Tourismus – von der kapitalistischen Verwertung zur internationalen Solidarität

von Jona Everdeen, Juli 2023

Somme, Sonne, Urlaubszeit! Bald beginnen in ganz Deutschland wieder die Schulferien und an den Unis neigt sich das Sommersemester schon langsam seinem Ende entgegen. Viele werden von ihren Mitschüler_Innen oder Studierenden die Frage gestellt bekommen: Und wohin fährst du in Urlaub? Und während man dann im Herbst in Schule, Uni und am Ausbildungsplatz davon schwärmt, wie toll doch die Strände Spaniens und Kroatiens und die Städte von Paris, Amsterdam und Athen sind, wird man gleichzeitig anfangen zu schimpfen, dass in Kreuzberg und St. Pauli nur noch Touris abhängen und „Antiturista“-Parolen an den Wänden lesen. Doch wie passt das zusammen?

Tourismus im Kapitalismus

Nach monatelanger harten Arbeit in der Fabrik endlich mal raus aus dem tristen Alltagsleben und sich zwei Wochen am Strand sonnen, ehe dann der Arbeitsalltag wieder weitergeht. Das ist die Realität vieler Menschen. Und eben diese zwei Wochen Urlaub sind dann auch das Highlight des Jahres, wofür sich die ganze Schufterei vermeintlich lohnt.

Dass Tourismus überhaupt massentauglich wurde, also für die meisten auch lohnabhängigen Menschen im Globalen Norden zugänglich, ist ein Ergebnis der Zeit der kapitalistischen Hochkonjunktur nach dem 2. Weltkrieg. Zuvor war Urlaub eigentlich nur möglich, wenn man Verwandte anderswo besuchen konnte. Die Möglichkeit wirklich echten Urlaub zu machen, war ein Zugeständnis an die Arbeiter_Innen. In einer Zeit des massiven Wirtschaftswachstums durften sie auch mal ein wenig Pause machen und als kleine Entschädigung für die alltägliche Plackerei ein bisschen Erholung bekommen. Die Vorfreude auf den Sommerurlaub sorgt dafür, dass man seine Arbeitsbedingungen zumindest etwas genügsamer hinnimmt.

Auch wurde der Urlaub in dieser Zeit immer mehr zu einem Statussymbol: Mitglieder reicherer Familien prahlten mit exotischen Reisezielen, während die Kinder armer Fabrikarbeiter_Innen, die wieder „nur“ an die Nordsee oder in den Schwarzwald fahren konnten, sich schlecht fühlten, dass sie so wenig zu erzählen hätten.

Wie in eigentlich allem, entdeckte der Kapitalismus auch im Tourismus ein großes Potenzial Profite zu schöpfen und begann auch schnell dieses auszunutzen. Große Hotelketten mit Filialen auf der ganzen Welt entstanden, Reiseagenturen eröffneten und immer neuere, immer exotischere Urlaubsangebote wurden geschaffen, um den dahinterstehenden Kapitalist_Innen Profite zu ermöglichen. Wie bei jeder kapitalistischen Mehrwertproduktion gibt es auch im Tourismus zwei Quellen, die für die Produktion von Profit ohne Rücksicht auf Verluste ausgeschöpft werden: die menschliche Arbeitskraft und die natürlichen Ressourcen.

Imperialistische Ausbeutung und Umweltzerstörung im Tourismus

Für uns in Berlin oder Paris ist es relativ einfach, nach Ägypten oder Thailand zu reisen. Andersherum ist das nicht der Fall. Kaum ein Mensch aus Ägypten oder Thailand fährt jemals in den Urlaub nach Berlin oder Paris, außer sie sind Teil der dortigen privilegierten Klassen. Selbst wenn sie es schaffen würden, überhaupt mal ein Visum für Europa oder Nordamerika zu erhalten, hätten die dortigen Arbeiter_Innen, durch ihre lokalen Kapitalist_Innen und die Imperialist_Innen aus dem globalen Norden doppelt ausgebeutet, kein Geld für solche Reisen, egal wie hart sie arbeiten und egal wie viel sie sparen.

Stattdessen dürfen sie sich in den Ferienresorts der Karibik und der Malediven zu Hungerlöhnen ausbeuten lassen. Während sich mittelalte Westeuropäer_Innen auf Kreuzfahrtschiffen wie auf einem schwimmenden Hotel durch die Weltmeere fahren lassen, schuften philippinische Crews unter Deck und sorgen dafür, dass der Kahn fährt und sämtliche Annehmlichkeit zur Verfügung stehen.

Tourismus führt immer wieder zu massiver Zerstörung und Verdrängung. Die indigenen Massai sollen in Tansania für einen Safaripark von ihrem Land vertrieben werden. Im Süden Mexikos soll der „Tren Maya“ durch den Urwald und durch das Land indigener Völker und den Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten geschlagen werden, damit Urlauber_Innen schneller und einfacher zu den Ruinen der antiken Mayakultur gelangen können.

Ganz generell ist die ökologische Bilanz von Tourismus häufig katastrophal. Einige wenige Kreuzfahrtschiffe stoßen so viel CO₂ im Jahr aus wie zig Millionen Autos und zahlreiche ökologisch wertvolle Räume wie Korallenriffe werden durch den Massentourismus in Seaside-Ressorts für immer zerstört.

Doch während die Auswirkungen des Imperialismus in diesem Wirtschaftsbereich hier wohl, wie so viele andere Formen der imperialistischen Ausbeutung, wenig Beachtung finden würden, sorgt der Tourismus anderswo für große Empörung. Im Globalen Norden, in den westeuropäischen Metropolen.

Tourismus und Gentrifizierung

Nicht nur ferne sonnige Strände lassen sich von der Tourismusbranche gut vermarkten und entsprechend verwerten, auch die Innenstädte von Paris, Berlin und Barcelona eignen sich dafür prima. Doch so wie der Tourismus für die Menschen in der Karibik oder in Thailand meist negative Konsequenzen mit sich bringt, tut er das auch hier.

Die Innenstädte verkommen durch den Druck der kapitalistischen Verwertung im Bereich des Tourismus immer mehr zu reinen Attraktionen, umliegende Geschäfte passen ihr Angebot nicht mehr auf die Bewohner_Innen an, sondern darauf, ausländischen Touris das Geld aus der Tasche zu ziehen und statt Öffis oder Wohnbau sprechen alle nur noch von dem Ausbau „touristischer Infrastruktur“.

So gibt es in den zentralen Straßen von Großstädten teilweise mehr Hotels als Wohnhäuser. Die Nähe zu touristischen Attraktionen treibt die Mieten in diesen Gegenden massiv in die Höhe und sorgt dafür, dass sich nur noch reiche Hipster oder Investor_Innen eine Wohnung in der Innenstadt leisten können. Das Konzept von Airbnb, also dem Angebot von normalen Wohnungen an Tourist_Innen, bietet außerdem Vermieter_Innen eine alternative Verwertungsmöglichkeit für den eh schon knappen Wohnraum in innenstadtnahen Vierteln. Wohnungen werden zu Hotels.

So fungiert Tourismus als massiver Treiber der sowieso in den meisten Großstädten des Globalen Nordens grassierenden Gentrifizierung, die zur Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus den innenstadtnahen Stadtteilen an den Stadtrand führt. Städte geben ihre Bewohnbarkeit für die breite Masse zugunsten von Angeboten für Besserverdienende und eben auch Touris auf.

Internationale Solidarität statt Tourihass!

Gerade auf das Problem der Gentrifizierung durch Tourismus antworten viele Linke, gerade aus dem autonomen Spektrum, mit einem grundsätzlichen Hass gegen die „Scheißtouris“. Dieser äußert sich in Graffiti und Stickern, mit Inhalten wie „Touris go home“ oder „Refugees welcome, Tourists not“. Doch ist es wirklich etwas Schlechtes in Städte und Länder für deren Kultur, Architektur und Landschaft zu reisen? Ist die Lösung, dass alle nur noch zu Hause bleiben oder höchstens ihre Ferien auf einem nahegelegenen Campingplatz verbringen?

Nein, sicher nicht! Denn was wir eigentlich wollen, ist das Gegenteil. Eine Welt, in der sich alle Menschen frei bewegen können, wie sie wollen und in der Nationen und Grenzen keinerlei Rolle mehr spielen!

Es ist völlig legitim dahin zu reisen, wohin es einen verschlägt und unser Ziel sollte sein dafür zu kämpfen, dass die Möglichkeit nicht mehr nur den Menschen aus dem Globalen Norden, sondern allen Menschen offen steht! Wir sollten Menschen, die aus anderen Ländern zu uns reisen, mit offenen Armen willkommen heißen und nicht mit Hass überziehen, weil wir sie als Bedrohung für unsere Stadtkultur wahrnehmen. Gleichzeitig sollten auch wir mit der Erwartung in andere Länder reisen können, mit offenen Armen willkommen geheißen zu werden.

Damit das aber Wirklichkeit werden kann, muss das Reisen von den Gesetzen des Kapitalismus befreit werden, muss die touristische Infrastruktur unter die Kontrolle der dort Beschäftigten gestellt werden. Auf der ganzen Welt. Nur dann ist es möglich, dass sich das Verhältnis zwischen Reisenden und Einheimischen von einer Art Dienstleistungsverhältnis, hin zu einem genossenschaftlichen Verhältnis zwischen Gäst_Innen und Gastgeber_Innen wandelt.

In einer sozialistischen Gesellschaft wird der Tourismus als ein kommerzialisierter Wirtschaftszweig verschwinden, nicht aber der Urlaub und das Reisen!

Schließlich, werden wir in so einer Welt viel mehr Urlaubszeiten haben und unser Interesse, unsere Genoss_Innen auf der ganzen Welt zu besuchen, wird vermutlich noch viel größer sein! In so einer Gesellschaft kann auch viel leichter die Grenze zwischen Urlaub und Arbeit verschwimmen und Work & Travel vermutlich von einem Randphänomen zum gesellschaftlichen Standard werden.

Wenn eine 20-jährige Deutsche Lust hat für ein Jahr in Bangkok zu leben und zu arbeiten, ist das einfach möglich und wenn eine 20-jährige Thailänderin dasselbe in Berlin tun möchte, sollte es genauso sein!




Resolution zur Landwirtschaft und Ernährungsfrage

Resolution zur Landwirtschaft und Ernährungsfrage der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION, Juni 2023

Inhalt

1. Einleitung. 3

2. Die Ernährungslage weltweit 3

3. Symptombekämpfung in Kapitalismus. 4

3.1 Tafeln. 4

3.2 Das UN-Welternährungsprogramm.. 4

4. Gründe für die Ernährungskrise und Lösungsansätze. 5

4.1 Klimawandel 5

4.2 Nahrungsmittelverschwendung. 6

4.3 Spekulation mit Nahrungsmittel 6

4.4 Kriege als Grund für Hunger 7

4.5 Die kapitalistische Nahrungsmittelindustrie. 7

4.6. EU-Subventionen als Teil des Problems. 8

4.6.1 Flächensubventionen und ihre Auswirkungen. 8

4.6.2 Subventionen als imperialistische Machtmittel 8

4.7. Grüne Gentechnik – mehr flopp als topp. 9

4.7.1 Probleme der grünen Gentechnik. 9

4.7.2 Roundup Ready. 10

4.7.3 Vorteile der Gentechnik?. 10

4.7.4 Forschung zur grünen Gentechnik. 11

4.7.5 Brauchen wir grüne Gentechnik?. 11

4.8 Fleischkonsum: Umweltkiller und Nahrungsmittelvernichtung. 11

4.8.1 Tierleid. 11

4.8.2 Wasser- und Futterbedarf 12

4.8.3 Ausstoß von Treibhausgasen. 12

4.8.4. Gesundheitliche Risiken des Fleischkonsums. 12

4.8.5 Fischfang und Fischwirtschaft – gleiche und spezielle Probleme. 13

4.8.6 Biologische Fleischwirtschaft ist keine Lösung. 13

4.8.7 Kampf der Fleischindustrie. 13

4.8.8 Forderungen. 14

4.9 Die Krise der konventionellen Land- und Forstwirtschaft 15

4.9.1 Monokulturen. 16

4.9.2 Dünger 17

4.9.3 Pestizide. 17

4.9.4 Bodenerosion. 18

4.9.5 Desertifikation. 19

4.9.6 Wassermangel 20

4.9.7 Forstwirtschaft 21

5. Klassenkampf der Landwirt:Innen und permanente Revolution. 21

5.1 Klassenlage der Farmer:innen. 21

5.2 Kampf dem Großgrundbesitz. 23

5.3 Permanente Revolution und sozialistische Landwirtschaft 24

1. Einleitung

Wir leben im 21 Jhd.: Flugzeuge fliegen durch den Himmel, Organe werden transplantiert und irgendein Elektrokonzern hat gerade sein neues Handy angekündigt. Doch der Fortschritt trügt. Ein absolut grundlegendes Problem der Menschheit, die Versorgung mit ausreichend Nahrungsmitteln, ist für 830 Millionen Menschen[1] nicht sichergestellt. Betroffen ist also 1/10 der gesamten Menschheit. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine der größten Krisen unserer Zeit und das, obwohl wir global genügend Kapazitäten hätten, um jeden Menschen auf der Erde mehr als satt zu machen. Dennoch scheinen viele uns diese fatale Krise als Normalzustand akzeptiert zu haben.

Der folgende Text geht deshalb den Ursachen auf den Grund, wieso viele Menschen nicht genug Nahrung haben und für welche Forderungen wir kämpfen müssen, um diese permanente Krise zu lösen. Dafür wird zunächst ein einleitender Überblick über die Ernährungslage auf unserem Planeten gegeben. Zudem wird das UN-Ernährungsprogramm, quasi die Antwort der bürgerlichen Staaten auf die Hungerkrise, einer Kritik unterzogen.

Den Hauptteil des vorliegenden Aufsatzes bildet ein Kapitel über die Faktoren, die den Welthunger verursachen und welche Lösungsansätze es für die verschiedenen Faktoren gibt. Dabei wird der Hauptfokus auf die Landwirtschaft gelegt. Der Klimawandel wird in einem eigenen kleinen Kapitel erwähnt, jedoch sind die Auswirkungen dessen so weitläufig, dass diese vor allem in den einzelnen Kapitel eingearbeitet wurden, um Wiederholungen zu vermeiden.

Den Abschluss bildet ein Kapitel über die Klassenzugehörigkeit der Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und welche Forderungen wir vorschlagen, um den Kampf der unterdrückten Landbevölkerung zum Erfolg zu führen und als Teil einer internationalen kommunistischen Revolution zu organisieren.

2. Die Ernährungslage weltweit

Im Jahre 2023 leiden 830 Millionen Menschen, also 1/10 der Weltbevölkerung, an Unterernährung, haben also keine ausreichende Kalorienzufuhr. 45 Millionen[2] sind sogar akut vom Hungertot bedroht. Jede Minute sterben 6 Kinder[3] an Unterernährung. Jedes siebte Kind auf der Welt hungert, jedes vierte ist chronisch mangelernährt (ihnen fehlen also bestimmte Nährstoffe). Die Folgen sind vor allem für Heranwachsende enorm. Haben sie zu wenig Nährstoffe in ihrer Nahrung, dann ist ihre Entwicklung verzögert oder es entstehen irreparable Schäden. Auch der Zusammenhang von Kindersterblichkeit und Unterernährung ist sehr hoch. Insgesamt sterben an den Folgen von Hunger jedes Jahr mehr Menschen als an HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen.

Während sich die Ernährungslage von 2003 bis 2015 durchschnittlich verbessert hat, verschlechterte sie sich in der Zeit danach wieder[4]. Seit 2020, also mit der Corona-Pandemie, den stärkeren Auswirkungen des Klimawandels und dem Ukrainekrieg wurde dieser Prozess weiter beschleunigt. Erhöht haben sich sowohl die Anzahl der hungernden Menschen insgesamt, also auch ihr Anteil an der Weltbevölkerung.

Besonders betroffen sind Südasien und die Sahelzone in Afrika. Die Situation ist am schlimmsten in der Zentralafrikanischen Republik, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, Jemen, Burundi, Somalia, Südsudan und Syrien[5]. Nicht zufällig sind das fast ausnahmslos Länder, die von jahrelangen Bürgerkriegen völlig zerrüttet sind. Gefährdet sind darüber hinaus Länder, die ein schnelles Bevölkerungswachstum aufweisen, deren Ressourcen und Wirtschaft diese zusätzlichen Menschen in der Geschwindigkeit aber nicht versorgen und aufnehmen können.

Ungleiche Einkommensverteilung und eine hohe Arbeitslosigkeit sind die entscheidenden Faktoren, die Hunger verursachen. Dies gilt nicht nur für Halbkolonien, sondern auch für Industrienationen. Astronomisch hohe Mieten und eine weltweite Inflation haben Ernährungsunsicherheit in den imperialistischen Zentren für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung zur Normalität werden lassen. Selbst in den USA haben ca. 10 % der Menschen nicht immer genug Essen.[6]

50 % der unterernährten Menschen sind kleinbäuerliche Selbstversorger:innen, 20 % sind Landarbeiter:innen, 20 % leben in städtischen Elendsvierteln, 10 % sind Fischer:innen und Viehzüchter:innen[7]. Alter, Geschlecht und Herkunft sind Risikofaktoren für Unterernährung. Frauen, Kinder und rassistisch Unterdrückte sind deutlich häufiger von Hunger betroffen als Menschen, die zu keiner dieser Gruppen gehören. Doch selbst für Menschen, die nicht von Hunger bedroht sind, ist die Versorgung mit Lebensmitteln ein Problem. Besonders in Halbkolonien ist es nichts Ungewöhnliches, dass die Menschen 70 % ihres Einkommens für Essen ausgeben müssen.

Einfache soziale Reformen würden schon eine große Auswirkung im Kampf gegen Hunger haben. Dazu gehört z.B., dass die Löhne an die Inflation angepasst werden, dass jede Person einen lebenswerten Mindestlohn erhält und, dass die Mieten sinken, damit sich die Menschen nicht zwischen einer Wohnung und genug Essen entscheiden müssen. Zudem fordern wir die kostenlose und ausreichende Lebensmittelsoforthilfe, medizinische Versorgung und andere notwendige Güter, um den drohenden Hungertod zu verhindern, bezahlt von den imperialistischen Staaten! Für die Bildung gemeinsamer Preiskontrollausschüsse für Agrarerzeugnisse aus Landarbeiter_innen, Bäuer_innen und Konsument_innen!

3. Symptombekämpfung in Kapitalismus

3.1 Tafeln

In vielen Teilen der Welt haben sich Organisationen entwickelt, die Essen kostenlos an Bedürftige abgeben. Sie basieren zumeist auf privaten Spenden und ehrenamtlicher Arbeit. Natürlich ist es gut, dass Bedürftigen geholfen wird. Allerdings sind die Spenden nur eine Symptombekämpfungsstrategie und werden deshalb die Ursache für die Ernährungsproblematik nicht lösen, sondern nur ihre Auswirkungen etwas abschwächen können.

3.2 Das UN-Welternährungsprogramm

Als Instrument im Kampf gegen den Hunger hat die UN das Welternährungsprogramm ins Leben gerufen. Das Budget betrug 2021 8,4 Mrd. US‑Dollar[8], wovon allein 2.5 Mrd. aus den USA kamen. Das Geld reichte aus, um 97 Millionen Menschen in 88 Ländern Hilfe zu leisten ohne die zweifellos viele von ihnen schwere Schäden bis zum Tod erleidet hätten.

Das Budget klingt zunächst hoch, wird aber im Vergleich mit den Militärausgaben der USA von 858 Mrd. US-Dollar für das Jahr 2023[9] zur Lachnummer. Allein die neue US-Flugzeugträger-Klasse Gerald-R-Ford kostet ca. 13 Mrd. US-Dollar pro Stück![10] Das gibt uns eine Idee davon, wie wenig Geld für den Bekämpfung des Welthungers eigentlich notwendig wäre und wie verhältnismäßig wenig die Staaten darin investieren.

Welche Interessen die Mitgliedsstaaten der UN wirklich verfolgen, wird im Jemenkrieg deutlich. Die G20 Staaten haben zwischen 2015 und 2019 Waffen und Munition im Wert von 17 Mrd. US-Dollar an Saudi-Arabien verkauft[11] und den Krieg so überhaupt erst möglich gemacht. Die USA beteiligt sich zudem auch an der See-Blockade des Jemen, welche der Hauptgrund für die Hungersnot ist. 2020 waren mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Jemens (16,2 Millionen Menschen)[12] auf Nahrungsmittellieferungen der UN angewiesen. Diese hat bisher glücklicherweise ein Massensterben verhindert.

Allerdings haben die Staaten in Folge der Coronakrise ihre Beiträge für das Welternährungsprogramm für den Jemen um über 50 % reduziert.[13] Die geleistet Hilfe der G20 Staaten von gerade mal 6.3 Mrd. US-Dollar Hilfen haben, bzw. hatten auch hier nur den Zweck am Ende nicht ein Land erobert zu haben in dem ein Großteil der Menschen verhungert sind. Humanität sucht man in ihrer Politik vergebens.

Die in der UN vertretenen Staaten haben also faktisch die finanziellen Mittel, um den Welthunger effektiv zu bekämpfen. Sie haben jedoch schlicht kein Interesse daran, ihr Geld dafür auszugeben. Auf ihre Hilfe dürfen wir deshalb nicht warten. Außerdem sorgen Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland auch dafür, dass sich keine einheimische Landwirtschaft aufbauen kann, da somit die lokale Konkurrenz vom Markt verdrängt wird. Die Länder entwickeln sich also nicht und blieben dauerhaft von dem Gutdünken der imperialistischen Länder abhängig. Wenn denen jedoch eine halbkoloniale Regierung nicht mehr passt, dann stellen sie die Essenslieferungen ein und verursachen in dem importabhängigen Land so eine Hungerskrise, wie das Beispiel Afghanistans nach dem Abzug der Nato-Truppen im Jahr 2021 zeigt.

4. Gründe für die Ernährungskrise und Lösungsansätze

4.1 Klimawandel

Im Pariser Klimaabkommen einigten sich die UN-Mitgliedsstaaten darauf, die Erderwärmung bis 2050 auf 1,5 °C und bis 2100 auf 2 °C zu begrenzen. Als Referenzpunkt fungiert dabei das Temperaturmittel der Jahre 1850-1900. Der Temperaturanstieg seitdem beträgt bereits fast 1,3 °C. Das Erreichen des 1,5 °C Ziels ist schon jetzt extrem unwahrscheinlich, da die Treibhausgasemission nahezu kontinuierlich steigt. Die Staaten haben auch bisher kaum etwas dafür getan dies zu verhindern. Letztlich war und ist das 1,5 °C-Ziel leider nie mehr als eine Beruhigungspille für die Weltöffentlichkeit gewesen.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Nahrungsmittelproduktion sind bisher stark unterschätzt worden. Bisher wurden nur die Folgen des schleichenden Temperaturanstiegs und die Veränderungen der Niederschlagsmengen untersucht. Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen zunehmen und diese zuversichtlichen Modelle ernsthaft in Frage stellen.

Für eine auch in Zukunft produktive Landwirtschaft muss also die Klimaerwärmung aufgehalten und umgekehrt werden. Eine Senkung der Treibhausgase in der Atmosphäre und ein Senken der Erdtemperatur auf das vorindustrielle Niveau sollte das Ziel unserer Klimapolitik sein.

4.2 Nahrungsmittelverschwendung

Das Absurde bei der Ernährungsfrage ist nicht nur, dass wir auf der Erde theoretisch Essen für alle Menschen produzieren könnten, sondern dass wir es bereits tun. Ein wichtiger Punkt ist deshalb neben der Produktion auch die Verteilung von Nahrungsmitteln. Besonderes Augenmerkt sollte man auch auf die Verschwendung von Lebensmitteln legen. Jedes Jahr werden 1,3 Mrd. Tonnen Lebensmittel weggeworfen[14], was über 30 % der weltweiten Nahrungsmittelproduktion entspricht[15]. Theoretisch ist das viermal so viel, wie man bräuchte, um den Welthunger zu bekämpfen. Diese sinnlos produzierten Nahrungsmittel belasten die Umwelt und das Klima zudem unnötig.

In Deutschland teilen sich die Verluste auf die Sektoren wie folgt auf: 2 % fallen in der Primärproduktion an, 15 % in der Verarbeitung, 7 % im Handel, 17 % bei der Außer-Haus-Verpflegung (Restaurants und Kantinen) und 59 % in privaten Haushalten.[16] Der Grund für die Entsorgung sind zu 59 % Haltbarkeitsprobleme und zu 21 % zu groß bemessene Mengen.

Natürlich kann der Nahrungsmittelverlust nicht vollständig verhindert werden. Allerdings gibt es Strategien den Verlust erheblich zu begrenzen. Ein wichtiger Ansatz dafür wäre es, preisgünstige öffentliche Kantinen einzuführen. Dort ist der Lebensmittelverlust nämlich um ein Vielfaches niedriger als in privaten Haushalten. Eine weiterer Teil der Lösung ist das Food-Sharing, welches in Deutschland bereits eine gewisse Bedeutung hat. Dabei werden Produkte, die von Restaurants oder Supermärkten nicht mehr verkauft werden können, kostenlos abgegeben, statt sie zu vernichten. Eine sinnvoller Ansatz wäre es das Food-Sharing zur Pflicht für Restaurants oder Supermarkt ketten zu machen. Aber auch ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Was es tatsächlich braucht, um die globale Nahrungsmittelverschwendung zu stoppen ist die internationale demokratische Planung der Nahrungsmittelproduktion, – und verarbeitung. Im Rahmen einer demokratischen Planwirtschaft hätten wir selbst als Produzent_innen und Konsument_innen die Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion und könnten sie, statt auf kurzfristige Profitinteressen, auf die langfristigen Bedürfnisse von Mensch und Natur ausrichten.

4.3 Spekulation mit Nahrungsmitteln

Vor allem seit der Wirtschaftskrise 2008 wird an den Finanzmärkten verstärkt versucht, mit der Spekulation mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln Gewinne zu machen. Da die produktive Wirtschaft im Zuge der Krise immer weniger Profite abgeworfen hat und eine Blase nach der anderen geplatzt ist, hat sich das Kapital in neue Sphären ausgebreitet, denn Nahrung wird immer benötigt werden. Dafür werden sogenannte „Futures“ genutzt, also Verträge über zukünftige Nahrungsmittel- oder Rohstoffkäufe. Ist der Preis zwischen Abschluss des Vertrages und dem Zustandekommen des Handels gestiegen, ergibt sich ein Gewinn für den Käufer des Futures. Finanzakteure können damit also auf den Kursstieg oder Kursverlust von Rohstoffen oder Nahrungsmittel wetten, indem sie Futures kaufen oder verkaufen.[17]

Durch diese Spekulation verändern sich die Preise, ohne wirklich einen gestiegenen oder gesunkenen Bedarf auszudrücken. Im Jahr 2009 ist so z.B. der Preis von Zucker auf dem Weltmarkt um 79 % gestiegen. Als in den Jahren 2007/8 Getreidespekulationen die Preise für Getreide in die Höhe schnellen ließ (Anstiege von 50 – 300 %), stieg die Zahl der Hungernden sprunghaft um 100 Millionen. Dies löste Hungerproteste in 61 Ländern aus. Ähnliches passierte noch einmal 2011. Die Spekulation mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln muss also sofort verboten werden, damit sich solche Ereignisse in Zukunft nicht wiederholen.[18] Nicht die Börse, sondern demokratische wähl- und abwählbare Preiskontrollausschüsse aus Landarbeiter_innen, Bäuer_innen und Konsument_innen, sollten die Priese von Agrarerzeugnissen regulieren!

4.4 Kriege als Grund für Hunger

Ein Grund wichtiger Grund für die Hungerskrisen sind bewaffnete Konflikte. Besonders prominent ist das Beispiel der Ukraine. Die schwarzen fruchtbaren Böden vor allem im Süden und Osten des Landes sind verantwortlich für ca. 44 % des weltweiten Export von Sonnenblumenöl, 40 % des weltweiten Roggenexports, 20 % des Rapsölexports sowie über 10 % des weltweiten Mais-, Gerste- und Weizenexports.[19] Beliefert werden damit besonders Länder in Afrika und dem Nahen Osten. Durch den Krieg jedoch mussten Millionen Menschen fliehen und ihre Felder und Höfe verlassen. Vielfach wurden diese in Schutt und Asche gelegt. Außerdem waren zunächst die Häfen durch die russische Marine blockiert. Die weltweiten Preise für Getreideerzeugnisse schossen deshalb in die Höhe und es stellten sich schnell Versorgungsengpässe ein. Ein anderes aktuelles Beispiel ist der Äthiopienkrieg. Hier wurde die nördliche Region Tigray umzingelt und belagert und auch Hilfsgüter wurden nicht in die Provinz gelassen. Die Folge waren der teilweise Zusammenbruch der Landwirtschaft und eine Hungerskrise.

Im Kampf gegen Krieg stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Restlose Streichung aller Auslandsschulden der halbkolonialen Länder!
  • Sofortiger Abzug aller imperialistischen Truppen, Militärbasen und Flottenverbände!
  • Keine militärische Unterstützung und Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, Türkei und andere Regionalmächte!
  • Gegen jede militärische Intervention der imperialistischen Staaten!
  • Auslandseinsätze und Waffenlieferungen durch internationale Streiks
    und Blockaden verhindern!
  • Enteignung der Rüstungskonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung aller Nationalitäten!

4.5 Die kapitalistische Nahrungsmittelindustrie

Wie jedes kapitalistische Unternehmen haben auch die Nahrungsmittelkonzerne nicht das Ziel, die Bevölkerung möglichst gesund zu ernähren, sondern so viel Profit wie möglich zu machen. Deshalb versuchen sie in der Produktion so viel wie möglich zu sparen. Unmenschliche Arbeitsbedingungen z.B. auf Plantagen werden so sehenden Auges in Kauf genommen. Gleiches gilt für umweltschädigende Praktiken.

Viele Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Aromen, Füllmittel usw. sind unzureichend erforscht und befinden sich dennoch in unserer Nahrung. Eine Bewertung durch den Endverbraucher ist also völlig unmöglich. Vielfach werden unserer Nahrung übermäßige Mengen an Zucker oder Salz zugesetzt, die in diesen Mengen ungesund für den Menschen sind. Eine Studie aus dem Jahr 2013 belegt, dass die Nahrungsmittelindustrie systematisch die staatliche Gesundheitspolitik untergräbt.[20] Dies verursacht große Schäden an der Gesundheit der Menschen und hohe Kosten für den Gesundheitssektor. Darüber hinaus werden diese Produkte oft fälschlicherweise als gesund oder umweltschonend dargestellt, was eine bewusste Irreführung darstellt.

Wie für alle Produktionsmitteln schlagen wir für die Nahrungsmittelindustrie eine Vergesellschaftung unter Arbeiter:Innenkontrolle vor, um dem Treiben der Nahrungsmittelindustrie ein Ende zu setzen und sie im Interesse der Ernährung der Weltbevölkerung neu zu organisieren. Außerdem braucht es gewerkschaftliche Rechte und massive Lohnerhöhungen entlang der gesamten Produktionskette. In kaum einer anderen Industrie sind die Arbeitsbedingungen weltweit so schlecht wie in der arbeitsintensiven Landwirtschaft.

4.6. EU-Subventionen als Teil des Problems

4.6.1 Flächensubventionen und ihre Auswirkungen

Die EU schüttet jedes Jahr 50 Mrd. Subvention an die Landwirtschaft aus[21], was die Hälfte ihres Budges ausmacht. Weltweit sind es jährlich über US-$ 540 Mrd.[22] Das ist eine gewaltige Summe und könnte einen wichtigen Beitrag für den Umbau der Landwirtschaft liefern. Allerdings sind in Europa drei Viertel davon Flächensubventionen, d.h., dass das Geld an die landwirtschaftliche Nutzfläche gebunden ist. Ob ökologisch nachhaltig gewirtschaftet wird, ist kein Kriterium für die Auszahlung.

Die Betriebe werden also nicht motiviert, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. Im Gegenteil: Durch die Subventionen werden zum Teil Agrarprojekte auf Basis von begrenztem Grundwasser umgesetzt, die auf Dauer keine Überlebenschancen haben, wie z.B. Mandelplantagen im extrem trockenen Süden Spaniens.

Wenn Bauern z.B. sinnvollerweise Bäume pflanzen, um ihre Felder vor Wind zu schützen, bekommen sie für diese Flächen keine Subventionen mehr. Außerdem werden 70 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen in der EU für die Produktion von Futtermitteln genutzt.[23] Die Subventionen für Agrarflächen verwandeln sich deshalb zu weit über 50 % in die Subvention von Fleisch. Dadurch wird der Konsum von Fleisch künstlich verbilligt und so massiv angeregt. Das hat weitere katastrophale Auswirkungen auf das Klima und die Menschheit (siehe Kapitel 4.8: Fleischkonsum: Umweltkiller und Nahrungsmittelvernichtung). Damit Landwirt:innen ihre Produktion umstellen, müssen Subventionen deshalb an Bedingungen gebunden werden, die der Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft nutzen.

4.6.2 Subventionen als imperialistische Machtmittel

Noch dazu sorgen die Subventionen dafür, dass landwirtschaftliche Produkte aus Europa zu Dumpingpreisen in Halbkolonien exportiert werden können. Dies wird durch umfangreiche Freihandelsabkommen, wie den EPAs (Economic Partnership Agreements, Freihandelsverträge zwischen der EU und knapp 90 ehemaligen Kolonien) unterstützt.[24] Das bekannteste Beispiel ist wohl der Export von Schlachtabfällen nach Ghana. Diese Exporte machen die lokale Landwirtschaft kaputt, weil deren Produkte preislich nicht mit den industriell angebauten und subventionierten Erzeugnissen mithalten können. Ihr Land verödet dann oder wird von großen Agrarkonzernen aufgekauft. In der Folge sterben lokale Züchtungen aus, die auf die speziellen Gegebenheiten vor Ort bestens angepasst sind. Vor allem aber verarmen lokale Farmer:innen, was wiederum den Staat aufgrund von ausfallenden Steuern schadet und den heimischen Konsumgütermarkt schwächt. Das Land verarmt so und wird vom Ausland abhängig. Ernteausfälle in Europa (z.B. durch Dürren, Kriege usw.) gefährden somit die Ernährungssicherheit in vielen Halbkolonien. Subventionen auf Exportprodukte sollten deshalb stückweise abgebaut werden.

Somit spielen die EU-Agrarsubvention eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung kolonialer Strukturen, welche die halbkoloniale Agrarproduktion auf die Bedürfnisse imperialistischer Staaten zuschneidet (Anbau von Kaffee, Kakao, Bananen, Avocados, Plamöl etc. anstatt lokaler Pflanzen für die Ernährung wie Hirse, Linsen etc.) und ihre Abhängigkeit vom Import westlicher Agrargüter (Weizen, Soja, Fleisch) verstetigt. Aus diesem Grund lehnen wir das System der EU-Agrarsubventionen ab. Sie sind lediglich ein teures Mittel (fast die Hälfte des gesamten EU-Haushalts), mit dem die EU-Agrarmonopole vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden sollen. Durch den Export überschüssiger Produkte versuchen sie, ein Kollabieren des hochproduktiven europäischen Agrarmarktes durch die Externalisierung des starken Preisdrucks zu verhindern. Statt imperialistischem Preisdruck brauchen wir demokratische wähl- und abwählbare Preiskontrollausschüsse für Agrarerzeugnisse aus Landarbeiter_innen, Bäuer_innen und Konsument_innen!

4.7. Grüne Gentechnik – mehr flopp als topp

Als grüne Gentechnik werden alle Verfahren bezeichnet, indem nicht mittels Züchtung, sondern im Labor die DNA und damit die Eigenschaften einer Pflanzen schlagartig verändert werden. So können in kurzer Zeit völlig neue Pflanzentypen designt werden, die entweder gar nicht oder nur über eine jahrzehntelange Züchtung hergestellt werden könnten. Weltweit werden auf über 190 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Das entspricht der 16-fachen Ackerfläche Deutschlands. Die Hälfte von dieser Fläche befindet sich in der USA.[25] 2/3 aller Sojabohnen und aller Baumwolle kommen von Genfeldern. Seit in den 1980er Jahren des erste Mal ein fremdes Gen in die DNA einer Pflanzen eingeschleust wurde, gibt es Diskussionen über den Nutzen und den Schaden dieser Technologie. Das folgende Kapitel soll eine kurze Einschätzung über die Probleme und Möglichkeiten der Gentechnik geben.

4.7.1 Probleme der grünen Gentechnik

Problematisch bei dem Verfahren ist, dass die veränderten Pflanzen unweigerlich Einzug in unsere Ökosysteme nehmen werden und dort möglicherweise große Schäden anrichten, wenn sie sich z.B. eine schädlingsresistente Art unkontrolliert vermehrt. Außerdem haben die gentechnisch veränderten Proteine das Potential Allergien auszulösen, was sich leider sehr schwer erforschen lässt. Um gentechnisch veränderte Pflanzen zu produzieren, werden diese antibiotikaresistent gemacht. Diese Eigenschaft kann sich möglicherweise auf Bakterien übertragen und somit die Antibiotika-Krise verschärfen, auch wenn eine Genübertragung von Pflanzen auf Bakterien (horizontaler Gentransfer) bisher nur im Labor beobachtet wurde.

Der gentechnisch veränderte Mais MON 810 ist ein sehr bekanntes Beispiel für die grüne Gentechnik da er bis 2009 auch in Deutschland angebaut werden konnte. Er wurde von der Firma Monsanto gentechnisch so verändert, dass er ein Gift gegen den Maiszünsler, der der bedeutendste Maisschädling ist, produziert. Das Problem dabei ist, dass dieses Gift auch für andere Tiere schädlich ist. Die Boden lebende Mikroorganismen sind davon betroffen, was die Fruchtbarkeit des Bodens auf Dauer reduziert. Das Gift kann auch in Bäche und Flüsse gelangen und dort weiteren Schaden anrichten.[26],[27]

Durch das massenweise Vorkommen des Giftes in der gesamten Pflanze entwickeln sich resistente Insekten, die dann nicht mehr gezielt mit dem Gift behandelt werden können. Die Bedrohung durch den Schädling kann in Zukunft also wieder zunehmen. Die Pollen des Mais können sich über 4,5 Kilometer weit verteilen und sich so auch auf Feldern verbreiten, auf denen kein gentechnisch veränderter Mais wachsen soll. Sie schaden auch anderen Insekten die direkt mit den vergifteten Pollen in Kontakt kommen, sowie unzähligen anderen Tierarten, die kontaminierte Tiere als Nahrung aufnehmen. Landwirt:innen, die keine Genpflanzen einsetzen, müssen deshalb ihre Produkte zum Teil billiger und als gentechnisch verunreinigt verkaufen. Die Verhinderung dieser Verunreinigung kann zudem hohe Kosten verursachen. Durch Mischkulturen (z.B. von Mais und Bohnen) sowie eine andere Bodenbearbeitung könnte das Aufkommen des Schädlings ebenfalls und nachhaltiger reduziert werden.

4.7.2 Roundup Ready

Das Tochterunternehmen Monsanto des deutschen Chemieriesen Bayer ist mit einem Marktanteil von 90% das wichtigste Unternehmen auf dem Mark für gentechnisch verändertes Saatgut. Die weltweit am häufigsten eingesetzte gentechnisch gestützte Strategie nennt sich „Roundup Ready“. Dafür hat Monsanto Saatgut für Weizen, Reis, Soja und Mais so verändert, dass sie das Besprühen mit Glyphosat überleben. So kann kostengünstig Unkraut entfernt werden, was wiederum den Ertrag erhöht. Glyphosat verkauft Monsanto natürlich auch selbst. Wenn sich die Bauern für die Glyphosat gentechnisch veränderte Pflanzen entschieden haben, müssen sie eine Technologiegebühr zahlen, wenn sie ihre eigene Ernte als Saatgut nutzen.[28] Außerdem ist das Glyphosat so aggressiv im Boden, dass zum Teil über mehrere Jahre keine anderen Pflanzen mehr in dem verseuchten Boden wachsen würden.[29] Ähnlich wie Bakterien können auch Unkräuter auf natürlichem Weg eine Resistenz gegenüber Glyphosat entwickeln.[30] So wird irgendwann ein größerer Einsatz von Glyphosat notwendig und es entwickelt sich eine Teufelsspirale aus Abhängigkeit von Glyphosat und dem Saatgut und damit von der Firma Monsanto, bzw. Bayer. Obwohl die Produktivität hoch und die Anbaukosten niedrig sind, kann hier von einem positiven Nutzen der Gentechnik kaum gesprochen werden. Zu wenig nachhaltig ist die Technik, zu groß sind die Schäden an der Umwelt. Tatsächlich kann konstatiert werden, dass der Hauptnutzen der Gentechnik momentan ist, dass Monsanto tonnenweise Glyphosat verkaufen kann.

4.7.3 Vorteile der Gentechnik?

Bayer dagegen argumentiert, dass z.B. die gentechnikgestützte Herstellung von Auberginen, die ein Gift gegen den Auberginenfruchtbohrers produzieren, die Anwendung von Pestiziden reduziert hat. So treffe das Gift nur die Insekten, die tatsächlich an der Pflanze fressen und nicht alle Tiere, die sich auf den besprühten Feldern befinden. So reduziere sich auch die Insektizidbelastung der Auberginen. Das Gift in der Pflanze kann selbst gefährlich für den Menschen werden.[31]

Ein vielfach bemühtes positives Beispiel von grüner Gentechnik ist der sogenannte goldene Reis. Es ist eine spezielle Reissorte, die gentechnisch so verändert ist, dass sie größere Mengen an ß-Carotin produziert, aus welchem der Körper das überlebenswichtige Vitamin A synthetisiert. So kann dem Mangel Vitamin-A, der vor allem in Afrika und Südasien weitverbreitet ist, entgegengewirkt werden. Allerdings sind auch viel einfachere Verfahren möglich, wie z.B. Vitamin A in Grundnahrungsmittel wie Zucker und Mehl beizumischen. Zudem wäre eine fettreicher und abwechslungsreichere Ernährung der eigentliche Weg, um Unterernährung wie den Vitamin-A-Mangel zu bekämpfen. Durch die imperiale Unterdrückung dieser Länder ist das aber nicht möglich.

Gegen die Probleme des Klimawandels könnte die grüne Gentechnik vielleicht helfen. In Deutschland werden z.B. Kartoffeln entwickelt, die selbst bei großer Trockenheit noch dicke Knollen ausbilden (normalerweise würden sie den Knollenwachstum dann stark einschränken).

4.7.4 Forschung zur grünen Gentechnik

Die grüne Gentechnik könnte in Zukunft einige nützliche Errungenschaften bringen und so zur Sicherung der Ernährung der Menschheit beitragen. Allerdings ist sie mit großen, kaum kalkulierbaren und schwierig erforschbaren Risiken verbunden. Wie bei allen hier diskutierten Fragen ist die objektive Untersuchung der verschiedenen Verfahren entscheidend bei der Abwägung von Nutzen und Gefahren. Die Forschung ist allerdings sehr teuer, weshalb es oftmals nicht genügend belastbare Studien gibt. Das Geld für die Kosten von breit und lang angelegten Studien haben oftmals nur die großen Chemie- und Agrarkonzerne, die die Sicherheit ihrer Produkte in der Regel selbst testen. Deren Ergebnissen kann man aber natürlich nicht trauen, weil sie Studien meistens nur zur Rechtfertigung ihrer Unternehmenspraxis einsetzen. Studien, die ihnen nicht nutzen, werden entweder manipuliert, missverständlich ausgelegt oder einfach nicht veröffentlicht.

4.7.5 Brauchen wir grüne Gentechnik?

Aufgrund der seit 1995 gemachten Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen lässt sich schließen, dass die Risiken sehr groß und die Nutzen bisher eher gering sind. Deshalb sollte die grüne Gentechnik nur punktuell bei besonders aussichtsreichen Verfahren weiter erforscht werden. Der Einsatz des so produzierten Saatgutes sollte, wenn überhaupt, nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Es gibt bereits weitaus sicherere Verfahren, um den Ertrag der Landwirtschaft zu erhöhen. Darüber hinaus ist es sinnvoller vorhandene Gelder vorzüglich in die Erforschung in nachhaltige und nicht gentechnik-basierte Strategien zu investieren. Gemeinsam mit den Beschäftigen in den betreffenden Laboren müssen wir als Klimabewegung volle Einsicht in die Geschäftsbücher und Forschungsberichte der betreffenden Konzerne erkämpfen. Erst dann können wir in staatlich voll ausfinanzierten und demokratisch von unserer Klasse kontrollierten Forschungseinrichtungen sinnvoll Chancen und Grenzen der Gentechnik abwägen.

4.8 Fleischkonsum: Umweltkiller und Nahrungsmittelvernichtung

Fleischkonsum ist ungesund und hat katastrophale Folgen für Tier, Mensch und die gesamte Umwelt, inklusive das Klima. Weltweit steigt der Fleischkonsum jedoch konstant an. Seit 1990 hat er sich verdoppelt[32]. Das hat mit dem Wachsen der Weltbevölkerung zu tun, aber auch damit, dass der Fleischkonsum in Asien, besonders in China, zunimmt.

4.8.1 Tierleid

Obwohl Tiere eine stark eingeschränkte Intelligenz haben, können sie Schmerz spüren, haben ein gewisses Selbstbewusstsein und können Emotionen wie Angst und Stress empfinden. Gerade die zumeist konsumierten hohen Säugetiere, wie Schweine und Rinder sind sogar für ihre besonders hohe Intelligenz bekannt. Im Kapitalismus werden die Tiere nicht wie Lebewesen, sondern wie Waren behandelt. Die Praxis der Zucht und Schlachtung ist deshalb barbarisch. Das Leid, was diese Tiere im Laufe ihres Lebens ertragen müssen, ist unvorstellbar. Sie können ihrer natürlichen Lebensweise in keiner Weise nachgehen. Die Tiere sind eng gedrängt, verletzen sich gegenseitig und leiden unter ihren eigenen Ausscheidungen. Um dem gegenseitigen Verletzen entgegenzuwirken, werden die Schnäbel von Hühnern und die Schwänze von Schweinen abgeschnitten (letztere Praxis ist mittlerweile in Deutschland theoretisch verboten).

In vielen Ländern gibt es zwar Mindeststandards für die Haltung von Tieren, diese sind aber viel zu gering. Für ein Schwein gibt es in Deutschland z.B. eine Mindestfläche von 0,75 m².[33] Für Hühner gilt je noch Mastart, dass auf einem Quadratmeter 16-22 Tiere gehalten werden dürfen.[34] Faktisch ist also die Grenze des physisch möglichen in der konventionellen Haltung der Mindeststandard. Die Mindeststandards werden aber sowieso kaum geprüft und oftmals missachtet, wie Tierrechtsorganisationen vielfach nachgeprüft haben (z.B. der Höchstabstand der Gitterstäbe auf dem Boden).

Als Kommunist:innen ist unser Ziel die Befreiung der Menschheit. Dennoch sollte uns vermeidbares Leiden anderer Lebewesen, wenn es direkt durch den Menschen verursacht wird, nicht egal sein. Deshalb müssen die Haltungs- und Schlachtungsbedingungen in der Fleisch-, Ei-, und Milchproduktion verbessern und deren Einhaltung streng kontrollieren.

4.8.2 Wasser- und Futterbedarf

Für ein Kilogramm Rindfleisch werden ca. 15.000 Liter Wasser benutzt. Bei Schweinefleisch sind es knapp 6.000 L bei Hähnchenfleisch 4.300 L. Besonders brisant ist der Nahrungsmittelverbrauch.[35] In der Fleischproduktion werden aus 3-10 Kalorien Futtermittel gerade mal 1 Kalorien Fleisch (je nach Tierart, Rind ist am wenigsten produktiv).[36] Die Fleischindustrie ist also weniger eine Nahrungsmittelindustrie und mehr Nahrungsmittelvernichtungsindustrie. Das hat zur Folge, dass der Getreidepreis in die Höhe steigt, was wiederum die Ernährungssicherheit von hunderten Millionen Menschen bedroht. Für den Anbau dieser Pflanzen wird über die Hälfte der weltweiten Ackerfläche genutzt (!). Oft werden dafür Wälder gerodet, wodurch CO2 in die Atmosphäre freigesetzt wird. Außerdem ist der Einsatz von Dünger und Pestiziden gerechnet auf die Nährwerte des Fleisches astronomisch.

4.8.3 Ausstoß von Treibhausgasen

Tiere stoßen jede Menge Methangas aus, welches als Klimagas 25-mal schädlicher als CO2 ist. Deshalb ist die Tierindustrie schädlicher für das Klima als der gesamte weltweite Transportsektor. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass 18% der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Fleischproduktion zurückgehen.[37] Zusätzlich scheiden die Tiere massenweise Exkremente aus, die, wenn sie im Übermaß auf Äcker ausgebracht werden, das ökologische Gleichgewicht aus der Bahn werfen. Sie erhöhen nämlich den Nitratgehalt der Böden, Flüsse und Meere (siehe Kapitel 4.9.2 Dünger).

4.8.4. Gesundheitliche Risiken des Fleischkonsums

Durch das enge Beisammensein der Tiere in der Massentierhaltung sind diese sehr anfällig für Krankheiten. Die Folge ist der massive Einsatz von Antibiotika. Genauso wie in Krankenhäusern werden so multiresistente Keime gezüchtet, die durch den Mist auf den Feldern und dort wachsenden Pflanzen, das Personal oder durch das rohe Fleisch selbst auf den Menschen übertragen werden.[38] Daraus ergeben sich jährlich tausende vermeidbare Tode.

Darüber hinaus ist Fleisch für den Menschen aufgrund des hohen Anteils an gesättigten Fettsäuren ungesund. Diese können nämlich bei übermäßigen Konsum zu Herz-Kreislauf‑Erkrankungen führen. Im Fleisch können sich zudem Gifte ansammeln, wie z.B. Dioxin, ein hochgiftiger Stoff, den Nutztiere in ihrem Fettgewebe einlagern.[39]

4.8.5 Fischfang und Fischwirtschaft – gleiche und spezielle Probleme

Ebenso wie der Konsum von Landtieren ist auch der Konsum von Meerestieren (Fische, Krebse, Garnelen, Muscheln, Tintenfisch usw.) in den letzten 50 Jahren massiv angestiegen (ungefähr um 100%).[40] Und genauso wie der Fleischkonsum hinterlässt auch der Fischkonsum erhebliche Schäden an unserer Umwelt. 35 % aller Fische werden vom Menschen so stark bejagt, dass ihre Bestände gefährdet sind.[41] Beifang tötet viele Tiere unnötigerweise und bestimmte Fangtechniken schaden den Unterwasserökosystemen, wie z.B. Schleppnetze oder die senkrecht verlaufenden Seile zwischen Krebsreusen und Bojen, in denen sich Wale verfangen.

Alte Fischernetze machen ca. 30 % des Plastiks in den Meeren aus und töten z.B. Haifische, Wale, Tauchvögel oder Schildkröten, da sich diese in den sogenannten Geisternetzen verheddern. Über die Jahre lösen sie sich auf und reichern die Weltmeere so mit Mikroplastik an.[42]

Mehr als 50% aller vom Menschen konsumierter Fische kommen mittlerweile aus Aquakulturen. Dies führt zu einer massiven Verschmutzung von Flüssen und Meeren. Die Fütterung der Zuchtfische erfolgt zumeist mit Wildfang oder Beifang. Auch hier breiten sich wegen der engen Haltung schnell Krankheiten aus, auch hier wird in großen Mengen Antibiotika eingesetzt (welches zudem über das Wasser noch besser in die Umwelt gelangt). Im Meer werden für den Bau von Fischfarmen auch Natur, wie z.B. Mangrovenwälder, zerstört. Und auch im Fisch gibt es giftige Stoffe, die sich anreichern. Das sind z.B. Schwermetalle wie Blei und Cadmium, die Fische über die Nahrung aufnehmen oder der Futterzusatz Ethoxiquin, für den es auch in Deutschland bisher keinen Grenzwert im Fischfutter gibt. [43]

4.8.6 Biologische Fleischwirtschaft ist keine Lösung

Biologische und artgerechte Haltung sind leider keine Lösungen. Zwar verbessern sie das Tierwohl, gleichzeitig leben die Tiere aber noch länger und auf noch größeren Flächen, was wiederum dafür sorgt, dass sie mehr Nahrung brauchen und mehr Methan ausstoßen.

4.8.7 Kampf der Fleischindustrie

Nicht nur das Züchten von Tieren, auch die Verarbeitung von Fleisch ist ein riesiges Geschäft für das Kapital. Deutschland ist dabei eines der führenden Länder. Das Schlachten und Verarbeiten von Fleisch sorgt in Deutschland jährlich für einen Umsatz von 40 Mrd. €. Obwohl 1400 Betriebe in dem Gewerbe tätig sind, hat allein der größte Betrieb Tönnis einen Umsatz von 16 Mrd. € im Jahr.[44] Es steht also ein großes Kapital hinter der Fleischproduktion, welches seine Interessen verteidigt. Von den hohen Profiten bekommen die über 150.000 Beschäftigten jedoch nichts ab. Seit Jahren ist die Schlacht- und Fleischverarbeitungsindustrie für ihre miserablen Arbeitsbedingungen, insbesondere für Saisonarbeiter_innen aus dem EU-Ausland, bekannt.

Trotz kleiner Verbesserungen findet eine starke Ausbeutung in den Betrieben statt. Deshalb müssen wir auch in diesen Betrieben den Schulterschluss mit den Kolleg:innen suchen. Gewerkschaftliche Organisierung ist für den Kampf um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen essenziell. In Deutschland ist die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) die zuständige Branchengewerkschaft.

Doch nicht nur die Fleischindustrie in Deutschland ist ein Problem. Weltweit gibt es unzählige riesige Firmen, die Fleisch verkaufen. Sie alle sind nicht an der Ernährung der Bevölkerung, sondern nur an ihrem Profit interessiert. Dafür produzieren sie 330 Millionen Tonnen Fleisch[45] dessen Konsum ungesund für den Menschen ist und zudem Wasserknappheit, Artensterben und Hunger erzeugt, sowie den Klimawandel beschleunigt.

Wir müssen alle Beschäftigten der Fleischindustrie auch im Kampf für eine andere landwirtschaftliche Produktion und eine andere Ernährung gewinnen. Sie müssen das Kapital nicht nur als Feind im Tarifkampf, sondern auch als Feind für eine nachhaltige Ernährungs- und Umweltpolitik sehen. Dort darf der Kampf aber nicht stehenbleiben. Die Beschäftigten müssen auch für eine revolutionäre Perspektive gewonnen werden.

4.8.8 Forderungen

Um den Fleischkonsum zu senken und die Ernährungsfrage in die Hand der Beschäftigten zu legen schlagen wir folgende Punkte vor:

  • Für die Vergesellschaftung der Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe unter Arbeiter:innenkontrolle. Wir wollen selbst entscheiden, unter welchen Bedingungen wir produzieren und was wir essen!
  • Für die Transformation der Fleischindustrie in eine nachhaltige und vornehmlich vegetarische Nahrungsmittelindustrie. Dabei darf kein/e Kolleg:In entlassen werden!
  • Pflanzliche Proteine und Fette sind unverarbeitet (Linsen, Erbsen, Soja, …) bereits billiger als Fleisch. Es muss jedoch noch weitere schmackhafte und ökologisch verträgliche Alternativen geben. Vegetarische und vegane Ersatzprodukte sollten weiter erforscht und subventioniert werden, damit ein Massenmarkt entstehen kann. Die Steuer auf Produkte wie Fleischersatzprodukte aus pflanzlichem Eiweiß oder Getreidemilch sollte wie für Fleisch oder Milch 7 % statt 19 % betragen.
  • Die Fleischindustrie wird in den Führungsetagen von Tönnies, Westfleisch, Danish Crown etc. geplant und entlang ihrer konkurrierenden Profitinteressen organisiert, nicht anhand der individuell-moralischen Entscheidungen von Menschen in den Supermarktregalen. Die Logik der vegetarischen und veganen Konsumkritik basiert auf der idealistischen Illusion, das Proletariat könne die Produktion durch individuelle Kaufentscheidungen steuern. Wenn das so wäre, bräuchten wir eigentlich keinen Sozialismus mehr. Es ist die kapitalistische Produktionsweise selbst, die in alle Formen der Nahrungsmittelproduktion in dieser Gesellschaft (ob Gemüse, Getreide, Fleisch, Milch etc.) eingeschrieben ist. So sorgt der systeminhärente Drang der Profitmaximierung dafür, dass auch bei der Erzeugung von veganen Ersatzprodukten und im ökologischen Landbau der Profit letztlich vor die ökologische Nachhaltigkeit gestellt werden muss. Das Problem der Klimaschädlichkeit kapitalistischen Konsums lässt sich also nicht durch den „moralischeren“ kapitalistischen Konsum ersetzen. Zumal das Privileg für die eigene Reproduktion zwischen Nahrungsmitteln wählen zu können mit schrumpfendem Einkommen sinkt. In unseren Forderungen adressieren wir deshalb stets die Arbeiter_innenklasse als kollektives revolutionäres Subjekt und nicht als individuell-bürgerliches, wie es die bürgerliche Ideologie suggeriert. Die Konsumkritik ist der verkürzte Ausweg des gesellschaftlich ohnmächtigen Kleinbürgers. Unsere Aufgabe ist es nicht, Illusionen in die Wirkmächtigkeit dieses „Kampfmittels“ zu schüren, sondern kollektive und klassenbasierte Lösungsmöglichkeiten wie die die Vergesellschaftung der Fleischindustrie unter Arbeiter_innenkontrolle aufzuzeigen. Ohne Frage respektieren wir die individuelle Entscheidung keine tierischen Produkte zu sich zu nehmen. Sie wird nur niemals Teil einer tatsächlich marxistischen Forderung sein.
  • Der massenhafte Export von Fleisch muss unterbunden werden, um die Produktion zu senken und die Lebensmittelindustrie in den Importländern wiederzubeleben
  • Kein massenhafter Einsatz von Antibiotika in Tierställen
  • Futtermittel für Fleisch sollte nicht subventioniert werden
  • Wir müssen dafür kämpfen, dass es in öffentlichen Kantinen mehr veganes und vegetarisches Essen gibt
  • Es muss mehr Bildung über die verheerenden Folgen des Fleischkonsums geben, vor allem an Kindergärten und Schulen
  • Die freiwerdenden Flächen und Arbeitskräfte sollten für die Ernährung der Menschen, für die Produktion von Biogas und -treibstoff genutzt, vornehmlich jedoch einfach renaturiert werden. Kleinbauern dürfen bei der Umgestaltung der Landwirtschaft weder Job noch Hof verlieren

4.9 Die Krise der konventionellen Land- und Forstwirtschaft

Bis heute ist der Ertrag an Agrarprodukten im Verhältnis zur Fläche immer weiter angestiegen. Grund dafür ist, dass sich die industrielle Landwirtschaft immer weiter ausbreitet. Die heute praktizierte Form der konventionellen industriellen Landwirtschaft (aber nicht nur diese) befindet sich jedoch in einer wachsenden Krise. Ihre Anbaumethoden richten immer größere Schäden auf dem Planeten an und ihre Produktion wird auch selbst anfälliger für Verluste. Der Klimawandel verstärkt und beschleunigt diese Entwicklung. Dabei sind die Dürren und Unfruchtbarkeit des Bodens in einem Maße menschengemacht, das weit über den menschengemachten Klimawandel hinausgehen. Mit den konventionellen Anbaumethoden manövriert sich die Landwirtschaft so zunehmend in eine Sackgasse.

Die Probleme dafür sind vielfältig, basieren jedoch größtenteils auf der Unfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise eine nachhaltige Produktion zu organisieren. Obwohl viele Lösungsstrategien bekannt sind und ihre Umsetzung schon im Kapitalismus theoretisch möglich wäre, sind die bürgerlichen Regierungen unwillig genug, etwas für einen ökologischen Umbau zu tun. Sie gehen sehenden Auges dem Abgrund entgegen. Die Lobby der Großgrundbesitzer, Agrar- und Düngemittel- bzw. Pestizidkonzerne weisen dafür die Richtung. Verbesserungen müssen deshalb gegen den Widerstand der Chemie- und Lebensmittelindustrie, den Großgrundbesitz und ihren Regierungen durchgesetzt werden.

Fakt ist, dass eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft dafür sorgt, dass die Böden fruchtbarer werden und die Landwirtschaft resistenter gegenüber dem Klimawandel wird. Wenn die Landwirtschaft auf biologische Produktion umgestellt ist, werden die ökologisch nachhaltigen Produkte sogar unterm Strich günstiger sein, weil die externen Kosten erheblich sinken werden. Noch sind die Erträge der konventionellen Landwirtschaft jedoch deutlich höher. Die Wirtschaftlichkeit der Biobetriebe, die in Deutschland ca. 10 %[46] ausmachen, ist laut Agrarbericht aber sogar höher als die der konventionellen Betriebe. [47]

Jetzt mit dem Umbau zu beginnen ist entscheidend, da eine solche Transformation einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Das Geld dafür muss aus den Aktionsfonds und Sparkonten der monopolitischen Agrarkonzerne kommen. Da der Markt aus sich heraus diesen Umbau nicht leisten wird, da die kurzfristigen Interessen der Agarkonzerne mehr wiegen als die langfristigen Interessen der Menschheit, braucht es die Enteignung der Großgrundbesitzer und Agrarkonzerne, sodass die der ökologische Umbau der Landwirtschaft unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter_innen abseits der profitbasierten Marktlogik vollzogen werden kann.

4.9.1 Monokulturen

Als Monokultur wird der Anbau einer einzigen Pflanze über eine Abfolge von mehreren Jahren bezeichnet. Es kann damit aber auch der Anbau einer einzigen Pflanzen auf einem (gigantischen) Feld gemeint sein. Kaffee- oder Palmölplantagen mit ausschließlich diesen Nutzpflanzen sind eindrückliche Beispiele für diese Anbaustrategie. Solche Plantagen sind sehr anfällig für Unkraut, Krankheiten und Schädlinge. Folglich muss der Einsatz von Pestiziden und Dünger erhöht werden, was wiederum zu Resistenzen und einer Überdüngung führt.[48]

In Deutschland sind Monokulturen über mehrere Jahre hinweg zwar selten (und sogar per Gesetz verboten), allerdings hat sich hierzulande die Fruchtfolge verengt. Außerdem ist der Anblick von Feldern der gleichen Pflanzen bis zum Horizont (z.B. Raps) auch hierzulande nichts Ungewöhnliches.

Ein Wechsel der Pflanzen ist im Kapitalismus aber gar nicht immer und überall möglich, da es zum Teil feste Abnehmer:innen gibt, die z.B. für ihre Biogasanlage immer nur eine bestimmte Pflanze brauchen. Außerdem ist das Saatgut so gezüchtet, dass es am besten in Monokulturen gedeiht. Eine Umstellung würde ihren vollen Effekt also erst entfalten, wenn auch entsprechendes Saatgut gezüchtet ist. Außerdem müssten neue Maschinen für die Ernte konstruiert werden, bzw. massenhaft und damit kostengünstig hergestellt werden. Zum Teil gibt es schon Geräte, die aber aufgrund der geringen Nachfrage sehr teuer sind.

In Spanien und der Schweiz wurde auf Versuchsfeldern bereits bewiesen, dass Mischkulturen (z.B. Linsen und Lupinen) ertragreicher als Monokulturen sind. In Spanien waren die Erträge 3% in der Schweiz 20 % höher, wenn zwei Arten gleichzeitig gepflanzt wurden. Die Zahlen stiegen auf 13 % bzw. 44% bei einer Mischkultur aus vier Pflanzen. Die Gründe dafür sind wahrscheinlich die bessere Ressourcennutzung durch die Pflanzen so wie eine bessere Schädlingskontrolle. So kann auch die Artenvielfalt erhöht werden, die auf den gigantischen Monokulturen sehr gering ist. [49]

Das Problem der Monokulturen bezieht sich natürlich nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auch auf die Forstwirtschaft. Eine Studie der Universität München stellt fest, dass Artenmischung den Wald ertragreicher macht, weil sich die Kronen und Wurzelsysteme besser gegenseitig mit Nährstoffen versorgen. Zudem ist der Wald so widerstandsfähiger[50] (für mehr Informationen siehe Kapitel 4.9.7 Forstwirtschaft). Monokulturen müssen der Vergangenheit angehören. Stattdessen braucht es Mischwälder in der Forstwirtschaft, jährliche Mischkulturen und eine sich abwechselnde Fruchtfolge in der Landwirtschaft. Alle paar Jahre sollten zudem gezielt stickstoffhaltige Pflanzen angebaut werden, die dem Boden guttun, indem sie dafür sorgen, dass sich die Mikroorganismen im Boden ausbreiten können. In der Folge sickert das Wasser nicht einfach durch sandigen Boden, sondern wird gespeichert und steht so den Pflanzen zur Verfügung. Außerdem sorgen sie dafür, dass das Wasser nach einem Starkregen nicht einfach oberflächlich abläuft, sondern in den Boden eindringt (z.B. durch kleine Gänge von Regenwürmern usw.). Mikroorganismen reinigen zudem das versickernde Wasser und machen z.B. durch Stickstoffproduktion die Böden fruchtbarer.[51] Bis dieser Prozess wieder fruchtbare Böden erzeugt, dauert es allerdings mindestens 10-20 Jahre.

Alle Staaten (besonders die mit einer industriellen Landwirtschaft) müssen sofort in die Forschung für alternative Anbaumethoden investieren. Denn auch die Forschung auf Versuchsfeldern dauert lange. Die Kosten für diese Maßnahmen müssen vom Profit der Kapitalist:innen bezahlt werden. Dabei muss international kooperiert und nicht konkurriert werden. Wir sind für die Abschaffung des Patentrechts für Saatgut oder Anbaumethoden, denn es hemmt die Forschung und dient nur dazu, postkoloniale Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten und die Profite bei einer kleinen Gruppe von Monopolunternehmen zu belassen.

4.9.2 Dünger

Chemischer Dünger kann zwar ausgleichen, dass der Boden mit der Zeit durch die Art der Bewirtschaftung unfruchtbarer wird, allerdings funktioniert das nur bis zu einem bestimmten Punkt. Letztlich sterben die Mikroorganismen im Boden ab[52], die essenziell für die Speicherung von Wasser sind. In der Folge sind die Böden anfälliger für Dürren. Zudem richtet der künstliche und tierische Dünger auch anderswo ökologische Katastrophen an. Der Stickstoffdünger wird von Bakterien in Nitrat umgewandelt, welches in die Flüsse und so in die Meere gelangt. Dort regt es das Algenwachstum an. Wenn diese Algen dann absterben und von aeroben (sauerstoffverbrauchenden) Bakterien zersetzt werden, entstehen tote Zonen im Meer, die bereits 15 % der Meeresböden ausmachen. In den letzten 100 Jahren hat sich diese Fläche verzehnfacht.[53] In solchen Zonen ist kein Sauerstoff mehr vorhanden, weshalb kein Tier mehr überleben kann. Noch dazu verseucht das Nitrat unser Grundwasser. Die Reinigung unseres Grundwassers für unser Trinkwasser wird so unnötig teuer und aufwändig. Mineralische Dünger, vor allem Phosphordünger, enthalten neben dem gewünschten Mineral zum Teil giftige Schwermetalle, die über die Düngung in der Landwirtschaft in unseren Körper kommen.[54] Metalle wie Zink und Kupfer sind zwar als Spurenelementen wichtig für Pflanzen, allerdings können sie bei zu großzügigen Einsatz Mikroorganismen im Boden schaden. Das Problem bei der Herstellung von synthetischen Düngemittel ist wiederrum, dass sie sehr energieaufwendig ist (z.B. die Aktivierung von Stickstoff durch die Herstellung von Ammoniak).[55]

Der Einsatz von mineralischen und synthetischen Düngemitteln muss deshalb so weit wie möglich reduziert werden. Pflanzliche natürliche Dünger wie Kompost oder Vinasse sind dagegen unproblmeatisch.

4.9.3 Pestizide

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (Pestiziden, also Herbizide, Insektizide und Fungizide) ist das vorsätzliche Verteilen von für Lebewesen tödlicher Gifte auf einem nicht unerheblichen Anteil der Erdoberfläche. Sie haben dramatische Auswirkungen auf die Ökosysteme und können durch direkte Exposition oder durch die Nahrung auch dem Menschen schaden. Pestizide werden in der industriellen Landwirtschaft meistens von Traktoren, zum Teil aber auch von Flugzeugen versprüht. So kann sich der Stoff als Sprühnebel über die Felder hinaus verteilen.

Pflanzenschutzmittel unterscheiden nicht zwischen Nützling und Schädling. Viele nützliche Tiere werden durch den Einsatz von Insektiziden abgetötet, wodurch sich wieder Schädlinge vermehren und der Einsatz von Pestiziden erhöht werden muss. Herbizide schaden der Umwelt, indem z.B. Pflanzen abgetötet werden, die Insekten als Nahrung dienen, was wiederrum einen negativen Einfluss z.B. auf Vogelpopulationen nehmen kann. Die hohe Konzentration auf den Feldern schadet auch den Mikroorganismen im Boden. Diese Effekte führen zu einem Artensterben, welches daran demonstriert wird, dass auf biologisch nachhaltig bewirtschafteten Betreiben die Artenvielfalt sechsmal höher ist als auf konventionellen Höfen.[56]

Das wichtigste Herbizid ist Glyphosat, welches in 60 % aller Unkrautvernichtungsmitteln vorkommt. Die internationale Krebsforschungsagentur IARC, welche eine Teilorganisation der WHO und damit der UN ist, hat Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Dieses Ergebnis basiert auf Studien an Ratten, Mäusen und menschlichen Zellen. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geht jedoch davon aus, dass die Mengen in denen Glyphosat über die Nahrung aufgenommen wird, keine schädliche Wirkung hat.[57] Fakt ist jedoch, dass Glyphosat seinen Weg in den menschlichen Körper findet. Unsere Nahrung ist nachweislich damit belastet und auch in einer Menge von 0,5 Mikrogramm im Urin von 75% der getesteten Probanden einer Studie der Heinrich Böll Stiftung ließ sich eine hohe Konzentration Glyphosat feststellen.[58]

Der massenweise Einsatz von Herbiziden hat in den USA schon dazu geführt, dass sich resistente Pflanzen entwickelt haben[59], infolgedessen der Einsatz des Glyphosats weiter erhöht wurde, was wiederum dessen negative Effekte verstärkt.

Es ist klar, dass auf den Einsatz von Pestiziden nicht vollständig verzichtet werden kann. Es muss jedoch genau untersucht werden, welchen Schaden und welche Nutzen ein Mittel oder eine Kombination von Mitteln hat. Die Prämisse sollte es sein, Anbaumethoden zu verwenden, die es ermöglichen den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. Biologische Schädlingsbekämpfung (also den Einsatz von Lebewesen gegen Schädlinge) kann einen Beitrag dazu leisten, Pestizide zu ersetzen. Allerdings birgt biologische Schädlingsbekämpfung auch die Gefahr der Verbreitung invasiver Arten, deshalb muss damit sehr vorsichtig umgegangen werden. Auch Mischkulturen und wechselnde Fruchtfolgen reduzieren das Auftreten von Schädlingen.

Konzerne, die Düngemittel, Saatgut und Pestizide herstellen, wie Bayer und seine Tochter Monsanto, müssen entschädigungslos und unter Arbeiter:Innenkontrolle enteignet werden, damit ihr schmutziges Geschäft ein Ende hat. Auch für die Düngemittelproduktion gilt es, dass wir memeinsam mit den dortigen Beschäftigten volle Einsicht in die Geschäftsbücher und Forschungsberichte erkämpfen müssen. Erst dann können wir in staatlich voll ausfinanzierten und demokratisch von unserer Klasse kontrollierten Forschungseinrichtungen sinnvoll Chancen und Grenzen bestimmter Düngerverfahren abwägen und neue entwickeln.

4.9.4 Bodenerosion

Als Bodenerosion wird das Abtragen des Bodens verstanden. Im Falle von fruchtbarem Ackerland führt das zu Bodendegradation, also zu irreversiblen Schäden in der Funktion und Struktur des Bodens. Dadurch sinkt die Bodenqualität und damit dessen Fruchtbarkeit. Die direkten Auslöser sind Winde und Wasser (Regen und Überschwemmungen). Welche Ausmaße die Bodenerosion durch den Menschen hat bezeugt, dass 60-80 % der Bodenerosionen auf die menschliche Landwirtschaft zurück geht. Dies ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass 50% des Planeten landwirtschaftlich genutzt wird. 23 % der bewachsenen Fläche gelten dabei als nachhaltig geschädigt.[60] International liegt das Mittel der Bodenerosion bei 2,4 Tonnen pro Jahr und pro Hektar (100m x 100m) Ackerland.[61]

Das Problem ist also ein Internationales, auch wenn es sehr große Unterschiede zwischen den Ländern gibt, was hauptsächlich auf die Anbaumethoden zurückzuführen ist. In Brasilien, einem Land mit sehr hoher Bodenerosion, werden beispielsweise Regenwälder gefällt, um die Fläche dann landwirtschaftlich zu nutzen. Die starken Regenfälle tragen die dünne Schicht fruchtbaren Bodens ab. Wenn irgendwann auch der Einsatz von künstlichen Düngemitteln die verringerte Fruchtbarkeit nicht mehr ausgleichen kann, muss neuer Regenwald gerodet werden und der Prozess beginnt von neuem. Aus dem artenreichen Regenwald wird so eine nahezu ausgestorbene Steppe.

Bleibt die Natur unberührt, dann sind die Böden in den meisten Regionen der Erde von Pflanzen bedeckt. Durch den Ackerbau wird der Boden jedoch freigelegt und die Erosion so massiv begünstigt. Verschärfend kommt hinzu, dass meistens große Flächen bewirtschaftet werden, die nicht durch kleine Strukturen wie Hecken, Bäume usw. geschützt sind. Außerdem gibt es Pflanzen, die in weiten Abständen gesät werden (Mais, Zuckerrüben), was dafür sorgt, dass der Boden über lange Zeit unbedeckt ist. Wird der Boden immer wieder tief durchgepflügt und Reste der vorherigen Nutzpflanzen entfernt, wird dem Boden seine Stabilität und sein Schutz genommen, den er gegen Regen und starken Wind braucht.[62] Auch durch das übermäßige Weiden von Nutztieren auf Wiesenflächen wird die Erosion begünstigt.[63] Besonders an den oberen Teilen der Hänge, sowie auf Bergkuppen geht durch die Erosion fruchtbarer Boden verloren.

Neben der Fruchtbarkeit wird auch die Funktion des Bodens als Wasser und Nährstoffspeicher eingeschränkt. Die Ablagerungen durch die Bodenerosion können wiederum durch Verschlammung anderen Flächen schaden. Außerdem können die Bodenpartikel Gewässer vergiften, indem sie dort Schadstoffe (wie z.B. Pestizide) anreichern oder die Gewässer versauern. Die Ablagerungen können auch an vom Menschen geformten Strukturen Schaden anrichten.[64]

Der Klimawandel sorgt mit lokal auftretendem Starkregen, höheren mittleren Windgeschwindigkeiten und längeren Trockenphasen für eine höhere Erosion. Die historische Überschwemmung in Pakistan 2022, bei der ca. 1/3 der Landfläche überschwemmt wurde, hat der Landwirtschaft durch die Erosion einen erheblichen Schaden zugefügt. Durch das Waldsterben beispielsweise durch Schädlinge oder Feuer entstehen ebenfalls Flächen, die nicht vor Erosion geschützt sind. Den Erosionsprozess rückgängig zu machen, dauert sehr lange. Es dauert mindestens 100 Jahre, bis ein Zentimeter humoser Boden entsteht.[65] Bei einem starken Gewitter kann dieser hundertjährige Prozess an einem Tag zunichte gemacht werden.

Eine Schonende Bodenbearbeitung (z.B. ein weniger tiefes Pflügen und pflügen quer zum Hang, um Wasserabfluss zu verringern) kann Erosion entgegenwirken. Das Pflanzen von Bäumen neben und auf den Feldern schützt diese vor Wind. Terrassierung kann dagegen vor Wassererosion schützen.[66] Auch die Gefahr der Bodenerosion zeigt auf, dass die kapitalistische profitorientierte Bewirtschaftung von Agrar- und Forstflächen nicht einmal in der Lage ist, ihre dauerhafte Existenz zu gewährleisten. Wenn wir die Böden erhalten wollen, müssen wir sie ihren bürgerlichen Besitzer_innen entreißen. Was wir brauchen ist die entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer und eine Bodenreform in den halbkolonialen Ländern. Demokratisch gewählte und rechenschaftspflichtige Komitees aus Produzent_innen und Konsument_innen sollten für alle Äcker das Risiko von Erosion bewerten und entsprechende Maßnahmen treffen.

4.9.5 Desertifikation

6 % der Landfläche unseres Planeten ist von Wüsten bedeckt in denen Ackerbau oder Viehzucht unmöglich sind.[67] 40 % der Landmasse sind Trockengebiete.[68] Jedes Jahr kommt eine Fläche von ca. der Größe Bayerns hinzu. Dieser Umstand bedroht heutzutage 1 Mrd. Menschen. Das Problem ist menschengemacht. Besonders in der Sahel-Zone südlich der Sahara ist das gut nachweisbar. Hier wurden Äcker angelegt und diese künstlich mit Grundwasser oder Wasser aus Seen und Flüssen bewässert. So wurden die Grundwasserspeicher verbraucht und das übrige Wasser wurde immer salziger. Infolge von Ackerbau und Überweidung von Grasflächen wurde das Land von Erosion zerstört. Ganze Landstriche verödeten so.[69]

Doch auch in Europa ist dies bereits ein Problem, vor allem in Spanien, wo 20 % des Landes von Wüstenbildung betroffen sind[70]. Der Grund ist hier die Bewässerung von Obst- und Gemüseplantagen, aber auch der Wasserverbrauch der Tourismusindustrie. Ein weiteres europäisches Beispiel ist die Ausbreitung einer Wüste in Rumänien nahe der Hauptstadt Bukarest. Sand und Staub auf bereits zur Wüste gewordenen Flächen werden durch den Wind verweht. So breiten sich die Wüsten aus. Aber auch Ackerflächen fallen der Dürre zum Opfer. Weil keine Wälder mehr existieren, kann der Wind ungehindert über das Land streichen.[71] Der aufgewirbelte Staub sorgt bei den Menschen für gefährliche Atemwegserkrankungen. In Brandenburg sind Sandstürme heute schon keine Seltenheit mehr.[72]

In China wurde die Ausbreitung der Wüsten schon vor Jahrzehnten als Problem erkannt, vor allem, weil die Hauptstadt Peking von jährlich wiederkehrenden Sandstürmen heimgesucht wird. Dagegen wurde die Great Green Wall errichtet. Dabei handelt es sich um ein Wiederaufforstungsprojekt historischen Ausmaßes. 23 % Hälfte der chinesischen Landfläche ist heute wieder bewaldet, weitere Teile wurden mit Büschen oder Gräsern stabilisiert.[73] Bis 2050 sollen weitere 13,6 Mrd. $ investiert werden und so ein Schutzwall von 4500 km Länge und 100 km Breite entstehen. Bereits heute gibt es kaum Sandstrürme mehr in Peking, die Biodiversität ist gestiegen und die Bäume dienen als CO2 Speicher. Dieser Ansatz kann als Vorbild für andere Länder dienen.

4.9.6 Wassermangel

Grund für den Wassermangel ist neben dem Klimawandel die Verschwendung von Wasser in der Land- und besonders der Fleischwirtschaft. Endliche (Grund-)wasservorkommen werden angezapft und damit in Trockengebieten Landwirtschaft betrieben. Nach einigen Jahren liegt die Landwirtschaft dann am Boden. Wo Wassermangel akut wird, sterben Pflanzen ab, was für Erosion sorgt und so zur Wüstenbildung führt.

Besonders betroffen sind Nordafrika, der „Nahe Osten“, sowie Westasien.[74] Hunger, die Verbreitung von Krankheiten, Flucht und bewaffnete Konflikte sind die Folge. Laut der UN werden 2030 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen haben[75]. Besonders in den Städten wird das Problem durch eine ungerechte Verteilung verstärkt. In Mexiko-Stadt muss die arme Bevölkerung ewig für ihr Wasser anstehen, während die reiche Bevölkerung ihren Rasen im Vorgarten mit Trinkwasser besprenkelt. 1,6 Mrd. Menschen haben heute keine Zugang zu sicherem Trinkwasser zuhause. 2,8 Mrd. Menschen haben keinen Zugang zu sicheren Sanitären Anlagen.[76]

Es braucht eine nachhaltige Wasserwirtschaft, sodass endliches Grundwasser nicht einfach verbraucht wird und so Wasserquellen versiegen oder versalzen. Es sollte z.B. Regenwasser für die Landwirtschaft aufgefangen werden. Die Reduktion des Fleischkonsums, solargetriebene Wasserentsalzung, aber vor allem eine nachhaltige Landwirtschaft müssen Teil der Problemlösungsstrategie sein.

4.9.7 Forstwirtschaft

Der Zustand der Wälder ist historisch schlecht. Dürre, Krankheiten, Schädlinge und nicht nachhaltiges Abholzen sind die Gründe für das Verschwinden der Wälder weltweit. Im Harz, einer der größten Wälder Deutschlands, sind bereits 80 % (!) der Fichten abgestorben, bei den Buchen sieht es nicht viel besser aus.[77] Das Problem dabei sind unter anderem die angepflanzten Monokulturen, welche anfälliger für Schädlinge und Wetterextreme sind. Zudem führen die vielfach nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland gepflanzten Nadelwaldmonokulturen durch die vielen Nadeln am Boden zu einer Versauerung der Böden. Zum Teil muss das mit einer Behandlung von Kalk ausgeglichen werden. Diese Probleme erstrecken sich über den gesamten europäischen Kontinent. Die extreme Hitze und das Absterben der Bäume sorgen zudem dafür, dass es jedes Jahr gewaltige Waldbrände in Europa gibt. Neben den direkten wirtschaftlichen und ökologischen Schäden geben die Wälder so auch tonnenweise CO2 ab, welches wiederum den Klimawandel beschleunigt. Ein klassischer Teufelskreis.

Der Raubbau an den Wäldern in Südasien, Südamerika, aber auch in der nördlichen Taiga (Kanada und Russland) ohne jegliche Wiederaufforstungsperspektive verschärfen das Problem drastisch.

Es muss weltweit massiv aufgeforstet werden. Abholzung darf es nur in einem Maß geben, wie die Bäumer ersetzt werden können. Nur so lässt sich die Artenvielfalt schützen, der Wüstenbildung entgegengewirkt werden und dauerhaft CO2 als Maßnahme gegen den Klimawandel speichern. Auch für die Aufforstung liegt der Schlüssel in der Eigentumsfrage und der damit einhergehenden Kontrolle über die Waldböden und -flächen.

5. Klassenkampf der Landwirt:Innen und permanente Revolution

5.1 Klassenlage der Farmer:innen

Zur Klassenlage der Bäuer:innenschaft schreibt Trotzki im Übergangsprogramm Folgendes:

„Der Landarbeiter ist der Waffenbruder und Gefährte des Industriearbeiters auf dem Dorf. Sie bilden zwei Teile ein und derselben Klasse. Ihre Interessen sind nicht zu trennen. Das Programm der Übergangsforderungen der Industriearbeiter ist (mit) Modifikationen) auch das Programm des Landproletariats.

Die Bauern (Farmer) repräsentieren eine andere Klasse: das ist das Kleinbürgertum des Dorfes. Das Kleinbürgertum setzt sich aus verschiedenen Schichten zusammen, von den Halbproletariern bis hin zu den Ausbeutern. Deshalb besteht die politische Aufgabe des Industrieproletariats darin, den Klassenkampf in das Dorf zu tragen: nur so kann es seine Verbündeten von seinen Feinden trennen.“[78]

Sofern den Bäuer:innen ihre Produktionsmittel (Land, Maschinen, Werkzeuge) selbst gehören betrachten wir sie also als Teil des Kleinbürger:innentums, auch wenn es große Abstufung in ihrem Landbesitzt gibt. Dieser Umstand sowie ihr gesellschaftlich eher isoliertes Leben auf dem Land führt dazu, dass sie aus sich heraus kein revolutionäres Bewusstsein herausbilden können. Auch wenn viele von ihnen in bitterer Armut leben, treten Sie dem Klassenfeind nicht in gleichem Maße gegenüber wie die Arbeiter_innenklasse, außerdem sind die aufgrund ihrer Isoliertheit wesentlich schwerer zu organisieren.

Doch auch wenn sie allein keine revolutionäre Klasse für sich werden können, war es in vielen historisch-revolutionären Situationen die Aufgabe der organisierten Arbeiter_innenklasse, den Schulterschluss mit der Bauernklasse zu üben und diese für ihr revolutionäres Programm zu begeistern. Die russische Oktoberrevolution ist ein gutes Beispiel dafür, wie im unterentwickelten Russland eine zahlenmäßig weit unterlegene industrielle Arbeiter_innenklasse die Mehrheit der verarmten Bauern für ihr Programm und eine gemeinsame Revolution gewinnen konnte. Auch die Bauernklasse wird weltweit von Monopolkonzernen und Großgrundbesitz ausgebeutet und ist abhängig von günstigen Krediten, hohen Abnahmepreisen, niedrigen Preisen für Maschinen und Dünger sowie praktischen Transportbedingungen. Die organisierte Arbeiter_innenklasse muss ihr aufzeigen, dass ein Programm der Vergesellschaftung der Banken und Monopolkonzerne und die Einrichtung gemeinsamer Preiskontrollausschüsse die bessere Alternative ist, als das ewige Hoffen, von den Herrschenden ein wenig mehr verschont zu bleiben.

Auch wenn die Weltwirtschaft nach wie vor von der kapitalistischen Produktionsweise dominiert wird, ist die Ausgangslage der Bauern heute 2023 eine andere als zur Zeit der Oktoberrevolution 1918. Die Bauern im revolutionären Russland stellten eigentlich ein Überbleibsel aus der dem Kapitalismus vorangegangenen Epoche des Feudalismus dar. So wie sie damals in Russland nicht vollends dem Kapitalismus einverleibt wurden, führten 100 Jahre Kolonialismus und imperialistischer Terror dazu, dass weltweit auch heute immer noch viele verarmte Bauern nach vorkapitalistischer Art Subsistenzwirtschaft betreiben, das heißt die Bauern und Bäuerinnen bauen ihre Erzeugnisse zum großen Teil für den eigenen Konsum an und verkaufen ihn nur teilweise.

Doch der Expansionsdrang des Kapitals kennt keine Grenzen und verwandelt durch Verarmung Vertreibung, Krieg und Klimawandel Tag für Tag mehr Bauern in Proletarier_innen, die ihr Land verlassen oder verkaufen müssen und ihr Glück in den Metropolen, auf der Flucht in ein anderes Land oder auf den großen Baumwoll-, Kaffee- und Zuckerrohrplantagen suchen. Auch wenn trotz der formalen Dekolonialisierung viele Agrarflächen weiterhin in der Hand der ehemaligen Kolonialist_innen verblieben, wird die Landflucht der Kleinbauern durch einen weiteren Trend verstärkt, der sich Land Grabbing nennt. Dabei kaufen Monopolkonzerne und Kapitalgesellschaften in großem Stil Land in halbkolonialen Ländern auf, welches die dort ansässigen Kleinbauern seit hunderten von Jahren nur nach Gewohnheitsrecht genutzt haben.[79] Indem sie ihr Land und ihre Arbeitsmittel verloren haben, besitzen sie nur noch ihre Arbeitskraft, die sie verkaufen werden und werden somit zu Landarbeiter_innen, Industriearbeiter_innen oder verarmtem Subproletariat.

Auch wenn verlässliche Zahlen über die tatsächlichen globalen Besitzverhältnisse von Agrarflächen schwer zu gewinnen sind, schätzte Oxfam bereits vor 10 Jahren schon, dass zu diesem Zeitpunkt eine Fläche Westeuropas aus dem Besitz von Kleinbauern in den Besitz von Kapitalgesellschaften gewechselt ist. Laut der Heinrich-Böll-Stiftung kontrollieren die 4 Monopolkonzerngruppen Cargill, ADM, Dreyfus und Bunge zusammen 70 % des Weltmarktes an Agrarrohstoffen.[80] Aber auch deutsche Kapitalgesellschaften wie die Versicherung Münchner Rück[81], die Entwicklungsbank DEG[82] und die westfälische Ärztepensionskasse[83] sind zentrale Akteure im Land Grabbing.

Die Kapitalflucht in Agrarflächen ist dabei ein Resultat der schwindenden Anlageoptionen in der produktiven Sphäre und verspricht aufgrund der Tatsache, dass sich Boden nicht vermehren lässt, sichere Renditeerwartungen. Die erbeuteten Agrarflächen fehlen wiederum den lokalen Ökonomien um Nahrungsmittel anzubauen, stattdessen werden sie darauf ausrichtet um Exportprodukte für die westlichen Ökonomien wie Kaffee, Tee, Tabak, Baumwolle, Zuckerrohr, Bananen, Palmöl, Soja etc. zu produzieren aber auch Tierfutter und Biotreibstoff. Zur Bewässerung der Plantagen pumpen die Agrarkonzerne meistens die ohnehin knappen Grundwasserressourcen kostenlos aus den lokalen Böden. Die halbkolonialen Länder sind deshalb wiederum auf Nahrungsmittelimporte aus den imperialistischen Ländern angewiesen. Der systematische Landkauf ist jedoch nur ein Element aus einem größeren System aus der Kontrolle des Saatgutmarktes, Verschuldung, Spardiktaten etc., mit dem die imperialistischen Staaten die Abhängigkeit der ehemaligen Kolonien aufrechterhalten.

Die Konzentration von Agrarfläche in den Händen von Monopolkonzernen findet jedoch nicht nur in den Halbkolonien, sondern auch in imperialistischen Ländern wie Deutschland statt. Dies findet zum einen auf der Ebene des Firmenkaufs, zum anderen auf der Ebene des Bodenkaufs statt. So werden mittelständische Familienunternehmen in immer stärkerem Maße von den Agrarriesen aufgekauft. Laut der Landwirtschaftszählung 2020 des zuständigen Bundesministeriums ist ein Großteil der deutschen Agrarfläche nicht im Besitz der Bauern, sondern lediglich gepachtet. Die weiterhin steigenden Bodenpreise sorgen dabei für zusätzlichen Druck. In Ostdeutschland besitzen Unternehmensgesellschaften und Aktienfonds bereits über 30 Prozent des Bodens, während es in Westdeutschland bei steigender Tendenz noch 10 Prozent sind. In der EU wird 6,1 % der Landfläche von 2/3 aller landwirtschaftlichen Betrieben kontrolliert, während die größten 3,3 % über die Hälfte der Landfläche besitzen.[84]

5.2 Kampf dem Großgrundbesitz

Wir wollen den Großgrundbesitz restlos unter Kontrolle der Landarbeiter:innen vergesellschaften. Die Landarbeiter:innen und Landpächter:innen werden der Hebel bei der Umsetzung dieser Politik sein. Allerdings wird es wahrscheinlich nur partiell möglich sein, den ehemaligen Großgrundbesitz sofort kollektiv zu bewirtschaften. Um die armen Landarbeiter:innen und landlosen Bäuer:innen für unsere Politik zu gewinnen, müssen wir ihnen vor allem Land versprechen. Landaneignung durch arme Bäuer:innen, wie sie z.B. momentan (2023) in Kolumbien stattfinden, verdienen deshalb unsere bedingungslose Solidarität. Außerdem muss ihnen zugesichert werden, ihre Produkte profitabel verkaufen zu können, um ihr Überleben zu sichern. Deshalb haben wir uns solidarisch mit den Farmer:innenprotesten 2021 in Indien erklärt. Dort haben hunderttausende Farmer:innen gegen eine weiter Neoliberalisierung des Agrarsektors und für staatlich garantierte Mindestabnahmepreise gekämpft.

Natürlich ist die Zersplitterung von Großgrundbesitz noch keine sozialistische Politik, sie ist aber ein notwendiger Schritt, um die Großgrundbesitzer:innen zu entmachten und die Bäuer:innen für unsere Politik zu gewinnen. Revolutionäre Erhebungen in der Vergangenheit (z.B. die Russische Revolution im Oktober 1917) haben gezeigt, dass für landwirtschaftliche geprägte Gesellschaften die Landfrage von großer Bedeutung ist. Besonders in Halbkolonien ist ihre Lösung ein wichtiger Teil jeder sozialistischen Revolution.

5.3 Permanente Revolution und sozialistische Landwirtschaft

Bei der Landverteilung darf die Bewegung jedoch nicht stehen bleiben. Sie muss die Revolution permanent machen, also die Verteilung von Land mit sozialistischen Maßnahmen in der Stadt und auf dem Land verbinden. Überall dort, wo das Land zum großen Teil schon im Besitz der Menschen ist, die es bewirtschaften (z.B. in Nordamerika oder Europa), muss es deshalb das Ziel sein, die Farmer:innen zu motivieren das Land kollektiv zu bewirtschaften. Wir müssen sie darüber hinaus für eine nachhaltige Landwirtschaft gewinnen, die auf die Ernährungssicherheit und nicht auf kurzfristigen Profit ausgerichtet ist. Sie müssen begreifen, dass die Kollektivierung ihres Besitzen auch für sie selbst von Vorteil ist, da individuelle Risiken verschwinden und die Landwirtschaft so effizienter werden wird. Steuerliche Anreize und Subventionen können diesen Prozess beschleunigen.

Die Perspektive in der Agrar- und Ernährungsfrage muss also eine sozialistische sein. Denn auch ökologisch nachhaltige Landwirtschaft muss profitabel sein und ist daher den Marktzwängen unterworfen. Zum Beispiel können auch Bioprodukte aus den imperialistischen Staaten exportiert werden und so lokale Landwirtschaften in Halbkolonien bedrohen. Zudem ist eine nachhaltige Landwirtschaftspolitik nur im Kampf gegen die Macht der großen Agrar- und Chemiekonzerne durchzusetzen. Außerdem kann nur durch eine sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft sichergestellt werden, dass keine Farmer:innen bankrott gehen und so ihren Lebensunterhalt verlieren.

Eine sozialistische Landwirtschaft ist immer effizienter und ertragreicher, da Maschinen optimal verteilt werden und die Landfläche sinnvoller eingeteilt werden kann. Wo es einen Mangel an Wasser und Landfläche gibt, können diese Ressourcen sinnvoll verteilt werden, ohne dass es blutige Verteilungskämpfe gibt, wie sie im subsaharischen Afrika durch die Dürren heute schon alltäglich sind. Darüber hinaus kann nur der Sozialismus die Investitionen in die Landwirtschaft tätigen, die es für eine Umgestaltung braucht. Nur er kann den Klimawandel noch aufhalten und die unzähligen sinnlosen Kriege beenden, die den weltweiten Hunger verschärfen.  

Es braucht eine solche sozialistische, d.h. bedarfsgerechte Landwirtschaft, die umweltverträglich ist und nur die Ziele hat den Farmer:innen ein würdevolles Leben zu sichern und vor allem die Menschheit mit Nahrung zu versorgen.


[1] https://de.wfp.org/hungerkatastrophe

[2] https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fgesellschaft%2Fzeitgeschehen%2F2022-02%2Fhunger-un-welternaehrungsprogramm-bedrohung-pandemie

[3] https://www.careelite.de/welthunger-statistiken-fakten/#hungernde

[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38187/umfrage/anzahl-der-hungernden-weltweit/

[5] https://www.welthungerhilfe.de/hunger#c8250

[6] https://www.theguardian.com/us-news/2022/sep/07/us-food-insecure-families-poverty-study

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Welthunger#cite_note-10

[8] https://www.bundesrechnungshof.de/DE/3_internationales/1_internationales_wfp/wfp_node.html

[9] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169479.usa-rekord-budget-fuer-das-pentagon-beschlossen.html

[10] https://www.spiegel.de/politik/ausland/uss-gerald-r-ford-das-ist-das-teuerste-kriegsschiff-der-welt-a-1159275.html

[11] https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2020-11-17-jemen-krieg-wert-waffenexporten-g20-um-vielfaches-hoeher

[12] https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/2020/jemen-hunger-auf-rekordhoehe/232672

[13] https://www.bbc.com/news/world-middle-east-56242610

[14] https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/lebensmittelverschwendung/das-grosse-wegschmeissen

[15] https://www.umweltbundesamt.de/themen/ein-drittel-der-lebensmittel-wird-verschwendet

[16] https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html

[17] https://www.oxfam.de/system/files/factsheet_nahrungsmittelspekulation_pb.pdf

[18] https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/nahrungsmittelspekulation

[19] https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/landwirtschaft-fischerei/Ukraine-Landwirtschaft.html

[20] https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/studie-lebensmittelkonzerne-nutzen-methoden-wie-die-tabakindustrie-a-882971.html

[21] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/eu-agrarsubventionen-unternehmen-101.html

[22] https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/landwirtschaft-un-bericht-101.html

[23] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/oekologische-landwirtschaft/weggefuttert

[24] https://policy.trade.ec.europa.eu/development-and-sustainability/economic-partnerships_en

[25] https://www.keine-gentechnik.de/dossiers/anbaustatistiken#c194

[26] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_gentechnik_laesst_sich_mon810_verbieten.pdf

[27] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/oekologische-landwirtschaft/weniger-schmetterlinge-gen-mais

[28] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/oekologische-landwirtschaft/monsanto-patent-roundup-ready-pflanzen

[29] https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/glyphosat-auswirkungen

[30] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/umweltgifte/glyphosatresistente_pflanzen_vortrag.pdf

[31] https://www.derstandard.at/story/1254312048459/anbau-von-gentechnik-auberginen-verhindert

[32] https://de.statista.com/infografik/20391/produktion-von-fleisch-weltweit/

[33] https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/nutztiere/schweine/schweine.html

[34] 38 kg/m², was bei einem durchschnittlichen Schlachtgewicht von 1,7 kg im Jahr 2021 22 Tieren entspricht. https://www.bundestag.de/resource/blob/658256/5b211b3b95ed73db4e6acaca6ce67c91/WD-5-069-19-pdf-data.pdf

[35] https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/15000-liter-wasser-fuer-ein-kilo-rindfleisch/

[36] https://www.weltagrarbericht.de/fileadmin/files/weltagrarbericht/Weltagrarbericht/04Fleisch/Futtermittelblues_Heft_05.pdf

[37] https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Landwirtschaft/Klimaerwaermung-durch-Fleischkonsum.pdf

[38] https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/krankenhauskeime-im-tierstall-gesundheitsforschung-in-der-landwirtschaft-2819.php

[39] https://www.umweltbundesamt.de/daten/chemikalien/dioxine-polychlorierte-biphenyle-pcb-in#dioxinefurane-und-polychlorierte-biphenyle-pcb

[40] https://www.zeit.de/wissen/2020-06/fischereibericht-2020-un-fischkonsum-rekordwert?utm_referrer=https%3A%2F%2F

[41] https://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/fischerei/ueberfischung

[42] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/plastik-meer-geisternetze-100.html

[43] https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Wie-oekologisch-ist-Fisch-aus-Aquakultur,aquakultur164.html

[44] https://de.statista.com/themen/4069/fleischverarbeitung-in-deutschland/#topicOverview

[45] https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/landwirtschaft-fischerei/tierhaltung-fleischkonsum/_inhalt.html

[46] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_N046_41.html

[47] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/Agrarbericht2019.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (S. 87)

[48] https://www.quarks.de/umwelt/landwirtschaft/darum-schaden-uns-monokulturen/

[49] https://www.mdr.de/wissen/umwelt/mischanbau-artenvielfalt-landwirtschaft-ertrag100.html

[50] https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/mischwaelder-sind-widerstandsfaehiger/

[51] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/bodenbelastungen/verlust-der-biodiversitaet-im-boden#funktion-der-bodenorganismen

[52] https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/journal/zu-viel-des-guten-duengung-senkt-die-widerstandskraft-g-10956

[53] https://www.bund.net/meere/belastungen/ueberduengung-der-meere/

[54] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/anbau/phosphatduenger-agrarchemie-toedlichen-nebenwirkungen

[55] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/duengemittel

[56] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/anbau/pestizide-zerstoeren-umwelt

[57] https://www.boell.de/de/glyphosat

[58] https://www.boell.de/de/2016/03/04/glyphosat-untersuchung-75-prozent-der-deutschen-deutlich-belastet

[59] https://www.deutschlandfunk.de/herbizid-studie-unkraeuter-entwickeln-immunitaet-gegen-100.html

[60] https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/klimawandel/bodenerosion

[61] https://www.faz.net/aktuell/wissen/erde-klima/bodenerosion-wachsende-sorge-um-fruchtbare-boeden-16539315.html

[62] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-funktioniert-landwirtschaft-heute/boden-in-gefahr-erosion-in-der-landwirtschaft

[63] https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/klimawandel/bodenerosion

[64] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/bodenbelastungen/erosion-jede-krume-zaehlt#was-sind-die-folgen-von-bodenerosion

[65] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/kleine-bodenkunde/entwicklung-des-bodens

[66] https://www.faz.net/aktuell/wissen/erde-klima/bodenerosion-die-landwirtschaft-ist-in-gefahr-18303767.html#ist-der-boden-noch-zu-retten}

[67] https://www.planet-wissen.de/natur/landschaften/trockenwuesten/wuesten-desertifikation-100.html

[68] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1180900/umfrage/anteil-von-trockengebiete-an-der-gesamtflaeche-der-weltregionen/

[69] https://www.planet-wissen.de/natur/landschaften/trockenwuesten/wuesten-desertifikation-100.html

[70] https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/292601/welttag-fuer-die-bekaempfung-von-wuestenbildung-und-duerre/

[71] https://www.dw.com/de/wo-die-w%C3%BCste-w%C3%A4chst-klimawandel-in-rum%C3%A4nien/av-56634405

[72] https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_85636884/sahara-nein-das-ist-brandenburg.html

[73] https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_WaldFlaeche.html

[74] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1178578/umfrage/laender-mit-dem-hoechsten-risiko-fuer-grundwassermangel/

[75] https://unric.org/de/020721-wasser/

[76] https://unric.org/de/020721-wasser/

[77] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/harz/waldsterben-aufforstung-trockenheit-borkenkaefer-krisenstab-100.html

[78] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ueberg1.htm#bab

[79] https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/landgrabbing.html

[80] https://www.boell.de/de/2017/01/10/fuenf-agrarkonzerne-beherrschen-den-weltmarkt

[81] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kampf-um-aecker-wie-die-munich-re-land-wegkauft-1.3273634

[82] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwi62Ofy9rj9AhXjg_0HHeT7AdkQFnoECBAQAQ&url=https%3A%2F%2Fafrique-europe-interact.net%2F1253-0-Kurzinfo-DEG-Dezember-2014.html%3Farticle_id%3D214%26aid%3D1253%26clang%3D0&usg=AOvVaw3fIzleuB7fcZM74n6_2gqx

[83] https://www.fian.de/aktuelles/aerztepensionen-in-landgrabbing-verwickelt/

[84] https://www.weltagrarbericht.de/fileadmin/files/weltagrarbericht/Weltagrarbericht/08LandGrabbing/2016OxfamCommonGround.pdf




Nein zur EU-Asylrechtsreform! Offene Grenzen für alle!

Von Paul Dreher, Juni 2023, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Am 8. Juni verständigten sich die EU-Innenminister_Innen auf eine „Reform“ des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS). Faktisch stellt sie eine Abschaffung des ohnedies schon massiv eingeschränkten Asylrechts für Hunderttausende Geflüchtete dar. Ohnehin ist der Status einer geflüchteten Person längst äußerst prekär. So sind Geflüchtete der Hetze bürgerlicher Medien sowie rechter Gewalt ausgesetzt und haben in der Regel weder das Recht zu arbeiten noch ihren Wohnort zu wählen.

Und auch das nur, wenn sie den tödlichsten Fluchtweg der Welt, das Mittelmeer mit seiner Festung Europa, überleben. Keine Woche nach dem Beschluss nahm die rassistische Außenpolitik der EU 500 – 600 weitere Tote in Kauf, als ein überfülltes Fischerboot vor der Küste Griechenlands kenterte. Laut Aussagen von Geflüchteten aufgrund der griechischen Küstenwache, welche im Rahmen eines Pushbacks das Boot aus dem Gleichgewicht brachte.

Der Beschluss der Innenminister_Innen stellt einen weiteren massiven rassistischen Angriff dar. Bevor er in Kraft tritt, muss er noch durch die gesetzgebenden Institutionen – EU-Kommission, -Rat und -Parlament. Eine Verteidigung des Asylrechts ist von diesen nicht zu erwarten, zumal die Regierungen der EU-Staaten wie auch alle größeren Fraktionen des EU-Parlaments in den Beschluss der Innenministerkonferenz eingebunden waren.

Aber die Verhandlungen und Beratungen der EU-Organe können und müssen noch genutzt werden, um eine Bewegung zur Verhinderung der „Reform“ und zum Kampf für ein uneingeschränktes Asylrecht aufzubauen.

Was haben die Innenminister_Innen beschlossen?

Die Reform, welche von der Bundesregierung als „politischer Durchbruch” gesehen wird, bedeutet eine quasi Abschaffung des geltenden Asylrechts. Sie sieht unter anderem die Nutzung von großen Asylzentren an den EU-Außengrenzen mit Einschränkung der Bewegungsfreiheit – praktisch Gefängnisse für Antragssteller_Innen auf Asyl – vor.

In diesen sollen Geflüchtete, worunter ebenfalls Familien mit Kindern zählen, bis zu drei Monate lang eingesperrt, jedoch möglichst schnell wieder abgeschoben werden.

Insbesondere,  wenn es sich um Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten” handelt oder aus Staaten, aus denen Antragssteller_Innen in der Vergangenheit mit einer ziemlich geringen Wahrscheinlichkeit Erfolg auf Asyl hatten (darunter fallen z. B. die Türkei, Indien oder Tunesien). Sollte eine Abschiebung in das Herkunftsland nicht möglich sein (zum Beispiel, weil dort Krieg herrscht), so ist jetzt auch eine in ein „sicheres Drittland” möglich, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise (wie entfernte Verwandtschaft) mit der geflüchteten Person assoziiert wird.

An den Außengrenzen inhaftierte Geflüchtete werden registriert und möglichst gründlich identifiziert.

Die entsprechenden Daten, darunter neben biometrischen Fingerabdrücken auch Gesichtsfotos, sollen in einer EU-Datenbank gesichert und von Asyl- und Strafverfolgungsbehörden aller EU-Staaten abgerufen werden können, damit sogenannte „Sekundärmigration”, d. h. die Chance auf Asyl in einem anderen Land der EU (mit möglicherweise menschengerechteren Lebensgrundlagen), verhindert wird. Ein Recht auf Asylberatung oder rechtlichen Beistand wird den Menschen dabei nicht gewährt.

Widerstand in Basis von SPD und Grünen?

Während die SPD-Bundestagsfraktion 2020 noch Horst Seehofer kritisierte und die EU-Asylrechtsreform mitsamt „Massenlager[n] an der EU-Außengrenze” und einem „abgeschwächten Asylverfahren” ablehnte, sieht es heute ganz anders aus, von den Grünen ganz zu schweigen. Wieder einmal beweisen beide Parteien mit ihrer Zustimmung, dass ihnen die imperialistischen Interessen der EU, insbesondere Deutschlands, wichtiger sind als Menschenleben.

Zwar sprachen sich 24 Abgeordnete der SPD und der Grünen aus dem Bundestag sowie eine Handvoll aus Landtagen gegen die aktuelle Fassung der Asylreform aus, tragen die Politik aber faktisch mit. Überhaupt fällt die parteiinterne Kritik sehr schwach aus, auch wenn die Berichterstattung mancher bürgerlichen Medien das anders sieht. Von grünen Kritiker_Innen der Parteispitze fallen Aussagen wie, dass die Verhandlungssituation „sicherlich schwierig” sei und man sich sicher sei, dass doch trotzdem irgendwie für die richtige Politik gekämpft werde. Erik Marquardt, ein Mitglied der Grünen, welcher dafür bekannt ist, sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen zu wollen, spricht trotzdem von „Vertrauen in die Bundesregierung”, und dass eben alle Menschen Fehler machen. Dass es sich hier jedoch nicht um einen alltäglichen menschlichen Fehler handelt, sondern um die systematische Vertretung der Politik des Kapitals, wird von den parteiinternen Kritiker_Innen verkannt. Im Bundestag lehnte nur die Linkspartei die Reform grundlegend als Angriff auf die Menschenrechte ab.

Während SPD, FPD und auch die Grünen die faktische Aushebelung des Asylrechts als „geringeres Übel“ (für wen???) verteidigten, bezeichnen CDU und CSU die Verschärfungen als „guten Schritt“, dem weitere folgen müssten. Damit will sich die AfD erst gar nicht aufhalten. Für sie stellt selbst dieser rassistische Hammer eine „bloße Alibiveranstaltung“ dar, denn noch immer könnten Geflüchtete aus einzelnen Ländern wie Afghanistan und Syrien Asyl erhalten. Auch wenn die AfD-Forderungen im EU-Parlament keine große Rolle spielen werden, so verweisen sie darauf, dass längst nicht das Ende der rassistischen Fahnenstange erreicht ist, selbst wenn die „Reform“ angenommen wird.

Widerstand ist nötig!

Auch wenn von den EU-Institutionen nichts zu erwarten ist, so können und müssen die Beratungen und Verhandlungen der kommenden Monate genutzt werden, um eine Bewegung zur Verhinderung der „Reform“ und zum Kampf für ein uneingeschränktes Asylrecht aufzubauen.

Der Protest gegen den rassistischen Angriff darf nicht weiter auf Petitionen und Kundgebungen von Menschenrechtsorganisationen, von NGOs und antirassistischen Initiativen beschränkt sein wie beim bundesweiten Protesttag am 15. Juni.

Wir brauchen eine Massenbewegungen, von antirassistischen,  Migrant_Innenorganisationen, Gewerkschaften, der Linkspartei. Die Abgeordneten, die sich im Parlament gegen die rassistischen Maßnahmen ausgesprochen haben, müssen eine solche Mobilisierung unterstützen – und zwar nicht nur EU-weit!

Was braucht es stattdessen?

Statt Internierungslagern an den Außengrenzen, Toten im Mittelmeer und einer insgesamt menschenverachtenden EU-Außenpolitik braucht es eine menschenwürdige Alternative in der Hand von Arbeiter_Innen, Geflüchteten und anderen unterdrückten Menschengruppen.

Deshalb fordern wir:

• Volles Asylrecht für alle Geflüchtete! Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen sowie Abschiebungen! Für offene Grenzen!

• Ein Recht auf Arbeit und freie Wahl des Wohnortes und staatliche Unterstützung für Geflüchtete, solange sie keine Arbeit gefunden haben!

• Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit!

• Volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, die in Deutschland leben, inklusive des passiven und aktiven Wahlrechts!

• Statt des Europas der Imperialist_Innen ein Europa des Widerstands, der Unterdrückten und Ausgebeuteten! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas!




AfD-Sieg in Thüringen: Resultat einer gescheiterten Antikrisen-Politik

von Flo Rojo, Juni 2023

Die letzten Tage schauten Medien und Politik auf einen kleinen Landkreis im Süden Thüringens: Sonneberg. Denn die Kommunalwahlen, welche dort stattgefunden haben, sind nun zu einem Symbolbild für den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD geworden. Zum ersten Mal hat die rechtsextreme AfD es geschafft, ein Spitzenmandat zu gewinnen: Das Amt des Landrats.

Am Sonntag, dem 25.06. unterlag der CDUler und amtierende Landrat Jürgen Kopper in einer Stichwahl Robert Sesselmann, dem Kandidaten der AfD. Dieser erzielte 52,8 Prozent der abgegebenen Stimmen, womit die in diesem Bundesland als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD diesen Sieg einfahren konnte. Die AfD erfährt zurzeit einen deutschlandweiten Aufschwung. Aus mehreren Umfragen verschiedener Meinungsforschungsunternehmen geht hervor, dass sie auf Bundesebene sogar die zweitbeliebteste Partei sein sollen. In der vergangenen Woche sind darüber hinaus Videos aus der Stadt Sonneberg durch das Internet gegangen, in welchen sich auf offener Straße die NSDAP zurückgewünscht wird. Der Rechtsruck verschärft sich also nicht nur, sondern tritt ebenfalls immer offener auf. Nachdem rechtspopulistische Kräfte in Italien und Schweden die Regierung übernommen haben und Rechtspopulist_Innen sowie Faschist_Innen in ganz Europa an Zuwachs und Bedeutung gewinnen, ist es klar, dass die Entwicklung der AfD kein lokales Phänomen ist. An den EU-Außengrenzen sterben Tausende, während die Asylgesetze weiter verschärft werden. Der internationale Rechtsruck ist allgegenwärtig und die Antwort der politischen Linken zu schwach.

Die niedrige Wahlbeteiligung in Sonneberg ist dabei ebenfalls nicht zu vergessen. Obwohl bei der Stichwahl diese um rund 10 Prozentpunkte zugenommen hat, haben insgesamt nur 49,1 Prozent im ersten Wahlgang und 59,6 Prozent im Zweiten gewählt. Auch bei den Wiederholungswahlen in Berlin zeichnete sich ab, dass große der Teile der Bevölkerung nicht gewählt haben oder auch nicht wählen konnten. Rund 40 Prozent konnten oder wollten dort keine Stimme abgeben. Hierbei wird die Relevanz der Forderung für Staatsbürger_Innenrechte für alle erneut deutlich, da zzgl. zu den 20 Prozent von Nicht-Wähler_Innen eine große Anzahl an Personen nicht einmal die Möglichkeit erhielten, an dem „demokratischen“ Prozess teilzunehmen. Was an niedriger Wahlbeteiligung und dem Aufschwung der AfD insgesamt zu erkennen ist, ist die allgemeine Unzufriedenheit mit dem politischen Geschehen und den sich weiter verschärfenden Krisen. Bürgerliche Parteien können keine Antwort finden auf die sich immer verschlimmernde Lage der lohnabhängigen Menschen.

Genau das nutzte Sesselmann in seinem Wahlkampf, in dem er sogenannte bundespolitische Themen ins Feld führte. Neben rassistischer Migrationspolitik setzte die AfD auf Themen wie die Inflation oder das Heizungsgesetz. Doch diese können auf dieser Ebene nicht angegangen werden und spielen somit für die lokale Politik auch keine bedeutende Rolle. Doch Prekarität nimmt zu und die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich, während die Ampel-Regierung in einer Krise steckt: Die Wirtschaftskrise trifft vor allem die ärmsten Teile der Gesellschaft ohne flächendeckende Hilfeleistungen und das zuletzt beschlossene Heizungsgesetz bleibt ohne soziale Abfederung. Da sich keine den Interessen der Arbeiter_Innen widmende Kraft als Antwort auf die Krisen herausbildet, suchen viele Menschen in ihrer Verzweiflung eine Antwort bei den gut aufgestellten rechtspopulistischen bis ultrarechten Kräften der AfD, auch wenn diese in Wahrheit keine Perspektive darstellen und mit rassistischer Hetze von den eigentlich wichtigen Fragen ablenken. Hier gilt es anzusetzen und eine revolutionäre Perspektive zur Lösung der Krisenproblematik des Kapitalismus aufzustellen.

Doch wie können wir das erreichen? Es ist z.B. notwendig die dringende Energiewende sozial zu gestalten. Die Kosten für diesen wichtigen Schritt dürfen dabei nicht bei den Arbeiter_Innen hängen bleiben (wie das Heizungsgesetz es vorsieht), die Reichen müssen für diesen wichtigen klimapolitischen Schritt zahlen! Sie sind es, welche die meisten Emissionen erzeugen und klimaschädliche Konzerne leiten. Diese müssen enteignet und unter Arbeiter_Innenkontrolle nachhaltig umstrukturiert werden. Darüber hinaus wird durch die Instrumentalisierung von geflüchteten Menschen für rassistische Hetze die Notwendigkeit für eine klare Kante gegen Rassismus noch einmal einschlagend offenbart. Die Antwort auf die zukünftig steigende Zahl an Klimaflüchtlingen darf nicht Abschottung, sondern konsequenter antikapitalistischer Klimaschutz und Staatsürger_Innenrechte für alle sein.

Gegen die rassistischen Verschärfungen der EU-Asylgesetze! Staatsbürger_Innen-Rechte für alle, überall!

Für eine antifaschistische Einheitsfront aus Arbeiter_Innen, Jugendlichen und allen Unterdrückten dieses Systems!

Gewerkschaften in die Offensive! Schluss mit Sozialpartner_Innenschaft und für den Aufbau einer Antikrisenbewegung!

Antirassistischen Selbstschutz aufbauen! Im Kampf gegen Faschist_Innen ist auf Staat und Polizei kein Verlass!

Löhne hoch, Mieten runter & kostenloser ÖPNV für alle, durch Besteuerung der Reichen!

Konsequenter, antikapitalistischer Klimaschutz ohne Kompromisse & finanziert durch die Vermögen der Reichen!

Enteignung klimaschädlicher Konzerne unter Arbeiter_Innenkontrolle und kostenlose Umschulungsprogramm in erneuerbare Energien!




Gegen die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes! Gegen die Angriffe der Ampel!

Eigentlich ist die Ampel- und selbsternannte Fortschrittskoalition mit hohen Zielen gestartet: Alles soll sozialer, freier und vor allem ökologischer werden. Der kapitalistische Krisenbetrieb und die inneren Widersprüche der Koalition haben diese Versprechungen eine nach der anderen aufgefressen. Anstatt  die notwendigen Schritte im Klimaschutz zu gehen, wurde nun der nächste Verrat durch das Kabinett beschlossen: Das Klimaschutzgesetz soll nun aufgeweicht werden und damit hinter dem zurückfallen, was die Große Koalition unter Merkel 2021 beschlossen hat. Richtigerweise läuft die Klimabewegung dagegen Sturm und ist vor allem von den Grünen schwer enttäuscht.

Doch wie kommt die Ampel-Koalition auf diese Idee? Welche Interessen stehen da dahinter? Und wie können wir als Klimabewegung das effektiv verhindern?

Zum Klimaschutzgesetz selbst

Das erste Bundes-Klimaschutzgesetz wurde im Fridays-For-Future-Jahr 2019 beschlossen. Grundsätzlich ist die Idee, die Vorgaben vom Pariser Klimaabkommen umzusetzen, die jedem unterschreibenden Staat eine Menge CO2 zuschreibt, um noch das 1,5°-Ziel zu erreichen. Dabei kriegen in Deutschland einzelne Sektoren konkrete jährliche Emissionsmengen, die sie einzuhalten haben. Falls diese nicht eingehalten werden, haben die Minister_Innen dieser Sektoren ein Sofortprogramm vorzulegen, wie diese Verfehlung ausgeglichen werden soll. Dabei gibt es 6 Sektoren: Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall.

Direkt zur Einführung gab es dabei viel Kritik von der Umweltbewegung, denn die konkreten Vorgaben waren deutlich zu lasch und haben viel Emissionsminderung auf nach 2030 verschoben. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht 2021 beschlossen auf Grundlage des Rechts zukünftiger Generationen, nicht wegen heutigen Nachlässigkeiten heftige Einschränkungen in Lebensqualität und Freiheit zu erleiden. Wenige Wochen später wurde das Gesetz also etwas nachgeschärft.

Seitdem haben immer wieder die Sektoren Gebäude und Verkehr die viel zu laschen Ziele verfehlt. Die vorgelegten Sofortprogramme wurden vom eingesetzten Expert_Innenrat als zu schwach analysiert und auch dann nicht umgesetzt. „Na gut“, könnte man jetzt denken, „dann muss doch das Gesetz noch weiter verschärft werden? Oder der Klimakanzler Scholz persönlich ein Machtwort sprechen?“. Weit gefehlt. Die Antwort der Ampel ist es, dann einfach das Gesetz wieder zu lockern: Die Sektorenziele sollen abgeschafft werden und stattdessen nur noch der allgemeine CO2-Ausstoß wirklich klar überprüft werden. Dadurch können sich die Sektoren gegenseitig ausgleichen, wobei man davon ausgehen kann, dass das eher dazu führen wird, dass der insgesamte Ausstoß dadurch ausgeschöpft wird und die Emissionen höher bleiben, als sie müssten. Außerdem fällt auch die Pflicht von Sofortprogrammen weg und man geht eher von vagen Vermutungen zur zukünftigen Einsparung aus als die vergangenen konkreten Ausstöße zu betrachten.

Was steht dahinter?

Bundesklimaminister Robert Habeck, der die Gesetzesänderung vorgelegt hat, legitimiert das damit, dass sich ja an das Gesetz eh „keine Sau“ gehalten hat und in manchen Sektoren der Wandel nun mal langsamer sei als in anderen. Besonders freuen dürfte sich Volker Wissing. Als FDP-Verkehrsminister hat er sich gegen jegliche Einschränkungen oder Steuererhöhungen geweigert und redet ständig von „Technologieoffenheit“, also dass Wasserstoff- und E-Autos nun mal etwas bräuchten, bis sie sich wirklich durchsetzen und man sonst ja nichts machen könnte. Deswegen bräuchte der Verkehrssektor nur mehr Zeit. Doch das ist glatt gelogen: Tempolimit, sofortiger Autobahnbaustopp und ein dauerhaft kostenloser öffentlicher Nah- und Fernverkehr könnten auf der Stelle eingeführt werden.

Dazu kommt noch ein anderer Hintergrund: Die Debatten rund um das Gebäudeenergiegesetz, auch genannt Heizungsgesetz. Denn man kann dieses verstehen als ein Programm zur Senkung von CO2-Ausstoß im Gebäudesektor. An sich geht die Initiative in Ordnung, dass Gebäude bei Neubau oder Sanierungen ordentlich gedämmt werden und die Wärme nicht auf fossilen Energien beruht. Das große Problem ist hier die Finanzierung, denn unabhängig vom sozialen Hintergrund werden alle gleich unterstützt. Jedoch: Die Rechten und vor Allem die Regierungspartei FDP wollten das gesamte Gesetz verhindern und haben Panik verbreitet, dass den armen Deutschen nun massenhaft die Öl- und Gas-Heizungen aus der Wand gerissen würden.

Um sich solche Programme in Zukunft zu sparen und die FDP ruhig zu stellen, wird nun das Klimaschutzgesetz abgeschwächt. Die FDP hat sich mal wieder als Vertreterin des Kapitals in der Regierung dargestellt und als kleinste Kraft ihren Willen bekommen, vor allem weil SPD und Grüne selbst die Grundrichtung fahren, fortschrittliche Ziele im Zweifel für die Interessen des deutschen Kapitals zurückzustellen.

Umweltimperialismus

Da kommt noch die Frage auf: Warum sind es gerade die beiden Sektoren Gebäude und Verkehr, die ständig ihre Ziele verfehlen? Es gibt dabei einen Zusammenhang zum Umweltimperialismus, also die internationale Arbeitsteilung, in der dreckige und arbeitsintensive Arbeitsschritte in die Halbkolonien ausgelagert werden, während die sauberen und hochtechnologischen Branchen in den imperialistischen Zentren bleiben. Dies hilft auch den Emissionsstatistiken in Deutschland, denn das CO2 wird dann in den Fabriken im Ausland ausgestoßen und kommt auf deren Rechnung, während die Profite bei den deutschen Konzernen landen.

Doch offensichtlich klappt das nicht bei jedem Sektor. Gebäude müssen nun mal hier gebaut und geheizt werden und der deutsche Verkehr kann auch nur schwer im Ausland fahren. Dadurch fällt es diesen Sektoren besonders schwer, durch solche Tricksereien ihre Statistiken aufzupolieren. Wenn das Klimaschutzgesetz nun so abgeändert wird, kann das umgangen werden.

Was braucht es?

Klar muss uns sein, dass das Klimaschutzgesetz von Anfang an unzureichend war: National begrenzt, viel zu lasch, keine wirklich unmittelbaren Verpflichtungen für die Ministerien und das alles bei Beibehaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Selbstverständlich muss so ein Gesetz scheitern und es ist erfrischend ehrlich, dass das Habeck auch so zugibt und damit zeigt, dass der bürgerliche Klimaschutz am Ende seiner Ideen ist.

Statt einfache gesetzliche Rahmenverschiebungen brauchen wir eine Verschiebung in der Kontrolle der Produktion! Durch Streiks, Enteignung und rätedemokratische Kontrolle in den umweltschädlichen Betrieben können wir die notwendigen Schritte unmittelbar umsetzen und auch dafür sorgen, dass die gleichen Umweltsünden nicht einfach im Ausland begangen werden und die Arbeiter_Innen und Unterdrückten nicht doch wieder die sind, die darunter zu leiden haben. Deswegen muss die Umweltbewegung den Anschluss an die Arbeiter_Innen, deren Gewerkschaften und Arbeitskämpfe suchen und offensiv gegen die sozialen und ökologischen Angriffe der Ampel vorgehen!

Wir fordern deshalb:

  • Verschärfung und nicht Aufweichung des Klimaschutzgesetzes! Die Regierung muss sich an das Pariser Klimaabkommen halten oder abdanken!
  • Für eine schnelle Energiewende! Weg vom Individualverkehr, rauf auf die Schiene! Kostenloser ÖPNV für alle!
  • Enteignung und Umbau der umweltschädlichen Industrie unter Kontrolle der Arbeiter_Innenklasse!
  • Kostenlose Umschulungsprogramme für die Beschäftigten in nachhaltigen Technologien!



Air Defender 2023: dunkle Kriegswolken über Europa

von Jürgen Roth, zuerst erschienen in der Infomail 1226 der Gruppe Arbeiter:innemacht, 14. Juni 2023

Vom 12. bis zum 23. Juni 2023 trainieren rund 10.000 Soldat:innen aus 25 Nationen mit ca. 250 Luftfahrzeugen v. a. über Deutschland im größten Luftkampfmanöver seit Bestehen der NATO. 2.000 Flüge sind an den 10 Manövertagen geplant. Die wollen nicht nur spielen!

Das Szenario

Dem Manöver liegt ein Szenario zugrunde, dem zufolge jahrelange Konfrontation zum Krieg geführt hat. Occasus, eine fiktive östliche Militärallianz, hat den unabhängigen Kleinstaat Otso überrannt und greift nun NATO-Gebiet an. Eine von Coronapandemie, Verknappung von Energielieferungen geschwächte, von bisher unbekannt hoher Inflation gebeutelte Bundesrepublik erscheint dem Aggressor als leichte Beute. Reguläre Truppen und die Spezialeinheit Organisation Brückner fallen daraufhin ins Land ein und besetzen im Blitzkrieg die Region Klebus. Ein Viertel der Republik ist besetzt. Aus der Luft wird Rostock angegriffen. Die Einnahme seines Hafens soll mehr Nachschub ins Kampfgebiet bringen. Die NATO ruft gemäß Beistandsartikel 5 den Verteidigungsfall aus. An diesem Punkt startet das Riesenmanöver.

Einschätzung und Ausmaß des Manövers

Die beteiligten Militärs werten die Luftkampfübung bereits jetzt als Erfolg, gelang doch in recht kurzer Zeit die Mobilmachung von 25 Ländern, v. a. NATO-Mitgliedern, und 250 Flugzeugen, v. a. Kampfjets. Rund 100 davon stellen die USA. Die Bundesluftwaffe beteiligt sich mit 64 Maschinen: Eurofighter, Tornados, A400M-Transporter, A330-Tanker und Hubschrauber. Learjets der Gesellschaft für Zieldarstellung und A-4 einer kanadischen Firma mimen das Aggressorluftpotential.

Ähnliche gewaltige Manöver wurden bereits zu Zeiten des Kalten Kriegs abgehalten, doch damals hatten die USA, Großbritannien und Kanada ihre Flugmaschinen direkt in Deutschland stationiert. Nun erfolgte deren Verlegung schnell über Tausende Kilometer.

Die Übung erfolgt dennoch nicht im Namen des westlichen Militärbündnisses. Es war von der BRD geplant und wird von ihr geleitet. Generalleutnant Ingo Gerhartz, seines Zeichens Bundesluftwaffenoberbefehlshaber, betont, sekundiert von US-Generalleutnant Michael Rose, Direktor der Air National Guard, die Übung sei keine direkte Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine. Nur wenige Einsätze würden über Estland, Polen und Rumänien geflogen. Es gehe darum, sich selbst die eigene Verteidigungsfähigkeit zu beweisen. Eine Provokation Russlands durch Flüge in Richtung Kaliningrad solle vermieden werden. US-Botschafterin Amy Gutmann verhielt sich weniger vorsichtig und bekräftigte, dass die Übung auch ein Signal der Stärke aussenden solle. Wohin wohl?

Das Szenario nimmt bis aufs i-Tüpfelchen den sehr realen russischen Überfall als Anlass zum Gegenschlag wahr. In ihrem Bemühen, das Feinbild Russland abzutun, vergessen die NATO-Militärs auch, dass bis zum 5. Juni ein ähnliches Manöver namens Arctic Challenge an der russischen Nordgrenze lief und sich derzeit rund 50 NATO-Schiffe und über 45 Flugzeuge im Rahmen der Übung Baltops in der Ostsee konzentrieren. Und schließlich muss man aus Zeiten des Kalten Kriegs wissen, wie schnell eine Übung als Bedrohung wahrgenommen wurde. Nun wütet ein heißer Krieg. Die Militärs betreiben also Desinformationspolitik.

Geschehen in den Flugzonen

Für Air Defender 2023 sind über Deutschland 3 Flugzonen eingerichtet, die zu gewissen Zeiten für jeglichen anderen Luftverkehr gesperrt sind. Das Militär beansprucht dann hier den Luftraum zwischen 2.500 und 15.000 Metern Höhe. Tiefflüge sollen über dem nördlichen Brandenburg, Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, der Ostsee sowie den Truppenübungsplätzen Baumholder (Rheinland-Pfalz, südlicher Hunsrück) und Grafenwöhr (Bayern, Oberpfalz) erfolgen.

In den kommenden 2 Wochen wird also v. a. der zivile Luftverkehr leiden. Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) redet von täglich 50.000 Minuten Verspätung und der Flughafenverband Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) rechnet mit ausfallenden Flügen, z. B. über Schleswig-Holstein. Dort wird zwischen 16 und 20 Uhr geübt. Hamburg-Fuhlsbüttel plant beispielsweise für den 13. Juni 30 Starts. Um Chaos zu vermeiden, hat man das Nachtflugverbot aufgehoben.

Ökologische Kosten

Zu den direkten Kosten gibt es keine und zu den Umweltauswirkungen nur vage Angaben. Laut Bundeswehr wird das Manöver 32.000 Tonnen CO2 erzeugen – so viel wie 3.500 Deutsche im Jahr 2020 produzierten. Täglich werden allein am Fliegerhorst Wunstorf (ca. 20 km westlich von Hannover) 400.000 – 500.000 Liter Kerosin bereitgestellt. Damit kann ein Airbus A 320 mit 77 Tonnen Gewicht und 170 Passagier:innen an Bord rund 190 Stunden lang um den Globus düsen. Laut wird es außerdem, obwohl nicht scharf geschossen wird. Bis zu 60 Maschinen werden im Nordosten gleichzeitig in der Luft sein.

Protest

Die NATO spielt also mit dem Feuer, präsentiert ihre Stärke und Hoheit, auf dass „dem Iwan“ angst und bange werden möge. Dagegen ist Protest allemal gerechtfertigt. So versammelten sich am Sonntag, den 11. Juni 2023, ca. 150 Friedensbewegte am Sielmann-Hügel in der Kyritz-Ruppiner Heide zur Friedenswanderung auf dem Wanderparkplatz Pfalzheim (Ostprignitz-Ruppin) und bildeten ein Friedenszeichen mit Stoffbahnen über ihren Köpfen.

An diesem historischen Ort sammelten sich ehemals bis zu 10.000 bei Ostermärschen gegen die Naturzerstörung durch einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr, auf dem die Luftwaffe Tiefflüge und Bombenabwürfe trainieren wollte. Das Bombodrom konnte 2009 verhindert werden. Jetzt, wo sich die Lage immer drohender auf einen III. Weltkrieg zubewegt, verbleiben ganze 150 Aufrechte. Welche Schande! Doch nicht für sie, sondern für die Linke und Arbeiter:innenbewegung, die dieses Szenario nicht hinterm Ofen hervorlockt. So bleibt ihr Widerstand gegen die große NATO-Kriegsübung bisher aus.

Neue atomare Rüstungsspirale

Dabei gibt das neue atomare Wettrüsten zusätzlichen Anlass zum Protest. Der Jahresbericht 2023 des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Stockholm International Peace Research Institute; SIPRI) liefert nämlich nur auf den ersten Blick frohe Kunde: Die Anzahl der Atomsprengköpfe ist im vergangenen Jahr weltweit um 198 gesunken. Russland und die USA verfügen demnach über 90 % der 12.000 Waffen. Doch dieser Rückgang geht einher mit ihrer zielstrebigen Modernisierung. Die Sprengköpfe werden mobiler, dauerhaft einsatzfähig und sind schwerer abzuwehren.

Zudem legt sich seit Beginn des bewaffneten Ukrainekonflikts immer mehr der Schleier des Geheimnisses über diese Rüstungskategorie. Die Zahl der gefechtsbereiten Atomsprengköpfe hat im letzten Jahr um 86 auf vermutlich 9.576 zugenommen. Insbesondere China forciert die Aufrüstung, steigerte sein Arsenal von 350 auf 410. Vor 5 Jahren besaß es nur 280. Bis zum Ende des Jahrzehntes könnte es über mindestens ebenso viele Interkontinentalraketen verfügen wie die USA oder Russland. Die kleineren Atommächte ziehen nach: Pakistan (170), Indien (164), Nordkorea (30), Frankreich (290), Großbritannien (225), Israel (90).

2026 endet „New Start“, der letzte Atomwaffenkontrollvertrag zwischen Russland und den USA. Er begrenzt die Zahl der einsatzbereiten strategischen Atomsprengköpfe seit 2010 auf je 1.550 und der Trägersysteme zu Land, Wasser und in der Luft auf je 800. Kein Wunder, dass SIPRI-Direktor Dan Smith fürchtet: „Wir driften in eine der gefährlichsten Periode der Menschheitsgeschichte.“

Anfang Juni riefen die USA China und Russland zu Gesprächen über nukleare Rüstungskontrolle auf – ohne Vorbedingungen. Freilich bedeute das nicht, andere Atommächte nicht für ihr „rücksichtsloses Verhalten“ zur Rechenschaft zu ziehen, wie Jake Sullivan, nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten, betonte. Dieser Vorschlag ist also alles andere als uneigennützig: Geht Chinas Aufrüstung ungebremst weiter, stehen die USA bald vor dem Dilemma, erstmals in ihrer Geschichte zwei annähernd gleich große Atommächte in Schach zu halten. Er hob die Bedeutung von NATO-Verbündeten wie der BRD hervor, die zwar keine Nuklearwaffen besitzen, aber Einsatzmittel fürs US-Arsenal zur Verfügung stellten.

Zu ähnlich düsteren Prognosen kommt auch das Friedensgutachten 2023 von 4 deutschen Instituten. Deutschland und die EU müssten die Ukraine dauerhaft militärisch, ökonomisch und politisch unterstützen. Friedensgespräche seien derzeit keine realistische Option, müssten aber vorbereitet werden. Zu einer solchen Verhandlungsrunde sollten auch China und Brasilien gehören. Somit gerieren sich diese Institute ganz als brave Stimme ihres Herrn. Pazifismus ja, aber zuerst muss die richtige Seite unterstützt werden. Dafür zahlen wir schließlich Steuern – insbesondere für die weitere Aufrüstung.

EU-Militärpolitik: unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Die Ankündigung des militärischen Sondervermögens über 100 Mrd. Euro durch „Zeitenwende“kanzler Scholz löst eine massive Verschiebung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU aus: Der Trend zu wachsenden Verteidigungsausgaben ist europaweit zu verfolgen. Im Jahr 2019 lag das diesbezügliche Budget aller EU-Mitglieder bei 186 Mrd. Künftig wird allein Deutschland jährlich seines um 25 Mrd. aufstocken. Standen Ende 2021 die Zeichen im Koalitionsvertrag noch auf Rüstungskontrolle und Wiederbelebung der internationalen Abrüstung, setzte ab 2022 eine kontrollierte Rüstung ein. Die Ukraine erhielt Militärgerät, wobei östliche EU-Länder ihre noch aus Zeiten des Warschauer Paktes stammenden Waffensysteme abgaben und durch Nachkauf westlicher Ausrüstung sich dem NATO-Standard anpassten, ihn somit vereinheitlichten.

Die Antwort auf den Ukrainekrieg wird also vornehmlich in Aufrüstung gesucht, nicht in diplomatischen EU-Vermittlungs- und Verhandlungsmissionen. Dabei steht die europäische Verteidigungspolitik im Schatten der Öffentlichkeit. PESCO/SSZ, die ständige strukturierte Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten – wir berichteten in NI 226, Februar 2018: https://arbeiterinnenmacht.de/2018/02/03/muenchner-sicherheitskonferenz-2018-auf-dem-weg-zur-eu-armee/ – begann Ende 2017 und weist heute große Schnittmengen mit der NATO selbst auf. Beleg für den laufenden Ausbau dieser Politik liefern die Missionen auf dem Balkan, im Mittelmeer und Afrika (Mali, Niger).

In welche Richtungen EU-Gelder und -Budgets fließen, veranschaulicht das Projekt „Open Security Data EU“ (https://opensecuritydata.eu/). Man bedenke: Diese Gelder tragen zu einem Militärhaushalt ohne eigene EU-Armee bei! Der Europäische Verteidigungsfonds umfasst allein zwischen 2021 und 2027 8 Mrd. Euro für militärische Forschung und Entwicklung. Im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität stehen weiter 5 Mrd. für gemeinsame Missionen und Hilfe an Drittstaaten zur Verfügung. Weitere 500 Mio. liefert das Instrument zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (Edirpa) für den Zeitraum Juli 2022 – 2024.

Dass es bei einer EU ohne Armee bleiben wird, erscheint zudem immer unsicherer. Im März 2022 wurde der Strategische Kompass vorgestellt. Eine neue Schnelleingreiftruppe aus 5.000 Soldat:innen soll für Rettungs- und Evakuierungsaufträge, aber auch den Ersteinsatz im Rahmen der Krisenintervention bis 2025 aufgestellt werden.

Diese Zahlen und Hinweise verdanken wir einer Expert:innenrunde des Brüsseler Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter dem Oberthema: „Der Militarisierung entgegenwirken: Bestandsaufnahme und gemeinsame Wege im Kampf gegen die Militarisierung der Europäischen Union“ von Anfang September 2022 (https://www.rosalux.eu/de/article/2154.der-militarisierung-der-eu-etwas-entgegensetzen.html).

Doch so dankbar wir auch für die wertvolle Recherche der Stiftung sind, ihr „Antimilitarismus“ bleibt ein zahnloser:

„In der Summe der Projekte, Budgets und strategischen Planungen sowie deren absehbaren Ausweitungen drohen die Idee des friedlichen Charakters der Europäischen Union sowie die Vorstellung von einer Mittlerrolle im Rahmen von Friedensverhandlungen, die bislang im Ukrainekrieg auch nicht eingenommen worden ist, weiter Schaden zu nehmen. […] Wenn künftig das Mittel zur konstruktiven Enthaltung auch bei Militärmissionen zum Einsatz kommen sollte, dürfte die Zahl der Missionen aus nationalen Interessen einzelner oder mehrerer europäischer Staaten heraus zunehmen. Damit läuft die EU Gefahr, dass sich abgekoppelte Kriege auf Betreiben einzelner Staaten hin entwickeln. Analog kann der US-Feldzug in Afghanistan gesehen werden, dessen Angriffe im Rahmen der Operation Enduring Freedom mit Verteidigung nicht begründbar waren. Das zur Verteidigung angerückte Bündnis aus NATO- und Nicht-NATO-Mitgliedern leistete dafür eine wesentliche Unterstützung.

Linke europäische Politik muss sich angesichts dieser und vieler weiterer Aspekte, beispielsweise der Einsätze von Frontex im Mittelmeer und der auf Abwehr angelegten Maßnahmen an den europäischen Außengrenzen, über die Rolle innerhalb der Europäischen Union klar werden, um den friedensfördernden Charakter des Bündnisses nicht an die Rüstungsindustrie und Wirtschaftslobbyisten zu verlieren.

Das verlangt linker europäischer Politik aber auch ab, bei der Ablehnung der etablierten konventionellen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eigene Lösungen aufzuzeigen. Dabei muss auch das Bedürfnis nach dem Schutz, den Sicherheits- und Verteidigungsbündnisse vorgeblich bieten, in linke Lösungsvorschläge einfließen. Die Fragen nach einer neuen europäischen Sicherheitsordnung und einer gemeinsamen europäischen Verteidigung müssen von links beantwortet werden.“

Die Märchenerzähler:innen der RLS wollen uns weismachen, die EU sei eigentlich ein friedlicher Zusammenschluss, wenn egoistische Nationalinteressen, Wirtschafts- und Rüstungslobby nicht die Oberhand gewinnen. Kautskys Idee vom Ultraimperialismus erlebt hier eine Renaissance. Sie ist zwar ein Staatenbund, aber kein Superstaat, indem sich die konkurrierenden Interessen nationaler Gesamtkapitale schiedlich-friedlich verflüchtigt haben. Sie bildet ein politisch-wirtschaftliches Kartell unter Ägide des deutschen und französischen Imperialismus als dessen Hauptprofiteuren. Sieht so die Transformationsstrategie aus, der EU ihren grundlegend militaristischen und imperialistischen Charakter abzusprechen? Im Transformatorenhäuschen der RLS fließt nur reformistischer Schwachstrom, der den EU-Militarismus höchstens ein bisschen kitzelt. Das Gesundbeten dieses Saulus zum Paulus wird niemals gelingen. Die Linkspartei und ihre Ableger betreiben „konstruktiven, kritischen“ Sozialpatriotismus.




Wie Pflegeazubis das Recht auf Streik genommen wird

Von Paul Fuchs, Juni 2023

Die Ausbildung in der Pflege umfasst 3 Jahre. 3 Jahre, in denen man den Beruf lernen sollte, in schulischen Phasen die Theorie und in praktischen die Praxis. Während bei anderen Ausbildungen häufig davon geredet wird, dass Azubis zum Lernen im Betrieb sind, spricht im Gesundheitssektor so gut wie niemand mehr von sowas. Pflegeazubis sind Arbeitskräfte und werden dementsprechend in die Arbeit eingeplant. Der Schichtplan wird so gestaltet, dass Azubis nicht zusätzlich auf Station sind, sondern z.B. eine Pflegeassistenz ersetzen. Dass dennoch gerade mal der halbe Mindestlohn gezahlt wird, ist ein Problem, welches alle Auszubildenden kennen. In diesem Artikel geht es deshalb speziell um unser Streikrecht. Das Streikrecht, so kümmerlich es in der BRD durch Jahre des schwachen Klassenkampfes und der Sozialpartner_Innenschaft geworden sein mag, ist ein Recht, was es um jeden Millimeter zu verteidigen gilt.

Arbeitgeber_Innen und sogar manchmal Dozent_Innen machen hier Druck und sprechen Azubis teilweise das Streikrecht völlig ab. Gerade die Charité übt sehr bewusst Druck auf ihre Auszubildenen aus. Bereits bei einer geringen Anzahl von (entschuldigten) Fehltagen gibt es, wenn Streiktage bevorstehen, Gespräche darüber, dass sich kein weiterer Fehltag mehr erlaubt werden könne. Das Streikrecht ist eigentlich für alle Menschen durch das Grundgesetz gedeckt, doch wird zur Profitsicherung immer wieder untergraben.

Was ist die aktuelle Situation?

Um zum Examen, also Abschlussprüfung, zugelassen zu werden, darf man nur eine gewisse Anzahl an Fehltagen haben. In diese zählen Streiktage mit rein. Wer streikt, muss sich also zwei oder dreimal überlegen, ob man es sich dann leisten kann, bei Krankheit zu Hause zu bleiben. Und das in einem so körperlich und emotional anstrengenden Beruf wie der Pflege. Streiktage werden zwar gesondert notiert, zählen jedoch als Fehltage. Sollten die Noten einen Antritt zum Examen erlauben, die Fehltage aber eigentlich nicht, ist es möglich, gegen Ende der Ausbildung einen sogenannten Härtefallantrag zu stellen. Der Antrag kostet 60 €, ob dieser angenommen oder abgelehnt wird, bleibt aber offen. Wenn man also an Streiks teilnimmt, gibt es keine Gewissheit, die Ausbildung auch abschließen zu können. In einem Beruf, der die Arbeiter_Innen mit miserablen Arbeitsbedingungen so kaputt macht, dass er sich praktisch selbst abschafft.

Wie begründet der Staat das?

Verantwortlich ist offiziel hier aktuell die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Im Zuge der TVöD Runde gab es Diskussionen zwischen der damaligen Senatorin Ulrike Gote (Grüne) Diese hatte mit ihrem Team vor einigen Monaten ein Schreiben aufgesetzt, in welchem den Azubis selbstverständlich ein Streikrecht zugesprochen wurde. Ein Recht bringt aber ziemlich wenig, wenn du in einem prekären Arbeitsfeld psychologisch unter Druck gesetzt wirst, es nicht wahrzunehmen. Die gleichen Menschen, die durch Streiks Profite einbüßen, entscheiden, ob du am Ende einen Job kriegst oder nicht. Aufgrund mehrerer offener Fragen wurde von der Ver.di (Gewerkschaft der Dienstleistungen) eine Zoomkonferenz organisiert, auf der es bei einem der letzten Arbeitsstreik eine kleine Diskussion gab. Es wurde sich hinter Bürokratie und konfusen, juristischen Winkelzügen versteckt. Auszubildene wurden ignoriert und es wurde mantra-artig herunter gerattert, was auch schon im Schreiben zu lesen war. So auch der Vorwurf, dass durch Wahrnehmung des Streikrechts eine Patient_Innengefährdung vorliege. Die Realität ist, dass selbst bei Normalbetrieb jeden Tag in unserem Gesundheitssystem eine Gefährdung für Patient_Innen und Arbeiter_Innen vorliegt, durch Unterbesetzung und Stress. Auf wichtigen Stationen gibt es bei einem Streik eine Notfallbesetzung, sodass die Patient_Innen zumindest grundlegend versorgt werden können. Soweit die Idee, in der Realität unterscheidet sich aber auf vielen Stationen die Notfallbesetzung gar nicht von der Normalbesetzung oder liegt sogar über darüber.

Neben dem Fantasieren über ein „festes Kontingent an Streiktagen für Auszubildene“ wird immer wieder auf den Härtefallantrag als Ausweg gepocht. Darauf, dass dieser jedoch keine Sicherheit darstellt und genauso gut abgelehnt werden kann, war die Antwort: „Wir werden diese wohlwollend bearbeiten“. Toll, vielen Dank! Aussagen wie diese stellen innerhalb eines halb öffentlichen Zoommeetings keinerlei Verbindlichkeit, geschweige denn Sicherheit dar.
Frau Gote nimmt damit einfach hin, was für einem Druck und Stress Auszubildende in der Pflege ausgesetzt sind. Zahlreiche Beispiele für psychologischen Druck bei Personalgesprächen über Fehlzeiten wurden einfach ignoriert. In der Realität verzichten Auszubildene eher auf Streik oder gehen krank zur Arbeit, anstatt ihre ökonomische Grundlage aufzugeben. Laut Gote sei das Ganze ja gar kein Eingriff ins Streikrecht, weil die Streiktage würden zwar als Fehlzeiten gezählt und ergeben dadurch einen direkten Nachteil, aber, Zitat: „Das Problem sei nicht der Streik, sondern das Fehlen“.
Mittlerweile wird der Posten von Dr. Ina Czyborra (SPD) bekleidet, im Zuge des Koalitionsvertrages wurde viel versprochen, erfahrungsgemäß sollten wir uns keine Hoffnungen in einen Personellen Wechsel bei Vertreter*innen des Kapitals machen.

Und die Gewerkschaft?

Der Bürokratische Charakter der Gewerkschaften hat sich in diesem Tarifkampf wieder einmal zur schau gestellt. Die Führung versucht, statt die Interessen des Proletariats durchzusetzen wird versucht ein Kompromiss zu finden. Sozialpartnerschaft nennt sich der Spaß dann in dem wir immer als Verlierer raus gehen. Die Gewerkschaftsführung gibt sich im Wortlaut radikal, beweist, gerade zu anfang der Tariffrunden, sogar eine klare Klassenanalyse. Doch das gesagte wird schnell vergessen und es wird auf die Verhandlungen und die individuelle schwäche einzelner geschoben, dass es kein besseres Ergebnis bleibt. Linke Teile des Apparats lassen sich auch gerne hin reißen zu Aussagen wie „es wäre mehr drinn gewesen“, jedoch verbleiben sie stehts bei einer ökonomistischen Kritik. Die Frage um die Führung, bzw die demokratisierung der Gewerkschaften darf nicht gestellt werden.
Was diese Tarifrunde getötet war das sogenannte Schlichtungsabkommen, ein Deal zwischen der Verdi und den Arbeitgebern, der beiden Seiten während einer Tarifverhandlung jederzeit ermöglicht eine Schlichtung einzuberufen. Also eine erneute Verhandlung hinter verschlossenen Türen, es herrscht absolutes Informationsverbot. Vermeidlich neutrale Schlichter*innen werden von jeder Seite gewählt und es herrscht Friedenspflicht, ergo es darf nicht gestreikt werden. Dieses Schlichtungsverfahren ist nicht nur absolut lächerlich, es hat auch ein gigantisches Demobilisierungspotenzial. Darüber hinaus gibt es keine einzige realistische Situation in der es in unserem Interesse wäre so eine Schlichtung einzuberufen, Anträge auf Kündigung gibt es seit Jahren, werden vom Apparat aber stehts abgewehrt. Die Gewerkschaftsbürokratie hat erfolgreich den Erzwingungsstreik abwenden können, aber warum ist das in ihrem Interesse?
Ähnlich wie die politische Bürokratie fungiert sie als kapitalistcher Agent in den Reihen des Proletariats. Sie stehen jedoch zwischen den Stühlen, ebendso wie ihnen das Kapital gefährlich werden kann, kann ihnen auch die Basis gefährlich werden da eine demokratische und kämpferische Gewerkschaft ihre Abschaffung bedeutet. Der Erzwinungsstreik stellt einen wichtigen Moment der kollektiven Selbstermächtigung dar, das Proletariat sieht welche Macht es hat und durch die viele Zeit die mit Kolleg*innen verbracht wird ohne den Druck der Lohnarbeit, können Diskussionen darüber instehen wozu man die Gewerkschaftsführung überhaupt braucht oder warum diese das 10 Fache unserer Gehälter bekommen.

Zum Schlichtungsergebnis, es ist schlecht, sehr schlecht. Sie reichen nicht aus um altes Personal zu halten, geschweige denn neues zu Gewinnen. Das fortführen des Kollaps der Pflege ist die Folge.

Wenn euch die Rolle der Gewerkschaftsführung weiter gehend interessiert empfehelen wir diesen Artikel der Gruppe ArbeiterInnenmacht: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/05/20/tvoed-bund-und-kommunen-buerokratie-redet-sich-auch-die-mitgliederbefragung-schoen/

Was braucht es stattdessen?

Organisation statt Entpolitisierung. Die Ausbildung beschreibt einen Übergang von der Jugend zum Proletariat. Dies ist eine hochpolitische Zeit, in der sich im Individuum viel verändert, aber auch der Grundstein für zukünftige Klassenkämpfe gelegt wird. Die permanente Unterdrückung der Auszubildenden durch Berufsschule und Arbeitgeber_Innen, heißt es entschlossen zu bekämpfen. Die bürokratische Ver.di Jugend bietet hierbei gute erste Anlaufstellen, jedoch keine Lösung. Was es braucht, ist einen Verbund von Auszubildenen im engen Austausch mit den Arbeiter_Innen im Betrieb. Die künstliche Spaltung in „Kämpfe der Auszubildenen“ und „Kämpfe der Beschäftigten“ durch Ver.di und Arbeitgeber_Innen muss mit gemeinsamen Streiks und gemeinsamen Kämpfen beantwortet werden. Nicht nur betreffen uns nach spätestens drei Jahren die Realitäten der Beschäftigten, auch sind diese auf gute zukünftige Kolleg_Innen angewiesen. Letzteres kann es im momentanen Gesundheitssystem nicht geben, da der Kapitalismus auf Profite angewiesen ist und diese immer auf Kosten der Arbeiter_Innen gesichert werden. Es braucht also vor allem eine antikapitalistische Perspektive für die Arbeitskämpfe in der Pflege.

Trotzdem sollte man bestehende Strukturen wie die Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in Betriebsräten nutzen, sie sind jedoch kein Ersatz für basisdemokratische Verbunde von Auszubildenen. Die Berufsschulen haben nicht zu entscheiden, ob und welche Flyer in den Berufsschulen verteilt werden, das Recht auf freie Propaganda gilt es auch zu erkämpfen! Es sind unsere Kämpfe und wir haben zu entscheiden, welche Schwerpunkte wir legen. Dabei gilt es auch zu erkämpfen dass die Auszubildenden, zum Beispiel im Zuge des Kurssprecher*innentreffen die Möglichkeit haben miteinander zu diskustieren ohne das Lehrer*innen und Schulleitung mit am Tisch sitzen wie derzeit. Diskussionen die auch nur leicht über den Berufsschulalltag hinaus gehen werden strickt unterbunden, politischer Diskurs verunmöglicht. Ein wichtiger Moment des Austausches verkommt zu einem technisches Punkte abhacken, ohne Diskurs.
Gegen die Entpolitisierung durch die Ver.di. Arbeitskampf ist Klassenkampf und sollte als dieser benannt werden. Malle-Hits und zwei Demosprüche, die keinerlei Forderung aufwerfen, sind nicht genug. Es muss die Möglichkeit für Auszubildene bestehen, ihre Perspektive darzulegen.

Dafür benötigt es Komitees von Auszubildenen, die weder durch Ver.di, Berufsschule noch Arbeitgeber bevormundet werden!

  • Enteignung der Pflege und Verstaatlichung unter Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Arbeitszeitverkürzung bei voller Lohnfortzahlung!
  • Uneingeschränktes Streikrecht für alle Azubis und Beschäftigte!
  • Raum für politische Diskussionen unter Azubis ohne bevormundung durch die Schulleitung!
  • Basisdemokratische Gewerkschaften statt bürokratischem Verrat!
  • Für gläserne Verhandlungen, jede Verhandlung mit dem Arbeitgeber muss via Internet livegestreamt werden! Keine Hinterzimmerverhandlungen



Free Lina! Warum der Bullenstaat gerade wieder zuschlägt und was wir dagegen tun können

Jona Everdeen, Juni 2023

Am 31.5. wurden die Antifaschistin Lina und ihre 3 Genossen nach über 2 Jahren politischem Prozess wegen Mitgliedschaft in einer sogenannten „kriminellen Vereinigung“ verurteilt. Vorgeworfen wird ihnen, mehrere Faschos schwer verletzt zu haben. Doch trotzdem die Anklage keinerlei Beweise vorlegen konnte, dass die 4 Angeklagten die ihnen vorgeworfenen Taten tatsächlich selbst begangen haben, wurde Lina zu über 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Obwohl lediglich Indizien gegen sie vorliegen, wurden Lina und ihre Genossen härter bestraft, als NSU-Mittäter, die nachweislich den Mord an migrantisierten Personen organisiert haben. Während rechte rassistische Terrorakte fast immer als Taten verwirrter Einzeltäter betrachtet werden, ermittelt der Staat bei militanten linken Aktionen in fast 100 Prozent der Fälle immer als „Organisationsdelikt“ nach §129. Dieses Urteil reiht sich also ein in einer Kette der Akte der Klassenjustiz gegen linke Aktivist:innen. Es richtet sich nicht nur gegen Lina, sondern gegen uns alle – gegen jede_n, der_die etwas gegen die herrschenden Verhältnisse unternimmt.

Das sehen wir nicht nur in Sachsen. Selbst gegen die im Grunde harmlose, stets auf dem Boden der bürgerlichen Ordnung stehende Klimagruppe „Letzte Generation“ kam es zu Razzien, Hausdurchsuchungen und Gerichtsprozessen. Es wird darüber hinaus auch gegen sie nach §129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Trotz der Banalität ihrer Delikte wurden bereits Hafturteile ohne Bewährung gegen Aktivist:innen der Gruppe verhängt. Die Richter:innen urteilten hier sicher nicht neutral, sondern getrieben durch die massive Hetze aus bürgerlicher Politik und Presse gegen die „Klimakleber“.

In Berlin wurden die Demonstrationen zum 75.Jahrestag der Nakba verboten, Palästinenser:innen aufgrund antisemitischen Handlungen einzelner unter Generalverdacht gestellt und die von jüdischen Linken organisierte Gedenkkundgebung auf dem Oranienplatz, bei der Juden, Jüdinnen und Palästinenser:innen gemeinsam für einen gerechten Frieden demonstrierten, brutal angegriffen. Nachdem bereits seit Jahrzehnten die kurdische Community in Deutschland restlos überwacht wird, scheint sich die Kriminalisierung nationaler Befreiungsbewegungen nun mehr und mehr auch auf die Palästinenser:innen auszuweiten.

Doch gab es doch schon immer Antifaschist:innen und Klimaaktivist:innen. Warum wird die Repression gegen uns gerade jetzt so scharf?

Allzweckwaffe = §129

Ob „Antifa-Ost“, Letzte Generation, PKK oder PFLP – in allen Fällen zückt der bürgerliche Staat seine Allzweckwaffe, wenn es um die Bekämpfung linker Bewegungen geht: §129. So hat die Verfolgung linker Staatsgegner_Innen mit §129 in Deutschland eine lange Tradition. Bereits 1871 wurde der Paragraph ins Reichsgesetz aufgenommen und diente seit jeher der Verfolgung einer sich organisierenden Arbeiter_Innenbewegung, aus der die SPD und die Gewerkschaftsbewegung hervorgingen. Über verschiedenste Systeme hinweg, vom preußischen Polizeistaat, über die Weimarer Republik, dem Faschismus, bis hin zur imperialistischen BRD von heute wurde der Paragraph 129 zur Verfolgung von linken Aktivist_Innen genutzt. Die Repressionsparagraphen 129, 129a und 129b stellen eine mächtige Waffe des bürgerlichen Staates zum Schutz der deutschen Kapitalinteressen dar. Die Definition, wer oder was eine „terroristische“ oder „kriminelle Vereinigung“ ist, kann willkürlich hinter den undurchsichtigen Türen des Innenministeriums festgelegt werden und erlaubt den Ermittlungsbehörden fast alles, um gegen die Betroffenen vorzugehen.

Verschärfte Krise = verschärfte Repression

Repressionen, seien es juristische in Form von Anklagen, Gerichtsverfahren und Strafen, oder physische in Form von Gewalteinsatz durch Polizei und/oder Armee dienen im bürgerlich- Staat genau einem Interesse: Der Durchsetzung der bourgeoisen Klasseninteressen gegen alle Widerstände von Arbeiter:innen, Jugendlichen oder anderen Unterdrückten. In Zeiten der relativen Stabilität kann es sich eine bürgerliche Demokratie wie die Bundesrepublik Deutschland erlauben, nur relativ milde Repressionen anzuwenden, da sich die große Masse des Proletariats ruhig verhält und durch zahme Gewerkschaften und reformistische Parteien befrieden lässt. Doch mit der verschärften Krise, die inzwischen in Form von Krieg, Inflation und massiv steigenden Lebenskosten sehr deutlich auftritt, bröckelt dieser Klassenfrieden und die Widersprüche zwischen Produktionsmittelbesitzer:innen und Lohnabhängigen spitzen sich zu. Auch wenn in Deutschland Massenaufstände wie in Frankreich bislang ausblieben, kam es doch zu einer deutlichen Steigerung in der Rhetorik und auch Entschlossenheit von Streiks und anderen Kämpfen.

Im Kontext dieser Krise, die einerseits die Bedingungen der Lohnabhängigen und Jugendlichen massiv verschlechtert, und anderseits die Möglichkeiten zu Zugeständnissen seitens der Kapitalist:innen verringert, müssen auch die steigenden Repressionen in Deutschland gesehen werden. Man kann sich nicht leisten Klimaschutz zu betreiben, weil das die Profitmöglichkeiten von RWE, VW und Co. einschränken würde? Dann muss man eben radikalisierte Klimagruppen mit massiven Repressionen überziehen und junge Klimaaktivist:innen mit dem Polizeiknüppel aus Lützerath heraustreiben! Wohin diese Entwicklung von verschärften Repressionen als Folge verschärfter Klassenkämpfe führt, sehen wir gerade in Frankreich ganz gut, dort kam es aufgrund der Krise und Macrons verhasster Rentenreform zu Massenprotesten und -streiks. Die Polizei reagierte mit extremer Gewalt und feuerte Tränengas, Gummigeschosse und leichtkalibrige Granaten, durch die bereits mehrere Menschen zu Tode kamen und dutzende schwer verletzt wurden, auf die protestierenden Arbeiter:innen und Jugendlichen.

Militarisierung nach außen = Militarisierung nach innen

Bundeskanzler Scholz hat die „Zeitenwende“ verkündet und mit dem 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr hat er uns auch prompt gezeigt, dass er es ernst meint. Dies geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern ist eine Reaktion auf eine Zuspitzung der Konflikte und Rivalitäten zwischen in den imperialistischen Mächten, ob auf dem Boden der Ukraine oder in Taiwan. Gegen die imperialistischen Rivalen Russland und China hat sich ein geschlossener westlicher Block gebildet, der nur vereint und stark nach außen agieren kann, wenn er innerlich geschlossen ist. So wie in Russland militant gegen Kriegsgegner:innen vorgegangen wird, wird auch in Deutschland kriminalisiert, was sich den außenpolitischen Interessen des westlichen Militärblocks und seiner Bündnispartner:innen entgegenstellt: Ob Kriegsgegner:innen, Palästinenser:innen oder Kurd:innen.

Rechtsruck = Linke im Visier

Die verschärften Repressionen müssen auch in den Kontext des Rechtsrucks gesehen werden, der seit der Finanzkrise 2008-09 durch das gesamte bürgerliche Lage zieht. Wenn sich das Kapital in der internationalen Konkurrenz stärker auf den Nationalstaat stützt und dabei Rechte und Freiheiten einschränkt, um die Krise unter Kontrolle zu halten, geraten die Gegner:innen dieser Politik automatisch stärker ins Visier der Repressionsorgane. Hetze gegen Geflüchtete, Klimaaktivist:innen, Feminist:innen und „woke Ideologie“ kommt schon lange nicht mehr nur aus der AfD, sondern habt auch ihren festen Platz in der CDU gefunden. Mit „Law und Order“ und brutaler Repression wollen sie die ins Wanken geratenen Verhältnisse wieder in Ordnung bringen, ohne jedoch die tatsächlichen Krisenursachen – die kapitalistische Akkumulationskrise – anzutasten. Dass es dabei zu absurd hohen Haftstrafen wie gegen Lina kommt, während rechte Gewalttäter straffrei aus Prozessen spazieren, liegt daran, dass- im Gegenteil zu Linken – Faschist:innen keine Bedrohung für die bürgerliche Ordnung darstellen. Es ist sogar so, dass der Faschismus stets das letzte Mittel der Bourgeoisie ist, ihre Macht auch in der schärfsten Krise zu erhalten. Zwar ist es für den bürgerlichen Staat teilweise nötig, Faschist:innen in ihre Schranken zu verweisen, wenn diese zu aggressiv werden. Daran den Faschismus an seiner Wurzel zu bekämpfen, hat die bürgerliche Politik jedoch kein Interesse, schließlich haben beide im Kapitalismus dieselbe Wurzel. Antifaschist:innen die (wie es Lina und der Antifa-Ost vorgeworfen wird) militant gegen Nazis vorgehen, stellen somit für den bürgerlichen Staat ein Problem dar, weil sie den Kampf gegen den Faschismus selber in die Hand nehmen, anstatt darauf zu vertrauen, dass der Staat schon aufpasst, dass die Nazis nicht zu mächtig werden.

Repression = Widerstand!

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Anstieg von Repressionen gegen Linke, ob aus der Antifa-, der Klima- oder migrantischen Bewegung, ein Symptom der anhaltenden Krise, der verschärften Militarisierung und des Rechtsrucks im bürgerlichen Lager sind. Um also die Repression zu bekämpfen, reicht es nicht, nur an „Demokratie und Rechtsstaat“ zu appellieren, die doch bitte nicht mit übermäßiger Härte gegen Genoss:innen vorgehen sollen. Viel mehr müssen wir ihre Ursache, den bürgerlichen Rechtsruck und die kapitalistische Krise, bekämpfen.

Damit dies gelingen kann, dürfen wir uns von den Repressionen nicht einschüchtern lassen. Vielmehr müssen wir uns dieser aktiv entgegensetzen! Wenn eine Demo verboten wird, heißt die Antwort demonstrieren – wenn ein Streik verboten wird streiken! Natürlich müssen wir dabei stets das Kräfteverhältnis abwägen und diskutieren, wo wir tatsächlich Teilsiege erringen können und wo wir uns und unsere Genoss:innen unnötig in Gefahr bringen. Sollte die Gefahr für den_die Einzelne_n zu groß sein, müssen wir die größeren linken Organisationen, wie Gewerkschaften, Linkspartei und SPD unter Druck setzen, sich zu solidarisieren und nicht passiv am Rand zu stehen und zu quatschen. In einer geschlossenen Einheitsfront können wir uns vereint verteidigen und vereint schlagen. Dabei müssen wir auch die Genoss:innen, die der Repression ausgesetzt sind, unterstützen, so gut es nur geht. Sei es durch Solipartys für Anwaltskosten, Besuche im Knast und politische Proteste. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass der Kampf, den wir zu führen haben, härter und unser Feind aggressiver wird. Jedoch dürfen wir uns nicht fürchten, sondern müssen im Gegenteil hoffnungsvoll sein: Je wütender die Kapitalist:innenklasse nach dem Polizeiknüppel schreit und je härter dieser auf uns niedersaust, desto mehr fürchtet sich die Bourgeoisie! Fürchtet sich davor, was passiert, wenn ihre Repression uns nicht brechen kann – sondern wenn wir ihre Macht brechen!

Darum kommt am Samstag, den 3.Juni alle nach Leipzig und zeigt, dass wir uns von ihrer Repression nicht einschüchtern lassen, dass wir es nicht einfach so hinnehmen, wenn Genoss:innen für ihren Kampf gegen den Faschismus, für das Klima, für das Ende des Kapitalismus in den Knast gesteckt werden!

Wir fordern:

  • Freiheit für Lina, die Antifa-Ost und alle politischen Gefangenen!
  • Die sofortige Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen Antifa-, Klima- und Migrant:innengruppen! Nieder mit den Repressionsparagraphen §129a und b!
  • Die Aufhebung der Verbote angeblicher linker Terrororganisationen wie der PKK oder der PFLP!
  • Gegen jede Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch staatliche Repressionsorgane!
  • Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor allem, was Teaser, Maschinenpistolen, Knarren und Handgranaten angeht!
  • Organisiert militanten Selbstschutz! Vor den Angriffen von Sexist_Innen, Faschos und den Bullen müssen wir uns selbst verteidigen! Für demokratisch wähl- und abwählbare Arbeiter:innenmilizen statt Polizeitrupps!



Razzia bei der Letzten Generation heißt Razzia bei uns allen!

Von Flo Rojo, Mai 2023

Überall ist es zu lesen: „Erneut Razzia bei der Letzten Generation!“ Die Letzte Generation muss nun gegen den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung ankämpfen. In mehreren Bundesländern durchsucht der deutsche Staat Objekte, welche ihnen zugerechnet werden. Ihre offizielle Homepage wurde auf Befehl der Staatsanwaltschaft abgeschaltet, um die „Finanzierung von Straftaten“ zu stoppen. Dies ist eine Fortsetzung der sich zuspitzenden Repression gegen die Klimabewegung, welche sich in den letzten Wochen abzeichnet, z.B. bei der Besetzung in der Wuhlheide. Polizei, Staat und Medien stecken immer mehr Ressourcen in die Illegalisierung und Ausgrenzung des Klimaprotests. In Anbetracht der rund 600 gesuchten Rechtsextremisten in Deutschland wird also die Prioritätensetzung der deutschen Strafverfolgung erneut ziemlich deutlich! Wir als Revolution stellen uns zwar gegen die Methoden und Aktionsformen der Letzten Generation, erklären uns aber dennoch solidarisch mit den Aktivist_Innen, die von dem Staatsapparat angegriffen werden. Diese Kriminalisierung von Protest und politischer Aktion muss entschieden bekämpft werden.

Auch mit Blick auf andere klimapolitische Bewegungen stellen wir ebenfalls fest, dass der deutsche Staat zunehmend repressiver agiert. Nachdem die Besetzung in der Wuhlheide geräumt wurde, sprachen die Berliner Bullen ein Versammlungsverbot bis September aus. Vier Monate lang wird vom deutschen „Rechtsstaat“ das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt, um klima- und umweltpolitischen Protest mundtot zu machen! Wenn man dann brutale Ereignisse wie in Lützerath ebenso einbezieht, sollte einem jedem klar werden, welchen Trend die BRD und ihre Schlägertrupps im Kontext der Klimapolitik einschlagen. Der deutsche Staat in Zeiten der Intensivierung der Klima- und Umweltkrise schlägt lieber Aktivist*innen zusammen als klima- und umweltpolitische Gesetze zu verabschieden. Spätestens jetzt klar sollte uns allen werden, dass wir uns in puncto Klima- und Umweltschutz niemals auf diesen Staat verlassen können!

Als Kommunist_Innen erkennen wir das Proletariat als revolutionäres Subjekt an. Wir mussten mehrmals schon aus der Geschichte lernen, dass der bürgerliche Staat sich nicht durch bloße Bitten ändern wird. Die Befreiung der Arbeiter_Innen kann nur das Werk der Arbeiter_Innen sein, weswegen eine erfolgreiche Klima- und Umweltbewegung klassenkämpferisch und gewerkschaftlich organisiert sein muss. Nur Enteignung der Energiekonzerne unter Arbei-ter_Innenkontrolle kann unsere Lebensgrundlage bewahren!

Ein Angriff auf einige ist ein Angriff auf uns alle! Die rechtliche Grundlage für die zurzeit stattfindende Repression wird durch Paragraph 129a gegeben und stellt eine Bedrohung für alle linken Bewegungen dar. Denn dieser wurde in den 1970er Jahren zu genau diesem Zweck, der Kriminalisierung und Unterdrückung von linken Organisationen, eingeführt. Kurz heruntergebrochen, befreit die Verwendung dieses Paragraphen die deutschen Behörden von individuellen Schuldnachweisungen. Somit reicht die Zugehörigkeit zu einer von Paragraph 129a oder 129b betroffenen sogenannten kriminellen Vereinigung bzw. Terrororganisation für einen Straf-bestand aus.

Dass nun das gewaltlose Blockieren von Straßen unter „Terrorismus“ fällt, zeigt die unendliche Willkür dieses Strafparagraphs. Sieben Personen der Letzten Generation werden von den Landeskriminalämtern im Kontext des 129a gesucht. Obwohl noch keine Festnahmen erfolgt sind, appellieren wir an alle, die der Klima- und Umweltbewegung nahe stehen, sich mit der von Repressionen überzogenen Letzten Generation solidarisch zu erklären. Wenn schon das Festkleben auf Straßen mit solch einer Intensität verfolgt wird, kann man sich nur vorstellen, wie der deutsche Staat auf ernsthafte klimapolitische Aktionen reagieren wird. Um das Klima zu retten, brauchen wir eine gemeinsame revolutionär-antikapitalistische Umweltbewegung. Wir müssen also auch gemeinsam gegen jegliche Angriffe des repressiven Staates auftreten.

Razzia bei der letzten Generation heißt Razzia bei uns allen!

Wir sagen:

-Solidarität mit den Betroffenen von staatlicher Repres-sion, Solidarität mit der letzten Generation!

-Weg mit den Strafparagraphen 129a und 129b, Freiheit für alle politischen Gefangenen!

-Stoppt die Kriminalisierung der Klima- und Umweltbe-wegung, Klimaschutz statt Schlägertrupps!

-Einfache Appelle an Staat und herrschende Klasse überwinden! Bundesweite Klimakonferenz zur Erarbeitung einer revolutionären Strategie der Klima- und Umweltbewegung!




Solidarität mit der Wuhli! Der Kampf geht weiter!

Das Bild noch vorgestern: Von der S Bahn Wuhlheide in Berlin führt ein kleiner Trampelpfad an der Straße entlang. Ein Transpi begrüßt Ankommende am Waldweg, der zur angemeldeten Mahnwache führt. Dort gibt es Essen, Menschen machen Pause und unterhalten sich. Etwas weiter hinten steht das Tripod „Vogelnest“, auf dem Menschen in Hängematten schlafen können. Auf einem anderen Weg steht die „Biberburg“, ein zweites Tripod. Auf den Wegen werden Barrikaden gebaut, Plattformen gezimmert und Löcher gebuddelt. Im Wald hängen Baumhäuser, Hängematten und Traversen in Bäumen. Aber, wenn es nach der neuen Berliner Regierung und ihrem Koalitionsvertrag geht, sollen dieser einer Straße weichen. Am Freitag dem 12.5.2023 besetzten Aktivist_Innen darum ein Waldstück in der Wuhlheide. Bis zur gestrigen Räumung befanden sich konstant etwa zwischen 40 und 200 Menschen im Wald und bauten Strukturen auf. Denn von Biesdorf nach Köpenick ist eine 6,4 Kilometer lange Straße geplant.  

Verkehrswende oder Straßenbau?

Erste Pläne für diese Tangentiale-Verbindung-Ost (TVO) gab es schon in DDR-Zeiten. Seit 2020, über 60 Jahre später und allen Versprechen von besserer Klima- und Verkehrspolitik zum Trotz, läuft nun ein Planfeststellungsverfahren. Während die Rot-Grün-Rote Regierung, um dem Straßenbau einen grünen Anstrich zu verleihen, außerdem eine Schienenverbindung und eine Radschnellstraße plante, sollen die 16,4 ha Wald (davon 4,2 ha wertvoller Eichenwald) unter SPD und CDU einer vierspurigen Schnellstraße weichen. In Zeiten, die eine Verkehrswende dringend nötig machen, ist das nicht nur verheerend, weil dafür Wald verschwinden soll und auch die Natur in der Umgebung nachhaltig geschädigt werden wird. Straßen, die zur Entlastung anderer Verkehrswege gebaut werden, sorgen erwiesenermaßen für mehr Lärmbelästigung und bis zu 20% mehr Verkehr, weil die Wege einfacher und die Autos attraktiver werden, damit also auch für mehr CO2 Ausstoß. Besonders ironisch: Berlin hatte das Waldstück eigentlich aufgekauft, um damit in Zukunft die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Eigentlich ist die Wuhli damit durch die Wasserschutzverordnung geschützt. Während also Wasser überall immer knapper wird, soll das Grundwasser unter der Wuhlheide verseucht und versiegelt werden. 

Träumen in Bäumen

Die Aktivist_Innen in der „Wuhli“ möchten sich gegen den Straßenbau stellen und die Bäume mit ihren Körpern schützen. Es finden sich vor allem Personen aus dem anarchistischen Spektrum und vereinzelt aus Teilen der Umweltbewegung. Die Besetzung versteht sich als queerfeministisch, Regeln gibt es fast keine. Doch schon zu Beginn der Besetzung war klar: Wahrscheinlich ist das hier vor allem ein Statement und ein Zuwachs an Kosten, der auf den Straßenbau draufkommt. Denn die Waldbesetzung ist kein Streik oder Massenprotest, sie ist darauf angewiesen, dass die Politik sich kooperationswillig zeigt. Unter Beteiligung der CDU, die schon zur Wahl mit einem „Berlin für Autofahrer“ und einer Politik des Hartdurchgreifens geworben hat, ist das erwartungsgemäß aussichtslos, Gespräche kommen nicht zustande. Trotz Eilklage haben die Bullen gestern Morgen schon mal mit der Räumung losgelegt, ohne diese abzuwarten. Räumpanzer rollen über Barrikaden, Aktivist_Innen harren in Bäumen aus und lassen sich von Klettereinheiten abseilen. Immer wieder kommt es zu Polizeigewalt und fahrlässige Gefährdung von Aktivist_Innen. Völlig überzogen wurden Veranstaltungen in der Nähe der Wuhli bis September verboten. Eine Kundgebung am S-Bahnhof mit etwa 80-100 Menschen, darunter ein paar unserer Genoss_Innen, wurde dann doch noch genehmigt. Mittlerweile wurden alle Strukturen zerstört und einige Aktivist_Innen kamen in die GeSa. Wir stehen in voller Solidarität mit allen Betroffenen gegen die brutale Gewalt, die die Polizei gestern wieder einmal an den Tag legt!

Forderungen und politische Perspektiven

Über den unmittelbaren Kampf um den Wald rücken die konkreten Forderungen der Besetzung etwas in den Hintergrund. Dabei sind diese durchaus sinnvoll und unterstützenswert. Die Aktivist_Innen fordern:

  • den Sofortigen Bau- und Planungsstopp der Tangentialverbindung-Ost und der A100
  • den Schutz und Erhalt aller Wälder
  • die Umwandlung von Straßen in sichere Fuß- und Fahrradinfrastruktur
  • einen kostenlosen und flächendeckenden öffentlichen Personennahverkehr
  • Klimagerechtigkeit und das gute Leben für alle weltweit
  • Stadt für alle, anstatt für Autos. Das heißt eine klimagerechte und ökologische Stadt, die niemanden ausgrenzt
    • selbstverwalteter Wohnraum
    • Inklusive Stadtplanung

    • Wohnraum für alle

Diese Forderungen unterstützen wir, haben aber keinerlei Illusionen, dass der bürgerliche Staat irgendein Interesse daran hätte, sie umzusetzen. Die Besetzung und der darum bestehende, leider vorwiegend auf „die Szene“ beschränkte Protest stellen für die Stadt zwar ein Hindernis dar aber keineswegs ein unüberwindbares, wie der gestrige Tag schmerzhaft beweist.

Dass der Staat nicht vor einer gewaltsamen Räumung zurückschreckt, lässt sich damit erklären, dass er im Interesse des Großkapitals handelt, das sich in Deutschland zu großen Teilen in der Automobilindustrie befindet. Unter den 10 größten Unternehmen Deutschlands finden sich gleich drei Automobilhersteller (Volkswagen Vz., Mercedes-Benz Group und BMW). Das deutsche Kapital und als sein allgemeinter Interessenerhalter, der deutsche Staat, haben also keinerlei Interesse an einer Verkehrswende, schon gar nicht einer sozialen. Von ihnen ist keine reale und ausreichende Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel zu erwarten, ganz im Gegenteil.

Genau darauf ist die Besetzung aber angewiesen. Denn sie genügt nicht dem Anspruch, die Forderungen selbst umzusetzen, die Politik selbst in die Hand zu nehmen, sondern kann nur die bestehende Politik und den Staat etwas unter Druck setzen. Eine wirkliche Verkehrswende kann aber nur unabhängig von Kapitalinteressen, also demokratisch von den Beschäftigten kontrolliert stattfinden. Stell dir vor es ist Schnellstraßenbau und keine_R geht hin: Es braucht flächendeckende, politische Streiks, besonders im Verkehrssektor, um die Zerstörung unseres Planeten aufzuhalten. Für die Klimabewegung bedeutet das, sich Schulter an Schulter mit den Arbeiter_Innen in gemeinsamen Kämpfen zu stellen. Forderungen aufzustellen, die den Arbeiter_Innen die Kontrolle über ihre eigene Arbeit geben und eine Politik zu verfolgen, die Arbeiter_Innen, auch in umweltschädlichen Sektoren, nicht nur eine Zukunftsperspektive bereithält, sondern ihnen die Zukunft in die Hände legt.

Darum möchten wir zu den Forderungen der Besetzung hinzufügen:

  • Umwandlung der Verkehrspolitik, Ausbau des Nahverkehrs und Verwaltung von Wohnraum unter Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Umschulung für in der Autoindustrie und Straßenbau Beschäftigten hin zu nachhaltigem, öffentlichen Personentransport bei vollem Lohnausgleich!
  • Enteignung von VW und Co. sowie Straßenbaufirmen unter Arbeiter_Innenkontrolle!