"Damit du endlich mal Mamas Schönste bist" – Sexismus an der Schule.

Digital StillCameraBei uns im Sportunterricht muss man zur Leistungskontrolle antreten. Hand in die Höhe ausstrecken und sein Bestes geben. Und vorher natürlich von sich aus das T-shirt in die Hose, damit man nicht Aussagen, wie „Mach das Hemd rein, damit du endlich mal Muttis Schönste sein kannst“, riskiert. Aber darüber diskutieren kann man nicht. Es gilt: „Ein Mann, ein Wort -eine Frau, tausend unnütze.“ Beides sind übrigens wörtliche Zitate von Lehrern.

Diskriminierung im Alltag ist nichts Neues. Als Jugendliche(r) ist die Schule der Ort, wo man tagtäglich mit Sexismus und anderen Formen der Unterdrückung konfrontiert wird. Seien es nur kleine Bemerkungen von Mitschüler_innen oder Lehrer_innen, auf die Betroffenen wirken sie prägend.

Leistungsorientierte Strukturen und mangelnde Förderung der individuellen Entwicklung bereiten einen mehr oder weniger gut auf das künftige Leben in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem vor. Dass die Probleme im Bildungssektor damit unweigerlich verbunden sind, wird nicht angesprochen. -Genauso, wie eine Ungleichbehandlung von Schüler_innen gerne totgeschwiegen wird, denn -so will man uns glauben lassen- was zählt, ist nur die Leistung.

Die bestehende Schule als Struktur des Kapitalismus fördert die Reproduktion des binären Geschlechtersystems, sprich: der einfachen Einteilung in männlich und weiblich. Schon von Anfang an findet eine Trennung zwischen männlichen und weiblichen Schülern statt und Stereotype vom ordentlichen Mädchen und Jungen als Klassenclowns werden teilweise unbewusst gefestigt. Für Schüler_innen, die sich nirgends einordnen können oder sich mit ihrem Rollenbild nicht identifizieren, ist nur selten oder gar kein Platz. Neben der Geschlechtsidentität wird im Biologieunterricht und in anderen Lehrbüchern Heterosexualität als Norm vermittelt, andere sexuelle Identitäten werden ausradiert.

flyer_sexismus-1Lehrer_innen, die durch kleine Bemerkungen oder auch mit ihrem gesamten Verhalten das Patriarchat vertreten, indem sie die Leistungen von Mädchen abwerten oder versuchen, sie in eine Rolle zu drängen, hat wohl Jeder schon mal erlebt. Bemerkungen, wie am Anfang des Artikels geschildert, begleiten einen als Frau in der Schullaufbahn -sind aber nur der Gipfel des Eisberges.

Typisch sind auch dem Rollenbild entsprechende Aufgaben im Matheunterricht, wie „Herr Müller will ein Auto kaufen (…)“, aber „Frau Schmidt geht zum Markt, um Äpfel zu besorgen.“ Auch im Geschichtsunterricht spielen weibliche Persönlichkeiten nach wie vor so gut wie keine Rolle.

Sogar bürgerliche Medien berichten, wenn das Thema Sexismus in der Schule angeschnitten wird, dass eine Ungleichbehandlung vorliegt. Tatsächlich aber kritisiert man dort den kleineren Anteil von männlichen Abiturienten oder die besseren Notenschnitte von weiblichen Schülern. So wird zum Einen fälschlicherweise das Bild erzeugt, dass Sexismus auch „umgedreht“ werden kann. Zum Anderen sind Aussagen, dass Mädchen bevorzugt würden und leichter bessere Noten bekommen nur eine Seite der Medaille, ähnlich wie in der Berichterstattung über die fleißigen Schüler mit asiatischem Migrationshintergrund. Zwar mögen die Noten und Abschlüsse in der Schule besser sein, sieht man sich aber die Besetzung von Führungsposten an, so muss man sich fragen, was aus der angeblichen Bevorzugung der Frauen letztendlich wird.

Dieses Ungleichgewicht in der Jobverteilung sieht man auch deutlich an Schulen. Während der Anteil von männlichen Grundschullehrern noch nur bei ca. 15% liegt, sind es an Gymnasien ungefähr gleich viele Männer wie Frauen. In Schulleitungspositionen sieht das ganze sehr anders aus: circa 80% sind männlich.

Im Zusammenhang von Sexismus und Schule spielen auch Vorurteile, wie „Frauen können nunmal kein Mathe, das ist schon okay“ eine Rolle, welche sich negativ auf die Leistungen von Schülerinnen auswirken. Eine Studie vom National Institute of Mental Health beweist, dass Frauen, denen vor einem Mathetest gesagt wird, dass weibliche Befragte in diesem durchschnittlich schlechter abschneiden als Männer, letztendlich tatsächlich schlechter sind als Frauen, die mit diesem Vorurteil nicht konfrontiert wurden. Wenn Mädchen dann zur Überraschung aller doch mal gut in naturwissenschaftlichen Fächern sind, wird das häufig auf Fleiß zurück geführt. Bei Jungen ist es natürlich Begabung.

Nicht nur in direkten sexistischen Äußerungen, sondern auch im unbewussten Verhalten der Lehrer lässt sich ein Ungleichgewicht erkennen. Eine Studie der Lehrerin Dale Spender kam zu dem Ergebnis, dass Lehrer_innen ihre Aufmerksamkeit zu 85% den männlichen Schülern schenken, selbst, wenn mehr Mädchen in der Klasse sind. Auch unterbrechen Jungen Mädchen häufiger, als es andersherum der Fall ist. Wie auch außerhalb der Schule haben Männer einen sehr viel größeren Anteil an Diskussionen als Frauen. Auch schätzen sie die Verteilung des Gespräches ganz anders ein. Eine australische Studie kam zu dem Ergebnis, dass Männer die Diskussion als ausgeglichen wahrnahmen, wenn Frauen 15% der Zeit redeten. Als von Frauen dominiert sahen sie sie hingegen, wenn der weibliche Anteil an der Diskussion (gemessen sowohl an Wortzahl, als auch an Länge der Beiträge) bei nur 30% lag. In der Schule wird Mädchen so schon früh beigebracht, in Diskussionen lieber zu schweigen und eigene Meinungen nicht zu äußern.

Der Kampf gegen Sexismus an der Schule ist nicht leicht. Konfrontiert man Lehrer_innen mit ihren frauenfeindlichen Äußerungen, wird man schnell als die abgestempelt, die „immer diskutieren will“. Auch riskiert man, schlechtere Noten zu kriegen und im Unterricht ignoriert zu werden, weil der/die Lehrer_in Angst vor kritischen Äußerungen hat. Es ist möglich, gegen den/die Lehrer_in Beschwerde bei der Schulleitung oder dem Schulamt einzureichen, doch hat man in diesem Fall kein Recht, die Stunden des Faches in einem anderen Kurs zu besuchen. Das hat zur Folge, dass man Inhalte verpasst und danach wahrscheinlich nur noch mehr von dem/der betreffenden Lehrer_in gepiesackt wird.

Es ist notwendig, in Schule Strukturen von Schüler_innen zu schaffen, in denen sie Fälle von sexueller, und auch anderer, Diskriminierung thematisieren können. Außerdem muss die Forderung nach von Schüler_innen und Arbeiter_innen festgelegten Lehrplänen mit geschlechterkritischen Inhalten aufgestellt werden. Wir treten für die Schaffung einer Schüler_innen- und Student_innengewerkschaft ein, die Jugendlichen das effektive Eintreten für ihre Interessen ermöglicht.

Ein Artikel von Katherina Singh und Madita Engström, erschienen in der gemeinsamen Frauenzeitung von Arbeitermacht/REVOLUTION, März 2014




Frauen in der Oktoberrevolution

… denn sie haben so vieles zu gewinnen!

Das Bild, das uns in den Kopf kommt, wenn wir an die Russische Revolution denken, ist sehr männlich geprägt. Das bedeutet aber nicht, dass keine Frauen an der Revolution teilgenommen haben. Im Gegenteil: Zu Kriegsbeginn war rund die Hälfte des russischen Industrieproletariats weiblich und die Arbeiterinnen von Wyborg, einem Stadtteil von Petrograd, waren es, die im Februar 1914 zum Streik aufriefen und sich die Unterstützung der Soldaten versichern ließen, als alle anderen noch zögerten. Trotzdem denken wir zuerst an Lenin und Trotzki, wenn wir von der Führung der Bolschewiki reden. Aber gerade, weil der erste Streik gegen die provisorische Regierung 1917 bei Wäscherei-Arbeiterinnen stattfand und die Frauen am entschlossensten für den 8-Stunden-Tag kämpften, wollen wir uns in einem Artikel den Bolschewistinnen zuwenden, die sonst oft unbeachtet bleiben.

Doch, wie ein Zeitgenosse sagte: „Sind die Frauen erst einmal für die revolutionäre Partei gewonnen, werden sie die tapfersten und militantesten Kämpferinnen sein, da sie so vieles zu gewinnen haben.“

Zuerst sollte man Russland im globalen Zusammenhang betrachten. In einem Land, das wirtschaftlich sehr rückschrittlich war und das bis dato von einer Monarchie regiert wurde, war Gleichstellung der Geschlechter selbst in den kühnsten Träumen kein Thema. Nach dem Ausbruch der Revolution kämpften Frauen im Bürgerkrieg Seite an Seite mit den Männern, betrieben politische Agitation und hatten in allen Gremien Mitspracherecht. In anderen Ländern erhofften sich Frauen zu dieser Zeit  noch das bürgerliche Wahlrecht.

Die soziale Struktur innerhalb der weiblichen Bolschewiki unterschied sich jedoch von jener der Männer. Sie kamen hauptsächlich aus mittleren und oberen Schichten, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich anschaut, wie viel Zeit eine Bäuerin gehabt hätte, sich nach getaner Arbeit politisch zu schulen und in einer Organisation aktiv zu werden.

Obwohl von staatlicher Seite immer wieder versucht wurde, gerade Bäuerinnen und Proletarierinnen von der „Männersache“ Politik auszuschließen, schlossen sich zunehmend mehr Frauen unterschiedlichen Organisationen wie den SozialrevolutionärInnen, den Menschewiki und den AnarchistInnen an. Die meisten  gingen jedoch zu Lenins Bolschewiki, wo ihr Beitritt sehr begrüßt wurde. Frauenunterdrückung wurde in allen Klassen wahrgenommen und als Problem angesehen, das immer mehr an Konfliktpotential gewann. Die Frauen waren in jeder Hinsicht an die Männer gebunden, u.a. weil sie sich nicht scheiden lassen durften.

Die politischen Strömungen, die sich daraus entwickeln, sind ähnlich unterschiedlich wie heutzutage, aber in Russland waren sie deutlicher und offensichtlicher voneinander abzugrenzen. Die liberalen FeministInnen forderten Reformen von der Regierung, um sich dem Standard der westlicheren Frauenrechte anzupassen und eine kleine Verbesserung zu ermöglichen. Sie wollten aber nicht den Kapitalismus stürzen und weigerten sich auch, das Problem der Frauenunterdrückung als eine Klassenfrage zu begreifen. Ihre Forderungen richteten sich primär auf Verbesserungen für Frauen aus der Mittelklasse.

BolschewistInnen hingegen erkannten diesen Feminismus als eine bürgerliche Ideologie und argumentierten, dass er das wesentlichste aller Probleme, das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln, nicht beachtet.

Um zu verstehen, warum die Bolschewiki so eine große Anziehungskraft auf die Frauen ausübten, muss man ihre politische Positionierung zu dem Thema betrachten, deren Ursprünge bei Marx und Engels und deren Forschungen u.a. zur bürgerlichen Familie liegen. Dem zu Grunde liegt die Feststellung, dass die Familie kein naturgegebenes Phänomen, sondern eine an die Produktionsprozesse angepasste Struktur ist. Für viele Frauen war es eine logische Schlussfolgerung, die Aufteilung und Vergesellschaftung der Hausarbeit zu fordern, und zwar nicht erst nach der Revolution, sondern schon als Vorbedingung, um überhaupt Frauen in die politische Arbeit zur Vorbereitung einer Revolution einbeziehen zu können. Diese Forderung nach Unabhängigkeit der Frauen von Männern sind ist ein zentrales Element des Marxismus.

Alle bekannten Bolschewistinnen schildern ihren Weg in die Organisation in ähnlicher Weise. Nachdem sie erfahren mussten, was Frauenunterdrückung bedeutet, kamen sie zur revolutionären Bewegung, informierten sich und wurden dann Mitglied. Doch Vorsicht: Solche Darstellungen sind auch oft stalinistisch geschönt, denn es war nicht für jede Frau so einfach, den Bolschewiki beizutreten und mit ihnen politisch aktiv zu werden – nicht zuletzt, weil auch in der Partei nicht alle Vorbehalte gegenüber Frauen von vornherein ausgeräumt waren.

Die Phase der wirklichen Gleichberechtigung von Frauen war leider nur sehr kurz. Je größer Stalins Einfluss wurde, desto weniger aktiv waren die Frauen in den Ortsgruppen, da ihnen aufs Neue die Hausarbeit und die Kindererziehung zugeschrieben wurde. Dies geschah jedoch auf subtile Weise, denn nach außen wurde es sehr begrüßt, wenn Frauen auch in Fabriken arbeiten gingen. Aber die finanziellen Mittel für öffentliche Kinderbetreuung wurden fortlaufend gekürzt, so dass die Frau am Ende nur doppelt belastet war. Ebenso wie die Arbeiter auf perverse Weise heroisiert wurden, geschah dasselbe mit den Frauen in ihrer Rolle als Mütter, die für den Nachwuchs der Sowjetunion sorgten. Viele Errungenschaften für Frauen wurden unter Stalin wieder zurückgedreht.

Ungefähr ein Drittel aller Bolschewistinnen wurde durch Verwandte politisch geprägt, Alexandra Kollontai bekam beispielsweise mit, wie ihre Brüder, die in der Opposition waren, schikaniert wurden. Letztendlich nahmen aber die alltäglichen Situationen zu, welche die Frauen politisierten, denn die Schlangen, in denen man auf Brot wartete, wurden länger und die Polizei wurde rabiater, wenn sie Demonstrationen verhindern sollte.

Doch je aktiver eine Frau wurde, desto größer wurde die Gefahr der Repression gegen die eigene Familie, so dass einige Frauen, wie z.B. Vera Karavaikova, den Kontakt komplett abbrachen, bevor sie in den Untergrund gingen, oder ihre Ehemänner verließen, wenn sie nicht politisch mit ihnen übereinstimmten.

Das Leben innerhalb der Organisation entwickelte sich in immer größer werdendem Gegensatz zum Rest der Gesellschaft, in der es keine Selbstverständlichkeit war, dass Männer und Frauen zusammen arbeiteten, die Partei hätte es sich zudem auch nicht leisten können, Mitglieder auf Grund ihres Geschlechts auszuschließen.

Es wurde relativ schnell klar, dass eine reine Negation des Geschlechterverhältnisses  keinen Fortschritt bringen würde, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Thema  „Frauenunterdrückung“ tiefgreifender sein muss. So wurden zuerst Treffen nur für Frauen organisiert, bei denen nicht nur über Politik gesprochen wurde, sondern die auch kulturelle Angebote machten. Sie wandten sich an die Textilarbeiterinnen, an alle unorganisierten Proletarierinnen und begannen mit dem Aufbau von Gewerkschaften für Hausangestellte.

Ab 1914 wurde dann die Zeitung „Rabotniza“ (Arbeiterin) veröffentlicht, die sofort großen Anklang fand und von der bolschewistischen Partei finanziert wurde. Eines der ersten Themen war der Internationale Frauentag 1914, jedoch wurden nicht mehr als sieben Ausgaben veröffentlicht, da die Polizei die Redaktionsmitglieder verhaftete.

Das Verbot der Zeitung zeigte, dass offensichtlich von organisierten Frauen mit politischem Bewusstsein und klaren Forderungen eine große Kraft ausgehen kann, die man unterbinden wollte. Es wird daran auch deutlich, dass Schulung und Emanzipierung der Frauen auch in ausschließlich weiblichen Kollektiven gut und notwendig ist, die Revolution insgesamt aber nur erfolgreich sein kann, wenn Männer und Frauen gemeinsam kämpfen. Gebildete Frauen können Anführerinnen in politischen Aktionen sein und die gemeinsamen Kämpfe mit den Männern anleiten. Ignoriert man die Frauen jedoch, verstärkt man damit die Gefahr, den Kampf zu spalten und die Konkurrenz untereinander zu verstärken.

Dass dieses Konzept der gemeinsamen politischen Aktivität funktioniert, lässt sich daran ersehen, dass Frauen in alle Vorbereitungen zur Oktoberrevolution involviert waren.

Die Beschlüsse, die 1918 bezügliche Ehe, Familie und Vormundschaft getroffen wurden, sind vermutlich die fortschrittlichsten, die die Welt je gesehen hat. Die Abtreibung wurde legalisiert, Ehen konnten viel leichter geschlossen und wieder geschieden werden, wobei beide Ehepartner gleichberechtigt waren. Außerdem wurde Adoption stark kritisiert, weil man die Ausnutzung der Kinder als billige Arbeitskräfte befürchtete.

Doch auch die Frauenpolitik blieb nicht von der stalinistischen Bürokratie verschont. Die Umgestaltung der Partei 1924 benachteiligte nicht nur die, die offene Kritik äußern wollten, um Fortschritte zu erzielen, sondern es waren auf einmal auch weniger Frauen, die Posten bekleideten. Man erklärte die Befreiung der Frau für bereits abgeschlossen und sah deshalb keine Notwendigkeit mehr für Einrichtungen, die nur für Frauen bestimmt waren. Es ging sogar soweit, dass es besondere Straftatbestände  gab, die nur Frauen begehen konnten, wie Teil einer Familie zu sein, die „ein Feind des Volkes“ ist. Trotzki meinte daher, dass die Bürokratie es geschafft habe, den reaktionärsten Kern der Klassengesellschaft wieder herzustellen: die bürgerliche Familie.

Das Schicksal der Frauen, die gegen den Stalinismus
ankämpften, ähnelte dem ihrer männlichen Genossen. Ewgenia Bosch nahm sich 1925 das Leben, als sie sah, wie sich die Dinge entwickelten. Andere, wie Kollontai, Krupskaja und Stassowa, lernten, sich zu arrangieren.

Die politischen Leistungen der Bolschewistinnen sind heute weniger präsent, als sie es sein sollten. Doch es ist unsere Aufgabe, aus ihrer Geschichte zu lernen, ihre Methoden zu studieren, ihren doppelten Kampf gegen Unterdrückung in der Gesellschaft und manchmal auch durch die Männer in der eigenen Organisation. Aber wir sollten uns auch bewusst sein, dass die Revolution die gemeinsame Sache beider Geschlechter sein muss, während gleichzeitig Frauen immer das Recht auf eigene Treffen ohne Männer haben müssen, um ihnen besondere Möglichkeiten für politische Schulung zu geben und damit den ersten Schritt zur Gleichberechtigung von Mann und Frau zu gehen. Entscheidend für den wichtigen Beitrag des Bloschewismus – wie des Marxismus überhaupt – im Kampf für die Frauenbefreiung war dabei letztlich nicht die innere Verfasstheit der Organisation.

Vielmehr ist es die Tatsache, dass sie einen aktiven, revolutionären Zugang zum Kampf der Frauen wie aller anderen Unterdrückten hatte, dass der Standpunkt, das Handeln einer Organisation überhaupt nur als revolutionär betrachtet werden kann, wenn sie alle Formen der Unterdrückung der Klassengesellschaft bekämpft und in einem System von Übergangsforderungen zusammenfasst, die einen Weg zum Sturz des Kapitalismus weisen.

Svenja Spunck, zuerst erschienen in: Frauenzeitung Arbeitermacht/Revolution, März 2014




Frauen in Ägypten – Eine halbe Revolution bringt keine Befreiung

Eine Umfrage der Thomson Reuters Foundation vom November 2013 setzte Ägypten in einem Ranking zu den Lebensbedingungen von Frauen in der arabischen Welt auf den letzten Platz. Die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, drückt sich auf verschiedene Weise aus: 91% aller Frauen wurden einer Genitalverstümmelung unterzogen, 99,3% erlebten in ihrem Leben sexuelle Belästigung und 37% sind Analphabetinnen und dadurch auf dem Arbeitsmarkt extrem benachteiligt.

Diese Zahlen stammen von der Zeit nach der Revolution und haben sich seit dem Frühjahr 2011 zunehmend verschlechtert. Obwohl die Frauen damals in der ersten Reihe standen und gegen den Diktator kämpften, fürchten sie heute den Tahrir-Platz, auf dem es immer wieder zu Massenvergewaltigungen kommt.

Die ägyptische Kolumnistin Mona Eltahawy sagte, man habe zwar den Mubarak aus dem Präsidentenpalast verjagt, aber gegen den Mubarak in den Köpfen und im Schlafzimmer müsse man noch kämpfen.

Die „tahrirbodyguards“ ist eine Selbstverteidigungsgruppe, die sich mit dem Ziel gegründet hat, Frauen vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Das ist ein guter Anfang, die Gesetzeslage begünstigt aber nach wie vor die Täter. Sie müssen nämlich keine Bestrafung befürchten und die Polizei und das Militär wenden ganz ähnliche Methoden an, um Frauen aus der politischen Aktivität zu vertreiben. DemonstrantInnen werden beispielsweise nach der Festnahme einem „Jungfräulichkeitstest“ unterzogen, das heißt ausgezogen und nackt gefilmt.

Was bedeutet das für die ägyptische Revolution und für den arabischen Frühling?

Die Frauenbefreiung ist offensichtlich nicht voran geschritten. Trotzdem sollte man auch davor warnen, die Rechte, die Frauen zu Mubaraks Zeiten hatten, zu loben, denn sie entstanden nicht aus einer proletarischen Frauenbewegung, sondern waren Privilegien, die den reichen, bürgerlichen Frauen durch Suzanne Mubarak, Husni Mubaraks Frau, zugesprochen wurden, wobei sie dies eher als ein Hobby betrachtete.

Für die Masse der Frauen – z.B. die ArbeiterInnen in der Textilindustrie – gab es auch damals keine Gleichberechtigung, keine Möglichkeit zur legalen Teilnahme am politischen Leben und ihre Organisationen, wie z.B. die unabhängigen Gewerkschaften, wurden brutal unterdrückt.

Permanente Revolution

Die Monate der Revolution versetzten das ganze Land in einen Ausnahmezustand und ließen die Einigkeit der Mubarak-Gegner an erste Stelle rücken. Damals war es egal, ob man als Mann oder als Frau kämpfte, Hauptsache man war dabei. Die streikenden TextilarbeiterInnen von Mahalla waren 2008 VorbotInnen und treibende Kräfte der Revolution, doch unter dem Islamisten Mursi bekamen die Frauen keine Möglichkeiten der politischen Organisation und auch ihre soziale Stellung verbesserte sich nicht.

Dass der Übergangspräsident Adli Mahmud Mansur, der schon zu Mubaraks Zeiten stellvertretender Vorsitzender des Gerichts war, an dieser Lage nichts ändert, steht außer Frage.

Die Revolution in Ägypten hat die Frage der Frauenbefreiung auf die Tagesordnung gesetzt. Millionen haben sich politisch beteiligt und wurden aktiv. Wie auf allen anderen Gebieten blieb die Revolution jedoch auf halbem Weg stecken, weil sie im Rahmen bürgerlicher Eigentumsverhältnisse verblieb. Der alte Staatsapparat und die reaktionären Institutionen blieben intakt.

Eine „halbe“ Revolution droht aber in einer ganzen Konterrevolution zu enden und Frauen sind unter den ersten Opfern ihres Fortschreitens.

Nur wenn es gelingt, den Vormarsch der Reaktion auf allen Ebenen zu begegnen und die halbe, „demokratische“ Revolution zu einer sozialistischen zu machen, werden auch die Forderungen nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau erfüllt werden.

Linke und revolutionäre Organisationen sowie die Gewerkschaften müssen daher den Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen, für Alphabetisierung, gleiche Bildung und Bezahlung und für die Vergesellschaftung der Hausarbeit zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Der Kampf gegen Sexismus und Benachteiligung der Frauen muss dabei auch in den eigenen Reihen geführt werden, denn nur so kann eine wirkliche Einheit von Männern und Frauen im Kampf für ihre Befreiung erzielt werden. Dazu ist auch ein politisches Instrument notwendig: eine proletarische Frauenbewegung.

Ein Artikel von Svenja Spunck, zuerst veröffentlich in der Frauenzeitung von Arbeitermacht und REVOLUTION, März 2014