Wehrpflicht?! Nein danke! – Keinen Cent, keinen Menschen dem Militarismus!

Von Stephie Murcatto, August 2023, REVOLUTION Zeitung September 2023

Mein etwas pazifistischer Deutschlehrer hat uns jahrelang gewarnt, dass die „Wehrpflicht nur ausgesetzt“ sei und wir deswegen auf uns aufpassen sollten. Damals haben wir etwas mit den Augen gerollt, jetzt hat er recht: Nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 ist die Frage noch nie so groß diskutiert worden wie jetzt. Es ist eine Frage, die besonders uns Jugendliche betrifft und für uns wichtig ist, da wir diejenigen sind, die letztendlich eingezogen werden und als Kanonenfutter für das deutsche Kapital agieren sollen. Aber wie man es kennt, werden in der Debatte natürlich nicht wir Jugendliche gefragt, sondern es wird von den Politik_Innen der verschiedenen Parteien über unsere Köpfe hinweg diskutiert.

Angefangen hat die Debatte mit unserem jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. So sagte er in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“, Zitat: „(…) ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen.“ Der Bundespräsident möchte damit der Jugend helfen, indem er ihnen die Möglichkeit gibt, „aus der eigenen Blase herauszukommen“ und „neue Menschen kennenzulernen“. Diese Debatte wurde dann von verschiedenen Seiten aufgenommen, unter anderem von unserem Verteidigungsminister Boris Pistorius aus der ach so sozialen SPD, der sagte: „Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Fehler“, und sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht einsetzte.

Am stärksten aber kamen die Stimmen für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht von Seiten der AfD, die das sogar in ihrem Grundsatzprogramm festgeschrieben hat, und aus der Bundeswehr selbst, wo der Reservistenverband sich immer wieder für die Notwendigkeit einer Wehrpflicht ausspricht. Man merkt also: Die Wehrplicht-Freund_Innen werden lauter.

Dass Jugendliche nur selten zu diesen gehört, verwundert nicht, denn für uns ist klar, dass vom Ausbilder angeschnautzt zu werden oder gar an der Front zu sterben, nicht das erstrebenswerte Leben ist. Darüber hinaus ist es nicht in unserem Interesse, die Aufrüstung zu unterstützen, da die Bundeswehr am Ende des Tages ein Militär ist, das die Interessen des deutschen Kapitals vertritt. Die „Verteidigung Deutschlands“, was ja ihr Zweck ist, ist letztendlich eine Verteidigung deutscher Profite und keine Verteidigung der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend.

Aber warum kommt die Debatte gerade jetzt wieder auf?

Diese Frage beantworten die bürgerlichen Politiker_Innen ausnahmsweise mal ehrlich: Es liegt an der Zuspitzung der Weltlage, unter anderem durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. In solchen Zeiten des Krieges soll laut den bürgerlichen Politiker_Innen Deutschland wieder die Möglichkeit bekommen, sich zu verteidigen und ein Heer aufzubauen, was Abschreckungspolitik gegenüber Putin machen kann. Denn nur so könne man die Sicherheit Deutschlands und „des Westens“ gewährleisten. Doch die Realität sieht etwas anders aus: 100 Milliarden für die Bundeswehr kommen dann plötzlich ganz schnell, während es lautet, dass für unsere soziale Absicherung eigentlich gar kein Geld bleibt, weswegen Sozialleistungen und die Reallöhne sinken. Natürlich geht es eigentlich um Aufrüstung. Denn nicht nur Russland, sondern auch die Nato hat innerhalb des Ukraine-Kriegs klare Interessen. Die NATO versucht mit diesem Krieg eine Stärkung des russischen Imperialismus zu verhindern, während sie gleichzeitig sich auf verstärkte weltweite Konfrontation vorbereiten und ihren Machtbereich ausweitet.

Hierbei kann die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine Rolle spielen, denn mit Geld allein gewinnt man kein Krieg. Der Bundeswehr fehlen seit Jahren die Rekrut_Innen, weswegen sie einen überall mit ihrer Werbung nervt. Man hat sie ursprünglich zu einer Berufsarmee gemacht, weil man mit den neuartigen Waffensystemen eigentlich viele Jahre Ausbildung braucht und sich der finanzielle Aufwand nicht mehr gelohnt hat, Hundertausende jedes Jahr grundständig auszubilden. Mit der drohenden Eskalation will man wohl nicht mehr auf Freiwilligkeit setzen.

Denn immer mehr steuert die Weltlage auf eine Konfrontation zwischen den Machtblöcken zu, ob es nun mit Russland oder China sein mag. Als Reaktion auf die sich verstärkende Blockbildung rüstet der westliche Imperialismus immer mehr auf, um auch am Ende als Sieger dazustehen zu können. Ein Krieg zwischen fügt uns Jugendlichen und jungen Arbeiter_Innen nur Schaden zu, während die Kapitalist_Innen aktiv davon profitieren. Für uns sollte also klar sein, dass wir einer solchen Aufrüstung und einer solchen Verschärfung der Lage entgegentreten müssen!

Aber wie setzen wir uns diesen Angriffen auf unsere Rechte entgegen?

Zur Verteidigung unserer Rechte bietet uns die bürgerliche Politik keine Perspektive. Sie verfolgt ja gerade diese nationalistische Machtpolitik und kann dabei keine Rücksicht auf uns Jugendliche nehmen, welche am akutesten von der Wehrpflicht und der Aufrüstung betroffen ist. Wir müssen uns für eine unabhängige und internationale Politik der Jugend und der Arbeiter_Innen einsetzen, denn nur wenn wir selbst die Entscheidungskraft an uns reißen, können wir auch Antworten finden.

Aber um das zu erreichen, müssen wir erst einmal eine größere und internationalistische Bewegung gegen den Krieg und gegen die Aufrüstung aufbauen. Konkret sollten dabei unsere Bündnispartner_Innen die Gewerkschaften und die traditionellen Organisationen der Arbeiter_Innenklasse sein, die mit konkreten Forderungen einen Kampf führen. Denn letztendlich ist es die Arbeiter_Innenklasse, die die Macht hat, mit Aktionen des Klassenkampfes dieses System, den Kapitalismus zu überwinden, der immer wieder Kriege und Krisen hervorgebracht hat und es immer wieder wird.

Aber es braucht nicht nur eine Perspektive der Arbeiter_Innenklasse dafür, sondern auch wir Jugendliche müssen uns gegen die Aufrüstung und für soziale Verbesserungen einsetzen. Dafür müssen wir uns organisieren, konkret an den Orten, wo wir sind, also in der Schule, an der Uni und in der Ausbildung.

Aber das Problem lässt sich nicht national lösen, denn die verschärfte Blockbildung und Aufrüstung passieren nicht nur hier in Deutschland, sondern international. Gerade die, die nicht von den Profiten leben, sondern zu diesen benutzt werden, tragen in sich die Perspektive der internationalen Vereinigung. Deshalb brauchen wir auch eine internationale Organisation der Jugend gegen Krieg und Krise und fordern:

  • Für eine revolutionäre Jugendinternationale! Die Jugend braucht eine unabhängige und internationale Vertretung. Für den Aufbau einer Schüler_Innengewerkschaft, die unsere Interessen gemeinsam mit der Arbeiter_Innenklasse vertritt und durchsetzt!
  • Nein zur Wehrpflicht! Wir wollen kein Kanonenfutter sein!
  • 100 Milliarden für Soziales, Bildung und die Jugend und nicht für die Bundeswehr! Gegen jede Aufrüstung aller imperialistischen Nationen, ob Russland oder Deutschland!
  • Für eine Antikriegsbewegung international! Nur die Arbeiter_Innen können den Konflikt lösen.



Erneute rassistische Angriffe der EU – Die neue Asylrechtsreform und das Abkommen mit Tunesien

Von Pauline P., August 2023, REVOLUTION Zeitung September 2023

Die Asylrechts“reform“

Die EU-Innenminister_Innen beschlossen am 8. Juni eine „Reform“ des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS), welche für ein Inkrafttreten nun nur noch die gesetzgebenden Institutionen passieren muss. Diese Reform sieht eine faktische Abschaffung des ohnehin schon eingeschränkten Asylrechts hunderttausender Geflüchteter vor.

Was besagt die Reform?

Während Politiker_Innen die Reform als „politischen Durchbruch“ feiern, sehen sich Geflüchtete mit neuen riesigen Einschnitten in ihre Freiheit und Sicherheit konfrontiert. Faktisch Gefängnisse, sogenannte „Asylzentren“, sollen schon jetzt an den EU-Außengrenzen dafür sorgen, Antragsteller_Innen auf Asyl – darunter auch Familien mit Kindern – bis zu drei Monate unter miserablen humanitären und hygienischen Bedingungen auf engstem Raum festzuhalten, um sie möglichst schnell wieder abzuschieben. In den Asylzentren festgehaltene Geflüchtete werden umfangreich registriert und identifiziert. Diese Daten sollen in einer EU-Datenbank gesammelt und gesichert werden, auf die alle Asyl- und Strafverfolgungsbehörden der EU-Staaten Zugriff erhalten. Versprochen wird sich dadurch eine Verhinderung von sogenannter „Sekundärmigration“, also die Chance auf Asyl in einem anderen EU-Land. Im gesamten Prozess wird Asylsuchenden der Zugang zu Asylberatung oder rechtlichem Beistand verwehrt. Die EU-Staaten lassen Geflüchtete an den Außengrenzen spüren, dass sie in der Festung Europa nicht erwünscht sind. Insbesondere Menschen aus vermeintlich „sicheren Herkunftsstaaten“ (z. B. Türkei, Indien oder Tunesien) werden so schnell wie möglich dorthin abgeschoben. Auch für Menschen aus Staaten, auf die diese Kategorie nicht zutrifft, finden die EU-Innenminister_Innen einen Weg, der an einem Asyl für diese vorbeiführt. Die Reform besagt, dass nun auch eine Abschiebung in ein „sicheres Drittland“, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise mit der geflüchteten Person assoziiert wird (z.B. über entfernte Verwandtschaft), möglich sei.

Widerstand in Basis von SPD und Grünen?

Für uns steht fest: Die geplante Asylrechts-„Reform“ ist nicht tolerierbar. Doch wie sehen das SPD und Grüne? Auch hier ist der Rechtsruck mal wieder deutlich zu spüren. Während 2020 die SPD-Bundestagsfraktion noch die EU-Asylrechtsreform mitsamt „Massenlager[n] an der EU-Außengrenze” und einem „abgeschwächten Asylverfahren” ablehnte, zeigen sie heute ein ganz anderes Gesicht. Auch die Grünen beweisen durch ihre diesjährige Zustimmung, dass Menschenleben für sie einen geringeren Stellenwert haben, als die imperialistischen Interessen Deutschlands und der EU. Gibt es denn gar keinen Widerstand innerhalb der Parteien? Doch, aber einen sehr verhaltenen – 24 Abgeordnete der SPD und der Grünen sowie ein paar wenige aus den Landtagen sprachen sich gegen die Reform aus – die Politik tragen sie jedoch faktisch mit. Für uns ist klar: Es handelt sich hierbei um gezielte Verteidigung des Kapitals vertreten durch die Politiker_Innen.

Die Linkspartei ist die einzige Partei, welche die Reform konsequent als Angriff auf die Menschenrechte begreift und diese folglich ablehnt. CDU sowie CSU bilden dazu das Gegenstück: Sie bezeichnen die Reform als „guten Schritt“, dem weitere folgen sollten. Dass der AfD auch eine Aushebelung des Asylrechts nicht weit genug geht, ist leider nicht überraschend.

Es ist unsere Aufgabe, eine Bewegung, deren Ziel die Bekämpfung der menschenverachtenden Asylgesetze ist, aufzubauen.

Wir müssen für ein uneingeschränktes Asylrecht kämpfen! Es braucht Massenbewegungen, welche sich auf antirassistische Organisationen, Migrant­­_Innenorganisationen und Organisationen der Arbeiter_Innenklasse stützen. Dabei müssen wir die Abgeordneten, welche sich gegen diesen rassistischen Hammer ausgesprochen haben, dazu aufrufen, solch eine Mobilisierung zu unterstützen – nicht nur deutschlandweit, nicht nur EU-weit, sondern weltweit!

Abkommen mit Tunesien

Als sei dieser rassistische Angriff noch nicht ausreichend, so schloss die EU vor Kurzem eine Vereinbarung mit Tunesien, welche auch ein Abkommen zur Begrenzung der Migration über das Mittelmeer beinhaltet. Für das Vorgehen gegen „Schlepper“ und „illegale Überfahrten“ sicherte die EU Tunesien 100 Millionen Euro zu. Versprochen wird sich, das „zynische Geschäftsmodell von Schmugglern und Menschenhändlern zu brechen“, so von der Leyen. Die Koalition in Berlin sprach „volle Unterstützung“ für das Abkommen aus, während vereinzelte Stimmen aus den Grünen Bedenken äußerten, aber auch hier die Entscheidung letztendlich mittrugen. Dass Kritik seitens der Grünen vor allem Bedenken wie eine nicht gelungene Bindung des globalen Südens an die EU und verfehlte Zurückdrängung des russischen Einflusses in Afrika beinhaltet, zeigt, dass es den Grünen auch hier in erster Linie um die imperialistischen Interessen Deutschlands und der EU und nicht um die Rettung von Menschenleben geht.  Konsequenter sieht es bei den Linken aus, doch auch diese Partei schafft es nicht, sich ernsthaft gegen die Abmachung mit Tunesien zu stellen.

Gegen die Reform – für die Vereinigten sozialistischen Staaten!

Statt der menschenverachtenden EU-Außenpolitik braucht es eine menschenwürdige Alternative in der Hand von Arbeiter_Innen, Geflüchteten und anderen unterdrückten Menschengruppen und deshalb fordern wir:

  • Volles Asylrecht für alle Geflüchtete! Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen sowie Abschiebungen! Für offene Grenzen!
  • Ein Recht auf Arbeit und freie Wahl des Wohnortes für alle!
  • Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit!
  • Volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, inklusive des passiven wie des aktiven Wahlrechts!
  • Statt des Europas der Imperialist_Innen ein Europa des Widerstands, der Unterdrückten und Ausgebeuteten! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas!



Kampf den deutschen Transphoben!

Von Felix Ruga, August 2023

Trotz solchen Bestrebungen wie dem Selbstbestimmungsgesetz oder der steigenden Sichtbarkeit von trans Menschen nimmt in letzter Zeit die Anti-trans-Bewegung in Deutschland sichtbar an Fahrt auf: Besonders die AfD, aber auch die CSU machen um dieses Thema gerade massivst Wahlkampf und wirken damit bis tief ins bürgerliche Lager. Im Internet werden trans Menschen und ihre Verbündeten ständig von einem transphoben Mob beschimpft und belästigt. Dazu gibt es jedes Jahr mehr queerfeindliche Angriffe.

Wir brauchen als Marxist_Innen ein tieferes Verständnis dieser Bewegung, wie die Rechten vorgehen und welche Ziele sie verfolgen, um hier sinnvolle Taktiken zu entwickeln, um dagegen Widerstand aufzubauen. Wir wollen deswegen in diesem Artikel über die Transphoben in Deutschland sprechen. Zwar ist es schwierig, das alles von den Republikaner_Innen in den USA zu trennen, weil man sich hierzulande schwer von diesen inspirieren lässt, aber dennoch wollen wir den Blickwinkel auf die Entwicklungen in Deutschland lenken.

Transphobie als rechtes Scharnier

Transphobie gibt es schon lange, aber die Ursprünge der heutigen Bewegung lassen sich in den 2010er Jahren finden. Dort sei vor allem die französische Bewegung „Manif pour Tous“ genannt, was übersetzt „Demo für Alle“ heißt. Unter diesem Namen hat sich in Deutschland dann auch ein Netzwerk gegründet. Die Taktik: Man gibt sich bürgerlich und defensiv, indem man die „traditionelle Familie“, das „Kindeswohl“ und die bürgerlichen Geschlechterrollen bewahren will. Hierbei war von Anfang an Hetze gegen trans Menschen mitinbegriffen, da diese ja angeblich die Kinder in ihrer Geschlechtswahrnehmung verwirren würden und sie nicht in ihre Vorstellung von Geschlechtlichkeit passen. Man erreichte hierzulande nie die Relevanz wie in Frankreich, doch es war von Anfang ein Tummelbecken und Verbindungsglied der gemäßigten bis extremen Rechten. Und spätestens mit dem Aufstieg der AfD ist die Ablehnung geschlechtlicher Vielfalt ein präsentes Thema.

In Deutschland dominiert in der Anti-trans-Bewegung ganz klar die Neue Rechte, also AfD, Identitäre Bewegung und ihre Presse, wie Compact und Junge Freiheit. Auch und besonders Dokus wie die kürzlich erschienene „Trans ist Trend“ von Nius mischen in diesem Spektrum mit. Gerade die politische Stärke einer organisierten Partei stellen hierbei gegenüber anderen Kräften einen Vorteil dar. Die Transphobie schließt sich hierbei unmittelbar aus ihrem völkischen Denken, in der alle Menschen einem vorherbestimmten Platz zugewiesen werden, so wie die Geschlechterrolle bei Geburt. Verbunden damit ist die „reinrassische“ Kleinfamilie, die als kleinste Einheit der Volksgemeinschaft und in der Weitergabe traditioneller Werte eine wichtige Rolle zukommt.

Interessant ist hierbei ihre Taktik: Was ja die Neue Rechte von der „alten“ Rechten unterscheidet, ist, dass sie Begriffe und Themen besetzen und damit gesellschaftliche Werte und Lesarten nach rechts verschieben wollen. Über das Vehikel der Transphobie ziehen sie damit gemäßigtere Kräfte zu sich und können sich als bürgerlich und wahre Vertreter_Innen von Frauen und Kindern darstellen.

Neben der Neuen Rechte mischen auch noch rechtsextreme, christlich-fundamentalistische und bürgerlich-konservative Kräfte mit. Vor allem letztere lassen sich momentan sehr nach rechts treiben. Erkennbar an dem Vorschlag der CSU im Mai, Dragshows in Bayern zu verbieten oder die Kampagne gegen gendersensible Sprache, unter Anderem in Hamburg.

Unerwähnt dürfen hier selbstverständlich nicht die TERFs bleiben. Ideologisch rechtfertigen sie die Entrechtung von trans Menschen, indem das biologische Geschlecht determinieren würde, wie man sozialisiert wird und damit ein „Wechseln der Geschlechter“ nicht möglich sei. Cis Frauen sollen deshalb vor trans Frauen geschützt werden und trans Männer seien Verräter an der Frauenschaft. Da Radikalfeminist_Innen organisch zum linken Lager gehören, kommt ihnen eine besondere Rolle im transphoben Gemenge zu. Intellektuellere Argumente und ein Zugang zu linksbürgerlichen Strukturen erweitern den Spiielraum der Anti-trans-Bewegung. Die Zugehörigkeit zu einem anderen Lager macht aber das Bündnis zu den Rechten brüchig, was sich aber durch einen Rechtsruck unter RadFems aufzulösen scheint.

Der Gender-Gaga-Gaga

Transphobie tritt selten isoliert auf, sondern ist meist in der Ablehnung des sozialen Geschlechts (= Gender) eingebettet. Mit Gender meint man also die Vorstellungen, wie sich Frauen und Männer entsprechend ihrem Geschlecht zu verhalten haben und wie man da reinsozialisiert wird. Als Kommunist_Innen verstehen wir diese Rollen als gesellschaftlich konstruiert und nicht als etwas „Natürliches“. Damit sind die Geschlechterverhältnisse in Wandlung begriffen und gestaltbar. Wie nun eine Person soziales und biologisches Geschlecht miteinander verhandelt, beschreibt die Geschlechtsidentität.

Das stellt gerade die völkischen Rechten vor ein Problem: Die Existenz eines sozialen Geschlechts impliziert, dass die traditionelle Rollenverteilung keine natürliche oder gar biologische Konstante ist. Diese Vorstellungen spielen für die Rechten aber eine große Rolle. So durchzieht es deren Auftreten und Selbstwahrnehmung: Männer seien natürlicherweise „autoritär-soldatisch-männlich“, Frauen „unterwürfig-mütterlich-weiblich“.

Für jedes Abrücken von dieser „natürlichen Ordnung“ machen die Rechten die Gender-Ideologie verantwortlich. Und dazu gehört auch jegliche Aufweichung der traditionellen Kleinfamilie. Diese stellt für sie die Grundeinheit der deutschen, homogenen Volksgemeinschaft dar. Es droht nämlich das Szenario: Ohne feste Rollenverteilung keine bürgerliche Kleinfamilie, ohne Familie kein Erhalt des Volkes, ohne Volk Untergang der Nation. Dementsprechend muss für diei Homogenisierung, Hierarchisierung und Stärkung der Volksgemeinschaft die geschlechtliche Rollenverteilung verewigt werden. Das ist zwar selbst höchst ideologisch, aber zur Verteidigung dieser Annahme werden allen, die von einer sozialen Konstruktion der Geschlechtsnormen ausgehen, selbst „Gender-Ideologie“ vorgeworfen. Trans Menschen sind schon allein aufgrund der Identität ein Widerspruch zu dieser Annahme und deswegen ein herausgestelltes Ziel von völkischen Kräften. Aber man sieht auch, wie sich hier die Transunterdrückung mit der Frauenunterdrückung und sowieso der Unterdrückung jeglicher Abweichung der geschlechtlichen und sexuellen Normen mischt.

Und gerade, weil das ganze Konstrukt so irrational geprägt ist, verbinden sich die rechten Argumente mit intensiven Gefühlsregungen, um politisch zu mobilisieren. Hierbei ist die Rolle des Kindes besonders interessant: „Das Kind“ wird zunächst als unmündig, weiß und geradezu rein konstruiert und dann „der trans Person“ gegenübergestellt, die als bedrohlich, lächerlich oder verrückt gezeichnet wird. Diese Bildsprache kann starke Gefühle wecken: Man versetzt sich in die eigenen Kinder oder in das eigene Kindesalter und hat das Gefühl, sich wehren zu müssen. Man fühlt sich edel und vorbildhaft, weil man sich für die Unschuldigen einsetzt. Man nimmt den Gegner als das Böse wahr, weil dieser das absolut Unschuldige attackieren möchte. Nebenbei gehen Rechte bei der Konstruktion „der Frau“ ganz ähnlich wie beim Kind vor. Dadurch wirken Transphobe oftmals nicht aggressiv, sondern defensiv-besorgt gegenüber einer aggressiven Macht, welche dann mit „dem Staat“, „den Eliten“ oder gar „den Linken“ identifiziert wird. Interessant ist hier auch, wie in der Doku „Trans ist Trend“ die gesamte Anti-Trans-Bewegung mit diesen Argumenten als „Opfer“ dargestellt wird – ganz so wie es die neue Rechte gerne tut.

Gegen die Reaktion!

Dieses Vorgehen wirkt momentan besonders gut, weil man damit das Erleben der Krise und die subjektive Überforderung der konservativen Teile der Bevölkerung anspricht und deren Frust auf ein anderes Objekt lenkt, bei dem ein „Aufstand gegen die verrückten Verhältnisse“ inszeniert werden kann. Die Welle der Transphobie ist Teil des allgemeinen Rechtsrucks und dieser spielt sich vor dem Hintergrund der Krise ab. Hierbei können wir als Linke ansetzen: Verbunden mit dem entschlossenen Kampf für die Rechte von trans Menschen sollten wir auch die kapitalistische Krise bekämpfen und eine linke Perspektive aufzeigen! Das kann bedeuten, dass wir Kämpfe verbinden, um zum Beispiel sichere Rückzugsräume und kostenlosen Wohnraum zu schaffen oder das Gesundheitssystem auf Kosten der Reichen für alle gleichermaßen zugänglich zu machen. Hier können sich die verschiedenen sozialen Bewegungen mit der Arbeiter_Innenbewegung verbünden und eine Überwindung des Kapitalismus als Ganzes erkämpfen!




Was und wie wir lernen, entscheiden wir!

Von Isma Johnson

Die Schule ist für die meisten ganz schön ätzend. Das liegt auch daran, dass wir Schüler_Innen kaum mitbestimmen können, welche Inhalte und Fähigkeiten wir dort lernen. Stattdessen wird in den Lehrplänen alles aufgeschrieben, was in der gesamten Schulzeit unterrichtet werden soll, und wir werden anschließend gezwungen, das alles irgendwie in 12 bis 13 Jahren Schule zu schaffen. Aber warum dürfen wir daran eigentlich nicht mitbestimmen und wer hat aktuell Kontrolle über die Lehrpläne?

Das sind die Ministerien für Bildung in den einzelnen Bundesländern, zusammen mit (unter anderem) Vertreter_Innen der Wirtschaft, also des Kapitals. Diese sollen Lehrpläne entwerfen, die uns möglichst gut auf die Arbeit vorbereiten. Und obwohl das sinnvoll klingt, liegt genau hier das Problem. Die Arbeitswelt im Kapitalismus wird nämlich von Kapitalist_Innen bestimmt, für die die Arbeitenden die Profite erarbeiten. Eine Vorbereitung auf diese Tätigkeit ist also nichts anderes als die Vorbereitung darauf, von Kapitalist_Innen kontrolliert und ausgebeutet zu werden. Die Arbeiter_Innenklasse soll also im Bildungssystem auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Auf diese Fähigkeiten von Arbeiter_Innen sind Kapitalist_Innen unbedingt angewiesen, ihnen diese beizubringen ist aber ziemlich teuer. Daher profitieren Kapitalist_Innen doppelt, wenn der Staat das Bildungswesen übernimmt.

Wir müssen uns also durch einen Lehrplan durchquälen, der für die Kapitalist_Innen – nicht für uns und unser Leben – ideal sein soll. Hier wird immer vorgezogen, was für verschiedene Berufe mit verschiedenen Anforderungen verwertbar ist, wie zum Beispiel Informatik, die zunehmend unterrichtet und in Lehrpläne einbezogen wird, weil sie auch fürs Arbeiten wichtiger wird. Was wir fürs Leben brauchen – zum Beispiel Konsens in Sexualkunde, psychische Gesundheit oder echte demokratische Mitbestimmung – fällt hinten runter. Im Großen und Ganzen müssen wir einen Unterricht aushalten, der so langweilig, autoritär und ungerecht ist, dass wir auf die Hierarchien der Lohnarbeit eingestellt werden. Es zeigt sich: Solange es eine gute Arbeiter_Innenklasse produziert, ist es dem Schulsystem völlig egal, ob es uns psychisch krank und konstant gestresst macht oder sonst wie auf‘s Leben vorbereitet. 

Aber geht es anders?

Deshalb lohnt es sich den Ministerien und “Expert_Innen für Wirtschaft” die Kontrolle über unsere Lehrpläne zu nehmen und den Einfluss der Kapitalist_Innen zu hinterfragen. Sie sind nicht von uns gewählt, sie repräsentieren uns nicht und arbeiten offensichtlich auch nicht zu unserem Besten. Stattdessen müssen wir die Macht über unsere Schulen für uns selbst beanspruchen, also für alle die tatsächlich in die Schule gehen: Schüler_Innen, Lehrer_Innen und an der Schule Beschäftigte. Gemeinsam könnten wir ausarbeiten, was für uns und die Gesellschaft wichtige Fähigkeiten und Themen sind, was wir lernen sollten und was wir lernen wollen. Da die Schule aber eben nicht losgelöst von der Arbeitswelt funktioniert, können wir beginnen, die Frage nach Kontrolle in unseren Schulen zu stellen, müssen sie aber auch weitertragen. Denn solange wir im Kapitalismus leben, wird auch die Schule ihren Klassencharakter behalten, unter kapitalistischem Einfluss stehen. Aus diesem Grund bedeutet eine konsequente demokratische Kontrolle über die Lehrpläne auch eine Schule gegen den Kapitalismus und ist ein Ausgangspunkt, um diese einzufordern.

Was könnte das bedeuten, eine nicht kapitalistische, sozialistische Schule? Wir könnten sie grundsätzlich anders gestalten: Schule könnte die Interessen und Talente der einzelnen Lernenden fordern und der Unterricht müsste nicht frontal und autoritär gestaltet sein, sondern kann den Raum für eigenständige Entfaltung geben. Dabei könnten Lehrer_Innen unterstützen, anstatt autoritär und durch Frontalunterricht vorzugeben, was wir zu tun und zu lernen haben. Leistungsterror und Notendruck könnten ein absurdes, realitätsfernes Konzept werden, wodurch sich die psychische Gesundheit der Lernenden wahrscheinlich deutlich verbessern würde. Wir müssten nicht für uns allein stehen, uns durchkämpfen und individuell bewertet werden, sondern könnten lernen, Aufgaben gemeinsam, kreativ und demokratisch zu lösen. Im Prozess könnten wir außerdem lernen, gemeinsam demokratische Entscheidungen so zu treffen, wie es auch im Rest der Gesellschaft notwendig ist. Wenn Schulen nicht mehr alles auf kapitalistischer Verwertungslogik aufbauen müssten, dann könnten sie nicht nur schöne und freie Orte sein, sondern auch mündige und eigenständige Menschen ausbilden.

Das mag jetzt utopisch und weit weg klingen und das ist es auch. Es ist aber nicht unmöglich: Der erste Schritt auf diesem Weg zu einer gerechteren Schule ist die Forderung nach einer demokratischen Kontrolle über die Lehrpläne! Diese können wir nur gemeinsam mit unseren Lehrkräften und allen in der Schule Beschäftigten durchsetzen. Das bedeutet einerseits, dass wir ihre Kämpfe in den Gewerkschaften unterstützen und die Frage der Lehrpläne in diese hineintragen. Andererseits müssen wir unsere Mitschüler_Innen überzeugen, sich diesem Kampf anzuschließen: In eigenständigen Komitees können wir gemeinsam und demokratisch entscheiden, wie wir es schaffen, die Schüler_Innenschaft unserer und anderer Schulen, hinter dieser Forderung zu versammeln: Kundgebungen, Flyer, Podiumsdiskussionen können ein guter Anfang sein. Gemeinsam mit den Lehrkräften haben wir dann die Macht, in einem Streik den gesamten Schulalltag lahmzulegen und die Herrschenden können uns nicht länger ignorieren. Lasst uns also gemeinsam Widerstand an unseren Schulen organisieren und kapitalistischen Leistungsterror ein für alle Mal vom Lehrplan streichen!




#WirFahrenZusammen: Vom Bahnstreik zum Verkehrswendestreik

Von Lia Malinovski, August 2023

In wenigen Monaten beginnt die Tarifrunde im Öffentlichen Nahverkehr (TVN). Die Beschäftigten kämpfen dort für bessere Arbeitsbedingungen, unter Anderem höhere Löhne, längere Pausen- und Umschlagszeiten[1]. Beteiligte Gewerkschaften sind die ver.di und die EVG, führend dabei ist jedoch in den meisten Betrieben die ver.di. Alle Bundesländer dürfen im nächsten Jahr streiken, bis auf Bayern. In diesem Artikel wollen wir uns angucken, wie wir von dem kommenden Streik in einen politischen Streik für die Verkehrswende kommen.

Schon im März 2023 ist die Kampagne „#WirFahrenZusammen“ (WFZ) mit Beschäftigten im ÖPNV auf die globalen Fridays for Future (FFF)-Demonstrationen gegangen. Ver.di hatte den Streiktag im Öffentlichen Dienst auf den Tag von der globalen Demonstration gelegt, sodass die Beschäftigten ihren Kampf in den Kampf von FFF tragen konnten. Die Kampagne ist noch sehr neu und in der Findungsphase, weshalb es nicht einfach ist, verlässliche Infos zu bekommen. Die Informationen, auf denen ich den Artikel basiere, stammen aus Recherche in den Strukturen der Kampagne, aus einem Interview mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von Genoss_Innen, die selber in der Kampagne aktiv sind oder bei der Deutschen Bahn arbeiten. Es gibt bis auf den FFF-Streik im März bisher keine aktive Außenwirkung der Kampagne, wobei sie zur IAA in München mobilisieren wollen und dort einen Block in der Demo stellen wollen.

WFZ versucht einen Schulterschluss aus linken Teilen der Klimabewegung, die die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Arbeiter_Innenklasse erkannt haben, und ÖPNV-Beschäftigten herzustellen. So haben sie es bspw. In Köln geschafft, Forderungen bei den ÖPNV-Beschäftigten populär zu machen, indem sie ihre Forderungen mit Unterschriftensammlungen unterstützten und so das Vertrauen der Arbeiter_Innen gewinnen konnten. Teile der Gewerkschaftsapparate von ver.di und der EVG unterstützen die Kampagne, vermutlich allerdings in erster Linie, um politische Forderungen aus dem Tarifkampf auszugliedern. Denn sie wissen von der Notwendigkeit, politisch zu kämpfen, wollen aber auch nicht aufs Spiel setzen, gute Sozialpartner_Innen (für die Konzerne) zu sein. WFZ bietet für sie die Möglichkeit, zu zeigen „hey, wir haben doch auch politische Forderungen“, ohne für diese tatsächlich kämpfen zu müssen. WFZ selbst versucht diese Masche der Gewerkschaften aber nicht zu problematisieren oder gar zu ändern, da sie fürchten, das Bündnis zu verlieren. Verständlicherweise, denn es gibt kaum unabhängige Strukturen in den Belegschaften, die nicht von der Gewerkschaftsbürokratie (privilegierte Führung) abhängig sind. Damit aber der Schulterschluss aus Arbeiter_Innen und Klimabewegung möglich ist, ohne abhängig von der Bürokratie zu sein, braucht es genau diese Kräfte.

Von der Straße auf die Schiene!

„Wir Fahren zusammen“ kann also kaum die Bürokratie kritisieren. Dabei müssten sie genau dies tun, um oppositionelle Kräfte innerhalb der Belegschaften und Gewerkschaften zu stärken. Das führt dazu, dass sie sich der Bürokratie unterordnen und einen in erster Linie ökonomischen Kampf der Gewerkschaften unterstützen, die politische Perspektive dabei aber schrittweise aufgeben. Für die Verkehrswende ist es aber unerlässlich, ökonomische Kämpfe mit politischen zu verbinden: Wir stehen vor der Herausforderung, dass die Anforderungen an den Schienenverkehr stetig wachsen. Es braucht einen massiven Ausbau der Schieneninfrastruktur, um diese zum Kern der zukünftigen Verkehrsweise zu machen. Dafür reicht es aber nicht, einfach nur mehr Lohn zu fordern. Es braucht neben längeren Umschlagszeiten auch mehr Personal, mehr Geld und geringere Anforderungen für die Bahn. Auch die zunehmende Privatisierung und drohende Zerschlagung der Bahn erfordern politische Antworten.

Wir möchten, bevor wir thematisieren, wie wir zum politischen Streik kommen, darauf eingehen was eigentlich im ÖPNV notwendig ist für die Verkehrswende. Denn nur mit einer Vorstellung davon, was Ausbau bedeutet und wie der Verkehr aussehen muss, können wir für diesen Kämpfen. Die aktuelle Situation ist, dass große Streckenabschnitte in ganz Deutschland, insbesondere aber in Ostdeutschland, stillgelegt und zugunsten des Autos abgebaut wurden. Während man mit dem Auto problemlos von A nach B kommt (wenn man nicht gerade in einer Großstadt lebt), braucht die Bahn häufig doppelt so lang oder länger, man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie pünktlich kommt oder dass sie überhaupt fährt. Jeder dritte Zug war im letzten Jahr zu spät – von denen die überhaupt gefahren sind. Das liegt nicht nur daran, dass viele Strecken zurückgebaut wurden, sondern auch daran, dass die verbliebenen Strecken völlig überlastet sind (Beispielsweise Hamburg-Hannover mit 126% Auslastung). Neben dem kulturellen Aspekt, dass ein neues, hübsches Auto als Statussymbol gilt, macht auch das den Autoverkehr attraktiver und es ist also nicht verwunderlich, dass die Neuzulassungen von PKWs in manchen Jahren kaum relevant zurückgehen und in anderen sogar zunehmen (2022 wurde ein Anstieg von 1,1% verzeichnet).

Dabei ist das Rad-Schiene-System mit Abstand das effizienteste, da wenig Reibung entsteht und es meistens von Außen mit Strom betrieben wird. Nicht nur kann ein Zug auf ausgebauten Strecken deutlich schneller fahren, er fährt auch viele Hundert bis Tausend Menschen mehr von A nach B als ein Auto. Aber was heißt Ausbau genau und wie kommen wir dahin? Es müssen selbst die kleinsten Ortschaften an das öffentliche Schienensystem angeschlossen werden. Das bedeutet, dort wo es einen Nutzen für schon wenige tausend Menschen hat, müssen Schienen gebaut werden (wenn es möglich ist). Tramkonzepte, kleine Bahnen und Schnellfahrstrecken müssen den Kern des neuen Verkehrs bilden. Dort wo es nicht möglich ist oder schlicht mehr Ressourcen binden würde, Schienen zu bauen, sollten Car-Sharing-Konzepte oder Oberleitung-betriebene Busse die Anbindung an den nächstgelegenen Bahnhof ermöglichen. Gleiches gilt auch für den Gütertransport: Bis auf die letzten Kilometer sollte alles über die Schiene fahren, die letzten Kilometer möglichst ebenfalls über Oberleitung. Grundlegend ist außerdem, dass das Schienennetz 100% strombetrieben läuft.

Vom Bahnstreik zum Verkehrswendestreik…

Obwohl das nur einen kleinen Ausschnitt darstellt, sehen wir schon hier die Grenzen von rein ökonomischen Streiks und Forderungen. Der Ausbau auf 100% strombetriebene Gleise lässt sich nicht mit mehr Lohn und längeren Umschlagzeiten ermöglichen. Letztendlich muss der Verkehrssektor enteignet und unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden, um nicht mehr für Profit, sondern den Schutz von Mensch & Umwelt zu produzieren. Wie kommen wir jetzt also zum politischen Verkehrswendestreik?

Die Kampagne „Wir Fahren Zusammen“ geht einen wichtigen ersten Schritt: Die Verbindung zwischen Klimabewegung und Arbeiter_Innenklasse ist essentiell, um zum Einen höhere Schlagkraft zu haben, andererseits auch, um nicht Klimaschutz und direkte Nöte der Arbeitenden gegeneinander ausspielen zu können. Dabei darf die Kampagne aber nicht vor Kritik an der Bürokratie zurückschrecken, die sich mit aller Kraft gegen politische Streiks wehren wird. WFZ sollte oppositionelle und klassenkämpferische Kräfte in den Gewerkschaften unterstützen in ihrem Kampf für Basisorganisierung, Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Posten in den Gewerkschaften. Als Revolutionäre müssen wir in WFZ also aufzeigen, wieso es notwendig ist, sich nicht unter die Gewerkschaftsbürokratie unterzuordnen. Wir müssen den Widerspruch, den die Bürokratie selbst geschaffen hat, weiter vertiefen und alles daran setzen, dass die Beschäftigten und die Basis der Gewerkschaften ihre ökonomischen Forderungen mit politischen ergänzt. Hier müssen auch Kampagnen wie WFZ auf die Beschäftigten zugehen und mit ihnen gemeinsame Forderungen entwickeln. Wer die Notwendigkeit der Forderungen erkennt, wird nicht aufhören dafür zu kämpfen, wenn ein undemokratischer Apparat Nein sagt.


[1] Umschlagszeit ist die Zeit, in der eine Bahn, die am Zielbahnhof angekommen ist, stehen bleibt, bevor sie in die andere Richtung zurück fährt




Die Klimakatastrophe eskaliert und niemanden kümmerts

von Jona Everdeen, Juli 2023

Rhodos und Sizilien brennen

In den letzten Tagen erlangte die ehemalige Anti-FFF Parole der AfD „Darf ich noch nach Kreta, Greta?“ eine bittere Ironie: Durch massive Waldbrände auf der griechischen Mittelmeerinsel Rhodos mussten zahlreiche Urlauber_Innen evakuiert werden und noch ausstehende Reisen müssen gecancelt werden. Dabei haben nicht, wie von Rechtspopulist_Innen immer wieder behauptet, Klimaaktivist_Innen den Menschen ihren hart erarbeiteten Urlaub versaut, sondern der Klimawandel. Während in Deutschland jedoch die Folgen für Reisende in aller Munde sind, wird dabei gerne ignoriert, dass die Menschen die eigentlich im Fokus stehen sollten, die über 100.000 Einwohner_Innen von Rhodos sind, die nicht einfach in den Flieger steigen und zurück ins sichere Heimatland fliegen können, in dem es (noch) keine schweren Waldbrände gibt.

Während auf Rhodos der Tourismus dafür sorgt, dass Medien zumindest etwas berichten, wenn auch mit fragwürdigem Fokus, so fällt völlig unter den Radar, dass es auch anderswo schwere Brände gibt, besonders dramatisch auf Sizilien. Dort ist die Stadt Palermo von Brandherden umgeben, weite Teile des Inselgebiets sind von den Bränden betroffen. Zwar gelingt es inzwischen der Feuerwehr unter enormen Einsatz die Situation einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen, die Gefahr ist aber sicher noch nicht gebannt und viel Schaden ist bereits angerichtet.

Doch Rhodos und Sizilien sind nur die Spitze des Eisbergs, auch in anderen Teilen Südeuropas, quasi im gesamten Mittelmeerraum, kommt es zu kleineren aber ähnlichen Waldbränden.

Die Ursache dafür ist klar: Durch die Erderwärmung wird es im Sommer am Mittelmeer heißer und vor allem trockener, was die Gefahr eines Waldbrandes massiv erhöht, wie wir es ja in kleinerem Maße auch in Brandenburg beobachten können.    

Politik schläft nicht, sie steuert bewusst weiter

In Italien hatte sich die rechtspopulistische Regierungschefin Meloni zu den Bränden extrem zurückgehalten, weder Hilfe im angemessenen Rahmen wurde zur Verfügung gestellt, noch überhaupt größer Stellung bezogen.

Warum Meloni versucht, das Problem möglichst unter den Teppich zu kehren? Weil die Waldbrände eben direkte Folge der Klimakatastrophe sind. Meloni, die ihren Wahlkampf als Rechtspopulistin auch mit massivem Kleinreden der Klimakrise gewonnen hatte, kann das natürlich schwer zugeben. Gleichzeitig kursieren auch, wie bereits während der schweren Waldbrände in Australien im Winter 2019-20, Verschwörungstheorien, dass in Wahrheit organisierte Brandstiftung und nicht der Klimawandel für das Feuer verantwortlich seien.

Auch wenn die Rechte Meloni, in ihrer Jugend bekennende Faschistin, sicherlich ein besonders drastisches Beispiel für miese Klimapolitik ist, vergleichbar hierzulande wohl mit einer AfD-Regierung, ist ihr Verhalten doch nicht die Ausnahme, sondern eigentlich die Regel: „Klimakatastrophe? Weiter so!“

So beteiligen sich in Deutschland auch die Grünen, viele Jahre bekannt als DIE Ökopartei, an dieser Politik. Im Angesicht großer Katastrophen stellen sie Kapitalinteressen, seien es die von RWE oder der deutschen Automobilindustrie, über alles. Anders als gerne von gemäßigten Klimaaktivist_Innen suggeriert wird, schläft die Partei nicht bloß und müsse endlich aufgeweckt werden, sondern  steuert bei vollem Bewusstsein weiter in Richtung Abgrund.

Klimakiller Kapitalismus

Wichtig dabei zu beachten ist, so niederträchtig auch die Politik der rechten Populist_Innen und der Verrat der Grünen an der Klimabewegung sind, dass das Problem nicht individuelle Politiker_Innen und deren korrupte Machenschaften, die zweifelsohne existieren, sind, sondern dass im kapitalistischen System eine bürgerliche Regierung gar nicht anders kann, als die Interessen des nationalen Kapitals an erste Stelle zu stellen. Wenn Deutschland VW, BMW und Co. zum Beispiel verbieten würde, SUVs zu produzieren, dann würden diese im Vergleich zu anderen Konzernen einen Wettbewerbsnachteil erleiden und entweder Marktmacht verlieren oder, was am wahrscheinlichsten wäre, den Standort wechseln in ein Land mit weniger Umweltauflagen, zum Beispiel in Melonis Italien. Das wiederum würde den Standort Deutschland, und somit die Macht der nationalen Bourgeoisie, massiv schwächen und gegenüber seiner internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten lassen, etwas dass jede bürgerliche Regierung unbedingt verhindern muss.

Klimaaktivismus – Lange nicht radikal genug!

Dieser politischen Realität, dass es im Kapitalismus gar nicht möglich ist, effektiven Klimaschutz durchzusetzen, dass die Konkurrenz der Konzerne und der Staaten auf dem Weltmarkt das unmöglich macht und somit Appelle an die bürgerliche Regierung und die Konzerne zwecklos sind, steht die Klimabewegung bisher hilflos gegenüber.

Denn genau das war bisher die Taktik großer Teile der Bewegung, ob FFF mit Demos oder die Letzte Generation mit Klebblockaden, man richtete sich stets an die Politik und forderte diese auf, sich endlich der Gefahr bewusst zu werden und entsprechend zu handeln.

Das Bewusstsein, dass man die Politik nicht „aufwecken“ kann, dass man Klimagerechtigkeit gegen sie und das hinter ihr stehende Kapital durchsetzen, erzwingen muss, kommt nur sehr langsam in der Bewegung an, zu groß ist noch der Einfluss der Grünen vor allem auf die Führung von Fridays for Future, die energisch versucht einen Linksruck der Bewegung zu unterbinden.

Und selbst da wo man diese Notwendigkeit erkannt hat, gestaltet sich die Umsetzung schwierig, so stehen auch die linken Teile der Klimabewegung, in Deutschland Ende Gelände und End Fossil: Occupy!, momentan eher perspektivlos da. Weder Massenaktionen zur Blockade fossiler Infrastruktur noch Besetzungen von Hörsälen und einigen Schulen konnten bisher nennenswerten politischen Druck erzeugen. Was es wirklich braucht für eine Klimabewegung, die erfolgreich sein will, die wirklich Klimagerechtigkeit erkämpfen will, ist der Streik. Der Streik in der Schule und in der Uni, aber auch und vor allem im Betrieb. Denn nur wenn Arbeiter_Innen und Jugend an einem Strang ziehen und die kapitalistische Produktion zum Erliegen bringen, ist es möglich, Forderungen durchzusetzen und Klimagerechtigkeit zu erkämpfen.

Unsere Welt retten heißt Kapitalismus zerstören

Wir dürfen uns keine Illusionen mehr machen: Es ist nötig, das kapitalistische System vollständig zu überwinden. Reformieren, in ökologische Form transformieren, wie es die bürgerliche grünen-nahe FFF-Führung will, lässt es sich nicht.

Was es stattdessen braucht, ist ein gänzlich anderes Wirtschaftssystem, ein System in dem nicht Konzernchef_Innen und Aktionär_Innen darüber entscheiden was wie produziert wird, sondern Arbeiter_Innen demokratisch in Räten. Ein System, in dem nicht ein ominöser Markt die Wirtschaft beherrscht, sondern ein konkreter demokratisch beschlossener Plan, dessen Zielsetzung die Bedürfnisbefriedigung der Menschen, und somit auch die des Bedürfnisses auf intakte Lebensgrundlagen ist und nicht der Profit.

Um diese Gesellschaft zu erreichen ist es nötig mittels Streiks die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, des Energie-, Verkehrs-, Bausektor, etc. unter Arbeiter_Innenkontrolle zu erkämpfen. Es ist nötig, dass Arbeiter_Innen und Jugendliche sich in Räten zusammenschließen, nicht durch Zufall bestimmt, wie es manche Klimaorgas fordern, sondern demokratisch legitimiert, und den Prozess einer ökologischen Transformation der Wirtschaft bewusst in ihre Hände nehmen.

Die ersten Schritte dahin müssen sein, dass wir als Klimabewegung uns zusammensetzen um konkrete Strategien und Taktiken zu besprechen und diese dann durchzuführen, dass wir uns mit den Arbeiter_Innen in den Betrieben vernetzen und die Grundlage für einen gemeinsamen Kampf schaffen. Das müssen wir nicht nur in Deutschland tun, sondern in jedem Land.

Nur so kann es uns gelingen, das Ruder doch noch rumzureißen, die gröbsten Katastrophen zu verhindern und dabei nicht nur unsere Zukunft zu retten, sondern uns dabei auch noch eine bessere Zukunft für alle Menschen zu erkämpfen, in der nicht mehr das kapitalistische Elend, vor allem im Globalen Süden, vorherrscht sondern ein System der globalen Gerechtigkeit.    

Wir fordern:

  • Für eine schnelle Energiewende! Weg vom Individualverkehr, rauf auf die Schiene! Kostenloser ÖPNV für alle!

  • Enteignung und Umbau der umweltschädlichen Industrie unter Kontrolle der Arbeiter_Innenklasse!

  • Kostenlose Umschulungsprogramme für die Beschäftigten in nachhaltigen Technologien!



Die Rolle der Pharmaindustrie im Kampf um sexuelle Selbstbestimmung

von Erik Likedeeler, Juli 2023

Erst vor kurzem wurde in Italien beschlossen, dass Verhütungspillen in Zukunft kostenlos an Menschen aller Altersgruppen ausgegeben werden sollen. Auch in Frankreich bekommen unter 26-Jährige seit diesem Jahr Kondome und Notfallverhütung gratis in Apotheken. England geht einen Schritt weiter: Dort sind sämtliche Verhütungsmittel für alle kostenfrei zugänglich.

In diesem Artikel wollen wir uns anschauen, wie die Lage diesbezüglich in Deutschland aussieht und was getan werden muss, um die Situation zu verbessern. Denn obwohl das Thema den meisten Jugendlichen aus dem Sexualkundeunterricht bekannt sein dürfte, ist das gesellschaftliche Bewusstsein gering, wenn es um Verhütung als Klassenfrage und die Rolle der Pharmakonzerne geht.

Die Einführung der Pille in der BRD und DDR

Um den Stellenwert der Verhütung in Deutschland nachzuvollziehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte. In der DDR wurden die ersten Verhütungspillen ab 1965 vom Unternehmen Jenapharm produziert. Innerhalb der Sozialversicherung wurden sie ab 1972 kostenlos angeboten. Obwohl sich mit dem Namen „Wunschkindpille“ um ein positives Image bemüht wurde, wurden Stimmen laut, die vor einer „gesteigerten Wollust der Weiber“ warnten.

In der BRD wurde das erste hormonelle Verhütungsmittel ab 1961 von der Schering AG herausgegeben, einem Vorgänger-Unternehmen des deutschen Pharmakonzerns Bayer. Zunächst wurde die Pille als Mittel gegen Menstruationsschmerzen vermarktet. Auf die empfängnisverhütende Wirkung wurde nur am Rand hingewiesen, da eine negative Reaktion der Bevölkerung befürchtet wurde.

Als der eigentliche Zweck des Medikaments bekannt wurde, wurde tatsächlich vermehrt die Befürchtung geäußert, hormonelle Verhütung würde zum „Aussterben der Deutschen“ führen.

Jahrelang wurde die Pille nur mit Einverständnis des Ehemannes an verheiratete Frauen verschrieben. Zudem wurden Frauenärzt_Innen gebeten, das Mittel nur an Frauen mit mindestens zwei Kindern herauszugeben. Hier zeigten sich bereits Versuche, durch hormonelle Verhütung die Bevölkerungsentwicklung zu kontrollieren, denn Kinder sind für den Kapitalismus vor allem zukünftige Arbeitskräfte.

Der historische Vergleich von BRD und DDR zeigt, dass es in der BRD nach der Einführung der Verhütungspille tatsächlich einen Rückgang von Geburten gab. Dieser sogenannte „Pillenknick“ blieb in der DDR aus. Daraus können wir schließen, dass die Geburtenrate nicht als isolierter Faktor betrachtet werden sollte, sondern dass auch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben müssen.

Vielmehr lässt sich der „Pillenknick“ damit erklären, dass die Lebensmodelle der Frauen in der BRD im Wandel waren; immer mehr gingen studieren und arbeiten. Weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kaum gewährleistet war, fiel die Geburtenrate ab.

In der DDR hingegen wurden zeitgleich mit der Einführung der Pille Kinderkrippen und Wohnungen für Familien bereitgestellt, sowie bezahlte Elternzeiten angeboten. Durch die erhöhte Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurden in der DDR auch mehr Kinder geboren, wobei natürlich auch diese demographische Entwicklung mit einer zusätzlichen Belastung der Frauen durch Lohn- und Reproduktionsarbeit erkauft wurde.

Bayer und die Pille: Ein weiterer Grund zur Enteignung

Viele von uns kennen es: Schon beim ersten Besuch bei der Frauenärztin wird uns die Pille verschrieben, ohne dass eine sorgfältige Aufklärung über die Nebenwirkung stattgefunden hat. 8 Euro bekommen Frauenärzt_Innen für jede Person, die sie über Verhütung beraten – meist bleiben für die Aufklärung weniger als 10 Minuten Zeit.

Durch die 68er-Bewegung wurde die Verhütungspille in der BRD zu einem Symbol der Freiheit und Emanzipation. Dennoch ist nicht abzustreiten, dass sie auch heute noch massive Nebenwirkungen mit sich bringt, wie zum Beispiel Thrombosen, Lungenembolien und Herzinfarkte.

Viele Nebenwirkungen sind nicht genau erforscht, wie der Zusammenhang zu Depressionen und Suizidgefährdung. Zusätzlich wird vermutet, dass auch die Lernfähigkeit, die Konzentration und das Erinnerungsvermögen durch die Anwendung der Pille leiden.

In Deutschland werden jährlich Verhütungspillen im Wert von 580 Millionen Euro herausgegeben; seit Jahrzehnten ist Bayer der unangefochtene Marktführer. Bis 2019 sind mehr als 100 Menschen durch die Bayer-Pillen Yaz und Yasmin ums Leben gekommen. Zehntausende haben Herz-, Gallenblasen- und Bluterkrankungen bekommen.

Mittlerweile musste Bayer rund 2 Milliarden Euro Schadensersatz an die Betroffenen und Hinterbliebenen zahlen – doch die Produkte sind immer noch auf dem Markt.

Seit mehr Erfahrungsberichte an die Öffentlichkeit geraten, sind viele Anwender_Innen von der Pille desillusioniert. Doch auch gegen die viel beschworene „Pillenmüdigkeit“ haben die Pharmakonzerne ein Rezept: Hormonringe, welche mehrere Wochen lang im Körper verbleiben.

Dabei hält sich hartnäckig der Mythos, Hormonringe würden nur „lokal“ wirken. Doch synthetische Hormone wirken niemals nur lokal. Damit sie Signale im Gehirn auslösen, müssen die Wirkstoffe auch dorthin transportiert werden. Die Nebenwirkungen sind auch hier folgenreich: Hormonringe können jahrelange Nierenbeckenentzündungen zur Folge haben.

Entzugsblutung? Was soll das denn sein?

Zusätzlich zu all diesen Nebenwirkungen ist die Entzugsblutung ein wichtiger Faktor. Wer die Pille anwendet, weiß vermutlich, dass ein Pillenzyklus aus 21 Tabletten mit Hormonpräparaten und 7 Placebos besteht. Durch die einwöchige Pause wird die sogenannte Entzugsblutung herbeigeführt. Von medizinischer Seite aus wird meist vermittelt, dabei würde es sich dabei um die Menstruation handeln.

In Wirklichkeit hat diese Blutung keinen medizinischen Nutzen und kann sogar schädlich sein. Eine Entzugsblutung als Menstruation zu bezeichnen, spricht Menschen das Recht ab, über die Funktionen ihres eigenen Körpers Bescheid zu wissen.

Es stellt sich die Frage: Warum wurde diese Placebo-Woche überhaupt eingeführt, wenn man die Pille auch bequem durchgehend einnehmen und auf die Blutung verzichten könnte? Der ausschlaggebende Grund dafür war die Besänftigung der katholischen Kirche, welche sich in den 1960er Jahren gegen die Einführung der Pille wehrte. Allerdings stellt sie sich auch heute noch gegen jegliche Art der Verhütung, daher war die gesamte Aktion hinfällig, und Millionen von Menschen bluten jeden Monat ohne ihr Wissen völlig sinnlos.

Immer noch keine Smarties: Die Pille Danach

Sollte einmal die Pille versagen oder das Kondom reißen, gibt es immer noch die Pille Danach. Dabei handelt es sich um ein Medikament, welches den Eisprung verhindert, und damit auch eine Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle sowie die Einnistung in die Gebärmutter. Deshalb zählt sie als Verhütungsmittel, nicht als Abtreibungsmittel, obwohl sie nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen wird.

Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Unterscheidung zwischen Verhütung und Abtreibung eine relativ neue Grenze ist, die nicht immer eine so große Rolle gespielt hat wie heute. Dass ausgerechnet die Einnistung in die Gebärmutter als der Beginn des Lebens definiert wird, ist keine biologische Gegebenheit, sondern eine kulturelle Entscheidung.

Seit 2015 ist die Pille Danach rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Zuvor musste man mit seinem Anliegen in die Notaufnahme, wenn am Wochenende die Arztpraxen geschlossen hatten. Allerdings sind viele deutsche Krankenhäuser katholisch und verschreiben die Pille Danach nicht. Deshalb war die Aufhebung der Rezeptpflicht ein entscheidender Schritt.

Damit wurde jedoch zeitgleich ein „Werbeverbot“ für die Pille Danach eingeführt. Frauenärzt_Innen dürfen diese Option nicht ansprechen oder darüber informieren. Das führt zu gravierenden Wissenslücken: Nur 50% der Frauen ist klar, dass die Pille Danach rezeptfrei erhältlich ist, mehr als jede vierte Frau kennt sie noch nicht einmal.

Wer in der Apotheke nach der Pille Danach fragt, wird meist zu einem belehrenden Aufklärungsgespräch in ein Hinterzimmer geführt. Dabei kommt es häufig zu Vorwürfen, Bloßstellungen und wertenden Äußerungen. Immer wieder kommt es vor, dass Minderjährigen der Verkauf verweigert wird.

 „Die Pille Danach ist kein Smartie!“, formulierte es der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn und sprach damit Frauen und Mädchen ab, eine unabhängige und informierte Entscheidung über ihren eigenen Körper zu treffen. Gleichzeitig wird durch solche Äußerungen der Stereotyp junger, sexuell aktiver Frauen gezeichnet, welche scheinbar sorglos und leichtfertig ungeschützten Sex haben, weil sie danach ja einfach die Pille Danach nehmen könnten. Das entspricht einerseits weder der Realität, produziert sexistische Klischees und verstärkt andrerseits die Auffassung, Verhütung sei einzig und allein Verantwortung der Frau. An solchen Debatten zeigt sich immer wieder, wie der Kapitalismus versucht, weibliche Sexualität zu limitieren und auf das Ziel der Familiengründung auszurichten, da sie innerhalb der Familie unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten und zukünftige Arbeitskräfte bereitstellen.

Keine Hormone, keine Probleme? Die Kupferspirale

Wer sich als junge, kinderlose Frau ohne sichtbare Behinderung eine Kupferspirale einsetzen lassen will, bekommt von Frauenärzt_Innen oft zu hören, dass der Uterus einer kinderlosen Frau zu klein für eine Spirale sei. Dabei empfiehlt die WHO Spiralen für Frauen und Mädchen jedes Alters, und in anderen Ländern scheint es kein Problem mit der Uterus-Größe zu geben. Was also ist der Grund dafür?

Eine Ursache liegt in der Regelung, dass deutsche Krankenkassen die Finanzierung der Spirale bis zum 22. Lebensjahr übernehmen, dafür aber nur einen Minimalbetrag an Ärzt_Innen zahlen. Eine von der Kasse bezahle Spirale erwirtschaftet für die ärztliche Praxis also viel weniger Gewinn als eine, die ab dem 23. Lebensjahr privat gezahlt wird.

Eine Option, die noch weniger Menschen bekannt sein dürfte, ist die Kupferspirale Danach. Denn eine Kupferspirale kann ebenfalls zur Notfallverhütung genutzt und sogar bis zu 5 Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingesetzt werden. Sie beeinträchtigt die Beweglichkeit der Spermien und verhindert die Einnistung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter. Obwohl sie deutlich zuverlässiger ist als die Pille Danach, wird sie in Deutschland fast nie genutzt. Die Kosten dafür sind für viele Menschen zu hoch, um sie spontan aufzubringen.

Problematisch ist auch, dass es noch viele Forschungslücken gibt, was die Verhütung mit Kupfer angeht: Es ist nicht bekannt, wie oft die Spirale unbemerkt ausgeschieden wird oder wie stark sie das Risiko für Eileiterschwangerschaften erhöht. Das Budget für aussagekräftige Langzeitstudien haben nur die großen Pharmakonzerne – und die haben kein Interesse daran, dass weitere unerwünschte Nebenwirkungen aufgedeckt werden.

Immer wieder wird von mangelhaften Spiralen und gebrochenen Kunststoffarmen berichtet, die lose in der Gebärmutter herumschwimmen und von Frauenärzt_Innen herausgefischt werden müssen, meist ohne Narkose. Erst 2018 kam ans Licht, dass zig Tausende Europäerinnen eine brüchige Spirale des Herstellers Eurogine eingelegt bekommen hatten, welches dringend entfernt werden musste. Die meisten Betroffenen wurden darüber nicht in Kenntnis gesetzt.

Mental Load und Verhütungsverantwortung

Selten wird darüber gesprochen, dass Verhütung mit einem dauerhaften Mental Load verbunden ist. Der Begriff Mental Load bezeichnet die geistige Arbeit, ständig an etwas denken zu müssen oder etwas organisieren zu müssen, damit die Funktionalität des täglichen Lebens gewährleistet ist.

In diesem Fall heißt das, die Verhütungsmethode auszuwählen, sich mit ihrer Funktionsweise auseinanderzusetzen, sie fortlaufend korrekt durchzuführen und ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Das kann bedeuten, ärztliche Beratung einzuholen, die Temperatur zu messen, um den Eisprung zu bestimmen, Pillenrezepte zu holen, Kondome einzukaufen, Schwangerschaftstests zu machen, sowie vor dem Sex ein Gespräch über das Thema zu beginnen. Auch körperlich ist Verhütung in den meisten Fällen eine Belastung.

In den meisten Fällen sind es Frauen und Mädchen, die sich diesen Strapazen aussetzen. Dass Frauen mehr Verhütungsverantwortung übernehmen, liegt nicht nur daran, dass die meisten Verhütungsmittel für ihre Körper entwickelt wurden – auch vor der Erfindung der hormonellen Verhütung war das bereits der Fall.

Vielmehr liegt es daran, dass Männer und Jungen weniger Konsequenzen zu befürchten haben, falls es zu einer ungewollten Schwangerschaft kommen sollte. Einerseits, weil sie ihren Körper nicht der Belastung einer ungewollten Schwangerschaft aussetzen müssen, andererseits, weil gesellschaftlich von Müttern viel mehr elterliches Engagement verlangt wird als von Vätern.

Häufig haben Männer und Jungen Wissenslücken, oder ihnen fehlt die Bereitschaft, sich an der Verantwortung zu beteiligen. Beispielsweise ist die häufigste Ursache für gerissene Kondome, dass Männer sich zu wenig mit verschiedenen Größen, Formen und Materialien auseinandersetzen. Dadurch kaufen bis zu 80% der Kunden das falsche Größenmodell.

Vielen Männern scheint nicht klar zu sein, dass jemand anders für sie die Verhütungsarbeit übernimmt, die ihnen zu unangenehm, unpraktisch oder lästig erscheint. Sie neigen dazu, die Verantwortung als gleichberechtigt aufgeteilt wahrzunehmen, auch wenn das nicht der Fall ist.

Und was ist mit der Pille „für den Mann“?

Trotz dieser Ungerechtigkeiten haben 25 internationale Studien und Umfragen der letzten Jahrzehnte gezeigt, dass die meisten Männer verhüten wollen. Doch der gute Wille allein ist nicht genug, und immer wieder wird die berechtigte Frage aufgeworfen: Warum gibt es noch keine Pille „für den Mann“? Wann wird die Verantwortung endlich gerecht aufgeteilt? Denn Kondom und Sterilisation reichen als Optionen nicht und dieser Mangel ist eine Verletzung von reproduktiven Rechten. Gibt es denn keine Alternative?

Aktuell sind der Wissenschaft über 100 Methoden bekannt, mit denen man für die Verhütung an Penis und Hoden ansetzen könnte. Diese Möglichkeiten ergeben sich aus allen Stadien der Spermienproduktion: Man könnte sie am Wachsen hindern, ihnen die Beweglichkeit nehmen oder ihnen den Durchgang versperren.

Eine tatsächliche Pille ist nach dem aktuellen Stand der Forschung unwahrscheinlich, weil Testosteron im Magen zu schnell abgebaut wird. Eine vielversprechendere Methode wäre zum Beispiel ein Gel, welches die Samenleiter vorübergehend verschließt.

Auch die wärmebasierte Verhütung hat sich bereits als effektiv erwiesen: Beim Verhütungsring handelt es sich um einen einfachen Silikonring, mit dem die Hoden zurück in den Körper gedrückt werden. Durch die Körpertemperatur wird die Spermienproduktion außer Kraft gesetzt. Diese Methode ist günstig, nebenwirkungsarm und umweltschonend.

In Frankreich kommt der Verhütungsring schon seit Jahren zur Anwendung, wurde jedoch nie offiziell zugelassen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens ist der Ring technisch so einfach gehalten, dass die Industrie sich nicht für ihn interessiert. Zweitens gibt es noch große Forschungslücken beim Thema Spermienproduktion: Die Andrologie, der medizinische Fachbereich für Männergesundheit, ist bis heute ein unterfinanziertes Randgebiet. Auch im Medizinstudium wird das Thema wärmebasierte Verhütung nicht behandelt.

Damit neue Verhütungstechnologien sich durchsetzen können, bedarf es jedoch einer kompletten Umstrukturierung des Gesundheitswesens: Die Ausbildung unzähliger Fachleute, das Errichten von Gesundheits- und Forschungszentren, das Durchführen von Langzeitstudien, das Drucken neuer Medizinlehrbücher, die Durchführung von Aufklärungskampagnen samt Plakaten, Filmen und Werbeanzeigen. Es braucht ein über Jahre aufgebautes Netzwerk aus ärztlichen Praxen, Apotheken und Privatpersonen, die das Mittel kennen, bewerben und verschreiben, sowie aufklären und beraten.

Nur wenige Konzerne hätten genug Kapital, um so ein Projekt durchzuführen. Aber warum sollte ein Konzern im Privatbesitz auf gut Glück in irgendeine unerforschte Technologie investieren, wenn das bisherige Modell blendend funktioniert und so viel Gewinn abwirft? Warum neue Vertriebswege aufmachen, wenn das gesellschaftliche Einverständnis für die bestehenden Produkte seit Jahrzehnten gegeben ist?

Kein Luxus, sondern Grundbedürfnis

Verhütung ist nicht nur eine körperliche, sondern auch eine finanzielle Belastung. Eine Pillenpackung für 3 Monate kostet zwischen 20 und 60€, eine Kupferspirale ca. 200€. Den Anspruch auf die finanzielle Übernahme durch die gesetzliche Krankenkasse haben nur Menschen unter 22, und selbst dann kann es im Einzelfall schwierig sein, den Anspruch durchzusetzen.

Bei Hartz-4-Empfänger_Innen sind ca. 15€ pro Monat für die Gesundheit vorgesehen und damit auch für die Verhütung. Es können zwar Anträge für die Kostenübernahme von Pille oder Spirale gestellt werden, ein grundsätzliches Recht darauf gibt es aber nicht.

Aufgrund dieser prekären Situation werden von einzelnen Städten Finanzierungsprogramme organisiert, z.B. durch Pro Familia. Doch von diesem Angebot wissen nur die wenigsten. Das führt dazu, dass die Geldsummen ungenutzt liegen bleiben.

Für Jugendliche ohne finanzielle Mittel bleiben meist Hormone die einzige Option. Denn Kondome können nicht von der Krankenkasse übernommen werden, weil sie nicht rezeptpflichtig sind. Und viele Frauenärzt_Innen weigern sich, jungen Menschen eine Kupferspirale einzusetzen.

Wie drastisch die Lage ist, stellte eine Studie im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fest: ein Drittel der Studienteilnehmer_Innen verhüten aus finanziellen Gründen gar nicht. Weil mit der Inflation der Preis für die Verhütungsmittel angestiegen ist, hat sich die Lage weiter verschärft. Als Folge ist die Zahl der ungewollten Schwangerschaften bei Sozialleistungsbezieher_Innen dreimal so hoch wie bei Nichtbezieher_Innen.

All diese Zahlen zeigen, dass Verhütung eine Klassenfrage ist und dass die Barrieren für die Kostenübernahme viel zu hoch sind.

Forderungen

Eine befreite Gesellschaft kann es nicht ohne befreite Sexualität geben. Kein Konzern darf seine Profite über unsere reproduktive Gesundheit stellen. Dafür stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Die Reformierung des Sexualkundeunterrichts, Information über alle Verhütungs- und Abtreibungsmethoden, auch über unbekannte Optionen wie die Spirale Danach.
  • Keine Verschreibung von Verhütungsmitteln ohne ärztliche Aufklärung über die Nebenwirkungen. Information auch darüber, dass die Entzugsblutung optional ist. Schluss mit der Moralisierung und Beschämung bei der Pille Danach.
  • Die vollständige finanzielle Übernahme für alle Verhütungsmittel und Abtreibungen durch den Staat, unabhängig von Alter, Aufenthaltsstatus, Versicherung oder ärztlicher Verschreibung.
  • Die Finanzierung von Langzeitstudien, um sichere Verhütungsmittel zu gewährleisten. Die Entwicklung von nebenwirkungsarmen Verhütungsmitteln für alle Geschlechter, gemeinsam mit dem Ausbau der Andrologie.
  • Den Ausbau von Kinderbetreuung, Elternzeit und sozialem Wohnungsbau, damit bei der Familienplanung tatsächlich eine freie Entscheidung gewährleistet ist.
  • Enteignung der Pharmakonzerne! Der Kampf gegen die Frauenunterdrückung muss mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verknüpft werden. Dafür brauchen wir ein Gesundheitssystem unter Arbeiter_Innenkontrolle, welches sich an unseren Bedürfnissen orientiert.



CDU auf dem Weg zum Rechtspopulismus?

Von Jona Everdeen, Juli 2023

Gerade erst erregte die CDU/CSU Aufsehen mit der Forderung, es müssten in Deutschland mehr Nationalflaggen gezeigt und häufiger die Nationalhymne gespielt werden. Ein Aufruf an die Bevölkerung, gerade die junge Generation, doch bitte etwas patriotischer zu sein. Was vielleicht erst einmal als altbackene Marotte abgetan werden könnte, ist in Wahrheit Teil eines Prozesses, der in den letzten Monaten massiv an Fahrt gewonnen hat: Dem Rechtsruck der Union, der auch für einen Anstieg populistischer Rhetorik sorgt.

Die Union in der geänderten Weltlage

In Klassenbegriffen steht sowohl die Politik von Rechtspopulist_Innen wie die AfD als auch die von „Demokrat_Innen“ wie CDU, FDP oder Grüne im Interesse der Bourgeoisie. Worin besteht also der Unterschied? Naja, selbst in einem einzigen Nationalstaat bildet das Kapital keinen homogenen Block. Neben einem gemeinsamen Grundinteresse daran, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Ausbeutung und Profit aufrechtzuerhalten, bestehen verschiedene Kapitalfraktionen mit punktuell auch widersprüchlichen Einzelinteressen. Ein vereinfachtes Beispiel dafür ist der Widerspruch zwischen dem globalisierten Großkapital mit über die gesamte Welt und insbesondere Europa verteilten Produktionsketten und Absatzmärkten auf der einen Seite und kleinem oder mittelständigem Kapital mit stärkerer Orientierung zum Binnenmarkt auf der anderen Seite. Typisch für den Rechtspopulismus ist dann die Bezugnahme auf das „deutsche Volk unten“ gegen „die Eliten da oben“. Auf politischer Ebene spiegelt sich dieser Widerspruch z. B. darin wider, dass die eine Fraktion auf eine gewisse Durchlässigkeit der Nationalgrenzen besteht, während die andere maximale nationale Abschottung fordert. Diese Voraussetzungen für die ursprüngliche Abgrenzung von Union und AfD ändern sich jedoch mit der Entwicklung der politischen Weltlage. Durch Krise, Krieg und Pandemie sind internationale Produktionsketten zusammengebrochen und es haben sich Tendenzen zur Deglobalisierung eingestellt. Gleichzeitig hat der Aufstieg Chinas die hegemoniale Stellung der USA in Frage gestellt, auch in diesem Spannungsfeld muss sich das deutsche Kapital aufs Neue verorten. Dabei haben in den letzten Jahren vor allem die Grünen sich zur Repräsentation der auf die USA ausgerichteten Teile entwickelt.

Die CDU nach Laschet

Nach ihrem Machtverlust mit dem Ende der Ära Merkel war die CDU zunächst sehr planlos.Mit der Ampel hatte sich eine Koalition gefunden, die die Interessen der bürgerlichen Klasse in der Krise besser umsetzen konnte als sie selber. Dazu kam, dass vor allem die Grünen im Zuge dieser Ampel und der jüngsten Verschärfung der Krise in Form von Krieg und Inflation massiv nach rechts rückten. Ansätze einer Politik der sozialen Gerechtigkeit wurden von Habeck endgültig über Bord geworfen und mit Hohn über die verschwenderischen Armen in der Energiekrise ersetzt. Waren die Grünen einstmals energische Gegner_Innen der NATO, wurden sie nun unter Baerbock die energischsten Verfechter_Innen des imperialistischen Militärbündnisses des Westens und machen sich stark für Aufrüstung. Dabei gelang es Baerbock gut den aggressiver werdenen deutschen Imperialismus propagandistisch mit „Kampf für Menschenrechte“ zu rechtfertigen. Selbst ihr einstiges Steckenpferd, den Klimaschutz, opferten die Grünen schulterzuckend den Kapitalinteressen.

Gleichzeitig gelang es auch der FDP sehr gut, sich als verlässliche Wahl für das auf Neoliberalismus setzende Großkapital zu verkaufen. So blockierte die FDP unter Lindner in der Koalition vehement alles, was irgendwie Vorteile für Arbeiter_Innen und Nachteile für das Kapital bedeutet hätte. In der Koalition bleibt die SPD weitgehend farblos und verwaltet den Kapitalismus mit.

Doch was sollte mit der CDU passieren? War sie überflüssig geworden? Würde sie das Feld frei machen Habeck und Lindner? Nein, sicher nicht: Unter Merz erkannte die Partei, dass die Zeit des merkelschen Konservativismus vorbei ist. In der sich immer stärker zuspitzenden Krise zieht die Verwaltungs-Logik von „es ist gut so wie es ist, bloß nichts überstürzen“ nicht mehr, denn in der zugespitzten Krisensituation benötigt die herrschende Klasse soziale Angriffe, um sich zu erhalten. Um nicht in der relativen Bedeutungslosigkeit zu versinken, sondern weiter die erste Wahl der Bourgeoisie als Regierungspartei zu bleiben und ihre Wähler_Innen-Basis zu erhalten, muss die Union ihr Auftreten verändern und programmatisch nach rechts rücken.

Wegner in Berlin

Nachdem die post-Merkel CDU nach der letzten Bundestagswahl in einer tiefen Krise steckte, katapultierte sie ein phänomenaler Wahlsieg ausgerechnet im „links-grünen Berlin“ endgültig aus der Misere. Nach 20 Jahren erreichte mit Kai Wegner zum ersten Mal wieder ein Unionspolitiker das Amt des Regierenden Bürgermeisters.

Den Wahlkampf, der ihm diesen Sieg bescherte und die CDU zur dominanten Partei in den bürgerlichen Randbezirken machte, setzte durchweg auf ein klares rechtskonservatives Programm flankiert durch teils rechtspopulistische Rhetorik.

So versprach Wegner ein „Bürgermeister der Autofahrer“ zu sein und diese vor weiteren „Angriffen“ zugunsten einer verkehrsberuhigten und fahrradfreundlichen Innenstadt zu „schützen“.

Auch hetzte Wegner massiv gegen Migrant_Innen, vor allem im Zuge der sogenannten Silvesternachtskrawalle, wo er in einer parlamentarischen Anfrage die Vornamen der Verdächtigen erfragte. Auch wenn das Resultat, die meisten Namen waren deutsch gelesene, seiner Logik widersprach, nutzte er weiterhin das Framing von den „kriminellen Ausländern“, gegen die er vorgehen wolle. In dieser Framing reiht sich auch nahtlos die Law and Order Logik von Wegners Wahlkampf ein. Er wolle dafür sorgen, dass in Berlin wieder „Sicherheit und Sauberkeit“ herrsche und dafür die Polizei massiv ausbauen.

Vor allem aufgrund der Unfähigkeit der linksliberal-reformistischen R2G Regierung, die wirklichen Probleme der Stadt, steigende Mieten und die allgemeinen Folgen der Krise zu lösen, zog Wegners Wahlkampf vor allem im Berliner Kleinbürgertum und der rückschrittlichen Arbeiter_Innenschaft gut. Wobei auch gesagt werden muss, dass er sein Amt in erster Linie der Rechtssozialdemokratin Giffey zu verdanken hat die, obgleich R2G mehr Stimmen als die GroKo hatte, lieber unter dem Rechten Wegner regieren wollte, als sozial- und umweltpolitische Zugeständnisse an Grüne und Linke machen zu müssen.

Einen Skandal stellte dann die Bürgermeisterwahl im Senat da, wo mindestens nicht auszuschließen ist, dass Wegner auch mit AfD-Stimmen ins Amt gewählt wurde, das spielte allerdings weder für ihn noch für Giffey eine Rolle.

Wird Bayern zum deutschen Florida?

Noch mehr als in Berlin zeigt sich in einem anderen Bundesland die Union immer rechtspopulistischer: In Bayern.

In Bayern herrscht schon lange mit dem tendenziell rechtesten Teil der Union, die CSU, eine Partei quasi alleine, wobei ihre sinkende Popularität sie erst jüngst dazu zwang, sich mit Aiwangers „Freien Wählern“ eine Partei mit ins Boot zu holen, die nochmal deutlich rechtspopulistischer auftritt. Entsprechend wenig verwunderlich ist es auch, dass hier der Rechtsruck die schärfsten Züge annimmt. So reiste eine Abordnung von CSU-Spitzenpolitiker_Innen kürzlich nach Florida, um dem dortigen erzreaktionären Republikaner Ron DeSantis einen Freundschaftsbesuch abzustatten und brachte sogleich dessen Politik mit nach Hause. So forderte wenige Tage nach dem Besuch die CSU in DeSantis-Manier ein Verbot von Dragshows und verbreiteten die republikanische Lüge, Dragqueens würden das Kindeswohl gefährden.

Auch trat Markus Söder prominent auf einer rechtspopulistischen Demo gegen die Heizungspläne der Ampelregierung auf, wo sein Schulterschluss mit rechten und verschwörungsideologischen Kräften daran scheiterte, dass er sich zwar als Teil des rechten Sammelsuriums sah, dieses ihn aber nicht als Teil von ihrer „Volksbewegung“.

Ist die CDU jetzt eine zweite rechtspopulistische Partei?

Es ist zwar zu sehen, ob in Bayern, Berlin oder bundesweit, dass sich die Unionsparteien immer mehr populistischer Rhetoriken bedienen, vor allem um gegen die Politik der Ampelregierung, die Klimabewegung oder Migrant_Innen zu schießen. Zudem rückt die Union generell in ihrer Politik stärker nach rechts und nähert sich der AfD an. Dennoch kann noch nicht davon geredet werden, dass es sich bei der Union bereits um eine rechtspopulistische Partei handelt, wie es die AfD ist.

Vielmehr ist sie eine zunehmend rechtere konservative Partei, die sich in der Krise gezwungen sieht, vermehrt auf rechtspopulistische Rhetoriken zurückzugreifen, um ihre Wähler_Innen-Basis nicht an die AfD zu verlieren und ihr Programm für soziale Angriffe im Interesse der Großbourgeoisie zu vertuschen. Die Union stützt sich nicht auf Protestbewegungen und ist programmatisch weiterhin auf das dominante, globalorientierte Großkapital ausgerichtet. Es ist zwar möglich, dass CDU/CSU langfristig auf eine rechtspopulistische Taktik umschwenken, wie es bei PiS, Fidesz und Teilen der Republikaner bereits passiert ist, sicher ist diese Entwicklung aber nicht. Viel eher hängt sie von der weiteren Entwicklung der Krise ab und davon, ob sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der Fraktionen der herrschenden Klasse verschieben. Fakt ist aber sicherlich, je mehr bürgerliche Parteien „gezwungen“ sein werden, Kapitalinteressen mit massiven Angriffen auf Arbeiter_Innen, Migrant_Innen und sozialen Bewegungen durchzusetzen, desto nötiger werden sie es auch haben, diese Angriffe sowie dafür benötigten autoritäreren Regierungsformen mit populistischen und nationalistischen Parolen zu legitimieren und damit Verwirrung über die Klassenverhältnisse zu erzeugen. 

Schwarz-blau, eine berechtigte Angst?

Dass rechtspopulistische Parteien häufig auch über Unterschiede hinweg zueinander finden, sieht man in Italien gut, wo gleich drei solcher Kräfte eine Regierungskoalition bilden. Doch auch traditionell rechtskonservative Parteien, die verstärkt auf rechtspopulistische Rhetoriken setzen, öffnen sich häufig für solche Bündnisse, so die „Volkspartei“ in Spanien, die sich mit der ultra-rechten VOX zusammengetan hat, um gemeinsam eine rechtspopulistische Front gegen die kriselnde sozialdemokratische Regierung zu bilden.

Doch wie sieht es in Deutschland aus? Mit der AfD gibt es hier ja eine rechtspopulistische Partei, der sich die Union zwar gerade politisch und vor allem rhetorisch immer mehr annähert, aber dennoch an der von CDU-Vorsitzenden Merz verkündete „Brandmauer“ hängen bleibt. Ist diese aber noch lange zu halten?

Tatsächlich sorgte erst gerade ein thüringischer Bürgermeister aus der CDU für Aufsehen, als er offen eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Rechtsparteien forderte und sich damit offen gegen die „Brandmauer“ auflehnt.

Eine Koalition des rechten Unionsflügels um Kretschmer, Kuban und die CSU mit der AfD oder zumindest eine Koalition auf Landesebene zum Beispiel in Thüringen sind zu einer realistischen Möglichkeit geworden. Die Ampelregierung hat es schließlich nicht geschafft, die Krise irgendwie adäquat zu lösen und die vorherige GroKo hat sich auch diskreditiert. Jedoch ist es auch fraglich, ob tatsächlich die Mehrheit der großbürgerlichen Klasse, die von der Union-Politik abgebildet wird, bereit ist, die mit so einer Rechtsregierung verbundenen Risiken in Kauf zu nehmen. Auch ist erst einmal nicht davon auszugehen, dass eine solche Regierung, innerhalb kürzester Zeit den bürgerlichen Parlamentarismus außer Kraft setzen würde. Viel eher wäre eine Politik wie die unter ÖVP-FPÖ in Österreich oder der Meloni-Regierung in Italien zu erwarten. Allerdings nur ein schwacher Trost, ist wenn man deren massive Angriffe auf Arbeiter_Innen und ihre gesellschaftspolitische Rückschrittlichkeit betrachtet.

Doch jetzt kommen wir zu der entscheidenden Frage: Was tun, wenn tatsächlich schwarz-blau siegt?

Wie kann der Rechtsruck geschlagen werden?

Zunächst einmal nicht dadurch, seine Narrative zu übernehmen und zu versuchen, irgendwie „links“ umzudeuten. Sahra Wagenknechts gescheiterter Linkspopulismus und auch Bewegungen wie Podemos in Spanien zeigen das deutlich!

Was es stattdessen braucht, ist eine starke Linke, im besten Falle in Form einer Einheitsfront gegen den Rechtsruck! Nur mittels einer Politik, die praktisch die Klassenfrage, und zwar die politische wie die ökonomische, in den Mittelpunkt stellt, kann der Rechtsruck zurückgeschlagen werden und CDU, Freien Wählern oder AfD den Wind aus den Segeln genommen werden! Revolutionär_Innen müssen innerhalb diese Einheitsfront aktiv auf die Widersprüche des Kapitalismus aufmerksam machen und für notwendig-radikale Forderungen kämpfen.

Auch sollte klar sein, dass wir eine Rechtsregierung nicht widerstandslos hinnehmen dürfen! Die Antwort auf eine schwarz-blaue Regierung muss der Generalstreik sein! Hierfür müssen wir heute schon Druck auf Linkspartei, SPD und Gewerkschaften ausüben, offene Mobilisierungen und Widerstand gegen den Rechtsruck zu organisieren.




Tarifkampf der EVG: Schlichtung ablehnen!

Leo Drais, Juli 2023, zuerst erschienen bei Arbeiter:innenmacht

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat sich in der überaus zähen Tarifrunde mit der DB AG auf eine Schlichtung eingelassen, nachdem sie sich bereits in der Vorbereitung der Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik befand. Diese wird auch kommen – das Schlichtungsergebnis soll urabgestimmt werden. Es ist zu erwarten, dass die EVG dann die Annahme empfiehlt, gerade mal 25 % der abstimmenden Mitglieder reichen dafür. Demgegenüber müssten 75 % das Ergebnis ablehnen, sprich für einen Erzwingungsstreik stimmen, damit dieser stattfindet.

Schachzug der Bürokratie

Das Ganze ist ein geschickter Zug der EVG-Führung, die in den letzten drei Monaten viel dafür getan hat, nicht zu streiken, die immer wieder betont hat, Lösungen gebe es nur am Verhandlungstisch, die eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zu einem Sieg umdeutete, die mit Transdev einen Abschluss gemacht hat, zu niedrig, zu lang in der Laufzeit, den sie wie mit dem Zaunpfahl winkend auch bei der DB gern genommen hätte – nur: Nicht mal diesen Abschluss wollte die DB akzeptieren.

Der Abschluss bei Transdev, dem größten privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) nach dem staatlichen der DB AG (Betreiber u. a. der Bayerischen Regiobahn, NordWestBahn, S-Bahn Hannover) beinhaltet eine Laufzeit von 21 Monaten und eine zweistufige Bruttofestgelderhöhung von 290 Euro ab November und 130 Euro ab August 2024; Nachwuchskräfte kriegen die Hälfte. Zusätzlich kommt eine Inflationsausgleichsprämie über 1.400 Euro. Daneben erfolgten Verbesserungen im Bereich der Zuschläge und noch Weiteres. Von den ursprünglichen Forderungen: Laufzeit 12 Monate, 650 Euro in die Tabelle ist dennoch nicht viel geblieben. Andere private EVU folgten dem Abschluss.

Die Bahn provozierte mit einem Angebot von 27 Monaten Laufzeit und einer Erhöhung von gerade mal 200 Euro in zwei Schritten (Dez 23, Aug 24, jeweils 100 Euro). Das „Angebot“ wurde von der Zentralen Tarifkommission (ZTK) abgelehnt und ebenso vom Bundesvorstand der EVG. Somit waren die Verhandlungen gescheitert.

Die Entscheidung ist wahrscheinlich Ausdruck von zwei Aspekten: Erstens kann natürlich eine Gewerkschaftsführung, auch wenn sie sich noch so sehr um die Sozialpartner:innenschaft mit den Bossen bemüht, nicht jeden Scheiß unterschreiben, zumal die EVG im Coronajahr 2020 komplett die Füße stillgehalten und unter dem Deckmantel der Beschäftigungssicherung eine Nullrunde unterschrieben hat – ohne irgendeine Vordiskussion mit der Basis.

Dieses Mal bemühte sich der Apparat von Anfang an, dem ganzen Verfahren einen demokratischeren Anstrich zu geben, natürlich weit ab von einer direkten Kontrolle durch die Mitglieder. Man organisierte Tarifwerkstätten und eine Mitgliederbefragung, beides mit deutlichen Schwächen. Bei Ersteren durfte zwischen drei Hauptforderungen nur eine gewählt werden, bei Zweiterer konnten alle mehrfach abstimmen, jedoch ohne, dass in dem Ergebnis irgendeine Verbindlichkeit lag; die Laufzeit fehlte gleich ganz.

Zudem hat sich in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung des EVG-Apparates verändert. Mehr junge Gewerkschaftssekretär:innen und Ehrenamtliche sind abgefuckt davon, wie der Laden läuft. Zudem ist natürlich einerseits allen Gewerkschaftsoffiziellen klar, dass mit einem zu schlechten Abschluss Austrittswellen drohen, zum anderen, und das ist nicht zu unterschätzen, gibt es bei der Bahn anders als für die IG Metall bspw. eine relevante Konkurrenzgewerkschaft mit der GDL. Diese hat ihrerseits mittlerweile ihre Forderungen für die Tarifrunde ab Herbst aufgestellt, darunter eine 35-Stundenwoche für Schichtarbeiter:innen sowie 555 Euro mehr in die Tabelle. Schließt die EVG zu schlecht ab, gibt es für alle Mitglieder immer auch die Möglichkeit, zu ihr zu gehen, und das weiß natürlich der Apparat beider Vereinigungen.

Davon abgesehen ist es natürlich so, dass die Tarifkommissionen bei den unterschiedlichen Unternehmen anders zusammengesetzt sind.

Dann kam die DB mit dem Angebot einer Schlichtung um die Ecke und der EVG-Apparat witterte die Chance: ein guter Sozialpartner sein und gleichzeitig die Mitgliedschaft einbinden. Das Ergebnis der Schlichtung wird urabgestimmt, die Verantwortung über die Annahme der Mitgliedschaft in einem Verfahren überantwortet, das selbst formal undemokratisch ist. Am Ende klopfen sich EVG-Vizevorsitzende Cosima Ingenschay und Co. auf die Schulter und sagen: „Die Mitgliedschaft hat entschieden“, selbst wenn mehr als 50 % das Ding ablehnen sollten. Es scheint demokratisch, aber der ganze Weg dahin und die Abstimmung selbst waren und sind es nicht. Allein schon deshalb muss die Schlichtung abgelehnt werden. Immerhin einige, wenigstens die Vertreter:innen der Jugend, haben dies getan.

Annahme verweigern

Darüber hinaus ist erstens zu erwarten, dass bei der Schlichtung nicht das rauskommt, was ursprünglich gefordert wurde. Zwar gehört es zu den üblichen Ritualen in deutschen Tarifverhandlungen, weit unter den eigenen Forderungen abzuschließen, doch nur, weil es „schon immer so gemacht“ wird, wird es dadurch nicht richtiger. Warum wird nicht eskalierend vorgegangen? Eine DB, die ungestraft einfach mal 2 Monate gar nicht verhandelt hat, hätte es nicht anders verdient, als mit einem Erzwingungsstreik bestraft zu werden, wo mit jeden Tag die Forderung erhöht wird.

Zweitens muss die Schlichtung (und damit ihr Ergebnis) deshalb abgelehnt werden, weil sie nicht nur ein Zugeständnis an die Bahn darstellt, sondern auch, weil die EVG damit von dem Wohlgefallen der Schichter:innen abhängig wird. Diese kann sie zwar selbst mitbestimmen, zum Redaktionsschluss sind diese auch noch nicht bekannt, erfahrungsgemäß sind es jedoch Politiker:innen, die vorgeblich zwar über dem Konflikt stehen, jedoch immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Blick behalten (wie die EVG-Spitze selbst auch; schließlich verteidigt sie die DB nicht aus fortschrittlichen Gründen gegen deren drohende Zerschlagung, sondern für den Erhalt des Status quo).

Wir sollten von der Schlichtung nicht mehr erwarten als den Transdev-Abschluss. Wir sollten sie deshalb ablehnen und, weil sie ein undemokratisches Verfahren ist, das am Ende mit der Urabstimmung einen demokratischen Touch erhalten soll. Unsere Mittel für einen Abschluss, der unseren Forderungen entspricht, sind noch nicht ins Spiel gebracht worden: Ablehnung des Schlichtungsergebnis, Durchführung des Erzwingungsstreiks.

Und wenn das Ganze sich schon bis in den Herbst hinzieht, dann liegt der gemeinsame Kampf mit den Kolleg:innen der GDL auch auf der Hand. Immerhin stehen wir täglich zusammen gegen diesen Konzern um Sicherheit und Pünktlichkeit auf der Schiene ein, das heißt, wir können auch zusammen gegen seinen Tarif kämpfen. Wir sollten gegenseitig die Forderungen durch die der höchsten von der anderen Seite ersetzen. Von den Führungen der EVG und der GDL gibt es in unterschiedlichem Maß daran kein Interesse, die Zusammenarbeit wird aus der Basis kommen müssen.

Genauso gilt das für ein Eintreten für wirklich demokratische Tarifrunden: Tägliche Betriebsversammlungen, direkt gewählte und rechenschaftspflichtige Vertreter:innen in der Tarifkommission. Abstimmungen über Annahme und Streik nach einfacher Mehrheit. Kann sein, dass ein solches Verfahren noch Jahre auf sich warten lassen wird. Trotzdem: Der Grundstein für eine Diskussion dazu muss jetzt in der Tarifrunde gelegt werden.

Und noch etwas müssen wir selbst in die Hand nehmen: GDL- und EVG-Chef:innen sind denkbar schlecht darin, der Medienhetze etwas entgegenzusetzen, wenn es zu Streiks kommt. Es wird einfach darauf verwiesen, dass diese rechtens seien – das heißt im Umkehrschluss dann eben auch, ein gerichtliches Streikverbot kampflos zu akzeptieren.

Streik und Reisende

Wie können die Reisenden also mitgenommen werden? Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten. Erstens: Einbeziehung durch Erweiterung der Forderungen. Keine Fahrpreiserhöhung, kostenloser Nahverkehr und massive Angebotserweiterung, bezahlt durch die Profite von VW und Co. Zweitens: Aufklärung. Nicht die streikenden Kolleg:innen sind schuld an der Misere, sondern der Konzern und der Staat. Der Streik findet auch dafür statt, dass die Arbeitsbedingungen bei der Bahn besser werden. Verkehrswende braucht Eisenbahner:innen. Von diesen gehen in manchen Bereichen 70 – 80 Prozent in den nächsten zehn Jahren in Rente. Daher braucht es nicht nur einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs, sondern auch ein deutlich verbessertes Investitionsprogramm für Neueinstellungen!

Drittens: Gezielter Erzwingungsstreik. Es wäre durchaus möglich, gezielt und schwerpunktmäßig den Güterverkehr der Auto- und Schwerindustrie zu bestreiken und Personenverkehr zeitweilig auszunehmen, verbunden mit einem Streik im Bereich Vertrieb und Fahrkartenkontrolle. Das würde aber einen höheren Organisationsgrad brauchen und vor allem wäre dafür die Voraussetzung, dass wir als Beschäftigte den Streik selbst kontrollieren. Die Ironie wäre dann übrigens, dass der Reiseverkehr auf einmal pünktlicher wäre – in einem vollen, heruntergefahrenen Netz fällt es auf, wenn die Züge fehlen, die die bedeutendsten Industrien des Landes bedienen, also jene, die seit Jahrzehnten für einen chronische Benachteiligung der Schiene verantwortlich sind.




Interview zu Klimaaktivismus mit Cosmo, Aktivistin bei „End Fossil“ Göttingen und der „Letzten Generation“

Von Clay Ikarus, Juli 2023

Spätestens nach der letzten Razzia bei der „Letzten Generation“ und Beschlagnahmung der Spendenkonten sowie dem drohenden Organisationsverbot durch den §129 sollte uns bewusst sein, dass der Angriff gegen Klimaaktivismus in die nächste Runde geht. Gleichzeitig werden auch Besetzungen durch „End Fossil Occupy“ oder „Wuhlheide bleibt“ mit Gewalt aufgelöst und mit massiven Versammlungsverboten verbunden.

Doch wie entsteht eigentlich eine Besetzung und wie können wir gemeinsam gegen die Repressionen ankämpfen?

Hey Cosmo, Wer bist du und wie bist du zur Umweltaktivistin geworden ?

Ich studiere in Göttingen Politikwissenschaft, Soziologie und Ethnologie. Politisiert habe ich mich durch die Initiative „O-Platz ist überall“, einer Berliner Bewegung für eine menschenwürdige Geflüchtetenpolitik. Mit einem anfangs stets naiven Blick auf die Welt begann ich kurz darauf mit überparteilicher, politischer Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb von Schulen, ich organisierte Podiumsdiskussionen, Demos und Kampagnen in ganz Europa und nahm auch an klassischen Hinterzimmergesprächen mit Minister*innen und anderen Entscheidungsträger*innen teil. Bald merkte ich, dass ich in der liberal geprägten Europabubble mit meinen antikapitalistischen Forderungen nur wenig Gehör fand und schloss mich zunächst einer linken, proeuropäischen Bewegung an, bevor ich mich entschied, in die Kommunalpolitik zu wechseln.

Überrascht hat mich im Stadtrat besonders die starke Einflussnahme von Lobbygruppen und das Ausmaß fehlender Handlungsbereitschaft der Politik bei gleichzeitiger kontinuierlicher Erhöhung der Fraktionsmittel und Sitzungsgelder. Auch den Rechtsruck im Stadtrat hielt ich auf Dauer nicht aus und wechselte auf die Seite der Klimagerechtigkeitsaktivist*innen. Mit „End Fossil“ habe ich seit vergangenem Herbst mehrere Schulen und Universitäten im In- und Ausland besetzt. Wir sind eine junge, antikapitalistische Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich für soziale Gerechtigkeit, klimagerechte Lehre und mehr Demokratisierung in Bildungseinrichtungen und gesamtgesellschaftlich einsetzt.

Gerade von der Besetzung in Göttingen haben wir viel Positives gehört. Wie habt ihr es geschafft, vor Ort viele Menschen dafür zu mobilisieren und was kann man aus der Besetzung lernen?

In Göttingen haben wir mit der europaweit ersten Besetzung von „End Fossil“ den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Von uns hatte niemand besondere Vorerfahrungen in zivilem Ungehorsam und der Kern der Gruppe bestand neben mir nur aus zwei weiteren Menschen. Nicht selten hatten wir starke Zweifel, ob wir das überhaupt stemmen können. Geholfen haben uns dankenswerterweise auch viele Schüler*innen, die in Göttingen eigene Besetzungen planten und zahlenmäßig stärker aufgestellt sind. 

Schließlich wurden wir auch Dank der guten Verhandlungen durch den AStA an der Uni geduldet und zum ersten Plenum waren wir schon über 100 Leute. Wir hatten einen Nerv getroffen und konnten den größten Hörsaal drei volle Tage mit einem bunten, antikapitalistischen und dekolonialem Programm bespielen und vielen verschiedenen Perspektiven auf Klimagerechtigkeit den Raum öffnen. Gemeinsam haben wir Forderungen an die Universität formuliert und bekamen dafür auch die Unterstützung der Senatsmitglieder. 

Das Präsidium der Universität verweigert jedoch bis heute jede Anstrengung im Hinblick auf  Klimagerechtigkeit am Campus. Deshalb gab es im vergangenen Monat eine erneute Besetzung. Wichtig für den Erfolg einer Hörsaalbesetzung ist in der Vorbereitung vor allem eine breite Bündnisarbeit und Kommunikation nach außen, aber auch eine intensive Auseinandersetzung mit möglichen Repressionen.

Du bist ja selbst auch durch Repression des Staates betroffen, magst du nochmal erläutern, was dir vorgeworfen wird ? 

Ja, seitdem ich mich als aktiven Teil der Klimabewegung verstehe, bin ich mit deutlich heftigeren Repressionen konfrontiert als je zuvor. Kürzlich musste ich in den Gerichtssaal, weil mir Nötigung vorgeworfen wurde. Das Urteil in Höhe von 20 Tagessätzen ist aber noch nicht rechtskräftig. Ich habe mich im vergangene Sommer friedlich mit etwa 65 weiteren Personen an einer Sitzblockade der „Letzten Generation“ in Berlin beteiligt, um gegen neue Ölbohrungen in der Nordsee öffentlichkeitswirksam zu protestieren. Auch die Bezirksbürgermeisterin solidarisierte sich damals vor Ort mit uns. Die Gerichte argumentieren dann meistens mit der Länge und Dauer des Rückstaus. Es ist nicht meine erste Sitzblockade und die Polizei hätte mich jederzeit ohne weiteres auch wegtragen können.

Die Mitglieder der Bundesregierung wurden trotz des bewussten Missachtens weltweiter Abkommen noch nie für ihr Handeln gerichtlich verurteilt. Auch große Konzerne werden nicht ansatzweise so stark bestraft wie Menschen, die sich für unsere Lebensgrundlagen einsetzen. Stattdessen werden neokoloniale Großprojekte, Landraub und die Täuschung der Öffentlichkeit mit riesigen Profiten belohnt und treiben unsere Lebenshaltungskosten in die Höhe.  Gegen das Urteil am Amtsgericht habe ich nun Rechtsmittel eingelegt. Es ist ein politischer Prozess. Das zeigen nicht zuletzt die unterschiedlichen Strafmaße in den verschiedenen Bundesländern, die von einfachen Ordnungswidrigkeiten bis hin zu Hausdurchsuchungen und monatelanger Haft reichen.

Was denkst du braucht es, damit die Forderungen der Umweltbewegung auch umgesetzt werden und wie sollten wir gegen die Repression vorgehen?

Ein unendliches Wachstum und ein Festhalten am kapitalistischen Mantra ist eine direkte Gefahr für unsere Demokratie und den Zusammenhalt und das Überleben von Gesellschaften weltweit. Als Klimagerechtigkeitsbewegung fordern wir, dass Grundbedürfnisse wie Wohnen, Energieversorgung, Nahrung, Gesundheitsversorgung usw. unter demokratische Kontrolle und nicht in die Hände profitorientierter Unternehmen gehören. Die Antwort auf das derzeitige Machtungleichgewicht befindet sich im Grundgesetz Artikel 15 und heißt Vergesellschaftung.

Mit unseren vielfältigen Aktionsformen, immer breiteren Bündnissen und globaler Solidarität lassen sich die Repressionen von Staaten und multinationalen Großkonzernen am besten bekämpfen. Wir kämpfen um unser aller Überleben. Deshalb sollten wir aufhören bei der Politik betteln zu gehen und uns stattdessen stärker mit Arbeitskämpfen und anderen sozialen Bewegungen solidarisch zusammentun. Durch großen gesellschaftlichen und ökonomischen Druck können wir letztendlich auch die Politik bewegen.

Was hältst du von der „Letzten Generation“ und den derzeitigen Angriffen durch den Staat auf die Organisation?

Die „Letzte Generation“ hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren zu einem wichtigen Akteur der Klimagerechtigkeitsbewegung entwickelt. Sie hat auch gezeigt, dass egal wie vielfältig Aktionsformen sein können, sie nur Aufmerksamkeit erreichen, wenn die Öffentlichkeit ganz unmittelbar adressiert ist. Auch die „Letzte Generation“ hat schon Unis besetzt, Pipelines abgedreht, Sportevents gestört, das Regierungsviertel lahmgelegt, eigene Kunstaktionen gemacht und Zufahrtsstraßen fossiler Konzerne blockiert. Große öffentliche Aufmerksamkeit gibt es jedoch nur für Straßenblockaden an Autobahnen oder in den Innenstädten, Blockaden von Passagierflughäfen oder Aktionen in Museen. Die „Letzte Generation“ ist mit ihrer Strategie sehr erfolgreich, doch eine Teilnahme an Aktionen muss auch aus finanziellen Gründen und im Hinblick auf Folgen für den Schul- oder Berufsalltag gut abgewogen werden muss. Nur wenige in der Gesellschaft können sich das leisten und ein nur kleiner Bruchteil derer, die die hohen Repressionen in Kauf nehmen für ihren Protest mit der „Letzten Generation“, werden in demokratische Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Straßenblockaden und Gefängnisaufenthalten als letzte Möglichkeit der Selbstwirksamkeit anzupreisen und damit alle anderen Arten des Einsatzes für Klimagerechtigkeit abzuwerten, finde ich falsch. Mir ist wichtig, dass alle verstehen: Es gibt nicht nur die eine Aktionsform, die Handlungsfähigkeit verspricht. Für einen kollektiven Machtaufbau gegen Staat und Kapital sind wir alle gefragt – im Betrieb, in der Schule und auch an der Universität!

Wenn ihr wissen wollt, was unsere Antwort auf die Umweltkrise ist schaut in diese Artikel:
Wer ist eigentlich Schuld an der Umweltkrise?
https://onesolutionrevolution.de/umweltzerstoerung-klimawandel-wer-ist-schuld-daran/
Hier unsere Perspektive auf Landwirtschaft und Ernährung
https://onesolutionrevolution.de/resolution-zur-landwirtschaft-und-ernaehrungsfrage/

Zur internationalen Frage
https://onesolutionrevolution.de/warum-muss-die-umweltbewegung-international-sein/