Was ist eigentlich antimuslimischer Rassismus und woher kommt er?

Von Dilara Lorin und Stephie Murcatto, April/Mai 2024, Revolution Zeitung 2/2024

„Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse!“

Dass die rechtsextreme AfD-Abgeordnete Alice Weidel diesen Satz im Bundestag gesagt hat, ist noch gar nicht so lange her. Lehrer:innen, die deine Hijab tragenden Mitschüler:innen verbal angreifen und fragen, ob sie dazu gezwungen wurden und das Kopftuch wieder abnehmen sollen, bis hin zu Sprüchen wie „Na bekommt dein Gehirn darunter noch Luft“. Oder die Wohnungssuche, bei der Vermieter:innen einen Lukas einem Hamid vorziehen, obwohl beide die gleichen Unterlagen vorlegen, was zu offener Diskriminierung und Benachteiligung führt und auf dem Arbeitsmarkt nicht anders aussieht. Dies sind nur Bruchstücke des antimuslimischen Rassismus, mit dem viele Menschen tagtäglich konfrontiert sind. Dabei hat sich die Lage in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 verschlechtert, indem alle Muslim:innen unter Generalverdacht gestellt werden. Vize-Kanzler Robert Habeck fordert in einer Ansprache alle Muslim:innen dazu auf, sich zum 7. Oktober zu verhalten und Israel als Staat anzuerkennen. Würde dem nicht Folge geleistet, könnten sie Gefahr laufen, ihren Aufenthaltstitel zu verlieren. Der Generalverdacht, der von allen Seiten der deutschen Politik kommt, ist ein Schlag ins Gesicht der 5,3 – 5,6 Millionen in Deutschland lebenden Muslimen (ungefähr 6,4 – 6,7 Prozent der deutschen Bevölkerung). Doch was ist antimuslimischer Rassismus und woher kommt er? Um dies zu verstehen, müssen wir uns zuerst anschauen, was Rassismus ist:

Was ist Rassismus?

Eines ist klar: Rassismus ist kein Produkt der „menschlichen Natur“ und auch nicht Ausdruck einer „tief verwurzelten Angst vor dem Fremden“. Vielmehr ist Rassismus eng mit der Entstehung bürgerlich-imperialistischer Nationalstaaten verbunden. In einer Zeit, in der der Kapitalismus einen Weltmarkt schuf und die Nationalstaaten neue Märkte erschließen mussten, wuchs aufgrund der kolonialen Ausbeutung das Bedürfnis nach Erklärungen, die die „Unzivilisiertheit“ dieser Menschen konstatierten und sie damit zu ewigen „Dienern des weißen Mannes“ machten. Damit war der Boden bereitet für die pseudowissenschaftliche Erklärung ihrer „Minderwertigkeit“ durch den Rassenbegriff. Rassismus übersteigt jedoch bloße sprachliche oder kulturelle Kategorisierungen und nutzt phänotypische Merkmale wie zum Beispiel Hautfarbe und Kopfform, um Menschen in vermeintlich feste Gruppen einzuteilen. Der Rassenbegriff diente als effizientes Werkzeug für bürokratische Grenzziehungen und demagogische Mobilisierung. Der Rassismus ermöglicht auch die Zuteilung unterschiedlicher Rechte je nach Zugehörigkeit zu einer „rückständigen“ oder „zivilisierten“ Nation oder Nationalität. Damit wird die ethnische Zugehörigkeit zu einem imperialistischen „Staatsvolk“ positiv und die zu allen anderen negativ bewertet, was zu einer Abwertung der Angehörigen unterdrückter Nationen führt. Rassismus ist tief in unserem gegenwärtigen Herrschaftssystem verankert. Die materielle Basis des Rassismus‘ in der Arbeiterklasse ist die massenhafte Überausbeutung in den Halbkolonien, die einem Teil der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern einen gewissen Wohlstand zu garantieren scheint.

Was zeichnet antimuslimischen Rassismus aus?

Dabei handelt es sich um eine Form des Rassismus, der sich nicht nur gegen religiöse Sympathien und Praktiken richtet, sondern gleichzeitig Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft rassifiziert und dem Islam zuordnet. Antimuslimischer Rassismus und Islamophobie machen den:die „Muslim:in“ zu einer unveränderlichen Sache, sodass Menschen verschiedener Nationalitäten und sogar Glaubensrichtungen als „muslimisch“ charakterisiert werden. Somit trifft antimuslimischer Rassismus nicht nur Muslim:innen sondern auch diejenigen, die scheinbar „muslimisch“ aussehen oder Menschen sind, die aus einem Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung stammen. Dabei hat der antimuslimische Rassismus einen ähnlichen Zweck wie der Rassismus: Spaltung der Arbeiter:innenklasse und herausentwickeln einer prekären Schicht dieser, Trennung des Arbeitsmarktes und Legitimation von Kriegen und imperialistischen Interessen. Durch die Spaltung der Arbeiter:innenklasse wird einerseits eine einheitliche Masse der Ausgebeuteten verhindert und andererseits können jene Arbeiter:innen besser ausgebeutet werden, die aufgrund ihrer Rassifizierung nicht die gleichen Rechte erhalten. Die Verbindung der Diskriminierung von Arbeitsmigrant:innen mit ihrer rassistischen Brandmarkung als „Muslimin:innen“ stellt diese als „Gefahr“ für „zivilisierte“ Gesellschaften dar. Diese Charakterisierung wird zunehmend von Rechtsextremen aufgegriffen und mit Verschwörungsideologien verknüpft. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Islamisierung des Abendlandes“, wegen der angeblich muslimische Einwanderung stattfindet, um die weiße Bevölkerung zu marginalisieren. So soll die Abschottung und Rückführung von Geflüchteten besser gelingen. Letztendlich sind alle Formen von Islamophobie und antimuslimischem Rassismus rassistische Ideologien, die der Unterdrückung von eingewanderten und geflüchteten Arbeiter:innen dienen sowie einen ideologischen Deckmantel für „humanitäre“ Interventionen in Halbkolonien oder die Unterstützung des zionistischen Staates rechtfertigen.

Wie ist der antimuslimische Rassismus entstanden?

In den letzten Jahren hat sich der Rassismus gegen Muslim:innen und die Islamophobie erheblich verändert, wodurch dem antimuslimischen Rassismus ein anderer Charakter verliehen wurde. Seit den 2000er Jahren können wir erkennen, dass der antimuslimische Rassismus eine dominierende Form des Rassismus in den imperialistischen Ländern eingenommen hat. Dies hat seine Ursache in verschiedenen historischen Entwicklungen. Eine davon ist der Zusammenbruch der Sowjetunion, der die Weltlage schlagartig verändert und die USA dazu veranlasst hat, die Welt neu ordnen zu wollen, um ihre Hegemonie und ihre Machtansprüche zu sichern. In den USA wurden in dieser Zeit immer mehr Bücher und Publikationen veröffentlicht, die Wege und Strategien für die Hegemonie der USA skizzieren. Dabei wurden vor allem andere imperialistische Länder wie China und Russland als Rivalen dargestellt und Strategien veröffentlicht, die verhindern sollten, dass diese Länder die Hegemonie der USA angreifen können. Eines dieser rassistischen Bücher war Huntingtons Clash of Civilisations (Kampf der Kulturen), das auch den „Islam“ als einen Imperialismus beschrieb, der sich zu einem globalen Rivalen entwickeln könnte, und das voller rassistischer Ideologie war. Dabei ist der Islam weder eine wirtschaftliche Einheit noch eine Nation oder eine Föderation von Nationen. Er ist kein Rivale um die Weltmacht. Aber er eignet sich gut als globaler Feind, der sowohl intern als auch extern ist. Nach den Angriffen am 11. September 2001 wird diese Ideologie dann genutzt, um den sogenannten „war on terror“ zu legitimieren und dutzende imperialistische Kriege wie in Afghanistan, auf vermeintlich muslimische Länder im Mittleren Osten, aber auch überall in der Welt zu legitimieren. Außerdem bietet es nicht nur eine ideologische Rechtfertigung für die Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens, sondern auch für die polizeiliche Überwachung und Stigmatisierung der muslimischen Bevölkerung. Dafür mussten der „Islam“ und der „Islamismus“ als einheitliches Gebilde konstruiert werden, um somit einen homogenen, gefährlichen und barbarischen Feind zu kreieren, dessen Anhänger:innen zu einer rückständigen Kultur gehören, die nicht in die moderne, demokratische Gesellschaft integrierbar ist. Dass im Islam selbst unterschiedliche Schulen und Glaubensauslegungen vorherrschen, beispielweise Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten, spielt dabei gar keine Rolle. Dabei wird oft von allem Islam als Islamismus gesprochen, ohne zwischen echtem Islamismus (politischem Islam) und dem Islam als bloßer Religion zu unterscheiden. So werden die in Deutschland stattfindenden Pro-Palästina-Demonstrationen von Robert Habeck als islamistisch bezeichnet, obwohl es sich bei den Organisatoren größtenteils um säkulare, linke Organisationen handelt.

Situation von Muslim:innen

Insgesamt gehört die Mehrheit der Muslim:innen in der EU zu den prekären Teilen der Arbeiter:innenklasse: So ist die Arbeitslosenquote unter türkischen Arbeiter:innen in Deutschland oder unter pakistanischen und bangladeschischen Arbeiter:innen in Großbritannien um 15 bis 40 Prozent höher als im nationalen Durchschnitt; man kann also sagen, dass die Arbeitslosenquote unter Migrant:innen und Muslim:innen (soweit getrennte Daten vorliegen) wesentlich höher ist als im nationalen Durchschnitt. Dadurch wird deutlich, dass Muslim:innen systematischer Unterdrückung, Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind, was als Folge Ghettoisierung mit sich bringt.

Auf dem Arbeitsmarkt und in der Schule erleben Migrant:innen und Muslim:innen alltägliche Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund ihrer Herkunft und Religion, auch wenn es in vielen Ländern oberflächliche Antidiskriminierungsgesetze gibt, die nicht verhindern, dass z. B. die Arbeitssuche für Migrant:innen mit Kopftuch wesentlich schwieriger ist als für weiße Frauen ohne Kopftuch. Auch in der Schule ist es für Schüler:innen aufgrund ihrer sozialen Lage schwieriger, akademische Erfolge zu erzielen, was insgesamt dazu führt, dass Muslim:innen (und Migrant:innen insgesamt) tendenziell in schlechter bezahlten Sektoren arbeiten als weiße Arbeiter:innen.

Wir wollen im zweiten Teil der Artikelreihe zu antimuslimischem Rassismus genauer darauf eingehen, was wir tun können, um dagegen anzukämpfen. Welche Forderungen sollten wir im Kampf aufstellen? Wieso ist der Kampf für Religionsfreiheit für alle wichtig? Seid gespannt.




3 Gründe, warum “Willkommens”klassen nichts mit Inklusion zu tun haben

April 2024

Es klingt erst mal nett: eine Klasse, in der geflüchtete Kinder und Jugendliche willkommen geheißen werden, gemeinsam Deutsch und Lesen und Schreiben lernen, um dann einen einfachen Einstieg in den Regelunterricht zu haben. Da hat man gar nicht mehr diesen spaltenden flavour wie damals, als dasselbe Konzept noch „Ausländerklassen“ genannt wurde. Zu Recht? Nein, die Regierung will uns pranken und die Leidtragenden des Pranks sind unsere geflüchteten Mitschüler:innen (sowie in geringerem Maße die Lehrkräfte und alle anderen im Schulbetrieb). Wir sind „Jugend gegen Abschiebung“ und wir wollen nicht nur Abschiebungen verhindern und den Rechtsruck stoppen, sondern in eine antirassistische Gegenoffensive übergehen, deswegen bieten wir euch hier ein paar Fakten sowie 3 Argumente gegen „Willkommens“klassen und einige Stichpunkte, was wir stattdessen bräuchten für einen inklusiven Schulalltag für alle.

Die Schulpflicht in Deutschland ist in der Regel nicht abhängig vom Aufenthaltsstatus, d.h. geflüchtete Kinder sind genauso schulpflichtig wie hier aufgewachsene. Wie genau Geflüchteten der Schulbesuch ermöglicht werden soll, ist aber Ländersache und es funktioniert überall ein kleines bisschen anders. In elf Bundesländern ist dies in sogenannten Willkommensklassen (WK) organisiert, wir beziehen uns hier der Einfachheit halber vor allem auf eines dieser elf: Berlin. Es gibt hierzu nicht extrem viele kritische Untersuchungen, wir empfehlen aber ‚Die Kontinuität der Separation‘ (Karakayalı et al.), auf die wir uns auch hier beziehen. Während der Senat einige Grundlinien und Ziele formuliert hat (neben dem deutschen Spracherwerb z.B. die „Vermittlung kultureller Werte, Normen und Verhaltensweisen des Aufnahmelandes Deutschland“), bleibt die genaue Ausgestaltung weitgehend den einzelnen Schulen überlassen, sodass auch die Probleme je nach Schule in unterschiedlichem Maße zu Tage treten.

1. Direkte Ausgrenzung im Schulalltag

Dass WK nicht besonders inklusiv sind, wird schon auf räumlicher Ebene bemerkbar, etwa wenn der Unterricht in entlegenen Teilen der Schulgebäude, im Hort oder wie in einigen Fällen, sogar in einem gänzlich verschiedenen Gebäudekomplex oder in der Unterkunft stattfindet, sodass überhaupt keine gemeinsam genutzten Räume von nicht und neu zugewanderten Schüler:innen bestehen. Dieses Prinzip setzt sich fort, wenn WK nicht an Schulfesten, Tagen der offenen Türen beteiligt sind, wenn WK nicht auf Klassenfahrten fahren oder wenn den geflüchteten Schüler:innen keinen Mitwirkung in der Schüler:innenvertretung ermöglicht wird. Nachmittagsangebote werden zwar formal angeboten, können aber oft insbesondere in Grundschulen allein schon deshalb nicht genutzt werden, weil die Eltern nicht über die Möglichkeiten informiert werden.

2. Schlechte Behandlung und strukturelle Benachteiligung

Auf dem Schulhof verprügelt, Sand in den Mund gesteckt, von Lehrer:innen angeschrien oder gewaltsam durch den Klassenraum gezerrt. Die zahlreichen Beispiele von Diskriminierung gegenüber geflüchteten Schüler:innen sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck einer systematischen Unterdrückung. Die Schüler:innen in den WK sind, dadurch dass sie unter sich bleiben, abgeschnitten von Mitteln, um sich gegen ihre Diskriminierung zu wehren, die Zeug:innenschaft der anderen Schüler:innen bleibt aus und deren Solidarisierung wird erschwert. Im Übrigen sind auch die zusätzlichen Lehrkräfte in den WK zum Teil Mobbing durch die anderen Lehrer:innen ausgesetzt.

3. Mangelnde Ressourcen und nobody cares

Wir haben bereits an anderer Stelle die These aufgestellt, dass sich das deutsche Bildungssystem in einer tiefen, sich stetig weiter zuspitzenden Krise befindet. Vor dem Hintergrund von maroden Schulgebäuden, dringendem Lehrkräftemangel und unzeitgemäßen Unterrichtsformen erhärtet sich der Eindruck, dass Willkommensklassen in erster Linie dazu dienen sollen, den Schulbetrieb in den Regelklassen möglichst „ungestört“ weiterlaufen zu lassen, bzw. dessen endgültigen Kollaps zu verhindern. Um die Bedürfnisse der geflüchteten Schüler:innen geht es eigentlich nicht. Dafür existieren auch gar nicht die Mittel. Ein Drittel der Berliner Schulen mit WK hat nicht einmal ein schriftliches Konzept für diese. Durch den Raummangel werden WK teilweise in Unterkünfte verdrängt oder müssen in Horträumen unterrichten, inmitten zwischen den Bastelsachen für die Regelschüler:innen, die die Geflüchteten nicht anfassen dürfen. Weniger als 5% der Lehrkräfte sind ausgebildet für das Lehramt von Deutsch als Fremdsprache und an mehr als einem Viertel der Schulen unterrichten überhaupt keine ausgebildeten Lehrer:innen in den WK. Die meisten Lehrkräfte sind zudem nicht darauf vorbereitet, mit den traumatisierenden Erfahrungen, die die Schüler:innen auf der Flucht gemacht haben, angemessen umzugehen.  Digitale Lehrmaterialien werden fast überhaupt nicht in WK genutzt, teilweise sind die Lehrer:innen sogar dafür verantwortlich, sich privat um ihre Lehrmittel zu kümmern. Dies alles führt dazu, dass selbst wenn die Geflüchteten nach einer gewissen Zeit in den Regelunterricht überwechseln, sie den Inhalten meistens nicht folgen können. Schließlich gibt es auch einfach nicht genügend Plätze in den WK, sodass allein in Berlin tausende Jugendliche monatelang auf einen Schulplatz warten müssen.

Was bräuchte es stattdessen?

Wir wollen in der Zukunft ein detaillierteren Forderungskatalog für eine antirassistische Wende an den Schulen erarbeiten und wir laden dich als interessierte:n Schüler:in herzlich dazu ein, dabei mitzudiskutieren. Als ersten Schritt schlagen wir aber die folgenden Eckpunkte vor:

  • Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in die regulären Klassen ab dem ersten Tag
  • Wahlmöglichkeit zwischen Unterricht in der Muttersprache oder Unterstützung durch DaF-Lehrer:innen und Übersetzer:innen
  • umfassende psychologische Betreuung zur Traumaverarbeitung
  • Kennenlern- und Vermittlungsangebote zwischen nicht und neu zugewanderten Schüler:innen (gemeinsam Fußballspielen, Musizieren, Spiele spielen…)
  • Vollen Zugang zu politischer Mitbestimmung an der Schule für WK-Schüler:innen
  • eine selbstverwaltete Antidiskriminierungsstelle (siehe unseren Artikel zu dieser Forderung)

Wir sollten jetzt in allen Schulen die Frage der Willkommensklassen diskutieren, die bestehende Ungerechtigkeiten aufzeigen und gemeinsam nach Alternativen suchen. Vielleicht fragst du einmal die Schüler:innen in der WK, wie es ihnen im Schulalltag geht und für welche Verbesserungen sie sich mit einsetzen würden.

Bei alldem müssen wir aber dennoch klar benennen, dass der Schulbesuch nicht von den Angriffen auf das Asylrecht gesondert betrachtet werden kann. Niemand kann sich in der Schule wohlfühlen, wenn man von Abschiebung bedroht ist, wenn man nachts nicht schlafen kann, weil es in der überfüllten Unterkunft zu laut ist oder wenn das wenige Geld auf der Bezahlkarte nicht reicht, um die Grundbedürfnisse zu bedienen. Wir betrachten daher den Kampf für Inklusion an der Schule als Teil des Kampfes gegen den staatlichen Rassismus, für Bleiberecht und volle Staatsbürgerrechte für alle!

Quellen:

https://www.dipf.de/de/forschung/pdf-forschung/steubis/wiko-studie-zusammenfassung-zentraler-befunde
https://www.waxmann.com/index.php?eID=download&id_artikel=ART102186&uid=frei
https://taz.de/Willkommensklassen-in-Berlin/!5933590
https://www.dw.com/de/ukrainische-sch%C3%BCler-kritik-an-willkommensklassen/a-64077205
https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Willkommensklassen.pdf
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/integration-an-berliner-schulen-fragwuerdiger-umgang-mit-willkommensklassen-li.2148195



EU-Wahlen: AfD raus aus unseren Schulen!

Von Sani Meier, April 2024

Alle Jahre wieder der gleiche Zirkus: Bald stehen Bundestags-, Landtags- oder wie jetzt die EU-Wahl an und schon fühlen sich Schulen dazu verpflichtet, ihren Schüler:innen alle zur Wahl stehenden Parteien persönlich vorzustellen. In den meisten Fällen werden Podiumsdiskussionen mit deren Vertreter:innen organisiert. Dabei ist es ganz egal, wie transphob oder rassistisch deren Inhalte sind, denn „es ist ja alles von der Demokratie gedeckt“.

Aber bei der AfD sind sich große Teile der Gesellschaft momentan nicht mehr so sicher: Nachdem Geheimtreffen mit Kapitalist:innen und Rechtsextremen aufgedeckt wurden, die eine „Remigration“ von nicht-deutschen Menschen geplant hatten, sind Hunderttausende gegen sie auf die Straße gegangen. Bestimmt waren auch viele von euch dabei. Wozu sollten wir der AfD also in unseren Schulen eine Bühne geben?

Unsere Schulen sind die Orte, an denen wir uns jahrelang fünf Tage pro Woche aufhalten müssen. Hier entstehen Freund:innenschaften, Fähigkeiten und Entscheidungen, die sich auf den Rest unseres Lebens auswirken. Deshalb ist es so wichtig, dass sich alle Schüler:innen wohl fühlen und in einem sicheren Rahmen lernen können. Dass das nicht der Realität entspricht, ist klar. Umso wichtiger ist es, dass wir denen, die mit ihrer Politik unsere Mitschüler:innen angreifen, keinen Raum geben.

Was will die AfD eigentlich?

Lasst uns gemeinsam einen Blick in das Wahlprogramm der AfD für die Europawahlen 2024 werfen:

  • Der Islam als „Gefahr für Europa“ sei „mit den europäischen Grundprinzipien von Recht, Freiheit und Demokratie nicht in Einklang zu bringen“. Deshalb müsse die Zuwanderung „massiv beschränkt“ werden – auch mithilfe der „Errichtung physischer Barrieren“ an den EU-Außengrenzen.
  • Die gleichgeschlechtliche Ehe wird abgelehnt: „Wir unterstützen es, wenn Menschen traditionelle Geschlechterrollen leben.“
  • Das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche soll weitestgehend eingeschränkt werden bis auf „absolute Ausnahmen“ – etwa aus medizinischen Gründen oder bei Vergewaltigungen.
  • „Wir teilen die irrationale CO2-Hysterie nicht, die unsere Gesellschaft, Kultur und Lebensweise strukturell zerstört.“ Das Klima habe sich „seit dem Bestehen der Erde“ stets gewandelt. „Die jetzigen klimatischen Veränderungen ordnen sich vollkommen normal in diese Wechsel ein.“

Alleine von diesen Auszügen wird einem schon schlecht. Muslimische Menschen seien undemokratisch und würden angeblich nicht zu Europa passen. Deshalb wolle man die EU-Außengrenzen, an denen schon jetzt Tausende ertrinken und in Lagern inhaftiert sind, noch stärker abriegeln.

Wie sicher fühlen sich wohl muslimische und/oder geflüchtete Mitschüler:innen, wenn das öffentlich an unserer Schule propagiert wird? Noch dazu sollen alle „traditionelle Geschlechterrollen leben“, also entweder als Mann oder als Frau, aber bitte nicht in gleichgeschlechtlichen Ehen. Alle queeren Schüler:innen haben hier keinen Platz.

Zu guter Letzt leugnen sie auch noch den menschengemachten Klimawandel und stellen sich gegen politische Maßnahmen, um diesen aufzuhalten. Alle Bemühungen der FFF-Bewegung werden mit Füßen getreten und unsere Zukunft auf einem lebenswerten Planeten wird weggeworfen.

Den Rassismus und Sexismus der AfD können wir selbst erkennen und brauchen dafür keine öffentliche Podiumsdiskussion, bei der sich ihre Vertreter:innen inszenieren können.

Gerade wir jungen Menschen und Erstwähler:innen sind die Zielgruppe der AfD und die ersten Erfolge sehen wir bereits. Die Partei produziert gezielt Content auf den Social Media Plattformen, die wir nutzen. Ihre Videos werden von allen Parteien auf TikTok am häufigsten aufgerufen.

Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt, dass die Altersgruppe 16-22 die AfD für „am ehesten geeignet“ hält, „um die anstehenden Probleme in Europa zu lösen“. Dieser Plan darf nicht aufgehen und es ist unsere Aufgabe, uns gemeinsam der AfD in den Weg zu stellen!

Was können wir gegen die AfD an unserer Schule tun?

Vernetzen!

Zuerst ist es wichtig, dass wir mit unseren Mitschüler:innen über die Einladung der Schule an die AfD sprechen und erklären, warum das ein Problem ist. Gerne könnt ihr dafür diesen Artikel und die oben genannten Auszüge aus dem Wahlprogramm nutzen. Vielen ist noch nicht bewusst, wie konkret Menschen, mit denen wir täglich zusammen lernen, dadurch diskriminiert werden.

Die Angriffe der AfD treffen nicht nur unsere Mitschüler:innen, sondern auch unsere Lehrkräfte, die nicht in deren Bild passen. Auch sie können potentielle Verbündete sein. Wenn es noch keine Struktur an der Schule gibt, um sich gemeinsam politisch zu organisieren, ist es höchste Zeit dafür, eine zu gründen, z.B. in Form eines Schulkomitees.

Forderungen aufstellen!

Wenn wir es geschafft haben, einen Teil unserer Mitschüler:innen davon zu überzeugen, dass die AfD unbedingt wieder ausgeladen werden muss, ist es Zeit, diese Forderung festzuhalten. Leider werden Schulen selbst dann keine diskriminierungsfreien Räume, wenn diese Forderung erreicht ist.

Es ist ein guter Zeitpunkt, um gemeinsam zu überlegen, was sich noch an der Schule ändern muss: Geschlechtsneutrale Toiletten? Geschichtsbücher, in denen der Kolonialismus weder beschönigt noch geleugnet wird? Fortschrittlicher Sexualkundeunterricht? Antidiskriminierungsstellen? Sprecht gemeinsam über eure Erfahrungen, tauscht euch aus und entscheidet gemeinsam, was ihr von der Schulleitung fordern wollt – Hauptsache, es läuft demokratisch.

Spread the News!

Sobald ihr eure Liste mit Forderungen abgestimmt habt, ist es Zeit, sie öffentlich zu machen. Macht daraus einen kleinen Flyer, druckt ihn im Copyshop aus und verteilt ihn morgens vor der ersten Stunde oder in der Pause vor der Schule. Auch wenn es vielleicht Überwindung kostet, sind Flyer eine super Möglichkeit, um mit Schüler:innen ins Gespräch zu kommen.

Habt ihr eine Schulzeitung? Dann ab zur Redaktion und darum bitten, eure Forderungen abzudrucken. Auch ein Instagram-Account eures Komitees kann helfen, euch an der Schule bekannt zu machen. Wichtig ist, die Schüler:innenvertretung mit ins Boot zu holen. Stellt sicher, dass sie von eurer Aktion mitbekommt und sie unterstützt.

Druck aufbauen!

Wenn eure Mitschüler:innen euch und eure Forderungen auf dem Schirm haben, ist es Zeit, ihnen Nachdruck zu verleihen. Einen Flyer kann die Schulleitung vielleicht ignorieren, eine Kundgebung direkt vor dem Schultor nicht.

Dazu muss lediglich eine Person die Kundgebung anmelden. Lasst euch dabei nicht von Lehrkräften oder anderen Leuten einschüchtern – Versammlungsfreiheit ist euer gutes Recht. So lange die Kundgebung angemeldet und behördlich genehmigt ist, kann sie euch niemand verbieten.

Ladet alle eure Freund:innen (auch von anderen Schulen), Mitschüler:innen, Lehrkräfte und sonstige interessierte Menschen ein, daran teilzunehmen und eure Forderungen zu unterschreiben. Auf der Kundgebung könnt ihr in einer Rede erklären, wie es zu der Aktion gekommen ist, warum ihr der AfD keinen Raum an der Schule geben wollt und welche Forderungen ihr gemeinsam an die Schulleitung stellt.

Besonders gut ist es, wenn ihr vorher der Lokalpresse Bescheid gegeben habt und vor Ort über euch berichtet wird. In Berlin haben wir es auf diesem Weg bereits geschafft, dass die AfD an einer Schule wieder ausgeladen wurde.

Egal wie eure Aktion ausgeht – wichtig ist, dass wir einfordern, über unsere Schule und deren Alltag selbst zu bestimmen. Bleibt auf jeden Fall vernetzt und schließt euch mit Schüler:innen anderer Schulen zusammen. Je mehr wir sind, desto mehr Druck können wir aufbauen. Falls ihr bei der Organisation Hilfe braucht oder Fragen habt, schreibt uns jederzeit an und wir unterstützen euch.

Für sichere Schulen unter demokratischer Kontrolle der Schüler:innen und Lehrer:innen! Kein Raum für Sexismus, Rassismus  und Antisemitismus – kein Raum der AfD!




How To: Einen Schulstreik gegen Rechts organisieren

von Brokkoli Bittner, Mai 2024

Millionen Menschen waren in den letzten Wochen & Monaten gegen Rechts auf der Straße und in den Schulen diskutieren Schüler:innen, wie man die AfD bekämpfen kann. Während immer noch viele davon überzeugt sind, dass man gemeinsam mit den bürgerlichen Parteien den Rechtsruck aufhalten kann, sehen wir darin keine Perspektive. Die AfD hetzt, aber die Ampel macht die passenden Gesetze dazu. Mit ihrer Zustimmung zur GEAS-Reform der Festung Europa haben die Grünen, die SPD und die FDP dafür gesorgt, dass das Asylrecht in der EU faktisch abgeschafft wird. Eine Forderung, wie sie die AfD schon lange aufgeworfen hat. Wir schlagen für uns Jugendliche & Schüler:innen eine andere Taktik vor: Gemeinsam mit euch wollen wir einen bundesweiten Schulstreik gegen Abschiebungen und AfD organisieren. Warum wir dieses Mittel zur Durchsetzung von Forderungen einsetzen und wie man einen Streik organisiert, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Warum überhaupt ein Streik?

Die Schule bestreiken bedeutet, den Unterricht zu boykottieren und stattdessen gemeinsam für ein politisches Ziel auf die Straße zu gehen. Ein Schulstreik legt zwar nicht wie andere Streiks die Produktion oder das öffentliche Leben lahm, aber er ist ein Akt des politischen Massenprotests und stört den „normalen“ Schulbetrieb. Und das ist auch wichtig und richtig, denn dieser Alltag aus Diskriminierung, kaputtgespartem Schulsystem und Abschiebungen ist nicht normal! Ein Schulstreik gibt uns eine Stimme, indem wir uns klar und deutlich gegen Abschiebungen und AfD positionieren, ohne viel Angst haben zu müssen, von der Schule zu fliegen. Es gibt zwar kein Recht auf Schulstreik, aber er ist auch nicht konkret verboten. Und so haben schon viele große Schulstreiks in der Vergangenheit, ob 2008 gegen die Bildungskürzungen, ob 2016 gegen Rassismus, oder ab 2019 in Fridays for Future gezeigt, dass wir durch unsere Streiks etwas erreichen können.

Voraussetzung: Das Thema muss relevant für Schüler:innen sein

Bevor wir die Menschen in unserem Umfeld zu gemeinsamen Aktionen & Protesten aufrufen können, müssen sie die Problematik auf dem Schirm haben. Für alle, die rassistisch oder sexistisch diskriminiert werden, stellt sich diese Frage meistens nicht, da ihr Alltag vom Rechtsruck durchzogen ist: Schlechtere Noten als „deutsche“ Mitschüler:innen, Ansprachen mit den falschen Pronomen & Namen, Beleidigungen und die ständige Angst vor Abschiebungen. Zehntausende Jugendliche in Deutschland haben keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, sondern sind lediglich „geduldet“. Duldung heißt „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Und wer soll sich eigentlich auf Mathe konzentrieren, wenn total unklar ist, ob die Duldung nächste Woche noch verlängert wird? Aber spätestens seit der Correctiv-Recherche über Geheimtreffen der AfD mit Rechtsextremen der Identitären Bewegung, gehen Viele auf die Straße, um den Rechtsruck aufzuhalten, die das Problem vorher nicht so deutlich gesehen haben oder geglaubt haben, sie könnten nichts dagegen tun. Man kann also mit Recht sagen, dass Jetzt der optimale Zeitpunkt ist, um gemeinsam Widerstand zu organisieren.

Schritt 1: Mobilisierungen und Druck auf [‘solid], JuSos und die Gewerkschaften/jugenden

Während wir von Schule zu Schule gehen, plakatieren, flyern und unzählige Diskussion führen, die Missstände immer wieder aufs Neue erklären, sollten wir aber eins nicht vergessen: Es gibt bereits eine große Anzahl an Jugendlichen, die erkannt haben, dass sich etwas ändern muss und sich daher einer Jugendorganisation angeschlossen haben, welche sich diese Veränderung auf die Fahnen schreibt. Allein [‘solid] und die JuSos haben zusammen knapp 100.000 Mitglieder. Und beide Gruppen haben den Anspruch formuliert, sich gegen den Rechtsruck zu stellen. Das Problem ist nur, die Führungen dieser reformistischen Organisationen haben kein Interesse daran ihre Mitgliedschaft wirklich zu mobilisieren. Für sie geht es an erster Stelle nicht selten darum, die eigene Karriere in der Partei voranzutreiben, um es sich selbst später einmal nett einzurichten, während man hauptberuflich faule Kompromisse mit den Herrschenden aushandelt. Ihr Problem ist, dass sie letztlich immer die Interessen ihrer Mitglieder verraten müssen, wenn sie nicht bereit sind, den Boden der herrschenden Ordnung zu verlassen. Ähnlich ist es bei den Jugendgewerkschaften, deren Jugendsekretäre häufig vom Apparat selbst eingesetzt und nur noch formal per Wahl bestätigt werden. All das ändert aber nichts daran, dass ihre Basis unter den gleichen Missständen leidet wie wir und diese auch sehen kann. Wenn wir es also schaffen, durch unsere Mobilisierung, und z.B. durch öffentliche Aufrufe, diese Basis in Bewegung zu bringen, so ist auch die Führung zur Handlung gezwungen, will sie nicht ihr noch verbliebenes bisschen Legitimität verspielen wollen. Dasselbe gilt bei der Ausweitung an die Unis bzw. Berufsschulen ebenso für den SDS und in geringerem Maße auch für die SDAJ (Jugendorganisation der DKP (Deutsche kommunistische Partei, entgegen des Namen eher programmatisch reformistisch), die auch mal ihre paar hundert Mitglieder auf die Straße bringen könnte. Genauso wichtig ist Fridays For Future, da sie bereits an den Schulen verankert sind und ihre Mitglieder diese als Räume für politische Kämpfe anerkennen. Auch die Basis von FFF wird regelmäßig von Führungsfiguren wie Luisa Neubauer verraten, die die Ziele und Forderungen der Klimabewegung radikal ausverkauft. Dennoch müssen wir sie zur gemeinsamen Aktion auffordern, denn nur so muss sich Neubauer vor den Augen ihrer Basis rechtfertigen, warum sie letztlich nicht an einem antirassistischen Schulstreik teilnehmen will. Es gilt also, offen auf diese Organisationen zuzugehen und sie von der Notwendigkeit eines antirassistischen Schulstreiks zu überzeugen. Dabei ist die Tatsache, dass die Aktion gemeinsam stattfindet jedoch wichtiger als dass der Schulstreik genau die Form hat, wie wir sie uns vorstellen. Das muss dann in Schritt 2 offen ausdiskutiert und demokratisch beschlossen werden.

Schritt 2: Eine Aktionskonferenz einberufen

Dieser Schritt dient dann dem Zweck offen auszudiskutieren und demokratisch zu beschließen, wie der Schulstreik konkret aussehen kann, was seine genauen Forderungen sein sollen und wie man noch mehr Schüler:innen mobilisieren kann. Um diese Diskussion zu führen, muss also eine Aktionskonferenz einberufen werden, auf der über den Aufruf und den konkreten Streikplan sowie über verschiedene Aktionsformen an den Schulen selbst diskutiert wird. Zu dieser Aktionskonferenz müssen auch die noch skeptischen Teile der Jugend eingeladen werden. Ziel muss es sein, auch mit diesen Teilen zu diskutieren.

Revolutionär:innen haben dabei auch die Aufgabe, die Grenzen von allein auf Schulen und Schülis beschränkten Aktionen aufzuzeigen und auf die Notwendigkeit eines strategischen Bündnisses mit der Arbeiter:innenklasse hinzuweisen. Beim Thema Rassismus muss klar gemacht werden, dass kein:e Arbeiter:in ein Interesse an der ungleichen Bezahlung von Migrant:innen hat. Es muss daher eine Debatte mit den Gewerkschaften über eine Streikbeteiligung geben. Dabei darf die Jugend ihre Kritik an der Gewerkschaft nicht verschweigen und muss klar für die Aufnahme von Flüchtlingen in die Gewerkschaft und für lokale Streikkomitees – nicht nur in den Schulen, sondern auch – in den Betrieben eintreten. Außerdem muss klar sein: Ein Kampf gegen Rassismus muss ein Kampf gegen die Herrschenden sein, denn diese sind dafür verantwortlich, dass Mitschüler:innen abgeschoben werden, migrantische Arbeiter:innen schlechter bezahlt werden und SchülerInnen ihre rassistischen Lehrer:innen nicht abwählen können. Der Kampf gegen Rassismus kann nur erfolgreich sein, wenn er seine materiellen Wurzeln in der kapitalistischen Produktionsweise bekämpft. Doch so wichtig und richtig diese Punkte für Revolutionär:innen sind, machen wir sie nicht zur ultimativen Bedingung für eine gemeinsame Aktion. Das wäre letztlich sektiererisch, schließlich können wir nicht erwarten, dass Jugendliche, die etwas gegen Rassismus machen wollen, automatisch mit einem antikapitalistischen Klassenbewusstsein auf die Aktionskonferenz kommen. Vielmehr müssen wir sie durch die gemeinsame Praxis davon überzeugen–

Schritt 3: Ab auf die Straße!

Wenn wir es geschafft haben, uns auf der Aktionskonferenz über die Erfahrungen an unseren Schulen auszutauschen und gemeinsam demokratisch über die Forderungen des Streiks abgestimmt haben, ist es Zeit, diesen zu organisieren. Wir müssen also all unsere Freund:innen, Mitschüler:innen & Lehrer:innen dazu einladen, an diesem Tag nicht zur Schule, sondern zur Demo oder Kundgebung zu gehen. Vor der Schule Flyer verteilen, ist die optimale Gelegenheit, mit Leute ins Gespräch zu kommen, die man sonst nicht erreichen würde. Zusätzlich hilft es, in der Schule Plakate für den Streik aufzuhängen und den Aufruf über alle möglichen Social Media-Kanäle und Whatsapp-Gruppen zu verbreiten. Gemeinsame Vorbereitungstreffen, z.B. zum Schilder malen sind auch immer motivierend und eine gute Chance zum Vernetzen. Durch das Einberufen einer schulrechtlich verankerten Vollversammlung sorgt man dafür, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt, man mit allen Schülis gemeinsam diskutieren kann und auch alle wirklich erreicht.

Dann bleibt nur noch das Wichtigste zu tun: Zusammen, zahlreich & laut auf die Straße gehen! In Redebeiträgen müssen wir die aktuelle Situationen in unseren Schulen ganz klar kritisieren, aber auch Geflüchteteninitiativen und die beteilligten Organisationen ans Mikro holen. Auf Schildern & in Parolen ist unser Protest so laut, dass selbst die letzte Schulleitung sie nicht länger überhören kann. Und natürlich beschränkt sich unser Kampf nicht nur auf diesen Tag: So lange, wie unsere Forderungen nicht erfüllt sind, gehen wir auf die Straße und legen den Schulalltag lahm- in unserer Stadt und deutschlandweit. Für eine Zukunft, in der alle Schüler:innen ohne Angst vor Abschiebung & Gewalt lernen können. Für eine sichere & gerechte Bildung, gegen den Rechtsruck!

Link zur JgA-Telegram-Gruppe als QR-Code einfügen: https://t.me/jugendgegenabschiebung




Warum rückt die Welt nach rechts?

Von Felix Ruga, April 2024

Wenn wir uns auf der Welt umschauen, läuft uns ein Schauer über den Rücken: In Deutschland ist die AfD in allen Landesparlamenten und dem Bundestag vertreten und stellt mittlerweile Bürgermeister, es drohen Mehrheiten bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Zeitgleich sind alle Parteien bis auf die Linkspartei auf eine rassistische Politik gegenüber Geflüchteten eingeschwenkt und wollen sich gegenseitig übertreffen, wer am besten abschieben kann. Bundeskanzler Scholz höchstpersönlich sprach davon, endlich „im großen Stil“ abschieben zu wollen.

Nicht nur in Deutschland hat sich die Lage verschlechtert. Schauen wir in der Welt umher, sieht’s in anderen Ländern nicht besser aus: Trotz seiner Niederlage 2020 steht Trump wieder für die Republikaner:innen in den Startlöchern. Gegen seinen schwachen Kontrahenten Joe Biden hat er gute Karten, diesen November bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen klar zu gewinnen.

Georgia Meloni, die Regierungschefin Italiens, gehört der Partei „Fratelli d’Italia“ an, welche aus einer faschistischen Tradition stammt und sich auf einen neoliberalen Rechtspopulismus eingestellt hat. Hier wurde kurzerhand das Bürger:innengeld gestrichen und weitere Angriffe drohen.

Davon kann auch die argentinische Arbeiter:innenklasse ein Lied singen: Dort unternimmt der selbsternannte „Anarchokapitalist“ Javier Milei gerade den Versuch, den Staat autoritär umzubauen und mit der Kettensäge den Sozialstaat zu zerlegen.

Doch dabei hört es nicht auf. Auf dem Großteil der Welt können wir einen Rechtsruck verzeichnen. Von Europa bis zu den Philippinen können wir beobachten, wie Rechtspopulist:innen Erfolg haben. Klar ist: Dem Rechtsruck müssen wir uns entgegenstellen. Aber wie?

Woher kommt der Rechtsruck?

Wenn wir uns effektiv wehren wollen, müssen wir verstehen, wie dieser Rechtsruck zustande kommt. Dazu müssen wir uns anschauen, in was für einer Welt wir leben.

Um dies gleich zu beantworten: Aktuell leben wir im Stadium des Imperialismus. Dieses ist die höchste Stufe des Kapitalismus. Es gibt einen internationalen Weltmarkt samt einer internationalen Arbeitsteilung. Dadurch gibt es zwei Formen von Ländern: imperialistische und unterworfene.

Aus dem Schulunterricht kennen die einen oder anderen den Begriff der „Kolonisierung“. Damals gab es Länder, die offen andere Länder, also Kolonien, abhängig gemacht haben – wirtschaftlich und politisch. Imperialistische Länder machen in einer gewissen Weise das gleiche. Sie halten unterworfene Länder wirtschaftlich abhängig, jedoch politisch formal unabhängig, weshalb wie sie Halbkolonien nennen.

Oberflächlich erscheinen die meisten Halbkolonien als eigene Staaten. Schaut man sich an, wem die Firmen gehören, welche Zuschüsse der Staat bekommt und wie verwoben die Beziehungen mancher Politiker:innen sind, wird klar: Komplett unabhängig agieren die Länder nicht.

Hinzu kommt die fortschreitende Monopolisierung. Konzerne fusionieren, kaufen auf und übernehmen den Markt, während kleinere Firmen und Händler verdrängt oder aufgekauft werden. Das ist ein Prozess, der innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht gänzlich aufzuhalten ist.

Einer kleinen Bäckerei im Dorf ist es unmöglich, in der gleichen Zeit so viele Brötchen herzustellen wie eine Bäckereikette mit mehr Maschinen und Arbeiter:innen. So wird der Preis der Dorfbäckereibrötchen teurer und mehr Menschen gehen zur Bäckereikette, weil es günstiger ist.

Dadurch wird zwar die Produktion effizienter und die Zentralisierung legt die Grundlage für eine demokratische Planwirtschaft, aber die großen Firmen müssten dafür auch enteignet werden, anstatt sich in der finanziellen Konkurrenz zu zerfleischen.

Daneben stehen die kleineren Firmen, die Angst haben, ihre Stellung zu verlieren. Getrieben von der Angst des sozialen Abstieges fangen sie an, herumzubrüllen: Protektionismus, Nationalchauvinismus, Standortborniertheit, das sind ihre Forderungen, um sich zu schützen. Kurz gesagt: Sie wollen das Rad der Zeit aufhalten, um nicht ihren Reichtum zu verlieren, indem sie sich gegen die internationale, arbeitsteilige Struktur des Gesellschaftssystems stellen.

In diesen Verhältnissen werden die Kapitalist:innen gezwungen, immer nach einem Weg zu schauen, wie sie mehr Profit anhäufen können. Profit macht das Kapital mit der Ausbeutung der Arbeiter:innen. Diese arbeiten mit Maschinen und Rohstoffen, und schaffen ungeheure Werte, wovon sie nur einen Bruchteil als Lohn bekommen. Durch immer weitere Investitionen in neue Maschinen werden die Arbeiter:innen aus der Produktion verdrängt und die Investitionen werden immer teurer, während sich der Markt sättigt, woraus sich schnell eine Überproduktionskrise entwickeln kann.

Auswege für diesen Prozess gibt es für Kapitalist:innen nicht viele. Sie müssen andere aufkaufen, fusionieren oder spekulieren. Sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft, wird zu rabiateren Methoden gegriffen. Dies kann zum einen durch Sparpolitik und soziale Angriffe auf die Arbeiter:innen umgesetzt werden, zum anderen durch wirtschaftlichen oder militärischen Krieg. Die stärkere Kapitalfraktion kann verstärkt in neue Märkte eindringen, während die Verliererin zurückgelassen wird.

Die Bedeutung der Krise

Der Rechtsruck vollzieht sich verstärkt seit den 2010er-Jahren. Aber wo liegt der Ursprung der Stärke von AfD und Co.?

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/08 standen viele Banken kurz vor dem Bankrott. Viele wurden mit extrem viel Geld gerettet. Die Kosten dafür haben nicht jene getragen, die viel Geld besaßen. Nein, die Kosten wurden auf die Arbeiter:innen abgewälzt. Praktisch wurden die Armen noch ärmer gemacht, durch Leiharbeit, Kürzungen bei Sozialleistungen, sozialen Einrichtungen und so weiter.

Parteien, die die Stimme dagegen erhoben haben, gab es kaum. Im Kern Europas haben Sozialdemokrat:innen wie die SPD dabei geholfen, die Kosten der Krise auf die Arbeiter:innen abzuwälzen. Viele linke Reformist:innen wie die Linkspartei haben es verpasst, kräftig dagegen zu kämpfen. So scheiterten europaweite Streikversuche oftmals an der Blockade durch Gewerkschaftsbürokratien imperialistischer Nationen.

Aktuell passen sie sich dem Rechtsruck an und versuchen, die Wähler:innen, die sie an die AfD verloren haben, mit rechter Rhetorik wiederzugewinnen. Doch andere linksreformistische Parteien, wie SYRIZA in Griechenland, haben offen gegen die Sparpolitik der EU mobilisiert und konnten damit ganze Länder für sich gewinnen. Letztlich mussten sie aber einknicken und haben damit Verrat begangen.

Diese schwere Niederlage hat heute in doppelter Hinsicht Bedeutung für uns: Zum einen wurde die politische Linke schwer geschädigt und konnte sich davon bis heute nicht erholen. Zum anderen konnten die Regierungen alle neoliberalen Tricks wie Sparmaßnahmen und Sozialabbau ausspielen, um die Krise abzuwehren. Nun rollt eine neue Krise über uns hinweg, bei der die alten Tricks ausgeschöpft sind. Deshalb müssen wir mit einem härteren Kampf rechnen, der sich darum dreht, wessen Kapital nun zerstört wird.

An dieser Stelle haben sich die Rechten mit ihrer „Krisenlösung“ positioniert: Rückzug in die nationalen Grenzen, zusammen mit einer extrem neoliberalen Politik, welche die Ausbeutung verschärft und das nationale Kapital bevorzugt, indem Reallöhne und sozial- und arbeitsrechtliche Bestimmungen abgesenkt werden.

Anstatt eine Perspektive aus der globalen Konkurrenz herauszuweisen, erkennen sie diese als unumstößliche Naturgewalt an. Sie stürzen sich mit einer Kompromisslosigkeit hinein, bei der die Arbeiter:innen gezwungenermaßen unter die Räder kommen werden. Um das zu verschleiern, begleiten sie das alles mit reaktionären Ideologien von Vaterland und Familie.

Was für eine Perspektive haben wir?

Wir müssen das Ganze nicht hinnehmen! Es gibt Wege, dieser tristen Zukunft zu entkommen. Das Beispiel von SYRIZA zeigt, dass man auch mit „radikalen Forderungen“ den Rückhalt in der Bevölkerung finden und damit immense Sprengkraft entwickeln kann.

Als REVOLUTION treten wir für eine antirassistische Bewegung ein, bestehend aus Gewerkschaften, Sozialdemokratie, Reformist:innen sowie Sozialist:innen, die sich dem Rechtsruck entgegenstellt. Aktuell sind es die ersteren, die einen Großteil der organisierten Arbeiter:innen hinter sich führen.

Rassismus ist nicht einfach nur so beschissen. Er schwächt auch den Kampf für das objektive Interesse aller Arbeiter:innen: Anstatt zusammen für eine bessere Lebensgrundlage zu kämpfen, bekämpft man sich gegenseitig. Deswegen ist es wichtig, auch soziale Forderungen aufzustellen, wie nach bezahlbarem Wohnraum oder Mindestlohn für alle. Diese Forderungen müssen konsequent mit Antirassismus verbunden werden. Daneben muss auch die Frage der Selbstverteidigung aufgeworfen werden. Denn neben rassistischen Gesetzen gibt es auch Rassist:innen auf der Straße, die Migrant:innen und Linke angreifen.

Aber eine Bewegung reicht nicht aus. Für uns Jugendliche sieht unsere Zukunft beschissen aus: mehr Ausbeutung, mehr Überwachung, weniger Freiheiten und Perspektiven. Es wird immer schwerer, einen Ausbildungsplatz oder einen Job zu finden, von dem wir leben können, ohne den Spießrutenlauf der unbezahlten Praktika oder befristeten Jobs durchlaufen zu müssen. Für diejenigen, die weiblich, queer, migrantisch oder geflüchtet sind, ist das Ganze nochmal bedeutend härter.

Nebenbei werden die Ausgaben für Bildungseinrichtungen gekürzt und unser Selbstbestimmungsrecht über Körper und Sexualität eingeschränkt, oftmals geleugnet. Deswegen brauchen wir Jugendlichen eine eigene internationale Organisation mit einem revolutionären Programm. Ein Programm, das deutlich macht, dass es keine Spaltung aufgrund Herkunft, Geschlecht, Alter oder Sexualität geben darf. Nur so können wir der Unterdrückung von Jugendlichen, auch in der Arbeiter:innenbewegung selbst, entgegentreten.

Wir müssen die aktuelle Problematik mit einer revolutionären Perspektive verbinden. Konkret heißt das: Wir beteiligen uns an aktuellen Kämpfen wie Streiks oder Bewegungen und tragen eine revolutionäre Perspektive hinein, insbesondere an den Orten, an denen wir uns täglich befinden, wie Schulen, Unis oder Betriebe.

Nicht nur für Jugendliche brauche es eine Organisation mit revolutionärem Programm. Uns ist bewusst, dass wir Jugendlichen nicht die einzigen sind, die unter dem System leiden und dass wir allein nicht das System umwälzen können. Für uns ist die Arbeiter:innenklasse die einzige Kraft, die eine Revolution anführen kann, wird doch durch ihre schöpferische Kraft der Großteil des gesellschaftlichen Werts produziert, den sich einzelne privat aneignen. Aus diesem Grund unterstützen wir die Anstrengungen, neue Arbeiter:innenmassenparteien aufzubauen, die offen für ein revolutionäres, sozialistisches Programm kämpfen.




Heteronormativität als Ursache queerer Unterdrückung?

von Sani Maier, März 2024, aus der revolutionären Frauenzeitung FIGHT! Nr. 12

Gesellschaftliche Konventionen

Egal ob in Kinderbüchern, Märchen, Videospielen, der Werbung oder unseren Lieblingsfilmen: Seit jeher strahlen uns dort glücklich verliebte Pärchen entgegen und präsentieren uns die traumhafte Partner:innenschaft, nach der viele dann ihr ganzes Leben lang suchen. In unserer Gesellschaft scheinen erst die Beziehung, dann die Ehe, Kind(er) und ein gemeinsam geführtes Leben, am besten im Eigenheim, besondere Ziele zu sein. Wer kennt nicht die ewigen Fragereien der Familie danach, wann man denn endlich mal den/die Partner:in mitbringe und für Frauen ab Mitte Zwanzig gibt es die übergriffige Frage nach der Kinderplanung gleich gratis dazu. Dabei ist es jedoch alles andere als egal, wie besagte Partner:innenschaft oder Familie konkret aussiehen, sondern streng vorgegeben: Das „ideale“ Paar besteht auch heute noch aus einem Mann und einer Frau: Adam und Eva, Romeo und Julia, Dornröschen und der Prinz, Bonnie und Clyde … etc. Dabei ist sowohl das gegenteilige Geschlecht beider Partner:innen wichtig, setzt also eine klar abgrenzbare Vorstellung von zwei Geschlechtern voraus, aber auch die Tatsache, dass die Beziehung aus genau zwei Personen besteht. Offene Beziehungen oder Polygamie werden nach wie vor kritisch beäugt und in der Ehe schonmal gar nicht berücksichtigt (bis auf bestimmte religiöse und kulturelle Ausnahmen, bei denen aber meistens nur männliche Polygamie erlaubt ist). Unsere Kultur und Bildung, aber auch juristische und institutionelle Strukturen sind also durchzogen von dieser spezifischen Liebes- und Sexualitätsvorstellung und prägen uns von klein auf, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst sind. Es ist irgendwie einfach „normal“. Der Fachbegriff für dieses Phänomen heißt Heteronormativität. Unsere Entwicklung und unser Selbstverständnis werden also darauf gelenkt, heterosexuelle Partner:innenschaften als normal, natürlich und erstrebenswert anzusehen – sie sind die Norm. Homo- und Bisexualität sowie transgender und Intergeschlechtlichkeit werden als Abweichungen davon je nach gesellschaftlichem Kontext diskriminiert bis gewaltsam unterdrückt. Gleichgeschlechtliche Liebe wird in vielen Staaten kriminalisiert und intergeschlechtliche Säuglinge werden chirugisch an „eindeutig“ binäre Standards angepasst, obwohl keinerlei medizinische Notwendigkeit besteht. Dabei herrscht sowohl in Bezug auf Geschlechter als auch sexuelle/romantische Orientierungen die Annahme, beides sei von Geburt an festgeschrieben und könne sich nicht immer wieder wandeln. Heteronormative Identitäten und Beziehungen stehen in der Hierarchie ganz oben und werden durch verschiedene Privilegien gefördert (z. B. Steuererleichterungen wie Ehegattensplitting oder umfassende und vergleichsweise unkomplizierte Adoptionsrechte). Viele Frauen haben diese Vorstellungen so sehr internalisiert, dass es sich für sie oft so anfühlt, als könnten sie nur in einer Beziehung mit einem Mann wirklich glücklich sein, und suchen deshalb konstant nach männlicher Anerkennung und Bestätigung. Der Begriff Heteronormativität wird dabei oft dem Aufkommen der Queer Studies zugeschrieben, existiert aber bereits seit mehreren Jahrzehnten und wird von unterschiedlichen politischen und philosophischen Theorien mit variierenden Schwerpunkten benutzt. Spätestens seit die Beliebtheit postmoderner Theorien zugenommen hat und das Interesse an Philosophen wie Michel Foucault und der Queer Theory gestiegen ist, kam es zu einer stärkeren Hinwendung zu diskursbezogenen Konzepten von Heteronormativität. Der Diskurs bezeichnet hierbei die gesellschaftliche Produktion von Bedeutungen und „Wahrheiten“, aus denen sich konkrete Machtverhältnisse ergeben wie unter anderem die Heteronormativität. Bis heute liefern die postmoderne oder auch poststrukturalistische Theorie die dominante Erklärung für den Druck, in heteronormativen Verhältnissen zu leben. Während diese Verwendung von Heteronormativität viele Symptome des Phänomens durchaus treffend darstellt, liegen ihr einige problematische Annahmen zugrunde, welche im Folgenden erklärt werden.

Schwächen postmoderner Erklärungsansätze

Grundsätzlich liegt das Problem dieser Ansätze darin, dass der Diskurs Machtverhältnisse erzeuge und in diesem, also in Strukturen des Wissens, die Ursache von Unterdrückung ausgemacht wird. Während wir durchaus zustimmen, dass sich heteronormative Standards und Kriterien durch (unter anderem) unser Bildungs- und Gesundheitssystem ziehen und diese immer weiter verankert werden, so fehlt dieser Feststellung die Erklärung, wie es eigentlich dazu kommen konnte. Gesellschaftliche Institutionen wurden von Menschen erschaffen und werden von diesen fortgeführt. Welche Überzeugungen und Ziele sie dabei mit einfließen lassen, ist nicht willkürlich, sondern abhängig von ihren Umständen und dem Kontext, unter denen sie leben. In den Worten von Marx: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Wie wir leben, welche Probleme wir haben und wie wir glauben, diese lösen zu können, spielt also eine Rolle in unseren Interessen und Entscheidungen. Betrachtet man die Gesellschaft aus einer materialistischen Perspektive, fokussiert man sich zuerst auf die Produktionsverhältnisse, da die Art und Weise, wie wir arbeiten, in jeder Phase der menschlichen Entwicklung von entscheidender Bedeutung war und das Zusammenleben bis heute maßgeblich strukturiert. Der Kapitalismus zeichnet sich durch die Tatsache aus, dass wenige Menschen Produktionsmittel besitzen und die Mehrheit ihre Arbeitskraft an diese verkaufen muss, um zu überleben. Kapitalist:innen kaufen diese, bezahlen den Arbeiter:innen aber nicht das volle Äquivalent ihrer geleisteten Arbeit und eignen sich die Differenz selbst an, was die Quelle ihres Profits darstellt. Der Lohn, den sie zahlen, muss allerdings ausreichen, damit die Arbeiter:innen all das kaufen können, was nötig ist, um weiterhin arbeiten zu können: Miete, Essen, Strom, Fahrkarten etc. Wofür sie allerdings nicht zahlen, ist die Arbeit, die privat in den Haushalten geleistet wird: sogenannte Hausarbeit. Kochen, Putzen, Kinder erziehen und versorgen, Sorgearbeit, Kranken- und Altenpflege, Wäsche waschen und vieles mehr zählt zu diesen unbezahlten Arbeiten und ist für die Kapitalist:innen weitestgehend gratis. Den Grund dafür bildet die geschlechtliche Arbeitsteilung, durch welche Frauen über Jahrhunderte hinweg rechtlich und ideologisch in die private häusliche Sphäre verdrängt und zu unentlohnten Hausarbeiterinnen erzogen wurden. Sie sorgen dafür, dass sich die Arbeitskraft ihrer Partner reproduziertund ihre Kinder sichern den Nachschub an Arbeitskräften. All das, was hierfür nicht gezahlt werden muss, vergrößert den Profit der Kapitalist:nnen und macht sie zu Profiteur:innen dieses Systems. So wie es hier beschrieben wurde, würden sich wohl die wenigsten Frauen freiwillig in diese Rolle fügen wollen. Finanzielle Abhängigkeit und die moderne Doppelbelastung aus Haus- und Lohnarbeit sind nur einige der gravierenden Konsequenzen dieser Form der Arbeitsteilung. Es gab also die Notwendigkeit, diese ideologisch aufzuwerten und somit wurde das Konzept der bürgerlichen Kleinfamilie mit klarer geschlechtlicher Rollenverteilung idealisiert, romantisiert und als natürlich verkauft. Gleiches gilt für die Ehe: Was ursprünglich zur Sicherstellung von Monogamie und Vererbung durch eindeutige Abstammungslinien eingeführt wurde, gilt heute als romantischster Tag im Leben eines Paares. Die Kapitalist:innen haben es also erfolgreich geschafft, durch Gesetze, Kultur und Religion, ihre Profitinteressen als „natürliche“ Tatsachen zu etablieren. Es lässt sich nun also auch erklären, warum die Unterdrückung von allen nicht-heterosexuellen, nicht-cis und -monogam lebenden Menschen eine notwendige Konsequenz der kapitalistischen Produktionsweise und ihr vorausgehender Klassengesellschaften ist: All diese Lebensformen und Identitäten passen nicht ins Schema der bürgerlichen Kleinfamilie (Vater, Mutter, Kind) und stellen deren vermeintlich natürlichen Charakter in Frage. Um ihre Profite weiterhin maximieren zu können, werden sich Kapitalist:innen niemals ernsthaft für die Interessen queerer Menschen einsetzen können. Heteronormativität ist also ein Symptom der Klassenverhältnisse und beschreibt die Gesamtheit der Rollenzuschreibungen, die benötigt werden, um den Kapitalismus am Laufen zu halten. Diskurse, Wissensstrukturen, Gesetze und kulturelle Erzeugnisse machen Mittel zum Zweck der Durchsetzung patriarchaler Verhältnisse aus und bilden nicht deren Ursache. Eine Politik, die sich lediglich auf diese Mittel fokussiert, wird nicht in der Lage sein, die Wurzeln des Problems zu lösen, und ewige Symptombekämpfung betreiben. Der Kampf gegen Heteronormativität muss also ein antikapitalistischer sein und das Patriarchat in seinen Grundfesten, also dem Privateigentum an Produktionsmitteln, angreifen. Die private Kontrolle der Produktion muss gemeinschaftlich und demokratisch von den Arbeiter:innen übernommen werden. Nur dann wird es möglich sein, Hausarbeit kollektiv und gemeinschaftlich zu bewältigen und geschlechtliche Arbeitsteilung und damit zusammenhängende Geschlechterrollen zu überwinden.




Die Geschichte der Kufiya – Modeaccessoir und Widerstandssymbol

Von Bailey Zirvena, Februar 2024

Die Kufiya, auch Palästinensertuch genannt, existiert im arabisch-sprachigen Kulturraum in verschiedenen Farben, unterschiedlichen Mustern und kann sowohl als Kopftuch als auch als Schal getragen werden. Ihre Geschichte reicht weit zurück. Ihren Namen erhält sie von der Irakischen Stadt Kufa.

Die palästinensische Kufiya oder كوفية Keffiyah ist leicht wieder zu erkennen: Meistens in schwarz und weiß gehalten, das Netzmuster, das für Fischerei und dadurch für die Verbindung zum Mittelmehr steht, die gebogenen Olivenblätter, die an die lange Geschichte der palästinensischen Olivenbäume erinnern und die breiten Streifen am Rand, die die historischen Handelsrouten repräsentieren.

Als Kopftuch schützte sie vor der Sonne, doch in den 30er Jahren schützte sie ebenfalls die Identität ihrer Träger:innen. Im Arabischen Aufstand ab 1936 gegen die Kolonialmacht Großbritannien verhüllten Freiheitskämper:innen mit der Kufiya ihre Gesichter. So ist sie ein etabliertes Symbol für Wiederstand und Selbstbestimmung.

Mit der Gründung Israels 1948 und den folgenden Widerstandsbewegungen wurde die Kufiya vor allem in den 70er Jahren durch den Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafat bekannt, der selten ohne Kufiya zu sehen war.

Seit den 68ern hat sich die Bedeutung der Kufiya als Palituch, als Zeichen der Solidarität mit dem palästinensischen Freiheitskampf und dem Kampf gegen Imperialismus in Deutschland etabliert.

In den 2010ern führte die Beliebtheit dazu, dass die westliche Modeindustrie versuchte das inzwischen hoch politische Muster der Kufiya zu kommerzialisieren, wodurch die Kufiya zu einem Trend-Gegenstand wurde. Statt damit die Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung der Palästinenser:innen zu lenken, wurde die Kufiya auf einmal völlig von ihrer Bedeutung und Geschichte gelöst und zu einem stumpfen Mittel der Ausbeutung arabischer und palästinensischer Kultur. Heute würde man das einen klassischen Fall kultureller Aneignung nennen. Westliche Konzerne aus Ländern, die die israelische Besatzung unterstützen, nehmen sich die Widerstandssymbole der Unterdrückten, verdrängen deren Bedeutung und machen damit am Ende Profit. Doch die wahre Bedeutung der Kufiya überstand auch diese Phase.

Heute richtet sich der Genozid in Palästina nicht nur gegen die Palästinensische Bevölkerung, sondern auch gegen ihre Kultur, Traditionen und die Spuren ihrer Existenz. Nichts ist sicher: Moscheen, Kirchen, Archive, Olivenbäume… und auch die traditionelle Herstellungsweise der Kufiya. Es gibt kaum noch traditionell hochwertig produzierte Kufiyas, im Westjordanland gibt es nur noch eine einzige Fabrik.

Währenddessen riskieren junge Menschen in den USA sogar ihre Gesundheit durch öffentliches Tragen der Kufiya, wo in Vermont drei palästinensisch-amerikanische Studenten, die ihre Kufiya trugen, auf offener Straße angeschossen wurden. Die Rhetorik, die durch die Medien besonders seit dem 7. Oktober verbreitet wird, entmenschlicht Palästinenser:innen und stellt sie als terroristisch dar. Solche Mittel führen in einer Gesellschaft, in der arabisch-sprechende Menschen oder Muslim:innen schon lange angefeindet werden dazu, dass der Hass in Taten umschlägt.

An Berliner Schulen darf das Tragen einer Kufiya seit dem 16.10.23 verboten werden. Dieses Verbot stellt ein weiteres Mittel in dem Versuch, alle Symbole des Anti-Zionistischen Kampfes zu tabuisieren oder sogar zu kriminalisieren, dar. Viele mutige Schüler:innen haben sich von diesem Verbot nicht abhalten lassen ihre Solidarität offen zu zeigen. Sie trotzen damit dem Versuch der Schulen, die Thematik zu ignorieren oder einseitig zu behandeln. Durch das offene Tragen des Palituchs lässt sich die Gewalt, die in Palästina geschieht nicht so einfach im Alltag verdrängen.

Da die Schule ein politischer Raum ist und gleichzeitig der Ort an dem sich Jugendliche am meisten aufhalten, müssen wir auch dort die Möglichkeit haben politische Symbole zu tragen und sich politisch auszudrücken. Deutschland versucht durch Einschränkungen des Versammlungsrechts, der Meinungsfreiheit und auch durch das Verbot palästinensischer Freiheitssymbole der Welle an Solidarität in Deutschland Reichweite zu rauben und es damit so schnell wie möglich hinter anderen Themen verschwinden zu lassen. Doch man kann unseren Kampf nicht weg verbieten oder verstecken. Wir bleiben laut und wir bleiben sichtbar.

Die Kufiya muss sowohl ein Symbol für die palästinensische Kultur und Geschichte als auch für die Befreiung der palästinensischen Bevölkerung bleiben. Ihre Verbot stellt einen rassistischen Angriff auf ihre Träger:innen dar, ebenso wie das kategorische Abstempeln jeglicher Palästina-Solidarität als Antisemitismus. Um an unseren Schulen dagegen vorgehen zu können, brauchen wir unabhängige Antidiskriminierungsstellen, die unsere Kämpfe und Erfahrungen ernst nehmen und für unsere Rechte einstehen.




Aktionsprogramm für trans Jugendliche

von Jaqueline Katherina Singh, März 2024

Weltweit werden trans Menschen unterdrückt.  Ob nun Konservative, die in Talkshows deren Existenz leugnen, Radikalfeminist:innen, die Geschlecht allein an Genitalien ablesen wollen oder CDU-Poliker:innen, die Gendern für das größte Problem unserer Zeit halten, weil sie die Klimakrise nicht ernst nehmen. Es wird deutlich: Die Sichtbarkeit von trans Personen in der Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, doch an der Unterdrückung hat sich wenig geändert. Schließlich ist diese in der gesamten Gesellschaftsstruktur verankert. Das Erstarken der Rechten bringt zudem gesellschaftliche Rollbacks mit sich wie in den USA oder Pakistan, die dafür sorgen, dass Queer- und insbesondere Transfeindlichkeit weiter zunehmen. Das beginnt mit reaktionären Argumentationen bezüglich Dragqueens und angeblicher „woker” Indoktrination in der Schule, kann dann auch zur Rücknahme erkämpfter Rechte und schließlich auch zu einer Zunahme von körperlichen Übergriffen gegen trans Personen führen. Dass diese Stimmung längst auch in Deutschland angekommen ist, können wir daran sehen, dass 2023 die Meldungen von körperlichen Angriffen auf Paraden zum Christopher Street Day (CSDs) die Nachrichten fluteten, während die CSU in Bayern diesen Kulturkampf der US-Amerikaner:innen versuchte zu adaptieren, indem auch sie gegen Auftritte von Dragqueens hetzten.  Im Folgenden wollen wir uns daher die Situation von trans Jugendlichen anschauen, die von vielen Unterdrückungsmechanismen nochmal stärker betroffen sind.

Unterdrückung in der Familie

Probleme mit der Familie sind für viele Jugendliche Alltag. Doch trans zu sein, kann diese noch mal verschärfen. Denn es geht nicht darum, einfach „nur” nicht verstanden zu werden.  Stell dir vor: Du kannst dich nicht so kleiden, wie du willst. Alle sprechen dich mit einem Namen an, der nicht dein eigener ist. Kurzum – man sieht dich nicht so, wie du wirklich bist. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts 69,4 % der trans Jugendlichen befürchten, dass ihre Familie sie nicht akzeptieren wird. Doch was bedeutet das konkret?

Das Coming-out kann eine große Hürde sein, da die finanzielle und juristische Abhängigkeit von der Familie es nahezu unmöglich machen kann, sich frei auszudrücken oder notwendige medizinische Behandlungen wie Hormontherapie zu erhalten. Denn letzten Endes bestimmst nicht du über deinen Körper, sondern deine Erziehungsberechtigten. Das ist der Kern des Problems: Wenn deine Eltern kein Verständnis haben (wollen), dich nicht ernst nehmen – oder einfach nur hilflos sind, dann wird es schwierig. Die juristische, sowie finanzielle Abhängigkeit erschwert es vielen trans Personen massiv, einfach so das Elternhaus zu verlassen und auszuziehen. Ganz zu schweigen von der emotionalen Belastung, die damit einhergeht, wenn die eigenen Eltern/Erziehungsberechtigten einen nicht unterstützen können oder wollen. rans Menschen, v.a. Jugendliche haben eine viel zitierte enorm hohe Rate an Suizidversuchen (je nach Studie um die 40%). Wenn mindestens eine erwachsene Person sie unterstützt, sinkt die Wahrscheinlichkeit um etwa 30% Doch die Beratungsangebote für trans Jugendliche sowie ihre Eltern sind selten – und die wenigen, die es gibt, sind oft überlastet oder gar nicht unvoreingenommen. Deswegen treten wir nicht nur für den Ausbau von Beratungsstellen ein, für Jugendliche braucht es auch die Möglichkeit, bei Bedarf ihr Leben unabhängig vom Elternhaus gestalten zu können!

  • Für die ökonomische Unabhängigkeit von Schüler:innen, Studierenden und Jugendlichen in Ausbildung! Für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation, von 1.100 Euro plus Warmmiete, finanziert durch Besteuerung von Reichtum und Kapital!

  • Für selbstverwaltete Freiräume für Jugendliche, den massiven Ausbau von Jugendzentren und kostenlose Zugang zu einem ausgebauten Freizeit- und Kulturangebot, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen!

  • Ausbau von flächendeckenden Beratungsstellen von und für LGBTIA+ und ihre Angehörigen!

  • Für den Ausbau von Schutzhäusern für Kinder und Jugendliche! Niemand soll bei seiner Familie bleiben müssen, wer das nicht möchte! Für die Förderung neuer Formen des Zusammenlebens, beispielsweise durch den Ausbau und die Weiterentwicklung des sozialen Wohnungsbaus! 

Schule und Ausbildung

Doch nicht nur in der Familie, sondern auch an Orten, wo man den Großteil seiner Lebenszeit verbringen muss – also Schule oder Ausbildungsstätte – wird man eingeschränkt. Eine weitere Studie des Bundesverbands Trans* aus dem Jahr 2017 zeigt, dass fast 90 % der trans Schüler:innen in Deutschland in der Schule diskriminiert werden. Dazu gehören u. a. die Verwendung des Deadnames und von falschen Pronomen, Belästigungen, Mobbing und auch physische Übergriffe. Die Studie zeigt auch auf, dass nur ein Bruchteil der betroffenen Schüler:innen sich an Lehrkräfte oder Schulleitungen wendet, da sie Angst haben, dadurch noch stärker stigmatisiert zu werden. Denn die wenigsten Schulen bieten Unterstützung gegen Mobbing und Diskriminierung an, auch wenn sich viele von ihnen das Abzeichen von Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage ans Tor hängen lassen. Aus einer weiteren Studie des Bundesverbandes geht hervor, dass nur 18 % der trans Schüler:innen das Gefühl haben, dass ihre Schule ein sicherer Ort für sie ist. Dies liegt auch daran, dass die Idee des binären Geschlechtersystems in der Gesellschaft vorherrschend ist und ebenso in der Schule reproduziert wird. Sei es durch Unterrichtsinhalte, bei denen Frau Meier den Wocheneinkauf für ihre Familie tätigt als Einleitung für eine Textaufgabe in Mathe, die klassische, heteronormative Sexualkunde im Biologieunterricht, lediglich ausgelegt auf Verhütung und Reproduktion, oder die Abwesenheit von queeren Lebensrealitäten in der Pflichtlektüre, die wir in Deutsch oder Englisch lesen müssen. Das gilt auch für Regelungen, die über den bloßen Unterricht hinausgehen, aber den Schulalltag prägen wie z. B. fehlende geschlechtsneutrale Toiletten oder Umkleideräume sowie die allgemeine Adressierung der Schüler:innenschaft in Rundbriefen. Das Verbot. an Schulen zu gendern, wie es in Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits umgesetzt wurde, oder in Berlin durch die CDU-Regierung zumindest diskutiert wird, tut sein Übriges. Auch wenn Gendern nicht automatisch zur Befreiung von trans Personen führt, so ist dennoch die Repräsentation in der Sprache auch ein mögliches Kampffeld.

  • Schluss mit Deadnames auf Klassenarbeiten, Schüler:innenausweisen und Klassenbüchern! 

  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern! 

  • Wir bestimmen, was wir lernen wollen: Rahmenlehrpläne unter Kontrolle der Lernenden, Lehrenden, Arbeiter:innenbewegung und Vertreter:innen von Diskriminierten! Für angemessenen, verpflichtenden Aufklärungsunterricht vor der Geschlechtsreife und die gleichberechtigte Darstellung aller Formen von Geschlecht, Geschlechtsidentität, Sexualität und des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs!

  • Kampf der Diskriminierung an der Schule: Für breite Aufklärungskampagnen durch die Gewerkschaften von Lehrkräften und Schüler:innen und für eine von der Schulleitung unabhängige Antidiskriminierungsstelle, kontrolliert von Lernenden, Lehrenden und Organen der Arbeiter:innenklasse, die jederzeit wähl- und abhwähbar sind!

  • Von Schüler:innen selbstorganisierte Freiräume, die in den Pausen für alle frei zugänglich sind, an jeder Schule und den Ausbau von Unisextoiletten sowie Umkleideräumen!

Ähnlich sieht die Situation in der Ausbildung aus. Hier kommt jedoch der ökonomische Druck hinzu, der es vielen erschwert, sich selbst auszuleben oder dies sogar komplett unmöglich macht. Eine Studie – ebenfalls aus dem Jahr 2017 – von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ergeben, dass trans Personen in der Ausbildung häufiger diskriminiert werden als ihre cis-geschlechtlichen Kolleg:innen. 48 Prozent der befragten trans Personen gaben an, bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt zu haben, während es bei cis Personen nur 24 Prozent waren. 

Die Diskriminierung reichte von Mobbing über das Ausgrenzen aus dem Team bis hin zu sexueller Belästigung. Dabei ist klar: Ob nun Kolleg:innen, die durch mangelndes Wissen mit Stammtischparolen um sich werfen, oder beispielsweise Kund:innen, die eine/n missgendern oder gar offen ausgelebte Transfeindlichkeit: Als Azubi für die eigenen Rechte einzustehen, ist um ein Vielfaches vertrackter. Das liegt aber nicht (nur) am Alter an sich, sondern der Status als Azubi ist hier das entscheidende Moment – Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre. Dass man als ungleiche Arbeitskraft angesehen wird, die erstmal „richtig ausgebildet” werden muss, bevor man als gleichrangig angesehen wird, wirkt sich auch auf den Umgang miteinander aus. Herablassende Bemerkungen, gar Beleidigungen statt konstruktiver Kritik sind in bestimmten Branchen ganz offen an der Tagesordnung, in anderen existieren sie eher versteckt. Das kann soziale Unterdrückung verstärken und den Rahmen, wie man sich dagegen wehren kann, erheblich einschränken. Wenn wir also in der Ausbildung gegen Transfeindlichkeit kämpfen wollen, dann müssen wir das mit dem Kampf für bessere Ausbildungsrechte verbinden!

  • Tarifliche und rechtliche Gleichstellung aller Auszubildenden! Mindestausbildungsvergütung in Höhe des Mindestlohns und Anhebung dessen auf 15 Euro die Stunde!

  • Gegen alle Versuche und Regelungen wie „Job aktiv“ und „Kombilohn“, die den Billiglohnsektor ausweiten! Übernahme aller befristeten und Leiharbeits- in Normalarbeitsverhältnisse statt Ausdehnung der Flexibilisierung und des Niedriglohnsektors!

  • Probezeit? Nein Danke: Volle wirtschaftliche Rechte – inklusive des auf Streik – für Azubis!

  • Übernahme garantiert: Volle und unbefristete Übernahme aller Jugendlichen nach der Ausbildung – bei Verweigerung der Übernahme Strafzahlung! Für die Abschaffung aller Quoten, die die Übernahme beschränken! 

  • Für das Recht, in Job und Ausbildung den gewählten Namen zu nutzen, auch wenn dieser noch nicht im Ausweis steht!

Um die Situation am Arbeitsplatz nachhaltig zu verbessern, muss sich auch was in den Gewerkschaften ändern. Es ist ein erster Schritt gewesen, dass man auch „divers” im Mitgliedsausweis angeben kann – aber mal ehrlich, ausreichend ist das nicht. Erstmal sollte es nicht verpflichtend sein, das eigene Geschlecht überhaupt angeben zu müssen. Darüber hinaus müssen Gewerkschaften an Betrieben und Berufsschulen präsent sein. Das heißt, zum einen Aufklärungskampagnen gegen Diskriminierung an Betrieben, Schulen und Unis organisieren und zum anderen auch, die Präsenz durch Beratungsstellen an Berufsschulen sowie die Vertrauenskörperstruktur in den Betrieben flächendeckend auszubauen. Zusätzlich ist es ein Problem, dass für Länder wie Deutschland Datenerhebungen fehlen, wenn es darum geht, die Verbindung von Einkommen und Unterdrückung zu erfassen. Zahlen aus den USA belegen, dass dort insbesondere schwarze trans Frauen weniger als der US-Durchschnitt verdienen. Solche Erhebungen wären ein erster Schritt, um auch passende Forderungen aufwerfen zu können und würde zudem klar zeigen, dass Gewerkschaften sich bewusst positionieren.

  • Flächendeckender Ausbau der Vertrauenskörperstrukturen und Antidiskriminierungsstellen!

  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!

  • Breite Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung von Jugendlichen! Wir wollen uns nicht bevormunden lassen: Gerechte Repräsentanz in den Gremien der Gewerkschaften! 

  • Regelmäßige Erhebungen bzgl. Einkommen und Diskriminierungserfahrungen, kontrolliert durch Gewerkschaften!

Medien, Alltag und Gewalt

Ob Bahnhofstoiletten, Behördengänge, Bekleidungsgeschäfte oder das umfangreiche Sortiment an Waren, die man erwerben kann: Wenn man mal darauf achtet, dann wird deutlich, wie viel in unserer Gesellschaft eigentlich von der binären Geschlechterordnung bestimmt wird. Daraufhin einfach mal abschalten und eine Serie schauen, um den Stress in der Schule oder Familie zu vergessen? Das ist aber nur bedingt möglich. In den letzten Jahren wurden zwar immer mehr trans Charaktere in Serien und Filme integriert. Dennoch: Die Sichtbarkeit ist umkämpft und noch längst nicht ausreichend. Diversität heißt übrigens nicht, so viele unterdrückte Gruppen wie möglich zu zeigen, sondern auch eine Varianz dieser mit einzubeziehen. 

Ansonsten werden immer wieder Stereotype reproduziert. Was bedeutet das in der Praxis? Es ist legitim, sich mit dem Thema Transition auseinanderzusetzen. Aber genauso notwendig ist es, unterschiedliche Erfahrungen mit einzubeziehen: Nicht-binäre trans Personen sind eher unterrepräsentiert und Menschen, die trans sind, aber sich nicht in die jeweilige Geschlechterrolle stecken lassen wollen, werden meistens negativ dargestellt. Die Charaktere, die am positivsten wegkommen, sind jene, die der binären Geschlechterordnung am meisten entsprechen. Das zu zeigen, ist nicht per se falsch, das ausschließlich zu zeigen, allerdings schon. Flache Charakterarchs hin zur Akzeptanz der eigenen Transidentität oder das bloße Darstellen von körperlicher und sozialer Transition oder dem Umgang mit Diskriminierung sind vielleicht für cis Personen interessante Geschichten, aber für trans Menschen ist das einfach unser selbstverständlicher Alltag und damit totlangweilig. Wir wollen trans Held:innen, Bösewichte, Mütter, Nebencharaktere, Kolleg:innen etc. in Serien und Filmen, deren Transidentität sie nicht definiert – aber eben selbstverständlicher Teil ihrer Geschichte und Lebensrealtität ist.

Besser wird es jedoch auf keinen Fall, wenn man die meisten Nachrichtenseiten aufruft. Die vermehrte Repräsentation von trans Personen, die Bevormundung von Jugendlichen, die Krise der bürgerlichen Familie, der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck und der Misserfolg des bürgerlichen Feminismus hinsichtlich der Überwindung von Frauenunterdrückung, haben unter anderem dazu geführt, dass (vermeintliche) Feminist:innen wie Alice Schwarzer vom „Transtrend“ sprechen. In Nachrichten – insbesondere in populistischen Blättern –   werden fiktive Szenarien beleuchtet, in denen angebliche Feminist:innen vor allem trans Frauen unglaubliche Dinge unterstellen, anstatt über die reale Gewalt, die trans Personen angetan wird, zu berichten. Die Kriminalstatistik zeigt jedoch: Zwischen 2018 und 2021 hat sich die Gewalt gegen queere Menschen mehr als verdoppelt. Das führt uns zur eigentlichen Gefahr: Während man in größeren Städten zwar etwas „sicherer” als in ländlicheren Gegenden ist, so ist es nicht gegeben, dass man mal „einfach so” Bahn fahren kann. Komische Blicke, Beleidigungen und die Angst vor Gewalt gehören in der Regel dazu, wenn man nicht so aussieht, wie die klassischen Geschlechterrollen es verlangen.  Das wird verstärkt durch den stetigen Rechtsruck, den wir erleben, und so steigt auch die Gefahr für gezielte Übergriffe. Selbst in vermeintlich „queerfreundlichen” Großstädten wie Berlin kommt es mittlerweile nicht nur zu verbalen, sondern auch körperlichen Angriffen.

  • Enteignet die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen, …) und organisiert die Produktion durch Räte aus Arbeiter:innen, Zuschauer:innen und Unterdrückten!

  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Selbstverteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+! Für den Ausbau von Schutzräumen für LGBTIA+ und Unisexorte in der Öffentlichkeit!

Medizinische Versorgung

Arz-/Ärztinttermine sind generell ein rares Gut. Wer versucht hat, einen Beratungstermin beispielsweise beim/bei der Endokrinolog:in zu bekommen, weiß, dass Wartezeiten von über einem halben Jahr keine Seltenheit sind. Deswegen bedeutet der Kampf für Selbstbestimmung auch ein Kampf für die Verbesserung des Gesundheitssystems insgesamt. Das bedeutet:

  • Weg mit Privatisierung der Krankenhäuser! Nein zu deren Schließungen auf dem Land!

  • Für einen höheren Personalschlüssel und Verkürzung der Arbeitszeit für alle Beschäftigten bei  vollem Lohnausgleich!

Finanziert werden sollte das Ganze durch die Abschaffung des DRG-Systems, Abschaffung des Zweiklassen-Gesundheitssystems (also nur gesetzliche Krankenkassen statt privater), Besteuerung der Reichen und Enteignung der Klinik- und Pharmaziekonzerne. So können eine schnellere Terminvergabe sowie qualitativ bessere Betreuung gewährleistet werden. Doch nicht nur Termine sind ein Problem: Arzt-/Ärztinbesuche bei Gynäkolog:innen sowie Urolog:innen sind für viele nicht nur mit emotionalem Stress verbunden sind – sondern können auch mit Ablehnung und Unverständnis seitens Praxismitarbeitenden oder anderen Patient:innen begleitet werden. So hat laut einer Studie der deutschen AIDS-Hilfe und des RKI von 2023 fast jeder fünfte nicht-binäre oder trans Mensch (17 Prozent) bereits aus Angst vor Diskriminierung lieber auf bestimmte medizinische Leistungen verzichtet. Auch in der Apotheke kann es unangenehm werden, wenn die Mitarbeiter:innen beispielsweise einem trans Mann keine Pille danach rausgeben möchten, da in manchen Apotheken die Vorgehensweise üblich ist, dass sie Pille nur an die betroffene Frau verkauft wird. In einer Situation, wo sich viele sowieso schon gedemütigt aufgrund des gesellschaftlichen Stigmas bei Notfallverhütung fühlen, müssen trans Personen nun auch noch ihr Anliegen zusätzlich begründen.

Die Transition an sich ist auch mit vielen Hindernissen verbunden. So müssen sich trans Menschen vor einer Hormonbehandlung oder chirurgischen Eingriffen in zwei unabhängigen Gutachten unangenehmen psychosozialen Befragungen stellen, wo unter anderem intime Details über das Sexualleben und den mentalen Gesundheitszustand abgefragt werden, damit Ärzt:innen bestätigen können, dass die Person für eine solche Behandlung in Frage kommt. Das kann auch dazu führen, dass nicht-binäre trans Personen, welche den Wunsch nach einer Hormonbehandlung hegen, ihre Ärzt:innen anlügen müssen, da sie diese Hormone nur bei einer binären Transgeschlechtlichkeit verschreiben (können). Mit diesem unnötigen und beschämenden Herumstochern im Privatleben muss Schluss sein! Beratungsstellen müssen ausgebaut werden, aber die Beratung sollte sich nicht wie eine Prüfung anfühlen und letztendlich sollte es keine Fremdbestimmung durch das ärztliche Personal geben.

Für trans Jugendliche spielt auch die Frage von Pubertätsblockern eine Rolle, die verhindern sollen, dass sie in die Pubertät kommen und diesem Leidensdruck, der damit einhergeht, ausgesetzt werden, obwohl sie bereits beginnen, ihre Geschlechtsidentität zu hinterfragen. Es zu begrüßen, dass trans Jugendlichen so eine Möglichkeit geboten wird, die Selbstbestimmung über die Entwicklung ihres Körpers erlangen zu können. Statt Panikmache von Alice Schwarzer und Co. und Bevormundung durch die Eltern, braucht es gute Aufklärung über die bestehenden Studien (die existieren, da Hormonblocker schon seit Jahrzehnten in anderen medizinischen Fragen eingesetzt werden) und einfach medizinische Studien für Hormon Replacement Therapie. 

Zudem ist – wie auch woanders – die Medizin von gesellschaftlicher Unterdrückung geprägt. Das wird deutlich daran, dass viele Patient:innenstudien, Symptome und Medikamentenvorgaben auf Basis cis-männlicher Körper stattfinden – was beispielsweise dazu führt, dass Personen mit biologisch weiblichem Körper vermehrt an Herzinfarkten sterben, weil sie andere Symptome aufweisen oder nicht ernst genommen werden, insbesondere wenn sie nicht-weiß sind. Falsche Kategorisierung des Geschlechts der Betroffenen oder die Annahme, es würde sich um einen cis Körper handeln, können auch fatale Folgen hinsichtlich der Beratung bei Verhütungsmethoden sowie der Behandlung von Geschlechtskrankheiten oder der HIV-Prävention haben, da manche Beratungen aufgrund der Vermutung einer Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung nicht durchgeführt werden und auch hier die Präparate unterschiedlich auf die Körper wirken. Nach einer Personenstands- und Namensänderung zahlt die Krankenkasse teilweise „geschlechtsspezifische“ Behandlungen wie HPV Impfungen nicht mehr (bzw. man muss sich ihnen extra erklären und damit rumschlagen). 

Viele Ärzt:innen wissen außerdem schlicht nicht, was eine HRT (Hormone Replacement Therapy) an einem Körper ändern kann und ignorieren z.B. dass bei einer Testosterontherapie das Risiko von Herzerkrankungen auf das eines cis Mannes steigt, andere körperliche Vorgänge eher wie bei cis Frauen funktionieren und wieder andere Dinge mit beidem nur noch wenig zu tun haben. Faktisch führt das dazu, dass trans Menschen oft zu Ärzt:innen gehen und ihnen erstmal ihren Körper erklären müssen. Da an der Stelle aber zu wenig Forschung existiert, es sehr kompliziert werden kann, die Beschäftigung mit dem eigenen Körper mental schwierig sein kann und die Ressourcen begrenzt sind, sind viele trans Menschen dazu verständlicherweise nicht in der Lage. Der erschwerte Zugang führt aber dazu, dass manche trans Personen sich über inoffizielle Wege Hormone besorgen müssen. Ohne medizinische Überwachung der Dosierung und Nebenwirkungen kann das aber auch sehr gefährlich für die Betroffenen enden. Das heißt, wir brauchen Forschung, Lehre und Praxis, die die Auswirkungen gesellschaftlicher Diskriminierung mit einbeziehen, sowie eine Medizin, die eine biologische Bipolarität  der Geschlechter anerkennt! Des Weiteren brauchen wir auch eine Auseinandersetzung mit der Produktion von Medikamenten und Präparaten in der Pharmazie. Die Devise heißt hier Enteignung unter Arbeiter:innenkontrolle und die Aufhebung des Patentrechts, um zu gewährleisten, dass die Produktion von Pubertätsblockern und Hormonpräparaten nicht unter Profitinteresse steht und sie auch in einer Langzeitanwendung so sicher wie möglich sind!

  • Für Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für das Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zu medizinischer Geschlechtsangleichung!

  • Schluss mit Diskriminierung: Rahmenlehrpläne in der medizinischen Ausbildung unter Kontrolle von Ärzt:innen, Arbeiter:innen und Vertreter:innen von Unterdrückten! Für breite Sensibilisierungskampagnen gegen Diskriminierung im Gesundheitssystem und den Ausbau von Gesundheitszentren speziell für Frauen und LGBTIA+! 

  • Intersex vollständig legalisieren: Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer
    Genitaloperationen an Kindern!

  • Rekommunalisierung und Verstaatlichung aller privatisierten Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient:innen, die ein Interesse an guten Arbeitsbedingungen und guter Gesundheitsversorgung haben!

  • Freier und kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln! Massiver Ausbau der Beratung und Forschung in diesem Bereich!

Staatliche Diskriminierung

Seit August 2023 ist das TSG (Transsexuellengesetz) Geschichte und wurde durchs sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz” ersetzt. Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Während man früher vor Gericht gehen musste sowie zwei psychologische Gutachten brauchte , nur um die Personenstandsänderung durchzusetzen, kann man ab Herbst 2024 Namen und Geschlecht angleichen, indem man sich 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt anmeldet. Doch für Minderjährige ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ weitaus weniger frei und eigenständig möglich. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Seine Wirksamkeit hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab. 

Alle jüngeren Personen dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder welcher Name angegeben wird. Ausgeschlossen werden ebenso Personen, deren Visum bald abläuft – um zu verhindern, dass sie sich vor der Abschiebung „drücken” können. Auch im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ kann die Angleichung auch „ausgesetzt” werden, um Menschen in den Wehrdienst einzuziehen. Besonders fatal ist, dass mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine Liste erstellt wird. Das heißt: Alle trans Personen (mit ihren Deadnames und Adressen) sind den staatlichen Strukturen wie BKA, Polizei und Geheimdienst bekannt. Man benötigt keine Datenschutzexpertise, um zu wissen, dass das überhaupt nicht nötig ist, sondern vielmehr eine Gefährdung darstellt .

  • Für Selbstbestimmung über die eigene Geschlechtsidentität: Für Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zur offiziellen Namens- und Personenstandsänderung! Gegen den Zwang, das Geschlecht in amtlichen Dokumenten anzugeben!

  • Keine Weitergabe dieser Informationen an Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst!

  • Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie! Für die automatische Eintragung queerer Eltern auf die Geburtsurkunden ihrer Kinder: mit ihren gewünschten Namen und Geschlecht!

Ursprung der Unterdrückung

Die Beispiele zeigen: Die Unterdrückung von trans Menschen ist überall zu finden. Doch wenn wir sie nicht nur oberflächlich bekämpfen wollen, müssen wir uns fragen: Woher kommt sie eigentlich?  Für uns als Marxist:innen ist die Diskriminierung von trans und anderen queeren Personen eng mit der Frauenunterdrückung verbunden. Letztere wird in der kapitalistischen Gesellschaft durch die Auslagerung von Reproduktionsarbeit (beispielsweise Kindererziehung, Pflege, Kochen, Waschen etc.) ins Private manifestiert. Kollektive Küchen, Waschhäuser oder auch Pflege könnte man gesamtgesellschaftlich organisieren und dadurch massiv Zeit einsparen (und so auch die Qualität verbessern). Doch um Kosten zu sparen, wird diese Arbeit in das Privatleben von Individuen gedrängt. Frauen tragen dabei oftmals die Hauptlast der reproduktiven Arbeit aufgrund der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die vorherrscht. Der Stereotyp der bürgerlichen Familie macht das besonders deutlich: 

Hier hat „alles seine Ordnung” und die Rollen sind klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert. Wer sich jetzt denkt, dass die 1960er Jahre angerufen haben und ihre verstaubte Lebensrealität zurückhaben wollen, hat recht. Jedoch wird diese Aufteilung nach wie vor vielerorts reproduziert: Sei es in Medien, durch Religionen, konservative Politiker:innen oder durch Gesetze, die Hetero-Zweierbeziehungen bevorzugen. Kurzum: Die bürgerliche Familie nimmt im Kapitalismus einen ideologischen Stellenwert ein, der geschützt wird. Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter:innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge. Denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich„ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen. Das erklärt auch, warum insbesondere Rechte und andere Reaktionär:innen so vehement gegen Queers eintreten.  Gleichgeschlechtliche Partner:innen lieben, mehr als eine/n Partner:in haben oder eben das eigene Geschlecht angleichen lassen – all das greift die geschlechtliche Arbeitsteilung an. Diese ist jedoch notwendig, um die Familie und somit die Auslagerung der Reproduktionsarbeit ins Private aufrechtzuerhalten und somit auch der Ursprung der Unterdrückung von LGBTIA+.

  • Kampf für Reduzierung der Arbeitszeit für die gesamte Arbeiter:innenklasse, damit die
    Reproduktionsarbeit auf alle  verteilt werden kann und den Frauen die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben erleichtert wird!

  • Kampf den Geschlechterrollen: Schluss mit geschlechtlicher Arbeitsteilung: Für die Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit; gleichmäßige Aufteilung der übrigbleibenden privaten Tätigkeiten!

Was tun?

All diese Forderungen zu erkämpfen, wäre ein wichtiger Schritt in der Verbesserung der Situation von trans Personen. Unser Ziel muss jedoch sein, der Unterdrückung die materielle Grundlage zu entziehen. Deswegen ist für uns der Kampf für die Befreiung von LGBTIA+ verbunden mit der Notwendigkeit, die Reproduktionsarbeit zu vergesellschaften und die kapitalistische Gesellschaft zu zerschlagen!

In der Praxis setzen wir uns für einen gemeinsamen Kampf von Frauen-, LGBTIA+- und Arbeiter:innenbewegung ein. Zum einen, weil Erstere genauso Teil der Arbeiter:innenklasse sind und das Bild des „Arbeiters im Blaumann” als diese vollständig repräsentierendes veraltet ist. Zum anderen nimmt die Arbeiter:innenklasse eine Schlüsselposition ein, wenn es darum geht, Forderungen durchzusetzen. Durch ihre Stellung im Produktionsprozess kann sie durch Streiks ökonomischen Druck aufbauen und so sichern, dass Reformen durchgesetzt werden können. Sie ist auch zentral, wenn es darum geht, den Kapitalismus zu zerschlagen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, revolutionäres Bewusstsein in die Klasse zu tragen und den gemeinsamen Kampf zu führen, um gegen existierende Vorurteile sowie Diskriminierung zu kämpfen und letzten Endes die Grundlage von LGBTIA+-Unterdrückung zu beseitigen. Um das zu ermöglichen, glauben wir, dass es notwendig ist, dass in den Organisationen der Arbeiter:innenklasse – ob nun Gewerkschaft, revolutionärer Organisation oder Partei – das Recht für gesellschaftlich Unterdrückte besteht, einen Caucus zu bilden, d. h. einen Ort, an dem sie sich unter ihresgleichen treffen können, um sich über erlebte Unterdrückung auszutauschen, ob nun innerhalb oder außerhalb der Strukturen. Dafür benötigen wir auch ein revolutionäres Programm, welches alle Forderungen, die sich auf die unterschiedlichen Ausgebeuteten und Unterdrückten beziehen, zu einem gemeinsamen Kampf verbindet.




Gegen Diskriminierung kämpfen heisst Gegenmacht aufbauen!

von Dilara Lorin, März 2023

Als Jugendliche sind wir gezwungen, uns tagein tagaus in der Schule aufzuhalten. Doch obwohl wir einen Großteil unserer aktuellen Lebenszeit dort verbringen und zahlenmäßig die größte Gruppe sind, die sich dort aufhält, haben wir kaum Rechte zu bestimmen, wie unsere Schule aussieht und was dort passiert. Lerninhalte, Pausenzeiten, Essen, die Gestaltung des Schulgebäudes … – alles wird jenseits unserer Kontrolle von anderen bestimmt. Dass das eine große Scheiße ist, merken wir gerade jetzt, wo der gesellschaftliche Rechtsruck und die Krise des Kapitalismus dafür sorgen, dass sich unsere Lernbedingungen durch Sozialkürzungen, Krieg, Sexismus und Rassismus stetig weiter verschlechtern. Doch wir werden den transfeindlichen Spruch eines Lehrers nicht widerstandslos hinnehmen und auch nicht schweigend zusehen, wenn unsere Mitschüler:innen aufgrund von Rassismus gezwungen werden, ihre Kuffiyas nicht mehr zu tragen. Unsere individuelle Empörung braucht einen Ort, an dem sie gebündelt und in einen kollektiven Kampf dagegen übersetzt werden kann. Lasst uns deshalb gemeinsam Antidiskriminierungsstellen in den Schulen erkämpfen – eine selbstverwaltete Stelle, in der Schüler:innen und Schulbeschäftigte anonym über diskriminierendes Verhalten und Situationen berichten und gemeinsam dagegen vorgehen können.

Was bedeutet Gegenmacht?

Gegenmacht bedeutet im Allgemeinen, eine demokratische und kollektive Macht durch Organisationen und Strukturen aufzubauen, die parallel zur autoritären und herrschenden Macht von Staaten und Regierungen existiert. Dabei ist die von Revolutionär:innen aufgebaute Gegenmacht jene, die von der Arbeiter:innenklasse, der Bauernschaft und den Unterdrückten gebildet wird. Ihr Ziel ist es, die Macht der Herrschenden für ihren Sturz herauszufordern und im Kern schon die Perspektive für eine demokratischere und freiere Gesellschaft darzustellen. Das bedeutet, dass die Organe der Gegenmacht politische Fragen gemeinsam entscheiden und verfolgen müssen. Sie müssen eine Einheit der Interessen der Arbeiter:innen und Unterdrückten wiederspiegeln und der vereinzelnden Macht der Herrschenden ihre kollektive Stärke entgegensetzen. Solche Gegenmachtorgane haben aber auch im Kleinen die Aufgabe, eine Alternative zu bestehenden Strukturen und Herrschaftsformen darzustellen.

Das Prinzips des Aufbaus von Gegenmacht stammt historisch von den Räten oder Sowjets. Ein bekanntes Beispiel sind die russischen Sowjets von 1905-1917, welche die Keimzellen der sozialistischen Oktoberrevolution waren. Die Bolschewiki betrachteten den Sowjet als den besten und direktesten organisatorischen Ausdruck der Macht des Proletariats und seiner Verbündeten. Der Sowjet war ein Rat, der alle ausgebeuteten und unterdrückten Gruppen repräsentierte und auf dem Prinzip der direkten Wahl, ständiger Abwählbarkeit und Abschaffung bürokratischer Privilegien beruhte. Er bildete die bestmögliche Grundlage für die Diktatur des Proletariats – für den demokratischen Rätestaat. Im Kampf um die Macht ist der Rat das Werkzeug, um alle gegen den Kapitalismus kämpfenden Kräfte zu vereinen und dem parlamentarischen System der bürgerlichen Klassenherrschaft die proletarische Macht der demokratischen Räte entgegenzustellen. Die Räte zeichnet ebenfalls aus, dass sie Wirtschaft und Politik nicht künstlich trennen, wie es im kapitalistischen politischen System der Fall ist. Hier werden im Parlament nur politische Reglungen und Gesetze festgelegt und wird die Masse der Menschen der Anarchie des Marktes unterworfen. Die Räte dagegen vereinen politischen und ökonomischen Kampf, denn nur durch das Mittel des Streiks kann die Arbeiter:innenklasse sich ihrer eigenen Stärke bewusst werden. Auch in Deutschland gab es im Zuge der Novemberrevolution 1919 eine starke Rätebewegung und sogar kurzzeitig eine Räterepublik, welche jedoch durch den Verrat der SPD gemeinsam mit kaisertreuen Kräften zum Erhalt der kapitalistischen Ordnung blutig gestürzt wurde. Die Beispiele der russischen Sowjets oder deutschen Räte zeigen auch, dass bürgerliche Macht und proletarische Gegenmacht in sogenannten „Doppelmachtsituationen“ nie beide über einen längeren Zeitraum parallel existieren können, sondern sich das herrschende Kräfteverhältnis immer zu Gunsten des Einen oder des Anderen auflösen muss.

Wichtig ist dabei zu verstehen, dass der Aufbau von Gegenmacht kein Selbstzweck ist. Er ist eingebettet in den Kampf für die Zerschlagung des Kapitalismus und den Aufbau einer befreiten Gesellschaft. Dafür braucht es ein revolutionäres Programm, für das auch in den Räten gekämpft werden muss. Denn nur weil diese demokratischer sind als das bürgerliche Parlament bedeutet das nicht, dass sie automatisch die richtigen Entscheidungen treffen. So haben die Bolschewiki vorerst eine Minderheit in den Sowjets dargestellt, sodass viele Sowjets lange auch eine nicht-revolutionäre Linie vertreten haben. Erst durch ihr unermüdliches Eintreten für ihr revolutionäres Programm ist es ihnen gelungen, die Sowjets in eine siegreiche sozialistische Revolution zu führen.

Was hat das mit Antidiskriminierungsstellen zu tun?

Das Prinzip des Aufbaus von Gegenmacht wurde in der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung nicht nur den in revolutionären Räten angewendet, sondern auch auf kleineren Ebenen: in den Schulen, Unis und Betrieben. Für uns bedeutet das, den Kampf um Antidiskriminierungsstellen als Kampf um Gegenmacht in den Schulen zu verstehen. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass solche Stellen unabhängig von Staat, Schulaufsicht und Schulleitung sein müssen, denn diese sind es, die in Zeiten von Druck und Krisen jede erkämpfte Chance wieder zurücknehmen würden. Fortschrittliche Reformen, die in Schulen umgesetzt werden, können vom Staat also auch wieder zurückgenommen werden, wenn sich Regierungen und damit zusammenhängend auch Kräfteverhältnisse ändern. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Genderverbot in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Schleswig-Holstein, das zwischen Juli 2023 und März 2024 in den Schulen eingeführt wurde. Lehrpersonen ist es damit untersagt ihre Sprache zu gendern. Vorsichtige Versuche ein kleines bisschen Antisexismus in der Schule zu etablieren, will der Staat rigide zerschlagen. Im Kampf gegen Diskriminierung können wir uns also nicht auf den Staat und seine Institutionen verlassen. Wenn fortschrittliche Reformen erkämpft werden, dürfen diese also nicht aus der Hand gegeben werden, sondern wir müssen auch um ihre Kontrolle kämpfen. Der Kampf um die Kontrolle geht einher mit dem Kampf um die Durchsetzungsfähigkeit. Unser Kampf für Antidiskriminierungsstellen muss also mit den Forderungen nach Unabhängigkeit von der Schulleitung und den nötigen Mitteln, um beschlossene Maßnahmen auch im Schulalltag umsetzen zu können, verbunden werden.

Klar ist aber auch, dass es unter den Jugendlichen und Lehrer:innen unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie Diskriminierung definiert wird, welche Konsequenzen diskriminierendes Verhalten haben sollte und wie damit umgegangen wird. Deshalb muss es auch hier offene Debatten darüber geben. Historisch hat schon die Oktoberrevolution gezeigt, dass Räte allein nicht ausreichen, weil auch superdemokratische Räte falsche Entscheidungen treffen können. Darum ist es die Aufgabe von Revolutionär:innen innerhalb von Gegenmachtstrukturen, egal ob in der Schule oder im Betrieb, auch für ein revolutionäres Programm zu kämpfen. Dies bedeutet in diesem Fall konkret die Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle zu verteidigen und für eine materialistische Analyse von Diskriminierung einzutreten. Dem Definitionsmachtansatz setzt diese das doppelte-Beweislastausgleichverfahren entgegen.

Wie kann die Praxis von Antidiskriminierungsstellen aussehen?

Ein Beispiel für diskriminierendes Verhalten brauchen wir hier wahrscheinlich nicht zu nennen, denn jedem:jeder von uns fällt nach kurzem Nachdenken sicher eines ein und niemand wird behaupten können: „Meine Schule ist frei von Sexismus/Rassismus/Querfeindlichkeit etc“. Denn auch die Schule befindet sich nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil des kapitalistischen Systems, das die Wurzel aller Unterdrückungsformen darstellt. Somit ist es eine Frage des Willens aller von uns, unseren Alltag in der Schule selbst in die Hand zu nehmen und sich diesen nicht bestimmen zu lassen.

Im Idealfall gibt es an deiner Schule ein Schulkomitee oder eine linke und antirassistische Schulgruppe, die die miserablen und diskriminierenden Zustände an der Schule erkennt und handeln will. Wenn nicht, lässt sich diese mit ein paar Gleichsinnten schnell etablieren. Diese Struktur ruft eine Vollversammlung an deiner Schule ein und organisiert sie. Vollversammlungen sind schulrechtlich abgesicherte Versammlungen aller Schüler:innen der Schule und können prinzipiell an jeder Schule stattfinden. Von wem und in welchen Abständen ist jedoch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Bei diesen Vollversammlungen kommt die ganze Schule zusammen, was die Möglichkeit bietet, mit allen über Formen der Diskriminierung zu diskutieren und aufzuklären. Wenn entschieden wird, dass man dies nicht mehr einfach so hinnehmen möchte, sollte es die Möglichkeit geben, auf einberufenen Vollversammlungen als Schüler:innen und Lehrer:innen für eine Antidiskriminierungsstelle zu kandidieren. Alle potenziell von Diskriminierung Betroffenen sollten sich zur Wahl aufstellen und abstimmen können: Das heißt mit Ausnahme der Schulleitung alle Schüler:innen, Lehrer:innen und anderen Schulbeschäftigten (Hausmeister, Mensapersonal, Reinigungskräfte, Sekretariar etc.). Gemeinsam können wir entscheiden, wen wir mit welchen Ansichten für die Arbeit in der Antidiskriminierungsstelle für geeignet halten. Wichtig ist jedoch, dass die gewählten Personen rechenschaftspflichtig und jederzeit auch abwählbar sind und der Schule in einem bestimmten Zeitraum Bericht erstatten müssen. Dadurch kann die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle kontrolliert werden und es besteht die Möglichkeit, sie neu zu wählen und zu besetzen, wenn sie Fehleinschätzungen oder falsche Entscheidungen trifft. Es ist wichtig, dass sie Entscheidungen über Fälle trifft und auch klare Konsequenzen für die Täter:innen bestimmt, damit sie nicht zu einem reinen Kummerkasten verkommt. Aus der Antidiskriminierungsstelle können dabei auch Entscheidungen getroffen werden, die einen Großteil der Schüler:innen und Lehrer:innen betreffen kann, ein Beispiel können Präventionsworkshops sein.

Wir sehen, die Antidiskriminierungsstelle kann sich zu einem festen Bestandteil im Schulalltag formieren, in welchem durch die Frage des Kampfes gegen Diskriminierung und die Frage der Kontrolle darüber auch die Macht von Schulleitung und Staat, alles bestimmen zu können, herausgefordert wird. Isoliert kann der Kampf um demokratische Gegenmacht in der Schule jedoch nicht allein durch Antidiskriminierungsstellen gewonnen werden. Er muss eingebettet werden in den Kampf um eine demokratische Kontrolle der Lehrpläne durch Schüler:innen und Lehrer:innen sowie die Verwaltung des Schulgebäudes. Dafür braucht es Schul(streik)komitees, welche einen Pol bilden für Aktivist:innen in der Schule, um für sämtliche ihrer Interessen und politischen Fragen im Schulalltag zu kämpfen. Die Rolle der Schulstreikkomitees ist dabei anleitend und intervenierend. Der Pol an linken, antikapitalistischen Aktivsit:innen muss seine Aufgabe darin sehen, mit einer materialistischen Analyse in die Debatten der Antidiskriminierungsstelle einzuwirken, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen und diese auf weitere Felder wie die Kontrolle über die Lehrpläne oder das Schulgebäude auszudehnen. Lasst uns gemeinsam der Fremdbestimmung ein Ende bereiten und Gegenmacht aufbauen!




Wie befeuert der Nahostkonflikt Rassismus und Antisemitismus in Deutschland?

Von Urs Hecker, REVOLUTION Zeitung, Januar 2024

Seit dem 7.Oktober geht eine immer stärkere Welle des anti-muslimischen Rassismus durch Deutschland, welcher oft mit dem Kampf gegen den Antisemitismus begründet wird. In einem neuen Podcast titelt die Tageszeitung „die Welt“ „free Palestine“ sei das „neue Heil Hitler.“ Die CDU veröffentlicht einen Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm, in dem sie erklärt: „nur wer sich zur Leitkultur bekennt kann sich integrieren und ein deutscher Staatsbürger werden“ Zu dieser „Leitkultur“ soll laut CDU auch die Anerkennung des „Existenzrechts Israels“ zählen. Aber auch die „linken“ bürgerlichen Parteien beteiligen sich an der rassistischen Rhetorik. Neben der rassistischen Politik und Rhetorik der bürgerlichen Parteien und Medien, steigt aber auch die Zahl antisemitischer Aktionen. Es wurden zum Beispiel die Häuser von Jüd:innen in Berlin mit Davidsternen beschmiert.

Um Antisemitismus und Rassismus und ihre Funktion in der kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen, müssen wir uns mit der Geschichte beider auseinandersetzen. Der „moderne“ Antisemitismus entwickelte sich aus dem Antijudaismus des Mittelalters. In der ständischen Gesellschaft des Mittelalters mit ihren starren ökonomischen Strukturen übernahmen Jüd:innen eine ökonomische Sonderrolle und waren vor allem als Kaufleute oder im Geldverleih tätig. In der neu entstehenden dynamischen kapitalistischen Gesellschaft verloren Jüd:innen ihre Sonderrolle und wurden immer mehr in prekäre Lebensbedingungen gedrängt. Sie wurden von den neuen Herrschenden von nun an als Sündenböcke verfolgt bzw. benutzt, um die Wut des von Abstiegsängsten geplagten Kleinbürger:innentums zu befriedigen und dem wachsenden und sich bewusst werdenden Proletariat seine revolutionäre Richtung zu nehmen. Der Kapitalismus wurde als eigentlich funktionierendes System dargestellt und die „fremden Jüd:innen“ seien Schuld an Verelendung, Korruption, Krise und Revolution. Besonders das zaristische Russland, in dem ein Großteil der jüdischen Bevölkerung lebte, verbreitete aufgrund der revolutionären Lage im Land besonders aggressiv Antisemitismus. So erfand seine Geheimpolizei die „Protokolle der Weisen von Zion“, wonach eine jüdische Weltverschwörung hinter den Revolutionen der Welt stecke. Und so popularisierte die weiße Reaktion die „jüdisch – bolschewistische Weltverschwörung.“ Diese Verschwörungsmythen fanden großen Anklang bei Reaktionären weltweit und wurden so in Deutschland mit dem generell grassierenden Antisemitismus verbunden zum Vernichtungsantisemitismus der Nazis, welcher in der Shoa seinen barbarischen Höhepunkt fand.

Rassismus wie wir ihn heute kennen entstand dagegen zuerst in den imperialistischen Ländern und ihren Kolonien, zusammen mit dem bürgerlichen Nationalismus. Er wurde zum einem genutzt, um Sklaverei sowie die Überausbeutung und Genozid an den indigenen Bevölkerungsgruppen zu rechtfertigen und zu begründen. Zum anderen war sein Zweck zusammen mit dem Nationalismus eine Identifikation der Arbeiter:innen mit ihren nationalen Bourgeoisien in den imperialistischen Ländern und ihren Siedlungskolonien zu schaffen. Dies gelang zuerst in den Siedlungskolonien, allen voran in den heutigen USA, da hier die einwandernden Arbeiter:innen von Landnahme, Genozid und Sklaverei profitierten und ihre Dasein als Lohnabhängige oft nur zeitlich beschränkt war. Nach einigen Jahren des Lohnarbeitens winkte das eigene durch Landraub in Besitz genommene Stück Land im Westen. Dieses kleinbürgerliche Bewusstsein breitet sich mit Beginn der imperialistischen Epoche in privilegierten Teilen der Arbeiter:innenklasse erst in Großbritannien und später in allen anderen imperialistischen Ländern, so auch Deutschland, aus. Die materielle Basis hierfür war, dass sich die imperialistischen Bourgeoisien durch die Stärke der Arbeiter:innenklasse gezwungen sahen, ihr Zugeständnisse zu machen, wovon die besonders gut organisierten Teile der Arbeiter:innenklasse stark profitierten. Diese Zugeständnisse waren und sind aber erst durch die besonders starke Ausbeutung anderer Teile der Arbeiter:innenklasse (meistens in den Halbkolonien und/oder aus diesen migrierte Arbeiter:innen) möglich. So ist zum Beispiel der „Sozialstaat“ durch Steuern auf die Superprofite finanziert, welche imperialistische Unternehmen in den Halbkolonien erzielen. Dies führte dazu, dass das falsche Bewusstsein des Nationalismus und der „gemeinsamen nationalen Interessen“ der Arbeiter:innen und „ihrer“ nationalen Bourgeoisie entstand. Dieser privilegierte Teil der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Ländern, die sogenannte Arbeiter:innenaristrokratie, war und ist dominierend in den großen Arbeiter:innenparteien und Gewerkschaften, womit sich ihr falsches Bewusstsein auf den Großteil der Klasse ausbreiten konnte. In Deutschland richtete sich der Rassismus zuerst vor allem gegen die national unterdrückten slawischen Arbeiter:innen Ost- und Mitteleuropas, da diese vom deutschen Imperialismus national unterdrückt wurden und einen Großteil der frühen Arbeitsmigrant:innen darstellten. Dieser anti-slawische Rassismus spielte zusammen mit dem Antisemitismus eine zentrale Rolle in der Nazi-Ideologie und war entscheidende Rechtfertigung für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Als in den 50er und 60er Jahren immer mehr Arbeitsmigrant:innen aus südeuropäischen und westasiatischen Ländern in die BRD einwanderten, entwickelte sich auch ein starker Rassismus gegen diese, wobei sich hier vor allem auch der anti-muslimische Rassismus herausbildete, welcher durch den sogenannten „Krieg gegen Terror“ massiv befeuert wurde. Die sogenannten „Gastarbeiter“ besaßen so gut wie keine Rechte und wurden lange von den großen Gewerkschaften ausgeschlossen. Seitdem wurde der anti-muslimische Rassismus nur stärker in Deutschland, obwohl einige Rechte erkämpft werden konnten. Anti-muslimischer Rassismus genießt weiterhin eine hohe Popularität innerhalb des (Klein)Bürger:innentums und unter reaktionären Teilen der Arbeiter:innen.

Heute wird oft von „importierten Antisemitismus“ gesprochen, um Migrant:innen den Antisemitismus in Deutschland in die Schuhe zu schieben. Das ist großer Unfug und extrem gefährlich. Der Großteil aller antisemitischen Straftaten in Deutschland wird von Rechten begangen und zuletzt in der Corona-Pandemie gingen noch zehntausende Deutsche unter antisemitischen Parolen auf die Straße. Solidarität mit Palästina ist kein Antisemitismus, wie wir auch schon in anderen Artikeln erklärt und begründeten. Dennoch stimmt es, dass auch einige offen antisemitische Rechte sich vordergründig palästinasolidarisch geben. Sie Kritik am Staat Israel, um antisemitische Hetze zu verbreiten, indem sie Jüd:innen und den Staat Israel gleichsetzen. Oft wird Israel in der Tradition antisemitischer Verschwörungstheorien als Zentrum der jüdisch (-bolschewistischen) Weltverschwörung gesehen. Ihnen geht es also gar nicht um die Freiheit der Palästinenser:innen, sondern nur darum, Antisemitismus zu verbreiten.
Es soll hier jedoch nicht verschwiegen werden, dass auch einige palästinasolidarische Menschen antisemitischen Denkmustern anhängen, indem sie z.B Israel mit Jüd:innen gleichsetzen (wie es ja selbst der deutsche Staat tut) und/oder behaupten, die westlichen Imperialist:innen seien vom Zionismus gesteuert und damit die realen Verhältnisse auf den Kopf stellen. Diese Positionen resultieren aber, im Gegensatz zu den deutschen Rechten, aus berechtigter Wut gegenüber der israelischen Besatzungspolitik, im Zuge derer aber falsche Schlüsse gezogen und rechten und bürgerlichen Mythen geglaubt wurde. Wir wollen diese Einstellung hier aber natürlich nicht verharmlosen, sie ist falsch und stellt eine reale Gefahr für Jüd:innen dar. Sie ist aber nicht Teil der Palästinasolidarität als solcher und es ist unsere Aufgabe als Revolutionär:innen diesen Einstellungen in der Bewegung entgegenzutreten.

Trotz dessen nimmt der anti-muslimische Rassismus weiter zu! Wir erleben eine schärfere Einschränkung migrantischer Rechte, eine immer rassistischere Hetze der bürgerlichen Medien und den bundesweiten Aufstieg der AfD, wobei sich auch die klassischen bürgerlichen Parteien nach rechts bewegen und immer rassistischer vorgehen. Die außenpolitische Unterstützung für Israel wird im Inneren genutzt, um Migrant:innen pauschal Antisemitismus vorzuwerfen und somit ihre Entrechtung zu begründen. In Sachsen-Anhalt wurde vor kurzem das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels Teil der Voraussetzungen zur Einbürgerung von Migrant:innen, Faeser spricht davon, „kriminelle“ Migrant:innen abzuschieben und die CDU fordert, dass bundesweit ein Bekenntnis zu Israel Voraussetzung für eine Einbürgerung wird, bzw. dass Migrant:innen sogar ihre Staatsbürger:innenschaft entzogen werden soll, wenn sie sich palästinasolidarisch äußern.
Natürlich wird der Rassismus in Bezug auf Palästinasolidarität auch genutzt, um die „Heimatfront“ ruhig zu halten, Deutschland unterstützt Israels Genozid aus seinen imperialistischen Interessen heraus und will den Dissens so marginal wie möglich halten. Hier wird der Rassismus genutzt, um Palästinasolidarität als etwas Fremdes, nicht-Deutsches darzustellen und unseren Protest zu isolieren und die deutsche Mehrheitsgesellschaft dagegen aufzubringen. Auch migrantische Gruppen, die palästinensisch oder palästinasolidarisch sind, erfahren besonders harte Repression, wie Samidoun oder Zora.
Der Rassismus und die Entrechtung dienen dem deutschen Kapital. Denn so können sie migrantische Arbeiter:innen noch stärker ausbeuten, sie politisch kaltstellen und die Arbeiter:innenklasse als Ganzes weiter spalten, Solidarität unterbinden und die Kampffähigkeit massiv schwächen. In der aktuellen Krise ist das für das deutsche Kapital besonders nötig, weswegen sich diese Politik auch weiter verschärfen wird.

Wir müssen also konsequent gegen Rassismus und Antisemitismus kämpfen!

Dazu müssen wir uns gegen den bürgerlichen Staat, seine Staatsräson und gegen den generellen Rechtsruck der bürgerlichen Gesellschaft stellen! Beide Formen der Diskriminierung haben ihre materielle Basis im kapitalistischen System und können nur mit diesem überwunden werden. Wir müssen auch gegen das falsche rassistische und antisemitische Bewusstsein innerhalb der Arbeiter:innenklasse kämpfen! Dazu müssen wir hier in Deutschland den palästinensischen Befreiungskampf, antirassistische – und antifaschistische Kämpfe vorantreiben und unterstützen! Wir müssen diese in unsere Schulen, Unis und Betriebe tragen und den Schulterschluss mit Arbeitskämpfen, wie denen am Hamburger Hafen, suchen. Wir müssen eine revolutionäres Programm der Jugend und der Arbeiter:innen vertreten, denn nur im Kampf mit dem System können Rassismus und Antisemitismus besiegt werden!