krisenkosten auf andere Weltmächte
Das Ziel ist jeweils im Konkurrenzkampf auf Kosten Anderer zu überleben. Bei all dem kann es sich ein kapitalistischer Staat kaum leisten, auf einen wirklichen, effektiven Schutz der Umwelt zu Wert zu legen. Die Konkurrenz und ewige Produktionsausweitung tragen bereits in sich, dass es das nicht geben kann, eine Krise tritt dabei immer wieder auf und verschärft das.

Als würde das nicht schon reichen, droht noch ein weiterer Brandbeschleuniger. Die Coronakrise hat der politischen Rechten Rückenwind verliehen. So sammelt sich ein ekelhafter Sud aus Nazis, Verschwörungstheoretiker_Innen und Rechtspopulist_Innen bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Die Schnittmenge derer, die sowohl Corona als auch den Klimawandel leugnen, ist wohl groß. Dabei schaffen es Rechte mittlerweile nicht nur in ihren klassischen Hochburgen große Demos auf die Beine zu stellen. Die rechtsoffenen Aktionen von „Querdenken 711“ haben auch in z.B. in Baden-Württemberg Massen auf die Straße gebracht. Schon allein deshalb muss sich eine Klimabewegung ebenso dem Rechtsruck entgegenstellen. Dazu aber später noch mehr.

Und jetzt? Alles nur scheiße?!

Scheint fast so…aber es gibt auch eine Reihe von Chancen für die Umweltbewegung. Aber um diese zu erkennen, müssen wir uns fragen, was die Probleme von Fridays for Future und einem großen Teil der Umweltbewegung waren…schon bevor Corona uns zurückwarf.

Millionen Menschen auf der Straße, Bitten, Flehen, Weinen und Schreien gegenüber der Politik haben was gebracht? – nichts, also fast nichts…es brachte uns einen Joke, einen schlechten Witz, ein Klimapaket, das weder die Namen „Klima“ noch „Paket“ verdient hat. Ist die Regierung einfach nur taub und blöde, dass sie die gesellschaftliche Debatte, die wir anstießen, nicht hörten; unsere Forderungen auf tausenden Pappdeckeln nicht sahen? Nö. Sie macht, was sie als Regierung eines kapitalistischen Staates tun muss – nämlich Politik fürs Kapital. Sie kann nicht anders und will es davon abgesehen auch gar nicht anders. Klimapolitik gibt’s nur, wenn es der deutschen Exportindustrie nutzt. Und wir sollten ja nicht glauben, dass das mit einem Jakob Blasel oder einer Luisa Neubauer von Fridays for Future bzw. den Grünen an der Regierung anders liefe. Wer wie die Grünen den Kapitalismus grün anstreichen will, wird unterm Strich kapitalistische Politik machen…die niemals nie grün sein kann (siehe oben, Konkurrenz und so).

Am Rande bemerkt: Die LINKEN können aus der Klimabewegung gar keinen Erfolg ziehen. Gerade mal 1% der Befragten einer Tagesschau-Umfrage trauen der Linken eine gute Klimapolitik zu. Naja, wer Braunkohletagebaue in der Lausitz (Welzow II) unterstützt und auch sonst nichts gegen die Krise leistet hat’s wohl nicht besser verdient. Die anderen Parteien im übrigen auch nicht, aber die sind wohl besser darin ihre klimaschädliche Realpolitik umweltfreundlich zurechtzubiegen.

Mit den Bitten an die Regierung, RWE, VW und Co. muss das jetzt mal vorbei sein, es gab Zeit genug zu erkennen, dass damit nichts zu erreichen ist, was den Planeten lebenswert hält. Die Strategie muss eine andere sein – eine antikapitalistische.

Was heißt das? Das heißt z.B. VW, RWE und Co nicht zu bitten, mehr fürs Klima zu tun, sondern sie zu enteignen! Kein Profit mit der Zerstörung des Planeten! Und dann? Wer übernimmt die Kraftwerke usw.? Der Staat? Jein. Enteignen heißt zwar erst mal, dass die Betriebe in Staatshand übergehen, aber der Staat besitzt diese erstens sowieso schon teilweise und zweitens kann er sie genauso schmutzig weiterführen. Es ist eine Frage der Kontrolle.

Wir stellen uns vor, dass die Beschäftigten selbst die Produktion kontrollieren sollen, umgestalten sollen, sodass z.B. schnellstmöglich eine Autoproduktion massiv auf Schienenfahrzeuge umgestellt wird. Alles, was damit verbunden ist – Produktionsumbau, Umschulung usw., haben die Kapitalist_Innen zu zahlen!

Aber sind die Arbeiter_Innen denn dafür zu haben? Die haben ja auch Fridays for Future so gut wie nicht unterstützt! Tja, weil sie davon nicht so richtig angesprochen waren. Die Erfahrung ist nämlich, dass sie z.B. in Form einer CO2 Steuer eine unzureichende Klimawende bezahlen. Aber es ist nicht so, dass Arbeiter_Innen grundsätzlich nicht gewinnbar wären. Es gibt einige Chancen:

– die Tarifverhandlungen von Ver.di zum Nahverkehr sind ein wunderbarer Anknüpfungspunkt für uns. Es gilt Druck mit den Arbeiter_Innen zusammen auf Ver.di und die Bosse zu machen und einen kostenlosen, gut ausgebauten Nahverkehr zu fordern, mit höheren Löhnen für Beschäftigte und verkürzter Arbeitszeit, bezahlt durch eine Besteuerung der Profite der Autokonzerne

– die Krise führt zu großen Entlassungen und Kurzarbeit. Dagegen sollten wir fordern: Wir zahlen nicht die Krise der Bosse! Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und keine Entlassung! Geplante Umstellung der Produktion auf eine wirklich nachhaltige Basis!

– die Coronakrise zeigte die Instabilität unseres Gesundheitssystems. Warum fordert nicht auch Fridays for Future eine kostenlose, gut ausgebaute Gesundheitsversorgung sowie Kommunalisierung der Krankenhäuser?

Hä? Aber die letzte Forderung hat doch gar nichts mit der Umwelt zu tun?!
Erstmal hat alles mit der Umwelt zu tun, z.B. wenn ein Krankenhaus eine Uralt-Heizung verwendet. Zentral ist aber zweitens folgendes: Die Klimabewegung muss es schaffen Kämpfe zu verbinden, dabei eine Antikrisenbewegung aufbauen und sich mit der Arbeiter_Innenklasse insgesamt zu verbünden. Nur sie könnte überhaupt eine Enteignung von VW und Co grün umsetzten.

Kämpfe verbinden heißt auch, eine klar antirassistische Haltung zu beziehen, sich dem Rechtsruck entgegenzustellen. Da reicht es nicht, auf Instagram die Evakuierung Morias zu fordern, sondern offene Grenzen und einen antirassistischen Selbstschutz aufzubauen und genau das überall zu fordern, sei es in Garzweiler oder auf einem Verdi Streik. Die Klimakrise ist der Fluchtgrund Nr. 1.

Wenn wir anfangen, diese Perspektive zu diskutieren und zu fordern, eine antikapitalistische und antirassistische Bewegung gegen die Krisen in Umwelt, Gesundheit, den Betrieben und nicht zuletzt an mörderischen Grenzen aufzubauen, dann kann es möglich sein, dass die Klimabewegung die Initiatorin wird, den Rechtsruck und die Angriffe der Regierung und Konzerne aufzuhalten.

Die Alternative heißt sie weiter anzuflehen und daran zu verzweifeln.