Messerattacke auf Linksparteimitglied: Liebe ersetzt keine Gegenwehr

VON GEORG ISMAEL

Am Montag wurde Julian Kinzel, Mitglied des Schweriner Kreisvorstandes der LINKEN und Mitglied bei solid, Opfer einer Messerattacke in Wismar. Drei Faschisten schlugen ihn mit den Worten „schwule Kommunistensau“ nieder und stachen 17 mal auf den Aktivisten ein.

Dieser Mordanschlag reiht sich ein, in eine Welle von Angriffen. Neu sind nicht nur der schamlose Einsatz von Messern bis zu Schusswaffen, sondern auch deren gezielter Einsatz gegen bekannte Linke. Genährt durch die Erfolge der rassistischen Mobilisierungen des vergangenen Jahres und das beinahe folgenlose in Brand stecken von Flüchtlingsunterkünften, sowie angreifen von Geflüchteten, hat die Gewaltgelüste der Faschisten nicht besänftigt, sondern beflügelt.

Der Übergriff in Wismar ist kein erschreckendes Einzelbeispiel. Er ist der gnadenlose Vorgeschmack auf eine faschistische Bewegung, die sich stark genug fühlt, linke Aktivist_Innen und Arbeiter_Innenorganisationen gezielt, geplant und direkt anzugreifen.

Wir verurteilen den Angriff auf Julian Kinzel und mit ihm stellvertretend auf die Linkspartei, sowie solid aufs Schärfste. Wir wünschen Julian eine baldige Gesundung, auf das er sich nicht einschüchtern lasse, von den faschistischen Übergriffen.

Doch wir glauben auch, dass es einer kritischen Auseinandersetzung mit seinen Worten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bedarf, als er sagte „wir dürfen auf solche Attacken nicht mit Radikalisierung antworten. Unsere Antwort auf Hass muss Liebe, auf Dummheit Vernunft und auf Gewalt Solidarität sein. Somit ist Hass hier fehl am Platz. Lasst uns dieses Ereignis zum Anlass nehmen, solchen Ideologien durch mehr Menschlichkeit vorzubeugen. Nach meiner hoffentlich baldigen Gesundung werde ich dabei verstärkt mitwirken.“

Während man von persönlicher Größe sprechen könnte, nach einer derartigen Attacke derartiges zu sagen, muss eines klar festgehalten werden. Liebe, Vernunft und Solidarität sind wichtige und gute Eigenschaften, die sich eine linke Bewegung zu eigen machen sollte. Sie sind aber keine Mittel, um die faschistische Bewegung oder ganz praktisch eine scharfe Messerklinge zu stoppen.

1931 schrieb Kurt Tucholsky als Abschluss seines Gedichtes Rosen auf den Weg gestreut „Und verspürt ihr auch in eurem Bauch den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft: Küsst die Faschisten, küsst die Faschisten, küsst die Faschisten wo ihr sie trefft!“

Was vor rund 70 Jahren voll Sarkasmus von einem Sozialisten gegenüber der erstarkenden faschistischen Bewegung geäußert wurde, wird heute mit voller Überzeugung auf der politischen Bühne vor der Arbeiter_Innenbewegung präsentiert. Wie die Geschichte damals verlief, als sich KPD, SPD und Gewerkschaften nicht auf eine gemeinsame Einheitsfront, die auch gemeinsame Selbstverteidigungsorgane bedeutet hätte einigen konnten, wissen wir. Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussehen wird, aber wir können eines mit Sicherheit sagen. Derartige Kommentare geben nicht nur keine Antwort, wie derartigen Übergriffen praktisch, der dahinterstehenden Bewegung politisch begegnet werden soll. Die ohnehin politisch und ideologisch schwache Arbeiter_Innenbewegung wird zusätzlich in Sätze, die sich in der bürgerlichen Presse zwar gut machen, aber auf der Straße, vor der Flüchtlingsunterkunft oder im Betrieb herzlich wenig taugen, eingelullt.

…wie viele Heime müssen noch brennen, wie viele Gewerkschaftshäuser und Linke Zentren noch beschmiert und angegriffen, wie viele weitere Mordversuche an Migrant_Innen und organisierten Linken, muss es noch geben, bis diese unverfrorene Verbürgerlichung in den Arbeiter_Innenorganisationen unter der Hitze der Ereignisse zu schmelzen beginnt?

Liebe Genoss_Innen der Linkspartei, liebt doch wen ihr wollt, aber das ist keine Antwort auf faschistische Übergriffe. Die einzige Antwort auf faschistische Übergriffe sind eigene Selbstverteidigungsorgane, die gezielte Auflösung faschistischer Versammlungen und die Entwaffnung ihrer Organisationen durch die Arbeiter_Innenbewegung. Dann könnt ihr eure Liebe haben. Es wird vermutlich nicht die Liebe der bürgerlichen Presse, die Liebe der bürgerlichen Parlamentskolleg_Innen sein, aber die Dankbarkeit all jener, die ein reales Interesse am Kampf gegen den Faschismus haben.

Während sich die Faschisten radikalisieren und der Staat nach rechts rückt, zur Mäßigung aufzurufen, heißt sich noch im Vorhinein von Auseinandersetzung der Möglichen Kampfmittel zu berauben. Die Realität ist keine wohlfeile Zusammenstellung von Moralvorstellungen, die nur mit feuriger Inbrunst vor der Gesellschaft vorgetragen müssen. Die Realität ist eine historische Krise des Kapitalismus, in der die Klassenkämpfe zum erneuten erstarken faschistischer Organisationen führen. Wir als Sozialist_Innen sind voller Optimismus, dass auch die Revolutionär_Innen stärker werden und letztlich siegen können – aber nur dann, wenn sie es auch wollen.



Anmerkung der Redaktion: Laut einem Artikel der Zeit vom 11.01.2016 stimmt die Art der Verletzung nicht mit den genannten 17 Messerstichen überein. Es wurde geäußert, dass der Tathergang somit nicht Julians Schilderung entspricht. Der Korrektheit wegen machen wir auf diesen Sachverhalt aufmerksam. Es ist jedoch auch anzumerken, dass in anderen Fällen die Behörden politische Straftaten nicht also solche anerkannten, um Statistiken zu schönen oder sogar Opfer zu Tätern gemacht haben.


Die drohende Gefahr durch die erschreckend schnell erstarkende Rechte und die Zunahme der Attacken auf Einrichtungen, Aktivist_Innen oder auf Menschen, die
nicht in ihr Weltbild passen, ist nach wie vor akut. Die Rückschlüsse dieses Artikels sind somit weiterhin brandaktuell.


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Anhaltende Angriffe auf die kurdische Bevölkerung in der Türkei

VON SVENJA SPUNCK


Panzer in Diyarbakir


Im Osten der Türkei herrscht Krieg – und das nicht erst seit zwei Wochen. Bereits seit den Wahlen im Juni tyrannisiert das türkische Militär nicht nur die dortige Bevölkerung, sondern bombardiert auch Menschen im Nord-Irak und in Syrien. Dabei geht es vor allem um die Zerschlagung der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung, deren größte Organisationen die PKK in der Türkei und die PYD in Nord-Syrien sind. Der Waffenstillstand zwischen der türkischen Regierung und der PKK wurde von Seiten der Regierung für beendet erklärt. Es herrscht seitdem regelrechter Bürgerkrieg in Städten und Dörfern, weit entfernt vom westlichen Ankara oder Istanbul.


Obwohl die Unterstützung für die kurdische Nationalbewegung abgenommen hat, wie man an den Wahlen erkennen konnte, erklärte die PKK Nusaybin, Diyarbakir und Sirnak zu autonomen Regionen. Die aus den Wahlen gestärkt hervorgegangene AKP will sich das natürlich nicht gefallen lassen und verhängt täglich Ausgangssperren in diesen Gebieten. Seit August gab es bereits 52 Sperren, von denen 1,5 Millionen Menschen betroffen waren. Wer sich dennoch auf die Straße wagt, und sei es nur, um bereits Verwundete ins Krankenhaus zu bringen, muss mit Erschießung rechnen. Bisher verloren 140 Zivilist_innen ihr Leben. Kein Tag vergeht, an dem die kurdischen Nachrichten nicht von toten Jugendlichen berichten, kein Tag, an dem die türkischen Medien nicht von angeblich kurdischen Terroristen sprechen.


Am 28. November wurde der kurdische Anwalt Tahir Elçi auf offener Straße in Diyarbakir erschossen, unmittelbar nachdem er bei einer Pressekonferenz erklärte, dass die PKK für ihn keine Terrororganisation sei und er wegen seiner Meinung viele Todesdrohungen bekomme. Obwohl die Schießerei gefilmt wurde, ist bis jetzt nicht klar, wer Elçi tatsächlich ermordet hat. Doch eins steht fest: Er wurde ermordet, weil er die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung anprangerte – ob nun durch die türkische Regierung oder faschistische Banden.


In den letzten Tagen ist die Lage weiter eskaliert. Auf eine Ausgangssperre folgt die nächste und Panzer rollen durch die Straßen von Diyarbakir, wovon besonders die Nacht vom 14. zum 15. Dezember bisher am beunruhigendsten war. Der türkische Staat forderte per SMS Lehrer_innen und auch Gesundheitspersonal dazu auf, die kurdischen Städte zu verlassen und in ihre türkischen Heimatstädte zu fahren. Diesem Aufruf folgten viele; nur organisierte Gewerkschafter_innen und Kurd_innen blieben vor Ort, da die Gewerkschaften DISK und KESK in den Regionen zum Streik aufgerufen hatten. In der Türkei ist es gängige Praxis, regierungsnähere Türk_innen als Lehrer_innen in kurdische Städte zu schicken. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Lehrplan eingehalten wird und keine kontroversen Themen diskutiert werden. Nebenbei werden Schulen als Stützpunkte der Armee und als Waffenlager genutzt. Dies führt daher in der kurdischen Bevölkerung zu einer berechtigten Angst vor einem Massaker, bei dem es möglichst wenig Zeug_innen geben soll.


Regierungschef Ahmed Davutoglu ließ verlauten, dass auch er nicht von Ausgangssperren begeistert sei, diese jedoch dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen würden. Wenn es erforderlich sei, so fuhr er fort, würde man jedoch Haus für Haus „von Terroristen säubern“.
Sein Zynismus kennt kaum Grenzen. Seiner Logik zufolge bedrohen nicht Angriffe der Armee die Zivilist_innen, sondern dass die PKK Wohnhäuser als Stützpunkte nutzen könnte und somit die dort Wohnenden gefährden würde.


Gleichzeitig dürfen aber auch die strategischen und politischen Defizite der PKK nicht übersehen werden. Sie ist nach wie vor keine irgendwie demokratisch organisierte Kampfstruktur, die tatsächlich den kurdischen Befreiungskampf zu einem Ziel führen könnte. Der Personenkult um Abdullah Öcalan wird nach wie vor aufrecht erhalten; kurdische Jugendliche riskieren Repressionen durch den türkischen Staat, wenn sie Kundgebungen für den Inhaftierten organisieren, ohne dass dadurch ein tatsächlicher Fortschritt erlangt werden kann. Vor allem aber hat diese Partei letztlich keine andere strategische Option als irgendwie den gescheiterten „Friedensprozess“ wiederzubeleben.


They only call it class war when we fight back

Die aktuellen Ereignisse zeigen auch deutlich, dass es nach wie vor eine tiefe Spaltung im Land zwischen Ost und West, zwischen Land und Stadt, zwischen Kurd_innen und Türk_innen gibt – auch in der Linken. Die bis vor kurzem noch hoffnungsvoll betrachtete HDP äußert sich kaum zu den Geschehnissen, ruft symbolisch zum Frieden auf, ohne die Schuldigen des Krieges zu benennen und praktische Schritte zu unternehmen. Einige ihrer Abgeordneten fuhren in die betroffenen Gebiete und wurden ebenfalls von Sicherheitskräften angegriffen. Diesem folgt jedoch nicht mehr als eine empörte Rede im Parlament, welche die Mehrheit der AKP-Abgeordneten wohl recht wenig interessiert.


Die HDP beweist nun traurigerweise, was viele Linke und sozialistische Gruppen über sie sagen: sie sei ein Wahlbündnis gewesen und mehr nicht. Was sie jetzt fordern sollte, sind der sofortige Abzug des gesamten türkischen Militärs aus dem Osten des Landes sowie die Einstellung der Angriffe auf Syrien und den Irak. Eine politische und soziale Alternative muss her; die von der PKK verfolgte Guerilla-Taktik alleine wird die Spaltung des Landes nicht überwinden, geschweige denn stellt sie ein wirklich effektives Mittel gegen die hochgerüstete türkische Armee dar.


Demokratische Selbstverteidigungsstrukturen der Bevölkerung – von Kurd_innen bis Türk_innen – müssen gegründet werden, um sich dem Staatsterror der Erdogan-Regierung entgegenzustellen. Dies kann jedoch nur ein kurzfristiges Mittel darstellen im Kampf gegen die Regierung. Die türkischen wie kurdischen Arbeiter_innen und Jugendlichen müssen eine revolutionäre politische Alternative in Form einer revolutionären Arbeiter_innenpartei aufbauen. Diese könnte auch den kurdischen Widerstand im Osten mit dem Westen des Landes effektiv verbinden und so die Stützen des Erdogan-Regimes wirklich erschüttern, den Kampf zu dem machen, was er ist: nicht nur ein Kampf der Kurd_innen gegen die AKP-Regierung, sondern ein Kampf der Arbeiter_innenklasse gegen ihre Unterdrücker.





Interview mit einem mazedonischen Aktivisten

GEFÜHRT VON CHRISTIAN GEBHARDT

Mazedonien ist ein Land, von welchem wir in den deutschen Medien recht wenig hören. Dennoch war von Mazedonien kurzzeitig in Verbindung mit den Flüchtlingsströmen aus dem Nahen Osten sowie Asien stark in den deutschen Medien vertreten. Auf unserem diesjährigen Sommercamp hatten wir Genoss_innen aus Mazedonien zu Gast. Diese Möglichkeit nutzen wir zur Erstellung dieses Interviews mit einem Aktivist in der „Bewegung für soziale Gerechtigkeit – LENKA (Движење за Социјална Правда ЛЕНКА). In Anbetracht der Fülle an interessanten Fragen konnten wir bestimmte politische Fragen nicht in voller Länge ausdiskutieren, wie z.B. die Frage danach welche Strategie LENKA anwendet um unterschiedliche politische Strömungen zusammen zu führen, oder wie sie sich eine gemeinsame Partei mit diesen politischen Organisationen vorstellen. Wir hoffen jedoch, dass wir diese Fragen mit den anwesenden Genoss_innen und darüber hinaus weiter diskutieren können.


Hallo Denis. Könntest du uns zu Beginn einen kurzen Einblick in eure Organisation geben? Wie sieht eure Alterstruktur aus? Welche politischen Strömungen sind in eurer Organisation vorhanden und wie sieht LENKA seine Zukunft?

Unsere Organisation – Bewegung für soziale Gerechtigkeit LENKA (Движење за Социјална Правда ЛЕНКА) wurde im Jahre 2008 gegründet. Wir verstehen uns als eine kommunistische, antikapitalistische, antiimperialistische, antisexistische, antinationalistische sowie antifaschistische Organisation. Das Alter der meisten unserer Mitglieder liegt zwischen 23-40 Jahren, aber natürlich sind wir offen für Personen jeglichen Alters, Geschlechts, Ethnie oder Herkunft. In LENKA organisieren sich Mitglieder aus fast jeder in Mazedonien vorkommenden Ethnie (Mazedonier_Innen, Türk_Innen, Serbier_Innen, Albanier_Innen, Bosniaken, etc.). Im starken Unterschied zu anderen mazedonischen linken Organisation finanziert sich LENKA ausschließlich unabhängig und wird nicht von Organisationen wie die SOROS oder der Rosa Luxemburg Stiftung finanziert. Einerseits ermöglicht uns das eine politische Unabhängigkeit von diesen Geldquellen, auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass wir nie genug finanzielle Mittel haben um alle Aktivitäten welche wir gerne durchführen würden zu finanzieren.
LENKA vereinigt unterschiedliche politische Strömungen in einer Bewegung: Trotzkist_Innen-Leninist_Innen (Mehrheitsströmung), Maoist_Innen, Stalinist_Innen (Minderheitsströmung) sowie Titoist_Innen. Derzeit befindet sich LENKA auch in Einheitsgesprächen mit anderen linken Bewegungen und Organisationen (Leftist Movement SOLIDARITY – Левичарско Движење СОЛИДАРНОСТ and Communist Party of Macedonia) um einerseits engere Zusammenarbeit zu diskutieren und andererseits die Möglichkeit zur Bildung einer politischen Partei zu prüfen. Diese Partei würde uns ermöglichen zu den nächsten Wahlen an zu drehten (April 2016).


Lenka_logotip

Kannst du uns einen kleinen Überblick über die vor kurzem stattgefundene Bildungsbewegung in Mazedonien erzählen?

Die Student_Innenbewegung mit dem Namen Studentenplenum (Студентски Пленум -Plenumi Studentor) entstand als Konsequenz vieler gescheiteter Regierungsreformen, welche das Ziel hatten das Bildungssystem zu verbessern und weiterzuentwickeln. Jedoch wurde dieses Ziel nie erreicht. Die Regierung versuchte ein unhaltbares Gesetz für höhere Bildung einführen, mit welchem sie versuchten den Universtiäten ihre Autonomie zu entreißen und die alleinige Kontrolle über den Bildungssektor zu erlangen. Zusätzlich hatte das Gesetz den Zweck, junge und fortschrittliche Student_Innen in Mazedonien daran zu hindern kritische Meinungen zu entwickeln.
Das erste Mal in der Geschichte Mazedoniens organisierte das Plenum erfolgreich vier Demonstrationen, die mehrere Zehntausend Student_Innen mobilisierte, die dadurch ihren Unmut mit dem umstrittenen Gesetz sowie der diktatorischen Regierung im Allgemeinen ein Sprachrohr verliehen. Zusätzlich organisierte das Plenum auch die Besetzung des Universitätsgeländes. Diese Besetzung hielt 15 Tage an und brachte die Regierung schließlich dazu, das Gesetz zurückzunehmen.

Wir von REVOLUTION in Deutschland sind sehr aktiv in der Refugeebewegung. Kürzlich war Mazedonien in den deutschen Medien sehr präsent in Verbindung mit der Frage der Refugees. Könntest du uns einen direkten Einblick über die Lage der Refugees in Mazedonien und wie der bürgerliche Staat darauf reagiert?

Die Situation der Geflüchteten in Mazedonien ist sehr schwierig. Seit Beginn der Refugeekrise haben bis heute 20.000 Menschen die mazedonisch-griechische Grenze überquert. Sie habe nicht nur mit der faschistischen Regierung zu kämpfen, die versucht sie als eine Gefahr darzustellen, sondern auch mit der Grenzpolizei. Diese behandelt sie einerseits wie Tiere und anderseits versucht sie aus ihnen Profit zu schlagen in dem sie lebenswichtige Produkte zum zwei- bis dreifachen Preis verkaufen.
Die Hauptmeinung der Bevölkerung in Hinblick auf die Geflüchteten ist jedoch, dass die Regierung ihnen helfen sollte sowie in einem humaneren Weg mit der Krise umzugehen habe. Es gibt dutzende humanitäre Organisationen in Mazedonien, welche den Refugees mit Erster Hilfe, Lebensmittel sowie Hygieneprodukten und Bereitstellung von Unterkünften helfen. Es gibt jedoch nur zwei linke Organisationen/Bewegungen – „Solidarnost“ sowie „Lenka“ – welche Anstrengungen unternehmen um den erschöpften Refugees zu helfen. Diese nehmen die linken Initiativen dankend an.




Interview mit einer Genossin von Borotba

VORWORT VON FLO WASSER | GEFÜHRT VON LARISSA KACHÉ

Seitdem im Frühjahr 2014 die Euromaidan-Bewegung einen Staatstreich in der Ukraine durchführte, gibt es dort eine Regierung unter Beteiligung von Faschist_innen und Rechtspopulist_innen. Die Arbeiter_innenklasse hat sich auf schwerwiegende Angriffe einzustellen. Jüd_innen, Russ_innen und Pol_innen geraten ebenfalls in das Visier rechter Milizen. Der Ukrainische Staat geht mit aller Härte gegen die Arbeiter_innenbewegung vor und bekämpft vor allem die Linken in der Ukraine. So ist nicht nur die Kommunistische Partei verboten worden, sondern selbst das Zeigen kommunistischer Symbole wie Hammer und Sichel steht jetzt unter Strafe.

Doch es gibt auch Widerstand gegen das Kiewer-Regime. Wir stehen schon seit längerem in Kontakt mit der ukrainischen Organisation „Borotba“ und als Genoss_innen von „Borotba“ an unserem Sommercamp teilnahmen, nutzten wir die Gelegenheit sie zu interviewen:

Hallo M., stelle doch erst einmal deine Organisation vor.

„Borotba“ kann mit „Kampf“ übersetzt werden. Wir verstehen uns als Marxistisch-Kommunistische Organisation, die für die Interessen der Arbeiter_innenklasse in der Ukraine kämpft. Unsere Prinzipien sind der Antikapitalismus, der Antifaschismus und die Frauenrechte. Wir haben Büros und große Gruppen in Städten wie z.B Kiew, Odessa und Charkow.
In der Ukraine haben wir viele kurdische Einwander_innen aus der Türkei, mit denen wir zusammen Aktionen und Demonstrationen organisierten. Wir waren von Anfang an eine der größten Kräfte der Anti-Maidan Bewegung, weil wir diesen von Beginn an für bürgerlich und rechts hielten.

Unsere Organisation „Borotba“ wurde im Mai 2011 gegründet. 2012 hatten wir unsere Konferenz, auf welcher unser Programm diskutiert wurde. „Borotba“ wurde aus Teilen verschiedener Jugendgruppen gegründet, unter anderen die Jugendorganisation „Che Guevara“, die Bewegung „Jugend gegen Kapitalismus“ und der „Leninsche Kommunistische Jugendverband der Ukraine/Komsomol“, welcher der Jugendverband der „Kommunistischen Partei der Ukraine“ ist. Auch Teile dieser Partei liefen zu „Borotba“ über, weil sie nicht wirklich kommunistisch ist, sondern oligarchische und bürokratische Strukturen aufweist. Die Jugendlichen in der Partei wollten natürlich nicht Teil dieser Ideologie sein, sondern voranschreiten und etwas Eigenes aufbauen. Dementsprechend waren wir von Beginn an hauptsächlich eine Jugendorganisation, wir hatten aber den Anspruch, eine allgemeinere Partei für Arbeiter_innen zu werden.

In wieweit seid ihr von Repression und faschistischen Übergriffen betroffen?

Wir kämpften sehr mit wachsendem Faschismus in der Ukraine, wobei unsere Hauptgegner die rechtspopulistische „Swoboda-Partei“ und einzelne Nazis sind. 2014 wurde unser Hauptbüro in Kiew attackiert, und wir verlagerten unsere Hauptarbeit nach Charkow, woraufhin auch dort das Büro angegriffen wurde. Bei dem Massaker des „Marsches der Einheit“ in Odessa wurde ein Genosse getötet. Andrej Brashewski, ein 16-jähriger Schüler. Viele unserer Genossen wurden zu politischen Auswanderern, weil sie von Faschisten erkannt werden konnten und von ihnen entführt oder getötet wurden. Ich und einige Genossen stehen in einer öffentlichen Liste von Separatisten und Terroristen im Internet.

Wie steht es um die Lage der Jugend in der Ukraine und zu welcher politischen Orientierung dieser Jugend hat die Krise geführt?

Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde der Grad der Bildung immer schlechter. Es wurde gegen Kommunismus und für Nationalismus propagiert. Dadurch wurde die ukrainische Jugend zu einer rechten Kraft. Mit dem Assoziierungsabkommen sollten ukrainische Universitäten dann auf europäischen Standard gehoben werden. Der Präsident Janukowitsch wollte da nicht mitziehen und begann Universitäten zu schließen und zu technisieren. Der Euromaidan startete dann eine Kampagne mit Hilfe des Bildungsministers, durch die den Oppositionellen und alten Lehrern verboten werden sollte zu unterrichten. Dabei kam es zu Korruption und der Fälschung von Daten. Denn eines der Hauptziele des Maiden ist es, Prozesse zur Ausreise nach Europa zu erleichtern. Von wegen, wir können euch nicht ernähren, wir haben keine Arbeit, geht nach Europa und arbeitet dort. Kinder von reicheren Familien unterstützen die Idee des europäischen Bildungsstandards und haben das Ziel, nach ihrer Ausbildung dort Arbeit zu finden. Auch Kinder armer Familien möchten in der EU arbeiten, aber sie schaffen es nicht, gute Jobs zu bekommen, sondern müssen sich mit schlecht bezahlter Arbeit zufrieden geben. Dadurch hatte der rechte Flügel sehr starken Einfluss auf Jugendlichen, da sie ihnen ein bisschen Macht und Schutz bieten. Ihnen wurde u.a. eingeredet, dass die Einwanderer ihnen die Arbeit stehlen würden. Menschen aus dem Südosten der Ukraine waren nicht politisch aktiv. So kam es, dass sie sich diesen rechtsextremen Gruppen anschlossen, die Macht und finanzielle Unterstützung seitens des Staates zu bieten hatten. Viele gehen auch zur Armee. Einige Kleingruppen versuchen dagegen zu mobilisieren, aber es ist schwierig.

Als die Ukraine den europäischen Vertrag unterzeichnete, schlossen einige Konzerne und es kam zu einer hohen Arbeitslosenrate. Die politische Orientierung der Jugend in der Ukraine hängt stark von ihrem ökonomischen Stand ab. Prekäre Lebenssituationen bieten einen Nährboden für fremdenfeindliches Gedankengut. Zusammen mit einer nationalistischen Bildung wird eine sehr rechte Jugendbewegung herangezogen.

Wir sind solidarisch mit dem antifaschistischen Widerstand in der Ukraine, der eine sehr schwere Mission hat. Für Organisationen wie „Borotba“ geht es nicht nur darum, das Kiewer-Regime und seine faschistischen Kettenhunde zu schlagen, sondern auch darum, den Einfluss russischer Nationalist_innen und den pro-russischen Teilen der ukrainischen Oligarchie in den Volksrepubliken zu vermindern.




Rechter Terror in Israel

Von MARVIN SCHUTT

Anfang August drangen 4 israelische Siedler nachts in das palästinensische Dorf Duma ein, um dort ihren Anspruch auf deren Land geltend zu machen. Gemäß ihres religiösen Rechtes, das nur jüdisches Leben im biblischen Judäa und Samaria (Westjordanland) vorsehe, zündeten die 4 rechtsextremen Männer ein Wohnhaus einer palästinensischen Familie ein, wobei ein 8-Wochen altes Kind und dessen Eltern in den Flammen ums Leben kamen. Die Gewalttat blieb nicht folgenlos: Großdemonstrationen in Israel und militante Proteste in den besetzten palästinensischen Gebieten veranlassten Premierminister Benjamin Netanjahu (ein jahrzehntelanger, vertrauenswürdiger Freund der Siedlungsbewegung) den Mordanschlag als „Jüdischen Terror“ zu bezeichnen und Reaktionen anzukündigen.

Nichts Neues!

Die Krokodilstränen, von Netanjahu und Co., können jedoch getrost im Klo heruntergespült werden. Brennende Moscheen und Kirchen, Angriffe mit Schusswaffen, Brandanschläge auf Felder und Plantagen, sowie rassistische Graffitis mit dem Schriftzug „Arabs to the gas chambers“, gehören seit Jahrzehnten zum Alltag der Besatzung. In den wenigsten Fällen aber wird gegen die Täter_innen von israelischer Seite ermittelt, geschweige denn werden Strafen ausgesetzt. Stattdessen werden die Siedler_innen vor palästinensischen Gegenreaktionen von der Armee beschützt. Angriffe von palästinensischer Seite werden dagegen mit massiver Repression, angefangen bei Haftstrafen ohne Gerichtsprozess, bis hin zu Kollektivstrafen und Häuserzerstörungen, geahndet – Hoch lebe der israelische „Rechtsstaat“!

Siedlungsbau

Um den Besitz, der im 6-Tagekrieg 1967 eroberten Gebiete zu sichern, ermutigte die damalige Regierung die israelische Zivilbevölkerung mit stattlichen Subventionen dazu, in die eroberten Gebiete zu ziehen. Die entstandenen Siedlungen rangen um strategisch wichtige Gebiete und Wasserquellen. Sie sollten zudem als Pufferzone für angreifende Nachbarstaaten dienen. Die israelische Bourgeoisie erkannte das Profitpotential der Besatzung und verlegte viele Produktionsstandorte ins besetzte Westjordanland, um sich dort mit billiger palästinensischer Arbeitskraft, fernab von jeglichen Arbeitsrechten, die Taschen voll zu machen. Die Leiharbeitsfirmen, die die palästinensischen Arbeiter_innen an die Siedlungen vermitteln, gehören übrigens in vielen Fällen hochrangigen Funktionär_innen der palästinensischen Autonomiebehörde, die sich ebenfalls an der Besatzung bereichern.
Bis heute leben 350 000 Siedler_innen im Westjordanland und weitere circa 200 000 in Ost-Jerusalem. Der Siedlungsbau hat jedoch auch innerhalb der israelischen Bourgeoisie seine Kritiker_innen gefunden: Während die Profite einiger israelischer Kapitalfraktionen weiterhin von der Besatzung abhängig sind, hat die internationale Solidaritätsbewegung, die Appelle der UN, sowie der Druck der USA, die sich nun auch Israels arabischen Nachbarstaaten immer weiter annähern, einen anderen Teil der Bourgeoisie, zu Zugeständnissen an die palästinensische Seite gezwungen und eine Spaltung der herrschenden Klasse bewirkt. Ausdruck dessen war der scharfe Wahlkampf zwischen dem rechtsextremen „Likud-Wahlblock“ und der von der Arbeitspartei geführten „Zionistischen Union“. Die Gründung eines palästinensischen Staates stand jedoch für keine der Fraktionen zur Debatte.

Angriffe innerhalb Israels

Auch vor anderen Jüdinnen und Juden macht der rechte Terror in Israel keinen Halt: Während israelische Anti-Kriegsaktivist_innen fortwährend von Nationalist_innen angegriffen werden und sogar persönliche Morddrohungen erhalten, wurde die israelische Gay-Pride (eine Demonstration für die Rechte von Homosexuellen) diesen Monat zum wiederholten Male, von ultra-orthodoxen Attentäter_innen angegriffen, wobei 6 Teilnehmer_innen mit einem Messer niedergestochen wurden. Auch äthiopische Jüdinnen und Juden sind innerhalb Israels massiver struktureller Benachteiligung, rechten Gewaltakten und rassistischen Polemiken ausgesetzt. Nach wiederholten Angriffen durch Polizeikräfte, entfachten sich im Sommer dieses Jahres, militante Massenproteste äthiopischer Jüdinnen und Juden, die auf ihre Situation aufmerksam machten und sich gegen die Angriffe zu Wehr setzten.

Gegenwehr!

Dass der israelische Staat und seine Organe keinen Schutz bieten kann und die Terrorist_innen oft aus seinen eigenen Reihen stammen, zeigen die Erfahrungen der Palästinenser_innen aus dem Westjordanland, der Antikriegsbewegung aus Tel Aviv oder der äthiopischen Jüdinnen und Juden. Schutz vor Angriffen können nur eigene Selbstverteidigungskomitees der Betroffenen bieten. Die selbst gegründeten Verteidigungspatrouillen, die die palästinensischen Dörfer nachts gegen Siedler_innenangriffe schützen, sind bereits ein erster wichtiger Schritt dahin. Von großer Bedeutung ist jedoch der gemeinsame Kampf von Palästinenser_innen, Jüdinnen und Juden. Beide sind vom rechten Terror und der Repression des Staates betroffen und werden sich nur Schulter an Schulter gegen diese zur Wehr setzen können. Solche multiethnischen Selbstverteidigungseinheiten, könnten nicht nur in der Lage sein sich gegen die Angriffe der Rechtsextremen zur Wehr zu setzten, sondern auch, in Form einer Arbeiter_innenpartei, als wirksames Gegenmachtorgan, den israelischen Staat und seine Verwalter_innen der Besatzung, herausfordern. Ziel dabei muss stets die Überwindung der rassistischen Spaltung, die Entmachtung der herrschenden Klasse und die Gründung eines gemeinsamen Staates sein. Dieser muss, auf der Grundlage einer demokratischen Wirtschaftsplanung durch Arbeiter- und Bauernräte, in der Lage sein können, allen Minder- und Mehrheiten ihre demokratischen Rechte zu gewähren.

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Flucht und Imperialismus: Ein unlösbares Problem?

Simon Halter und Christian Gebhardt

In Europa befindet sich Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und Rechtspopulismus seit einigen Jahren im Aufwind. Neben den etablierten Parteien wie der Front National in Frankreich, Vlaams Belangs in Belgien oder Jobbik in Ungarn, befindet sich auch die Rechte in Deutschland rund um die Alternative für Deutschland, PEGIDA, HoGeSa etc. in einer Umgruppierung und sucht nach Stabilität. Neben einem EU-kritischen Kurs, bietet auch die Flüchtlingsthematik seit einiger Zeit diesen Kräften eine Bühne um ihre Positionen und Einfluss zu verbreitern.

Derzeit befinden sich über 50 Millionen Menschen auf der Flucht und die Weltgemeinschaft auf der Suche nach einer Lösung. Dieses internationale Problem, hervorgerufen und befeuert durch die aufkommenden Krisenherde in der Welt, verlangt nach einer deutlichen und tiefgreifenden Lösung und kann nicht mit einmaligen Aktionen und Solidaritätsbekundungen aus der Welt geschafft werden. Der Imperialismus und seine zunehmenden innerimperialistischen Konflikte ist der zugrundeliegende Rahmen in welcher diese Lösungsansätze aus Sicht der internationalen Arbeiter_innenklasse gesucht werden muss.

Deutschland…

Hatte die deutsche Bourgeoisie sowie die deutsche Regierung noch Möglichkeiten die Krisenauswirkungen von 2008/2009 in Deutschland kleinzuhalten, treten nun durch die zunehmende EU-Krise sowie die Flüchtlingsströme Krisenauswirkungen auf, welche in einem national-protektionistischen Rahmen nicht mehr bewältigt werden können. Durch seinen imperialistischen Charakter versucht Deutschland mit seiner Politik die Stellung der deutschen Großkapitalisten gegenüber ihren Kontrahenten, in Europa auszuweiten. Diese Politik für die „Großen“, lässt die „kleinen“ Kapitalisten sowie das Kleinbürgertum im Regen stehen. Diese Umstände bereiteten das Aufkommen der AfD, bereitete die soziale Basis der PEGIDA-Bewegung vor und führte in gewissen Teilen der Bevölkerung zu einem Rechtsruck. Auf der anderen Seite bot die deutsche Linke, von der Sozialdemokratie über die Linkspartei bis hin zur radikalen Linken keinerlei Perspektive.

Im Moment sind die rassistischen Bewegungen rund um HoGeSa, PEGIDA und Co. nicht vergleichbar mit noch vor Ende letzten Jahres, jedoch heben sich radikaler Teile der Bewegung mit direkten Angriffen auf Geflüchtete hervor. Zählte die Polizei allein für das Jahr 2015 über 500 rassistische Übergriffe. Sachsen hebt sich besonders negativ hervor, gibt es dort im Schnitt täglich einen rassistischen Aufmarsch, einen Brandanschlag oder eine körperliche Tätigkeit.

Die (bis jetzt) traurigen Höhepunkte stellen Freital und Heidenau dar. Dort konnte der rassistische Mob offen Unterkünfte von Refugees angreifen, während die Polizei nicht genügend Leute da hatten und die (radikale) Linke sich im Totalversagen übte.

Auch die bundesweite Politik nimmt immer weiter rassistische Züge an, auch wenn sich Merkel kurzeitig mit ihrer initiierten “Willkommenskultur” bundesweit wie auch international hat feiern lassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass während Spekulanten ganze Straßenzüge leer stehen lassen, Refugees in überfüllte Zeltlager oder Heimen untergebracht werden ohne auf ihre körperlichen wie geistigen Bedürfnisse einzugehen. Gesetze wie die Residenzpflicht, welches besagt, dass Geflüchtete sich nur in einem bestimmten Gebiet aufhalten dürfen oder das Verbot ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sind rassistisch und werden mit aller Konsequenz, bis hin zur Abschiebung in Kriegsgebiete durchgesetzt. „Willkommen“ geht anders.

Die Festung Europa zerschlagen!

… und Europa

Während die EU die Grenzen um Europa immer schneller und aggressiver schließt und verbarrikadiert, suchen Refugees aus z.B. Syrien über den Landweg nach immer neuen Möglichkeiten ihren Situationen zu entkommen. Mazedonien gilt dabei als gutes „Schlupfloch“, da Griechenland die Grenze nicht mehr „sichern“ kann.

In der Stadt Gevgelija an der südöstlichen Grenze zu Griechenland überquerten 1500 Refugees die Grenze nach Mazedonien. Dabei kam es zum ersten Mal dazu, dass die Polizei versuchte die Geflüchteten mit Blendgranaten, Tränengas und nach Angaben mancher Quellen auch mit Schüssen aufzuhalten. Dies wiederholte sich nun erneut an der serbisch-ungarischen Grenze. Um das Land nicht von Geflüchteten „überschwemmen zu lassen“, baute Ungarn kurzerhand einen Zaun rund um seine Grenzen auf. So wurde es ganz deutlich, dass das offene und grenzfreie Europa nur für das Kapital in letzter Instanz gilt. Für Menschen in Not, gilt dies nicht. Jedoch gelangen immer mehr Menschen dennoch über die Grenzen. Entweder in dem sie massenhaft die Grenzkontrollen versuchen zu stürmen oder in Einzelaktionen die Zäune zerstören und sich einen Weg nach Europa bahnen. Die nächste Antwort der europäischen Regierungen ist das Einstellen des Zugverkehrs sowie das Aufheben des Schengenabkommens. Immer mehr Länder (allen voran Deutschland) beginnen ihre Grenzkontrollen zu verstärken um Refugees auf ihrer Flucht zu behindern. Dies zeigt ganz deutlich, dass die kapitalistischen europäischen Staaten Europas keinerlei Interesse daran haben die Flüchtlingskrise wirklich im Sinne der Geflüchteten zu lösen. Zu aller erst stehen die Interessen des Nationalstaates im Vordergrund.

Europas „Flüchtlingspolitik“

Doch die abschreckende und menschenverachtende Flüchtlingspolitik Europas fällt nicht vom Himmel. Noch zu Zeiten von Gaddafi (ehemaliges Staatsoberhaupt in Libyen) und vor seinem Sturz 2011, hatte Italien ein Abkommen mit Libyen. Dies beinhaltete, dass Gaddafi sich um das „Problem kümmert“ und im Gegenzug ca. 200 Mio. Euro pro Jahr bekam. Europas Hände waren somit rein, Gaddafi hielt Refugees in Nordafrika gefangen, brachte sie in die Wüste und lies sie dort sterben.

Nach dem Sturz Gaddafis musste Europa handeln und verstärkte seine Grenzsicherungseinheiten, FRONTEX im Oktober 2011. FRONTEX dient offiziell der Koordinierung der Zusammenarbeit unterschiedlicher EU-Mitgliedsstaaten zum Zweck ihre Außengrenzen zu schützen. Die kürzlich gemachten Erfahrungen mit etlichen ertrunkenen Geflüchteten im Mittelmeer zeigt, dass FRONTEX nicht das Ziel verfolgt Flüchtlinge in ihrer Not zu helfen und sie sicher nach Europa zu bringen. Ganz im Gegenteil. Faktisch lässt FRONTEX Boote versinken, kämpft offensiv gegen Schlepperbanden und hat die Aufgabe, die Wege über das Mittelmeer nach Europa abzuriegeln. Es dient dazu den Fokus auf die Schlepperbanden als Hauptgrund des Unheils der Flüchtlinge zu lenken, anstatt auf die menschenverachtende Politik der EU.

Aber nicht nur praktisch, sondern auch ideologisch wird eine Kampagne gegen Geflüchtete geführt. Hierbei wird versucht, nicht nur die Bevölkerung in den europäischen Staaten und die Flüchtlinge zu spalten, sondern auch die unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen untereinander. Hier wird versucht Flüchtlinge in „gute“ Kriegsflüchtlinge oder „böse“ Wirtschaftsflüchtlinge zu spalten. Wie dies Aussehen kann, haben wir schon in Berlin bei der Besetzung des Oranienplatzes gesehen. Hier war es der bürgerlichen Regierung gelungen, die Flüchtlinge in zwei Gruppen zu spalten, was schlussendlich dazu führte, dass ein Teil der Geflüchteten sich wegen wagen Versprechungen gegen einen anderen Teil hat ausspielen lassen. Diesen Spaltungsversuchen müssen wir klar entgegen drehten und hervorheben, dass nur ein gemeinsamer Kampf aller Geflüchteten zusammen mit der europäischen Arbeiter_innenklasse zum Ziel führen kann.

Lage von weiblichen Geflüchteten

Wie viele politische Themen, wird auch die Flüchtlingsthematik aus männlicher Sicht geprägt. In den Medien werden fast ausschließlich männliche Refugees interviewt und auch in den Medien wird häufig dargestellt, dass zum Großteil Männer nach Europa flüchten. Laut UNO sind jedoch 30 % aller Refugees Frauen und ca. 50% Kinder. Die meisten Frauen befinden sich jedoch in großen Refugeecamps außerhalb von Deutschland bzw. Europa und können oft nicht „weiter“flüchten, weil sie ihre Kinder versorgen müssen. Sie bleiben zurück und hoffen das die männlichen Teile ihrer Familie sie später nachholen können.

Neben Fluchtgründe wie Krieg, Folter oder religiöse Verfolgung, gibt es auch einige frauenspezifische Fluchtgründe, die Frauen in die Flucht zwingen, jedoch international nicht als Fluchtgründe anerkannt werden. Hierbei kann Genitalverstümmelung, Zwangsverheirat, Vergewaltigung, Witwenverbrennung, Zwangssterilisation oder Zwangsprostitution als einige Beispiele aufgeführt werden. Auch Frauen, die „kulturellen Normen“ nicht entsprechen oder gegen gewisse Kleiderregeln verstoßen sind oft Repressionen und Folter ausgesetzt. Beispielsweise in Saudi-Arabien, in das Unmengen deutscher Waffen verkauft worden sind, werden Frauen die kein Kopftuch tragen vor Gericht gestellt. Dabei liegt das Strafmaß im Ermessen des Richters und sind nicht selten Peitschenhiebe oder Haftstrafen.

Frauen, die flüchten sind einer deutlich stärkeren Unterdrückung ausgesetzt und brauchen neben dem Anerkennen von frauenspezifischen Fluchtgründen, individuellen Schutz und gesonderte Unterbringung, falls diese gewünscht ist.

Gegenwehr!

Um die Spaltung der Einwohner_Innen und Geflüchteten zu verhindern und sich nicht mit dem einfachen populistischen Argument: „Lieber Geld für Kitas als für Flüchtlinge“ fangen zu lassen, müssen die Kämpfe der Geflüchteten mit den Kämpfen der deutschen sowie europäischen Arbeiter_innenklasse verbunden werden. Die Thematik zeigt deutlich, dass es sich um eine politische Frage handelt, die auch politische Lösungen bedarf. Auch wenn humanitäre Kampagnen und direkte Hilfeleistungen für Refugees wichtig und richtig sind, darf dies nicht der ausschließliche Fokus der Bewegung sein. Die Refugee-Bewegung muss einen Schulterschluss mit den europäischen Arbeiter_innenbewegungen suchen. Die Lösung kann nicht sein, Flüchtlingen durch weiteren Sozialabbau zu helfen und die Arbeiter_innen für die Auswirkungen der kapitalistischen Krise bezahlen zu lassen. Die Krise, Kriege und Auseinandersetzungen, welche Flucht erst notwendig machen, haben die Kapitalisten verursacht, sie müssen dafür auch bezahlen!

Forderungen:
· Öffnung der Grenzen und Bereitstellung sicherer Fluchtmöglichkeiten! Fähren statt FRONTEX! Züge statt Zäune!
· Gegen alle Abschiebungen und „Auffanglager“! Gegen alle Einwanderungsbeschränkungen, „Ausländergesetze“ und Einschränkungen politischer Rechte! Für volle staatsbürgerlichen Rechte für alle!
· Für menschenwürdige Unterkünfte, kostenlose psychische sowie medizinische Betreuung!
· Verbindung der Kämpfe der Arbeiter_innenklasse und den Refugees! Für das volle Organisationsrecht aller Refugees in Gewerkschaften, Parteien sowie Jugendorganisationen der Arbeiter_innenbewegung.
· „Geld für Kitas UND Refugees statt für Banken“! Lasst diejenigen bezahlen, die für die Krise verantwortlich sind! Enteignung der deutschen und europäischen Kriegsmittelindustrie und Verstaatlichung unter Arbeiter_Innenkontrolle.
· Der Selbstschutz muss organisiert werden! Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen in jedem Stadtteil und Landregion aus Arbeiter_Innen, Jugendlichen, Migrant_Innen und Refugees!
· Aufbau und Vorbereitung einer bundesweiten antirassistischen Bewegung! Ein Anfang kann hier der für November geplante Schulstreik in Solidarität mit den Refugees in Berlin sein. Diese Idee sollte bundesweit aufgegriffen und mit den Kämpfen der Refugees und der Arbeiter_innen verbunden werden.




Neues Hoffnungsprojekt: Volkseinheit

Von Georg Ismael

Würde das Verhältnis der breiteren deutschen Linken zur griechischen Linken eine zwischenmenschliche Beziehung darstellen so müsste ihr im Grunde genommen die Schamesröte ins Gesicht steigen. Ihr Verhalten drückt sich nicht nur durch außerordentliche Oberflächlichkeit, Sprunghaftigkeit sowie einen Mangel an Reflektionsfähigkeit aus. Es beweist darüber hinaus auch, dass die eigene Unfähigkeit die Verhältnisse zu verstehen und grundlegende Antworten darauf zu finden, versucht wird durch den Bezug auf die „Anderen“ zu überspielen.

Konkret sprechen wir auf das Verhältnis der deutschen Linken zur Partei SYRIZA unter Alexis Tsipras an. Sowie auf den Wahlblock und der möglicherweise neuen Partei „Laiki Enotita“ (Volkseinheit). Nachdem am 5. Juli 2015 61% der griechischen Wähler_innen, unter ihnen vorwiegend Jugendliche, Arbeiter_innen und Arbeitslose, in einem Referendum gegen ein weiteres Spardiktat unter der Troika aus Europäischer Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) gestimmt hatten, verriet SYRIZA kurz danach genau jenes Mandat und unterzeichnete gar ein härteres Sparpaket. Dieser Verrat am „OXI“, des Neins zu den Angriffen des griechischen, aber insbesondere auch des französischen und deutschen Kapitals auf die griechischen Arbeiter_innen und Jugendlichen, führte letztlich zu einer Spaltung innerhalb SYRIZA´s und der Gründung der heutigen Volkseinheit.

Griechenland Volkseinheit

Griechenland Volkseinheit

Altes Hoffnungsprojekt SYRIZA

Bis dahin war die reformistische Partei SYRIZA das große Hoffnungsprojekt der LINKEN im allgemeinen, der meisten Organisationen welche sich in der LINKEN befinden, sowie eines beträchtlichen Teils des Autonomen Spektrums wie beispielsweise Teilen der Interventionistischen Linken (IL).

Doch leider weilten sich Organisationen wie Marx21 oder der Internationalen Sozialistischen Linken (ISL) in unkritischer Unterstützung, anstatt eine grundlegende Kritik an SYRIZA auf ihrem Weg von einer vermeintlichen „Anti-Kürzungspartei“ hin zu einer offenen Partei des Spardiktats zu formulieren. Aber gerade dies wäre und ist die Aufgabe von Revolutionär_innen.

SYRIZA war von Beginn an eine reformistische Partei, das heißt eine Partei die ihrer eigenen Ideologie nach den Kapitalismus zum besseren hin reformieren wollte. Das bedeutet aber auch, dass ihre gesamte Politik, ihr Schicksal unweigerlich an den Kapitalismus gebunden war und ist. Das sich ihre Politik im Zweifelsfall auf die Rettung des Kapitalismus und gegen die revolutionäre Aktivität der Klasse richten muss. Uns war das von Anbeginn klar und es wäre jedem und jeder Revolutionär_in klar gewesen, die sich das Wahlprogramm von Thessaloniki angesehen hätte.

Sehr wohl war uns aber auch bewusst, dass Millionen von griechischen Arbeiter_innen und Jugendlichen ihre Hoffnungen in SYRIZA legten. Es war also die Aufgabe von Revolutionär_innen bei ihnen zu sein, während sie ihre Erfahrungen mit SYRIZA machten. Aber nicht alleine das „bei ihnen sein“ im Sinne eines unkritischen Weggefährten war die Aufgabe von Revolutionär_innen, so wie es fast ausnahmslos die deutsche Linke tat, sondern das bei ihnen sein im Kampf gegen die Memoranden. Dies hätte einhergehen müssen mit dem gleichzeitigen Aufzeigen der Unmöglichkeit diese Memoranden mit der reformistischen Politik und Passivität SYRIZA´s und der bürgerlichen Regierung aus ANEL und SYRIZA zu bekämpfen.

Nach diesem unvermeidlichen Verrat SYRIZA´s, können wir zwei vorherrschende Tendenzen in der deutschen Linken beobachten. Ein Teil sammelt sich um den rechten Flügel der Linkspartei, der weiter, als wäre nichts geschehen, die SYRIZA Führung unterstützt. Gregor Gysi drückte das auf der zentralen Wahlkampfveranstaltung von SYRIZA folgendermaßen aus „Ihr hattet sehr schwere Verhandlungen mit meiner Regierung, aber ihr habt das bestmögliche Ergebnis herausgeholt. Außerdem war die Situation vor der Vereinbarung unkalkulierbar. Jetzt, wo die Gefahr eines Grexit gebannt ist, ist alles kalkulierbar.“

Nicht nur das Gysi die Offenheit besitzt von der derzeitigen reaktionären, deutschen Regierung aus CDU und SPD als „seiner“ Regierung zu sprechen. Er stellte zusätzlich diesen historischen Betrug SYRIZA´s praktisch als alternativlos dar. Vor allem macht er sich aber Gedanken über die Kalkulierbarkeit der kapitalistischen Krise und möglicher Unkalkulierbarkeiten eines entschiedenen Neins zu Krise und Sparpaketen, welches große Klassenkämpfe mit sich bringen könnte. So sprechen tatsächlich die Vertreter der Kapitalisten. Die deutsche Regierung hätte es selbst nicht besser ausdrücken können.

Das Problem ist aber, dass die Linken in der LINKEN zwar diese Aussage von Gysi ablehnen, dass sie gefühlt auf der Seite des OXI stehen, sie aber keine konsequente politische und programmatische Alternative artikulieren und sich damit selbst zur Passivität verdammen.

Es ist ja auch nicht so, als ob die Regierung aus ANEL und SYRIZA nicht bereits vorher größere soziale Angriffe durchgeführt hätte. Die Halbierung der Subventionen für Benzin und Petroleum, die vor allem die ländliche Armut trifft und jene, die nun im Winter frieren müssen kann als Beispiel herangezogen werden. Selbst schon durch die Gründung der Regierung mit einer nationalistischen, rechtspopulistischen ANEL war ein offensichtlicher Bruch mit dem Wahlversprechen zur Bildung einer „Linken Regierung“. Darüber hinaus wurde dieser Partei der Posten des Verteidigungsministers, das heißt die Kontrolle über das Militär zugeschachert. Ein weiterer unglaublicher politischer Einbruch, den in Deutschland breite Teile der Linken herunterspielten.

Tatsächlich hätten damals Revolutionär_innen gerade jede Schwäche, jedes Versäumnis und jeden Bruch mit den gemachten Versprechen SYRIZA´s aufzeigen sollen. Sie hätten schonungslos Forderungen an SYRIZA stellen müssen diese zu verwirklichen und im Zweifelsfall die Basis SYRIZA´s gemeinsam mit anderen Arbeiter_innenorganisationen und Gewerkschaften in Griechenland mobilisieren müssen, um Druck auf die Regierung auszuüben. Solche Mobilisierungen, wie die OXI-Mobilisierung eine war, wäre ein wichtiger Ansatzpunkt zur Schaffung von Aktionskomitees und eigenständigen Gegenmachtorganen der Arbeiter_innenklasse zum bürgerlichen Staatsapparat gewesen. Auf ihrer Grundlage wäre es zweifach möglich gewesen, SYRIZA aufzufordern mit der kapitalistischen und reaktionären ANEL zu brechen und ihre Regierung stattdessen auf die Komitees und die Mobilisierung der Arbeiter_innen, Jugendlichen und Migrant_innen zu stützen. Eine solche Herangehensweise, verbunden mit einer grundlegenden Darlegung der Notwendigkeit der sozialistischen Revolution gegenüber der reformistischen Politik der SYRIZA Führung hätte möglicherweise den geschehenen Verrat in dieser Form verhindern, zumindest aber die Kräfteverhältnisse bedeutend besser gestalten können.

Zu dieser alternativen Politik war jedoch die deutsche Linke, und leider auch die griechische Linke, nicht bereit. Stattdessen wurde SYRIZA bis zum Schluss beinahe unkritisch unterstützt. Die Zeche allerdings muss die griechische Arbeiter_innenklasse, Jugendlichen und die Migrant_innen bezahlen. Mit Sicherheit eine unangenehmere Erfahrung, als in der gemeinsamen Aktion eine kritische Diskussion zu führen. Diese kritische Diskussion wurde von breiten Teilen der deutschen Linken abgelehnten, da dies nicht ihrem Verständnis von „internationaler Solidarität“ entspräche.

Neues Hoffnungsprojekt Volkseinheit



Das Verhältnis insbesondere der deutschen Linken zu SYRIZA war problematisch. Grundlegend kann auch gesagt werden, dass die Fehler welche die reformistische und zentristische Linke in Deutschland zum Zeitpunkt des Hypes rund um SYRIZA begingen, vorausgesehen werden konnten. Aber gehen wir einmal für einen Augenblick davon aus, dass dem nicht so wäre. Wir müssten nun eigentlich davon ausgehen, dass man nach SYRIZA schlauer sei. Das man die Erfahrungen bilanzieren müsste und einen genaueren Blick auf die grundlegende Politik die zum Verrat SYRIZA´s führte anschaut und die neuen Perspektiven und Alternativen dazu beleuchtet. Aber leider ist dies zumindest bei führenden Figuren der deutschen Linken und etlichen Organisationen Fehlanzeige. Denn es gibt ja bereits das nächste Hoffnungsprojekt, auf das man sich unkritisch stürzen kann. Es heißt Laiki Enotita, zu deutsch Volkseinheit.

Man könnte gerade behaupten, dass sich so ungestüm auf dieses neue Phänomen gestürzt wird, gerade um nicht einmal tief einzuatmen und das Geschehene zu reflektieren. Die Politik SYRIZA´s noch einmal grundlegend zu hinterfragen und sich ernsthafte Gedanken um das Programm als Ganzes zu machen.

Ja, es ist richtig, dass sich nun um eine spezielle Frage eine politische Debatte entfaltet: um die Frage der EU und des Euros. Aber wenn Janine Wissler und Nicole Gohlke, Mitglieder von Marx21 sowie Abgeordnete des Bundestages für die LINKE, schreiben, dass der Bruch der „Volkseinheit“ mit SYRIZA nun ein großer
Fortschritt wäre sowie die Linke in Europa nun kritisch die EU hinterfragen müsse, so drückt dies nur die Rückschrittlichkeit der LINKEN aus. Aber leider keinen Fortschritt in der revolutionären Gedankenwelt. Denn es könnte auch erwidert werden, dass vor rund 10 Jahren hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen von Menschen gegen die neoliberalen EU-Verträge von Lissabon demonstrierten und stimmten. Nachdem aber die europäische Bourgeoisie sich durch Verhandlungen in den Hinterzimmern hinten rum doch durchgesetzt hatte, wurde es in der reformistischen Linken Europas salonfähig von einem „sozialen Europa“ unter der kapitalistischen EU zu träumen.

Warum diejenigen, die sich als Kapitalismuskritiker_innen verstehen und bis vor kurzem noch SYRIZA unterstützten aber erst jetzt darauf kommen, dass möglicherweise ein Bruch mit den Illusionen in die EU und im Zweifelsfall auch mit dem Euro nötig ist, um die Spardiktate zu bekämpfen, kann gerne als Frage formuliert werden. Eine andere, fast spannendere Frage ist aber, was eigentlich die Alternative zur EU und dem Euro darstellen soll?

Die Führer_innen der Volkseinheit um Lafazanis oder Zoe Konstantopoulou geben darauf eine einfache und simple Antwort. Die Alternative ist ein Austritt aus der EU und ein Ausscheiden aus dem Euro, welches zu einem Belebung des griechischen Kapitalismus führen soll. Doch dieses Programm ist nicht nur von Beginn an utopisch, weil es davon ausgeht, dass Schäuble und Merkel Griechenland einen geordneten kapitalistischen Ausstieg und somit dem Rückzug aus dem Einzugsgebiet des deutschen Imperialismus erlauben würden. Gleichzeitig ist es utopisch zu glauben, dass die griechische Wirtschaft unter den aktuellen Bedingungen auf nationaler kapitalistischer Grundlage genesen könnte. Es ist aber neben seinen utopischen Zügen auch ein reaktionäres Programm von Lafazanis und Konstantopoulou, da es letztlich genauso auf die Rettung des Kapitalismus gerichtet ist, wie das SYRIZAs.

Der Weg auf dem die Volkseinheit dieses Ziel erreichen will, ist fast noch katastrophaler, nämlich wie der Name es bereits sagt, durch eine „große patriotische Front des Volkes“, die alles von der Arbeiter_in bis zum mittleren Unternehmer einschließt. Neben der berechtigten Frage, wo die Volkseinheit eigentlich diese „fortschrittlichen“ Teile der Kapitalistenklasse auftreiben möchte, ist es eine politische Kampfansage an einen unabhängigen Klassenstandpunkt der Arbeiter_innen. Aber gerade dieser ist in einer Situation in welcher nicht nur die Nea Demokratia, sondern auch die Faschisten an Kraft gewinnen, doppelt wichtig.

Die Politik der Volkseinheit ist, wenn man sie genau betrachtet also nicht linker als das Programm von Thessaloniki, das Parteiprogramm von SYRIZA von 2012. Es ist insgesamt bedeutend unkonkreter, zielt ebenfalls auf die Rettung des Kapitalismus ab und ist in wichtigen Fragen sogar rechter, weil es offen zu einem nationalen, klassenübergreifenden Bündnis aufruft, dass Teile der Kapitalisten miteinbeziehen soll.

Doch solch Kritik, hört man von den Organisationen in Griechenland, die sich an dem Wahlblock beteiligen herzlich wenig. Ähnlich verhält es sich mit ihren Schwesterorganisationen in Deutschland von SAV, bis Funke, als auch Organisationen wie Marx21 oder der ISL, die sich nun positiv auf das neue Hoffnungsprojekt stürzen.

In ihrer zweiten Stellungnahme zur Volkseinheit kritisierte die SAV zwar zurecht die undemokratischen Verhältnisse in dem neuen Wahlblock. Dies war aber scheinbar hauptsächlich dadurch motiviert, dass sie letzten Endes keinen Platz auf den Wahllisten angeboten bekamen. In ihrer ersten Stellungnahme, klang es noch fast so, als wäre die neue antikapitalistische Massenpartei in Griechenland gegründet worden („Das Programm, das derzeit von der Basis der „Volkseinheit“ diskutiert wird, ist stark antikapitalistisch“). Eine Kritik an der grundlegenden Programmatik der Volkseinheit bleibt aber auch in der zweiten Stellungnahme aus. Obwohl gerade dies dringend nötig wäre, besonders wenn man dieser Partei eine kritische Wahlunterstützung zukommen lässt wie es die SAV tat.

Auch abschließend bleibt die Frage, wie viel Konsequenz und Mut von den Führer_innen eines Wahlblocks und einer entstehenden Partei erwartet werden kann. Vor allem von den Personen, die den Kampf gegen den rechten Flügel in SYRIZA so lange herauszögerten hatten bis es schlussendlich zu spät war. Denn der letztliche Bruch mit SYRIZA kam nicht durch die Initiative der „Linken Plattform“ und DEA (Werktätige Linke) zustande, sondern dadurch, dass Tsipras kurzerhand Neuwahlen ansetzte und vorher die Linke im ZK damit beruhigt hatte, dass der nächste Parteikongress im September stattfinden würde. Das bedeutete schlicht, dass die linkeren Abgeordneten in SYRIZA nicht erneut auf die Wahllisten gesetzt worden wären. Das war der Punkt an dem die reformistischen und zentristischen Führer_innen geknickt SYRIZA verließen. Nicht nach einer politischen Auseinandersetzung oder gar einem ausgefochtenen Fraktionskampf.

Welches Programm brauchen wir? Für welche Einheit kämpfen wir?

Wer nicht will, dass sich die Dinge wiederholen, der sollte diese Partei einer grundlegenden politischen Kritik unterwerfen und klar und offen ein alternatives, revolutionäres Programm artikulieren. Ein Programm, dass sich nicht auf die Rettung des griechischen Kapitalismus bezieht, sondern auf dessen Sturz. Das sich nicht primär auf den nächsten Parlamentsposten fixiert, sondern wenn es Parlamentsposten gibt, diese genutzt werden, um die Aktivität der Klasse außerhalb des Parlaments zu 100% zu unterstützen.

Natürlich ist es wichtig dieses Programm insbesondere mit den rund 10´000 Mitgliedern, die SYRIZA in Richtung Volkseinheit verlassen haben zu diskutieren. Auch ist es für Revolutionär_innen nicht irrelevant, ob in den jetzigen Wahlen die Kräfte, die für die Spardiktate stehen oder jene Organisationen der Arbeiter_innenkalsse, die dagegen stehen an Stimmen gewinnen. Daher war eine kritische Wahlunterstützung für Parteien wie Laiki nicht nur möglich, sondern auch gerechtfertigt. Das zentrale Ziel einer solchen Wahlunterstützung muss es aber eben sein, die Diskussion über eine grundlegende politische Alternative und ein anderes Programm über die Grenzen von Laiki hinaus anzustoßen. Wenn dieser Prozess angestoßen werden sollte, in Griechenland, sowie auch in ganz Europa, wären wir tausendmal weiter, als wenn die Volkseinheit 1 oder zwei Prozentpunkte mehr in den Wahlen gewonnen hätte.




Grundlagen des Marxismus: Der Staat – Teil 3: Das Absterben des Staates

Von Lukas Müller

Durch die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel wird der Staat zum Repräsentanten der gesamten Gesellschaft. Je mehr dabei die Klassenunterschiede verschwinden verschwindet auch der Staat und das Volk nimmt die Verwaltung der Gesellschaft selbst in die Hand. Je größer die an der Ausübung der Staatsmacht beteiligen Personen, desto weniger ist eine eigene Staatsmacht von Nöten. Die Institutionen hören in dem Maße auf zu existieren, wie sie nichts mehr zu tun haben. Der Staat wird also nicht einfach abgeschafft, er stirbt ab. Allerdings nicht durch Reformen, durchgesetzt in den Parlamenten. Sondern nach der gewaltsamen Erkämpfung der Staatsmacht durch das bewaffnete Proletariat und der Ersetzung des bürgerlichen durch den proletarischen Staat.
Engels schrieb dazu:
„Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätze bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußeren Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebenen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die gesamte Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondere Repressionsgewalt, eine Staat, nötigt machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft -, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiet nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht „abgeschafft“, er stirbt ab.“1

Der proletarische Staat beginnt also von Anfang an abzusterben. Die Pariser Kommune war für Marx und Engels ein Beispiel für das Zerschlagen der bürgerlichen Staatsmaschinerie und die Errichtung eines proletarischen, absterbenden Staats und somit für Engels „schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr.“2 Doch auch ein absterbender Staat wird erst ganz verschwinden können, wenn eine neue Generation herangewachsen ist, die in Verhältnissen ohne die Ausbeutung der Lohnarbeit und die Unterdrückung des Staates der Kapitalisten groß geworden ist. Eine Generation, die sich von Geburt an daran gewöhnt die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens auch ohne Zwang einzuhalten, die daran gewöhnt ist Teil der Gesellschaft zu sein und diese mitzuverwalten, also auch die Trennung von Hand- und Kopfarbeit vollständig überwindet. Diese wird dann endlich in der Lage sein „den ganzen Staatsplunder von sich abzutun“3, denn es wird niemand mehr da sein, der niedergehalten werden muss. Auch dann erst kann das bürgerliche Recht übertreten werden. Jeder wird nicht nur nach seiner Arbeitsleistung, sondern nach seinen Bedürfnissen Zugriff auf die von allen hergestellten und im Voraus geplanten, ausreichend vorhandenen Konsumgüter haben. Dies ist möglich, da ALLE gesellschaftlich notwendige Arbeit ohne die Hemmnisse einer Klassengesellschaft leisten. Marx:
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz körperlicher und geistiger Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.“4

Wie lange es dauern wird, bis dieser Prozess des Hineinwachsens in die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft abgeschlossen ist, lässt sich nicht wissenschaftlich ergründen.
Natürlich denkt Marx hier im internationalem Maßstab. Kommunismus kann nicht existieren, während auf dem Rest der Welt noch eine ausbeutende Kapitalistenklasse ihr Unwesen treibt, welche es niemals zulassen würde, dass eine befreite Gesellschaft parallel zu ihr existiert. Diese könnte sich dann, ohne Staat, auch gar nicht effektiv zu Wehr setzen. Kommunismus kann nur international funktionieren.

Dieser Text ist Teil einer Serie zu Staatstheorie. Hier sind die ersten beiden Teil der Serie:

Teil 1 Der bürgerliche Staat
Teil 2 Der proletarische Staat






Türkei: Das Regime will Bürgerkrieg

Von Svenja Spunck

In den letzten Tagen spitzte sich die Situation in der Türkei drastisch zu. Im ganzen Land wurden Parteizentralen der HDP angegriffen oder gar in Brand gesetzt. Gleichzeitig bilden sich faschistische und nationalistische Mobs, die durch die Straßen laufen und pogromartig kurdische Geschäfte zerstören und Menschen kurdischer Herkunft angreifen. Allein in zwei Tagen wurden 400 HDP Büros angegriffen. In Istanbul wurde ein junger Mann sogar erstochen, weil er an einer Bushaltestelle auf kurdisch telefonierte.

Der Konflikt zwischen den Kurd_innen und türkischen Nationalist_innen existiert zwar schon seit der Gründung der türkischen Republik, doch wurde er in den letzten Jahren vor allem durch viele Zugeständnisse der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und ihrer politisch legalen Kraft, der BDP, „friedlicher“. Doch nun müssen Menschen wieder Angst haben.

Seit dem Attentat von Suruç kommt es zu Massakern an der kurdischen Bevölkerung im Osten des Landes, die Stadt Cizre ist komplett vom Militär belagert, die Bevölkerung hat Ausgangssperre. Gleichzeitig greift das Militär diejenigen an, die sich oder ihre Familien verteidigen wollen. Allein in der Nacht, vom 10. zum 11. September, gab es 20 Tote.

Vor einigen Tagen machte sich eine Delegation von HDP-Abgeordneten auf den Weg nach Cizre. Ihre Busse wurden von der Polizei gestoppt. Sie liefen danach zu Fuß weiter, darunter auch die Vorsitzenden Figen Yüksekdag und Selahattin Demirtas. Auf dem Weg über die Landstraße und den Fluss Tigris wurde die Kolonne mehrmals von der Polizei angegriffen.

Erdogan und seine AKP nutzen die Konflikte gegen die Kurd_innen und in den kurdischen Gebiete außerhalb der Türkei bewusst aus, um die HDP zu delegitimieren, sie im Idealfall sogar zu illegalisieren und sich selbst als „stabilisierenden Faktor“ zu präsentieren.

Eine „Politik der Spannung“ soll Erdogan helfen, seine bei den letzten Wahlen gescheiterte Präsidialverfassung erneut durchzupeitschen. Sei es über eine Mehrheit der AKP, einen Ausnahmezustand oder ähnliches. Es ist jedenfalls eindeutig, dass die diktatorischen, bonapartistischen Züge des Regimes immer deutlicher hervortreten – und der Krieg gegen das kurdische Volk als Mittel dient, diese Entwicklung in den Augen zu legitimieren.

Repression in der Türkei

Die Strategie der HDP?

Demirtas wirft der AKP und dem Staat zurecht Kriegstreiberei und eine bewusste Ausnutzung der Situation vor. Doch bleibt es bei mahnenden und moralistisch abschellenden Worten. Die Führung der HPD hofft mit ihren offiziellen Stellungnahmen zur „Deeskalation“ beizutragen und sich als „Friedenspartei“ zu halten – und schwankt so zwischen Opposition und Opportunismus. Mit der Verkündung der Neuwahlen wurde eine Übergangsregierung gebildet, die aus AKP, einem (von seiner Partei deswegen ausgeschlossenen) MHP-Mitglied und zwei HDP-Abgeordneten (!) besteht.

Während Demirtas unter den Kurd_innen die PKK-Guerilla verteidigt, ruft er im Parlament zur Niederlegung der Waffen auf. Dies zeigt das ganze Dilemma nicht nur der Politik der HPD, sondern letztlich auch der PKK, die beide eigentlich den „Friedensprozess“ wieder beleben wollen, den Erdogan längst aufgekündigt hat. Das AKP-Regime will keine Verhandlungen, sondern die Kapitulation.

Was jedoch dringlichst gebraucht wird sind zum einen Selbstverteidigungsstrukturen, nicht nur für die HDP Büros, sondern auch für den Wähler_innen und Mitglieder, die auf offener Straße attackiert werden. Zum anderen muss aber auch die Debatte um die Perspektive des kurdischen Befreiungskampfes vorangetrieben werden. Es vergeht kein normales Gespräch unter den Menschen hier, das nicht nach fünf Minuten zur politischen Debatte wird. Jede_r ist betroffen, jede_r spricht vom Krieg und vom sehnlichen Wunsch nach Frieden und Menschlichkeit.

Doch diese kann nicht erbeten oder durch moralische Überlegenheit erreicht werden.

Man muss klar Stellung beziehen und zwar für die der Unterdrückten, die ihrer politischen Stimme beraubt werden. Der Selbstverteidigungskampf der Kurd_innen ist legitim. Auch die HDP sollte sich klar dazu äußern, statt um jeden Preis zu versuchen, bis zu den nächsten Wahlen ihr Mantra des unbewaffneten Widerstandes zu wiederholen.

Eine solche Position ist keineswegs mit einer Rückkehr zur Guerilla-Strategie gleichzusetzen. Der aktuelle Krieg gegen das kurdische Volk kann letztlich nur gestoppt werden, wenn Erdogan in der ganzen Türkei auf Widerstand trifft, sprich wenn die städtische Arbeiter_innenklasse und alle unterdrückten Schichten mobilisiert werden, mit Massendemonstrationen auf die Straße gehen, wenn die Gewerkschaften für Solidarität mit dem kurdischen Volk eintreten, wenn politische Streiks organisiert werden, wenn gegenüber den türkischen Soldaten agitiert wird, sich nicht als Kanonenfutter Erdogans missbrauchen zu lassen. Nur wenn die türkischen Arbeiter_innen ihre Gefolgschaft oder jedenfalls passive Hinnahme der AKP-Politik und des türkischen Nationalismus aufkündigen und den kurdischen Massen beistehen, werden sie auch in der Lage sich, sich gegen das Joch der Ausbeutung und Unterdrückung Erdogans zu erheben.




Interview mit einem Aktivisten: Rassismus, Proteste und Widerstand in den USA

Seit dem vergangenem Jahr kommt es in den USA immer wieder zu Demonstrationen mit Ausschreitungen und Rebellionen gegen die rassistische Polizei und Justiz. Auslöser sind größtenteils Gewalttaten oder Morde an People of Colour (PoC), die regelmäßig geschehen und genauso regelmäßig ungestraft bleiben. Die Opfer sind größtenteils schwarze Jugendliche – die Täter sind Weiße, häufig Polizisten.

Die Morde sind nur die Spitze des Eisberges einer systematischen, politischen und ökonomischen Unterdrückung, der nicht-weiße Menschen in den USA ausgesetzt sind. Über die fehlende Repräsentation in den Medien, die ungleichen Bildungschancen, der rassistischen Klassenjustiz und besonders der ungleichen Bezahlung wird geschwiegen. 2013 verdienten schwarze Männer im Vergleich 25 % weniger als weißen – schwarze Frauen verdienen übrigens 36 % und Latinas 46 % weniger.

Der Kapitalismus in den USA hat seit seiner Existenz eine rassistische Unterdrückung und Ausbeutung von People of Colour befördert und die Arbeiter_innenklasse entlang dieser ethnischen Linien gespalten.

Um von den spontan entflammten Aufständen zu einem Sturz des bürgerlichen Staates, seinen rassistischen Institutionen und des Kapitalismus zu kommen, braucht es unserer Meinung nach eine Kraft, die dieser Bewegung eine Perspektive zeigen kann – eine revolutionäre, multiethnische Arbeiter_innenpartei und Jugendorganisation. Da eine Organisation allerdings nie frei von der gesellschaftlichen Prägung ihrer Mitglieder ist, ist der Kampf gegen Rassismus innerhalb der Organisation ebenfalls notwendig. Ein Caucus – eine Art Schutzraum für Menschen, die diskriminiert werden – ist ein Mittel um konkrete Diskrimierungen zu bekämpfen.

Außerdem besteht die Notwendigkeit, dass die Probleme, die mit Rassismus verbunden sind, sein Ursprung und sein Zweck offen thematisiert werden müssen – sowohl innerhalb einer revolutionären Jugendorganisation, als auch in ihrer Außenwirkung. Sie muss die antirassistischen Kämpfe mit Antikapitalismus verbinden und z.B. darauf pochen, das Arbeitskämpfe gemeinsam geführt werden. Nur so kann ein Klassenbewusstsein geschaffen werden, dass die rassistische Spaltung der Arbeiter_innen und der Jugend überwindet.

Im Zusammenhang mit der antirassistischen Protesten von Baltimore im April führten wir ein Interview mit Stephen, einem Aktivisten der Baltimore People’s Power Assembly. Die Proteste in Baltimore wurden durch den Tod von Freddy Gray ausgelöst, welcher in Polizeigewahrsam tödliche Verletzungen am Rückenmark erlitten hatte.

Hallo, erzähl uns doch etwas über dich, wo du her kommst und was du machst.

Hallo, ich bin Stephen Ceci und ich arbeite mit einer Organisation namens Baltimore People’s Power Assembly (BPPA) zusammen. Meine Eltern waren im SDS (Students for a Democratic Society) tätig und in der Black-Panther-Bewegung aktiv. Ich selber bin seit 15 Jahren aktiv. Damals wurde ein afrikanisch-amerikanischer Mechaniker von der Polizei zu Tode geprügelt, weil er ein Auto auf der Straße reparieren wollte und Leute dachten er würde es stehlen. Seine hinterlassene Freundin ist nun bei uns Mitglied.

Erzähl uns doch etwas über das BPPA, eure Forderungen und Geschichte.

Nachdem Trayvon Martin erschossen wurde (Todestag: 26. 2. 2012, Anm. d. Red.), haben wir zusammen mit der durch Dr. King gegründeten Southern Christian Leadership Conference eine Demonstration organisiert und 10.000 Menschen sind gekommen. Danach haben wir dann das BPPA gegründet um gegen Polizeiterror, Rassismus und Massenverhaftungen aktiv zu werden.

Wir fordern gesellschaftliche Kontrolle der Polizei nachdem Model der Black Panther Party aus 1971, dass heißt, dass die Polizei aus der Community kommen soll, die sie schützt, der Polizeichef gewählt wird und es ein ziviles Gremium gibt, dass die Polizei kontrolliert. Das ist eine Übergangsforderung, als Schritt zur völligen Abschaffung der Polizei. Außerdem kämpfen wir für einen Mindestlohn von 15$ und für das Grundrecht auf eine Gewerkschaft.

Auf der organisatorischen Ebene versuchen wir mit dem BPPA den Prototyp eines Sowjets zu schaffen, weil ein Großteil der Bevölkerung jegliches Vertrauen in die Institutionen des bürgerlichen Staates verloren hat.

Kannst du uns etwas über die Polizeigewalt erzählen, die ihr jeden Tag erleben müsst?

Nun ja ich selber bin noch nicht von der Polizei angegriffen worden, aber in den vornehmlich afroamerikanischen Bezirken sagt einem die Polizei oft, man dürfe hier nicht sein und muss sofort verschwinden. Ich hatte mal eine Freundin, die in so einem Bezirk lebte. Da musste ich das mehrmals täglich über mich ergehen lassen. Außerdem gibt es eine Praxis namens „stop-and-frisk“, das heißt, dass die Polizei dich immer und überall anhalten und nach Drogen durchsuchen darf. Das machen die auch.

Vor 3 Jahren wurde zum Beispiel ein Mann von Knockers, Undercover-Cops, erdrosselt, die behaupteten er wollten Drogen runter schlucken. Die Autopsie zeigte, dass dies nicht der Fall war, aber trotzdem wurden die Polizisten nie vor Gericht gestellt. Es gibt unzählige dieser Geschichten hier. Ich hab sogar von Kindern, 11-jährigen, gehört, die von der Polizei aufgelesen, bedroht und in fremden Stadtteilen wieder abgesetzt wurden. Einfach so.

Für viele Leute ist die Polizei, wie eine Besatzungsarmee. Ein Großteil der Polizei kommt nicht mal von hier. Sie fahren mit dem Auto 1-2 Stunden, teilweise aus anderen Bundesstaaten an. Ganz oft sind die gewalttätigen Polizisten nicht von hier.

Hat sich das Verhältnis zur Polizei nach dem Aufstand geändert?

Die Polizei gibt selber zu, dass sie ihre Arbeit nicht richtig machen kann, da sie sofort von 30 Leuten umringt werden, sobald sie irgendwo auftauchen. Ich glaube, dass sie da ein wenig übertreiben, aber es stimmt schon, dass die Menschen noch skeptischer geworden sind.

Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen, da die Rebellion in den Medien falsch dargestellt wird. Dies war ein Aufstand der Ärmsten und am stärksten Unterdrückten, hauptsächlich junge Schwarze. Bei Plünderungen, die stattfanden, ging es um lebensnotwendige Dinge. Ich hab gesehen wie Menschen Essen und sogar Windeln aus dem Supermarkt geholt haben. Was in den Medien nicht erwähnt wird ist, dass es Monatsende war und die meisten Menschen kein Essen mehr hatten.

Gab es Unterstützung von Seiten der Gewerkschaft und Linken Gruppierungen?

Leider hat die Gewerkschaftsbewegung in vielerlei Hinsicht durch Abwesenheit geglänzt. Es gab etwas Unterstützung, aber nicht so viel wie wir gern gesehen hätten. Es war jedoch auch ein spontaner Aufstand und obwohl die Linke diesen unterstützt hat, war sie nicht in der Lage ihn anzuführen, uns eingeschlossen. Wir haben oft das Gefühl, dass gerade die Jugend sich sehr bewusst über die Lage ist, jedoch nicht die Organisation hat um sich dagegen zu wehren. Wir versuchen das zu ändern, haben aber noch eine Menge aufzuholen.

Was hältst du für die wichtigsten Aufgaben der gewerkschaftlichen und politischen Linken?

Ich glaube die Linke sollte stärker mit der Black-Lives-Matter Bewegung zusammenarbeiten. Es ist wichtig, dass sie sich mit engagieren, Einfluss nehmen und vor allem diese Bewegung nicht alleine stehen lassen, die vom bürgerlichen Staat gezogenen Trennlinien überwinden und gemeinsam kämpfen!

Einleitung von Katherina Singh, Interview von Peter Wolf, REVOLUTION Berlin