Gewalt gegen Frauen bekämpfen – Ursachen abschaffen!

Veronika Schulz, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9,
März 2021

Dass während der Corona-Pandemie häusliche und sexualisierte
Gewalt gegen Frauen drastisch angestiegen ist, wird mittlerweile
allgemein anerkannt. Eine Studie der UN-Frauenorganisation (Einheit
der Vereinten Nationen für Gleichstellung und Ermächtigung der
Frauen, kurz: UN Frauen; United Nations Entity for Gender Equality
and the Empowerment of Women, UN Women) verweist auf eine Zunahme der
Hilferufe bei nationalen Hotlines von 25–30 %.

Das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen und Mädchen war schon vor der
Pandemie erschreckend. Nach internationalen Studien wird jede dritte
Frau mindestens einmal geschlagen, vergewaltigt oder ist auf andere
Weise Gewalt ausgesetzt.

Naturgemäß sind diese Zahlen Indikatoren und Schätzungen, weil
ein großer Teil der erfahrenen Gewalt nie öffentlich gemacht wird.
Schon vor Corona fand Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor allem im
engsten Umfeld, im Heim und der Familie statt, die oft als Orte der
Geborgenheit und des Schutzes idealisiert werden. Häusliche Gewalt
gegen Frauen bildete also schon in den letzten Jahren deren häufigste
Form – und das in vielen Ländern (darunter auch in Deutschland)
mit einer steigenden Tendenz.

Der weitere dramatische Anstieg im letzten Jahr wird oft mit der
räumlichen Nähe und Enge sowie größerem Stress durch Homeoffice
und soziale Isolation begründet. Offensichtlich hat die Pandemie den
Fokus auf diese privateste aller Sphären richten müssen, um zu
verdeutlichen, dass die Wohnung allzu oft keinen Schutzraum für
Frauen (und Kinder), sondern für den Täter darstellt, der
Gewaltverbrechen vor der Öffentlichkeit verbirgt.

Dennoch bleibt die Frage: Ist Gewalt gegen Frauen ein Phänomen,
das mit einer prekärer werdenden Situation zunimmt und somit
ökonomische, sicherlich auch psychologische Gründe hat? Oder ist
sie per se mit Männlichkeit verbunden und in deren Natur angelegt?
Wie hängt Gewalt gegen Frauen mit Kapitalismus, Ausbeutung und
systematischer Unterdrückung zusammen?

Diesen Fragen wollen wir uns im folgenden Artikel widmen, weil
davon auch abhängt, welche Politik, welches Programm zur Bekämpfung
dieser Gewalt und ihrer Ursachen notwendig ist.

Gewalttätigkeit des Mannes: genetisch bedingt?

Unterdrückung von und Gewalt gegen Frauen hat aus
radikal-feministischer Sicht ihre Grundlage oftmals in Faktoren wie
der Rolle der Frau bei der Reproduktion auf der einen und dem Wesen
des Mannes bzw. der Frau auf der anderen Seite. Essentialistische
Argumente, wonach Männer „aggressiver“ sind und „ihre Dominanz
ausnutzen“, blenden soziale Gegebenheiten zugunsten biologischer
nahezu vollständig aus. Einige gehen sogar so weit, Frauen und
Männer als eigenständige Klassen anzusehen, losgelöst von ihrer
Stellung im Produktionsprozess oder ihrem Zugang zu
Produktionsmitteln.

Die deterministische Perspektive, wonach Männer „von Natur aus“
zu Gewalt neigen und aggressives Handeln im männlichen Geschlecht
verwurzelt ist, lehnen wir als Marxist_Innen aus verschiedenen
Gründen ab. Wenn dem so wäre, hätten wir es mit biologischen
Konstanten zu tun. Unabhängig von allen äußeren Umständen und
somit sozialen Gegebenheiten würden Männer zu allen Zeiten der
Geschichte per Geburt den Hang zu Gewaltbereitschaft in sich tragen,
im vermeintlichen Gegensatz zur „weiblichen Natur“. Ein Ende des
Geschlechterkampfes wäre, folgt man diesem Denkschema in aller
Konsequenz, schwer möglich, da die gegebene „männliche Natur“
unveränderbar wäre.

Janet Sayer widerlegt solche und ähnliche Annahmen in ihrem Buch
„Biological Politics. Feminist and Anti-Feminist Perspectives“.
Schon die simple Tatsache, dass durch die Mechanisierung körperliche
Kraft eine geringere Rolle im Produktionsprozess spielte,
verdeutlicht, dass „natürliche“ Kraftunterschiede spätestens
seit der Industrialisierung nicht mehr als (alleiniges/primäres)
Argument für die althergebrachte Arbeitsteilung, anhaltende
Unterdrückung und Gewaltausübung gegen Frauen herangezogen werden
können.

Rezepte des liberalen Feminismus

Am einfachsten wird die Unzulänglichkeit der Argumentation des
liberalen Feminismus offenbar: persönliche Freiheit und rechtliche
Gleichstellung würden gewissermaßen automatisch zur Emanzipation
der Frau führen. Abgesehen von bis heute geführten Debatten um
Frauenquoten, die sich oft nur auf eine Minderheit ohnehin
privilegierter Vorstandsposten beziehen, hat sich die liberale
Gleichheitsillusion nicht bestätigt. Dennoch lohnt ein Blick auf das
Argumentationsmuster liberaler Feminist_Innen.

Anders als der biologisch-deterministische Ansatz radikaler
Feminist_Innen vertritt der liberale Feminismus, wie Sayers
hervorbebt, vorrangig die Sichtweise, dass die geschlechtliche
Unterdrückung ein Hindernis für den freien Markt und dessen
Entfaltung darstellt. Dieser Aspekt kann nicht genug betont und
ebenso kritisiert werden: Es geht bei dieser Idee weder um die
Befreiung der Frau als Selbstzweck oder
humanistisch-emanzipatorischen Akt, sondern vor allem um das
„Funktionieren“ der Ökonomie und die rein formelle Gleichheit.
Liberaler Feminismus kann nicht erklären, weshalb trotz formell
verankerter Gleichberechtigung der Geschlechter in den Verfassungen
„liberaler“ Demokratien Ungleichheit weiterhin existiert, Gender
Pay Gap, Teilzeitfalle und „Gläserne Decke“ seien hier nur als
Schlagworte genannt.

Idealismus, Strukturalismus und historischer Materialismus

Die Mehrzahl feministischer Theorien ist entweder
strukturalistisch (Männer sind unabänderlich gewalttätig) oder
idealistisch (der Wille der Männer stiftet allein Geschichte), führt
somit zu einem „umgekehrten“ Geschlechterkampf. Darüber hinaus
sind diese Ansätze allesamt ungeschichtlich, d. h. sie lassen
außer Acht, dass Frauenunterdrückung und Gewalt gegen Frauen ein
Resultat menschlicher Geschichte, also menschengemacht sind.

Frauenunterdrückung ebenso wie jedwede soziale Unterdrückung
muss geschichtlich erklärt werden. Als Marxist_Innen orientieren wir
uns bei der Analyse an einer Geschichtsschreibung,  die
ausgehend vom grundlegenden Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur,
der Arbeit und der von ihr eingegangenen Gesellschaftsverhältnisse
die Gesamtheit aller Gesellschaftsbeziehungen untersucht
(Totalitätsverständnis). Diesem Verständnis gemäß ist die
Geschichte nicht nur die von Staaten und Politik, nicht nur die
„großer Männer“ und ihres Willens, ihrer
Charaktereigenschaften, sondern aller Gesellschaftsmitglieder, v. a.
der arbeitenden Klassen, der Frauen, Jugendlichen und Kinder.

Marxistische Erklärung

Wir als Marxist_Innen können Phänomene wie Gender Pay Gap
erklären, was liberaler und radikaler Feminismus nicht können: Sie
liegen darin begründet, dass Frauen und Männer dem
Produktionsprozess verschiedenartig ausgesetzt sind. Frauen sind
aufgrund Jahrtausende währender geschlechtlicher Arbeitsteilung seit
Beginn der Sesshaftigkeit, die die Voraussetzungen für den Übergang
zur Klassengesellschaft im Ackerbau schuf (neben der auch
nomadisierend betriebenen Viehzucht, die von Beginn an eine männliche
Domäne war), ans Haus gefesselt.

Damit konzentrieren sie sich auf den inneren Kern der Reproduktion
des unmittelbaren Lebens (Kindererziehung, Hausarbeit für den
privaten Bedarf der einzelnen Familien), während Männer den
„Gesellschaft stiftenden“ Teil der Arbeit (Hofarbeit als
wesentliche Quelle des Mehrprodukts, der Revenue für die jeweils
ausbeutenden Klassen, Handel, Handwerk – also gesellschaftliche
Tauschoperationen bedingende Tätigkeiten) überwiegend verrichten.
Innerhalb der Lohnarbeiter_Innenfamilie, in der die Urproduktion
eigener Lebensmittel mangels Besitz an Grund und Boden weitestgehend
weggefallen ist, fehlt sogar jeglicher Produktionsanteil der
proletarischen Hausfrau im eigenen Zuhause. Sie ist „nur“ noch
für die unentlohnte Subsistenzreproduktion und den darüber
vermittelten Anteil an der (Wieder-)Herstellung der Ware Arbeitskraft
verantwortlich.

Ihre Diskriminierung in einer Gesellschaft wie der bürgerlichen,
die nur die Produktion von (mehr) Geld und v. a. Kapital als
sozial wertvoll im wahrsten Sinne des Wortes anerkennt, ist also noch
umfassender als in vorkapitalistischen Klassengesellschaften. Ihre
Arbeitskraft gilt nicht nur als quantitativ geringer, sondern
qualitativ: sie schöpft keinen Tauschwert. Bei der Proletarierin im
Produktionsprozess wirkt sich zusätzlich die geschichtlich ererbte
und ans Wertgesetz angepasste geschlechtliche Arbeitsteilung als
strukturell ungleicher Lohn aus.

Bürgerliche Demokratie schafft unterdrückerische
Spaltungslinien nicht ab

Auch in Gesellschaften mit bürgerlicher Demokratie und formaler
Gleichstellung der Geschlechter stößt diese Gleichheit in der
kapitalistischen Produktionsweise und der damit einhergehenden
Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse an ihre Grenzen.

Der Kapitalismus profitiert von einer zementierten Ungleichheit
der Geschlechter wie auch von der Konkurrenz entlang weiterer
Spaltungslinien: Jung gegen Alt, Stadt- gegen Landbevölkerung, Volk
und Nation gegen Migrant_Innen, um nur einige zu nennen. Der Fokus
auf immer nur einen dieser Teilaspekte bzw. eine Spaltungslinie
verschleiert die eigentlichen Klassenwidersprüche, deren Dynamiken
die jeweiligen Geschichtsepochen prägen. Schon bei oberflächlicher
Betrachtung zeigt sich, dass eben nicht alle, d. h. nicht alle
Frauen, gleichermaßen von Gewalt betroffen sind. Bestimmte Formen
von (sexualisierter) Gewalt treffen hauptsächlich oder besonders
stark Frauen aus der Arbeiter_Innenklasse oder der
Bauern-/Bäuerinnenschaft – und hier wiederum aus den unteren
Schichten: z. B. Frauenhandel, Zwangsprostitution, systematische
Gewalt von kriminellen Banden in Slums und Armenvierteln,
Vergewaltigungen und Gewalt als Mittel in (Bürger-)Kriegen. Hinzu
kommt, dass die ökonomische Abhängigkeit der Frauen aus der
Arbeiter_Innenklasse, aber auch aus Teilen des Kleinbürger_Innentums
von ihren Männern viel größer ist – nicht, weil die Männer
schlechter als jene der Bourgeoisie wären, sondern aufgrund ihrer
Klassenlage.

Es handelt sich also auch bei diesem Themenkomplex um eine
Klassenfrage, die nicht isoliert vom Gesamtsystem betrachtet werden
darf. Der Kapitalismus ist für uns Marxist_Innen nicht nur ein
Produktionssystem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Seine Logik
wirkt in alle Lebensbereiche, prägt unser Denken und Handeln und
formt unsere Gesellschaft demnach auch abseits des Arbeitsplatzes
mehr, als uns oftmals bewusst ist.

Soziale Unterdrückung und Ideologie

Der Kampf gegen Gewalt muss sich gegen die Ursachen der
Unterdrückung wenden. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Rolle
von Ideologie, die den Fortbestand der kapitalistischen Gesamtordnung
sichert. Gemeinhin werden die gegebenen gesellschaftlichen
Verhältnisse – auch von den Ausgebeuteten – als legitim
erachtet. Opfer und Täter werden individualisiert, was dazu führt,
dass selbst bei konkreten Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen
kein organisiertes Handeln aus dem Kollektiv heraus erfolgt, sondern
Vereinzelung vorherrscht. Allein das erschwert schon das Erstatten
einer Anzeige enorm. So individualisiert der Untersuchungs- und
Rechtsprechungsprozess durch bürgerliche Polizei und Justiz die
Frauen und reproduziert strukturell die Ohnmachtserfahrung des
Opfers.

Aus marxistischer Sicht ist eine der Hauptursachen von
Frauenunterdrückung die dem Kapitalismus inhärente Trennung von
gesellschaftlicher Produktion und privater Haus- und Sorgearbeit.
Diese schafft neben schlechterer Position für Frauen auf dem
Arbeitsmarkt (s. o.) Abhängigkeiten – beispielsweise vom
Lebenspartner oder Ehemann.

Wesentlich zur Aufrechterhaltung der Unterdrückungsverhältnisse
tragen subtil wirkende gesellschaftliche Mechanismen bei wie z. B.
geschlechtsspezifische Sozialisierung und damit die Reproduktion
stereotyper Verhaltensweisen. Es sind eben keine natürlichen
Vorprägungen, die automatisch für geschlechtliche Unterdrückung
verantwortlich sind. Physische Gewalt ist dabei „nur“ ein Extrem,
die sichtbarste Spitze des Eisberges von (Frauen-)Unterdrückung.

Zunahme der Gewalt und Klassenkampf

Aber wie die Zahlen zeigen, handelt es sich um eine gigantische
„Spitze“. Die Zunahme von Gewalt gegen Frauen – auch im
öffentlichen Bereich – muss vor dem Hintergrund aktueller
gesellschaftlicher Entwicklungen verstanden werden, die die inneren
Spaltungen der Arbeiter_Innenklasse und die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung noch prekärer machen.

Die letzten Jahrzehnte waren hinsichtlich der Lage der Frauen im
Berufsleben durch eine widersprüchlichen Entwicklung geprägt.
Einerseits wurden öffentlich organisierte Teile der
Reproduktionsarbeit zurückgefahren oder privatisiert (und damit
verteuert), andererseits nahm aber die Zahl der erwerbstätigen
Frauen, wenn auch oft in Teilzeitstellen, zu – in manchen
halbkolonialen Ländern wie z. B. Indien sogar in einem sehr
großen Ausmaß. Frauen leisten also nicht nur den größten Teil der
privaten Hausarbeit, auch ihr Anteil an der gesamten Lohnarbeit
steigt.

Dies unterminiert die bestehende Arbeitsteilung. Vor dem
Hintergrund einer strukturellen Krise des Kapitalismus und erst recht
der Verheerung durch die Pandemie bringt diese Entwicklung die Kräfte
der Reaktion auf verschiedene Weise auf den Plan, die sie als
angebliche „Feminisierung“ und einen imaginierten „Genderwahn“
brandmarken. Den aggressiven Antifeminismus des Rechtspopulismus
können wir dabei nur verstehen, wenn wir die Klassenlage des
Kleinbürger_Innentums und der von Deklassierung bedrohten
Mittelschichten in der Krise begreifen. Die Ausweitung von Lohnarbeit
der Frauen wird – obwohl zumeist auf schlechter entlohnte, prekäre
Arbeitsverhältnisse konzentriert und in den „besseren“ Berufen
noch immer krass unterpräsentiert – zur angeblichen „Förderung“
oder gar Bevorzugung von Frauen (und rassistisch Unterdrückten)
verkehrt. Die reale und durchaus berechtigte Abstiegsangst angesichts
verschärfter Konkurrenz und Krise wird nicht den kapitalistischen
Verhältnissen, sondern „den Frauen“ oder „den Minderheiten“
angelastet. Der Feminismus erscheint als Gefahr, die die hart
arbeitenden Männer in den Ruin treiben würde. Da die Führungen der
Arbeiter_Innenklasse zumeist eine passive, wenn nicht gar
chauvinistische Haltung gegenüber lohnabhängigen Frauen einnehmen,
können rechtspopulistische oder gar (halb-)faschistische Kräfte
auch rückständige Arbeiter_Innen für ihre reaktionäre Demagogie
gewinnen.

Die aktuelle Zunahme von Gewalt gegen Frauen muss auch in diesem
Kontext begriffen werden. Die in den letzten Jahren entstehenden
Frauen*streiks und die Bewegung Ni una menos, die in Argentinien
ihren Ausgang nahm, weisen dem Kampf gegen Femizide sowie Gewalt
gegen Frauen und sexuell Unterdrückte zu Recht eine zentrale Stelle
zu.

Dieser inkludiert notwendigerweise den Schutz vor den Tätern.
Dabei dürfen sich die Frauen nicht auf den bürgerlichen Staat
verlassen, sondern es müssen Selbstverteidigungsorgane gebildet
werden, die von der gesamten Arbeiter_Innenbewegung und der
Unterdrückten getragen werden.

Gegen häusliche Gewalt braucht es als direkte Maßnahme
öffentlich finanzierte, selbstverwaltete Frauenhäuser und
Beratungsangebote.

Eine weitere politische Forderung muss sich auf den
flächendeckenden Ausbau an Kinderbetreuungsangeboten beziehen, damit
Frauen eine Erwerbstätigkeit ermöglicht wird, deren Lohn zum Leben
reicht und nicht durch Teilzeit in Aufstockung und später
Altersarmut durch Mindestrente endet, was überproportional
Alleinerziehende trifft. Daran zeigt sich auch, mit welch
finanziellen Einbußen eine Trennung vom Partner oftmals verbunden
ist und warum viele Frauen trotz Gewalterfahrung in einer toxischen
Beziehung verharren.

In den Gewerkschaften, in den Betrieben wie auch in den
Wohnvierteln müssen Kampagnen und Beratungsstellen organisiert
werden, die sich gegen jede Form von männlichem Chauvinismus und
Gewalt gegen Frauen richten, die Opfer unterstützen und für eine
Verhaltens- und Bewusstseinsänderung der Männer wirken.

Damit eine solche Kampagne erfolgreich sein kann, darf sie nicht
nur als Frage individuellen Verhaltens begriffen werden, sondern auch
als eine des kollektiven Ringens gegen den Einfluss reaktionärer
Bewusstseins- und Verhaltensformen in der Arbeiter_Innenklasse.

Der Kampf gegen diese Gewalt muss daher verbunden werden mit dem
um gleiche Rechte, gleichen Lohn und Arbeitsbedingungen. Er muss
verbunden werden mit der Forderung nach Vergesellschaftung der
Reproduktionsarbeit, d. h. einer doppelten Überwindung der
Vereinzelung – sowohl der häuslichen Tätigkeiten als auch der
Gebundenheit der Frau an die (Klein-)Familie.

Zur Umsetzung dieser Forderungen müssen wir uns zusammenschließen
und eine proletarische Frauenbewegung aufbauen, die sich als Teil
einer neuen revolutionären Internationale sieht und für die
Befreiung aller Menschen eintritt.

Literaturquellen

Engels, Friedrich (1878): Gewaltstheorie, in: Herrn Eugen Dührings
Umwälzung der Wissenschaft. Online verfügbar unter
http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_136.htm

Sayers, Janet (1982): Biology and the Theories of contemporary
feminism, in: Biological Politics. Feminist and Anti-Feminist
Perspectives. Tavistock Publications: New York, S. 173–203.

Sayers, Janet (1982): Physical strength, aggression, and male
dominance, in: Biological Politics. Feminist and Anti-Feminist
Perspectives. Tavistock Publications: New York, S. 65–83.




Gewalt gegen Frauen in Bolsonaros Brasilien

Raquel Silva, Liga
Socialista/Brasilien
, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9,
März 2021

Der erste Jahrestag der Covid-19-Pandemie verging in Brasilien
ohne jegliche Feierlichkeiten. Tatsächlich gibt es in der aktuellen
Situation nichts zu feiern. Wie Studien ergeben, hat die soziale
Isolation, in der wir seit März 2020 leben, zu einem Anstieg der
Vorfälle an häuslicher Gewalt und Femiziden geführt. Im Oktober
2020 zeigten Erhebungen, dass in Brasilien zwischen März und August
497 Frauen getötet wurden. Das bedeutet, dass alle neun Stunden eine
Frau ermordet wurde. Die Bundesstaaten mit den höchsten Gewalt- und
Mordraten sind São Paulo, Minas Gerais und Bahia. Die von sieben
Journalistenteams durchgeführten Erhebungen weisen auf einen Anstieg
der Zahlen während der Pandemie hin. Sie verdeutlichen auch, dass
die niedrigen Zahlen gewaltbezogener Vorfälle in einigen
Bundesstaaten tatsächlich auf ihre Untererfassung zurückzuführen
sind. Die Daten zeigen, dass die Mehrheit der Opfer schwarze und arme
Frauen sind. In Minas Gerais zum Beispiel sind 61 % der Opfer
schwarze Frauen.

Indigene Frauen

Seit dem Putsch gegen Dilma Rousseff von der Partido dos
Trabalhadores (PT; Partei der Arbeiter_Innen) hat die Intensität der
Angriffe auf indigene Bevölkerungsgruppen stark zugenommen. Mit der
Zerstörung von Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen für indigene
Völker wie Fundação Nacional do Índio (FUNAI; wörtlich:
Nationale Stiftung des Indios) sind die Dörfer nun noch
verwundbarer. Indigene Gemeinden werden auch durch illegalen Bergbau,
Brände und Agrobusiness angegriffen. Zudem hat die Gewalt gegen ihre
Vertreter_Innen zugenommen. Mehrere ihrer Sprecher_Innen wurden in
den letzten Jahren getötet.

Daten über die Situation indigener Frauen fehlen generell. Einige
Berichte deuten jedoch darauf hin, dass sich ihre Situation
verschlechtert hat, da häusliche Gewalt und Vergewaltigungen in den
Dörfern während der Pandemie zugenommen haben. Illegaler Bergbau
führt zu einer Situation der Verwundbarkeit und Gewalt in den
indigenen Gemeinden. Wie eine/r der Anführer_Innen berichtet, führt
die Schwierigkeit, sich selbst zu erhalten und ihre/seine Kinder zu
ernähren, oft dazu, dass indigene Frauen der gleichen oder sogar
noch härteren Gewalt ausgesetzt sind als nicht-indigene Frauen der
Arbeiter_Innenklasse. Sie alle leiden unter einem Mangel an
finanzieller und anderer Unabhängigkeit, was sie anfälliger für
Verbrechen wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und in den
schlimmsten Fällen Femizid macht.

Zurücknahme von Errungenschaften

Wir sind uns bewusst, dass nicht erst die Regierung Bolsonaro
Gewalt gegen Frauen hervorgebracht hat. Der Kampf gegen Gewalt gegen
Frauen reicht Jahrzehnte zurück. Obwohl die Errungenschaften der
letzten 30 Jahre seit der Verfassung von 1988 unzureichend waren,
bedeuteten sie einen Schritt in die richtige Richtung, ebenso wie
alle anderen Fortschritte, die durch den Kampf sozialer Bewegungen
erreicht wurden.

Nach dem Putsch haben jedoch reaktionäre Sektoren, die mit der
Rechten und rechtsextremen evangelikalen Gruppen verbunden sind, die
die so genannte „Bibelbank“ (in den Parlamentskammern) bilden,
versucht, den Frauen ihre Rechte und Errungenschaften zu nehmen,
indem sie der großen Mehrheit der Frauen der Arbeiter_Innenklasse
ein reaktionäres und gewalttätiges Programm aufzwingen wollen. Dies
geht einher mit der kapitalistischen neoliberalen Agenda der Angriffe
auf die Rechte von Arbeiter_Innen. Zusätzlich zu Gesetzesänderungen,
die den Arbeiter_Innen verschiedene Rechte und Garantien entzogen
haben, ist der Angriff auf Frauen noch heftiger. Das liegt daran,
dass Frauen, ohnehin der Doppelbelastung von Lohn- und Hausarbeit
ausgesetzt, in der Arbeitswelt um ein Vielfaches mehr unter noch
niedrigeren Löhnen und verlängerten Arbeitszeiten leiden. Die
Rentenreform hat die Frauen der Arbeiter_Innenklasse noch stärker
getroffen, da sie nun mit einer Erhöhung der notwendigen
Lebensarbeitszeit konfrontiert sind, um länger in die Rentenkassen
einzuzahlen, wodurch der Rentenanspruch noch schwieriger zu erreichen
sein wird.

Die Regierung Bolsonaro hat bereits in ihrem ersten Amtsjahr 2019
die Mittel zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen drastisch gekürzt.
Sie schaffte das Sekretariat für Frauenpolitik ab und schuf
stattdessen das Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte
(das die LGBTQ+-Agenda ausschloss). Ein Ministerium, dessen
ideologische Agenda darin besteht, „Moral und gutes Benehmen“ zu
bewahren, hat sogar die begrenzten verfassungsmäßigen Rechte und
Garantien angegriffen wie z. B. den Zugang zur assistierten
Abtreibung in Fällen von Vergewaltigung, Lebensgefahr für die
Mutter oder Anenzephalie (schwere Missbildung des embryonalen bzw.
fötalen Gehirns).

Der reaktionäre Charakter der gegenwärtigen Regierung und derer,
die sie unterstützen, wurde vor allem durch die skandalöse
Behandlung eines 10-jährigen vergewaltigten Kindes im Juli 2020
entlarvt. Das Recht auf Abtreibung dieses Vergewaltigungsopfers wurde
in Frage gestellt, sein Name veröffentlicht und es erlitt ein
schweres psychologisches Trauma, da Extremist_Innen versuchten, eine
Abtreibung zu verhindern. Ministerin Damares Alves vom Ministerium
für Frauen, Familien und Menschenrechte, eine evangelikale Pastorin,
erließ zwei Gesetze, die den Zugang zur assistierten Abtreibung
erschweren und peinliche und restriktive Maßnahmen für weibliche
Vergewaltigungsopfer schufen.

Ele Nao! Nicht er!

Unter den Bedingungen der Pandemie 2020 wurden viele der Angriffe
der Regierung Bolsonaro auf Frauen und die LGBTQ+-Community massiv
spürbar, da die Mobilisierung schwieriger wurde. Doch schon während
des Präsidentschaftswahlkampfes 2018 ist klar geworden, dass uns im
Falle eines Sieges von Bolsonaro schwere Rückschläge bevorstehen
würden. Seine Aussagen als Parlamentarier zeigten bereits, dass die
Angriffe auf Frauen, Schwule, Schwarze und Indigene hart ausfallen
würden.

Bolsonaro widmete seine Stimmabgabe für Dilmas Amtsenthebung dem
Oberst Brilhante Ustra, der während der Militärdiktatur für die
Folterung inhaftierter linker, militanter Frauen verantwortlich war.
Dilma war eine von ihnen gewesen. Bolsonaro griff auch eine
PT-Abgeordnete in der Abgeordnetenkammer an und rief: ,,Ich würde
sie nicht vergewaltigen, weil sie es nicht verdient hat.“ In einer
anderen Kampagne machte er deutlich, dass er die Quilombola-Schwarzen
angreifen würde, womit er sich auf die Dörfer der Schwarzen bezog,
die aus der Sklaverei geflohen sind, um ein selbstbestimmtes Leben zu
führen. Ihr Kampf wird im rassistischen Narrativ mit Chaos
gleichgesetzt. Er drohte auch damit, die Linke und die sozialen
Bewegungen anzugreifen.

Im Angesicht dieser Drohungen wurde die Bewegung „Ele Nao!“
(Nicht er!) in den sozialen Medien populär, die eine beeindruckende
Demonstration gegen die Wahl Bolsonaros organisieren konnte. In einem
erbitterten Kampf gewann Bolsonaro die Wahl. Es war eine Wahl, die
von einer Politik des Hasses gegen die PT, dem Verbot der Kandidatur
Lulas und vielen Enthaltungen geprägt war.

In der neuen Regierung gingen Sparmaßnahmen gegen die
Arbeiter_Innen Hand in Hand mit der Weiterführung der konservativen
Agenda der rechtsextremen Evangelikalen. Die Frauenbewegung hat in
verschiedenen Kollektiven, die sich im ganzen Land ausbreiten,
versucht, diese Angriffe zu stoppen. Aber die aktuelle Situation
führte dazu, dass die Pandemie eine entmutigende Wirkung auf die
Bewegungen ausübte. Die soziale Isolation hat viele
Straßenbewegungen gelähmt. Viele Kollektive agieren virtuell,
andere gehen in extremen Fällen auf die Straße (wie im Fall des
vergewaltigten Mädchens, als Rechtsextremist_Innen versuchten, eine
Abtreibung zu verhindern und das Frauenkollektiv das Recht des
Mädchens wahrte, indem es die Extremist_Innen von der Krankenhaustür
vertrieb).

Die Linke und soziale Bewegungen

Generell finden Aktionen gegen die Angriffe der Regierung
Bolsonaro seit letztem Jahr über soziale Medien statt. Die soziale
Isolation schafft eine sehr starke Barriere gegen Aktionen. Die Angst
vor Ansteckung, aber auch die, als „Corona-Leugner_In“ wie
Bolsonaro zu erscheinen, hindert Bewegungen daran, außerhalb des
Internets zu agieren.

Bei den landesweiten Kommunalwahlen 2020 (in Brasilien finden sie
alle am selben Tag statt), bei denen Tausende von Stadträt_Innen und
Bürgermeister_Innen gewählt wurden, konzentrierte sich die Linke
oft auf Kandidaturen, die die Unterdrückten repräsentieren –
Frauen, Schwarze und Trans-Personen.

Die Webseite der Deutschen Welle Brasilien bewertet die Vielfalt
in Bezug auf Geschlecht, sexuelle und ethnische Identität bei den
Wahlen 2020 als Fortschritt. Der Anstieg der Kandidaturen von
Unterdrückten war höher als 2016. Von den 503 Trans-Kandidat_Innen
wurden 82 gewählt. In Hauptstädten wie Belo Horizonte (Minas
Gerais) und Aracaju (Sergipe) erhielten Trans-Kandidat_Innen die
meisten Stimmen. Die Zahl der Frauen im Allgemeinen sowie die Zahl
der schwarzen Frauen, die in gesetzgebende Ämter gewählt wurden,
hat ebenfalls zugenommen. In 18 Städten gibt es 16 % weibliche
Abgeordnete. Parteien wie Partido Socialismo e Liberdade (PSOL;
Partei für Sozialismus und Freiheit) und PT stellten die größte
Anzahl von Kandidat_Innen aus den sozial unterdrückten Schichten
auf, aber auch die konservativen und liberalen Mainstream-Parteien
erhöhen die Anzahl der Kandidaturen von Frauen und rassistisch
Unterdrückten. Kommentator_Innen führen diese Veränderung auf eine
Reaktion gegen die Wahl Bolsonaros und seine rechtsextreme Plattform
zurück. Sie sehen darin einen Versuch der Reorganisation von Teilen
der Linken, indem Kandidat_Innen der sozialen Bewegungen aufgewertet
werden. Darüber hinaus wird vielen Kandidat_Innen zugesprochen, dass
sie über die LGBTQ+- und Frauenagenda hinausgehen und sich auf
Fragen des Wohnungsbaus, der Bildung und Gesundheit der
Arbeiter_Innen zubewegen.

Verstärkte Polarisierung

Analyst_Innen weisen aber auch darauf hin, dass rechtsextreme
Kandidaturen zugenommen haben und es in den gesetzgebenden Kammern zu
vielen Auseinandersetzungen kommen wird.

Die Situation hat sich während der Pandemie für verschiedene
Schichten verschlechtert. Die Versäumnisse, vor allem nach der Krise
in Manaus (Amazonas), als Patient_Innen wegen Sauerstoffmangels zu
sterben begannen, sowie das Ende der Katastrophenhilfe, ein Anstieg
der Arbeitslosigkeit (allein die Schließung von Ford Brasilien
führte zum Verlust von 55.000 direkten und indirekten
Arbeitsplätzen), Korruptionsskandale und die Veruntreuung von
Geldern aus der Covid-Hilfe, beginnen die Regierung Bolsonaro immer
mehr zu zermürben. Angriffe auf die Presse haben Unzufriedenheit
erzeugt, sogar bei Teilen, die die PT angegriffen und Bolsonaro zum
Wahlsieg verholfen haben.

Viele harte Kämpfe liegen noch vor uns. Ohne Impfstoffe werden
die Kämpfe jeden Tag härter, besonders jetzt, wo wir mit einer sehr
starken zweiten Welle der Pandemie und der neuen Variante des Virus
konfrontiert sind. Die PT und PSOL, linke Parteien mit
parlamentarischer Vertretung, agieren zaghaft im Aufruf zu Protesten
auf der Straße, während sie sich darauf konzentrieren,
Unterstützung für „moderate“ Parteien im Rennen um die
Präsidentschaft des Bundeskongresses zu sammeln (obwohl diese
Parteien Teil des Putsches gegen die Linke waren!).

Gleichzeitig können wir aber auch Anzeichen für ein mögliches
Wiederaufleben von Massenmobilisierungen sehen. Die 8M
(Weltfrauenstreik) und Kollektive, die Teil des „World March of
Women“ (Weltfrauenmarsch) sind, nehmen an den aktuellen
Mobilisierungen gegen Bolsonaro teil, die in den „Carreatas“
(Autokorsos) der Gewerkschaften ihren Mittelpunkt haben. Dies sind
wichtige Schritte für die Frauenbewegung, sich mit den
Mobilisierungen und Kämpfen der Arbeiter_Innen zu verbinden.

Nieder mit Bolsonaro!

In diesem Zusammenhang sehen wir die Notwendigkeit, den Kampf mit
dem Aufbau einer Einheitsfront gegen die Regierung Bolsonaro, den
rechten Flügel und die Angriffe der Bosse voranzutreiben. Die
Bewegung müsste für drastische Maßnahmen zur Bekämpfung der
Pandemie und gegen die Versuche der Bosse, die Arbeiter_Innen für
die Krise zahlen zu lassen, kämpfen. Aber eine solche Einheit wird
nur erreicht werden, wenn der Kampf für die Rechte der Frauen, gegen
Gewalt im Haus und in der Öffentlichkeit und gegen Femizide ein
zentraler Teil dieser Auseinandersetzung wird, der die Frauen der
Arbeiter_Innenklasse an die Spitze der Frauenbewegung sowie des
breiteren Kampfes der Arbeiter_Innenbewegung gegen den
brasilianischen Kapitalismus bringt.

Versuche, eine Einheitsfront aufzubauen, sind bereits im Gange mit
der Autokorso-Kampagne, die Impfstoffe für alle und die
Amtsenthebung Bolsonaros fordert. Aber Autokorsos allein können
diese Ziele nicht erreichen. Wir müssen mehr Autokorsos und
Straßendemonstrationen organisieren, mit dem klaren Ziel, einen
Generalstreik auszurufen, der ein Ende der Regierung Bolsonaro
fordert.

Trotz der Untätigkeit der Führung der linken Parteien darf die
Einheitsfront niemals vor echten militanten Aktionen gegen die
Regierung zurückschrecken und muss die bewusstesten und
kämpferischsten Schichten der sozial Unterdrückten zusammen mit den
militanten Teilen der Gewerkschaftsbasis und der Linken einbeziehen.

  • Für einen Generalstreik!
  • Nieder mit Bolsonaro!
  • Für eine Regierung der Arbeiter_Innen und Bauern/Bäuerinnen!