Gegen Rechtsruck & die Krise: Kampf dem Kapital lautet die Devise!

von Flo Rojo, Dezember 2023

Nach den Wahlerfolgen für die AfD in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz ist es nun auch in Pirna dazu gekommen: Der von der AfD unterstütze Kandidat Tim Lochner entschied gestern die Wahl zum Oberbürgermeister für sich. Er ist zwar überhaupt nicht in der AfD und nach seinem Austritt aus dem rechten Flügel der CDU parteilos, fiel jedoch mit seiner rechten Kritik an der Geflüchtetenpolitik der Bundesregierung auf. Außerdem verbreitete er in der Vergangenheit die Verschwörungstheorie des Bevölkerungsaustauschs.

Aber nicht nur in Kommunalämtern gewinnt die AfD an Zuwachs. Alle Umfragen, ob bei Landes- oder Bundestagswahlen, verorten die AfD bei über 20 teilweise sogar 30 Prozent. Und im nächsten Jahr werden uns nicht nur die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, sondern ebenfalls die Europawahl erwarten.

Dabei laufen aktuell alle Parteien nach rechts, sodass sogar Olaf Scholz von der SPD schon das AfD-Wahlprogramm auf der Titelseite vom Spiegel propagierte und mehr Abschiebungen forderte.

Doch dieser immer weiter voranschreitende Rechtsruck hat seinen Ursprung in der dem Kapitalismus eingeschriebenen Krise, welche wir aktuell an der Inflation und der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse am eigenen Leib spüren können. Parteien wie die CDU, die Grünen, die SPD und auch die Linkspartei sind nicht in der Lage, die richtigen Antworten darauf zu finden. Daher wenden sich immer mehr Wähler:innen der AfD zu, da diese es durch ihren Rechtspopulismus schaffen, den Schein von richtigen Antworten auf die Krise zu geben und einen Sündenbock für die Misere der Bevölkerung, laut der AfD die Geflüchteten, benennen können. Deswegen heißt Kampf dem Rechtsruck auch Kampf der Krise und letztendlich die Überwindung des kapitalistischen ausbeuterischen Systems!

Es gilt sich dem daraus folgenden immensen Anstieg von Rassismus, welcher sich unter anderem in massenhaften Abschiebungen ausdrückt, konsequent entgegenzustellen.

Wir fordern:

  • offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • unabhängige Antidiskriminierungsstellen an Schulen, Unis und Betrieben!
  • Massive Lohnerhöhung & automatischer Inflationsausgleich in Form einer gleitende Lohnskala
  • Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales, finanziert durch die Gewinne der Reichen, die aktuell noch einmal so richtig Profit aus der Krise schlagen!
  • Kampf der AfD heißt Kampf dem Kapital! Für ein revolutionäres Programm der Jugend und der Arbeiter:innenklasse!



Kohle für die Chefs, Krise für alle Anderen! Die Deutsche Bahn & der Kapitalismus

Von Lia Malinovski, Dezember 2023

Verspätungen, Zugausfälle, Umleitungen, Störungen. Steht man mal länger an einem Hauptbahnhof in Deutschland, erschrickt man fast, bei der Zahl der Pro-bleme, die im Minutentakt durch die Lautsprecher an die Fahrgäste durchgesagt werden.

Im Jahr 2023 waren bis 11.12. weniger als 65% der Züge im Fernverkehr „pünktlich“, im Dezember sogar weniger als 50%! Als pünktlich gelten in der Statistik Züge, die weniger als 6 Minuten später als geplant in einem Bahnhof oder Haltepunkt halten. Auch werden in der Statistik nur Züge gezählt, die überhaupt gefahren sind. Die Gründe für Verspätungen sind ganz unterschiedlich: sei es die marode Infrastruktur, seien es die vielen Bau-stellen, teilweise auch der Personalmangel; sie alle haben gemeinsam, dass sie vor 30 Jahren, vor der Bahn-reform, kaum bis gar nicht existierten, schon gar nicht in diesem Ausmaß.

Marode Infrastruktur, Personalmangel, usw. – ein kapitalistisches Problem!

Es ist das Jahr 1994, die Deutsche Bundesbahn (BRD) und die Deutsche Reichsbahn (DDR) fahren parallel zu-einander. Nach der Annexion der DDR durch die BRD wollte man das Eisenbahnsystem vereinheitlichen und eine gesamtdeutsche Eisenbahn aufbauen. Außerdem wollte man Wege suchen, die massive Verschuldung der Bahn aufzulösen. Geboren war das Eisenbahnneuordnungsgesetz, durch das die beiden Staatsbahnen, ganz entsprechend des radikal neoliberalen Grundsatzes der Zeit, zu einer privatwirtschaftlich organisierten Aktiengesellschaft werden sollten. Ursprünglich sollte die so neu geschaffene Deutsche Bahn AG (DB) an die Börse gehen. In den Führungsetagen der DB gab es nun Überlegungen, wie das zu bewerkstelligen ist: Man entschloss sich dazu, viele Mitarbeitende zu entlassen, Geld an allen Orten zu sparen, wo es ging, keine neuen Fachkräfte auszubilden. Man tat also das, was alle Konzerne tun, wenn sie wieder schwarze Zahlen schreiben wollen.

Die Rechnung dafür dürfen wir heute bezahlen: Das fehlende Geld in der Infrastruktur macht sich bemerkbar, viele Streckenabschnitte wurden eingestampft, die Kapazität von noch mehr Streckenabschnitten lässt zu Wünschen übrig, im Winter frieren Weichen ein und sind nur noch eingeschränkt bis gar nicht befahrbar, Stellwerke sind völlig veraltet. Das Fehlen von Fachkräften wird auch immer sichtbarer: In den nächsten Jahren werden viele verbeamtete Kolleg:innen in allen Bereichen in Rente gehen, es gibt aber kaum fertig aus-gebildete Arbeiter:innen. Es klafft eine riesige Lücke zwischen der Generation, die noch vor 1994 verbeamtet wurde und bald geht, und der neuen Generation, die noch ausgebildet werden muss. Bei der S-Bahn Ham-burg zum Beispiel bestehen die Azubi-Lehrgänge für die Lokführer:innen aus etwa dreimal so vielen Menschen wie noch vor 3-4 Jahren. Folge sind Raumprobleme, eine Abnahme der Ausbildungsqualität und teilweise völlige Planlosigkeit. Und das bei einem der wenigen Unternehmen, das noch schwarze Zahlen schreibt und entsprechend zwar mehr schlecht als recht, aber dennoch, in der Lage ist, auf die Krise zu reagieren! Wie es in anderen Bereichen aussieht, kann man sich entsprechend vorstellen.

Bonuszahlungen & Haushaltskrise

Die Vorstände der DB, Richard Lutz, Martin Seiler, Evelyn Palla und wie sie nicht alle heißen, bekommen wahrscheinlich eine Bonuszahlung ausgeschüttet – wofür weiß niemand so genau. Für die Pläne, die Bahn weiter zu zerschlagen? Für die unfassbar schlechten Statistiken? Fürs Ignorieren der Beschäftigten? Für das Ab-wenden eines 50 Stunden-Streiks der EVG? Für die gescheiterten Verhandlungen mit der GDL?

Es gäbe tausend Gründe, diese Zahlungen nicht auszuschütten. Nicht nur dass sie ihren Job ganz offensichtlich nicht im Sinne der Bahn machen, sondern aus-schließlich für den Profit, sondern auch, dass sie so frech sind, uns zu erzählen, sie würden sich gut um ihre Mitarbeitenden kümmern, obwohl sie vor allem mit fragwürdigen Aktionen auffallen. Dazu kommt, dass die Bundesregierung mit dem Geld für den Klimafonds auch Projekte der Bahn finanziell unterstützen wollte. Dieses Geld fällt jetzt wahrscheinlich weg. Während also an allen Ecken und Enden Geld fehlt, sollen die Vorstände plötzlich Millionenbeträge bekommen. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die bei der Bahn arbeiten, auf sie angewiesen sind oder einfach nur wollen, dass sie in einem guten Zustand ist!

Geld in Personal und Infrastruktur, statt in die Taschen der Bosse!

Die Bonuszahlungen sollten an die Mitarbeitenden der Eisenbahnen gehen: Sie baden die Probleme aus, die die Vorstände verursacht haben! Das Geld sollte in die In-frastruktur, ins Personal, in die Fahrzeuge gehen, an-statt in die Taschen der Vorstände, die nur durch das Kaputtsparen und Zerstören der Eisenbahn auffallen!

Insbesondere für diese Ziele müssen Eisenbahner:innen einstehen:

  • Weg mit den Bonuszahlungen an die Vorstände der DB! Nutzt das Geld, um die marode Infrastruk-tur auszubessern! Für eine Planung der Infrastruktur, die nicht nach Profit strebt, sondern im Sinne der Fahrtüchtigkeit der Eisenbahn, auch einen Blick auf die Klimakrise wirft!
  • Stoppt die Zerschlagung der Deutschen Bahn! Für die Zusammenlegung aller Eisenbahnverkehrs- und -infrastrukturunternehmen zu EINER staat-lichen Eisenbahn!
  • Für den massiven Ausbau der Eisenbahninfra-struktur, sowie der Möglichkeiten der Ausbil-dung! Für mehr Räume, kleinere Azubi-Klassen, mehr Ausbildungsplätze insgesamt!

Lage der Gewerkschaften – für EINE Verkehrsgewerkschaft!

Die Gewerkschaften werden diese Forderungen aber nicht aufnehmen. Nicht mal Anteile davon. Weder die EVG noch die GDL werden tatsächlich für eine Eisenbahn kämpfen, die ihrem Anspruch gerecht wird. Die GDL, die aktuell in der Tarifrunde steckt, findet die weitere Zerschlagung der DB super. Sie erhofft sich, dadurch ihre Stellung zu verbessern. Die EVG findet es zwar grundsätzlich falsch, dass die Eisenbahn weiter zerschlagen werden soll, hat sich aber beispielsweise in der letzten Tarifrunde nicht darum gekümmert, die Forderung nach einem Stopp der weiteren Zerschlagung in den Kampf mit einfließen zu lassen. Der Grund dafür dürfte sein, dass die Gewerkschaftsführung kein Interesse daran hat, dass die bisherigen Kämpfe der Beschäftigten einen politischen Charakter bekommen könnten. Denn das würde bedeuten, dass sich eine große gesellschaftliche Bewegung rund um die Frage der Eisenbahn bilden könnte. Es wären die besten Voraussetzungen vorhanden, die Klimabewegung und die Beschäftigten zu verbinden, und die EVG hätte große Mühe, die Beschäftigten im Sinne der Sozialpartner:innenschaft wieder einzufangen.

Deshalb müssen wir eine antibürokratische Bewegung innerhalb der Gewerkschaften aufbauen! Wir müssen in die aktuelle Tarifrunde der GDL diese Forderungen hin-eintragen und für ihre Umsetzung kämpfen! Wir müssen die EVG auffordern, sich mit den Streiks der GDL zu solidarisieren, kämpft die GDL doch aktuell für wichtige Ziele, die den Arbeitsalltag stark verbessern und den Beruf der Eisenbahner:in deutlich attraktiver machen würden.

Und wir müssen für eine gemeinsame und demokratische Verkehrsgewerkschaft kämpfen, haben alle Eisenbahner:innen doch die gleichen Probleme und müssen das Versagen des Staates und des Vorstandes, aber auch der Gewerkschaftsführungen, ausbaden… Gleiche Probleme benötigen gemeinsame Antworten! Also Schluss mit dem Konkurrenzdenken und für einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen! Innerhalb der Gewerkschaften und der Belegschaft müssen wir al-so kämpfen für:

  • Umsetzung der Forderungen der GDL! Für einen unbefristeten Erzwingungsstreik, der erst mit der vollständigen Erfüllung der Forderungen endet!
  • Für eine antibürokratische Bewegung in EVG und GDL! Für die demokratische Kontrolle über Forderungen, Streiks und Verhandlungen durch die Beschäftigten!
  • Für eine gemeinsame, demokratische Verkehrs-gewerkschaft! Schluss mit der Spaltung in der Be-legschaft und für einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen in allen Bereichen!



13.12.: Bullen gehören nicht zum Proletariat!

Von Yorick F., 13.12.2023

Für viele Linke stellt sich die Frage erst gar nicht, ob Bullen Teil der Arbeiter:innenklasse sind. Viele sehen sie, beispielsweise aufgrund eigener negativer Erfahrungen mit ihnen, als selbstverständlichen Feind an. Dies ist erst einmal richtig so, allerdings hat die Frage dennoch eine recht große Relevanz! Würden wir nämlich trotz der Tatsache, dass diese uns regelmäßig als Integraler Teil ihres Berufes mit Knüppeln ins Gesicht schlagen und uns mit so ziemlich allen anderen möglichen Formen von Repressionen überziehen, analytisch zu dem Schluss kommen, dass Bullen durch ihre Stellung im Produktionsprozess eben doch Teil der Arbeiter:innenklasse sind, so müssten wir als Marxist:innen  unser Verhalten ihnen gegenüber anpassen. Würden wir eben Polizist:innen als Arbeiter:innen verstehen, so müssten wir mit ihnen umgehen, wie mit jedem anderen Teil unserer Klasse: Wir müssten konsequenterweise versuchen, sie von unseren Forderungen zu überzeugen und ihre Interessen darin aufnehmen. Das bedeutet dann auch, sie in den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zu inkludieren. Ebenso müssten wir probieren, innerhalb der Polizei für fortschrittliche Ideen zu kämpfen vergleichbar mit bürgerlichen Armeen aus Wehrpflichtigen.

Ökonomische Rolle

Um zu klären, warum wir eben dies nicht tun, müssen wir zunächst grob klären, was im marxistischen Sinne überhaupt Arbeiter:innen sind, um zu begreifen, warum Bullen eben davon kein Teil sein können. Arbeiter:in ist für uns nämlich keine Identität oder einfach alle, die einen Beruf nachgehen, sondern ein konkretes Verhältnis der Lohnabhängigkeit. Das bedeutet, dass man frei von Produktionsmitteln und daher der Notwendigkeit ausgesetzt ist, die eigene Arbeitskraft an eine:n Kapitalist:in zu verkaufen. Kapitalist:innen sind nämlich all jene, welche im Besitz von solchen Produktionsmitteln (z.B. einer Fabrik mit dazugehörigen Maschinen zur Produktion einer Ware) sind und diese damit einsetzen können, um ihr Kapital weiter anzuhäufen. Um dies zu tun, müssen Kapitalist:innen die Arbeitskraft kaufen, welche Lohnabhängige als einziges zum Überleben zu verkaufen haben. Der Wert einer Ware bemisst sich dabei an der in ihrer Produktion verausgabten menschlichen Arbeitskraft, gemessen in Zeit.

Nur anhand dieser Definition können wir aber noch nicht vollständig begründen, warum Bullen kein Teil der Lohnabhängigen sind, schließlich sind sie ebenfalls frei von Produktionsmitteln und besitzen lediglich ihre Arbeitskraft und bekommen dafür eine Bezahlung. Jedoch ist dies nicht der einzige hier relevante Faktor. Denn, wie bereits gesagt, bestimmt sich die Klassenzugehörigkeit durch die Stellung im Produktionsprozess. Im Gegensatz zu Arbeiter:innen arbeiten Bullen aber gar nicht für ein:e Kapitalist:in und produzieren weder Waren noch stellen sie auf einem Markt anbietbare Dienstleistungen bereit. Sie stehen damit außerhalb des Produktionsprozesses und können damit ökonomisch kein Teil der Arbeiter:innenklasse sein. Sie sind Staatsangestellte, das heißt, sie gehören zu jenem Teil der Gesellschaft, welche der Staat von der Produktion freistellt, damit diese für den Staat notwendige Aufgaben übernehmen können. Sogar noch mehr, denn sie sind auch Teil des Beamtentums und gehören damit zu den Mittelschichten zwischen Arbeiter:innen und Kapitalist:innen, zu welchen auch z.B. Kleinbürger:innen zählen.

Der Staat ist stets bemüht, seine Beamt:innen zum einen ideologisch eng an sich zu binden, zum anderen aber auch durch eine Reihe von Privilegien gegenüber der Arbeiter:innenklasse besitzen. Z.B. können sie nicht gekündigt werden, höchstens in einen gut bezahlten Ruhestand versetzt werden, in welchem sie also ihr Einkommen gar nicht verlieren (hier zeigt sich auch nochmal, dass es sich dabei nicht um Lohn handeln kann). Zudem sind Beamt:innen privatversichert, haben also weitaus besseren Zugang zum Gesundheitssystem als gesetzlich versicherte Arbeiter:innen. Nicht zuletzt liegt natürlich auch ihre Besoldung weitaus über dem durchschnittlichen Lohn von Arbeiter:innen. Dies hat vor Allem die Funktion, Beamt:innen von der Arbeiter:innenklasse zu trennen und sie damit für die Interessen des Staates als ideellen Gesamtkapitalisten effektiv nutzbar zu machen. Dies ist auch der Grund, warum Bullen sowie Richter:innen tendenziell immer rechter/konservativer sind und Linke als größte Gefahr sehen, da diese den Privatbesitz und damit den Status Quo bedrohen und damit auch ihre privilegierte Stellung im System. Dies trifft im Übrigen auch auf alle anderen Beamt:innen zu, wenn natürlich auch in einer völlig anderen Qualität.

Ideologische Rolle

Was aber Bullen von anderen niederen Beamten wie zum Beispiel verbeamtete Lehrkräfte unterscheidet, ist ihre Funktion im bürgerlichen Staat, denn ihre Kernaufgabe ist die Festigung der herrschenden Verhältnisse mittels roher Gewalt. Das bedeutet, dass sie meist in offener Feindschaft gegenüber der fortschrittlichen Bewegungen stehen und das auch durch Organe wie Polizeisprecher:innen oder den Bullen-Gewerkschaften reaktionär verteidigen. Bei Bullen kommt nun eben noch die Arbeit an sich hinzu, die das individuelle Bewusstsein aller Bullen prägt: Straffrei nahezu unbegrenzt Macht und Gewalt gegenüber anderen ausüben, vornehmlich gegenüber migrantischen, jugendlichen, armen oder sonst wie marginalisierten Gruppen. Dabei ist es nur logisch, dass so ein Job rechte und autoritäre Arschlöcher anzieht beziehungsweise Menschen zu solchen macht.

Während sich gerade viele Berufe von Staatsbediensteten proletarisieren (Lehrkräfte, Bahn-Angestellte, öffentlicher Dienst), bleiben die Bullen in ihren Lebens- und Arbeitsverhältnissen unserer Klasse fern. Wir sehen also: Die Stellung von Bullen zum Produktionsprozess sorgt dafür, dass ihre objektiven Interessen reaktionär und diametral gegen die der Arbeiter:innenklasse gerichtet sind.

Abolish the police!

Daraus ergibt sich auch unser taktisches Verhältnis zu ihnen.
Wir wenden uns zwar nicht explizit gegen Lohnforderungen von Polizist:innen sind, aber gegen alle Forderungen, welche die Arbeit von Bullen “sicherer” machen und sie letzten Endes im Kampf gegen uns stärken. Dazu zählen z.B. Forderungen nach noch härteren Strafen für Widerstand gegen Bullen, noch mehr Befugnisse, bessere Ausrüstung z.B. Taser als Teil der Standardausrüstung, Erlaubnis von Gummigeschossen gegen Demonstrationen usw. usf. Wir sind viel mehr für ein Abbau ihrer Befugnisse und stärkere Kontrolle, zum Beispiel mittels Untersuchungsgremien für Polizeigewalt unter Kontrolle der Arbeiter:innenbewegung. Letztendlich sind wir für die Abschaffung der Polizei und Ersetzung durch demokratisch legitimierte, abwählbare und rotierende Arbeiter:innenmilizen, während die sozialen Konflikte durch Gerechtigkeit und nicht durch Unterdrückung befriedet werden.

In einer zugespitzten Klassenkampfsituation, in welcher bereits eine mächtige Arbeiter:innenbewegung existiert, den Staat und das Kapital aktiv bedroht und eine eigene greifbare Perspektive aufzeigt, kann es allerdings sinnvoll sein, sich an die unteren Ränge der Bullen und Soldat:innen zu wenden und diese vom Verrat zu überzeugen, indem sie sich der Arbeiter:innenbewegung anschließen, wie etwa in der Oktoberrevolution der Bolschewiki oder 1918 in Deutschland. Diese Überläufer:innen können auch wichtig für die notwendige Bewaffnung der Arbeiter:innenklasse sein.

Ansonsten bleibt die Polizei aber der erbitterte Feind der Arbeiter:innenbewegung und sollte aus all ihren Teilen konsequent ausgeschlossen werden. Deswegen: Bullen raus aus dem DGB, raus aus den Schulen, raus aus der Demo!




10 Forderungen für den palästinensischen Befreiungskampf

Dezember 2023

Seit dem 7. Oktober findet ein erbarmungsloser Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung statt. Gefangen in einem Freiluftgefängnis haben die Bewohner_innen keine Möglichkeiten zur Flucht vor dem Tod durch Bomben oder die Bodentruppen der IDF. Israels Regierung stellt diesen Staatsterror kaum widersprochen als Akt der „Selbstverteidigung“ dar. Dabei sind sie nicht die einzigen, die mit Rassismus und Nationalismus die Bevölkerung hinter sich vereinen. Auch in imperialistischen Ländern wie Deutschland wird jegliche Palästina-Solidarität kriminalisiert und unter dem Vorwand des Kampfes gegen Antisemitismus findet eine zutiefst rassistische Politik statt, in welcher Migrant_innen als die Übeltäter gelten. Wir möchten hiermit 10 Forderungen aufstellen, die wir zum einen in Palästina und dann in Deutschland diesen Verhältnissen entgegensetzen.

In Palästina: 

1. Sofortiges Ende der brutalen und kriegsverbrecherischen Angriffe auf Gaza! Aufhebung der Blockade! Abzug aller Truppen der IDF aus Gaza und Westbank! Für die Freilassung aller Gefangenen! 

Nach der kurzen Waffenruhe, gehen die Angriffe in unverminderter Härte weiter und die IDF unter der Führung einer ultrarechten Regierung haben keine Probleme damit, abertausende Zivilist_innen zu ermorden und die dort lebende Bevölkerung als Tiere zu bezeichnen. Das sofortige Ende der brutalen und kriegsverbrecherischen Angriffe auf Gaza ist dabei mehr als die Forderung nach einer erneuten Waffenruhe! Eine unbefristete Waffenruhe und ein Durchlassen der Hilfslieferungen sind in der aktuellen Situation überlebensnotwendig für die Bevölkerung, jedoch beendet dies nicht Besatzung, sondern bedeutet, dass die jetzigen Konflikte eingefroren werden. Was wir zudem nicht fordern, ist die Demilitarisierung der Palästinenser_innen, denn das Recht aufSelbstverteidigung und der Kampf nach Freiheit muss auch militant durchgesetzt werden. Alle Truppen der IDF müssen Gaza sowie die Westbank verlassen, sie sind unterdrückerische Truppen, die die Herrschaft des Staate Israels mit allen Mitteln durchsetzen. Der Abzug der IDF sowie die Forderung nach einem sofortigen Ende des Mordens müssen bedingungslos durchgesetzt werden! Wir stehen ein für die Freilassung der Gefangenen. Ca. 4500 Palästinenser_innen, darunter viele Kinder und Jugendliche, waren schon vor dem 7.10. in israelischen Gefängnissen. Seitdem wurden weitere 4-5000 verhaftet, die auf israelischem Staatsgebiet gearbeitet hatten. Freigekommene berichten in den meisten Fällen über Misshandlungen und Folter.

2. Für das Recht der israelischen Soldat_innen sich zu weigern, in Gaza und Westbank zu kämpfen. Löst die bürgerliche Armee und die Polizei auf und bildet demokratische Arbeiter_innenmilizen, die sich dem palästinensischen Widerstand anschließen! 

Wie wir es in Gaza zur Zeit sehen, haben die palästinensischen Streitkräfte allein wenige Chancen, sich gegen das von USA und BRD hochgerüstete Militär Israels zu verteidigen. Daher ist es unabdingbar, auch innerhalb der israelischen Gesellschaft nach Verbündeten zu suchen. Wir wissen, dass aktuell die israelische Bevölkerung mehrheitlich vereint für den Krieg gegen die Palästinenser_innen steht. Dieser Umstand liegt allerdings nicht nur an der reaktionären und kriegstreiberischen Rhetorik der Regierung und an der engen ideologischen Bindung der israelischen Bevölkerung an den Zionismus, die historisch auch durch diemateriellen Vorteile aus der Besatzung entstanden ist. Sondern zudem an dem harten Vorgehen gegen all jene Menschen, die nur ansatzweise gegen diese vorherrschende Meinung stehen. Umso wichtiger ist es daher, die wenigen Kriegsdienstverweigernden und Antizionist_innen in Israel zu unterstützen. Der Aufbau einer antizionistischen Opposition in Israel ist notwendige Voraussetzung für eine Abschaffung von Militär und Polizei und für die Befreiung der israelischen Arbeiter_innenklasse. Wir sehen schon heute in kleinen Teilen wie antizionistische Juden und Jüdinnen weltweit die Proteste mit antreiben und unterstützen. In Israel ist es Aufgabe von Fortschrittlichen und Revolutionär_innen sich von den prozionistischen und staatstragenden Organen wie der gelben Gewerkschaft Histadrut zu lösen, diese durch eine gemeinsame Organisierung mit ihren palästinensischen Geschwistern zu ersetzen und offen aufzuzeigen, dass der Krieg nicht in dem Interesse der israelischen Arbeiter_innen sondern dem der Herrschenden liegt, wie es zum Beispiel lange wichtiger zu sein schien, die Vernichtung der Palästinenser_innen voranzutreiben, als die Befreiung der Geiseln durchzusetzen. Der Klassenkampf, wie er sich zuletzt auch in den Protesten gegen die Justizreform geäußert hatte, darf nicht zurückgestellt werden zu Gunsten der vermeintlichen „Vaterlandsverteidigung“. 

3. Nieder mit der Apartheidsmauer und allen Freiheitsbeschränkungen für Palästinenser_innen. Für die völlige rechtliche Gleichstellung aller Einwohner_innen zwischen Mittelmeer und Jordan! Verstaatlichung allen Landbesitzes und Gewährung des Rückkehrrechts aller Palästinenser_innen weltweit. 

Palästinenser_innen sind Menschen dritter Klasse in Israel, sie sind billige Arbeitskräfte, nicht gleichgestellt vor dem Gesetz und werden systematisch in sozialen wie in ökonomischen Bereichen ihres Lebens unterdrückt. Israelische Institutionen, staatliche oder nicht-staatliche, entscheiden über Häuserbau, Wohnungen und in Gaza über Strom, Wasser, Rohstoffe. Checkpoints, stundenlange Kontrollen, Hausdurchsuchungen, Razzien oder Verhaftung stehen an der Tagesordnung, wenn man Palästinenser_in ist. Darum muss die Apartheidsmauer niedergerissen werden und alle Freiheitsbeschränkungen müssenaufgehoben werden. Wir fordern die völlige Gleichstellung aller Menschen vor Ort und das Recht auf Rückkehr aller vertriebenen Palästinenser_innen. Grundlage dafür ist das vergesellschaftete Eigentum an Produktionsmitteln, Grundstücken, Fabriken, Büros und ebenso die gleichberechtigten Bereitstellung von Gesundheit, Bildung und Wohnen, koordiniert durch einen demokratischen Plan. Deshalb kämpfen wir für eine sozialistische Lösung, die auf dem gemeinsamen Besitz des Landes und aller wichtigen Produktionsmittel basiert. 

4. Für ein vereinigtes säkulares, sozialistisches Palästina, mit Gleichheit für alle seine Bürger_Innen, israelische wie palästinensische, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens.  Für einen neuen arabischen Frühling!

Die Befreiung des palästinensischen Volkes und die Freiheit der Völker des Nahen Ostens von westlicher Herrschaft und Ausbeutung erfordern den revolutionären Sturz Israels als rassistischen Staat und seine Ersetzung durch einen einzigen bi-nationalen Staat, sowohl für sein palästinensisches als auch für sein israelisch-jüdisches Volk. Das bedeutet weder die Vertreibung der israelischen Bevölkerung noch ihre Zerstörung als Nation. Die „Zweistaatenlösung“ ist in Wirklichkeit tot. Ihre Anerkennung in Worten existiert als Feigenblatt für israelische Übergriffe. Für die USA und die westeuropäischen Staaten rechtfertigt sie die anhaltende Unterstützung Israels, und für reformistische Parteien wie die britische Labour ermöglicht sie es, vermeintlich Gesicht zu bewahren vor ihrer muslimischen Wähler_innenschaft, ohne sich jedoch zum palästinensischen Widerstand zu bekennen. Es ist Aufgabe der Palästinenser:innen sowie der Arbeiter:innenklassen der umliegenden Länder den israelischen Staat zu stürzen. Letzteren kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie sind es, die ihren Diktatoren und Herrschernentgegentreten müssen, denn weder die Assads noch die Khomenies, die Sissis oder die Erdogans dieser Region haben ein Interesse an einem befreiten Palästina. Es braucht ein Auflammen eines zweiten arabischen Frühlings, in welchem sich die Arbeiter_innen in den umliegenden Ländern gegen ihre Unterdrücker_innen organisieren und siestürzen, die Grenzen nach Gaza öffnen und unter gemeinsamer Kontrolle Hilfsgüter und den Kampf vor Ort unterstützen.

5. Für die Schaffung einer unabhängigen Arbeiter_innenpartei Palästinas, die gestützt auf Gewerkschaftenund regionale Komitees der Unterordnung der palästinensischen Linken unter Hamas und Fatah ein Ende bereitet!

Um für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina zu kämpfen, sowie für die davor genannten Forderungen, ist es notwendig die fortschrittlichsten Kräfte in einer Partei zu bündeln, die sich auf Räte und Komitees stützt, diese Forderungen durchsetzt und der Bewegung ein politisches Programm gibt. Mit dem Kampf für nationale Befreiung müssen hierbei soziale und ökonomische Forderungen der Arbeiter_innenklasse wie z.B. nach einem angemessenen Mindestlohn, nach Frauenrechten oder Rechten von LGBT+! Es braucht zudem einen Bruch mit der Politik der Hamas und Fatah. Beide haben sie oft genug gezeigt, dass sie keine Strategie haben, den Befreiungskampf zu gewinnen und dass ihnen die Interessen der palästinensischen Massen letztlich egal sind. Sie beweisen dies nicht zuletzt, indem sie, unter dem Deckmantel einer falschen Einigkeit, soziale Proteste niederschlagen, womit sie sich praktisch als Instrument der Besatzungsmacht erweisen. Wir stehen für die Interessen der Arbeiter_innen, kleinen Bäuer_innen, Jugendlichen und Frauen, die nicht nur gegen die zionistische Besatzung, sondern am Ende auch gegen die palästinensischen Kapitalist_innen durchgesetzt werden müssen!

In Deutschland

1. Sofortiger Stopp aller Waffenlieferung, Stopp der militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Unterstützung Israels! Weg mit den Kriegsschiffen vor Gazas Küste! Für gewerkschaftliche Aktionen zur Blockade von Kriegsgütern! 

Die deutsche Rüstungsindustrie liefert schon seit langem mit Vorliebe Kriegsgüter an Israel. Eine Auswertung der statistischen Daten von 2011 bis 2022 ergibt, das Israel auf Platz vier aller Staaten ist, in die Deutschland Waffen exportiert. Seit dem Kriegsausbruch sind diese Zahlen noch einmal explodiert: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich schon jetzt das Volumen an Rüstungsexporten mehr als verzehnfacht! Es ist einerseits eine grauenhafte Vorstellung, wie sich deutsche Konzerne an dem Morden in Palästina bereichern. Andererseits werden diese Lieferungen auch durch Steuergelder gefördert, denn die Unterstützung von Ordnungsmächten wie Israel und die Aufrechterhaltung der Verhältnisse von halbkolonialer Abhängigkeit und Ausbeutung durch den Imperialismus ist deutsche „Staatsräson“. All das zu verhindern, ist unsere beste Chance hier in Deutschland dem Krieg in Palästina entgegenzutreten und internationale Solidarität praktisch werden zu lassen. Die Arbeiter_innen in der Logistik und in der Rüstungsindustrie haben kein Interesse an der Unterdrückung ihrer Klassengeschwister in Palästina. Sie müssen zu Streiks, Blockaden und Protestaktionen gewonnen werden!

2. Schluss mit der Kriminalisierung des Befreiungskampfes! Keine Verbote von Demos mehr und Aufhebung der Verbote von Samidoun, PFLP, Hamas und PKK! 

Während AfD, holocaustleugnende Nazis oder antisemitische Querdenker_innen unter Polizeischutz ihre Ideologie auf die Straße tragen durften, wurden Solidaritätsdemos und Gedenkveranstaltungen mit den Opfern des Krieges in Palästina reihenweise verboten. Dort wo sie stattfinden, geht dies mit Schikanen der Polizei einher: Menschen werden geschlagen, verhaftet und angezeigt. Wir haben schon länger an der Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung gesehen, wie der deutsche Staat seine außenpolitischen Interessen auch z. B. mit dem Verbot der PKK ins Innere übersetzt. Nun werden ebenso die Organisationen des palästinensischen Widerstands mehr und mehr verboten: ob links, so wie Samidoun oder PFLP oder religiös-fundamentalistisch wie die Hamas. Auch wenn wir viel Kritik an diesen Gruppen haben, ihre Ideologien nicht teilen und ihre Taktiken ablehnen, stellen wir uns gegen ihr Verbot durch den deutschen Staat. Eine Überwindung der reaktionären Führung des Widerstandskampfes in Gaza wird nur als Teil dieses Kampfes möglich sein, nicht durch staatliche Repression von Israel oder Deutschland.

3. Weg mit dem Kuffiyah-Verbot in den berliner Schulen! Mitbestimmung von Schüler_innen und Lehrer_innen über die Behandlung des Kriegs statt Senatsvorgaben!

Während auf der Staat auf der einen Seite das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, d.h. den Angriff auf Gaza als zentrale Botschaft des Schulunterrichts vorgibt, wird auf der anderen Seite im Namen einer vermeintlichen „politischen Neutralität“ den Schüler_innen eine eigenständige Stellungnahme verwehrt. Dies drückt sich auf symbolischer Ebene z.B. in dem Verbot aus, eine Kuffiyah zu tragen. Eine Kleidervorschrift, die, ausgedehnt auf weitere arabische Tücher, gleichzeitig einen rassistischen Charakter trägt, weil sie auch politisch unbeteiligte Schüler_innen trifft, die das Tuch einfach aus kulturellen Gründen tragen. 

4. Abschiebestopp jetzt! Gegen den heuchlerischen Vorwand des Antisemitismus‘ für eine rassistische Asylpolitik! Bildet antirassistische Selbstverteidigungskomitees gegen Angriffe von Bullen und Faschos!

5. Offene Grenzen und Staatsbürger_innenrechte für alle, die vor Krieg, Armut und Klimaschäden flüchten!

Wir können gerade bezeugen, wie in Europa das Recht auf Asyl systematisch ausgehebelt und abgeschafft wird. Fluchtwege werden blockiert, Grenzkontrollen werden verstärkt und auch innerhalb des Schengen-Raums eingeführt, Geflüchtete werden in überfüllte Lager gepfercht und in Krieg und Krisen abgeschoben. Vorschläge ein Bekenntnis zum Staat Israel zur Bedingung für eine Einbürgerung zu machen oder die Ankündigung, dass vermeintlich antisemitische Geflüchtete „endlich im großen Stil“ abgeschoben werden müssten sind ein zynischer Versuch, diese Absage an grundlegende Menschenrechte in eine moralisch positives Licht zu rücken. Wir stellen dem die Forderung nach Bewegungsfreiheit für alle entgegen! Im Kampf dafür ist es notwendig, dass sich die Gewerkschaften endlich öffnen und die gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten voranbringen!




Asylrechtsverschärfungen: Tödlicher Alltag an europäischen Außengrenzen

Dezember 2023

Im Juni wurde die neue Asylreform „GEAS“ von den EU-Innenminister_Innen vorgestellt. Dieses beinhaltet extreme Verschärfungen auf Kosten der Asylsuchenden.

Was ist GEAS?

Die Buchstaben GEAS stehen für “Gemeinsames Europäisches Asyl System”. Durch dieses System werden die Abläufe von Asylverfahren und der Umgang mit asylsuchenden Menschen festgelegt. Es ermöglicht den Abgleich von Fingerabdrücken und die Bestimmung der Zuständigkeit des Landes zur Prüfung des Asylantrags (Dublin-Verfahren). Auch soll es für eine einheitliche Asylregelung unter den EU-Staaten sorgen. Was es aber konkret für die Betroffenen bedeutet, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Kürzung von Sozialleistungen

Nicht nur, dass die bisher nach 18 Monaten gezahlten Analogleistungen in Höhe der regulären Sozialhilfe nun erst nach 36 Monaten gezahlt werden sollen, es werden auch die Bargeldleistungen durch Bezahlkarten ersetzt. Diese sollen die Menschen daran hindern, Geld an ihre Familien in der Heimat zu schicken und den angeblichen Anreiz der Flucht nach Deutschland mindern. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass die Menschen hauptsächlich aus Geldsorgen flüchten. Meistens sind die Gründe, die eigene Heimat und Familie unter schweren Umständen zu verlassen, um einiges massiver, wie Krieg oder Verfolgung, jedoch sollte endlich bewusst werden, dass auch Menschen die einen Fluchtweg aus Existenzängsten auf sich nehmen, in Deutschland ebenso die Hilfe bekommen müssen, die sie zum Leben benötigen. Ob man arm ist oder nicht, ist nun einmal keine Frage des mindsets, sondern Konsequenz der materiellen Umstände.

Der Bund hat im neuen Asylgesetz außerdem beschlossen, pro Asylerstantragsteller_In eine jährliche Pauschale von 7.500€ zu zahlen.

Christian Lindner, der deutsche Bundesminister für Finanzen, behauptet, dass das neue Asylsystem “nicht nur Länder und Kommunen entlastet”, sondern “auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert”.

Asylverfahren außerhalb Europas

Die Bundesregierung sieht auch die Möglichkeit, Asylverfahren in Drittstaaten (außerhalb von Europa) unter nicht humanitären Umständen durchzuführen. Diese Staaten werden von der EU als sicher definiert, selbst wenn die Bürger_Innen dieses Landes das anders sehen. Ein Beispiel hierfür ist Tunesien. Sollten Menschen auf ihrem Fluchtweg durch eines dieser Länder reisen, kann der Asylanspruch in der EU verfallen. Das Prinzip der Drittstaatenregelung ist kein neues Konzept. Das Grundrecht auf Asyl wurde bereits vor 30 Jahren in Deutschland geändert und mit der Änderung die Drittstaatenregelung eingeführt.

Es soll auch versucht werden, Migrationsabkommen mit Ländern abzuschließen, aus denen häufig asylsuchende Menschen nach Deutschland kommen. In diesen Migrationsabkommen garantiert die EU finanzielle Unterstützung im Gegenzug zu Abschiebung oder des Vorgehens der Staaten gegen Fluchtbewegungen.

Als ein konkretes Beispiel ging es um die Wiederbelebung des 2016 beschlossenen EU-Türkei-Abkommens, das der Türkei Milliardenhilfen von der EU verspricht, wenn diese sich verpflichtet, Fluchtrouten abzuriegeln und nach Griechenland geflüchtete Menschen “zurückzunehmen”.

“So kauft sich die EU von ihrer menschenrechtlichen Verpflichtung des Asylrechts frei. Sie unterstützt so nicht nur autoritäre Regime unmittelbar beim systematischen Bruch von Menschenrechten. Sie stiftet sie regelrecht dazu an.” -STOP GEAS

Grenzverfahren

Die im Oktober eingeführten Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz sollen über lange Zeit aufrecht erhalten werden. Menschen, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland wollen, sollen möglichst direkt in diese zurückgeschickt werden. Auch sollen durch solche Grenzverfahren die Identitäten von Asylsuchenden schon an der EU-Außengrenze festgestellt werden. Da dies sehr zeitaufwendig (bis zu 12 Wochen) ist, sollen die Betroffenen in menschenunwürdigen Lagern an den Grenzen untergebracht werden. Bis über die Aussicht auf Asyl der Menschen entschieden wurde, gelten diese Menschen als nicht eingereist, auch wenn die Unterkunft auf der EU-Seite der Grenze ist. Von der Regelung der Grenzverfahren sind auch Kinder, die ca. 40% der geflüchteten Menschen ausmachen, sowie kranke und eingeschränkte Menschen nicht ausgeschlossen. Trotz mehrfachem Aufrufens von Menschenrechtsorganisationen, dass unter diesen Umständen keine individuelle und rechtskonforme Überprüfung der Asylgründe möglich ist, bietet diese Regelung der EU die Gelegenheit unfairer Asylschnellverfahren. Pushbacks gelten nun als „Grenzschutz“ und sind dadurch legalisiert worden.

Zusätzlich hat der EU-Innenminister_Innenrat hat einer Krisenverordnung zugestimmt. Diese Verordnung beinhaltet die Verlängerung der Zeit in den Lagern von bis zu 12 Wochen, auf bis zu 20 Wochen, sowie die Erweiterung der Menschengruppen die an den Grenzen inhaftiert werden dürfen. Der Europäische Rat kann die Krisenverordnung ausrufen, wenn sehr viele Asylsuchende Menschen an die Grenzen der EU kommen.

Wie wir es schon aus der Pflege kennen, wird ein Notfallplan schnell zum Alltag. Durch die nicht funktionierenden Grundsysteme sind solche Krisenverordnungen von Anfang an zum Scheitern verurteilt und bedeuten menschenunwürdige Behandlung von Asylsuchenden.

Die Zahl der Menschen die eine Flucht nach Europa als letzte Hoffnung sehen, wird steigen. Der Klimawandel zwingt auch immer mehr Menschen zur Flucht, da Nahrungsmittel und Wasser knapper werden, während die Bevölkerungszahl steigt. Hinzu kommen die Menschen, die direkt durch das Klima, die extremen Temperaturen und Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen. Durch die ansteigenden Zahlen der Menschen, die an die Grenzen Europas kommen, müssen wir damit rechnen, dass die Maßnahmen der jetzt genannten Krisenverordnung uns bald als erneute “Asylrechtsreform” vorgestellt werden.

Was können wir dagegen tun?

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Asylrechtsverschärfung vor allem auf Abschreckung und Ausgrenzung abzielt. Menschen, die Hilfe suchen, müssen immer gefährlichere Fluchtrouten nutzen, um ihrer Not zu entkommen. Denn egal wie viele Asylrechtsverschärfungen von der EU kommen, die Menschen werden weiter flüchten. Was sich verändert, ist die immer menschenunwürdigere Behandlung, die die Menschenrechte massiv einschränkt!

In Zeiten von Wirtschaftskrisen und internationalem Rechtsruck dürfen wir uns nicht durch den Rassismus der Herrschenden spalten lassen, sondern müssen solidarisch füreinander einstehen. Klimawandel, Armut und Krieg sind Konsequenzen des kapitalistischen Systems und können nicht ohne dessen Abschaffung überwunden werden. Wir müssen also einerseits die Forderung nach offenen Grenzen und Staatsbürger_Innenrechten für alle aufwerfen und diese im Rahmen einer internationalen Bewegung aus Arbeiter_Innen, Jugendlichen, sexistisch oder rassistisch Unterdrückten und allen Ausgebeuteten erkämpfen. Im Rahmen von Streik-, Uni- und Schüler_Innenkomitees können wir schon jetzt unsere Forderungen an die Orte tragen, an denen wir uns täglich bewegen und für ein Ende rassistischer Asylverfahren einstehen!




Neues Logo, alte Probleme? Der Europaparteitag der Linken

Dezember 2023

Sie ist endlich da – die „neue“ Linkspartei. Nach dem Paukenschlag der Gründung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gab der Europaparteitag der Linken einen ersten Einblick, wie die Partei in Zukunft, ohne ewige Streitereien zwischen den Flügeln, aussehen wird. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Wirklich neu sieht das Ganze nicht aus. Die tatsächliche Programmatik für die Europawahl verkommt zur Nebensache zugunsten einer offensiven Zurschaustellung von Einheit und Aufbruch sowie der Kandidat_Innenwahl.

Die Einheit ist dabei keine bloße Schauspielerei: Mit der Tatsache, dass durch die Spaltung der Partei jede Regierungsbeteiligung in weite Ferne gerückt ist, können grundlegende Strategiefragen fürs erste ausgeklammert werden. In diesem Aspekt bekommt die Bewegungslinke ihren Willen, viel mehr als Basisarbeit bleibt der Partei in nächster Zeit nämlich nicht übrig. Beim Aufbruch sieht die Sache hingegen etwas anders aus und im verabschiedeten Wahlprogramm wird auf „Bewährtes“ gesetzt, wenn überhaupt mit seichteren Positionen als noch in der Vergangenheit. Wie mittlerweile kaum noch jemanden überraschen dürfte, wird das Wort Sozialismus im Dokument nicht einmal erwähnt, es geht um Neoliberalismus statt Kapitalismus und Umverteilung und soziale Gerechtigkeit müssen an die Stelle des bösen E-Wortes „Enteignung“ treten. Lediglich im Bezug auf Immobilien ist davon die Rede, aber selbst hier bleibt offen, ob es eine Entschädigung geben soll oder nicht.

Strategische Leere

Es gibt einen Forderungskatalog mit allerlei guten Dingen (Höhere Löhne, bessere Sozialleistungen, höhere Besteuerung der Reichen usw.), aber letztendlich stellt die Linke hier passend zur kalten Jahreszeit ihren Wunschzettel vor. Eine Strategie, wie diese Forderungen tatsächlich durchzusetzen seien, fehlt. An anderen Stellen wird es folgerichtig völlig utopisch: Die Banken sollen transparenter werden und der Gesellschaft dienen, die „Fehler“ der EU (Aufrüstung, dichte Grenzen, usw.) sollen durch Reformen gelöst werden, anstatt anzuerkennen, dass diese „Fehler“ im Sinne der EU als imperialistischem Staatenbündnis womöglich eher als Feature zu verstehen sind. Nationalismus und Krieg sind Produkte der Klassengesellschaft, und daher bleiben Forderungen nach offenen Grenzen, nach nachhaltiger Abrüstung, bloße Träumereien, wenn man nicht gleichzeitig auch die Systemfrage stellt. Statt konkreter Ideen wie den Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas bleibt im Prinzip nichts außer „vielleicht wird’s ja diesmal was“.

Die Linke erkennt zwar korrekt, dass in der momentanen Krisenperiode auch Krieg auf dem Plan steht, aber die Lösung dieses Problems soll in erster Linie in einer Stärkung der UN liegen. Falls man seit Jahren nicht in die Nachrichten geschaut hat, mag das schlüssig erscheinen, aber in der Realität haben zuletzt die Kriege in der Ukraine wie in Gaza prominent gezeigt, dass sich die UN im Kriegsfall nicht als großes Hindernis präsentieren. Wie auch? Die UN sind keine neutrale Weltregierung. Sie sind nicht losgelöst von den Staaten, aus denen sie sich zusammensetzen, und das globale Kräfteverhältnis setzt sich auf diese Weise auch in ihnen durch. Das erkennt auch die Linke in Stücken an, aber sieht die UN als Möglichkeit zum niedrigschwelligen Dialog und zur globalen Abrüstung an. Das offenbart eine verklärte Sicht auf die Welt: Kriege sind keine bloßen Zankereien, bei denen sich beide Parteien aussprechen und versöhnen müssen, sondern bittere Konsequenz des kapitalistischen Expansionszwangs. Dialog und Abrüstung sind dabei nicht in sich verkehrt, aber bleiben Symptombekämpfung und kein Heilmittel. In den Worten Trotzkis: „Die Imperialisten führen nicht Krieg, weil sie Waffen haben, sondern umgekehrt: sie schmieden Waffen, weil sie Krieg führen müssen.“

Zwischen Halbherzigkeit und Widersprüchen

In beiden Konflikten, Ukraine wie Gaza, präsentiert sich die Linke auch im Detail halbgar: Sie vertreten zwar korrekterweise das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine, lassen jedoch eine konsequente Positionierung auch gegen westliche imperialistische Einmischung vermissen. Das ist den Ukrainer_Innen, die bereits jetzt zum Spielball zwischen imperialistischen Mächten geworden sind, gerade auch im Hinblick auf die Zeit nach dem Krieg wenig dienlich. Die Mächte des Westens, auch Deutschland, werden sicherzustellen wissen, dass sich ihre derzeitigen Investitionen lohnen, ungeachtet der Tatsache, wie fatal selbstverständlich auch eine Eroberung der Ukraine durch Russland wäre. Im Nahostkonflikt hingegen wird weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung vertreten, die sich getrost ins Reich der Fiktion verbannen lässt und für eine langfristige (und auch kurzfristige) Beilegung des Konflikts völlig unzureichend ist. Diese Frage ist auch innerhalb der Linkspartei stark umstritten, und im Sinne der neuen Einheit gibt es folgerichtig einen seichten Kompromiss, der Palästinenser_Innen wie Israelis mit ihren Problemen alleine lässt. Das ist im Übrigen symptomatisch: Die Vermeidung von Konflikten, das Beschließen von Kompromissen geht nur so lange durch, bis die Realität eine Positionierung einfordert, und es ist fraglich, wie lange der neue Einheitskurs gefahren werden kann, bis es an anderer Stelle zum Zwist kommt.

Die Zukunft der Linkspartei

Wie steht es also um die Linkspartei? Der Patient atmet noch, aber der Zustand ist kritisch. Als Etappenziele für den Neuaufbau werden die Wahlen bis zur Bundestagswahl 2025 genannt – für 2025 selbst steht der Einzug in den Bundestag auf dem Zettel. Ist das realistisch? Die Spaltung war zweifelsfrei ein schwerer Schlag, und auch wenn in positiven Tönen von den vielen Leuten berichtet wird, die mit dem Abgang Wagenknechts den Parteieintritt vollziehen, ist bislang noch offen, wie hoch die Zahl der Austritte ist, die gerade mit der tatsächlichen Parteigründung durch das BSW noch steigen wird. Zugleich bewahrt sich die Linke das Alleinstellungsmerkmal, sich tatsächlich gegen den Rechtsruck zu stellen, und trifft auf diese Weise weiterhin einen Nerv. Die Tragweite dieser Positionierung bleibt jedoch begrenzt, solange besagter Rechtsruck nicht als notwendige Konsequenz der Krise (die ihrerseits notwendige Konsequenz des Kapitalismus ist) verstanden wird, in der durch Konkurrenz und verstärkte Blockbildung die Grundlage für Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und andere Unterdrückungen liegt, welche eine gemeinsame Solidarisierung der Arbeiter_Innen verhindern. Stattdessen wird an der Idee festgehalten, dass mehr soziale Gerechtigkeit als Gegenmittel ausreiche, und die daraus folgende Ineffektivität wird der Linken auch an dieser Front zunehmend das Wasser abgraben. So oder so kommen harte Zeiten auf die Partei zu, und falls es nicht wider erwarten zu einem Aufbruch kommen sollte, der den Namen tatsächlich verdient, so lange weiterhin die Systemfrage vermieden wird, ist schwer vorstellbar, dass sich dies in naher Zukunft ändern sollte. Die Linke zeigt damit einmal mehr, dass der Reformismus nicht in der Lage ist, die Widersprüche des Kapitalismus aufzulösen und führt uns die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei  mit einem marxistischen, revolutionären Programm vor Augen, in welcher Jugendliche, Arbeitende und alle Unterdrückten des Systems gemeinsam kämpfen, um dieses zu überwinden.




Warum Feminizide kein Zufall sind: Die Rolle von Staat und Kapital

von Martin Suchanek, November 2023, zuerst erschienen in der Neue Internationale der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Für das Jahr 2022 meldete die UN so viele Femizide wie seit 20 Jahren nicht, und das obwohl die Tötungsdelikte im Allgemeinen international zurückgingen. 50.000 oder mehr Femizide registrieren internationale Organisationen und Forschungsinstitute jährlich – und dies umfasst nur jene Morde, die in Partnerschaften oder durch Verwandte verübt wurden, und auch nur jene Länder, die gesonderte Statistiken überhaupt erstellen. Doch schon diesen Zahlen zufolge werden weltweit täglich mehr als 135 Frauen getötet. In Deutschland fällt jeden dritten Tag eine Frau oder ein Mädchen diesem Verbrechen zum Opfer.

Wir sprechen von Feminiziden, wenn es sich um geschlechtsbezogene Morde handelt, welche mit der Durchsetzung privatkapitalistischer, neokolonialer oder staatlicher Interessen verbunden sind und von Femiziden, wenn diese innerhalbe einer partnerschaftlichen, intimen oder verwandtschaftlichen Beziehung auftreten. Dabei ist der Täter in der Regel männlich, steht zum Opfer in einer persönlichen Beziehung. Er will seine Tat nicht öffentlich zur Schau stellen, sondern hofft vielmehr, der Strafverfolgung zu entkommen. Phänomene wie Ehrenmorde, die in der Regel dieser Form von Femiziden zugerechnet werden, stellen in gewisser Hinsicht ein Übergangsphänomen dar, als die Täter keineswegs Partner des Opfers sein müssen und ein, wenn auch tradierter Zweck verfolgt wird, nämlich die „Ehre“ der Familie auch öffentlich wiederherzustellen. Darüber hinaus verfolgt das aber keinen ökonomischen oder herrschaftlichen Anspruch.

Mord als Botschaft

Zu Feminiziden, die mit direkt ökonomischen Interessen verbunden sind, gehören beispielsweise Gewalt und Ermordung von Frauen im Zuge von Frauenhandel und Zwangsprostitution. Frauen oder trans Personen wird Gewalt bis zum Feminizid angetan, um ein Zeichen zu setzen: Wer sich gegen Verschleppung und Versklavung wehrt, muss damit rechnen, getötet zu werden. Der Mord ist also eine Botschaft an weitere potentielle Opfer, die für einen ökonomischen Zweck gefügig gemacht werden sollen – die Bereicherung des Zuhälters, anderer Krimineller und illegaler Geschäftemacher_Innen, die daraus Profit schlagen und die Prostitution und den Frauenhandel kontrollieren. Es gehört damit zum Zweck dieser Feminizide, dass die Täter als zuordenbare Gruppe anderen bekannt sind. Die Einschüchterung anderer funktioniert schließlich nur, wenn potentielle Opfer wissen, wer über sie Macht ausübt und durchsetzen kann.

Diese betrifft auch weitere Kapitaloperationen. So dienen Feminizide beispielsweise auch als Mittel zur Aneignung von Land indigener oder agrarischer Gemeinden durch das Agrobusiness oder extraktive Unternehmen in Lateinamerika oder Afrika. Vergewaltigungen oder Mord an Frauen sollen in diesen Fällen der Gemeinde, den zu Vertreibenden vor Augen führen, dass jeder Widerstand mit äußerst brutaler Gewalt niedergeschlagen wird. Die Täter führen so den Unterdrücken ihre Ohnmacht vor, knüpfen an einer patriarchalen Rollenverteilung an, indem sie auch den männlichen Mitgliedern des Dorfes oder der indigenen Gemeinde deutlich machen, dass sie nicht einmal in der Lage sind, „ihre“ Frauen zu schützen. Diese Form des Feminizids weist eine lange, koloniale Geschichte auf, die sich heute in neokolonialer und imperialistischer Ausbeutung fortsetzt. Mögen die Täter auch gedungene Mörder sein, so agieren sie nicht auf eigene Rechnung, sondern im Auftrag einer bestimmten Kapital- und Unternehmensgruppe, eines Grundbesitzers, eines multinationalen Konzerns oder von deren Mittelsmännern.

Weniger direkt, aber nichtsdestotrotz auf die Durchsetzung einer sozialen und ökonomischen Stellung bezogen sind Feminizide durch kriminelle Gangs, beispielsweise wenn es um die Kontrolle eines Stadtviertels geht. Diese verfolgen damit einen wirtschaftlichen Zweck. Der öffentliche Mord dient der Abschreckung.

Eine weitere Form des öffentlichen Feminizids stellt die Zunahme von Hexenmorden in einigen Ländern Afrikas und Indien dar. Um sich das Eigentum einer zumeist älteren, verwitweten Frau anzueignen, wird diese der Hexerei beschuldigt und mit dem Tod bestraft. Das Eigentum der Frau (z. B. Grund und Boden) geht nach der Tat an jüngere Angehörige oder an lokale Unternehmer über. Auch in diesem Fall erfolgt der Feminizid öffentlich, als Resultat einer (illegalen) Anklage, die von einem reaktionären Mob getragen wird.

Bei all diesen Formen ist nicht nur eine enge Verbindung zu Geschäfts- und Kapitalinteressen feststellbar, sondern oft auch zu staatlichen Institutionen wie der Polizei – sei es, indem diese selbst in unterdrückten Gemeinden ihre Stellung durch Mord zu unterstreichen suchen oder Feminizide an Marginalisierten, Sexarbeiter_Innen, trans Personen oder schwarzen und migrantischen Menschen nicht oder nur am Rande verfolgen.

Darüber hinaus finden wir indirekte oder direkte Formen staatlich sanktionierter Feminizide. Dazu gehören entweder durch reaktionäre, oft religiöse Institutionen und Kräfte forcierte öffentliche Tötungen von Frauen – z. B. Steinigung durch islamistische Mobs, aber auch Hexenverbrennungen, die von evangelikalen Fundamentalisten oder Hinduchauvinisten ermutigt werden. Andere Formen bilden Vergewaltigungen und Feminizide an national oder religiös unterdrückten Frauen. In bestimmten Fällen kann die Todesstrafe ein Feminizid sein, z. B. eine öffentliche Steinigung. In all diesen Fällen findet die Tat offen und öffentlich statt. Die Täter bilden eine reaktionäre, aggressive und mörderische Masse oder eine jubelnde Menge bei einer staatlich inszenierten Hinrichtung.

In diesen Fällen bildet der Feminizid ein Element zur Sicherung von Herrschaft, sei es, um durch die Mobilisierung einer kleinbürgerlichen Masse die politischen und gesellschaftlichen Gegner_Innen einzuschüchtern und eine erzreaktionäre politisches Kraft an die Macht zu bringen oder ein bestehendes Regime durch ritualisierten Mord zu festigen. Die sicherlich brutalste und extremste Form stellen dabei Vergewaltigung, Folter und Frauenmord als gezielt eingesetzte Mittel im Krieg und Bürger_Innenkrieg dar.

Die Verknüpfung mit Kapitalinteressen und staatlichen Institutionen erklärt auch, warum zu diesen viel weniger verlässliche Zahlen vorliegen. Deren Veröffentlichung ist selbst oft erst das Resultat von Kämpfen und durch Bewegungen erzwungenen öffentlichen Untersuchungen. Dass diese Frauenmorde überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein gelangen, als solche „anerkannt“ werden müssen, verdeutlicht, wie hartnäckig gerade der Feminizid politisch tabuisiert wird.

Folgerungen und Programm

Der Kampf gegen Femizide, Feminizide und deren Ursachen stellt eindeutig eine zentrale Aufgabe im Kampf gegen Frauenunterdrückung weltweit dar. Zweifellos bildet dabei der Kampf um die Ächtung dieser Morde, was in vielen Ländern schon mit dem um die öffentliche Anerkennung ihrer Existenz beginnt, einen unerlässlichen Ausgangspunkt. Femizide müssen in ihrer gesamten Dimension oft überhaupt erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und das heißt vor allem auch der Arbeiter_Innenklasse gerückt werden. Damit verbunden stellt auch der Kampf um die effektive Verfolgung dieser Straftaten einen wichtigen Bezugspunkt dar.

Vom Standpunkt der Arbeiter_Innenklasse geht es dabei jedoch nicht um möglichst drakonische Strafsysteme, wohl aber darum, dass Täter nicht straflos davonkommen dürfen oder bei sexistischer und rassistischer Polizei und Gerichten recht milde Behandlung finden. Daher treten wir dafür ein, dass Untersuchungen von Femiziden unter Kontrolle von Frauenorganisation durchgeführt, Richter_Innen von Frauen, also potentiellen Opfern, gewählt werden und mindestens die Hälfte aus Frauen besteht. Zugleich muss sichergestellt werden, dass vor allem Frauen aus der Arbeiter_Innenklasse, der Bäuer_Innenschaft, von rassistisch und national Unterdrückten voll repräsentiert sind.

Nicht weniger wichtig ist der Schutz möglicher Opfer und die Prävention. Dazu gehören dringende Sofortmaßnahmen wie der massive Ausbau von möglichen Schutz- und Rückzugsräumen für Frauen, deren Kinder und für geschlechtlich Unterdrückte, die vom Staat finanziert und unter Kontrolle von Frauenorganisationen selbstverwaltet betrieben werden.

Diese Forderungen dienen letztlich den Frauen aller Klassen, vor allem aber natürlich jenen aus der Arbeiter_Innenklasse und der Bäuer_Innenschaft.

Der Kampf gegen Femizide muss darüber hinaus aber auch mit dem zur Sicherung der Reproduktion der Arbeiter_Innenklasse und Unterdrückter, von Indigenen oder Minderheiten gemeinsam mit Ersteren verbunden werden. Die zunehmende Verarmung und Verelendung breiter Schichten, die Ausbreitung von Arbeitsbedingungen und Löhnen, die die Existenz immer weniger sichern, bedeuten, dass der Kampf gegen Femizide wie überhaupt gegen jede Form der häuslichen Gewalt eng verbunden werden muss mit dem gegen Armutslöhne, informelle und Kontraktarbeit, Tagelöhnerei und die Zerschlagung sozialer Sicherungssysteme. Daher fordern wir Mindestlöhne, die die Existenz sichern und an die Inflation angepasst werden; die Abschaffung aller informellen und prekären Beschäftigung und ihre Umwandlung in tariflich gesicherte, von den Gewerkschaften und Arbeiter_Innenkomitees kontrollierte; Arbeitslosen-, Krankengeld und Renten in der Höhe des Mindestlohns; ein Programm öffentlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeiten, das den massiven Ausbau von Kitas, Schulen, öffentlichen Betreuungseinrichtungen, Krankenhäusern, der Altenpflege, von Kantinen und anderen Einrichtungen zur Vergesellschaftung der Hausarbeit inkludiert.

Diese Forderungen richten sich gegen das Kapital als Klasse und stehen grundsätzlich im Interesse aller Unterdrückten, unabhängig von ihrem Geschlecht. Dennoch wäre es mechanisch und naiv, dass die proletarischen Männer in ihre Gesamtheit automatisch auf ihre Privilegien verzichten oder sexistische Verhaltens- und Denkweisen, die eng mit ihrer Geschlechterrolle verbunden sind, ablegen würden. Die proletarischen Frauen müssen daher das Recht haben, innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung eigene Treffen zu organisieren, um den Kampf voranzutreiben und männlichen Chauvinismus zu bekämpfen. Sie müssen eine proletarische Frauenbewegung aufbauen, um so Rückständigkeit und Chauvinismus zu bekämpfen, aber auch die Führung im Kampf um die Befreiung der Frauen aller unterdrückten Schichten einzunehmen.

Diese vier Punkte bezogen sich vor allem auf den Kampf gegen intime und verwandtschaftliche Femizide und ihre gesellschaftlichen Ursachen. Wie wir gerade aus den beiden letzten Kapiteln ersehen, sind sie eng mit dem Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung verbunden. Dies trifft ebenso auf den Kampf gegen Feminizide im Herrschaft- und Kapitalinteresse zu.

Da hier die Auftraggeber der Morde oft auch ökonomische Interessen verfolgen, steht der Kampf auch hier im engen Zusammenhang mit der Frage nach Kontrolle ökonomischer Ressourcen und des Eigentums.

Während die Täter beim Frauenmord in familiärem oder partnerschaftlichem Kontext einzelne Individuen oder kleine Gruppen sind, repräsentieren sie bei der zweiten Form der Feminizide eine gesellschaftliche Kraft, in deren Interesse sie agieren – z. B. eine bestimmte Sorte von Unternehmen, eine reaktionäre Bewegung. Um solchen Kräften entgegentreten zu können, bedarf es einer organisierten, von Massen oder Massenorganisationen getragenen Selbstverteidigung, letztlich des Aufbaus von bewaffneten Milizen der Arbeiter_Innen und Unterdrückten.

Die Verhinderung des Feminizids erfordert den Aufbau von Organen der Gegenmacht – und wirft somit die Machtfrage selbst auf. Dies betrifft letztlich auch die Frage der Sicherung der Reproduktionsbedingungen der Gesamtklasse wie der Enteignung von Kapital oder großer, illegaler Geschäftemacher, die systematisch in Frauenmorde verwickelt sind. Um die Verelendung der Klasse zu verhindern, können Reformen im Interesse der Arbeiter_Innenklasse nur eine vorübergehende Besserung schaffen. Um Banden der Großgrundbesitzer, rechtspopulistischer oder protofaschistischer Kräfte das Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.




TV-L: Warum unsere Lehrkräfte streiken!

November 2023

1. Warum unterstützen wir Streiks?

Wir befinden uns gerade mitten im Tarifkampf für einen neuen Tarifvertrag der Länder (kurz: TV-L). Konkret geht es um insgesamt 2,5 Millionen Beschäftigte, die 10,5 % Prozent mehr Gehalt und mindestens 500 € mehr fordern. Und was geht mich das an? Eine ganze Menge! Klar ist, dass zugegebenermaßen Streiks jeglicher Art, nicht so der Ort sind, an dem sich Jugendliche super wohl fühlen. Lauter alte Menschen ziehen mit bunten Westen und nervigen Trillerpfeifen durch die Innenstadt und wenn’s ganz doof kommt, fährt dann auch noch kein ÖPNV, die Krankenhäuser sind dicht, der Müll wird nicht abgeholt oder Geschäfte sind geschlossen. Doch genau hier zeigt sich, die reale Macht, die Streiks entfalten können: Da das Fortlaufen der kapitalistischen Produktionsweise darauf beruht, dass sich die Kapitalist_innen gesellschaftlich geschaffenen Mehrwert privat aneignen, wird sie durch Streiks dort getroffen, wo es ihr am meisten weh tut – bei den Profiten. Wenn eine ganze Belegschaft also kollektiv nicht zu Arbeit geht, können die Kapitalist_innen auch keinen Mehrwert abschöpfen und das wird sich sehr schnell negativ auf ihre Profite auswirken, sodass sie gezwungen sind, auf die Forderungen der Streikenden einzugehen. Deshalb haben die organisierte Arbeiter_innenklasse und ihre Streiks eine so wichtige Rolle, wenn es darum geht, das kapitalistische System aus den Angeln zu heben. Ob zum Beispiel im Kampf gegen den Klimawandel durch mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und ein ausgebautes Schienennetz bei der Bahn oder gegen den Umbau unserer Krankenhäuser zu Wirtschaftsunternehmen in der Pflege. Ebenso wurden bedeutende historische Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht oder das Ende des Ersten Weltkrieges durch Streiks durchgesetzt. Auch wenn die meisten Streiks nicht unmittelbar das kapitalistische System als Ganzes in Frage stellen, lässt doch jede durchgesetzte Streikforderung das klassenkämpferische Bewusstsein der Arbeiter_innenklasse anwachsen und ist ein Etappensieg im Kampf unserer Klasse gegen das Kapital. Ob bei der Bahn, in der Pflege oder bei den Angestellten der Länder: Jeder Streik verdient unsere vollste Solidarität!

2. Worum geht’s beim TV-L?

Die Anzahl der Beschäftigten, deren monatliche Löhne durch den Tarifvertrag der Länder geregelt werden, ist mit 2,5 Millionen ziemlich beachtlich. Das sind so viele Menschen wie in München, Leipzig und Dortmund zusammen wohnen! Dazu zählen vor allem Lehrer_innen und Erzieher_innen, aber auch viele Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiter_innen, Bauingineur_innen, Schulpsycholog_innen, Stadtplaner_innen, Systemtechniker_innen, Baumpfleger_innen, Hausmeister_innen usw. – alle Beschäftigten, die bei den Behörden und Institutionen des jeweiligen Bundeslandes angestellt sind. Leider zählen auch die Bullen dazu, die wir natürlich nicht als Teil der Arbeiter_innenklasse, sondern als Prügelknechte des bürgerlichen Staates betrachten. Wir treten für den Ausschluss ihrer Gewerkschaften aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein und solidarisieren uns nicht mit ihren Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, um uns zu schlagen und festzunehmen. So wie viele Bullen sind leider auch viele Lehrer_innen und andere Landesbeschäftigte Beamt_innen und dürfen aufgrund des restriktiven deutschen Streikrechts nicht selbst auf die Straße gehen, um für ihre Forderungen zu kämpfen.

In einem Tarifvertrag werden zwischen Arbeitgeber_innen und Gewerkschaften die Rechte und Pflichten der Beschäftigten und der Arbeitgeber_innen festgeschrieben und bieten für die Arbeiter_innen die Möglichkeit, Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen vertraglich festzuschreiben. Die Forderung mit denen nun die Gewerkschaften ver.di, die GEW und der Deutsche Beamtenbund für einen neuen TV-L in den Kampf ziehen sind 10,5 Prozent mehr Gehalt für alle. Und da 10,5 % mehr bei den niedrigen Einkommensgruppen nicht so viel ist, fordern sie mindestens 500 Euro mehr. Angesichts einer allgemeinen Teuerungsrate von 14% in den letzten 2 Jahren liegt diese vorsichtige Forderung aber sogar noch unter dem, wie die anstrengende Arbeit der Landesbeschäftigten täglich entwertet wird. Außerdem sollen die studentischen Beschäftigen an den Universitäten, die aktuell in vielen Bundesländern vollkommen wild bezahlt oder nicht-bezahlt werden, auch in den Tarifvertrag mit eingegliedert werden. Der Arbeitgeberverband der Länder (TdL) hat jedoch bereits in der ersten Verhandlungsrunde gesagt, dass er alle Forderungen komplett überzogen findet und angesichts „leerer Kassen“ keine Möglichkeit sieht, diese umzusetzen. Wenn wir uns ansehen, dass der deutsche Staat jedoch ein mehrere Milliarden hohes Steuerplus erwartet und 100 Milliarden in die Bundeswehr steckt, wird klar, dass das einfach nur eine dreiste Lüge ist. Vielmehr ist die Ampelregierung einfach nicht dazu bereit, mehr Geld in Bildung, Erziehung und andere öffentliche Aufgaben zu stecken. Die Blockadehaltung der TdL ist Teil des gigantischen Sparprogrammes, mit dem in der sozialen Daseinsvorsorge gekürzt werden soll, um die gesparten Milliarden in Aufrüstung und Unternehmenssubvention zu stecken. So verkörpert der Haushaltsentwurf der Ampel für 2024 einen fetten Sozialkahlschlag, den wir so seit der Agenda 2010 nicht mehr gesehen haben. Konkret geht es darum in Bildung, Obdachlosenhilfe, Sozialer Arbeit, Humanitärer Hilfe, Katastrophenschutz, Bundesfreiwilligendienst, Prävention gegen sexuelle Gewalt, BAföG und Hilfe für Menschen mit Behinderung mehrere Milliarden wegzukürzen, um diese in Bundeswehr und die Unterstützung von Unternehmen („Wachstumsförderungsgesetz“) zu stecken. Die Landesbeschäftigten müssen also erkennen, dass sie mit ihrem Kampf für einen TV-L gegen diese brutale Umverteilung öffentlicher Gelder vorgehen können!

3. Warum betrifft das uns Schüler_innen?

Wie oben schon erwähnt, betrifft uns eigentlich jeder Streik, denn erfolgreiche Streiks sind auch wieder motivierend für andere Berufsbranchen und heben das Bewusstsein der Klasse im Allgemeinen. Doch gerade beim TV-L geht es konkret um die Frage, wie viel Geld in die Rüstung und viel in die Schulen gesteckt wird. Ob kaputte Schulgebäude, stinkende Schulklos, mehr Klassenarbeiten, gestresste Lehrer_innen oder ständiger Unterrichtsausfall: die aktuelle Bildungskrise hängt davon ab, wie viel Geld der Staat für die Schulen auf den Tisch legt. Somit sind wir zwar nicht direkt durch den TV-L betroffen, da wir kein Geld fürs Lernen erhalten. Jedoch betrifft uns sein Ergebnis indirekt sehr stark, denn ein starker Abschluss bedeutet eine feste Zusicherung von mehr Geld im Bildungssystem, mit dem strukturelle Probleme wie der Personalmangel angegangen werden können. Ein starker TV-L bedeutet, die Umverteilungsplänen der Ampel mit den Mitteln des Klassenkampfes ein Stück weit aufzuhalten. Wenn am 28.11. also unsere Lehrer_innen für den TV-L streiken, heißt das nicht nur Schulausfall, sondern das heißt, dass sie unsere vollste Unterstützung bei ihrem Kampf brauchen. Auch wenn Frau Schmanz ungerechte Noten gibt und Herr Weiß den langweiligsten Unterricht der Welt macht – in diesem Kampf stehen wir an ihrer Seite, denn ihr Kampf ist auch der unsere. Jede Schwäche in ihrer Mobilisierung wird den Arbeitgeberverband nur dazu ermutigen, ein schlechteres Ergebnis und damit weniger Geld im Bildungssystem durchzusetzen.

4. Wie können wir die Streiks für den TV-L unterstützen?

Am 28.11. werden bundesweit die angestellten Lehrer_innen streiken. Meistens gibt es am Streiktag selbst einen Streikposten vor dem Schultor. Dort kann man vor Ort mit den streikenden Lehrer_innen reden, wie wir sie unterstützen können. Wenn sie korrekt sind, nehmen sie uns vielleicht auch direkt mit auf die Streikdemo oder machen daraus eine Politik-Exkursion. Oder ihr geht einfach selbst hin, wenn der Unterricht wegen des Streiks komplett ausfallen sollte. Ihr könnt auch ein kleines Flugblatt schreiben, dass ihr die Idee cool findet, und allen Lehrer_innen ins Fach legen. Auch das motiviert sie und hilft ihnen vielleicht auch bei Konflikten mit der Schulleitung, die Streiks meistens gar nicht toll findet. Auf einer Vollversammlung oder Sitzung der Schüler_innenvertretung kann eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden, dass der Streik von uns Schüler_innen unterstützt wird. Wichtig ist, dass ihr gleich loslegt, denn der 28.11. ist nicht mehr weit entfernt.

Da wir uns jedoch mit unseren Lehrer_innen als gleichberechtigte Partner_innen im Kampf gegen die geplanten Angriffe auf das Bildungssystem verstehen, ist es wichtig, dass wir nicht nur die Forderungen der Gewerkschaften unterstützen, sondern auch eigene Ideen aufwerfen, um die Probleme anzugehen, die uns täglich in der Schule betreffen. Wir fordern deshalb zum Lehrer_innenstreik auch die Bildung einer Beschwerdestelle gegen Diskriminierung an jeder Schule. Diese muss unabhängig von der Schulleitung sein und gemeinsam von wähl- und abwählbaren Schüler_innen und Lehrkräften kontrolliert werden. Dafür brauchen wir an jeder Schule eine Art Antidiskriminierungs-Awarenessteam, das jederzeit ansprechbar ist und in dem auch von Diskriminierung betroffene Menschen selbst dabei sind. Es muss möglich sein, dort auch anonym eine Beschwerde über diskriminierendes Verhalten an der Schule einzureichen. Außerdem braucht die Beschwerdestelle eigene Befugnisse, um auch selbst gegen die Diskriminierung aktiv werden zu können. Das ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern wir können gleich morgen damit beginnen, diskriminierenden Strukturen an unseren Schulen den Kampf anzusagen!

5. Wie geht es nach dem 28.11. weiter mit dem TV-L?

Leider verstehen sich die Führungen der Gewerkschaften in Deutschland nicht als Anführer_innen im Klassenkampf, sondern eher als Co-Verwaltung des kapitalistischen Systems. Das haben wir beispielsweise daran gesehen, dass sie keine großen Kampfmobilisierungen gegen die Corona-Krise, die Klimakrise oder die Aufrüstungspolitik organisiert, sondern stattdessen den Burgfrieden mit dem deutschen Kapital gesucht haben. Es ist also zu erwarten, dass sie nicht die volle Stärke ihrer Basis mobilisieren werden, dort wo sie schwach aufgestellt sind großangelegte Kampagnen zur Mitgliedergewinnung starten und dann ausgehend vom Vollstreik die Urabstimmung zum unbefristeten Erzwingungsstreik einleiten. Das bräuchte es aber, denn die einzelnen Nadelstiche der aktuellen Streikpolitik von ver.di und GEW tun dem Arbeitgeberband nicht weh, sodass dieser wahrscheinlich, wie schon zuvor beim Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TV-ÖD), mit einem schlechten Abschluss mit schlappen 5,5 % Lohnerhöhung rechnet. Dass die Gewerkschaftsführungen nicht gewillt sind, sich mit voller Stärke in den Kampf zu werfen, zeigt sich schon daran, dass gar nicht geplant ist, dass alle Beschäftigtengruppen am selben Tag streiken. Stattdessen streiken alle Berufsgruppen total vereinzelt, heute die Erzieher_innen, übermorgen die Lehrer_innen. Diese Taktik freut allein die Arbeitgeber. Dass die Beschäftigten auf diese Vereinzelung eigentlich keine Lust haben, hat am 17.10. eindrucksvoll eine Streikversammlung der Berliner Lehrer_innen gezeigt, bei der die absolute Mehrheit für eine Zusammenlegung der Streiktage gestimmt hat. Ähnlich hat sich auch das ver.di-Aktionskomitee der FU Berlin positioniert. Dieses klare Stimmungsbild wurde jedoch von der Bürokratie übergangen. Dieses undemokratische Verständnis von Gewerkschaftspolitik zeigt uns, dass es in allen Betrieben und Einrichtungen Streikkomitees brauch, die über wähl- und abwählbare Delegierte selber entscheiden, welche konkreten Kampfhandlungen als nächstes unternommen werden und wie die nächsten Streiktage aussehen. Ferner dürfen nicht die Gewerkschaftsbürokrat_innen entscheiden, ob ein Angebot der Arbeitgeberseite angenommen wird, sondern nur die Streikenden selbst!




Wie können wir Antisemitismus beenden?

Von Felix Ruga, November 2023

Heute ist der 9.11. und damit der Tag, an dem man sich an die mörderischen antisemitischen Pogrome in Deutschland vor 85 Jahre erinnert. Die Hoffnung, dass die Gesellschaft aus der Shoah gelernt hat und der Antisemitismus überwunden ist, hat sich mitnichten erfüllt: Davidsterne an Hauswänden jüdischer Bewohner_Innen, Brandanschläge auf Synagogen, der antisemitische Angriff in Dagestan, rechtsextreme Angriffe auf KZ-Gedenkstätten, ein weltweiter Aufstieg der extremen bis faschistischen Rechten, Rekordzahlen für die Freien Wähler nach dem Aiwanger-Skandal, blinde Flecken des Staates auf Nazi-Strukturen in und um ihn herum, die Schuldzuweisung und Attacken auf jüdische Menschen für die Taten Israels, das Silencen jüdischer Menschen, die gegen das Unrecht des Israelsischen Staates eintreten.

In diesem Artikel wollen wir runterbrechen, wie wir uns den Antisemitismus und die Möglichkeit dessen Überwindung erklären. Wegen der Komplexität wird das nicht vollständig möglich sein, aber wir können euch noch weitere Texte empfehlen.

Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus ist zunächst erst einmal Rassismus gegen Jüd_Innen und trägt damit auch viele Eigenschaften, die auch sonstige Formen rassistischer Unterdrückung haben: Ausschluss aus der Mehrheitsgesellschaft als „die Anderen“, konstruierte Vorurteile, systemische Unterdrückung durch Entrechtung, Unsichtbarmachung oder Mystifizierung der Geschichte und kultureller Eigenheiten, um nur einige Aspekte zu nennen. Aber gleichzeitig ist der Antisemitismus auch eine besondere Form des Rassismus. Während beispielsweise der Rassismus meist von einer Art kulturellen Überlegenheit der „weißen Herrenrasse“ ausgeht, um Überausbeutung und Versklavung zu rechtfertigen, wird im Antisemitismus von einer Bedrohung der „weißen Herrenrasse“ durch angebliche „Weltherrschaftspläne der Juden“ ausgegangen. Anti-jüdische Pogrome, Massenmord und Verschwörungstheorien waren und sind die schrecklichen Konsequenzen dieser Ideologie. Die Geschichte des Antisemitismus ist mit der von Vertreibung und Unterdrückung geprägten, vielfältigen jüdischen Geschichte verbunden, auf die an dieser Stelle jedoch nicht tiefer eingegangen werden kann.

Rolle im Kapitalismus

Es gab auch schon lange vor der Entstehung des Kapitalismus antijüdischen Hass, aber wir wollen uns hier besonders auf die Funktion des Antisemitismus im Kapitalismus beziehen. Er versucht nämlich, der abstrakten Gewalt des Kapitalismus ein konkretes und angreifbares Ziel zu geben. Denn das Besondere am Kapitalismus ist, dass sich seine Logik durch eine stumme Rationalität durchsetzt. Konkurrenz und Krisen existieren ohne den Willen von irgendwem. Die herrschende Klasse lenkt die Gesellschaft zwar, muss sich aber selbst an die Gesetze der Warenproduktion halten und kann sich im Zweifelsfall auch auf diese „Alternativlosigkeiten“ zurückziehen. Alle anderen spüren diese Gewalt an der eigenen Haut und es ist nur schwer auszuhalten, wenn man den eigenen Frust nicht wirklich adressieren kann, weil man entweder den Kapitalismus als unveränderlich akzeptiert, Klassenkampf verunmöglicht wird oder weil man selbst vom eigenen, wenn auch meist kleinen, Kapital lebt.

Deswegen ist der Drang nach einer antisemitischen Auflösung dieser Frustration, vor allem innerhalb des Kleinbürgertums, in Krisenzeiten und nach großen Niederlagen der Arbeiter_Innenbewegung besonders groß. Der Antisemitismus gibt der kapitalistischen Gewalt ein Gesicht, indem das mittelalterliche Zerrbild des „wuchernden Juden“ mit allem identifiziert wird, was man für „schlecht“ am Kapitalismus erklärt. Dabei wird jedoch der Kapitalismus nicht als Ganzes kritisiert, denn man muss nur den „guten, deutschen“ Kapitalismus vom „Schlechten“ befreien. Damit wird ein Aufstand auf ein Ersatzobjekt gerichtet. In der Shoah hat sich gezeigt, dass die Gesellschaft von einem Volk zu „befreien“, im Endeffekt bedeutet, dieses auszulöschen.

Es gibt Ideologien, die nicht konkret Jüd_Innen angreifen, aber ebenfalls imaginieren, dass eine kleine Gruppe die eigentlich gesunde kapitalistische Gesellschaft verdirbt. Diesen Mechanismus findet man in Verschwörungsideologien wieder. Das muss nicht automatisch Antisemitismus sein, ist aber dennoch gefährlich und hat fast immer eine offene Flanke dazu.

Und was ist mit Israel?

Reden wir also nun über den Elefanten im Raum. Denn schaut man sich die „Debatte“ in Deutschland an, scheint der israelbezogene Antisemitismus zu dominieren. Der häufigste Vorwurf ist wohl, dass Palästinenser_Innen und Antiimps mit ihrer Kritik am Staate Israel getarnt ihrem Antisemitismus Luft verschaffen würden, weil das weniger sozial geächtet ist. Diese „Kritik“ ist bloße Unterstellung und wird in der Regel komplett entkoppelt von den tatsächlichen Verhältnissen im Nahen Osten, von der Siedlungspolitik Israels und der Unterdrückung der Palästinenser_Innen. Solcherlei Vorwürfe weisen wir entschieden zurück.

Israelbezogener Antisemitismus existiert jedoch sehr wohl. Zum Beispiel dann, wenn die Brutalität Israels als etwas „jüdisches“ oder Israel als Zentrum einer Weltverschwörung dargestellt wird, aber auch dann, wenn „die Jüd_Innen“ mit Israel identifiziert werden, zum Beispiel indem sich Jüd_Innen für israelische Politik rechtfertigen sollen oder, in den schlimmsten Fällen, angegriffen oder ermordet werden.

Aber auch wenn der imperialistische deutsche Staat denkt, er könne sich von der historischen Schuld gegenüber den Jüd_Innen befreien, indem er kritikloser Verfechter Israels ist, trägt das etwas Antisemitisches in sich, denn das setzt den Zionismus mit den Jüd_Innen gleich und macht all jene von ihnen unsichtbar, die sich nicht mit der zionistischen Ideologie identifizieren können. Werden dann auch noch linke Jüd_Innen für ihre Positionen als antisemitisch kriminalisiert, kann es wirklich absurd werden.

Wie wollen wir dagegen kämpfen?

Das offensichtlichste zuerst: Wir dürfen nicht auf den rassistischen Versuch reinfallen, den Antisemitismus als „importiert“ darzustellen. Antisemitische Position werden zwar in manchen islamistisch geprägten Ländern offen verbreitet, aber auch in Deutschland hat es eine tiefgreifende und kollektive Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus nie gegeben, denn das würde eine Kritik des Kapitalismus, des Mitläufertums, der Schuldabwehr und so weiter voraussetzen.

Viele Beispiele und Statistiken zeigen: Der Antisemitismus blieb immer integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft und kommt meist von rechts. Antisemitismus ist aber nicht ausschließlich ein Problem des „falschen Weltbildes“, sondern ein Produkt von sozialen Strukturen und damit heute der kapitalistischen Produktionsweise. Radikal gegen Antisemitismus zu sein, bedeutet auch radikal antikapitalistisch zu sein, denn radikal heißt, das Problem an der Wurzel anzupacken. Antisemitismus zu bekämpfen, bedeutet auch, dem Nationalismus seine Grundlage zu entziehen und das deutsche Kapital als unseren größten Feind zu betrachten. Dafür brauchen wir ein antikapitalistisches Programm, das uns Jugendlichen einen Weg aufzeigt, wie wir unseren Kampf gegen Rassismus, Rechtsruck und Nationalismus zu einem Kampf für eine befreite Gesellschaft ausweiten können. Um die kapitalistische Produktionsweise durch eine neue ersetzen zu können, gilt es dabei, die Arbeiter_Innenklasse für unsere Ziele zu gewinnen. Antisemitischen Vorurteilen müssen wir dabei auf schärfste kritisieren und bekämpfen.

Wenn wir uns nicht gegen Antisemitismus organisieren, werden wir den Kapitalismus nicht abschaffen können und andersherum wird Antisemitismus immer weiter existieren, solange ihn die kapitalistische Produktionsweise anfeuert. Im Rahmen dessen müssen wir im Hier und Jetzt Forderungen aufstellen, die Antisemitismus entgegenwirken und die Widersprüche mit dem Kapitalismus zuspitzen. Dazu gehört die Verteidigung des Rechts auf die freie Ausübung von Religion und Kultur. Ebenso müssen wir das Recht auf Schutz gegenüber Angriffen auf jüdische Einrichtungen und Menschen einfordern und antirassistische Selbstverteidigungsstrukturen organisieren. Auch kann kein kapitalistischer Nationalstaat vollständigen Schutz gegenüber Antisemitismus gewähren. In Israel müssen wir deshalb für die Beendigung der Besatzung und eine sozialistische Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes eintreten, damit die dort ansässige Bevölkerung Ruhe und Frieden finden kann. Lasst uns den rechten Pseudokämpfen gegen Antisemitismus eine revolutionäre antikapitalistische Perspektive auf der Grundlage einer marxistischen Analyse entgegensetzen, damit sich die Shoah niemals wiederholt!




„From the river to the sea“ – Ist das schon Antisemitismus?

Von Lia Malinovski und Felix Ruga, Oktober 2023

Während in Gaza die Luft brennt, verschiebt sich in Deutschland die Debatte nach rechts und wird zunehmend repressiver. Wie selbstverständlich ist der deutsche Staat dabei mitgegangen und meint nun zu erkennen: Antizionismus ist tatsächlich Antisemitismus! Dementsprechend haben wochenlange Verbote jeglicher palästinasolidarischen Demonstrationen kaum mehr eine Erklärung bedurft, außer dass sie „antiisraelisch“ und dementsprechend praktisch schon volksverhetzend sind. Aber auch schon einzelne Aussagen und Demosprüche sind betroffen: Mit der absurden Vorstellung, dass der Ausruf „From the river to the sea, palestine will be free!“ (Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein) die Vernichtung aller Jüd_Innen im Nahen Osten fordere, gab es schon zig Festnahmen. Wir wollen im Folgenden kurz beleuchten, warum es nichts mit Antisemitismus zu tun hat, sich eine fortschrittliche Lösung des Nahostkonflikts und ein sicheres Leben für Jüd_Innen fernab von militärischer Gewalt vorstellen zu können.

Niemand ist frei…

Der Slogan fordert ein befreites Palästina auf dem gesamten historischen Gebiet. Was nun “frei” und “Palästina” bedeutet, ist offen. Viele meinen einfach Gerechtigkeit für alle, ob sie nun in Israel oder Palästina leben. Die “offizielle Lesart” ist nun jedoch, dass man mit dem Slogan die Zerschlagung Israels fordere. Aber dass das als eliminatorischen Antisemitismus gebrandmarkt wird, liegt am Aberglauben an die Unausweichlichkeit eines ethno-nationalistischen Apartheidstaat als jüdischen Schutzraum. Dieses Schutzbedürfnis ist mehr als berechtigt, denn spätestens seit der Shoah ist klar, welche Ausmaße der Antisemitismus annehmen kann, der weltweit seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt und nie abgenommen hat. Dieser Schutz wird in Israel gesehen.

Letztendlich ist Israel aber nicht dazu in der Lage, Antisemitismus tatsächlich zu bekämpfen. Es ist höchstens dazu in der Lage, unter extrem prekären Verhältnissen zumindest einen Nationalstaat zu schaffen, in denen Jüd_Innen die Mehrheit darstellen und dementsprechend keine antisemitische Bedrohung durch ihren eigenen Staat befürchten müssen. Aber dieser Schutz ist unter anderem so prekär, weil das zum Leidwesen einer anderen Volksgruppe, nämlich der palästinensischen geschieht. Der israelischen Politik fiel als Lösung dieses Konflikts nur ein, mit noch mehr Militär und noch mehr Unterdrückung jeglichen palästinensischen Widerstand kleinzuhalten. Das ist weder menschlich erträglich noch fortschrittlich! Ganz im Gegenteil!

Insgesamt wird dabei verkannt oder ausgeblendet, dass Israel ein Klassenstaat ist. Es ist ein kapitalistischer Staat, es gibt Klassenspaltung und entsprechend auch Klassenkampf. Es gibt innere Widersprüche und Konflikte, mit denen der Staat zu kämpfen hat. Es gibt eine Ausbeuter_Innenklasse (Bourgeoisie) und mehrere Klassen der Ausgebeuteten (Proletariat und in Teilen die Kleinbauernschaft). Anhand dessen müsste allen linken und klassenbewussten Kräften klar sein, dass es nicht „ein Interesse“ der Jüd_Innen im Allgemeinen gibt, was ein Denken in nationalistischen Kategorien entspricht. Vielmehr gibt es je nach Stellung im Produktionsprozess, wie auch je nach gesellschaftlicher Stellung und daraus resultierender Unterdrückung (beispielsweise Rassismus), verschiedene entgegengesetzte Interessen, die ein Staat niemals zugleich befriedigen kann. Wie alle anderen bürgerlich-kapitalistischen Staaten muss auch Israel in erster Linie die Interessen der Bourgeoisie vertreten, zuungunsten der israelischen Arbeiter_Innen.

Neben den tödlichsten Formen des Antisemitismus existiert noch weitaus mehr Formen des Antisemitismus, auf die Israel keine Antwort ist. Gerade die jüdische Arbeiter_Innenklasse ist neben der alltäglichen Diskriminierung zusätzlich von Unterdrückung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, sowie in sämtlichen weiteren gesellschaftlichen Bereichen betroffen. Diese „zusätzliche“ Unterdrückung, die den größten Teil aller Jüd_Innen weltweit betrifft, wird von Israel nur so lange bekämpft, wie es nicht den (ökonomischen) Interessen der israelischen Bourgeoisie widerspricht. Es treffen also verschiedene, sich entgegengesetzte Interessen aufeinander, sodass ein tatsächlicher Schutz und die tatsächliche Bekämpfung von Antisemitismus gar nicht möglich sind. Es kann im Kapitalismus auch kein tatsächlicher Schutzraum bestehen. Kritik und Ablehnung dieses gesamten Systems im Nahen Osten ist mehr als gerechtfertigt. Weltweit stellen sich viele Jüd_Innen gegen die Politik und das Apartheidsystem Israels.

Anhand der Ausführung wird klar, dass die Forderung nach Zerschlagung Israels nicht antisemitisch sein muss, gerade wenn sie von Links kommt. Und das ist kein linksradikales Hirngespinst: So könnte man die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ nennen, welche einigen Support aus der Wissenschaft bekommen hat. Darin heißt es: „Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner_Innen zwischen dem [Jordan] und dem Meer volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

zwischen Fluss und Meer?

Wir sollten uns aber auch im Klaren darüber sein, dass es verschiedenste Ziele und Strategien gibt, ein befreites Palästina zu erreichen und wie dieses aussehen soll. So wollen beispielsweise reaktionäre Kräfte wie die Hamas kein säkulares Palästina, sondern einen neuen religiösen und fundamentalistischen Staat. Auch soll kein multiethnischer Staat errichtet werden, sondern es soll weiterhin ein Staat, beruhend auf (religiös begründetem) Rassismus bestehen bleiben, dann gerichtet gegen die Jüd_Innen in der Region. Das ist selbstverständlich abzulehnen. Andere Kräfte, insbesondere Fatah und damit auch die Palästinensische Autonomiebehörde sowie bedeutende Teile der israelischen Zivilgesellschaft, sehnen sich nach der gescheiterten Zwei-Staaten-Lösung und fahren eine Politik der Versöhnung. Es soll einen Staat Palästina geben, neben einem Staat Israel. An sich klingt das erstmal nach einer guten Idee, in der Praxis ist das jedoch nicht umsetzbar, da Israel auf Siedlerkolonialismus und damit einhergehend der Vertreibung der Palästinenser_Innen aufbaut. Beide Bestrebungen sind Sackgassen für den palästinensischen Widerstand und kein Weg zur Befriedung des Nahen Ostens. Sowohl Frieden mit dem Unterdrücker als auch neue Unterdrückung müssen wir als Kommunist_Innen entschieden ablehnen und bekämpfen.

Ein tatsächlich befreites Palästina kann nur säkular, multiethnisch und vor allem sozialistisch sein. Es muss eingegliedert sein in eine Föderation sozialistischer Staaten im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, nach einem Programm der permanenten Revolution. Es müssen Staatsbürger_Innenrechte für alle gelten, die dort leben, es muss das Recht auf Rückkehr für alle Vertriebenen geben, sowie eine gemeinsame demokratische Verwaltung des Gebietes, auf der Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Planung der Wirtschaft. Um das zu erreichen, müssen wir die Spaltung zwischen der israelischen und der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse überwinden, denn diese beiden sind es, die das Potenzial haben, ein sozialistisches Palästina zu erkämpfen. Dazu muss die israelische Arbeiter_Innenklasse mit dem Zionismus brechen. Innerhalb der israelischen und palästinensischen Linken ist diese sogenannte Einstaatenlösung recht weit verbreitet.

Das klingt jedoch alles ziemlich utopisch und das ist es wahrscheinlich auch. Die israelische Arbeiter_Innenklasse ist mit der Gewerkschaft Histadrut eng an den Zionismus gebunden. Die reaktionäre Hamas bestimmt offenkundig den militanten Widerstand. Und die Fatah glaubt weiterhin an die Zwei-Staaten-Lösung und ist nicht bereit, damit zu brechen. Kommunist_Innen in Israel und Palästina werden verfolgt, wurden gefoltert und ermordet. Wir müssen also Taktiken entwickeln, die den Einfluss dieser ganzen Akteur_Innen schwinden lässt und die Bevölkerung von ihnen wegbricht.

Hierfür ist ein konsequenter Kampf gegen die israelische Besatzung notwendig, die nicht vor den Unterdrücker_Innen einknickt. Das Ziel muss es sein, eine neue Intifada zu erreichen, also einen allgemeinen und demokratischen Aufstand gegen den Apartheidstaat. Bei den Streiks, Demonstrationen und Aktionen soll konkret auch auf die israelische Linke zugegangen werden und eine Vereinigung der palästinensischen und israelischen Arbeiter_Innenklasse erreicht werden. Die großen Demos im letzten Jahr gegen die Justizreform haben schon die Potentiale gezeigt. Der revolutionäre Kampf kann die Grundlage für die Verständigung darstellen, um diese Vereinigung zu erreichen, alte Wunden zu heilen und jene zionistischen und islamistischen Kräfte zu besiegen, die genau das fürchten!